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Schattenfresser

von

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La vie en rose

XII. La vie en rose
 

Kai drehte sich auf dem Absatz um. Er fühlte sich irgendwie leicht. So ungefähr musste man sich fühlen, wenn man kurz vorm Exitus stand – sowieso nichts mehr zu machen, da konnte man das letzte Zucken seiner Nerven ja auch noch genießen. Wankend schritt er zurück zum Bett, das Gewicht auf seinem Rücken jetzt deutlich spürend und austarierend, langte nach vorne und schnappte sich das Ballisto. Ein Schnaps wäre ihm jetzt deutlich lieber gewesen – oder eher eine Flasche Tequila auf Ex – aber man musste wohl mit dem Vorlieb nehmen, was in Reichweite war. Die beiden anderen waren so gnädig zu schweigen, während sie ihn kritisch – die Hexe – und sorgenvoll – Skia - musterten. Lediglich Floffi schien keinerlei Antennen zu haben, sondern war bester Laune. Antennen… oh Gott…
 

Er stopfte sich den Schokoriegel in den Mund, schmeckte die Süße, die pseudo-gesunden Körner und den aufdringlichen Honiggeschmack, dann drehte er sich langsam um. Keine Chance, dass ein Ballisto, so real es auch erscheinen mochte, das einfach aufhören lassen könnte. Nein, er war noch da und die Realität auch. Nur war das leider Realität reloaded, nicht die reale Realität, sondern die Realität in einer völlig neuen, ganz und gar nicht erfreulichen Version. Eine mutierte Version ganz offensichtlich. Es war ja nicht so gewesen, dass sein Leben sonst eine Aneinanderkettung von Freudentänzen gewesen war, aber das erschien ihm im Vergleich hierzu doch recht harmlos.
 

Vor ihm standen eine kleine, schwarzhaarige Frau und ein langer, blondbezopfter junger Mann. Sie sahen nicht gerade aus wie ein Killer-Kommando, bis auf Skias merkwürdige Haartracht eigentlich ganz normal, waren sie aber nicht, nichts war hier normal. Ganz und gar nicht.
 

„Das… das passiert echt…?“ hörte er sich selbst mit vollem Munde krächzen. Die beiden nickten einmütig. „Machen Sie, dass es aufhört! Das soll weggehen! Weg…“, zitterte er.
 

„Geht nicht“, erwiderte Müller-Mayer. „Obwohl… mit genügend Gewaltanwendung wahrscheinlich schon. Aber das wollen Sie nicht erleben. Außerdem würde das nichts ändern, sie würden bleiben, wer sie sind. Und die Flügel würden mit der Zeit nachwachsen, auch nicht unbedingt die angenehmste Erfahrung.“
 

„Wie bei meinen Haaren!“ mischte sich Skia ein, wedelte demonstrativ mit seinem rechten Zopf und lächelte ihm aufmunternd zu.
 

Kai hätte sich gerne auf die Bettkante fallen lassen, um ein wenig zusammen zu brechen, aber wie sollte er mit den Dingern auf dem Rücken sitzen? Doch das war hier wohl eher das geringste Problem.
 

„Haben Sie die mir angenäht?“ wollte er wissen.
 

„Nein. Wir haben nichts mit Ihnen gemacht, jedenfalls nichts, wovon wir wüssten. Skias Gegenwart scheint das irgendwie mit bedingt zu haben, aber wie – keine Ahnung. Nein, das alles scheint schlichtweg zu Ihnen zu gehören, daran hatten wir keinen Anteil“, erklärte Müller-Mayer.
 

Kai fühlte, wie ein hysterischer Kicheranfall in ihm aufstieg. Er schlurfte zurück zum Spiegel und starrte sich erneut an. „Zu mir gehören? Das da!?“ protestierte er. „Wenn ich mich schon in irgendein Fantasy-Monster verwandeln wollte, dann doch garantiert nicht in so eins! Ich habe Geschmack!“
 

„Sie sind kein Monster. Und da hat man nun mal keine Wahl. Skia hat auch nicht um seine Haare gebeten“, erwiderte Müller-Mayer wieder in diesem saften Es-wird-ja-alles-gut-mein-Kleiner-Tonfall.
 

„Aber wenn schon Flügel“, verzweifelte Kai, „warum dann nicht wie eine Fledermaus? Oder vielleicht so ein dämlicher Engel! Oder meinetwegen wie ein Huhn!“
 

„Also ich finde sie ganz adrett!“ behauptete Skia und nickte freundlich.
 

„Adrett…?“ knurrte Kai. „Ich sehe aus wie eine Scheiß-Nippes-Sammelfigur! So etwas wäre sogar meiner verstorbenen Großmutter zu heftig gewesen! Ich sehe aus wie der letzte Idiot! Und wenn schon so… warum dann nicht schwarz! Oder mindestens grau! Oder meinetwegen grün! Irgendetwas Gedecktes!“
 

„Sie haben Hunger, da schimmert das Blut durch – wie bei meinen Augen. Normalerweise sind sie bestimmt nicht so… intensiv“, tröstete ihn Skia.
 

„Sie sind rosa! Ich hasse Rosa! Ich hasse, hasse, hasse Rosa!“ regte Kai sich auf. „Rosa ist etwas für Schweine und Teenager beziehungsweise Möchtegern-Teenagermädchen! Und dann sehe ich auch noch dabei aus wie so ein dämliches Insekt!“
 

„Hey, seien Sie nicht ungerecht gegen Insekten, was wäre die Natur ohne sie!“ wies ihn Müller-Mayer zurecht. „Und immerhin sehen Sie nicht aus wie eine Schmeißfliege, sondern…“
 

„Wie ein beschissener Schmetterling!“ fluchte Kai, die Kontenance weiter verlierend. „Wie so ein völlig geschmacks-torpedierer rosa Falter! Hoffentlich ende ich nicht in der Sammlung irgend so eines verrückten Käferheinis mit einer Nadel durch den Rücken! Und nein, das reicht natürlich noch nicht, warum auch, jetzt habe ich auch noch Hörner!“
 

„Das sind keine Hörner“, korrigierte ihn Skia. „Das sind diese lustigen Antennen, die Schmetterlinge…“
 

„Ich weiß!!! Wäre ja auch zu schön gewesen! Oh Gott, ich bin ein Monster! Ein geschmackloses Monster! Die Welt ist wahrscheinlich voll mit Leuten, die gerne so aussähen, bedauerlicherweise gehöre ich da wohl nicht zu! Ich will kein Kitschling sein! Wie soll ich denn so zur Schule!“ versuchte Kai sein Entsetzen einigermaßen zu artikulieren.
 

„Ähm, das ist natürlich ein Problem. Aber nicht das Dringendste…“, meinte Müller-Mayer. „Ich kann mir denken, dass Sie etwas unter Schock stehen, aber wir können dennoch nicht Däumchen drehen.“
 

„Wieso, was kommt denn als nächstes? Echt einer mit einem riesigen Kescher?“ stöhnte Kai und raufte sich die Haaren, dabei mit seiner Antenne kollidierend, was sein Hirn wahrnahm und den Fühler zur Seite schwenken ließ. Ach du Schande, er konnte die bewegen! Die saßen echt fest wie seine Arme, Beine… und er konnte die Berührung daran spüren. Er gaffte in den Spiegel, konzentrierte sich. Zusammen… auseinander… zusammen… oh Gott, sah das Scheiße aus!
 

„Nein. Hier sind Sie sicher“, stellte Müller-Mayer mit Nachdruck klar. „Aber Ihre Fühler-Gymnastik ist schon einmal ein Anfang, denke ich. Versuchen Sie mal, die Flügel auszubreiten…“
 

Kai drehte sich kurz zu ihr, dann seufzte er und gab seinem Kopf das Kommando, das Zeug auf seinem Rücken zu bewegen. Irgendetwas spannte sich an, dann raschelte es leicht, wurde schwer, wurde leicht…
 

„Oh Mann, Herr Wiesenblum!“ kommentierte Skia beeindruckt. Floffi schmiegte sich wieder an sein Bein und glotzte sein Herrchen fasziniert an.
 

Er konnte die Decke fühlen an seine… Flatterflügeln… prima… körperlich angenehm, geistig… nun, besser nicht darüber nahdenken. Eventuell war er doch bloß auf einem Drogen-Trip von dem Zeug, dass die hier ihm eingeflößt hatten? Oder war er das schon vorher gewesen? Eventuell war er bereits im Vorfeld Schritt für Schritt beknackt geworden, ohne es richtig festmachen zu können und sah deshalb all diese Dinge. Vielleicht gab es Skia Holgerson gar nicht, sondern er war nur Lehrer Wiesenblums imaginärer Freund, der zu ihm sprach…? Aber auch wenn das alles wahr sein sollte, so saß er nun in dieser Welt fest, die eventuell nur in seinem eigenen Schädel existierte. Direkt unter seinen neuen Puschel-Antennen. Ab und an sollte man sich ja mal ein Makeover gönnen, aber gleich so eins…? Aber in dieser Realität war das wohl angemessen. Ein Punkt sprach jedoch dagegen, dass er bloß fantasierte: Diesen Look hätte er sich garantiert nicht ausgesucht, wenn sein Selbst noch irgendetwas zu melden gehabt hätte. Oder war er auf einem Horror-Trip?
 

„Was jetzt?“ fragte er. „Soll ich jetzt noch eine Runde fliegen oder was?“
 

„Besser nicht sofort, das braucht Konzentration, und sie haben wohl gerade noch anderes am… äh, im Kopf. Die Menschen dürfen uns nicht bemerken, sonst haben wir Sie am Hals, das ist der Knackpunkt“, machte ihm Müller-Mayer klar.
 

„Aber… ich kann fliegen, theoretisch – oder was?“ blieb Kai am Ball und musterte seitlich seine Tragflächen. Ganz schön groß. Und ganz schön rosa. Er streckte die Hand aus, er konnte sie auf sich fühlen, die Oberfläche war warm, dünn und zäh wie Pergament, aus winzigen Schuppen zusammen gesetzt, durchblutet offensichtlich und mit hauchzarten Härchen bewachsen, die das Auge kaum sah, aber irgendwie plüschig waren. Ihm blieb aber auch nichts erspart. Statt Brusthaar hatte er jetzt Flügelhaar, wundervoll. Bescherte nicht gerade ein männlicheres Aussehen.
 

„Ist stark anzunehmen. Aber alles zu seiner Zeit. Problem Nummer eins ist allerdings: Sie müssen Essen“, machte Müller-Mayer ihm klar.
 

„Danke, das Ballisto liegt mir noch schwer genug im Magen“, wehrte Kai ab.
 

„Das meinte ich nicht. Wir sind keine Menschen, aber wir ernähren uns von Menschen“, erklärte Müller-Mayer weiter.
 

„Was?!“ würgte Kai entsetzt hervor. „Ich bin ein Menschen fressender Monsterschmetterling?!“
 

„Nein!“ stieß Skia hervor. „Nicht zwangsläufig… Und wenn, müssten wir über Alternativen nachdenken… Aber… Ich zum Beispiel fresse Schatten, nicht die Menschen selbst – und komme auch mit nichtmenschlichen Schatten über die Runden.“
 

„Und Sie, was fressen Sie?“ wandte sich Kai an die Hexe, die keine sein wollte. „Wenn Sie die von Hänsel und Gretel sind – Kinder?!“
 

Müller-Mayer seufzte. „Nein, das habe ich ihnen nur erzählt, um ihnen Angst einzujagen. Denn davon ernähre ich mich: menschliche Angst“, erklärte sie.
 

„Aha, dann ist ja gut. Also theoretisch könnte ich Kohldampf auf menschliche Zehennägel – oder Zehen - haben oder auf Midlifecrisis-Depressionen?“ bohrte Kai.
 

„Alles möglich. Aber meist besteht ein Zusammenhang mit der körperlichen Erscheinungsform“, erläuterte Skia.
 

„Was essen Schmetterlinge so?“ wollte Kai wissen. Von Biologie hatte er herzlich wenig Ahnung.
 

„Blütennektar – die meisten“, zitierte Skia sein Fernseh- oder Schulwissen. „Gibt aber auch solche, die Schweiß von Säugetieren lutschen…“
 

„Igitt!!!“ ekelte sich Kai inständig. „Soll ich jetzt bis an mein Lebensende verschwitzte Bauarbeiter abschlabbern!“ Es gab ja solche, die hätten das klasse gefunden, auch ganz ohne Flügel, aber zu denen gehörte er nicht.
 

„Mmm, machen Sie mal den Mund auf!“ forderte Skia und trat auf ihn zu.
 

Ergeben folgte Kai der Aufforderung, betend, dass nicht die nächste Hiobsbotschaft auf ihn wartete. Skia starrte ihm ausgiebig von oben in den Rachen, dann meinte er: „Alles wie vorher. Keine zusätzlichen Zahnreihen. Kein Saugrüssel.“
 

„Saugrüssel?“ keuchte Kai.
 

„Ja, den haben Schmetterlinge normalerweise. Sie haben keinen – sieht also nicht danach aus, als müssten sie irgendwo dran rumlutschen“, konstatierte Skia und trat wieder einen Schritt von ihm weg, weiterhin interessiert seine halb ausgebreiteten Flügel studierend.
 

„Beruhigend… Aber was soll der Schmetterlingslook dann?“ grübelte Kai.
 

„Das müssen wir herausfinden. Und zwar schnell. Wenn wir zu hungrig werden, können wir die Kontrolle verlieren – und das darf nicht geschehen. Das ist auch, was mit Skiaphagos passiert ist und weswegen er jetzt in die Menschenwelt verbannt ist, um sich zu bewähren. Es gibt Regeln – und immense Risiken. Weiß der Himmel, was Sie täten, wenn sie vor Hunger ausrasten, welche Konsequenzen das hätte für sie, für uns alle“, schärfte ihm Müller-Mayer ein.
 

„O… okay“, murmelte Kai. „Aber wie…?“
 

„Wir gehen jetzt einfach durch das Haus. Wenn Ihnen etwas besonders ins Auge springt, sagen Sie das bitte, vielleicht werden wir so schlauer“, schlug Müller-Mayer vor.
 

„Wie Topfschlagen!“ ergänzte Skia lächelnd.
 

Kai nickte einfach nur betäubt. Er hatte das Gefühl auf einem Zug Richtung Hogwarths zu sitzen. Jetzt fehlten anscheinend nur noch die perversen Leckereien. Es war, als spiele er in einem Stück mit – mit sich in der Hauptrolle und einem debilen Hund, einem schattenfressenden jungen Mann und einer Prada tragenden Hexe in den Nebenrollen.
 

„Ach ja“, fragte er letztere, als er, die Flügel wieder an sich pressend sich anschickte, den beiden anderen zu folgen, „wie heißen Sie überhaupt? Es stand doch garantiert nicht „Müller-Mayer“ am Eingangsschild des Pfefferkuchenhauses?“
 

Sie lachte, ein durchaus angenehmes Geräusch, so dass die Ähnlichkeit mit Skia in ihren Zügen hervortrat. „Da stand gar nichts… Aber prinzipiell richtig – und eine gute Frage. Ich bin Morgana – nichts weiter. Wir haben keine Nachnamen, brauchen wir nicht. Und wir Siezen uns auch nicht. Das mit dem Siezen ist sowieso nur eine Eigenheit dieser Sprache. Aber wenn Sie sich dabei besser fühlen, können Sie das gerne vorerst beibehalten.“
 

Du und du mit der Hexe Morgana… „Sind Sie das aus der Arthus-Sage?“ hakte er nach. So lief das hier, das war die Logik, einfach immer weiter… tut-tut…
 

„Jein. So ist das jedenfalls nicht gelaufen, kann ich dazu nur sagen“, grinste sie nur.
 

„Dann sind Sie… bist Du… Sie… äh… ja ziemlich alt“, blieb er am Ball.
 

„Man ist so alt wie man sich fühlt, zumindest teilweise, was uns angeht. Für eine unserer Art bin ich nicht besonders alt an Menschenjahren, da gibt es ganz andere. Wir sterben nicht, nur aus eigenem Entschluss können wir unsere Existenz beenden, wenn wir ihrer überdrüssig geworden sind“, erklärte sie, während sie langsam durch den breiten Flur schritten. Auch er war komplett verglast und öffnete sich zu einem im Dunklen liegenden, viereckigen Innenhof. Unten war schemenhaft ein Gartenhäuschen zu erkennen.
 

„Ich bin jetzt… unsterblich…?“ fragte er fassungslos.
 

„So in etwa. Es sei denn du… Sie… du… Sie… äh, wollen das nicht mehr“, äffte sie ihn nach.
 

Diese Information kam nicht recht in seinem Schädel an, aber das war wahrscheinlich aktuell einfach zu viel des Guten. Würde er jetzt bis in alle Ewigkeiten zur Hälfte ein Insekt bleiben?! „Und du, Skia…? Du bist nicht… neunzehn?“ fragte er.
 

„Nö“, meinte Skia ungerührt und öffnete eine Tür zur Linken. „Ich werde bald hundert.“
 

„Für unsere Verhältnisse ist das sehr jung“, ergänzte Morgana fast sanft. „Gerade erst so halbwegs erwachsen kommt schon hin bei ihm.“
 

Hundert?! Skia war mehr als drei Mal so alt wie er? Was war er dann? Gerade erst aus dem Ei geschlüpft? Oder aus der Puppe? Oder wie lief das bei denen? Informationen… waren wichtig… aber sein Hirn war voll, noch mehr davon, und es würde kotzen. Wahrscheinlich konnte es das jetzt auch neuerdings. Er ging in die Knie und stellte sich schräg, um durch die Tür zu kommen. Sein rechter Fühler klatschte gegen den Türrahmen und fand das unlustig. Zu den Seiten kippen… so ging das… völlig verrückt, plötzlich zusätzliche Körperteile zu haben, die ständig im Weg rum standen und sonst was taten.
 

Skias Zimmer, schön aufgeräumt. Auf dem Schreibtisch am Fenster lag sein Geschichtsbuch an der Stelle aufgeschlagen, an der sich der Text für die Hausaufgabe befand. Kai hatte Zweifel, ob er am Montag dazu kommen würde, sie zu kontrollieren… Aber Skia würde sie ihm eventuell dennoch unter die Nase halten. Gott sei Dank hatte er noch eine Nase und keinen Rüssel. Aber mit einem Rüssel könnte er auf Fehler zeigen… Nein, dennoch nicht, nein danke. Das Inventar war geschmackvoll, die Hexe hatte wirklich Stil, lediglich Skias DVD-Sammlung stach heraus. Die Hülle von „High School Musical 1“ lag auf dem Bett. Stammte daher Skias Schulwissen… ach weh… aber das erklärte so Einiges. Er starrte die Verpackung an. Wie die schon grinsten, total debil, grauenhaft.
 

Aber der Obergau war das Badezimmer. Pink… pink… pink… das Duschgel… dieses Parfüm… Er fühlte, wie die anderen beiden ihn erwartungsvoll anstarrten. Floffi war ungehemmt auf Skias Bett gehopst und hatte es sich da bequem gemacht.
 

„Nun?“ fragte Morgana.
 

„Ich… weiß nicht…“, erwiderte er zögerlich. „Vielleicht ist das nur das nackte Grauen?“
 

„Verständlich“, kommentierte Morgana. „Aber da sind so Blütendüfte drin, vielleicht deshalb…?“
 

„Mmm… steh ich auf Gerüche… das wäre nur graduell besser als der Schweiß…“, seufzte Kai.
 

Skia trat vor und drückte ihm ein besonders erschreckendes Exponat in die Hand. Ein Billig-Parfüm namens „Lollipop Dreams“, der Duft kam ihm doch arg bekannt vor. Aber Skia hatte es gemacht, um ihm zu helfen… Aber Axe for Men hätte es eventuell auch getan… Egal… Was fühlte er… Die Verpackung war ein Alptraum, sie imitierte etwas, das auch im Original zum Reihern war, rosa Kristall in Sternenform, süßlich, zuckrig, billig…. Da konnte man wirklich nicht den Blick von wenden…
 

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Morgana griff fast feierlich seine Hand, als Herr Wiesenblums Fühler sich langsam senkten, während er seinen Parfümflakon anstarrte. Aber das war nicht mehr Herr Wiesenblum, auch wenn der das wahrscheinlich erst langsam begriff. Das da war Kai, einer von ihnen, wie auch immer es zustande gekommen war. Er konnte nun gewiss niemanden „verwandeln“. Niemand konnte das, ein Mensch blieb immer ein Mensch. Kai musste das schon vorher gewesen sein, ohne dass er oder sie das gewusst hatten, soviel war klar. Und anscheinend hatte er es irgendwie losgetreten, dass es schließlich zutage gekommen war. Wahrscheinlich wäre das früher oder später sowieso passiert, oder? Hoffentlich hatte der Rat ein paar Antworten.
 

Kai hob den Flakon bis direkt vor seine Augen, die Antennen weiter senkend, dann holten sie aus und klatschten mit Schwung von beiden Seiten gegen „Lollipop Dreams“. Es britzelte kurz, dann war der Flakon weg, hatte sich in unzählige rosa Lichtpunkte zerlegt, die wie tollwütige Glühwürmchen um Kais Antennen sausten, die sie aufsogen wie ein topmoderner Staubsauger.
 

„Was…? Was war das denn…?“ stotterte Kai und schielte nach oben.
 

„Ihr Essen?“ schlug Tante Morgana vor.
 

„Ich… esse Parfüm…?“ fragte Kai mit offenem Mund.
 

Skiaphagos trat vor und drückte ihm das Duschgel in die Hand, das stilistisch seinem Parfüm recht nahe kam. Kai verputzte es ebenfalls ohne wenn und aber.
 

„Okay… Körperpflegeprodukte dann?“ würgte Kai hervor.
 

„Mmm“, grübelte seine Tante. „Per se… wahrscheinlich nicht… aber etwas, was sie haben und was Menschen auch haben?“
 

Kai machte kurzen Prozess mit der Handcreme, dann schüttelte er sich. „Oh weh…“, stöhnte er. Floffi war schwanzwedelnd angetrabt gekommen und sah sein Herrchen putzig gähnend an. Kai entdeckte ihn und beugte sich wie ferngesteuert hinunter, während seine Antennen vorwärts peilten, dann durchlief ihn ein Ruck. Er sprang rückwärts, seine Flügel fegten die verbliebenen Kosmetikprodukte vom Bord. „Oh Gott!“ schrie Kai auf.
 

„Was denn?“ rätselte Skiaphagos.
 

„Ich war gerade kurz davor, den Hund zu fressen!“ röchelte Kai. „Tut mir leid, dumme Nuss! Ich will dich nicht fressen!“ beteuerte er an die Wand gepresst, als habe Floffi sich abrupt in eine dieser mörderischen Prinzessinnen verwandelt.
 

Skiaphagos nahm den irritiert schauenden Hund vorsichtshalber hoch und kraulte ihn beruhigend. Was für ein liebes, putziges Kerlchen…
 

„Okay, was haben der Hund und Skiaphagos Waschkram gemeinsam?“ überlegte sie.
 

„Sie sind süß?“ tippte Skiaphagos.
 

„Sie sind geschmacklos und kitschig!“ stöhnte Kai und drückte sich die Hände vors Gesicht. „Oh nein… ich fresse miesen Geschmack!“ stöhnte er.
 

„Da ist leichter mit klar zu kommen als mit einem Appetit nach Bauern – frage da mal Skias Vater“, tröstete ihn Morgana.
 

„Die Flügel, die Antennendinger… oh Gott!“ stöhnte Kai einfach weiter. „Das sind Köder! Die locken Leute an, die auf Kitschelflein stehen! Oder auf Blumenfeen! Oder was immer ich jetzt in deren Augen bin! Ich bin eine wandelnde Nippesfigur! Und was passiert, wenn mich so ein Kristallfigurensammel-Idiot am Wickel hat? Pulverisiere ich den dann auch?!“
 

„Möglichweise“, murmelte Tante Morgana.
 

„Na bitte, Problem gelöst!“ gratulierte Skiaphagos. „Das war ja einfach!“
 

Sicher war das bestimmt nicht einfach zu verkraften, wenn man geglaubt hatte, ein Mensch zu sein… Aber Kai Wiesenblum hatte Flügel, da würde er gerne tauschen. Vielleicht könnte er ihn mal mitnehmen, wenn er gelernt hatte zu fliegen?
 

Nachdenklich sah er ihn an, wie er da auf dem Badewannenrand hockte, die Flügel hinter sich gequetscht, das Gesicht in den Händen vergraben. Kein Mensch, einer von ihnen. Sah aus wie ein junger Menschenmann – mit hellrosa Flügeln und Antennen. Was immer Kai jetzt war – sein Klassenlehrer wohl nicht mehr so wirklich.
 

Und er sah ziemlich fertig aus. Armer Herr Wiesenblum. Armer Kai.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  chaos-kao
2011-08-11T19:34:36+00:00 11.08.2011 21:34
Oh. Mein. Gott! Du hast echt eine blühende Fantasie! Der arme Kerl *sich schlapp lacht bei der Vorstellung* Mussten die Antennen wirklich sein? xDDDD


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