Zum Inhalt der Seite

Schattenfresser

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Flatter Machen für Fortgeschrittene

XIV. Die Flatter Machen für Fortgeschrittene
 

Kaum hatte Skia diskret das Cornflakes-Glas weggeräumt, drang von draußen ein Motorengeräusch herein. Die Hexe fuhr anscheinend Auto und flog nicht mit Besen oder Staubsager herum. So sah sie auch eigentlich nicht aus, aber man konnte nie wissen, welche Klischees wirklich stimmten und welche nicht.
 

Die zierliche Frau kam mit klappernden, monströs hohen Absätzen unter den Füßen hinein gestöckelt, grüßte ihn höflich, Skia eher ruppig mit misstrauischem Blick, als ahne sie die Sache mit den Cornflakes. Daheim war Skia wohl nicht durchgehend so artig wie in der Schule, wenn er nicht gerade Strafpunkte kassieren wollte. Aber die Schule war für ihn Maskerade gewesen, das hier war der richtige Skia… phagos.
 

„Gut, dann hol mal die Sachen aus dem Auto!“ kommandierte sie Skia ab, der augenrollend lostrabte. Seine nackten Füße platschten auf dem Steinboden der Küche. Von Schuhen schien er nicht viel zu halten, aber er musste sich auch nicht verstecken mit seinen langen, geraden Zehen. Was manche Leute da so in ihren Tretern verbargen, würg spei.
 

„Ich kann helfen!“ bot sich Kai an.
 

„Besser nicht, sonst frisst du alles mit einem Happs weg“, bügelte sie ihn ab, dass er sich erneut fühlte wie ein Kleinkind. Aber aus ihrer Perspektive war er das wahrscheinlich auch, da war selbst Skia noch erwachsener. Ein Teil von ihm wollte meutern, aber dann würde er stattdessen noch wie ein bockiger Teenager rüberkommen – und nicht wie ein erwachsener Mann, der er ja eigentlich war. Oder? Was war er denn jetzt eigentlich? Einzigartig wie „sie“ alle? Das half auch nicht gerade bei der Identitätsfindung.
 

„Meinetwegen – danke für… das Essen“, quetschte er heraus. „Aber… was wird denn jetzt? Mein Leben? Meine Eltern, Freunde, mein Job, meine Wohnung…“
 

„Wir hängen noch ein wenig im luftleeren Raum“, gab sie zu und winkte ihn mit sich an den Esstisch, wo sie sich eine Tasse Kaffee eingoss. „Dass du dein Menschenleben nicht einfach so weiterführen kannst, dürfte dir einleuchten. Es gibt zwar Tarnzauber, die deine körperlichen Attribute kurzzeitig vor den Augen der Menschen verbergen – aber davon, die selber hinzubekommen oder gar zu morphen bist du Lichtjahre entfernt. Wir wissen auch nicht, wie es um deine magischen Fähigkeiten bestellt ist, vielleicht bist du ja total unfähig – so wie Skia. Aber auch wenn du das Obergenie sein solltest, wirst du Zeit brauchen, um auch nur die Grundlagen zu lernen. Und mit „Zeit“ meine ich da nicht ein paar Wochen oder Monate. Du kennst nur das Leben in der Menschenwelt, da kommen viele Umstellungen auf dich zu. Das heißt nicht, dass du einfach alle Brücken hinter dir abbrennen musst, solange du dich an die Regeln hältst. Es wäre wahrscheinlich möglich, dass du die Personen, die dir wirklich nahe stehen, weiterhin ab und an siehst. Es ist kein Problem ihnen punktuell „Normalität“ vorzugaukeln, wahrscheinlich auch klüger so, damit es keine Komplikationen gibt, wenn du etwa einfach verschwändest und man nach dir sucht. Ganz abgesehen, was es für dich bedeuten würde, sie alle nie wieder zu sehen. Aber gib dich keinen Illusionen hin, das wird nicht schön werden. Dein Platz ist nicht unter den Menschen, denn du bist keiner. Auch wenn das schwer zu begreifen und zu verarbeiten ist. Vermeide allzu persönlichen Kontakt, sonst stürzt du dich ins Unglück. Täglich bei deinem Job auftauchen kannst du nicht mehr. Nicht nur, da es aufwendig zu bewerkstelligen wäre, sondern auch, weil das hohe Risiken birgt. Du stehst ganz am Anfang und weißt und kannst zu wenig, um dich auf Dauer sicher zwischen den Menschen zu bewegen. Außerdem hast du Wichtigeres zu tun.“
 

Kai schloss die Augen und schluckte. Ansatzweise war es ihm ja klar gewesen, aber wenn er an die Konsequenzen dachte… Sein Leben, wie er es kannte, war vorbei. Einfach so. Es gab ihn nicht mehr, es gab ihn neu. Tabula rasa. Kompletter Neustart, ungefragt. Aber hier gab es nichts mehr zu leugnen. Die einzige Möglichkeit war, dass er im Koma lag und fantasierte. Aber selbst dann wäre nichts daran zu rütteln gewesen, dass das hier jetzt seine Realität war.
 

Kein leicht gefrusteter Junglehrer mit einer gescheiterten Beziehung im Nacken, sondern… irgendetwas Anderes. Sein Leben war ja nicht das Schlechteste gewesen, er hatte nicht gehungert oder chronisch gelitten, aber ein Freudenfest war etwas anderes. Aber das Leben war eben keine Dauerparty. Aber was würde es jetzt sein…?
 

„Was… was muss ich denn wissen? Lernen? Zaubern? Fliegen? Keine Leute auffressen?“ fragte er, während Skia im Flur herum rumpelte. Himmel, was war das, ein Barbiehaus? Lecker… Floffi schleckerte an seinem Wassernapf herum.
 

Die Hexe nickte ihm freundlich lächelnd zu und nickte: „Unter anderem, sicher.“
 

„Wie ist das passiert?“ wollte er wissen.
 

Sie senkte den Blick. „Der Rat ist noch dran. Aber… ein Mensch warst du nie. Menschen verwandeln sich nicht in unsereins, das geht nicht. Die Frage ist eher, wie du in die Menschenwelt geraten bist, ohne dass jemand davon wusste.“
 

„Kann das vielleicht… ein paar – tausend – Generationen überspringen?“ theoretisierte er und schenkte sich erneut ein. Eigentlich müsste er inzwischen einen Kaffeetatter haben, aber auch da schien sein Körper jetzt anders zu reagieren.
 

„Nein. Menschen und wir sind nicht miteinander fortpflanzungsfähig. Dazu sind wir zu… anders. Ich bin zum Beispiel nicht klassisch geboren worden, sondern aus einem Ei geschlüpft, das mein Vater gelegt hat“, erklärte sie.
 

„Was?!“ fragte Kai, jetzt doch wieder entgeistert. „Hier legen die Männer Eier?!“
 

Sie lachte breit. „Das kann passieren. Skia wurde nach menschlichem Maß ganz normal von seiner Mutter geboren. Aber es gibt auch noch ganz andere Varianten… Wir sind magische Wesen aus der Sicht der Menschen. Bei uns geht theoretisch alles.“
 

Vor Kais innerem Auge öffnete sich ein Panoptikum von legendären Geburten der eher gewagten Art… in voller Rüstung aus dem Kopf des Vaters gesprungen… aus dem Schaum abgehackter Geschlechtsteile den Wellen entstiegen… ach du Schreck… Musste er jetzt mit so etwas rechnen, wenn er Kopfweh hatte?!
 

„Keine Panik!“ kicherte Morgana, seinen Gesichtsausdruck richtig einschätzend. Seine Fühler dürften stehen wie die Ohren eines paralysierten Karnickels. „So leicht passiert das nicht! Dazu gehören auch bei uns zwei…“
 

„Okay!“ keuchte Kai erleichtert. Davon war er Gott sei Dank weit entfernt. Aber etwas brannte ihm dann doch noch unter den Fingernägeln. „Und dann… wünscht man sich das einfach… oder wie…?“ fragte er harmlos.
 

Morgana lachte ihn nur umso herzlicher aus. „Wir sind nicht asexuell, falls du das befürchtest – da kommt die menschliche Erziehung durch, Menschenmänner, pah! – aber da wir so verschieden sind, gibt’s wenig Einheitsbrei. Ich sehe ja aus wie ein Mensch – aber bei ein paar anderen sind es nur wenige menschliche Züge, dagegen bist selbst du noch harmlos. Ich kann ja mal Leila „die Sphinx“ zum Kaffee einladen…“
 

„Besser erst mal nicht!“ keuchte Kai. „Solange sie nicht meine leibliche Mutter ist…“
 

„Was ist mit deinen Menscheneltern?“ fragte sie nachdenklich.
 

„Ich bin adoptiert… hat nie eine Rolle gespielt… Aber das ändert nichts, hat es nie, nicht eine Sekunde!“ stellte Kai klar.
 

„Dann stellt sich wohl eher die Frage, wer dich zur Adoption frei gegeben hat“, murmelte Morgana.
 

Kai rümpfte die Nase. „Eigentlich nicht“, meinte er hart. „Meine leiblichen Eltern interessieren mich nicht. Ich habe Eltern. Basta.“
 

„Dich vielleicht nicht – aber der Rat wird darüber stolpern und Fragen stellen. Denn einen von uns in der Menschenwelt auszusetzen, dass er sich vollständig anpasst, als Mensch lebt… das ist nicht gerade rechtens. Wenn dem so war, musst du dich die ganze Zeit magisch selbst manipuliert haben, dich zu Recht gestutzt, angepasst, in ihr Korsett gezwungen... oder es lag ein Fremdzauber auf dir…? Ich weiß es nicht. Aber dein wahres Wesen hätte auch zutage kommen können – und was dann? Was wäre dann mit dir geschehen? Mit uns allen? Das ist ein rigider Verstoß gegen unsere Regeln!“ stellte sie klar.
 

„Wenn’s denn so war… vielleicht bin ich nur verloren gegangen… oder wurde geklaut?“ spekulierte Kai.
 

„Mmm… unwahrscheinlich, wir sind nicht sonderlich vergesslich, was die unserer Art angeht, unsere Familie – und beklauen lassen wir uns auch nicht so leicht“, murmelte Morgana.
 

„Aha. Aber, um auf das Naheliegende zurück zu kommen: Was wird mit meinem Leben? Beginnend mit: Ich bräuchte Klamotten – und ein Rasierer wäre auch nicht schlecht, sonst sehe ich bald aus wie ein Wolpertinger!“
 

„Ich kann Skia noch mal schicken…“, setzte Morgana an.
 

„Das ist unnötig, zumindest größtenteils – die Sachen sind ja alle in meiner Wohnung. Nur mit Oberteilen wird es wohl kompliziert, aber die lassen sich vielleicht um schneidern. Oder muss ich für alle Zeiten oben ohne rumlaufen? Darauf lege ich keinen gesteigerten Wert!“ betonte Kai. „Montag kann ich mich telefonisch krankmelden – aber was dann? Am dritten Tage brauche ich einen Attest vom Arzt!“
 

„Dauerhaft in deine Menschenwohnung zurück ist zunächst keine Option. Du bleibst besser hier, das ist noch einigermaßen so, wie du es kennst, bietet aber dennoch Schutz und Gelegenheit zu lernen und sich zurecht zu finden. Aber mit den Sachen hast du wahrscheinlich recht. Du hast doch wahrscheinlich noch anderen Kram… Gib mir die Schlüssel, ich lasse alles her schaffen!“ forderte sie.
 

Kai atmete tief durch. Er fühlte sich… umgetopft wie eine doofe Primel. Aber was sollte er machen? So loslatschen und selber erledigen? Guten Tag, ich bin Kai Wiesenblum-Blumenelf und ich hätte gern ein Umzugskommando, um meinen Wohnsitz ins Hexenhaus zu verlegen? Wohl eher nicht. In gewisser Weise war er ein Gefangener. Morganas der Hexe, des verrückt gewordenen Schicksals, der Umstände wie auch immer. Aber hoffentlich nicht auf Dauer. Wenn das hier schon sein musste, dann würde er nicht lahm rumsitzen! In jedem Ende steckt ein Anfang… jaja. Wer immer diesen Spruch ersonnen hatte, hatte garantiert nicht ihn vor Augen gehabt. Sonst hätte er nicht Sprüche geklopft, sondern sich tot gelacht.
 

„Mache eine Liste der Dinge, die du behalten willst – und was du sonst noch benötigst. Wenn du mehr Platz brauchst, die beiden Zimmer neben dem, in dem du geschlafen hast, sind frei – eigentlich weitere Gästezimmer. Die lassen sich verbinden, da kannst du dich dann drin breit machen“, wurde er unterrichtet.
 

Er zog mietfrei in eine topp eingerichtete Traumvilla – juhu. So hatte er sich das allerdings nicht vorgestellt.
 

Nie wieder nach Hause, nie wieder Schule, nie wieder Schüler… etwas in ihm zog sich zusammen. Halt, nicht heulen. Heulen kannst du nachher, wenn’s keiner sieht… Der Tag war aber noch nicht fertig mit ihm. Der erste Tag von… sonst was.
 

…………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………
 

„Los, Leviathan, flieg! Flieg du fauler Drachen – oder bist du dazu mittlerweile zu fett?“ säuselte Skia den Miniaturdrachen an, der ihn verstockt anblickte. Die beiden schienen nicht gerade ein Herz und eine Seele zu sein. Auch Floffi hatte einen erneuten panischen Anfall erlitten, als er den Drachen unvermutet auf seiner Stange im Wohnzimmer erspäht hatte. Kai würde es ihm gerne nachtun und sich ein bisschen unter dem Küchentresen verstecken, aber abhauen war nicht, das half auch nicht weiter.
 

Morgana war dabei mit „Rumpel“ und „Stilzchen“ die Logistik zu organisieren. Kai hatte besser nicht nachgefragt – die beiden tauchten auch auf Skias ominösen Spickzettel auf und wurden anscheinend für Organisationskram in der Menschenwelt heran gezogen. Rumpel & Stilzchen: Probleme in der Menschenwelt? Wir beraten sie gern, völlig unverbindlich. Äußerst kulant, nehmen auch ihr Erstgeborenes in Zahlung! Kai sah das Schild förmlich vor seinem inneren Auge blinken. War das mit ihm passiert? Hatten ihn Rumpel & Stilzchen verscheuert? Nicht noch paranoider werden… War er überhaupt noch paranoid? Wie konnte man paranoid sein, wenn das, was man sich einzubilden meinte, wahr war? War es nicht eher paranoid, daran zu zweifeln? Und was gab es zu zweifeln, wenn ein Lindwurm unwillig brüllend vor einem durchs Wohnzimmer flatterte, nachdem Skia ihm mit einem Hölzchen einen Schubs verpasst hatte? Die beiden waren offensichtlich wirklich nicht die besten Freunde. Und ihm hatte das kleine Mistvieh die Wange angekokelt, auch wenn er davon nichts mehr spürte. Gehörten Selbstheilungskräfte zum Paket dazu? Garantiert. Er würde sich nie wieder vorm Frittieren in der Pfanne fürchten müssen. Juhei! Aber Polly Pocket schmeckte auch unfrittiert… Die reinste Rohkostdiät. Nahm er überhaupt zu? Hatte Kitsch Kalorien? Fragen über Fragen…
 

Jetzt studierte er jedenfalls erst einmal konzentriert das ungelenke Flattern des Drachen.
 

„Siehst du!“ präsentierte Skia stolz.
 

„Mmm… ja… aber seine Flügel sind ganz anders als meine…“, murmelte er.
 

„Und dennoch kann er fliegen, oh Wunder! Wenn der das kann, kannst du das auch!“ ermutigte ihn Skia.
 

„Was ist… wenn ich abstürze?“ zierte sich Kai.
 

„Dann fällst du natürlich runter“, erwiderte Skia verblüfft, als habe er gerade einen unvermuteten geistigen Aussetzer.
 

„Ich weiß! Ich meine: Was passiert mit mir? Breche ich mir dann nicht das Genick?“ fragte Kai.
 

„Kann passieren. Dann macht dir Tante Morgana eine Käferaugensuppe und alles wird wieder gut“, lachte Skia, als sei das irgendwie witzig.
 

„Gehe ich recht in der Annahme, dass ein Genickbruch hier als nicht besonders dramatisch angesehen wird?“ folgerte Kai.
 

„So leicht bricht sich unsereins nichts. Und selbst wenn: das heilt. Tante Morgana war zu einem Brikett verschmort – und sieh sie dir jetzt an! Okay, das hat richtig gedauert, aber so gravierende Verletzungen holt man sich nicht von ein wenig Geflatter“, beruhigte ihn Skia unverdrossen.
 

„Wir haben Superkräfte?“ bohrte Kai. Bekam er jetzt ein Cape und einen Umhang? War er dann Schmetterling-Man?
 

„Nö…“, wand sich Skia. „Wir sind normal. Die Menschen sind schwach – und gehen leicht kaputt.“
 

Ach so war das. „Die verletzen sich und sterben?“ bohrte Kai.
 

„Äh, ja“, gab Skia zu.
 

„Hast du mich deshalb in der Looping-Bahn festgehalten – beziehungsweise überhaupt festhalten können?“ wollte er wissen.
 

Skia nickte. „Ich habe einen ganz schönen Anschiss deswegen kassiert. Wir sollen uns ins menschliche Leben nicht einmischen, erst recht nicht, weil wir jemanden mögen. Das ist gefährlich…“, druckste er herum, während der Drachen schmollend wieder landete.
 

„Wäre ich überhaupt krepiert? Du magst mich?!“ purzelte aus Kai heraus.
 

„Erster Punkt: Weiß ich nicht. Vielleicht, du hast dich ja für einen Menschen gehalten, vielleicht hättest du dann folgerichtig auf „aus“ gedrückt. Punkt zwei: Ja… Du bist ein guter Lehrer! Und du hast mir geholfen und warst fair…“, gestand Skia.
 

„Mmm… jetzt wohl nicht mehr“, murmelte Kai etwas betreten.
 

„Wieso? Nur weil du Flügel und Antennen hast und kein Mensch bist? Deswegen bist du doch nicht jemand anderes!“ behauptete Skia.
 

Kai war sich da nicht so ganz sicher. Er fühlte sich zwar immer noch wie… er, hatte seine Erinnerungen, seine Wertvorstellungen, aber er wusste vom gegenwärtigen Standpunkt nicht recht, was an ihnen, am ihm überhaupt noch dran war. Da war es wohl leichter, einfach weiter mitzuspielen, vielleicht fand er da mehr über die ganze Sache und sich bei heraus. Oder malträtierte sich zumindest nicht nonstop den Kopf darüber.
 

„Na dann… Werde ich mal tun, was ich jeden Tag so tue - und eine Runde fliegen üben“, seufzte Kai.
 

„Klasse!“ freute sich Skia.
 

…………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………
 

„Was, da runter?“ fragte Kai mit ziemlich entsetztem Gesichtsausdruck. Sie standen auf dem flachen Dach an der Kante. Von hier aus konnte man weit über den spätnachmittäglich beschienen Wald blicken.
 

„Fliegen – nicht fallen, das ist der Trick! Und selbst wenn nicht, aus der Höhe tust du dir nichts“, erklärte er ihm. Kai war ganz schön schissig. Aber kein Wunder, vor anderthalb Tagen hatte er das hier noch für einen Sprung in den sicheren Tod halten dürfen. Aber jetzt hatte er ja Flügel. Und wozu waren Flügel da… genau… „Los, auf geht’s!“ feuerte er ihn an.
 

„Aber das sieht doch jeder im Umkreis von Meilen, wenn ich hier wie ein dicker Brummer rumflattere, falls ich nicht gleich den Grund küssen sollte“, protestierte Kai. Seine Antennen zitterten ein wenig, obwohl kein Wind kam. Kein guter Tag zum Drachensteigen lassen – aber ein guter Tag, um Kai Wiesenblum steigen zu lassen. Das Büffeln für die Bioklausur am Montag dürfte er sich sparen können.
 

„Tante Morgana hat hier einen Sichtschutz um das Gelände laufen, das kriegt keiner mit. Du bist ja nicht der erste hier, der besser nicht von draußen gesehen werden sollte“, beruhigte ihn Skia. Xenia, die Harpyie zum Beispiel, Tante Morganas intim Freund-Feindin… „Und was das sich Verbergen angeht, sind wir Profis, da haben wir viel rein investiert – also, ich nicht persönlich, aber seitdem wir uns zurück gezogen haben und seitdem die Menschen ihre Augen fast überall haben, haben wir uns immer besser angepasst. Ihr habt einen Satelliten? Wir haben einen Illusionszauber… So in etwa“, erläuterte Skia.
 

„Aha, Magie gegen Technik, verstehe. Seit wann läuft das so?“ wollte Kai wissen, über jede Sekunde, die er hier nicht einen auf geflügelten Stein machen musste, dankbar.
 

„Noch nicht so lange… fünfhundert Jahre ungefähr, als die Menschen verstärkt begonnen haben nachzufragen, zu forschen… und überall herum zu rennen“, erklärte Skia.
 

Die Renaissance… das Zeitalter der Entdecker… die Aufklärung… hatten also auch noch andere Folgen gehabt, als bisher gedacht. Interessant…
 

„Aber die mögen rennen, so viel sie wollen – fliegen können sie nicht. Jedenfalls nicht von allein. Also…?“ trieb ihn Skia begeistert und nicht die Spur ängstlich an. Klar, der musste ja auch nicht hier runter.
 

„Ich weiß nicht… vielleicht besser doch Morgen… oder nie…“, murmelte Kai in den Abgrund starrend.
 

„Ich zeig’s mal. Anlauf nehmen… und spriiiingennnnn!“ führte Skia vor – und tat es. Er brauste im Affenzahn an ihm vorbei und hopste wild lachend vom Dach. Panisch starrte Kai ihm hinterher. Unten schlug etwas auf, dann rief Skias Stimme immer noch bestens gelaunt: „So geht das! Mit dem Unterschied, dass du einfach losflatterst und nicht runterknallst wie ich!“
 

Okay, Skia hatte anscheinend nicht untertrieben, dem ging es bestens.
 

„Komm schon Kai! Du hast Flügel, also flieg! Über den Wolken… muss die Freiheit schier grenzenlos sein…“, intonierte er und hopste demonstrativ mit dem Armen flatternd im Kreis. „Musst ja nicht gleich bis über die Wolken…“
 

Kai dachte kurz an Ikaros, dann erinnerte er sich daran, dass seine Flügel nicht mit Wachs an ihn montiert waren – und er garantiert nicht die Sonne Höchstselbst besuchen wollte, kniff die Zähne zusammen, trat vom Dachrand zurück, dann holte er tief Luft und flitzte los. Komm schon Schmetterling-Man, du kannst das… in diesem irren Universum geht das… flieg! Flieg einfach los! Komm, Brumm, brumm! Brummten Schmetterlinge? Nein, taten sie nicht. Sie hingen wie die Mehlsäcke in der Luft – zumindest im Erstversuch. Eleganz war etwas anderes. Aber er stürzte immerhin nicht ab.
 

Skia applaudierte wild von unten. „Krass, Kai, krass!“ jubelte er.
 

Das war es allerdings. Er flog! Ach du scheiße… und zwar nicht aus dem Job, obwohl das wahrscheinlich auch noch anstand, sondern über der Terrasse des Hexenhauses, knapp zwanzig Meter über dem wild wippenden Schopf eines ihn in den Himmel preisenden Schattenfressers. Er befahl sich, voran zu flattern – und es klappte, unfassbar! Gut, dass er keine Höhenangst hatte. Dagegen war Mary Sues Loopingbahn ein totaler Scheiß! Okay, war sie sowieso. Vorsichtig beugte er sich nach vorne… so ging das besser, die Flügel nach oben… und flattern, flattern, flattern. Yeah, hier kommt Kai Wiesenblum, die Stoppelfee, da guckt ihr, was? Und… Gas geben… wooooow… Das war wie saufen ohne saufen…
 

Unter ihm brüllte Skia irgendwas, aber in dem Gebrause seiner wild klappenden Flügel konnte er es nicht hören. Wahrscheinlich nur eine weitere Begeisterungsode… lobet den Herrn Wiesenblum, denn er kann fliegen, fliegen, fliegen… Scheiß auf dich, Schwerkraft! Scheiß auf dich, Mühsal der Welt! Und Scheiß auf dich, elender Ex-Verlobter! Du denkst, du habest die Flatter gemacht? Nimm das!
 

Und jetzt nochmal mit Volldampf…
 

…………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………
 

„Kai! Vorsicht! Die Grenze! Stopp!“ brüllte Skia.
 

Morgana kam aus der Küchentür geschossen, zumindest die hörte ihn. Floffi kam hinter ihr her und bellte den Himmel an. Während sie noch begreifend den Kopf drehte, war es schon geschehen.
 

Etwas sehr Schweres aus Stein krachte links von ihnen gen Boden.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück