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Die Stimme

Eslosias Held
von

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Eine neue Freundin

Als Dia am nächsten Morgen noch etwas verschlafen in die Küche kam, stand das Frühstück schon auf dem Tisch. Ihre Mutter hatte sich selbst übertroffen. Frische Brötchen, Toast, Müsli, Rührei, jede Menge Aufschnitt, Käse, Marmelade, Honig, Milch, O-Saft, Dia konnte gar nicht alles mit einem Blick aufnehmen! Zu dumm, dass die Aufregung ihr den Magen zuschnürte. Sie trank nur eine Tasse Kakao und schaffte geradeso ein halbes Toast mit Honig.

„Ist Papa schon weg?“ fragte sie kauend.

„Ja, schon längst. Er wollte heute ganz früh da sein und noch das Eine oder Andere aufarbeiten. Er sagte auch, er käme heute Abend spät. Ach, da fällt mir ein, ich muss heute Abend auch weg. Ich hab ein Seminar. Ich recherchiere schon für mein nächstes Buch.“

„Oh, du schreibst wieder? Das ist ja toll! Da bin ich aber mal gespannt. Um was soll´s denn diesmal gehen?“ Dia hatte natürlich die Bücher ihrer Mutter gelesen. Es waren die perfekten Frauenromane, spannend, lustig und sehr romantisch. Ein neues Buch konnte sie kaum erwarten.

„Nein, das verrate ich nicht. Aber ich sage dir so viel: das Thema ist diesmal ein ganz anderes als bisher. Man muss sich ja auch mal weiter entwickeln. So, jetzt mach dich fertig, dein Bus kommt bald.“ Dia sah auf die große Küchenuhr. Ihr blieben noch zehn Minuten zum Anziehen und obwohl die Bushaltestelle direkt vor´m Haus war, war das verdammt wenig. Dia hetzte zurück in ihr Zimmer und riss die Schranktüren auf. Unschlüssig blieb sie davor stehen. Sollte sie etwas Unauffälliges anziehen oder lieber ihr Askariel-Shirt mit dem Eslosia-Schriftzug? Sie beschloss, beides zu kombinieren. Das Shirt unten drunter und darüber ein Hemd aus dem Fundus ihres Vaters. Sie rollte die Ärmel hoch bis knapp vor die Ellenbogen und schloss nur einen Knopf. Eine Jacke brauchte sie nicht. Es war Mai und schon ziemlich warm. Ihre Haare ließ sie einfach offen. Schminke benutzte sie nie. Sie wunderte sich immer wieder über diesen Kommentar ihres Vaters in punkto Schminke. Er wusste doch, dass sie nichts davon hielt! Das war schon manchmal alles sehr komisch. Während die meisten Väter ihre Töchter möglichst lange wie kleine Mädchen behandelten und sich über Schminke aufregten, tat ihrer genau das Gegenteil. Es sah so aus, als wollte er sie möglichst schnell groß kriegen.

Dia blieb keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Sie griff nach ihrem Rucksack und spurtete die Treppe hinunter.

„Bis nachher, Mama! Ich bin weg!“ rief sie noch in die Küche.

„Kopf hoch, du machst das schon!“ rief ihre Mutter ihr nach. Dann fiel die Haustür zu.

Dia stand gerade an der Haltestelle, da kam der Bus auch schon um die Ecke. Die Türen öffneten sich und Dia trat ein. Sie zeigte dem Fahrer ihre Schülerkarte und ging dann bis zur Mitte durch. Als sie sich an einen Fensterplatz gesetzt hatte, sah sie sich um. Es waren nur junge Leute in diesem Bus, alle auf dem Weg zur Schule. Sie schwatzten und lachten und zeigten sich gegenseitig ihre Hefte. Als Dia ein etwa elfjähriges Mädchen sah, das ein Eslosia-Shirt trug, kam sie sich zum ersten Mal albern und lächerlich vor. Hastig knöpfte sie ihr Hemd zu. Dann sah sie aus dem Fenster.

Zwei Haltestellen weiter stieg ein Mädchen mit feuerroten Haaren in den Bus ein. Dia war irgendwie fasziniert von ihr. Das Mädchen bemerkte, dass Dia sie anstarrte und setzte sich neben sie, da sowieso kein anderer Platz frei war.

„Hallo, bist du neu hier? Ich hab dich noch nie in diesem Bus gesehen und fahre schon ewig damit zur Schule.“ Dia löste sich aus ihrer Starre.

„Äh, ja, ich bin erst vor drei Tagen nach Hamburg gezogen. Heute ist mein erster Schultag und ehrlich gesagt bin ich ganz schön nervös.“ Es war merkwürdig aber Dia hatte das Gefühl als könnte sie diesem Mädchen, das sie gar nicht kannte, alles sagen.

„Deine erste neue Schule?“ fragte die Rothaarige interessiert und zog eine kleine Flasche Wasser aus ihrem Rucksack. Dia musste kurz laut lachen.

„Guter Witz, wirklich! Nein, weit daneben. Um genau zu sein, das hier wird meine dreizehnte Schule in den letzten fünf Jahren.“ Das Mädchen verschluckte sich an ihrem Wasser und Dia klopfte ihr kräftig auf den Rücken. Als sie endlich wieder Luft bekam, liefen ihr Tränen über die Wangen vom vielen Husten.

„Machst du Witze? Du hast in fünf Jahren dreizehn Mal die Schule gewechselt? Seid ihr Nomaden oder sowas?“ Dia musste schon wieder lachen. Und obwohl sie die Story schon so oft erzählen musste, dass sie ihr zum Hals heraus hing und das Ganze sich später vor der neuen Klasse ja auch noch einmal wiederholen würde, hatte sie kein Problem damit, ihrer Sitznachbarin alles zu erzählen.

„Mein Vater ist in einem großen Konzern in einer wichtigen Position. Er wird alle Nase lang versetzt. Zuletzt haben wir in München gewohnt – etwa ein halbes Jahr. Das sollte eigentlich auch der letzte Umzug gewesen sein. Tja, aber nun hat sich Papas Chef was Neues überlegt und schwupp! Schon sind wir hier in Hamburg.“ Die Rothaarige hörte fasziniert zu. Sie hatte sich inzwischen die Tränen abgewischt und einmal kräftig geschnäuzt.

„Mann, was für eine lange Fahrstrecke! Seid ihr die mit dem Auto gefahren?“ Dia nickte.

„Klar, das macht doch meinem Vater nichts aus. Der fährt gerne weite Strecken.“ „Und das bei den Benzinpreisen, hat bestimmt ganz schön was gekostet, oder?“ fragte das Mädchen. Aber Dia winkte ab.

„I-wo, das bezahlt zum Glück die Firma. Das wäre ja wohl auch noch schöner! Einen quer durch Deutschland jagen, immer von Nord nach Süd und umgekehrt und alles auf eigene Kosten, da hätte mein Vater aber protestiert, das kannst du glauben!“

„Und deine Mutter macht das einfach so mit? Die muss sich doch jedes Mal eine neue Arbeitsstelle suchen, oder?“ fragte das Mädchen interessiert und nahm einen neuen Schluck Wasser, zumindest versuchte sie es, denn…

„Meine Mutter kann von zuhause arbeiten. Sie ist Schriftstellerin. Ihr Künstlername ist Donna Day. Schon mal gehört?“ fragte Dia leise. Und prompt verschluckte sich ihre Sitznachbarin wieder.

„Donna Day? Klar! Ihre beiden Bücher sind spitze! Die standen doch wochenlang auf den Bestsellerlisten. Ich hab sie beide zuhause und schon zigmal gelesen. Donna Day ist deine Mutter?“ Das Mädchen war ganz rot im Gesicht vor Aufregung. Dia sah sich erschrocken um.

„Pssst! Nicht so laut, behalte das bloß für dich. Sie will nicht, dass alle das erfahren und ich ganz sicher auch nicht. Sonst kommen die ganzen Tussis an und wollen, dass ich ihnen Autogramme besorge. Ich hab´s auch schon erlebt, dass sie in Mamas nächste Geschichte eingebunden werden wollten. So was nervt tierisch.“

„Schon klar. Ach übrigens, ich sollte mich vielleicht mal vorstellen. Ich quatsch dich hier einfach so an. Ich heiße Isis.“ Sie reichte Dia die Hand. Dia nahm sie und schüttelte sie.

„Dia. Nenn mich Dia. Mein richtiger Name ist Dianta aber so nennt mich keiner. Irgendwie passt dein Name super zu deiner Optik, finde ich. Rote Haare und dann Isis, das hat was von einer Feuergöttin. Du erinnerst mich an Aria, fehlt nur das Flammenschwert und der Brustpanzer.“ Isis griff Dia an die Schulter.

„Nein! Das gibt´s nicht! Du kennst Eslosia? Wie gut weißt du darüber bescheid?“ Isis´ Augen leuchteten und ihr Gesicht glühte.

„Wie gut? Ich hab die Serie vom ersten Tag an gesehen – bis heute. Mein Zimmer hängt voll mit Postern, ich hab DVDs und CDs und hier“, Dia knöpfte ihr Hemd auf, „das ist mein absoluter Liebling.“ Und sie zeigte Isis den Aufdruck von Askariel. Isis konnte es nicht fassen.

„Das muss Schicksal sein, dass wir uns getroffen haben. Ich bin nämlich auch ein Riesenfan. Mein Liebling ist allerdings nicht Askariel sondern die Hauptfigur Kalderan.“ Dia atmete sichtlich auf. Es war gut, dass sie nicht die gleiche Figur anhimmelten, das könnte irgendwann zu Spannungen führen.

„Na ja, Kalderan ist zwar der Anführer aber…“ Dia brach den Satz ab. Von der Stimme wollte sie lieber nichts sagen.

„Aber was?“ fragte Isis. Dia musste schnell ein anderes Ende für den Satz finden als „seine Stimme ist schrecklich“. Deshalb sagte sie einfach nur: „aber ich finde nun mal Askariel am besten.“ Isis zuckte mit den Schultern und meinte: „Klar, jedem das Seine. Blöd, dass die Sendung zurzeit nicht läuft. Sag mal, du gehst doch auch in die zehnte Klasse, du bist doch 16 oder?“ Dia nickte. „Und in welche kommst du? Wir haben vier verschiedene.“ Dia kramte ihr Notizbuch aus dem Rucksack und blätterte darin. „B“, sagte sie dann, „Raum 114 im ersten Stock.“ Isis strahlte.

„Perfekt! Das ist auch meine Klasse. Ich stelle mich freiwillig als Führerin zur Verfügung. Ich zeige dir alles, was du wissen musst, alles klar?“ Dia lächelte und nickte. Der Bus hatte die Schule inzwischen erreicht und hielt in der Haltezone. Die Schüler strömten aus dem Fahrzeug und gingen dann in Richtung Schulgebäude. Isis und Dia verließen als beinahe letzte den Bus und jetzt, nachdem Dia eine Verbündete hatte, ließ sie ihr Hemd offen. Jeder sollte sehen, was ihr wichtig war.
 

Auf dem Weg in den Klassenraum drehten sich viele der jüngeren nach Dia um. Sie erkannten Askariel auf Dias Brust und tuschelten teils ehrfürchtig, teils begeistert. Dia fühlte sich großartig. Und mit Isis an ihrer Seite, die ihre Leidenschaft teilte, fühlte sie sich beinahe wie die Königin der Schule.

Aber als die beiden Mädchen in den Flur im ersten Stock kamen, wo sich nur die älteren Schüler aufhielten, wurde ganz anders getuschelt. Die Anderen grinsten, zeigten mit dem Finger auf Dia und ließen sie ganz deutlich merken, wie albern und kindisch sowohl ihr Shirt als auch sie selbst offensichtlich war. Dia schrumpfte ganz schnell von der Königin zum Klassenclown zusammen obwohl Isis aufmunternd sagte: „Beachte diese Idioten einfach nicht. Die können sich ja nicht mal richtig anziehen.“ Und ein Junge, der bei einem Blick auf Dias Shirt laut auflachen musste, fing sich einen tödlichen Blick von Isis ein, gefolgt von: „Hey Kevin! Nette Unterhose! Die gefällt mir von Tag zu Tag immer besser! Ist das eigentlich immer die Gleiche oder hast du einen ganzen Schrank voll davon?“ Der Junge zeigte ihr den Mittelfinger und sagte: „Du kannst mich, Feuertopf!“ Isis steckte sich als Geste den Zeigefinger in den Hals und machte Würgegeräusche.

„Nicht mal, wenn du der letzte Kerl auf Erden wärst!“ sagte sie sarkastisch und zog Dia mit sich weiter.

„Wie kommt er denn auf „Feuertopf“? Also ich hab ja schon oft Feuermelder oder Feuerlöscher gehört, aber Feuertopf?“ fragte Dia irritiert. Isis erklärte es ihr.

„Weißt du, Feuer ist ja klar“, und sie zeigte auf ihre Haare, „und Topf, weil ich dauernd was esse oder trinke. Ich habe die wohl größte Brotdose der Welt und außerdem immer noch Geld dabei, falls es nicht reicht. Ich habe ständig einen zu niedrigen Blutzucker, schon seit meinem achten Lebensjahr. Das nennt man Hypoglykämie. Und da ich eine Spritzenphobie habe und immer nur Traubenzucker mir einfach zu langweilig ist, esse ich halt dauernd, sonst würde ich nämlich umkippen. Am besten, ich erkläre es dir. Du weißt ja bestimmt, welches Problem Diabetiker haben. Ihr Körper, genauer gesagt ihre Bauchspeicheldrüse produziert nicht genug Insulin. Deshalb spritzen sie es sich selbst. Und bei mir ist es sozusagen umgekehrt. Ich hab einfach zu wenig Glukose im Blut. Nun könnte ich mir regelmäßig Glukose spritzen aber wie gesagt, ich muss eine Nadel nur sehen und kippe um. Deshalb esse oder trinke ich dauernd, um den Zuckerspiegel zumindest gleichmäßig zu halten. Und deshalb Feuertopf.“

Dia verstand. Aber sie fand den Namen trotzdem fies. „Ach weißt du, das nehme ich nicht so ernst. Eigentlich finde ich ihn sogar ganz niedlich“, meinte Isis. Sie zog einen Schokoriegel aus ihrer Tasche.

„Ein Wunder, dass du trotz der vielen Esserei so schlank bist!“ bemerkte Dia bewundernd. Sie nahm zwar nicht von jedem Riegel oder jeder Chipstüte zu aber über die Jahre würde sich das schon zusammen läppern. Aber noch war sie ja im Wachstum.

„Das ist kein Wunder sondern der Knackpunkt“, verbesserte Isis kauend, „mein Körper verbrennt den Zucker sofort. Er hat gar keine Zeit, sich in Fettpolster umzuwandeln. Deshalb nehme ich nicht zu. Aber ich darf keinen Sport treiben, sonst würde ich ja noch zusätzlich Zucker verarbeiten und das könnte tödlich ausgehen.“ Dia war schockiert über das, was ihre neue Freundin da sagte. Ängstlich sah sie Isis an aber die machte ein lässiges Gesicht.

„Ach, nun mach mal nicht so große Augen, das ist alles halb so wild. Vom Sport bin ich befreit und für den absoluten Notfall habe ich einen Glukose-Pen in meinem Rucksack. Da ich ihn mir selbst nicht geben kann, muss das jemand anders übernehmen. Die Lehrer wissen Bescheid und unsere Klasse auch. Außerhalb davon kennt man nur meinen Spitznamen. Die meisten der Oberstufe wissen von meiner ständigen Esserei aber sie glauben, das wäre so was wie ein Hobby oder ein Tick. Und ich möchte dich auch dringend bitten, die Wahrheit nicht rum zu erzählen. Ich will nicht wie ein rohes Ei behandelt werden. Das machen meine Eltern schon.“ Dia nickte und erinnerte sich an das Gespräch über ihre berühmte Mutter.

„Abgemacht“, sagte sie dann.

„Klasse was? Und schon haben wir ein Geheimnis, beziehungsweise zwei. Ich verliere kein Wort über deine Mutter, versprochen.“ Isis hob die rechte Hand.

„Und ich nicht über deinen „Tick“, auch versprochen.“ Dia hob ebenfalls die Hand. Isis klatsche mit ihrer Hand auf Dias. Die beiden grinsten und gingen dann in ihren Klassenraum.



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