Zittern.~
Das Piepen durchdrang mit langsamer Gewalt seinen Kopf.
Seine Schultern waren verspannt vom Stundenlangen sitzen und die Haare standen ihm zu Berge. Es war ziemlich kalt. Er konnte sich kaum noch bewegen, sein Körper war versteift, er war müde und fühlte sich schlapp. Schon fast zwei Tage saß er durchweg auf diesen Stuhl, hatte die Augen nie abgewendet von dem Bett und kein einziges Mal hatte sie sich geregt. Nicht die kleinste Bewegung. Sie lag da wie tot. Wenn er nicht wüsste, dass sie es war, hätte er sie nicht einmal erkannt, auch nicht, als sie bewusstlos vor ihn im Flur gelegen hatte. Hätte er nicht ihren Namen genannt...
Diese Veränderung war einfach zu groß. Seine Augen wanderten über ihre langen, dünnen Finger, über die knochigen Handgelenke, über die abgemagerten Arme und blieb schließlich an ihrem blassen Gesicht hängen. Die langen weißblonden Haare wurden unter einer Haube verborgen. Ihre Augen waren geschlossen, die Wimpern sahen unendlich lang aus. Wie Schmetterlingsflügel. Das hatte er früher schon so empfunden, in den Zeiten, wo alles noch in Ordnung war. Es war das Einzige, dass sich in den ganzen Jahren nicht geändert hatte. Ihre Wimpern. Sie atmete ruhig und tief. Überall waren diese schrecklichen Schläuche. Das Piepen schien mit jeder Sekunde lauter zu werden.
Dann öffnete sich die Zimmertür und seine Mutter betrat den sterilen Raum. In den ersten paar Minuten sagten beide kein Wort, dann legte sie die Hand auf seine Schulter.
"Ruh dich aus." Er schüttelte stur den Kopf.
"Nein. Erst wenn sie aufgewacht ist und ich mit ihr reden konnte."
Der Druck auf seiner Schulter verstärkte sich.
"Sei doch vernünftig. Du brauchst schlaf und hast bestimmt Hunger. Und deine letzte Dusche ist auch schon ein paar Tage her."
"Bitte, Mum. Mir gehts gut."
"Dir gehts nicht gut, ich bin deine Mutter und sehe sowas. Komm bitte erstmal mit nach Hause.."
Eine Weile schwieg er und dachte nach.
"Ist Kai schon aufgewacht?"
"Nein. Seine Lage ist unverändert. Seine Eltern schauen jeden Tag nach ihm. Die Ärzte rechnen damit, dass er frühestens morgen aufwacht."
Er gab es auf und erhob sich. Auf dem Weg zur Tür warf er ihr noch einen kurzen Blick zu. Seine Mutter hatte Recht. Er kämpfte noch immer mit seinem Entzug und musste sich langsam wirklich einmal ausruhen. Es nützte nichts, die ganze Zeit zu warten, wo doch eh nichts passierte-
"Warte."
Er war stehen geblieben und fixierte das Bett. Nein, das war keine Täuschung. Seine Mutter blickte ihn fragend an, doch er hob nur die Hand und spitzte die Ohren, trat wieder einen Schritt näher heran. Da war es wieder. Sie schnappte sehr leise, aber dennoch zu hören nach Luft. Jetzt sah er auch, dass ihr Mundwinkel zuckte. Sie schien wieder aufzuwachen. Sein Herzschlag verschnellte sich dramatisch. Plötzlich schiehn ihn der ganze Mut zu verlassen und er drehte sich um.
"Lass uns lieber gehen, Mum."
"Warte." Es war wie ein Elektroschock, der in seinen Adern pulsierte. Seine Nackenhaare stellten sich auf und ein kalter Schauer kroch seinen Rücken entlang. Die Stimme war vom Bett gekommen, leise und schwach hatte sie geklungen.
"Warte..."
Er blieb stehen, drehte sich aber nicht erneut um. Seine Finger zitterten und er ballte sie zur einer Faust. Dann, mit einen stummen Blick, forderte er seine Mutter auf, den Raum zu verlassen. Sie schaute ihn nur genervt an, ging an ihr vorbei und schlug die Tür hinter sich zu. Dann herrschte Stille. Keiner von beiden sagte etwas. Und dann, nach gefühlten Stunden, wie es ihn vorkam, hörte er ihre Stimme erneut.
"Ich habe dich vermisst...Shin."