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15 Jahre

..träumte ich, zu Frau und Kind zurückzukehren
von

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Wie das Unglück begann

Einst lebten ein talentierter Barbier, der sich meisterhaft auf den Umgang mit dem Rasiermesser verstand, und dessen tugendhafte Frau, die aufgrund ihres wunderschönen Antlitzes und ihres reinen Wesens fürwahr ein Engel sein musste, im prachtvollen oder auch verrotteten London – denn dies lag wahrlich an der Sicht ihres Betrachters – des 19. Jahrhunderts. Ihre tiefe Liebe zueinander hatte ihnen ihre kleine Tochter geschenkt und durch den Barbiersalon, der sich über dem gutlaufenden Pastetengeschäft ihrer Vermieter in der Fleet Street befand, verdienten sie genug, dass sie ein bescheidenes aber freilich glückliches Leben führen konnten.

Ihr gemeinsames Glück jedoch sollte ihnen nicht ewig vergönnt sein, denn es kam der Tag, da der Richter das erste Mal die Frau des Barbiers erblickte. Verzaubert von ihrer Schönheit, war es ihm nicht mehr möglich, an etwas anderes zu denken und von unflätigen Gedanken besessen, begehrte er sie Tag für Tag mehr. Einzig und allein der Barbier stand ihm im Wege und machte es ihm unmöglich, an die Frau heranzukommen.

So rief der Richter eines Tages den Büttel zu sich und sprach: „Oh wie verlangt es mich doch nach der Frau des Barbiers, der in der Fleet Street lebt! An nichts anderes will ich mehr denken als an dieses reine Geschöpf, bei dem es sich nur um einen Engel handeln kann. Deswegen soll es nun deine Aufgabe sein, den Barbier aus dem Wege zu schaffen.“

„Gewiss mein Herr, diese Aufgabe werde ich mit Freuden für Sie erfüllen und haben Sie Geduld, so will ich Ihnen versichern, dass Ende dieser Woche die Frau des Barbiers die Ihre sein wird“, versprach der Büttel und ein hinterhältiges Grinsen erschien in dem hässlichen Gesicht des Mannes.
 

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Ich hoffe, dieser Versuch es etwas altmodisch klingen zu lassen, hat nicht allzu viele Leser (wenn's die gibt) abgeschreckt und möchte nur schnell drauf hinweisen, dass die nächsten Kapitel "normal" geschrieben sind. Außerdem tut es mir Leid, wenn die Charas etwas zu sehr OoC geworden sind.

Freue mich über Lob, Kritik und Verbesserungsvorschläge^-^

lg -Hakura

Albtraum

Ein neuer Tag war eingebrochen. Die aufgehende Sonne tauchte die tristen, grauen Fassaden der Fleet Street in ein warmes Morgenlicht und trotz der frühen Stunde herrschte ein dichtes Treiben.

Benjamin Barker indessen bekam nichts von all dem mit, was vor seiner Haustür geschah. Geplagt von schlimmen Träumen, wälzte er sich im Bett hin und her, bis er schließlich ruckartig die Augen aufriss. Vor Entsetzen keuchend, blieb Benjamin liegen und wischte sich den kalten Angstschweiß von der Stirn, wobei er sich zu entsinnen versuchte, was ihn so in Schrecken versetzt hatte. Doch sein Albtraum war bereits nur noch eine dunkle Ahnung, die von Sekunde zu Sekunde verblasste, um am Ende als eine leichte Unruhe zurückzubleiben.

Als Benjamin sich auf die Seite legte und seine friedlich schlafende Frau neben sich sah, beruhigte er sich langsam und auch die Unruhe verschwand wieder. Stattdessen betrachtete er verträumt Lucys wunderschönes Gesicht.

Das Licht, welches durch das große Fenster in der Dachschräge fiel, verlieh ihr etwas nahezu Überirdisches und ließ ihr blondes Haar golden Schimmern. Der Barbier musste sich zurückhalten, um nicht seiner Frau durchs Haar zu streichen, was sie höchstwahrscheinlich geweckt hätte. Jedoch war es bereits zu spät.

Ein Zucken glitt über Lucys entspanntes Gesicht und anschließend erschien ein Lächeln. „Oh Ben“, murmelte sie mit geschlossenen Augen noch halb im Schlaf, „du weißt doch genau, dass du mich damit weckst, wenn du mich so betrachtest.“

„Verzeihung Lucy, doch es ist mir unmöglich, deiner Schönheit keine Beachtung zu schenken“, erklärte Benjamin ernst und gab schließlich seinem Impuls nach, ihr mit seiner Hand durchs seidige Haar zu streichen.

Jetzt schlug Lucy doch ihre Augen auf. Als sie aber in das Gesicht ihres Mannes sah, blieben ihr die Spuren des Albtraums nicht verborgen. „Du hattest einen Albtraum gehabt“, stellte sie besorgt fest.

Benjamin zögerte, ehe er antwortete. Er wollte die friedliche Atmosphäre damit nicht zerstören. „Ja, das hatte ich. Aber ich habe ihn längst wieder vergessen und ich bin mir sehr sicher, dass der Traum von keiner großen Bedeutung war“, erklärte er schnell.

„Ach Benjamin“, seufzte Lucy und schmiegte sich eng an ihn. Seine Worte hatten sie beruhigt und ihre aufkommende Sorge wieder beiseite gewischt, weshalb sie es bei diesem Thema beruhen ließ und die restlichen Minuten des Morgens genoss.

Schließlich kündigte das Läuten der Kirchenglocke an, dass Benjamins Arbeit bald begann und es Zeit zum Aufstehen war. Widerwillig verließ er die wohlige Wärme des Bettes, reckte sich mit einem herzhaften Gähnen und zog sich frische Kleidung an. Lucy tat es ihm gleich, um sich anschließend um Johanna zu kümmern.

Währenddessen bereitete Benjamin alles für seinen ersten Kunden vor. Als er die Rasiermesser hervorholte, es waren insgesamt sieben Stück an der Zahl, konnte er gar nicht anders und nahm eins der Messer in die Hand. Sanft fuhr mit dem Daumen über den silbernen Griff und bewunderte die feinen Verzierungen, die in diesen eingearbeitet waren. Die Rasiermesser gehörten wohl zu seinen wertvollsten Besitztümern. Er wusste noch genau, wie lange er für sie gespart hatte, da er der Meinung war, dass man für eine gute Rasur ebenso gute Messer benutzen sollte.
 

Ein lautes Klopfen an der Tür riss Benjamin schließlich aus seinen Gedanken. Verwirrt sah er auf und öffnete sie. Vor ihm stand Mr Brooks einer seiner Stammkunden. Er war ein kleiner, runder Mann, meist mit geröteten Backen und immer einem breiten Lächeln im Gesicht.

„Guten Morgen, Mr Barker!“, rief er überschwänglich und trat ein.

„Guten Morgen, Mr Brooks“, erwiderte Benjamin noch etwas zerstreut und schloss die Tür wieder. „Ich nehme an, Sie wünschen die übliche Rasur, Mr Brooks.“

„Ja, ja genau wie immer“, nickte der Mann eifrig und setzte sich unaufgefordert auf den Stuhl, welcher in einem etwas größeren Abstand vor der Kommode mit dem Spiegel stand.

„Wissen Sie, Sie sind der anständigste und noch dazu beste Barbier in dieser Stadt, der mir bekannt ist. Ich war bloß einmal bei einem anderen, welcher mich jedoch sehr enttäuscht hatte. Die Rasur war unsauber und nachlässig…“, plapperte Mr Brooks munter drauf los, während Benjamin konzentriert seiner Arbeit nachging. Er hörte nur mit halbem Ohr zu, da er Mr Brooks Klatsch und Tratsch gewöhnt war und dieser nur selten etwas wirklich Interessantes zu berichten wusste. Als Benjamin schließlich mit der Rasur begann, musste sein Kunde für eine gewisse Weile aufhören zu reden, da es sonst gefährlich werden könnte.

Ja, es war wirklich gefährlich, dachte der Barbier bei sich. Wie leicht war es doch, jemandem die Kehle mit einer schnellen, flüssigen Bewegung durchzuschneiden oder vielleicht auch die Halsschlagader…

Unbemerkt schüttelt Benjamin den Kopf. Was war nur los mit ihm, dass ihm solche Gedanken durch den Kopf gingen? Er könnte sich nie vorstellen jemanden absichtlich bei seiner Arbeit zu verletzen geschweige denn, die Absicht dazu zu hegen. Vielleicht war sein Albtraum doch nicht ohne Spuren an ihm vorbeigegangen. Wenn er sich nur erinnern könnte, was er geträumt hatte!

Auf einmal hielt Benjamin mitten in der Bewegung inne und starrte auf sein Rasiermesser, ohne es wirklich wahrzunehmen.
 

Er steht in einem dunklen, verlassenen Zimmer. Schwaches Licht fällt durch ein großes Fenster in einer Dachschräge und beleuchtet den heruntergekommenen Raum. Die Tapete, welche sich an manchen Stellen von der Wand löst, hat ihre einst so schöne Farbe verloren und ist nun vor Schmutz ergraut. Eine plötzliche Erkenntnis durchzuckt ihn. Es ist sein, Benjamins, Zimmer! Und da erst sieht er die Lachen dunkler Flüssigkeit auf dem Boden. Vorsichtig geht er in die Hocke und wünscht sich, dies nicht getan zu haben. Es ist Blut! Alles ist voller Blut! Und mit Schrecken muss er feststellen, dass er selbst über und über mit Blut besudelt ist, seine Kleidung, seine Hände, sein ... Rasiermesser….Aber es ist nicht sein eigenes Blut, was da an ihm klebt, es ist fremdes Blut. Was bedeutete all dies? Woher kam das Blut? Und wo waren Lucy und Johanna!? Ehe ihm weitere Fragen durch den Kopf gehen können, erhellt ein Blitz das Zimmer. Dieses verschwindet, als der Blitz die finstere Nacht durchzuckt und das Zimmer in helles Licht taucht. Anstelle des Zimmers befindet er sich nun an einem dunklen Ort, wo es keine Fenster mehr gibt. Mit dem restlichen Licht des erlöschenden Blitzes muss er jedoch ein schreckliches Szenario sehen: Überall liegen tote, leblose Körper und genau vor ihm befindet sich der seiner Frau Lucy, blutüberströmt, mit weitaufgerissenen ins Leere starrenden Augen, aus denen alles Leben verschwunden ist.
 

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So ich hab's endlich geschafft hier ist Kapitel 1. Na ja so wahnsinnig zufrieden bin ich irgendwie nicht, aber egal. Das Kapitel muss sein, als Einleitung sozusagen^^' Vielleicht gefällt es ja einigen hier.

Einen Albtraum hatte ich auch gar nicht vor, in die Geschichte mit einzubauen, der war auf einmal da. Was soll's jetzt ist der drin und wird noch eine große Rolle spielen...

Dann würde mich noch interessieren, ob es besser wäre, wenn ich kurze Kapitel (wie dieses) hochladen soll und das zwar eben etwas schneller oder liebere längere, die demnach auch etwas länger brauchen.
 

lg -Hakura

Verhaftet

„Mr Barker! Mr Barker! AU!“

„Benjamin!“

All diese schrecklichen Bilder seines Albtraumes, ja der Albtraum selbst waren mit einem Mal wie eine Flut auf Benjamin eingestürzt. Erst die Rufe von Mr Brooks und Lucy rissen ihn aus seiner Starre und er erkannte seinen schrecklichen Fehler. Als der Albtraum plötzlich über ihn hineingestürzt war und er wie erstarrt innegehalten hatte, hatte Mr Brooks sich bewegt und viel schlimmer noch gesprochen. Dadurch, dass Benjamin sein Rasiermesser nicht hinuntergenommen, sondern weiterhin an Mr Brooks Hals gelegt hatte, drang die messerscharfe Klinge nun in Mr Brooks Speck. Kleine Blutstropfen quollen hervor und tropften auf die Klinge des Rasiermessers. Entsetzt nahm Benjamin das Messer weg. Aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen.

„V-Verzeihung Mr Brooks, es lag nicht in meiner Absicht, Sie in irgendeiner Art und Weise zu verletzen, ich-“, stammelte Benjamin wie betäubt, noch immer unter dem Einfluss der grässlichen Bilder seines Albtraums.
 

Es war das erste Mal, dass Mr Brooks Lächeln gänzlich auf seinem runden Gesicht erloschen war und einem erschrockenen Gesichtsausdruck platz gemacht hatte. „Mr Barker“, brachte er nur hervor und starrte ihn anklagend an.

Lucy indessen kümmerte sich um die oberflächliche Schnittwunde, wobei sie ihren Mann besorgt ansah. „Benjamin, was ist nur los mit dir? Du bist so blass. Und Sie, Mr Brooks“, damit wandte sie sich an den Kunden ihres Mannes, „halten Sie doch bitte still! Das ist auch einer der Gründe, warum sie sich überhaupt verletzt haben!“

Seufzend sank Mr Brooks in den Stuhl zurück. „Ja, es tut mir Leid“, murmelte er, dann wandte er sich an den Barbier: „Und Sie, Mr Barker, sollten sich für heute besser einen freien Tag gönnen, wer weiß, was sonst noch alles passieren könnte.“

Lucy bedachte Mr Brooks mit einem empörten Blick. Schließlich war es nicht unbedingt Benjamins Schuld, dass sich der Kunde ihres Mannes geschnitten hatte. Viel mehr lag es an dessen unruhigem Gemüt. Doch hielt sie es für besser, nichts zu sagen und auf Benjamins Antwort abzuwarten.
 

Dieser fuhr sich nachdenklich mit einer Hand durchs dunkle Haar. Nur langsam verschwanden die Bilder des Albtraums wieder, doch sie verblassten nicht, sondern drängten sich bloß in einen Winkel seines Unterbewusstseins zurück.

„Ja, Sie haben wohl recht, Mr Brooks“, meinte Benjamin. „Ich mache für heute besser Schluss. Und für Sie entstehen für die heutige Rasur natürlich keine Kosten. Wenn Sie es dennoch wünschen, kann ich die Rasur selbstverständlich noch beenden.“

„Vielen Dank, dass ist sehr freundlich von Ihnen, Mr Barker“, erwiderte Mr Brooks wieder mit seinem üblichen Lächeln. „Machen Sie ruhig weiter, ich habe vollstes Vertrauen in Sie.“ Mit diesen Worten lehnte sich der Mann wieder zurück und schloss die Augen.
 

Dieses Mal konzentrierte sich Benjamin gänzlich auf seine Arbeit und verbannte jegliche Gedanken, die nichts mit dieser zu tun hatten, sodass die Rasur am Ende sauber und gründlich wurde, wie es sonst immer der Fall war. Auch die Schnittwunde stellte sich als völlig harmlos heraus. Das Blut war bereits geronnen und bildete nun eine Kruste.

„Wunderbar, Mr Barker!“, rief Mr Brooks, nachdem er sein nun glattes Gesicht befühlt hatte und sprang mit einem Händeklatschen auf. „Ich wusste doch, dass ich mich nicht in Ihnen getäuscht habe.“

„Das ist sehr nett von Ihnen“, sagte Benjamin mit einem kleinen Lächeln. Er wusste nie so recht, was er von der Art seines Kunden halten sollte, auch wenn er ihn insgeheim eigentlich mochte. Schließlich verabschiedete sich Benjamin von Mr Brooks mit einem höflichen Händeschütteln und wünschte ihm noch einen schönen Tag.
 

Kaum waren sie wieder allein, da platzte es schon besorgt aus Lucy heraus: „Warum hast du nicht gesagt, dass es dir nicht so gut geht?“

Etwas verwundert sah Benjamin seine Frau an, dann huschte ein beschwichtigendes Lächeln über sein Gesicht. „Aber wer sagt denn, dass es mir nicht gut geht? Ich fühle mich bestens!“, erwiderte er, während er sein Rasiermesser säuberte.

„Nein, das stimmt nicht, sonst wäre dir das Missgeschick gerade eben nicht passiert“, widersprach Lucy beharrlich und fügte sanft, beinahe flehend, da sie den Starrsinn ihres Mannes kannte, hinzu: „Bitte Benjamin, beherzige Mr Brooks Rat und lass‘ das Geschäft für heute bleiben.“

Sie brauchte keine Antwort, um zu wissen, dass er ihrer Bitte nicht nachkommen würde. Benjamin fühlte sich verpflichtet, seinem Beruf nachzugehen, ohne Rücksicht auf sich selbst zu nehmen.

„Wir brauchen das Geld“, erklärte er entschuldigend. Diese Ausrede stimmte Lucy aber keineswegs zufrieden. Verärgert über das Verhalten ihres Mannes entgegnete sie: „Das mag sein, doch was macht dieser eine Tag schon aus? Du weißt, dass das unvernünftig ist! Ein anderer Kunde wird dir dieses Missgeschick von vorhin vielleicht nicht so leicht verzeihen, wie Mr Brooks es tut. Dann wäre dein gutes Geschäft ruiniert!“

Seufzend gestand sich Benjamin ein, dass seine Frau recht hatte. Zusammen mit den Bildern seines Albtraums hatte sich ein mulmiges Gefühl in ihm festgesetzt, was er nicht loszuwerden vermochte. Nur war das belanglos! Er würde seine Kunden schon ordentlich rasieren. So ein Missgeschick würde ihm kein zweites Mal passieren.
 

Er sah, dass Lucy ihren Protest aufgegeben hatte. Doch statt sich darüber zu freuen, versetzte diese Tatsache Benjamin einen Stich. Darum bemüht den unglücklichen Ausdruck aus dem Gesicht seiner Frau zu vertreiben, lenkte Benjamin ein: „Aber wenn es dich beruhigt, werde ich das Geschäft in der Mittagspause für diesen Tag schließen.“

Es war nicht das, was Lucy von ihrem Mann zu hören gehofft hatte, doch wusste sie, dass er nicht mehr als diesen Kompromiss machen würde. Also nickte sie und schenkte ihm ein trauriges Lächeln.

Mit schlechtem Gewissen redete sich Benjamin ein, dass er das nur zu ihrem Besten tat, da sie das Geld vielleicht irgendwann einmal dringend benötigen würden und machte sich an die Arbeit, erfüllte in den nächsten Stunden die Wünsche seiner Kunden zu deren Zufriedenheit. Dabei bemerkte er, wie ihm das vertraute Ausüben seines Berufes ein Gefühl der Beruhigung gab. Vergessen war der Albtraum mit all seinen schrecklichen Bildern. Stattdessen jedoch trat sein schlechtes Gewissen gegenüber Lucy in den Vordergrund und so überlegte er während der Arbeit angestrengt, womit er seine Frau wieder glücklich machen könnte.
 

Als es schließlich ein Uhr geschlagen hatte, hängte Benjamin, wie versprochen, das „geschlossen“ Schild in die Tür und wandte sich an Lucy. „Wie ich von einem Kunden hörte, wird es heute auf dem St Dunstan’s Markt wieder die köstlichen Taubenpasteten geben und ich kenne deine Vorliebe dafür. Darum lass‘ uns doch dorthin gehen, Liebling“, schlug er lächelnd vor.

Lucy erkannte den Widergutmachungsversuch ihres Mannes und stimmte ihm erfreut zu, auch wenn sie sich eingestehen musste, dass ihr Groll nicht gänzlich verflogen war. Dafür machte sie sich einfach zu große Sorgen um ihn und seine Sorglosigkeit sich selbst gegenüber.
 

Nachdem sie schließlich den Barbiersalon verlassen und den Weg in Richtung St Dunstan’s Markt eingeschlagen hatten, gingen sie schweigend durch die Straßen Londons. Es war ein herrlicher Tag, wie geschaffen für Benjamins Vorhaben. Das warme Licht der Herbstsonne hatte die dicke Wolkendecke durchbrochen und tauchte die Stadt in einen goldenen Schein. Der Barbier genoss das gute Wetter, welches man wahrlich selten in dieser Stadt erleben konnte, und erfreute sich an dem Anblick seiner kleinen Tochter, die trotz des Lärmes friedlich in ihrem Kinderwagen schlummerte. Wie immer hatte er nur Augen für Lucy und Johanna, sein Ein und Alles, so war es auch nicht verwunderlich, dass ihm der Anblick des Elends auf den Straßen verborgen blieb, während sie den Weg zum Markt entlanggingen.

Als sie ihn erreicht hatten, fanden sie ein großes Gedränge vor, durch das sie sich vorsichtig bis zu dem Stand, an dem die begehrten Taubenpasteten verkauft wurden, durchkämpften. Benjamin schenkte den Leuten um sich herum wenig Beachtung. Einzig und allein vor Taschendieben nahm er sich in Acht, da er sich dieser durchaus bewusst war. Und schließlich, nach einiger Zeit des Wartens, zogen sich Benjamin und Lucy etwas weiter vom Gedränge in die angrenzende Halle zurück, in der weitere Stände aufgebaut waren. Dort setzten sie sich auf eine der Bänke und aßen in aller Ruhe ihre Pastete.
 

„Herrlich“, seufzte Lucy genüsslich und schloss zufrieden die Augen, nachdem sie aufgegessen hatte.

Erfreut sah Benjamin zu seiner Frau. Während sie sich beide an der Taubenpastete gütlich getan und nebenbei Johanna gefüttert hatten, war kaum ein Wort gefallen. Doch nun schien Lucy wieder versöhnt und selbst ihr letztes bisschen Groll sollte mit den nächsten Worten verfliegen.

„Und nun da wir schon einmal hier sind“, begann der Barbier und gab damit die Überraschung, die er sich bis zum Schluss aufgespart hatte, preis, „dachte ich mir, dass wir dringend neue Blumen für die Wohnung bräuchten.“

Erstaunt drehte sich Lucy zu ihrem Mann. Ein Strahlen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, ließ ihre Augen leuchten und verlieh ihr eine nahezu überirdische Schönheit. „Oh Benjamin!“, rief sie und ergriff voller Freude seine Hand.

Mehr brauchte er als Antwort nicht. Gemeinsam gingen sie zu dem überaus großen Bereich, wo eine ansehnliche Vielfalt an verschiedenen Blumen angeboten wurde.

Diese befanden sich in Körben und wurden den Kunden auf Ablagen unterschiedlicher Höhen dargeboten, die zwischen den massiven Säulen und entlang der hohen Wand aufgestellt waren, sodass sie einen Weg durch all die Blumenpracht bildeten.
 

Trotz dieser Schönheit um sie herum, war es Johanna, der Benjamin und Lucy die größte Aufmerksamkeit schenkten, als der Barbier schließlich den Kinderwagen anhielt, damit seine Frau ihre kleine Tochter sanft in die Arme nehmen konnte.

Glücklich betrachtete Benjamin seine beiden Liebsten, die sich am Anblick der Blumen erfreuten, und ein zufriedener Ausdruck trat in sein Gesicht. Dann griff er nach der Puppe seiner Tochter und lief ihnen nach, holte sie ein und rief: „Sieh mal, wen ich hier habe.“ Bei diesen Worten alberte er schon vor Johannas Augen mit der Puppe herum.
 

Verträumt sah Lucy ihrem Mann dabei zu, wie er liebevoll mit ihrer Tochter spielte, sich eine kleine Blume aus einem der Körbe herausnahm, diese vor Johannas Gesicht hin und her drehte, während er spielerisch daherredete.

Fröhlich beobachtete Benjamin, wie seine Tochter mit ihren Händchen nach der Blume zu greifen versuchte, die Augen vor Neugierde weit aufgerissen. Dann hielt er langsam inne und sah zu seiner Frau auf. In diesem einen Augenblick war ihm beinahe schwindelig vor Glück. Ein kleines Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus und erwartungsvoll wartete er auf die Reaktion seiner Frau. Jedoch warf die flüchtige Angst, sie könnte ihm immer noch nicht sein Verhalten vom Morgen verziehen haben, einen Schatten auf seine Züge, der schnell wieder von seiner Frau zunichte gemacht wurde.

Lucy konnte nicht anders. Ein Blick in die dunkelbraunen liebevollen Augen ihres Mannes genügte und ein fröhliches Grinsen vertrieb ihren ernsten Ausdruck. Wie konnte sie Benjamin auch lange böse sein, wo sie doch von Trunkenbolden wusste, die ihre Familie schmählich im Stich ließen, mehr noch, gar in den Ruin trieben! Er hingegen kümmerte sich hingebungsvoll um sie und Johanna, mit solch großer Unermüdlichkeit, ohne je einen Gedanken an sich selbst zu verschwenden. Und so sehr sie dieser Charakterzug auch manchmal ärgerte, so sehr wusste sie ihn auch zu schätzen. Ihr Groll war schon lange wieder verflogen und selbst das letzte Bisschen war vergessen, während sie nun in das hübsche sorgenvolle Gesicht von Benjamin sah, auf dem sich der Anflug von Erleichterung stahl, als er erkannte, dass seine flüchtige Sorge völlig unbegründet gewesen war.
 

Er hatte wieder zur Puppe gegriffen und sprach nun mit verstellter Stimme: „Nun sollten wir uns aber ein paar wunderschöne Blumen aussuchen“, wobei er die Stoffärmchen der Puppe wackeln ließ, sodass deren Körper leicht in der Luft hin und her schaukelte.

„Das ist eine vorzügliche Idee“, erwiderte Lucy lächelnd und malte sich verträumt aus, wie sie anschließend ihre kleine, gemütliche Wohnung hübsch herrichten würde. Doch während sie wieder Benjamin ihre Aufmerksamkeit schenkte, stutzte sie verwundert, als sie zwei Polizisten zielstrebig durch die große Halle laufen sah. Bis ihr bewusst geworden war, welche Richtung die beiden Männer eingeschlagen hatten, war es längst zu spät.
 

Für einen kurzen Moment konnte Benjamin noch den Ausdruck von Verwunderung in den Augen Lucys erkennen, dann explodierte mit einem Mal ein heftiger Schmerz in seinem Hinterkopf. Ihm wurde schwarz vor Augen. Seine Knie wollten ihn nicht mehr tragen und er sank zu Boden. Doch ehe er diesen überhaupt berühren konnte, wurde er grob an beiden Armen gepackt und schmerzhaft wieder auf die Füße gerissen. Noch ganz benommen blinzelte Benjamin. Verstört versuchte er zu verstehen, was gerade geschah, was diese schrecklichen Schmerzen in seinem dröhnenden Schädel zu bedeuten hatten, warum unsanft an ihm gezerrt wurde, man ihn immer weiter fort von seiner Lucy wegzog.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis diese ganzen Dinge durch den dicken Nebel seiner Benommenheit drangen. Und plötzlich begriff er, wusste, was der eiserne Griff der Polizisten an seinen Armen zu bedeuten hatte, verstand das Entsetzen in Lucys Miene.

Er wurde festgenommen!
 

Mit dieser Erkenntnis brach ein unglaubliches Chaos in ihm aus. Wie konnte man ihn verhaften? Ihn, der doch ein vorbildliches Leben führte, ihn, der nichts Verbotenes und niemandem etwas zu Leide tat, geschweige denn einen solchen Gedanken hegte, ihn nahm man in diesem Augenblick fest! Aber viel schlimmer für Benjamin war der Anblick seiner Frau, die die weinende Johanna schützend an sich gedrückt hatte, und ihm verzweifelt hinterher sah.

All dies löste eine kalte Entschlossenheit in ihm aus. Das konnte er nicht ohne Weiteres zulassen! Man musste ihm einfach eine Möglichkeit geben, jetzt, an Ort und Stelle seine Unschuld zu beweisen! Mit aller Macht stemmte er sich gegen den Griff der Polizisten, versuchte sich zu befreien. Jedoch vergebens.

Je mehr sich Benjamin wehrte, desto schmerzhafter wurde es bloß für ihn.

„Lasst mich los!“, rief er schließlich. „Ich habe nichts verbrochen!“

„Selbstverständlich, Sie sind die reine Unschuld in Person“, spottete einer der Polizisten und schleifte ihn unnachgiebig weiter.

In einem letzten Versuch, sich zu befreien, sammelte der Barbier noch einmal all seine Kräfte und kämpfte mit aller Macht gegen den eisernen Griff, der ihn gefangen hielt.

„Lucy!“, brüllte er verzweifelt ein letztes Mal, als ihm bewusst wurde, dass es keinen Ausweg gab. Hilflos musste er mit ansehen, wie man ihn gewaltsam immer weiter von seiner Frau und seiner Tochter wegzog.

Kurz bevor die aufgebauten Blumenkörbe seine Sicht versperrten, sah er noch Richter Turpin auf einmal neben Lucy treten. Dieser warf Benjamin jedoch nur einen vernichtenden Blick zu, um sich dann, ja, geradezu sanft an dessen Frau zu wenden.

Entsetzt, aber auch verwirrt, starrte Benjamin zum Richter. Warum half er ihm nicht? Was hatte er bloß Unrechtes getan?
 

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Puuh ich hab's geschafft. Hier ist das Kapitel, in dem Benjamin festgenommen wird. Na ja es ist die überarbeitete Version. Ich habe dieses Mal versucht, die Szene nicht allzu sehr nachzuerzählen^^; Ich hoffe, es ist mir gelungen.

Aber ab jetzt beginnt es für mich erst richtig interessant mit dem Schreiben zu werden.
 

lg -Hakura

Verzweiflung

Es war ein Albtraum für Lucy. Völlig entsetzt musste sie mit ansehen, wie ihr Mann grundlos festgenommen wurde. Sie selbst kam sich so hilflos vor! Sie stand einfach nur da und starrte erschrocken auf die Polizisten und wie diese Benjamin festnahmen, der sich verzweifelt versuchte zu befreien. Was konnte Lucy nur tun? Was konnte sie machen, um Benjamin zu helfen? Tränen stiegen ihr in die Augen, die sie schnell wieder wegblinzelte. Sie musste jetzt stark sein und alles in ihrer Macht stehende versuchen, um das Missverständnis zu klären. Sie durfte jetzt nicht schwach sein!

Johanna hatte angefangen zu weinen. Tröstend drückte Lucy ihre Tochter an sich, obwohl ihr selbst nach weinen zumute war. Sie war vollkommen hilflos und das einzige, was sie tun konnte, war sich einzureden, dass alles wieder gut werden würde.

Plötzlich trat jemand neben sie. Als Lucy aufblickte, sah sie, dass es Richter Turpin war, der ihrem Mann mit einer unergründlichen Miene hinterher guckte. Erleichtert atmete sie auf. Jetzt würde vielleicht doch noch alles gut werden, wenn sie dem Richter erklärte, dass sich die Festnahme um ein Missverständnis handeln musste!
 

Nachdem Lucy ihrem Mann einen letzten liebevollen Blick voller Verzweiflung zugeworfen hatte und er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, wandte sie sich an Richter Turpin. „Bitte mein Herr, Ihr müsst mir helfen“, platzte es auf einmal aus Lucy, die höflichen Floskeln vergessend, heraus. „Mein Mann wurde festgenommen, Sie haben es selbst gesehen und dabei hat er sich keines Verbrechens schuldig gemacht! Das alles muss ein Missverständnis sein!“

Der Richter richtete seinen Blick auf Lucy, doch etwas irritierte sie daran. War es diese Art, wie er sie ansah oder bildete sie sich das nur ein? So musste es wohl sein. Sie war viel zu aufgelöst, um überhaupt noch klar denken zu können.

Das bemerkte auch Turpin, denn er bot ihr seinen Arm an. „Erlauben Sie mir, Sie nach Hause zu begleiten? Auf dem Weg werde ich versuchen, Ihnen alles, was ich selbst bisher nur weiß, zu erzählen.“ Zögernd nahm Lucy das Angebot an, insgeheim froh darüber, nicht allein auf sich gestellt zu sein.

Johanna, die sich wieder beruhigt hatte und in einen unruhigen Schlaf gefallen war, im Kinderwagen vor sich herschiebend ging Lucy zusammen mit Richter Turpin in Richtung Fleet Street.
 

„Nun“, fing der Richter an, „ich muss gestehen, dass ich selbst noch nicht die genauen Umstände der Verhaftung ihres Mannes kenne.“

„Aber das ist es ja! Bitte glauben Sie mir, das alles kann gar nichts anderes als ein großes Missverständnis sein!“, fiel Lucy ihm aufgelöst ins Wort. Wieder standen ihr Tränen der Verzweiflung in den Augen. Ärgerlich tupfte sie sich mit einem Taschentuch ab, während Richter Turpin fort fuhr: „Das kann es in der Tat sein. Ein Missverständnis, nichts weiter. Doch bin ich mir dessen nicht gewiss.“ Erschrocken starrte Lucy ihn an. „S-soll das heißen…“, weiter kam sie jedoch nicht, da ihre Stimme den Dienst versagte. Der Richter nickte nur und versuchte eine möglichst bekümmerte Miene aufzusetzen. Das genügte, um die Frau des Barbiers endgültig zu verzweifeln. Sie konnte sich nicht länger halten, ihre zitternden Beine gaben nach und sie fiel auf die Knie, wo sie schluchzend die Hände vors Gesicht schlug. „Das ist unmöglich“, weinte sie mit erstickter Stimme. „Nie hätte Benjamin etwas Unrechtes getan!“

„Aber, aber meine gute Frau, Sie machen sich ja ganz schmutzig“, tadelte der Richter sie sanft und ging in die Hocke, wobei er ihr half aufzustehen. „Warten Sie bis zu dem Tag, an dem das Gerichtsverfahren stattfinden soll, und es wird alles so werden, wie es sein sollte.“ Lucy nickte zur Antwort schwach und nahm die angebotene Hilfe des Richters entgegen.

„Und nun kommen Sie, gehen Sie nach Hause und erholen Sie sich erst einmal von dem Schock“, sagte der Richter in einem freundlichen Tonfall und bot ihr wieder seinen Arm an, welchen Lucy dankbar ergriff. Richter Turpin hatte recht, ihr ging es wirklich schlecht und wenn Benjamin wiederkäme, denn sie war fest von seiner Unschuld überzeugt, sollte er sie nicht in solch einem Zustand erleben.
 

Schließlich kamen sie am Haus des Barbiers an. „Ich wünsche Ihnen gute Besserung und falls ich noch irgendetwas für Sie tun kann, können Sie sich jederzeit an mich oder auch den Büttel wenden“, verabschiedete sich Richter Turpin von Lucy. Diese bat ihn erneut aus lauter Verzweiflung: „Ich bitte Sie, tun Sie alles in Ihrer Macht stehende für meinen Mann!“

„Das werde ich tun“, erwiderte der Richter knapp. „Ich versichere Ihnen, Ihr Mann wird bekommen, was er verdient hat.“

Erleichtert sah Lucy ihn an und ein dankbares Lächeln zauberte sich auf ihr Gesicht. „Sie wissen gar nicht, wie mich das beruhigt!“ Dann nahm sie Johanna aus dem Kinderwagen und drückte sie tröstend an sich. Auch wenn die Worte des Richters sie etwas beruhigten, konnten sie doch nicht alle Sorgen und Ängste von ihr nehmen.

„Ich bin Ihnen wirklich zu großem Dank verpflichtet und wünsche noch einen guten Tag“, verabschiedete Lucy sich förmlich, um ihr ungebührliches Benehmen zu entschuldigen. Die Situation war einfach zu schrecklich, als dass sie jetzt noch auf solche belanglosen Dinge wie Benehmen achten konnte, doch konnte dies auch etwas Entscheidendes ausmachen. Das war ihr erst im letzten Moment wieder eingefallen, sodass sie versucht hatte, ihr falsches Benehmen gegenüber der Persönlichkeit des Richters zu retten. Ob es ihr gelungen war, wusste Lucy nicht, da sie sich mit Johanna im Arm so würdevoll, wie sie es zustande brachte, umdrehte und ihre Wohnung betrat.

Die nächsten zwei Wochen sollten jedoch eine Qual für sie werden, die ihre Nerven auf eine harte Probe stellte. Einzig und allein der Gedanke an Benjamins Unschuld half ihr, sich irgendwie am Riemen zu reißen und keinen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Was Lucy aber nicht wusste war, dass dies erst der Anfang von einem ausweglosen Albtraum werden sollte.
 

~*~
 

Hinter Benjamin wurde die schwere Zellentür mit einem dumpfen Knall geschlossen und er hörte das Klicken des Schlosses. Eingesperrt!, hämmerte es durch seinen Kopf. Verhaftet!

Noch immer konnte er nicht begreifen, was geschehen war. In einem Moment hatte er sich zusammen mit Lucy und Johanna befunden und im nächsten hatte man ihn urplötzlich festgenommen. Und nun befand er sich in Newgate, an einem Ort, den er nie geglaubt hätte, von Innen zu sehen.

Ein beißender Gestank nach Unrat und Exkrementen drang ihm in die Nase und brachte ihn zum Würgen. Angewidert verzog Benjamin das Gesicht, während er seinem Drang nachgab und sich hastig den Ärmel vor die Nase hielt, was die Luft in der Gemeinschaftszelle auch nicht viel angenehmer machte. Erst dann hatten sich seine Augen soweit an das spärliche Licht gewöhnt, dass er sich zögernd umgucken konnte. Mit ihm eingeschlossen befanden sich nun sieben Insassen in der schmalen Zelle und als er sich genauer umsah, erwachte sein Ekel vollends.

Die feuchten Wände der Zelle bedeckte Schimmel und was sich da für Lachen auf dem Boden befanden, wollte er gar nicht so genau wissen. Allein der Gedanke, hier mehrere Tage oder vielleicht sogar Wochen verbringen zu müssen, ließ ihm einen Schauer über den Rücken laufen. Nein, er hatte nicht vor, so lange in diesem stinkenden Loch ausharren zu müssen. Er würde schon einen Weg finden, wie sich das Missverständnis, weswegen man ihn fälschlicherweise verhaftet hatte, klären würde. Ja, zweifellos war es ein Missverständnis, denn um was sollte es sich auch sonst handeln?
 

Zu seinem Glück, so empfand es Benjamin zumindest, nahmen die anderen Insassen nicht weiter Notiz von ihm, sondern waren ganz mit sich selbst beschäftigt. Aber bei einem näheren Blick auf die zerlumpten Gestalten, die teils hager, teils grobschlächtig waren, jedoch nicht den Eindruck einer freundlichen Gesellschaft erweckten, musste der Barbier schlucken. Ein Gefühl von Unbehagen breitete sich in ihm aus und er wurde von der Sorge gepackt, ob er auch so enden würde. Zerlumpt, mit strähnigem Haar und einem leeren Blick.

Schnell schüttelte er die aufsteigende Angst ab und ermahnte sich wieder zur Ruhe. Er musste das Bisschen Zeit einfach wohlbehalten überstehen! Schließlich wollte er in seiner jetzigen Verfassung bleiben, wenn er Lucy wieder in die Arme schließen konnte. Mit diesen Gedanken bewegte sich Benjamin endlich von der Stelle auf eine der Pritschen zu, die jedoch schon einer der Mitgefangenen in Beschlag genommen hatte. Als dieser das Vorhaben des Barbiers erkannte, funkelte er ihn finster an. „Komm bloß nich‘ näher, sonst kriegse was aufs Maul! Das ‘s meine Pritsche!“, knurrte er und entblößte ein paar braune Zahnstummel.

Erschrocken wich Benjamin zurück. „Verzeihung“, murmelte er und ließ sich nach einiger Zeit – mit sichtlichem Widerwillen – müde auf eine halbwegs saubere Stelle, wie er fand, sinken. Das modrige Stroh, das in einer anderen Ecke vor sich hin faulte, ignorierte er. So schwer es ihm auch fiel zu akzeptieren, so wurde er sich bewusst, dass er sich vorläufig mit seinem Schicksal würde abfinden müssen.
 

Die Tage verstrichen zäh in Newgate. Hatte Benjamin anfangs noch geglaubt, es wäre unmöglich, sich an die Umstände in dem Gefängnis zu gewöhnen, so wurde er nun eines Besseren belehrt. Der Gestank war am schnellsten zu einem unvermeidlichen Teil seines Aufenthalts geworden, trug er zudem – so unangenehm es ihm auch war – selbst dazu bei. Länger dauerte es, bis der Barbier seinen Ekel, auf dem Boden zu schlafen, überwunden hatte und auch das Ungeziefer, das sich in seine Kleider genistet hatte, nicht mehr durch beständiges Krabbeln, Kitzeln und Jucken auf der Haut zu seiner Schlaflosigkeit beitrug. Mit großer Resignation akzeptierte er schließlich auch das ungenießbare Essen und die Tatsache, dass das abgestandene Trinkwasser eine Vielzahl an Würmern beherbergte und er so gezwungen war, seine Zähne als Filter benutzen zu müssen, wenn er seinen Durst stillte.
 

Dennoch gab es etwas, womit er sich nicht einfach abfinden wollte. Jedes Mal wenn der Wärter die schwere Zellentür öffnete, um die klägliche Mahlzeit zu verteilen, sprang Benjamin auf und erklärte vergeblich, dass sich alles um ein schreckliches Missverständnis handeln müsse und ob man dies nicht endlich zur Kenntnis genommen hätte. Jedoch ignorierte ihn der Wärter geflissentlich, was den Barbier nicht davon abhielt, jedes Mal aufs Neue zu fragen.

In der ersten Zeit wurde dies noch mit spöttischen Bemerkungen von Seiten der anderen Insassen zur Kenntnis genommen, doch irgendwann gehörte auch das bloß noch zum immer gleichbleibenden Tagesablauf.

Manchmal hatte Benjamin das Gefühl, verrückt zu werden, während der schrecklichen Eintönigkeit. Jeder Tag, der verstrich quälte ihn. Mit jedem neuen Licht des Tages, das durch den schmalen vergitterten Spalt in die Zelle fiel, erwachte seine Hoffnung, um mit dem Austeilen des Essens wieder vom Wärter zunichte gemacht zu werden. Nach einigen Wochen war die anfängliche in ihm erwachende Hoffnung erloschen. Stattdessen nutzte er die Zeit, von der er wahrlich zu viel hatte, sich an den Gedanken zu klammern, das Missverständnis würde bald bemerkt werden. Denn was hatte er vergangen, für das er hätte festgenommen werden müssen? Nichts! Er konnte sich nicht entsinnen, je etwas verbrochen zu haben. Er hatte immer ein glückliches, vorbildliches Leben geführt. Allein der Gedanke an sein Leben und seine Lucy tat weh. Das Letzte was er von ihr gesehen hatte, bevor ihn die Polizisten endgültig fortgezerrt hatten, war ihr verzweifelter Blick in dem angsterfüllten Gesicht gewesen. Die Erinnerung daran schmerzte jedes Mal und der Barbier wünschte sich, seine Frau so nie hätte sehen zu müssen. Noch schrecklicher aber war die Gewissheit, in diesem Moment nicht bei ihr sein zu können. Stattdessen befand er sich in dieser dreckigen Zelle und wusste nicht einmal, warum. Vielleicht aber verwechselte man ihn mit einem anderen Barbier, der seiner Arbeit unfähig gewesen war und dadurch seine Kunden in Lebensgefahr gebracht hatte. Solche Leute sollte es ja angeblich geben.
 

Es waren diese teils törichten Gedanken, die den Barbier am Leben hielten und das Grauen um ihn herum ausblendeten. Die Schreie, die hin und wieder durch ganz Newgate hallten, der Mann, der kläglich an seiner Krankheit verreckte, das provokante Verhalten der anderen Insassen, die auf einen Ablenkung versprechenden Streit hofften, all das zog an Benjamin vorüber, als sei er nur ein Außenstehender. Das mussten es auch, denn ansonsten hätten sie zu einer Veränderung beigetragen, zu der er nicht bereit war. Er wollte Lucy wieder unverändert gegenüberstehen und ließ sich deswegen auf nichts ein, was diesen Wunsch gefährden könnte.

Und dann kam der Tag, der unverhoffte Abwechslung in Benjamins Dahinvegetieren brachte.
 

Es war vielleicht früher Nachmittag, als auf einmal ein Wärter die schwere Zellentür öffnete. „Mr Barker? Sie haben Besuch“, verkündete er monoton und wartete darauf, dass sich einer der Insassen als Mr Barker zu erkennen gab. Allein die Worte genügten, um Benjamin aus seiner Lethargie zu reißen. Mit einem Schlag war er wieder von belebender Hoffnung erfüllt und zugleich gesellte sich Verwunderung dazu. Wer war es, der ihn besuchte? Lucy? Ja, es musste Lucy sein, wer anderes konnte ihn auch sonst besuchen wollen? Aber der Gedanke dämpfte seine Freude, musste er sich doch eingestehen, dass er seine Frau nicht an solch einem grässlichen Ort wissen wollte.

Schweigend folgte Benjamin dem Wärter. Er wurde in eine kleine Zelle geführt, in deren Wand sich ein vergittertes Loch befand, durch das er mit dem Besuch im angrenzenden Raum reden konnte. Zögernd stellte sich Benjamin davor und versuchte hindurch zu spähen. Überrascht zuckte er wieder etwas zurück, als er den Besuch erkannt hatte. Es war nicht Lucy, wie er fälschlicherweise angenommen hatte. Es war Mrs Lovett, seine Vermieterin.
 

„M-Mrs Lovett?“, fragte der Barbier überrascht. „Aber was - … warum?“ Verwirrt hielt er inne, darum bemüht seine Gedanken zu sammeln.

„Es hat schon alles seine Richtigkeit, Mr Barker“, hörte er dann die Stimme seiner Vermieterin. „Ich habe nicht viel Zeit, deswegen warten Sie bitte mit ihren Fragen, vielleicht beantworten sie sich ja mit dem, was ich Ihnen erzählen möchte.“

„In Ordnung“, murmelte Benjamin. Seine Stimme war heiser von all dem Schweigen der letzten Wochen. Oder waren gar schon Monate vergangen? Benjamin wusste es nicht.

„Sicherlich überrascht Sie mein Besuch“, begann Mrs Lovett bedächtig, „und eigentlich sollte nicht ich sondern Ihre Frau hier an meiner Stelle sitzen. Sie müssen wissen, Mr Barker, dass man Ihrer Frau den Einlass verwehrt. Allem Anschein nach handelt es sich hierbei um eine strikte Anweisung von oben, die es untersagt, Mrs Barker auch nur einen Schritt hinter die Mauern Newgates zu lassen, denn alle Bestechungsversuche von ihr waren vergebens. Schließlich habe ich mich angeboten, Sie zu besuchen, da ich durchgelassen werde…

Es tut mir sehr Leid für Sie, Mr Barker, Sie müssen zweifellos darauf gehofft haben, nach all der Zeit Ihre Frau nun endlich wiedersehen zu können.“

Eine kleine Pause trat ein, in der Mrs Lovett überlegte, was sie nun als nächstes sagen sollte und Benjamin das Gesagte zu verstehen versuchte. Warum war es Lucy nicht erlaubt, ihn zu besuchen? Er konnte es sich beim besten Willen nicht erklären. Vielmehr stimmte diese Neuigkeit ihn noch unglücklicher, als er ohnehin schon war. Wann würde er endlich wieder seine Lucy sehen können?
 

Trotzdem wusste er die Tat seiner Vermieterin zu schätzen. Es tat gut, wieder mit jemandem reden zu können und eigentlich war er froh darüber, dass Lucy nicht dieses schreckliche Gefängnis von Innen sah. Deswegen sagte er leise: „Ich danke Ihnen sehr für Ihre Unterstützung. Ich hoffe, dass genügend Geld da ist, um die Miete weiterhin bezahlen zu können…“

„Machen Sie sich darum keine Gedanken, Mr Barker“, beruhigte Mrs Lovett den Barbier. „Selbst wenn Sie nicht Ihre Miete zahlen könnten, so kenne ich doch die Umstände dafür und würde sie keineswegs einfach rausschmeißen.“ Ein schlechtes Gewissen übermannte sie auf einmal bei ihren Worten, denn sie entsprachen nicht der ganzen Wahrheit. Natürlich würde sie die Familie Barker nicht einfach hinauswerfen, wenn es ihnen nicht sofort möglich war, die Miete zu bezahlen. Sie war jedoch auf das Geld angewiesen und die Zeit, die nun schon verstrichen war, in der Lucy sie nicht mehr hätte bezahlen können, war bereits zu lang. Doch gab es jemand anderes, der die Miete für Mrs Barker ohne ihr Wissen bezahlte. Der Richter – Richter Turpin. Dies aber verschwieg Mrs Lovett Mr Barker, da sie nicht wollte, dass er sich während seines Gefängnisaufenthalts zu viele Sorgen machte und es ihn letztendlich zerreißen würde.
 

„Ich stehe wirklich sehr in Ihrer Schuld, Mrs Lovett. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr mich Ihre Worte beruhigen“, seufzte Benjamin erleichtert, nun, da er wusste, dass es Lucy den Umständen entsprechend gut ging. Dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten: „Aber bitte sagen Sie mir, wie geht es Lucy? Geht es ihr gut? Ich weiß doch, wie schnell sie die Einsamkeit bedrückt und ich mache mir furchtbare Sorgen um sie.“

„Ihrer Frau geht es … den Umständen entsprechend gut. Sie brauchen sich nicht allzu große Sorgen zu machen, Mr Barker. Ich soll Ihnen … auch von ihr ausrichten, dass sie fest von Ihrer Unschuld überzeugt ist. Sie kann den Tag gar nicht mehr erwarten, an dem sie Sie wiedersehen wird. Und Mr Barker, auch ich bin von Ihrer Unschuld fest überzeugt. Ich bin mir sicher, dass es sich hierbei um ein Missverständnis handelt oder vielleicht auch um ein faules Spiel, doch egal was es ist, es wird bestimmt bald aufgeklärt sein.“ Es fiel Mrs Lovett schwer den festen Klang in ihrer Stimme aufrecht zu erhalten. Schnell wechselte sie das Thema: „Ein anderer Grund, weshalb ich hier bin, ist, um Ihnen auszurichten, dass Ihr Aufenthalt in Newgate sich dem Ende zu neigt. Mir ist von einem Kunden zu Ohren gekommen, dass wohl bald Ihr Gerichtsverfahren stattfinden wird. Ich hoffe, dass sich dort die Umstände Ihrer Verhaftung klären werden und Sie wieder zurück in Ihr Leben kehren können.“

Benjamin hätte nie geglaubt, wie belebend solche Worte sein konnten. Sie entflammten seine erloschene Hoffnung, nun, da seine Zeit in Gefangenschaft bald vorüber sein sollte.
 

„Danke!“, sagt er, doch bevor er fortfahren konnte, unterbrach ihn Mrs Lovett: „Einen Augenblick noch, Mr Barker.“

Für einen kurzen Moment schien es, als würde Benjamins Vermieterin in einer Tasche wühlen, dann wandte sie sich wieder an ihren Mieter und schob etwas durch den schmalen Spalt. „Hier bitteschön. Das ist alles, was ich noch für Sie tun kann, aber ich denke, nach all dem schrecklichen Fraß, den Sie hier vorgesetzt bekommen, dürfte es eine Wohltat sein.“

Verwundert griff Benjamin nach dem kleinen Etwas und starrte es neugierig an. Ein verführerischer Duft stieg von dem Päckchen in seiner Hand auf und als er es neugierig genauer betrachtete, sah er, dass es sich um eine in Tuch gewickelte Fleischpastete handelte. Sein Magen zog sich unangenehm zusammen. Er hatte schon so lange nichts Leckeres mehr zum Essen bekommen! Das Wasser lief ihm im Mund zusammen und er musste sich beherrschen, um sie nicht einfach in sich hineinzustopfen. Schnell besann er sich wieder und wandte sich stattdessen an Mrs Lovett.

„Vielen Dank“, sprach er aus tiefstem Herzen. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr mich Ihr Besuch freut und welch große Hilfe Sie in dieser schweren Zeit für Lucy und mich sind!“
 

Trotz der Erwähnung von Lucy brachten diese Worte Mrs Lovett zum Strahlen. Sie hatte das Gefühl, zum ersten Mal von ihm wahrgenommen zu werden. Der Moment hätte ewig währen können, doch wurde er jäh zunichte gemacht, als der Wärter sie darauf aufmerksam machte, dass ihre Besuchszeit um sei.

„Das habe ich doch sehr gerne für Sie getan. Selten hat man das Glück, so nette Mieter zu bekommen und ich hoffe inständig, dass das Gerichtsverfahren zu Ihren Gunsten verläuft“, brachte Mrs Lovett schnell heraus. „Es tut mir Leid, aber die Zeit ist nun um. Ich hoffe, dass ich Sie schon bald in meinem Geschäft wieder sehen werde. Auf Wiedersehen!“

„Auf Wiedersehen“, konnte Benjamin grade noch erwidern, dann war seine Vermieterin auch schon verschwunden. Er selbst blieb völlig verwirrt sitzen und versuchte, das alles zu begreifen. Das Gespräch, so kam es ihm vor, war viel zu schnell gegangen und es hatte so vieles gegeben, was er sie noch hatte fragen wollen. Denn was hatte sie mit faulem Spiel gemeint? Bevor Benjamin sich jedoch weiter in Gedanken verlieren konnte, wurde er vom Wärter grob auf die Füße gestoßen.

„Los, vorwärts!“, befahl dieser und schubste den Barbier vor sich her. „Du wirst noch genügend Zeit haben, Löcher in die Luft zu starren, wenn du wieder in deiner Zelle bist!“
 

Die Pastete fest an sich gedrückt, wurde Benjamin wieder zurückgebracht. Während die Zellentür mit einem lauten Knall hinter ihm ins Schloss fiel, versteckte der Barbier hastig Mrs Lovetts Fleischpastete unter seiner verdreckten Kleidung. Im letzten Moment war ihm bewusst geworden, dass die anderen Insassen womöglich nicht lange zögern und ihn seiner köstlichen Mahlzeit berauben würden.

Erst in der Nacht, als durchdringende Schnarchlaute die Stille der Zelle durchbrachen, wagte Benjamin es, sich an der Pastete gütlich zu tun. Ein wohliger Seufzer entfuhr seinen Lippen, als der köstliche Geschmack des Gebäcks auf seiner Zunge lag. Nach all der langen Zeit hatte es nicht nur gut getan, wieder mit einem vertrauten Menschen reden zu können, sondern auch den leeren Magen mit solch einer Köstlichkeit – denn das war die Fleischpastete in Benjamins Augen – zu füllen. Und mit dem gefüllten Magen durchströmte belebende Zuversicht jede Faser seines Körpers und riss ihn wieder aus seiner Lethargie. Dankbarkeit erfüllte Benjamin von neuem für das, was seine Vermieterin für ihn getan hatte. Ja, er stand wahrlich tief in Mrs Lovetts Schuld!
 

Schon am nächsten Tag wurde verkündet, dass Benjamins Gerichtsverfahren in einer Woche stattfinden würde. Mrs Lovett hatte sich also nicht geirrt! Benjamin spürte, wie er unruhig wurde, je näher der Tag des Gerichts rückte. Freude stieg in ihm auf, wenn er sich ausmalte, wie das Missverständnis sich klären würde und er wieder zurück zu seiner Lucy könnte. Er konnte ihr strahlendes Gesicht vor sich sehen, konnte ihre Worte hören und beinahe schon die Umarmung spüren, mit der sie ihn stürmisch begrüßen würde nach all der langen Zeit des Getrenntseins.

Doch hatten Mrs Lovetts Worte auch Zweifel und Verwirrung gesät. Noch immer war es Benjamin unverständlich, was seine Vermieterin mit faulem Spiel gemeint haben könnte. Wollte sie damit etwa andeuten, dass man ihn absichtlich, trotz seiner Unschuld, verhaftet hatte? Allein der Gedanke war für Benjamin undenkbar und trotzdem spürte er ein unangenehmes Ziehen der Angst, wenn er daran dachte. Denn wäre dem tatsächlich so, was würde ihm dann widerfahren?
 

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Hier ist das 3. Kapitel. So nach der Überarbeitung fällt das Gespräch zwischen Lucy und Turpin nicht mehr so lang aus^^; Ich fand es irgenwie schon wichtig, die Gefangenschaft vor einem Gerichtsverfahren richtig darzustellen und nun dürfte es sich so ähnlich zugetragen haben. Auch wenn es wahrscheinlich ist, dass die Insassen Benjamin tyrannisiert haben. Nur so sehr wollte ich diesen Teil nicht in die Länge zeihen und vielleicht waren es ja allesamt Ausnahmefälle, mit denen Benjamin in der Zelle eingesperrt war^^

In dieser FF versuche ich das 1. Mal ein Kapitel aus der Sicht von mehreren Personen zu schreiben, deshalb habt bitte Verständnis dafür, wenn der Übergang und so noch nicht ganz so toll wird. Besonders dazu würden mich dann auch eure Meinungen, Tipps etc. interessieren^^
 

lg -Hakura

Die List

Die letzten Tage vor dem Gerichtsverfahren schienen für Benjamin eine Ewigkeit zu dauern und gleichzeitig waren sie wie im Flug vorüber gezogen. Unruhe hatte sich seiner bemächtigt, wenn er daran gedacht hatte, endlich Newgate verlassen zu können und doch war da auch Angst gewesen - die Furcht, die sich schleichend in ihm ausbreitete, trotzdem für schuldig befunden zu werden. Selbst sein unerschütterliches Vertrauen, das alles handle sich um einen Irrtum, hatte ihr nichts anhaben können und so hatte es ihn in den letzten Tagen immer mehr zermürbt, bis er sich schließlich dazu gezwungen gesehen hatte, nur noch die Möglichkeit eines Missverständnisses in Betracht zu ziehen. Etwas anderes gab es einfach nicht! War weit von seiner Vorstellungskraft entfernt…

Und dann kam der Tag, an dem die Zellentür für das Gerichtsverfahren geöffnet wurde. Mehrere Wärter traten ein und trieben die Insassen dazu, sich in Reih und Glied aufzustellen. Anschließend wurden ihnen Handfesseln angelegt und sie wurden zum Gericht geführt. Benjamin erfuhr, dass alle nacheinander ihren Prozess erhalten würden und so blieb ihm nichts anderes übrig, als unter der Aufsicht der Wärter mit den verbliebenen Gefangenen auf sein Verfahren zu warten.
 

~*~
 

Büttel Bamford betrat das Zimmer des Richters und ließ unwillkürlich seinen Blick durch den gemütlichen Raum schweifen. Aufgemalte Bilder zierten die Teile der Wand, die nicht von einem der hohen dunklen Bücherregale verdeckt wurden. Es waren Bilder, deren dargestellten Bildnisse auf manch einen Betrachter obszön wirken mussten, doch nicht so auf Richter Turpin. Dieser saß in einem der großen Ledersessel und versuchte, in der wenigen Zeit, die ihm noch bis zum Gerichtsverfahren blieb, zu entspannen. Es gelang ihm jedoch nicht. Allein der bloße Gedanke daran, dass er Benjamin in wenigen Stunden los sein würde, bereitete ihm eine ungemeine Freude und weckte seine Unruhe.

Schließlich winkte er mit einer knappen Handbewegung den Büttel, welchen er herbestellt hatte, zu sich. Bamford eilte sogleich herbei und fragte eifrig: „Was wünschen Sie, mein Herr?“

„Ich will, dass Sie Lucy, die Frau des Barbiers, vom heutigen Gericht fernhalten! Es ist mir gleichgültig, wie Sie das anstellen werden. Versuchen Sie dabei aber bitte so höflich und freundlich wie möglich zu sein“, erklärte der Richter bedeutungsvoll und erhob sich, in Gedanken schon längst beim Gerichtsverfahren, das bald beginnen würde. Nicht mehr lange und ihm allein würde Lucy gehören. Niemand würde ihm dann noch im Wege stehen.

„Wie Sie befehlen“, riss der Büttel ihn wieder aus seinen Gedanken und buckelte mehrmals. Dann wandte sich Bamford mit einem knappen Wort des Abschieds ab und machte sich auf den Weg, den Wunsch Turpins zu dessen Zufriedenheit zu erfüllen. Er konnte sich denken, was sein Herr damit bezweckte…
 

Es dauerte nicht lange und Büttel Bamford hatte die Fleet Street erreicht. Er eilte, so schnell es ihm möglich war, zum Laden des Barbiers, wo er heftig gegen die Tür klopfte. Eine zurechtgemachte Lucy öffnete ihm. Sie hatte ihr bestes Kleid angezogen, was nur bedeuten konnte, dass sie vorhatte, das Gerichtsverfahren mitzuverfolgen und das durfte Bamford auf keinen Fall zulassen! Doch er brauchte sich nicht lange zu überlegen, wie er das Lucy erklären sollte, da diese, kaum dass sie die Tür geöffnet hatte, auch schon rief: „Oh, Sie sind es! Gibt es Neuigkeiten von meinem Mann? Komme ich zu spät und das Gerichtsverfahren hat schon längst begonnen? Oh bitte sagen Sie mir, dass Benjamin nichts zugestoßen ist.“

„Gute Frau, bitte beruhigen Sie sich“, versuchte der Büttel die aufgelöste Lucy zu beschwichtigen. Jedoch hatte sie ihn auf eine Idee gebracht und er fuhr fort: „Ihrem Mann geht es bestens, Sie brauchen sich freilich keine Sorgen um sein Wohlbefinden zu machen. Und seien Sie unbesorgt, das Gerichtsverfahren hat noch nicht begonnen. Ich soll Ihnen aber eine Bitte von Ihrem Mann ausrichten. Ihm ist es unangenehm, wenn Sie ihn vor Gericht sehen, deshalb wäre es ihm lieb, würden Sie hier auf seine Rückkehr warten.“

Etwas verständnislos starrte Lucy ihn an. Dann reckte sie trotzig das Kinn. Sie hatte nicht quälende Wochen durchgestanden, nur um dann vom Büttel gesagt zu bekommen, dass sie noch länger warten sollte, bis sie endlich ihren geliebten Mann wieder sehen konnte! Ihr war es dieses Mal beinahe egal, was die anderen sagten. Sie wollte einfach nur ihren Mann wiedersehen, das war doch nicht zu viel verlangt!
 

Der Büttel erkannte, dass sich Lucy nur schwer überreden ließ. Nun lag es an ihm, ihr überzeugend vor Augen zu führen, warum sie warten sollte und dabei konnte das Gerichtsverfahren jeden Augenblick beginnen!

Dessen war sich auch Benjamins Frau bewusst. Abwartend starrte sie Bamford an. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte die Hände in die Hüfte gestemmt und ungeduldig mit dem Fuß aufgetreten.

„Mrs Barker, Sie müssen doch verstehen, wie unangenehm es für Ihren Mann ist, zu wissen, dass seine geliebte Frau zusehen muss, wie er für ein Verbrechen beschuldigt wird“, erklärte Büttel Bamford. „Ich kann Ihnen versichern, dass es nicht lange dauern wird, bis das Gerichtsverfahren beendet ist. Ist es da von Ihrem Mann zu viel verlangt, wenn Sie etwas Geduld haben und um seinetwillen noch ein kleines bisschen länger warten?“

Es hatte keinen Zweck. Auch wenn Lucy es sich nur ungern eingestand, so hatte der Büttel recht und sie wollte nicht durch ihren Egoismus Benjamin traurig stimmen, indem sie seiner Bitte nicht nachkam. Also gab sie seufzend nach und sagte schließlich: „Nun gut, mein Mann wird sich dabei etwas gedacht haben. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie mir seine Nachricht überbracht haben, Büttel Bamford.“ Mit diesen Worten schloss Lucy wieder die Tür und wartete vergebens auf ihren geliebten Mann.

Erleichtert darüber, dass er Lucy am Ende doch noch dazu hatte bewegen können, nicht zum Gerichtsverfahren zu gehen, machte sich Bamford auf den Weg zum Gericht. Er erreichte es gerade rechtzeitig und schaffte es noch, vor dem Richter den Saal zu betreten, wo er nun die verschiedenen Prozesse verfolgen würde, bis schließlich der von Benjamin Barker an die Reihe kommen würde.
 

~*~
 

Ungeduld hatte Benjamin gepackt. Nach und nach war ein Angeklagter nach dem anderen in den Gerichtssaal gerufen worden und nicht wieder zurückgekehrt. Nur noch er war dazu gezwungen zu warten.

Allmählich gesellten sich Zweifel zu seiner Ungeduld. Was, wenn er noch länger als diese vier quälend langen Monate, die er bereits in Newgate verbracht hatte, würde warten müssen? Und was, wenn letztlich doch ein Irrtum vorlag und er nicht mehr vor Gericht musste? Die anfänglichen Hoffnungen, die bei diesem Gedanken in Benjamin erwachten, wurden jäh zerstört, als ihm befohlen wurde, nun den Gerichtssaal zu betreten. Sofort schlugen seine törichten Hoffnungen in eine furchtbare Angst um und auf einmal war es ihm viel lieber, müsste er nicht vor Gericht treten. Jedoch hatte er keine Wahl und so ließ er sich schicksalsergeben in den Saal führen. Grob zerrten ihn die Wärter in eine Art Absperrung für den Angeklagten und zogen sich dann in den Hintergrund zurück.

Zögernd wagte Benjamin sich umzugucken. Links von ihm waren Tische aufgestellt, an denen Männer mit weiß gepuderten Lockenperücken saßen und das Gerichtsverfahren verfolgten. Über ihm waren an den Wänden entlang Ränge angebracht, auf denen sich die Schaulustigen befanden, die sogar Eintrittsgeld gezahlt hatten, um in den Genuss eines Gerichtsverfahrens kommen zu können. Und direkt vor ihm befand sich das große hohe Pult des Richters, an dem Turpin saß und auf den Barbier herabsah.
 

Ein schreckliches Gefühl der Erniedrigung stieg in Benjamin hoch, als er das Duftsäckchen, das auf dem Pult des Richters lag, oder die mit Parfum getränkten Taschentücher sah, die sich die meisten Zuschauer demonstrativ vor Mund und Nase hielten. Er wusste genau, was sie zu bedeuten hatten. Es war der bestialische Gestank nach vier Monaten Haft in Newgate, der an ihm klebte und auch das Essig, mit dem man ihn dürftig eingerieben hatte, nicht zu vertreiben vermochte. Hinzu kam sein jämmerlicher Anblick, denn die Wochen waren wahrlich nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Sein dunkles Haar hing ihm in fettigen verfilzten Strähnen ins bleiche Gesicht, dunkle Schatten umrahmten seine braunen Augen, die nun tief in den Höhlen lagen und seine Kleidung war so schmuddelig, dass es sich nicht mehr gelohnt hätte sie zu waschen.

Benjamin war sich seines kläglichen Erscheinungsbildes bewusst und wollte dennoch nichts unversucht lassen, wenigstens einen halbwegs würdevollen Anblick darzubieten. Mit Mühe straffte er die Schultern und kämpfte darum, eine aufrechte Haltung zu bewahren. Es war jedoch viel schwerer als gedacht.

Die teils neugierigen, teils abfälligen Blicke der Anwesenden, die auf ihn gerichtet waren, schienen ihn zu erdrücken. Benjamin hatte das Gefühl, jeden einzelnen spüren zu können und verspürte den Wunsch, sich ganz klein zu machen, sodass sie ihn nicht mehr finden konnten. Nur war das nicht möglich.

Schließlich begegnete er dem Blick Turpins, der ihn schier zu durchbohren schien. Ein Ausdruck von Genugtuung trat in dessen Gesicht, als er erkannte, wie eingeschüchtert der Angeklagt bereits war. Unruhig ließ dieser seinen Blick durch den Saal schweifen und hoffte inständig, dass das Gerichtsverfahren schnell gehen und sich alles klären würde.
 

Dann schlug Richter Turpin zweimal kräftig mit dem Hammer aufs Pult. Schlagartig verstummte das Raunen, das bis dahin den Saal erfüllt hatte und eine erwartungsvolle Stille trat ein.

„Allen Anwesenden dürfte bekannt sein, weswegen wir uns hier befinden“, begann Richter Turpin das Verfahren. Zustimmendes Gemurmel kam auf. Der Richter fuhr fort: „Es geht um die Anklage gegen Benjamin Barker. Ihm wird Mordversuch vorgeworfen.“

Benjamin hatte das Gefühl, als stünde die Zeit still. In seinem Kopf wiederholte sich immer wieder ein und dasselbe Wort: Mordversuch, Mordversuch, Mordversuch…

Das konnte nicht sein! Nie hatte er je den Gedanken gehegt, jemanden umzubringen und nun wurde ihm ausgerechnet diese Tat vorgeworfen. Zu Unrecht. Doch wie konnte Benjamin dies dem Richter erklären? Welche Beweise gab es überhaupt für seinen angeblichen Mordversuch? Oder verwechselte man ihn tatsächlich mit einem anderen Barbier?
 

Ungläubig starrte der Barbier zum Richter hoch und wollte gerade zu einem Protest ansetzen, als er sich wieder besann. Es wäre wohl besser, wenn er sich nicht einfach ungefragt zu Wort meldete. So wartete er stumm ab, was als nächstes geschehen würde.

„Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen, Mr Barker?“, fragte da Richter Turpin.

„Ich versichere Ihnen, Euer Ehren, nie habe ich auch nur den bloßen Gedanken gehegt, der mich zu solch einer Tat bewogen hätte“, sprudelte es aus Benjamin hervor. „Sie müssen mir glauben, dies alles kann sich gar nicht anders als um ein Missverständnis handeln.“

„Die Beweise sprechen in der Hinsicht gegen Sie“, erklärte der Richter sachlich und gab dem Büttel, der in der Nähe des Podestes stand, einen Wink. Sogleich verschwand dieser, nur um im nächsten Moment mit einem Zeugen wiederzukehren.

Mr Brooks.
 

Benjamin erstarrte, als er Mr Brooks sah. Ungläubig starrte er den Mann an, der als Zeuge den Raum betreten hatte und gegen den Barbier aussagen würde. Das konnte nicht sein! Das alles konnte nur ein Albtraum sein, nichts weiter als ein grässlicher Albtraum, der bald ein Ende haben musste. Doch dem war nicht so. Es sollte sogar noch schlimmer kommen.
 

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Und so kommt es, dass Benjamin seine Lucy wohl nie wiedersehen wird...(und eigentlich war diese Szenen gar nicht vorgesehen-_-)

Das Kapitel wurde immer länger und länger, weshalb ich das jetzt aufgeteilt habe hier für Animexx, damit ihr nicht so lange warten müsst^^;

Na ja ich werde mich mit dem nächsten Kapitel auf jeden Fall beeilen. Hat jemand schon ne Idee, was Mr Brooks als Zeuge betrifft?
 

lg -Hakura

Die Zeugenaussage

„Wie ich sehe, kennen Sie diesen Mann, Mr Barker“, bemerkte Richter Turpin, als er Benjamins ungläubigen Gesichtsausdruck sah und seine Lippen kräuselten sich zu einem boshaften Lächeln. „Mr Brooks, bitte berichten Sie uns doch von Ihrem schrecklichen Erlebnis.“ Das war keine Aufforderung sondern ein Befehl und das war dem kleinen dicken Mann bewusst. Nervös zupfte er an seinem Kragen, dann fing er an zu erzählen: „Es war vor vier Monaten … ich ging wie so oft zu Mr Barker, um seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Ich ahnte nichts Böses, als ich mich bereitwillig von ihm rasieren ließ, bis ich auf einmal einen stechenden Schmerz verspürte. Dank meiner schnellen Reaktion konnte ich mich ganz knapp davor retten, den Tod durch einen aufgeschlitzten Hals zu erleiden. Noch nicht einmal mein Geld gab Mr Barker mir wieder zurück, sondern drohte mir damit, mich das nächste Mal gänzlich umzubringen, wenn ich auch nur ein Sterbenswörtchen vom Geschehenen an die Öffentlichkeit verrate. Ich verdanke es der Aufmerksamkeit des Büttels, dass ich nun doch den Mut dazu gefunden habe, von meinem Schrecken zu berichten.“

Mitfühlende Seufzer ertönten aus den Rängen, in denen die Schaulustigen saßen. Keinem von ihnen kümmerte es, ob diese Geschichte der Wahrheit entsprach oder einfach eine bloße Lüge war, um Benjamin aus dem Weg zu schaffen. Alles, was für sie zählte, war die Unterhaltung, die ihnen das Gerichtsverfahren bot.

Der Barbier jedoch konnte seinen Ohren nicht trauen, als er Mr Brooks zuhörte. Was sollte das alles? Warum log einer seiner treusten Kunden und gab vor Gericht eine falsche Zeugenaussage gegen ihn?

„Nun, Mr Barker. Kommt Ihnen diese Geschichte bekannt vor?“, fragte Richter Turpin wohlwissend, dass Benjamin sie nicht kannte und dies auch zugeben würde. Und so war es dann auch. „Nein, Euer Ehren“, rief der Barbier verzweifelt. „Bitte glauben Sie mir, das alles hat sich vollkommen anders zugetragen!“
 

Besser konnte es für Turpin gar nicht mehr werden! Benjamin, dieser Narr, hatte nicht einmal abgestritten, Mr Brooks verletzt zu haben, sondern lediglich behauptet, dass es sich anders zugetragen hätte. Nun würde es kein Problem mehr sein, ihn als schuldig zu befinden.

„Sie streiten es also gar nicht ab, Mr Brooks verletzt zu haben?“, fragte der Richter und versuchte sein Erstaunen ebenso wie seine Schadenfreude zu verbergen.

„Nein“, erklärte Benjamin nicht ahnend, welchen Fehler er da gerade beging. „Doch versichere ich Ihnen und all den andern Anwesenden hier im Saal, dass diese Tat mit keiner bösen Absicht geschah, sondern es sich hierbei um ein Unglück, einen Unfall, handelt, was Mr Brooks Ihnen wohl verschwiegen haben muss.“

Sich ein spöttisches Lächeln verkneifend, forderte Richter Turpin den Angeklagten auf: „Nun denn, Mr Barker, dann berichten Sie uns doch bitte von dem Unglück aus Ihrer Sicht.“

Benjamin tat, wie ihm geheißen. „Wie schon erzählt, suchte mich Mr Brooks auch an diesem Tag auf, um meine Dienste in Anspruch zu nehmen. Während ich jedoch meiner Arbeit nachging, wurde ich auf einmal von einer wahrhaft schrecklichen Erinnerung heimgesucht und so kam es, dass ich innehielt. Mr Brooks bewegte sich dabei versehentlich, weshalb er in die Rasierklinge geriet. Ich muss noch hinzufügen, dass es sich bei der Verletzung bloß um einen oberflächlichen kleinen Schnitt handelt, der Mr Books keineswegs gefährlich werden kann.“

„Tut es das?“, hakte Richter Turpin bedrohlich nach.

„Ja!“, erwiderte Benjamin felsenfest davon überzeugt. Der durchdringende Blick des Richters jedoch war auf den Zeugen gerichtet. „Mr Brooks?“

Der Angesprochene senkte nervös den Blick zu Boden, doch hatte er keine andere Wahl, als zu antworten. „N-nein, Euer Ehren, das stimmt nicht“, murmelte er, wobei er das Zittern in seiner Stimme nicht verbergen konnte. Wovon das Zittern aber herrührte, ließ sich nur erraten. Vielleicht lag es sogar an Benjamin. Wie dieser Mr Brooks anstarrte. Der Barbier war fassungslos. Er wollte nicht glauben, was gerade geschah, was über ihn ausgesagt wurde und er konnte nichts tun, um das Gegenteil zu beweisen. Es war, als hätte sich die ganze Welt gegen ihn verschworen. Bloß, was hatte er getan, dass man ihm das hier antat?

„Mr Brooks, bitte beweisen sie, dass die Aussage von Mr Barker eine Lüge sein soll!“, befahl Richter Turpin und musste insgeheim lächeln. Sie war natürlich keine Lüge, doch würde er sie nun als eine solche darstellen können, dank Mr Brooks Hilfe und noch etwas anderem….

Mr Brooks tat, wie ihm geheißen. Mit zitternden Händen fummelte er an seinem Kragen, den er schließlich langsam und etwas ungeschickt herunterkrempelte. Dabei versuchte er den Blick des Barbiers aufzufangen. Es gelang ihm auch und Benjamin starrte für einen kurzen Moment direkt in Mr Brooks Augen. Was er dort sah überraschte ihn. Der Blick seines Kunden war verzweifelt, es kam Benjamin vor, als wolle ihn der kleine dicke Mann um Verzeihung bitten.

Was nun kam, sollte Benjamins Urteil letztendlich fällen.
 

Mr Brooks hatte seinen Kragen nun gänzlich heruntergekrempelt und entblößte so seinen Hals oder besser gesagt sein Doppelkinn. Wenn es nur das gewesen wäre, wäre es bei weitem nicht so schlimm gewesen, wie das, was nun jeder deutlich sehen konnte, das, was den ahnungslosen Barbier letztendlich in sein Verderben stürzen sollte.

Wie betäubt starrte Benjamin auf die entblößte Narbe. Das konnte alles nicht möglich sein! Wie hatte das geschehen können? Benjamin konnte sich nicht erklären, was er da sah, doch flößte ihm der Anblick von dem Gräuel, das man Mr Brooks zweifellos angetan hatte, Entsetzen ein. Genau dort, wo sich die Mitte der Kehle befand, verlief eine dicke wulstige Narbe waagerecht über den gesamten Hals, als hätte der Barbier tatsächlich versucht, seinen ahnungslosen Kunden umzubringen.

Benjamin wurde mit einem Mal entsetzlich kalt und seine Beine fingen unkontrolliert zu zittern an. Was für ein Mensch tat nur solche schrecklichen Dinge? Und immer wieder erinnerte er sich an zwei Worte: Faules Spiel.

Richter Turpin genoss es zu zusehen, wie sich zu dem Unglauben in dem Gesicht von Lucys Mann langsam Verzweiflung gesellte. Er hatte wohl endlich verstanden, dass er verloren war. Turpin kostete diesen Moment noch etwas aus, um schließlich mit seiner kalten Stimme das aufgebrachte Raunen, welches aufgekommen war, als Mr Brooks seinen Hals entblößt hatte, zu durchbrechen: „Nun Mr Barker, und wie wollen Sie uns das erklären?“
 

Schlagartig verstummte das Getuschel der Zuschauer. Alle Anwesenden lauschten neugierig mit angehaltenem Atem, was der Barbier zu seiner Verteidigung sagen würde. Das einzige, was dieser jedoch zustande brachte, war ein klägliches Abstreiten seiner angeblichen Tat. „Auch wenn alle Beweise gegen mich sprechen, so kann ich nur meine Unschuld beteuern“, murmelte er schwach. Dann wandte er sich hilfesuchend an Mr Brooks und riss sich noch einmal zusammen: „Bitte Mr Brooks! Sie wissen, dass sich all dies anders zugetragen hat. So sagen Sie doch etwas! Ich flehe Sie an, helfen Sie mir!“

Doch der kleine Mann wich nur betreten dem Blick des Barbiers aus. „Das ist alles eine Lüge!“, kreischte er schließlich und wedelte mit seinem dicken Zeigefinger in Richtung des Angeklagten. „Dieser Mann lügt wie gedruckt! Sie dürfen keinem seiner Worte glauben schenken!“

„Aber, Mr Brooks…“, protestierte Benjamin leise. Die Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

„Genug jetzt!“, befahl der Richter und schlug mit seinem Hammer kräftig aufs Pult. Ach, wie er all das genoss! Dennoch konnte er es nicht nur bei Mr Brooks Zeugenaussage belassen. Es mussten mehr her, um ein „gerechtes“ Urteil fällen zu können. Aber auch das sollte kein Problem für ihn darstellen.

Nachdem sich Mr Brooks wieder gesetzt hatte, wurde ein neuer Zeuge in den Zeugenstand gerufen. Zu Benjamins Entsetzen handelte es sich dabei um einen weiteren seiner Kunden, der die Aussage Mr Brooks bestätigte und von ähnlichen Geschehen berichtete, die jedoch nie stattgefunden hatten. Nur wen kümmerte das noch in diesem Moment?
 

Benjamin war, als durchlebe er einen schrecklichen Albtraum, der von Sekunde zu Sekunde schlimmer wurde und ihn immer tiefer in Verzweiflung stürzte. Neben Mr Brooks hatten vier weitere seiner besten Kunden gegen ihn ausgesagt, hatten die Lüge, ohne mit der Wimper zu zucken oder auch nur Anzeichen eines schlechten Gewissens zu offenbaren, vorgetragen und sein Schicksal besiegelt. Seine Verwirrung hatte mittlerweile maßlosem Entsetzen Platz gemacht, das er nur schwer verbergen konnte.

Richter Turpin konnte dieses sofort in den Augen des Angeklagten lesen und weidete sich daran. Doch war ihm bewusst, dass er all dem langsam ein Ende bereiten musste, wenn er diesen verfluchten Barbier endlich loswerden wollte.

Er richtete seinen durchdringenden Blick auf den Angeklagten und sprach kühl: „Allem Anschein nach, Mr Barker, haben Sie nicht nur versucht, solch ehrenwerte Gentlemen, wie sie hier gerade zugegen sind, zu ermorden, nein, Sie leugnen sogar alles noch und bezichtigen Mr Brooks der Lüge. Das wird in der Tat ein weiteres Nachspiel für Sie haben.“

Nein! Benjamin schüttelte in stummer Verzweiflung den Kopf. Am liebsten hätte er seine Unschuld herausgeschrieen, doch dies würde wahrscheinlich noch ein Nachspiel haben und es war niemand da, der ihm Gehör schenke konnte. Alles war aus. Man beschuldigte ihn des Mordversuchs und er konnte noch nicht einmal beweisen, dass dies falsch war und all die angeblichen Beweise und Aussagen nichts weiter als dreckige Lügen waren.
 

Der Richter hatte sich kurz mit zwei seiner Berater zurückgezogen, um ein endgültiges Urteil zu fällen. Währenddessen herrschte im Saal ein aufgebrachtes Stimmengewirr. Viele waren empört über die Dreistigkeit des Barbiers, seine grausige Tat einfach abzustreiten. Der Barbier selbst betete, wenigsten noch einmal mit Lucy sprechen zu können. Sie war die einzige Person, die wusste, dass er unschuldig war, doch auch auf sie würde man nicht hören. Sie war ja bloß eine Frau…

Nach einiger Zeit hatte man sich auf ein ihrer Meinung nach gerechtes Urteil geeinigt. Der Richter und die zwei Berater nahmen wieder Platz. Dieser musste nicht einmal mit seinem Hammer für Ruhe sorgen. Kaum hatte man gesehen, dass das Urteil entschieden war, kehrte Stille ein. Eine grausame Stille für Benjamin, die die bedeutungsvolle Atmosphäre nur noch unterstrich. Ihm war fast schwindelig vor Furcht vor dem Urteil, als er hinauf zum Richter starrte.

Turpin hatte sich etwas über sein Pult gebeugt, um auch ja keine Reaktion von Benjamin verpassen zu können. Er ließ noch ein wenig Zeit verstreichen, bis er sich schließlich dazu aufraffte, das Urteil bekannt zu geben.

„Mr Barker“, verkündete er. Seine Stimme war kalt und gleichgültig und doch ließ er jedes Wort genüsslich auf der Zunge zergehen, als sei es eine besondere Köstlichkeit, die es galt, zu genießen, während er endlich die Bekanntmachung verlauten ließ. „Hiermit verurteile ich Sie zu einer lebenslänglichen Haft in Australien. Möge Gott Ihrer Seele gnädig sein.“

Bei diesen Worten schlug er mit dem Hammer aufs Pult. Das Gericht war beendet und das Urteil endgültig und unwiderruflich gefällt.
 


 

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So und hier ist das nächste Kapitel, auch wenn ich es vom Inhalt her gehasst habe, hat es ziemlichen Spaß gemacht, das zu schreiben und mit dem Ergebnis bin auch ziemlich zufrieden.

Ich glaube, so oder so ähnlich dürften sich viele Gerichtsverfahren damals zugetragen haben. (wer was bezüglich der historischen Details in dieser FF wissen will, soll mal in der Inhaltsangabe nachschauen).

Auf jeden Fall tut mir Benjamin Leid. Doch leider fängt für ihn jetzt erst das wahre Grauen an...
 

lg -Hakura

Poor Thing

There was a barber and his wife,

And he was beautiful,
 

Es war tausendmal schlimmer als ein Albtraum. Wie erstarrt stand Benjamin da, zu keiner Regung mehr fähig. Sein leerer Blick hing am Pult des Richters, doch konnte dies die gesagten Worte nicht mehr ungeschehen machen. Er war verurteilt. Er sollte seine Haft in Australien verbüßen. Lebenslänglich. Von nun an war er ein Sträfling.

Es dauerte, bis Benjamin die bedeutungsschweren Worte begriff. Das konnte einfach nicht sein! Das durfte nicht sein! Verzweifelt schüttelte er den Kopf, als könnte er so seine grässlichen Gedanken abschütteln, die gesagten Worte aus seinem Kopf werfen. Alles in ihm schrie danach, etwas gegen das ihm angetane Unrecht zu unternehmen, nur wusste er, wie sinnlos dies bloß war – nichts weiter als verschwendete Kraft.

Unsanft wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Einer der Wärter war in die Absperrung getreten und hatte ihn schmerzhaft aus dieser gestoßen. „Los vorwärts!“, blaffte er und versetzt dem Barbier einen weiteren Stoß. „Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“

Als Benjamin sich umsah, konnte er die Eile des Wärters beinahe verstehen, nicht aber dessen grobe Behandlung. Er war der letzte gewesen, der sein Verfahren erhalten hatte, das Gericht war beendet und der Saal fing bereits an sich zu leeren. Nur wenige blieben noch auf den Zuschauerplätzen sitzen, um auch ja nicht zu verpassen, wie der Verurteilte abgeführt wurde. Die anderen hatten sich aufgemacht, den Saal zu verlassen. Allen voran Richter Turpin, der es gar nicht erwarten konnte seinen Triumph zu feiern.

Doch von all dem wusste Benjamin nichts. Die groben Stöße hatten ihm nur für kurze Zeit Ablenkung verschafft. Schnell war er wieder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt und mit ihnen kam ihn ein solch schrecklicher, dass er unwillkürlich stehen blieb.

„Lucy!“ hauchte er, das Gesicht in seiner hilflosen Verzweiflung zu einer schmerzerfüllten Grimasse verzerrt. Während er wieder mitleidlos weitergetrieben wurde, wurden ihm mit einem Mal erst richtig die Folgen seiner Verurteilung bewusst. Womöglich würde er nie wieder seine geliebte Lucy und seine kleine Johanna sehen können! Den Rest seines Lebens würde er am anderen Ende der Welt fristen müssen, ohne Hoffnung auf Entkommen. Nie wieder sollte es ihm vergönnt sein, das strahlende Lachen seiner Frau zu sehen. Er würde Johanna nicht mehr auf den Arm nehmen können, genauso wenig wie er miterleben würde, wie sie zu einer jungen Frau heranwuchs. Stattdessen ließ er sie beide nun zurück.
 

A proper artist with a knife,

But they transported him for life.

And he was beautiful…
 

Das schlechte Gewissen stieg in Benjamin hoch und drohte ihn zu übermannen. Sie würden vollkommen auf sich allein gestellt sein. Er würde schuld daran sein, wenn Lucy ihres Lebens nicht mehr glücklich wäre. Er würde die Schuld daran tragen, wenn Johanna den väterlichen Schutz nicht erhielt.

Immer tiefer stürzte er sich in verzweifelte Gedanken. Dass man ihn zurück nach Newgate und in eine andere Zelle geworfen hatte, bemerkte er nur am Rande. Die anderen Verurteilten, die mit ihm auf das Schiff nach Australien warten mussten, nahm er schlichtweg gar nicht wahr. Stattdessen überließ er sich immer weiter seiner Verzweiflung.

In der Nacht kam ihm eine weitere törichte Erkenntnis, die mehr schmerzte als alles andere: Nicht einmal verabschieden konnte er sich von Lucy und Johanna!
 

~*~
 

He had this wife, you see,

Pretty little thing.
 

Lucy wartete vergebens auf Benjamin. Die Nacht war mittlerweile eingebrochen und noch immer hatte sie kein Wort von ihrem Liebsten gehört. Es gab keine Anzeichen davon, dass ihr Mann heil das Gerichtsverfahren überstanden hatte und auch niemand konnte ihr weiterhelfen. Ihr blieb nichts anderes mehr übrig, als zu warten und zu hoffen, dass es jeden Moment an der Tür klopfen würde und Benjamin eintrat, der sich mit dem Lächeln, was sie so sehr an ihm liebte, für die Verspätung entschuldigen würde, wie es seine Art war. Doch es klopft keiner an die Tür. Und es trat auch kein lächelnder Benjamin ein. Nichts geschah.

Die Zeit verging und Mitternacht brach ein. Johanna schlief friedlich in ihrem Bett, nichts ahnend von dem Unglück, was um sie herum seinen Lauf nahm. Hin und wieder gab sie im Schlaf leise Geräusche von sich, die ihre Mutter jedes Mal aufs Neue aus ihrem Dösen rissen, bloß damit diese feststellte, dass es nur die kleine Johanna war, die da ein Geräusch gemacht hatte.

Schließlich gab Lucy das Warten auf. Sie hatte vor, schon bei Tagesanbruch den Richter aufzusuchen, um ihn um Informationen bezüglich ihres Mannes zu bitten. Und so fiel sie langsam in einen unruhigen Schlaf.
 

Es war eine schlimme Nacht. Unzählige Male schreckte Lucy aus ihrem Schlaf im Glauben, Benjamin neben sich zu wissen. Und jedes Mal wurde sie aufs Neue enttäuscht, als sie feststellen musste, dass alles nur ein Traum gewesen und ihr Mann immer noch spurlos verschwunden war. Am schlimmsten war diese Leere, die Lucy dabei verspürte. Eine Leere, als würde etwas Wichtiges fehlen, ohne das sie nicht länger Leben konnte. Mit der Leere kam auch die Kälte und nichts vermochte, sie zu vertreiben, egal in wie viele Decken sich Lucy einkuschelte.

Schließlich begann sich der Himmel am Horizont rot zu verfärben und die aufgehende Sonne vertrieb langsam die Dunkelheit der Nacht. Als das Morgenlicht durchs Fenster ins Zimmer fiel, stand Lucy auf, froh darüber, diese grässliche Nacht überstanden zu haben. Heute, redete sie sich ein, würde sie endlich ihren geliebten Benjamin wieder sehen, komme was da wolle.
 

Silly little nit

Had her chance fort the moon on a string-

Poor thing. Poor thing.
 

Nachdem sich Lucy um Johanna gekümmert hatte, zog sie ihr bestes Kleid an und machte sich auf den Weg zum Richter. Er war der einzige, der ihr jetzt weiterhelfen konnte, das glaubte sie zumindest. Zu diesem Zeitpunkt zog Lucy die Möglichkeit, sich über den Ausgang des gestrigen Gerichtverfahrens zu informieren, gar nicht in Betracht und so kam es, dass sie schließlich völlig unwissend vor dem Hause des Richters stand.

Lucy atmete noch einmal tief durch und ließ dann den Türklopfer aus Messing zweimal kräftig gegen die schwere Holztür knallen. Das Klopfen war laut genug, dass es jeder im gesamten Haus hören konnte. Lucy kam es gar nicht in den Sinn, dass sie den Richter zu dieser frühen Stunde vielleicht aus dem Bett holen könnte, was einem kleinen Vergehen gleich kommen konnte. Doch als ihr das bewusst wurde, war es bereits zu spät.

Langsam wurde die Tür geöffnet und sie starrte mitten ins hässliche Gesicht des Büttels. Als dieser Lucy sah, verzog sich sein ärgerlicher Gesichtsausdruck zu einem schmierigen Lächeln.

„Treten Sie doch ein, meine Liebe“, forderte er sie auf und machte eine einladende Handbewegung ins Innere des Hauses. Zögernd kam Lucy seiner Aufforderung nach. Nachdem der Büttel die Tür hinter ihr geschlossen hatte, drehte er sich wieder zu ihr. „Sie wollen bestimmt den Richter sprechen“, meinte er in einem möglichst freundlichen Tonfall. Lucy nickte nur und sah sich staunend in der beeindruckenden Empfangshalle um.

Ein wunderschöner roter Teppich war auf dem Boden ausgelegt, die Wände waren mit edlem Holz verkleidet und an der Decke hing sogar ein kleiner Kronleuchter. Doch mehr Zeit, um sich umzusehen, blieb ihr nicht, da Büttel Bamford sie aufforderte, ihm zu folgen. Er führte Lucy durch einen großen Teil des Hauses und immer wieder blieb sie staunend stehen, um eins der schönen Gemälde an den Wänden zu betrachten oder einfach nur diese Pracht, die sie umgab, zu bestaunen. Sie würde vielleicht nie wieder in solch ein beeindruckendes Haus kommen, wenn sie erst wusste, wann Benjamin endlich zurückkommen würde.
 

Schließlich erreichten sie ein gemütliches Zimmer mit mehreren Sesseln und einem kleinen Tisch. Der Büttel bedeutete Lucy in einem der Sessel Platz zu nehmen und dort zu warten.

Bereits nach kurzer Zeit betrat ein nach der neusten Mode gekleideter Richter Turpin das Zimmer. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als er Lucy in einem der kleinen Sessel sah. Er gab dem Büttel einen Wink, dass er einen Diener herholen sollte und setzte sich ihr gegenüber. „Haben Sie schon gefrühstückt?“, fragte er und schaute in ihr engelsgleiches Gesicht. Lucy schüttelte nur stumm den Kopf und wollte schon zu einem Satz ansetzen, als der Richter fort fuhr: „Ah gut. Ich selbst habe auch noch nicht gefrühstückt. Sie werden doch sicher nichts dagegen haben, mit mir gemeinsam zu speisen?“

„Nein“, antwortete Lucy, konnte aber wieder nicht nach Benjamin fragen, da in diesem Moment ein Diener das Zimmer betrat. „Was wünschen Mylord?“, fragte dieser mit näselnder Stimme.

„Das übliche“, erwiderte Turpin und fügte noch mit einem Blick auf Lucy hinzu: „Und für die junge Dame einen starken Kaffee.“

Der Diener nickte nur, dass er verstanden hatte und verließ das Zimmer wieder.

Erst jetzt war dem Richter aufgefallen, wie schlecht Lucy aussah. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen, als hätte sie die ganze Nacht nicht schlafen können und in ihren Augen spiegelte sich große Besorgnis wider, was zweifellos am Fehlen ihres Mannes lag. Der Gedanke entlockte Turpin ein zufriedenes Lächeln. Nun würde ihm Lucy gehören. Sie würde schon bemerken, dass er, Richter Trupin, ihr so viel mehr als dieser Narr Benjamin Barker geben konnte. Zwar konnte er sich denken, dass sie nur zu ihm gekommen war, um nach ihrem Mann zu fragen, doch hatte die Antwort auf diese Frage Zeit. Jetzt sollte sie erst einmal das Frühstück zusammen mit ihm genießen. Danach konnte sie ihn immer noch nach Benjamin fragen.
 

There was this Judge, you see,

Wanted her like mad.
 

Lucy wurde unruhig. Ihr gefielen die Blicke nicht, mit denen sie der Richter bedachte, jedoch hatte sie keine andere Wahl, als mit ihm gemeinsam das Frühstück zu sich zu nehmen und ihn nach Benjamin zu fragen. Vielleicht war es aber besser, wenn sie mit ihrem Anliegen erst etwas später herausrückte. Nicht das sie damit noch die Stimmung des Richters verdarb, was sie so in der Tat getan hätte.

Also wartete sie geduldig, führte eine höfliche Konversation mit Turpin und aß dabei das Frühstück. Dieses war wohl das Beste, das sie je gegessen hatte und sie war sehr dankbar für diese köstliche Ablenkung. Auch der Kaffee tat ihr gut und hielt sie wach.

Schließlich hatten beide aufgegessen. Nun war es an der Zeit endlich nach Benjamin zu fragen, da Lucy diese Frage nicht mehr länger zurückhalten konnte. Sie musste wissen, warum ihr Mann noch nicht zu ihr zurückgekommen war.

„Sagen Sie mir bitte“, platzte es aus ihr heraus, „was mit meinem Mann geschehen ist. Warum ist er gestern nicht nach dem Gerichtsverfahren zurückgekehrt…?“ Doch während Lucy diese Worte aussprach, dämmerte ihr allmählich das Unverständliche. Vielleicht war er ja… Nein, das konnte nicht sein! Nicht ihr Benjamin!

Der Richter jedoch bestätigte ihren schrecklichen Verdacht. „Es tut mir aufrichtig Leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Mann gestern für schuldig befunden wurde. Und nicht nur das. Er hat seine Schuld sogar vehement geleugnet und den Zeugen der Lüge bezichtigt. So ein Verhalten ist unerhört und ist ebenfalls bestraft worden!“

„Was?“, entfuhr es Lucy und sie starrte den Richter ungläubig an. Die Worte hatten sie wie ein Schlag getroffen. Kraftlos ließ sie sich in den weichen Sessel zurückfallen und konnte nicht glauben, was sie da gerade von Richter Turpin gehört hatte. „Nein, da muss ein Irrtum vorliegen. Nicht mein Benjamin…“, hauchte sie und starrte ins Leere.

Dem Richter gefiel diese Situation gar nicht. Was lag ihr nur an diesem Narr, der sich durch seine unbedachten Worte vor Gericht mehr oder weniger selbst verurteilt hatte? Ärgerlich sagte Turpin: „Meine Liebe, dieser Mann ist zurecht verurteilt worden. Sein Vergehen war unverzeihlich!“

Lucy blickte bei den harten Worten des Richters auf. In ihren Augen lag purer Unglauben. „Kann ich ihn sehen?“, war das einzige, was sie hervorbrachte.

Nun war es am Richter die Frau ungläubig anzustarren. „Sie haben wohl nicht recht verstanden“, erklärte er mit kalter Stimme. „Ihr Mann ist gefährlich, es wäre vollkommen widersinnig, Sie jetzt zu ihm zu bringen.“

„Ich will zu ihm!“, rief Lucy da auf einmal. „Ich flehe Sie an, bringen Sie mich zu meinem geliebten Mann! Es ist mir gleich, ob Sie ihn als gefährlich befinden. Er ist es nicht! Er würde mir nie etwas zu Leide tun!“

„Tut mir Leid, aber das kann ich nicht zulassen“, erwiderte der Richter. In seinem Inneren kochte es vor Wut. Obwohl er Benjamin so gut wie aus dem Weg geräumt hatte, kam er immer noch nicht an dessen Frau heran. Mit unterdrückter Wut fügte Turpin hinzu: „Sie brächten sich nur selbst in Gefahr. In drei Tagen wird ihr geliebter Mann mit einem Schiff nach Australien gebracht werden, wo er seine Haft absitzen muss, dann werden Sie endlich in Sicherheit sein.“

Zu spät bemerkte der Richter, was er mit seinen unbedachten Worten angerichtet hatte. Lucy presste ihre Lippen zu einem schmalen Strich aufeinander und stand abrupt auf. „Wenn dem so ist, dann gehe ich jetzt!“, sagte sie so beherrscht wie möglich. Innerlich war ihr jedoch nach Weinen zumute, was konnte sie jetzt noch für Benjamin tun? Würde sie ihn je wieder sehen können?

Mit all ihrem Selbstbewusstsein, das sie aufbringen konnte, ließ sie sich aus dem Haus des Richters führen und eilte so schnell wie möglich zurück in die Fleet Street zum Geschäft ihres Mannes. Um sie herum hatte der Tag nun gänzlich begonnen. In den Straßen Londons herrschte ein geschäftiges Treiben, was das Vorankommen erschwerte und so verging einige Zeit, ehe sie ihre Wohnung endlich erreicht hatte.
 

Etwas außer Atem betrat Lucy das Zimmer, in dem das verhängnisvolle Unglück ihres Mannes geschehen war. Die Gestalt auf dem Bett nahm sie im ersten Moment gar nicht wahr, bis sie sie auf einmal aus dem Augenwinkel bemerkte. Ihre Wut hatte sich in Luft aufgelöst und wich einer unbändigen Freude. Es konnte niemand anders als Benjamin sein! Richter Turpin musste sich geirrt haben! Oder vielleicht hatte man ihren Mann letztendlich doch noch begnadigt!

„Benjamin!“, rief Lucy freudig aus, in ihren Worten schwang all die Erleichterung mit, die sie dabei empfand, und drehte sich zum Bett. Als sie aber sah, wer da wirklich saß, war all ihr Glücksgefühl, das sie noch einen Augenblick zuvor empfunden hatte, verschwunden. Eine Verzweiflung stürzte über sie herein, die ihr den Atem nahm. Es war Mrs Lovett, die da auf dem Bett saß. Und nicht nur das, in ihrem Arm lag die kleine Johanna fröhlich lachend.
 

Kaum hatte die Pastetenbäckerin bemerkt, wer da eingetreten war, stand sie schuldbewusst auf und legte Johanna schnell wieder zurück in das Kinderbett. „Ich- es tut mir Leid, Mrs Barker, aber…“, meinte sie und verhaspelte sich in aller Eile. Sie holte tief Luft und fing noch einmal von vorne an: „Mrs Barker, ich bitte um Entschuldigung, ich weiß, dass sich das nicht gehört, aber als ich heute morgen dabei war, meine Pasteten zuzubereiten, bin ich auf einmal durch ein herzzerreißendes Schreien gestört worden, das einfach nicht aufhören wollte. Mir war klar, dass es sich um die kleine Johanna handeln musste, die da schrie, und so lief ich hoch zu ihrer Wohnung, um zu gucken, ob alles in Ordnung ist, doch niemand öffnete mir, so oft ich auch gegen die Tür klopfte. Sie verstehen sicherlich, dass mich das beunruhigt hat und so habe ich den Ersatzschlüssel geholt und musste feststellen, dass Ihre Wohnung bis auf die kleine Johanna verlassen war. Deshalb habe ich mir erlaubt, mich um sie zu kümmern. Wie konnten sie nur so unverantwortlich sein und jetzt, da so schwere Zeiten für Sie eingetreten sind, Ihre Tochter einfach allein lassen?“

Mrs Lovetts Worte hatten Lucy gewaltsam in die Realität zurückgerissen. Wie hatte sie nur so nachlässig sein und ihre eigene kleine Tochter vergessen können? Was würde Benjamin bloß dazu sagen? Verzweiflung und Angst überspülten sie, raubten ihr ihre Kräfte und lähmten sie. Das konnte alles einfach nicht wahr sein!

Kraftlos sank Lucy zu Boden und weinte. Sie ließ all ihrem Kummer und ihrer Verzweiflung freien Lauf.
 

Besorgt trat Mrs Lovett zu der am Boden zerstörten Frau und berührte sie leicht an der Schulter. Sie konnte nicht verstehen, was Benjamin nur an diesem schwachen Ding fand… Doch konnte sie fürs erste nichts daran ändern. Das einzige, was sie tun konnte, war seiner Frau zu helfen, um so auf sich aufmerksam zu machen.

„Kommen sie“, sagte die Bäckerin sanft, half Lucy aufzustehen und brachte sie zum Bett. Zitternd setzte sich Johannas Mutter hin. Ihr war ganz Elend zumute. „Wie konnte ich nur?“, flüsterte sie schwach, unterbrochen von heftigen Schluchzern. „Wie konnte ich Johanna vergessen?“

„Pscht“, machte Mrs Lovett beruhigend. „In ihrer schrecklichen Lage hätte das jedem passieren können. Sie müssen jetzt stark sein und dürfen nicht aufgeben. Es besteht immer noch Hoffnung, dass Benjamin nicht gänzlich verloren ist oder zumindest eines Tages zurückkehren wird.“ Erstaunt sah Lucy auf. Woher wusste ihre Vermieterin vom grausamen Schicksal ihres Mannes?
 

Mrs Lovett konnte es aus dem verwunderten Gesichtsausdruck in dem vom Weinen geröteten und geschwollenen Gesicht Lucys ablesen, was diese Fragen wollte. „Wissen Sie denn nicht? Das gestrige Gerichtsverfahren ist in aller Munde, es ist ein Wunder, dass Sie noch nichts davon gehört haben…“, erklärte die Bäckerin, um dann zu stocken und zu fragen: „Wo waren Sie überhaupt, dass Sie ihre Tochter einfach vergessen haben?“

„Ich ging zu Richter Turpin – er hatte mir…nach der Verhaftung Benjamins seine Hilfe angeboten“, antwortete Lucy stockend. Sie konnte immer noch nicht glauben, wie all dies einfach so geschehen konnte.

„Sie waren beim Richter?“, wiederholte Mrs Lovett verständnislos. So hübsch dieses dumme Ding auch war, das vor ihr in Tränen aufgelöst saß, die Absichten des Richters, schien es nicht zu verstehen. „Verstehen Sie denn nicht, Mrs Barker? Es ist gut möglich, dass ihr Unglück, das Werk des Richters ist!“

Lucy sah die Bäckerin erstaunt an. Was redete die Frau denn da? Richter Turpin selbst hatte ihr seine Hilfe angeboten, nachdem ihr Benjamin verhaftetet worden war. Verständnislos fragte Lucy: „Wie meinen Sie das?“

Mrs Lovett seufzte. Ohne Benjamin war seine Frau verloren, das merkte sie jetzt. „Ihnen ist wohl die Wirkung, die Sie auf Männer haben, nicht bewusst, denn wie es scheint, hat der Richter einen Narren an Ihnen gefressen“, erklärte Sie geduldig Johannas Mutter. „Sein einziges Problem ist, dass Benjamin ihm im Wege stand, also hat er ein Gerichtsverfahren eingeleitet, um ihren Mann aus dem Weg zu räumen. So einfach ist das.“

Lucy starrte Mrs Lovett mit großen Augen an. Sie wollte das nicht glauben. Doch es wäre die einfachste Lösung, allein schon deshalb, weil sie wusste, dass ihr Mann unschuldig war. „Ja, vielleicht haben Sie recht“, gab Lucy zu und starrte auf den Boden. Plötzlich kam Panik über sie. Was sollte sie jetzt bloß machen? Ohne Benjamin. Sie war auf einmal mit der kleinen Johanna ganz allein auf sich gestellt. Vor lauter Angst fing sie wieder an zu weinen. „Oh was mache ich denn jetzt bloß?“, schluchzte Lucy, die Hände vors Gesicht geschlagen.

„Sie beruhigen sich erst einmal!“, bestimmte Mrs Lovett entschieden. Sie musste sich beherrschen, um Benjamins Frau nicht die Meinung, die sie von ihr hatte, ins Gesicht zu sagen. Doch etwas in ihr hoffte immer noch, dass Benjamin zurückkehren würde und vielleicht auf sie, Mrs Lovett, aufmerksam wurde, wenn er von ihrer Hilfe erfuhr. Hach ja und vielleicht bemerkte Benjamin dann auch, was für ein dummes, schwaches Ding er da zur Frau hatte…
 

Lucy indessen holte mit zitternden Fingern ein Taschentuch hervor und trocknete sich damit die Tränen ab. „Ach Sie haben ja recht, Mrs Lovett“, murmelte sie schwach. „Benjamin soll erst in drei Tagen nach Australien gebracht werde, vielleicht gibt es ja noch Hoffnung.“ Das war in der Tat nichts Neues für die Bäckerin, dennoch war die Aussicht auf eine Begnadigung zu gering, als dass sie in Betracht des Möglichen gezogen werden konnte. Viel wahrscheinlicher war es da, dass Benjamin eines Tages zu Frau und Kind zurückkehren würde.

„So, ich lasse sie jetzt wieder alleine“, sagte Mrs Lovett da auf einmal und erhob sich. „Kümmern Sie sich am besten erst einmal um die kleine Johanna und versuchen Sie sich abzulenken, Mrs Barker. Wenn es noch irgendwelche Probleme geben sollte, dann sagen Sie bescheid.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging wieder hinunter in ihr eigenes Geschäft. Wenn Benjamin tatsächlich nicht wieder zurückkehren würde, wäre Lucy irgendwann vollkommen mittellos und auch Richter Turpin würde nicht ewig die Miete bezahlen. Mrs Lovett wusste, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis das Unvermeidliche geschehen würde. Und wenn das Zimmer am Ende tatsächlich wieder leer stehen würde, würde sie sich etwas ausdenken müssen, um ihre zusätzliche Einnahmequelle auszugleichen. Die Zeiten waren hart und es war immer besser, etwas im Voraus zu haben, weshalb sie sich vorerst erst recht Mühe mit dem Verkauf ihrer Pasteten geben wollte.
 

Lucy beherzigte Mrs Lovetts Rat und verschaffte sich mit der kleinen Johanna etwas Ablenkung, doch lange hielt sie das nicht aus. Viel zu oft kam ihr wieder die Szene von Benjamins rücksichtsloser Verhaftung in den Sinn. Bei diesem Gedanken füllten sich ihre Augen schon wieder mit Tränen! Nein, so konnte es nicht weitergehen. Vielleicht fand Sie im Schlaf etwas Ruhe, da sie zudem die Nacht über beinahe wach verbracht hatte.

Doch nichts konnte Lucy Ablenkung verschaffen. Alles, was sie tat, stürzte sie nur noch tiefer in Verzweiflung, sodass sie den restlichen Tag einfach im Bett liegen blieb und stumpf vor sich hinstarrte. Irgendwann fiel sie dann in einen unruhigen Schlaf, der bis zum Morgen des nächsten Tages anhielt.
 

Ein heftiges Klopfen an der Tür riss Lucy aus ihren Träumen. Erschrocken fuhr sie hoch und hörte, wie es erneut gegen die Tür klopfte. Schwerfällig sank sie zurück in die Decke. Sie wollte nicht aufstehen, sie wollte gar nichts. Doch das Klopfen hörte nicht auf. Stattdessen wurde es immer eindringlicher. Plötzlich kam Lucy der Gedanke, dass es ja auch ihr geliebter Benjamin sein könnte, der da an der Tür stand und vergeblich darauf wartete, dass ihm jemand öffnete. Lucy sprang aus dem Bett. Sie hatte noch das Kleid vom vorherigen Tag an, auch wenn es durchs Liegen völlig zerknittert und ihr Haar zerzaust war, scherte sie sich nicht im Geringsten drum. Es zählte nur zu wissen, ob ihr Liebster an der Tür stand und auf sie wartete, denn genau das redete sie sich ein – welch große Dummheit!

Schwungvoll öffnete Lucy die Ladentür und hätte sie am liebsten gleich wieder geschlossen. Vor ihr stand Richter Turpin, in der Hand hielt er einen großen Strauß der schönsten Blumen, den er ihr entgegenstreckte.

„Ich möchte mich bei Ihnen für mein Verhalten entschuldigen“, sagte dieser ernst und versuchte so bekümmert wie möglich dreinzuschauen. Dies war Lucy jedoch völlig egal. Anstelle ihres geliebten Benjamins stand vor der Tür der Mann, der ihren Mann zu Unrecht verurteilt hatte. Ohne noch einen Gedanken daran zu verschwenden, schloss Lucy die Tür geräuschvoll hinter sich und sank unglücklich zu Boden, wo sie schluchzend blieb.
 

Everyday he’d send her a flower,

But did she come down from her tower?

Sat up there and sobbed by the hour,

Poor foul.
 

Es war zum Verzweifeln. Was sollte sie nur tun? Was konnte sie nur machen? Mrs Lovett hatte mit ihrer Vermutung recht gehabt, das war Lucy nun mit Entsetzen bewusst geworden. Nicht nur das. Wenn sie weiter drüber nachdachte, so kam sie zu dem Schluss, dass es ganz allein ihre Schuld gewesen war, die Benjamin verurteilt hatte. Nie würde sie sich das verzeihen können. Immer weiter versank sie in diesen düsteren Gedanken und außer erstickten Schluchzern war nichts von ihr zu hören. Das Klopfen und die Rufe des Richters ignorierte Lucy geflissentlich, bis sie Johanna geweckt hatten.

Mühsam erhob sich die Mutter des kleinen Kindes. Gedankenverloren kümmerte sich Lucy um ihre Tochter und versuchte so liebevoll wie möglich zu ihr zu sein. Denn wenn Benjamin erfahren würde, dass Lucy wegen ihm ihr Kind vernachlässigte, würde er gewiss enttäuscht sein. Schließlich waren sie und Johanna sein ein und alles. Es reichte schon, dass es ihr selbst schlecht ging, das musste nicht auch noch Johanna widerfahren.
 

Im Laufe des Nachmittags schaute Mrs Lovett noch einmal bei Lucy vorbei, da sie ahnte, dass sich der Zustand der Frau des Barbiers nicht gebessert haben würde. Und ihre Ahnung hatte sie nicht getäuscht. Mrs Lovett fand Lucy, versunken in all ihrem Trübsal und Elend, auf dem Bett vor. Verärgert stemmte die Bäckerin die Hände in die Hüfte. Was bildete sich dieses dumme Ding eigentlich ein? Es gab Leute in den Gassen Londons, denen es bei weitem schlechter ging und wenn sie so weitermachen würde, dann würde Lucy erst wirklich zu spüren bekommen, was es hieß Elend und Unglück zu haben. Und nicht nur Lucy, nein, sie würde gleichzeitig auch ihre und Benjamins gemeinsame Tochter Johanna mit hineinziehen. Was würde Benjamin nur dazu sagen, wenn er davon erführe?

„Mrs Barker!“, schimpfte Mrs Lovett, die nicht mehr an sich halten konnte. „Reißen Sie sich gefälligst zusammen! Auch wenn es für Sie derzeit den Anschein hat, als sei die Welt untergegangen, sollten Sie sich all die elenden Leute in den Straßen dieser Stadt in Erinnerung rufen und Sie werden sehen, wie gut Sie es noch haben. Ihr Verhalten würde einzig und allein Ihren Mann traurig stimmen, wenn er wüsste, was während seiner Abwesenheit geschieht.“

„Aber, wenn er gar nicht mehr wiederkommt“, rief Lucy aus, die überhaupt nicht bemerkt hatte, wie Mrs Lovett in die Wohnung gekommen war. „Was soll ich denn dann tun?“ Daraufhin brach sie wieder in ein herzzerreißendes Schluchzen aus. „Was Sie dann tun werden?“, wiederholte Mrs Lovett verärgert. „Sie werden sich um Johanna kümmern, wie es ihr Mann gewollt hätte! Wie können Sie nur so denken? Die kleine Johanna ist auf Sie angewiesen, Mrs Barker, vernachlässigen Sie nicht ihre Pflicht gegenüber ihrer Tochter, denn – und dessen bin ich mir sehr gewiss – das würde Ihr Mann wirklich nicht gern sehen!“
 

Die Bäckerin hatte genau das ausgesprochen, was Lucy eigentlich schon wusste. Und dennoch wollte die Frau des Barbiers nicht wahrhaben, dass nun eine neue Zeit für sie und Johanna einbrechen würde. Eine Zeit ohne Benjamin. Eine Zeit, die schrecklicher nicht hätte sein können. Aber es blieb Lucy gar nichts anderes übrig, als sich zusammenzureißen und zu versuchen, das Beste draus zu machen und wenn es nur Benjamin zu liebe war.

„Sie haben ja recht“, gab Lucy betreten zu. Dann setzte sie sich aufrecht hin, unterdrückte ein Schluchzer und zwang sich dazu, sich zu beruhigen.

„Da sehen Sie, das ist schon einmal ein guter Anfang“, baute Mrs Lovett die Frau des Barbiers wenn auch etwas widerwillig auf. „Und nun sollten Sie sich zuerst einmal zurecht machen, Mrs Barker, Sie sehen ja schrecklich aus.“

Und damit hatte die Bäckerin gar nicht mal so Unrecht. Lucys Gesicht war verquollen, ihre Augen gerötet, das schöne Kleid, was sie sich gestern für den Besuch beim Richter angezogen hatte, völlig zerknittert und ihr Haar stand ihr wirr vom Kopf ab und war hoffnungslos zerzaust. Es würde eine Weile dauern, bis Lucy sich wieder soweit zurecht gemacht hatte, dass man ihr erst auf den zweiten Blick ihr Elend ansehen konnte.

Während Mrs Lovett wieder runter in ihr Pastetengeschäft ging, befolgte Lucy ihren Rat. Dankbar für die Ablenkung wusch sich die Frau des Barbiers, zog sich ein frisches Kleid an und verbrachte eine lange Zeit damit, ihr Haar auszukämmen.
 

Als der Tag sich dem Ende neigte, schaute Mrs Lovett noch einmal bei Lucy vorbei. Dieses Mal fand sie Benjamins Frau nicht trübselig auf dem Bett vor, sondern zusammen mit Johanna spielend. Die Bäckerin wusste nicht, ob sie über die Tatsache von Lucys Besserung nun glücklich oder traurig sein sollte, doch beschloss sie abzuwarten und dann erst ein Urteil zu fällen. Jetzt hieß es für sie, den Kontakt zu Lucy zu wahren und wider jegliche Vernunft auf Benjamins Rückkehr zu hoffen.

„Ah Mrs Barker“, sagte Mrs Lovett, als sie unerwartet das Zimmer betrat. Sie hatte wiedermal den Ersatzschlüssel benutzt. „Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen, doch dachte ich mir, Sie würden sich vielleicht über ein paar Pasteten freuen.“ Überrascht über den plötzlichen Besuch ihrer Vermieterin sah Lucy auf, jedoch störte sie sich nicht daran, sondern brachte sogar ein kleines Lächeln zustande. „Nein, keineswegs“, versicherte sie. „Kommen Sie ruhig herein und leisten Sie uns ein wenig Gesellschaft.“

Dies tat Mrs Lovett auch und während sie gemeinsam mit Lucy die mitgebrachten Pasteten, die noch vom Vortag waren, aß, musste sie feststellen, dass sich der Zustand von Benjamins Frau in der Tat ziemlich gebessert hatte. Lucys Stimme schwankte zwar hin und wieder ein wenig, doch war ihre düstere Stimmung verschwunden. Stattdessen glitt hin und wieder ein kleines Lächeln über ihr Gesicht, wenn sie Johanna zärtlich in den Armen hielt.

Irgendwann fand Mrs Lovett, dass es an der Zeit zu gehen war. Sie hatte für heute eigentlich schon viel zu viel für Lucy getan und sollte sich nun um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.

Als ihre Vermieterin wieder gegangen war, sang Lucy die kleine Johanna in den Schlaf um anschließend selbst schlafen zu gehen. Doch trotz ihrer besseren Laune war ihre Nacht geplagt von Albträumen…
 

Am nächsten Morgen wurde Lucy wieder durch ein Klopfen an der Tür geweckt. Dieses Mal jedoch blieb sie einfach im Bett liegen. Sie wollte nicht wissen, wer vor der Tür stand und wenn es, was höchstwahrscheinlich der Fall war, wieder Richter Turpin war, wollte sie dies erst recht nicht. Sie hatte Glück; nach einiger Zeit hörte das Klopfen auf, sodass sie nicht gezwungen war, letztendlich doch an die Tür zu gehen.
 

Im Laufe des Vormittags schaute Mrs Lovett noch einmal vorbei und erkundigte sich nach Lucys Wohlbefinden, der es wieder viel besser ging. Doch die gute Stimmung von Benjamins Frau verflüchtigte sich mit einem mal, als Mrs Lovett ihr einen Blumenstrauß reichte.

„Hier bitte, Mrs Barker, der muss für Sie sein. Ich habe ihn vor Ihrer Tür gefunden“, sagte die Bäckerin und reichte der entsetzten Lucy den Blumenstrauß. Doch diese nahm ihn nicht an. „Legen Sie ihn weg!“, flüsterte sie mit zitternder Stimme. „Bitte, legen Sie ihn weg!“

Mrs Lovett zuckte nur die Achseln und legte den hübschen Blumenstrauß auf einen Tisch. „Der Richter hat Ihnen die Blumen vor die Tür gelegt, oder?“, fragte sie schließlich, um ihren Verdacht bestätigt zu wissen. Lucy nickte nur. „Das dachte ich mir“, erklärte die Bäckerin. „Gucken Sie mal nach draußen, Mrs Barker, aber erschrecken Sie bitte nicht.“
 

Vorsichtig schaute Lucy aus dem kleinen Fenster in der Wand und zuckte erschrocken zurück. „Das kann nicht sein!“, flüsterte sie.

Draußen in der Straße stand Richter Turpin zusammen mit dem Büttel. In seiner Hand hielt der Richter einen zweiten Blumenstrauß und starrte unentwegt zum Fenster der Barker hinauf, ein reuiges Lächeln auf den Lippen.

„Was soll ich denn jetzt nur tun?“, fragte Lucy verzweifelt. Wie es aussah, würde der Richter nicht aufgeben und alles tun, um ihre Aufmerksamkeit zu erhalten. „Ignorieren Sie ihn einfach“, meinte Mrs Lovett nur. „Das ist das Beste, was Sie tun können, Mrs Barker.“

„Ihn ignorieren?“ Erstaunt sah Lucy ihre Vermieterin an. „Aber wie soll das gehen? Er ist der Richter!“

Leise stieß Mrs Lovett einen Seufzer aus und meinte dann: „Er mag zwar der Richter sein, doch trotzdem können Sie auch ihn, wie jeden anderen Menschen, versuchen zu ignorieren.“ Lucy war immer noch nicht ganz überzeugt davon, jedoch wusste sie sich selbst nicht anders zu helfen. „Vielen Dank für Ihre Unterstützung, Mrs Lovett. Ich werde es versuchen“, murmelte sie, da ihr Mrs Lovett bis jetzt eine große Hilfe gewesen war und warum sollte es dieses Mal anders sein?
 

Als Mrs Lovett wieder gegangen war, kümmerte sich Lucy um Johanna. Den Blumen, die auf dem Tisch lagen, schenkte sie dabei keine Beachtung. Stattdessen mied sie das Fenster und verbannte jegliche Gedanken an den Richter, was sie jedoch nur eine kurze Zeit lang aushielt.

In der Hoffnung, dass der Rat ihrer Vermieterin funktionieren würde, spähte Lucy noch einmal aus dem Fenster. Es schien als hätte der Richter sich überhaupt nicht vom Fleck bewegt. Nach wie vor stand er dort unten, ein reuiges, um Verzeihung heischendes Lächeln im Gesicht und den Strauß schönster Blumen fest in der Hand, während er weiterhin zum Fenster hinauf starrte. Lucy sah keine andere Möglichkeit mehr, als den beiden deutlich vor Augen zu führen, wie viel sie von ihnen hielt. So straffte sie sich und schaute möglichst herablassend aus dem Fenster, um sich dann mit Johanna im Arm so würdevoll wie nur möglich wieder umzudrehen und sich mit anderwärtigem zu beschäftigen. Und tatsächlich, diese Geste brachte den gewünschten Erfolg.

Als Lucy gegen Mittag erneut aus dem Fenster schaute, machte ihr Herz einen freudigen Satz, nachdem sie festgestellt hatte, dass der Richter samt Büttel wieder verschwunden war. Erleichtert setzte sie sich aufs Bett und dankte Mrs Lovett stumm für ihre Hilfe. Lucy musste sich bei Zeiten wirklich bei ihrer Vermieterin für ihre Hilfe und Unterstützung bedanken, ohne diese wäre sie längst schon verzweifelt. Nun, so dachte Johannas Mutter, würde sie fürs erste Ruhe vor Richter Turpin haben.
 

Ah, but there was worse yet to come-

Poor thing.
 

Doch am Abend sollte Lucy eines Besseren belehrt werden. Der schmale Streifen der untergehenden Sonne am Horizont tauchte die Straßen Londons in ein schwaches rötliches Licht. Lucy hatte Johanna gerade liebevoll in den Schlaf gesungen, als es dumpf an der Tür pochte. Verwundert sah Lucy auf. Wer wollte denn um diese Zeit noch etwas von ihr? Vielleicht aber war es noch einmal Mrs Lovett, die ihr etwas Wichtiges mitteilen wollte, etwas, was vielleicht Benjamin betraf. Dieser Gedanke ließ Lucys Herz schneller schlagen und veranlasste sie dazu, eilig aufzuspringen und zur Tür zu hasten. Doch als sie sah, wer wirklich vor der Tür stand, hätte sie sie am liebsten wieder zugeschlagen. Es war der Büttel, der ihr eines seiner schmierigen Lächeln schenkte. „Guten Abend, Mrs Barker“, grüßte er und deutete eine Verbeugung an.

Lucy hielt sich gar nicht damit auf, diesen zu begrüßen. Erbost zischte sie: „Verschwinden Sie! Ich will Sie nie wieder vor meiner Tür stehen sehen!“, und wollte die Tür wieder schließen, was ihr jedoch nicht mehr möglich war, da der Büttel seinen Fuß dazwischen stellte.
 

The Beadle calls on her, all polite,

Poor thing, poor thing
 

„Aber, aber gute Frau“, sagte er, „hören Sie doch erst einmal, was ich Ihnen zu sagen habe.“

„Nein danke, ich bin nicht interessiert“, erwiderte Lucy knapp, wobei sie sich alle Mühe gab, so selbstsicher, wie sie es nur zustande brachte, zu erscheinen. „Und jetzt lassen Sie mich bitte in Ruhe!“

Bamford jedoch ließ sich nicht vertreiben, ungehindert fuhr er fort: „Der Richter schickt mich. Er bereut zutiefst, was er gesagt hat und möchte sich dafür bei Ihnen entschuldigen. Da aber heute ein Ball in seinem Haus stattfindet, ist er an diesem Abend leider verhindert. Sie müssen wissen, der Richter schämt sich für sein unangebrachtes Verhalten und fühlt sich schuldig, dass er Ihren Mann verurteilt hat, deswegen schickte er als Entschädigung mich. Ich soll Ihnen ausrichten, dass er sich sehr freue, wenn Sie ihm heute auf dem Ball Gesellschaft leisten würden.“

Beinahe war Lucy versucht, das Angebot anzunehmen. Noch nie war sie auf einem Ball gewesen, doch stellte sie sich solchen als wunderbar vor und es war einer ihrer größten Wünsche zu einem zusammen mit ihrem Liebsten gehen zu können. Und nun, da sich ihr diese einmalige Gelegenheit bot, war es ihr nicht möglich zusammen mit Benjamin, wie sie es sich schon so oft ausgemalt hatte, dorthin zu gehen. Hinzu kam, dass ausgerechnet der Mann, der den Ball veranlasst hatte, daran schuld war.
 

The Judge, he tells her, is all contrite,

He blames himself for her dreadful plight,

She must come straight to his house tonight!

Poor thing, poor thing.
 

“Das ist schön, nur ist dem Richter dies zu spät eingefallen“, verkündete Lucy. „Richten Sie ihm doch bitte aus, dass ich gänzlich abgeneigt bin, seiner Einladung nachzukommen!“ Ihr Versuch, dadurch den Büttel zu vertreiben, war vergebens. Er wollte sich nicht einfach vertreiben lassen, ohne seine Aufgabe erfüllt zu haben.

Langsam aber sicher bröckelte Lucys Widerstand, als sie merkte, wie sinnlos dieser war. Egal was sie auch tat oder sagte, der Büttel wollte einfach nicht wieder gehen.

Dieser sah wie Benjamins Frau unsicher wurde. „Der Ball ist einzigartig und wird Ihnen sicherlich gefallen“, versprach Bamford, der bemerkte, wie Lucy bei diesen Worten verärgert die Lippen aufeinander presste. Ja, sie wollte so gerne dahin, doch würde sie dies nie mit ihrem Gewissen vereinbaren können, es sei denn…

„Es ist der Wunsch des Richters“, fügte der Büttel hinzu, wobei er jedes Wort nachdrücklich betonte, um zu zeigen, dass es mehr als nur ein Wunsch sondern ein Befehl in Form eines Wunsches ausgedrückt war. Dies hatte Lucy mittlerweile erkannt. Es war sinnlos, sich weiterhin zu weigern, der Bitte oder auch dem Befehl des Richters nachzukommen. Und eigentlich wollte sie doch schon immer mal in den Genuss eines Balls kommen, wie ihn sonst nur die feine Gesellschaft hatte… Zudem konnte sie vielleicht auch den Richter dazu bewegen, Benjamin für unschuldig zu erklären, denn es blieb nicht mehr viel Zeit. Morgen bei Tagesanbruch würde das Schiff, was den zu unrecht verurteilten Barbier nach Australien deportieren würde, ablegen.

Widerwillig gab Lucy mit einem Seufzen nach. „Also gut, wie mir scheint, hat es keinen Zweck die Einladung abzulehnen. Warten Sie bitte nur einen Augenblick, ich will mir noch schnell ein schönes Kleid anziehen.“

Mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht wartete der Büttel auf Lucy, die kurze Zeit später in einem hellrosa Kleid wiederkam. Dann folgte sie ihm durch die dunklen Gassen Londons. Die Nacht war mittlerweile eingebrochen und nur gelegentlich vertrieb das Licht eines Kaminfeuers aus einem Fenster oder das einer Laterne die Dunkelheit. Lucys Unwohlsein wuchs mit der Zeit immer weiter an. Die Schatten, die das schwache Licht an die dreckigen Häuserwände warf sowie die unheimlichen Gestalten, die sich in der Nacht herumtrieben, jagten ihr Angst ein. Sie verwünschte sich schon dem Drängen des Büttels nachgegeben zu haben und wollte nichts weiter, als in ihrem Bett eingekuschelt in mehreren Decken liegen und die glucksenden Geräusche der schlafenden Johanna hören.
 

Of course, when she goes there,

Poor thing, poor thing
 

Es kam Lucy vor, als sei eine halbe Ewigkeit vergangen, als sie endlich das Haus des Richters erreicht hatten. Sie konnte sich gut daran erinnern, wie sie vor zwei Tagen wutentbrannt das Gebäude verlassen und sich geschworen hatte, nie wieder auch nur einen Fuß über die Schwelle des Hauses zu setzen. Und nun kam sie in Begleitung des Büttels wieder, würde das Haus betreten, um mit dem Mann zu sprechen, der ihren Mann zu Unrecht verurteilt hatte.

Als Lucy diese Gedanken kamen, stieg das schlechte Gewissen in ihr hoch. Eigentlich sollte sie sich nicht hier befinden. Eigentlich sollte sie in ihrer Wohnung sein und auf Johanna aufpassen. Nun war ihre kleine Tochter ganz allein. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, hätte Lucy Mrs Lovett wenigstens bescheid gesagt, dass sie auf den Ball des Richters ging und Johanna deswegen alleine war. Doch konnte Lucy nicht schon wieder ihre Vermieterin um Hilfe bitten und was hätte diese nur dazu gesagt, dass Lucy erneut den Richter aufsuchte, denn etwas anderes tat sie ja eigentlich nicht. Nein, es war wirklich besser, dass Mrs Lovett nicht informiert war, redete sich Benjamins Frau ein. Außerdem würde sie ja nur wenige Stunden fort sein…
 

Schließlich wurde Lucy wieder gänzlich von der Pracht des Hauses gefangen, nachdem sie eingetreten war. Beeindruckt sah sie sich um. Ihr Unwohlsein war verschwunden und die dunkle Nacht draußen längst wieder vergessen. Stattdessen schwelgte sie in Träumereien, malte sich aus, wie es wäre, nun zusammen mit Benjamin hier zu sein und glaubte Musik ebenso wie Stimmen und Gelächter zu hören. In der Tat wurden diese Geräusche immer lauter, je weiter Lucy Bamford ins Innere des Hauses folgte, bis sie die Ausgelassenheit förmlich in der Luft spüren konnte, was ihr törichte Gedanken brachte. Saß ihre Frisur auch wirklich richtig? Hatte sie da nicht ein Fleck auf dem rosa Stoff ihres Kleides? Wäre es nicht besser gewesen, wenn sie doch lieber ihr anderes Kleid angezogen hätte? Solche und andere Fragen gingen ihr in sekundenschnelle durch den Kopf und machten sie nur noch nervöser, als sie ohnehin schon war. Doch es waren allesamt belanglose Gründe, weswegen eigentlich kein Anlass zur Nervosität bestand.
 

Endlich hatten sie eine große doppelflügelige Holztür erreicht. Kaum, dass der Büttel mehrmals dagegen geklopft hatte, wurde diese von zwei Dienern geöffnet und gab Lucy den Blick auf einen großen Saal frei, dessen Wände mit prächtigem roten Samt behangen waren und an dessen Decke in zwei Reihen kostbare Kronleuchter hingen, die den Saal in ein warmes Kerzenlicht tauchten.

Als Lucys Blick jedoch auf die Tanzenden fiel, erschrak sie. All ihre Bedenken waren sinnlos gewesen, da sie sich vielmehr auf etwas anderes hätte konzentrieren sollen. Dies war kein gewöhnlicher Ball. Was ihr der Büttel zu ihrem Unglück verschwiegen hatte, war, dass sie auf einen Maskenball eingeladen worden war.
 

They’re having this ball all in masks.

There’s no one she knows there,

Poor dear, poor thing.
 

Am liebsten hätte Lucy auf der Stelle wieder kehrt gemacht, nur hatte sie keine Wahl mehr. Der Büttel ergriff ihre Hand und führte sie in den Saal hinein mitten in die tanzende Menge. Gestalten in den prächtigsten Gewändern und mit den beeindruckensten Masken wirbelten um Lucy herum, welche durch die Masken keinen einzigen von den anderen Gästen erkennen konnte. Trotzdem war sie sich sicher, dass sie, auch wenn keiner eine Maske tragen würde, niemanden kennen würde. So aber kam sie sich nun schrecklich entblößt und ausgeliefert vor. Keine Maske verbarg Lucy vor den anderen, sodass sie nun jeder der Anwesenden sofort erkennen oder zumindest später wissen würde, wer sie war und genau das war es, was ein Maskenball eigentlich verhindern sollte. Diese Tatsache ließ Lucys Unwohlsein stärker als zuvor zurückkehren und sie wünschte sich zum zweiten Mal an diesem Abend der Aufforderung des Büttels nicht nachgegeben zu haben.

Nun stand Benjamins Frau völlig verloren da. Bamford war unter den Gästen untergetaucht und sie selbst wusste nicht, was sie tun sollte. Schließlich rang sie sich dazu durch den Saal zu erkunden, wobei sie sich durch die tanzenden Paare kämpfen musste. Sie konnte die bohrenden Blicke der anderen förmlichen spüren und fühlte sich immer elender. Um sich zu beruhigen, nahm sie eins der Getränke, die in einer Ecke des großen Saals angeboten wurden. Es war ein edler Weißwein. Ohne nachzudenken kippte Lucy ihn in einem Zug hinunter und schenkte sich erneut ein. Eine wohlige Wärme fing an, sich in ihr auszubreiten und senkte ihre Nervosität.
 

She wanders tormented, and drinks,

Poor thing.
 

Als Lucy glaubte, sich soweit wieder beruhigt zu haben, beschloss sie, nach dem Richter zu suchen, in dem festen Glauben, dass er seinen Fehler zutiefst bereute und nur darauf wartete, sich bei ihr zu entschuldigen. Und wenn dies passierte, so hatte Lucy es sich fest vorgenommen, wollte sie ihn umschmeicheln, um ihn am Ende darum zu bitten, ihren geliebten Benjamin zu begnadigen oder wenigstens das Urteil zu mindern.
 

The Judge has repented, she thinks,

Poor thing.
 

Nachdem Lucy all ihr Selbstbewusstsein zusammen gekratzt hatte, ging sie auf eine Gruppe am Rande der Tanzfläche zu. Sie wusste, dass es unhöflich war, sich einfach mitten in ein fremdes Gespräch einzumischen, doch blieb ihr keine andere Wahl. Richter Turpin ebenso wie der Büttel war nirgends zu sehen und so musste sie sich nun mal an andere wenden.
 

„Oh where is Judge Turpin?“, she asks.
 

„Verzeihung“, sagte Lucy zaghaft und räusperte sich. „Ist einem von Ihnen bekannt, wo sich der Richter gerade befindet?“ Keiner der Gruppe ließ sich dazu herab, eine Antwort zu geben. Stattdessen ignorierten sie Benjamins Frau einfach und führten ihr Unterhaltung fort, als sei nie etwas gewesen.

All ihre Mühen waren vergebens. Wen Lucy auch wagte anzusprechen, niemand ließ sich dazu herab, ihr zu antworten. Überall wurde sie ignoriert oder man gab ihr zu verstehen, dass man nichts mit ihr zu tun haben wolle.

Schließlich sah Lucy einen prächtig gekleideten Mann auf sie zu kommen. Er hielt sich eine rote Maske vors Gesicht und als er nur noch wenige Schritte von Benjamins Frau entfernt war, nahm er die Maske herab.

Als Lucy sah, wen sie da vor sich stehen hatte, atmete sie erleichtere auf. Es war Richter Turpin. Endlich hatte sie ihn gefunden! Nun konnte sie mit ihm alles noch einmal in Ruhe besprechen. Doch irgendetwas stimmte nicht. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihr aus, das ihr zu verstehen gab, dass sie vorsichtig sein sollte.

Etwas verwundert schaute Lucy in das Gesicht des Richters und langsam verstand sie, woher ihr ungutes Gefühl kam. Es war der Blick Turpins, der auf ihr ruhte, welcher ihr nicht gefiel. Mehr noch. Es schien als hätte Richter Turpin nicht im Geringsten bereut, was vor zwei Tagen vorgefallen war.
 

He was there, all right-

Only not so contrite!
 

Es gab nichts mehr was Lucy noch da hielt. Auf dem Absatz wollte sie kehrtmachen und das Haus umgehend verlassen, doch es ging nicht. Kaum hatte sie sich umgedreht, spürte sie den festen Griff des Richters an ihrem Handgelenk, der sie dazu zwang sich wieder zu Turpin zu drehen. Ein spöttisches Lächeln erschien auf dessen Gesicht. „Mrs Barker, Sie wollen uns doch nicht schon verlassen, jetzt, da das Beste gerade erst beginnt“, sagte er.
 

She wasn’t no match for such craft, you see,

And everyone thought it so droll.
 

Panik stieg in Lucy hoch. Der Blick des Richters war voller Begierde auf sie gerichtet und gab die schmutzigen Absichten Turpins frei. Verzweifelt wand sie sich, doch der eiserne Griff des Richters gab nicht nach und unnachgiebig zog dieser sie mit sich. Lucys Blick irrte hilfesuchend durch den Raum. Keiner tanzte mehr. Alle hatten sich um sie und Richter Turpin versammelt und beobachteten amüsiert, was sich vor ihren Augen abspielte. Auch der Büttel befand sich unter ihnen, der, als Lucys Blick ihn streifte, mit einem boshaften Grinsen die Maske herunter nahm und sich Benjamins Frau so zu erkennen gab.
 

They figured she had to be daft, you see,

So all of ‘em stood there and laughed, you see,

Poor soul!
 

Der Anblick, den Lucy abgab, musste wahrlich komisch sein, denn mittlerweile waren die umstehenden in schallendes Gelächter ausgebrochen, deuteten ungerührt mit ihren Fingern auf Lucy, die in ihren Augen mehr als nur dämlich sein musste und amüsierten sich köstlich. Niemand von ihnen würde auch nur einen Finger rühren, um der völlig verzweifelten Frau zu helfen.

Für Lucy wurde die Situation immer schrecklicher, denn nun machten sich auch die Auswirkungen des Alkohols, den sie kurz zuvor zu sich genommen hatte, bemerkbar. Noch nie hatte sie viel davon vertragen so auch dieses Mal.

Die in prächtigen Kleidern gewandeten Gäste wurden unscharf, die Farben jedoch wurden greller und unerträglich ebenso wie die Geräusche, die irgendwie lauter waren.

Langsam verlor Richter Tupin die Geduld. Er packte Lucy nun mit der anderen Hand an der Taille und führte sie eisern aus dem Saal heraus. Panisch versuchte diese sich noch zu wehren, doch je weiter sie kamen, desto mehr wurde ihr die schreckliche Wahrheit bewusst, dass es vergebens war, dass niemand auch nur einen Finger krumm gemacht hatte, um ihr zu helfen und auch alles Protestgeschrei nichts nutzen würde. Die Gerechtigkeit, an die sie immer voller Überzeugung geglaubt hatte, gab es nicht.

Dann hatten sie eine Tür erreicht, hinter der sich das Schlafgemach des Richters verbarg, in welches dieser Lucy nun mit einem genüsslichen Grinsen führte. Endlich hatte er es geschafft, niemand hatte ihm mehr im Wege gestanden, alles sollte so sein, wie er es sich immer schon erträumt hatte!

Während Lucy in Tränen ausbrach, schloss sich hinter ihr die Tür und besiegelte ihr grässliches Schicksal.
 

Poor thing!
 

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Ich hab's endlich geschafft! Tut mir wirklich Leid, dass es am Ende doch noch so lange gedauert hat mit dem Kapitel, aber ich hätte nie damit gerechnet, dass es so lang wird!

Na ja das war jetzt mal mein erster Songfic Versuch. Ich habe versucht mich soweit es geht auf den Text zu beziehen, auch wenn es mir wahrscheinlich nicht immer so gut gelungen ist. Hat aber auf jeden Fall Spaß gemacht und vielleicht wird es manche freuen, dass die FF vielleicht doch noch länger wird als geplant...

So das wars jetzt erstmal. Zum Schluss nur noch: Danke für eure tollen Kommis, die sind wirklich ne klasse Motivation^^
 

lg -Hakura

Vom Regen in die Traufe

Wichtige Info: Vielleicht wundert sich der ein oder andere, warum ich dieses Kapitel als neu hochgeladen habe, obwohl es ja nur eine Überarbeitung ist. Zwar stimmt das schon, aber unterscheidet sich diese Version sehr von ihrer vorherigen, sodass ich sie als neues Kapitel hochgeladen habe. Außerdem empfehle ich, das Kapitel noch einmal zu lesen, da sich inhaltlich ein wenig getan hat und vielleicht für den späteren Verlauf der FF wichtig wird.

So und nun genug geschwafelt... Viel Spaß beim lesen^^

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Nach beinahe vier schrecklich langen Monaten, die Benjamin wie eine Ewigkeit vorgekommen waren, öffneten sich endlich die Türen Newgates, um ihn aus seiner dunklen Gefängniszelle herauszulassen. Es waren die schlimmsten Monate seines Lebens gewesen. Nie hätte er es sich vorzustellen vermocht, solch einem Elend, Leid und auch Schrecken zu begegnen, wie sie im Newgate vorzufinden waren. Der Ausdruck „Menschenachtung“ war dort ein Fremdwort. Pausenlos erfüllten, die vom Pein der Insassen hervorgebrachten, Laute die Zellen und die Luft war geschwängert vom Gestank ungewaschener Leiber, Unrats, Exkrementen und wer wusste, mit was noch allem.

Jedes Mal hatte Benjamin aufs Neue gehofft, man möge ihn schnell wieder herausholen. Und nun, als dies endlich geschehen und er aus diesem schrecklichen Loch herausgekommen war, war der süße Duft der Freiheit, den die frische Luft mit sich trug, bloß von kurzer Dauer, denn seine Situation sollte sich nicht zum Besseren wenden. Dafür hatte vor drei Tagen das Urteil Turpins gesorgt.
 

Kaum, dass die Sträflinge ihren Fuß aus Newgate gesetzt hatten und den kalten Winterwind im Gesicht spürten, wurden sie von den Wärtern grob, wenn nötig auch mit Schlägen, zusammengedrängt und jeweils zu zweit aneinander gekettet.

Ehe Benjamin das alles so recht begreifen konnte, war er mit einem ausgemergelten Mann, der nur wenige Jahre jünger als er selbst sein konnte, unweigerlich durch Eisen verbunden. Zeit für ein Gespräch blieb ihm jedoch nicht, denn ohne ein Wort zu verlieren, lief der Gefangene an seiner Seite auf einen der Kastenwagen zu, in die die Sträfling nun getrieben wurden. Benjamin hatte keine andere Wahl als ihm zu folgen, wenn er nicht einen Sturz vermeiden wollte, der ihnen bloß schmerzhafte Hiebe der Wärter beschert hätte.

Vorsichtig kletterte der Barbier in den Wagen, der glücklicherweise noch recht leer war, sodass sie sich einen halbwegs angenehmen Platz aussuchen konnten. Schon nach kurzer Zeit war das Innere des Kastenwagens restlos mit Sträflingen gefüllt, die kaum mehr Platz hatten, um auch nur eine kleine Bewegung auszuführen. Dann wurde die Tür des Wagens geschlossen.

Mit einem Mal erhellte bloß ein dämmriges Licht, welches spärlich durch die kleinen Ritzen zwischen den Holzbrettern fiel, das Innere, ansonsten waren die Sträflinge in Dunkelheit gefüllt. Es war furchtbar eng dort drinnen. Dicht aneinander gepresst, saßen die Sträflinge auf dem harten mit Stroh bedeckten Holzboden und schon jetzt wurde die Luft immer muffiger.

Benjamin war froh, einen Platz an der Wand bekommen zu haben. So konnte er sich wenigsten anlehnen und war nicht ringsum von erbärmlich stinkenden Sträflingen umgeben. Neben ihm kauerte sein Mitgefangener, mit dem er fürs erste verbunden war. Neugierig musterte der Barbier ihn unauffällig. Mit stumpfem Blick starrte dieser ins Leere und gab keinen Laut von sich. Das helle, verfilzte Haar hing ihm strähnig ins wettergegerbte Gesicht, was ihn jedoch nicht zu stören schien.

Seufzend lehnte Benjamin sich zurück, als er erkannte, dass er mit seinem Mitgefangenen wohl erstmal keine Unterhaltung führen konnte. Während die vor den Wagen gespannten Pferde sich in Bewegung setzten, kam im Barbier die Frage auf, ob er überhaupt reden wollte. Und dann auch noch mit einem Sträfling! Schnell verwarf er diesen Gedanken wieder, war er doch schließlich selbst einer. Nein, er wünschte sich einzig und allein wieder eine normale Unterhaltung ohne obszöne Ausdrücke, um nicht ganz den Sinn für die Wirklichkeit zu verlieren.
 

Begleitet vom Rumpeln der fahrenden Wagen, lauschte Benjamin den schrecklichen Lauten, die die anderen Gefangenen von sich gaben. Aber bis auf ein paar Flüche oder Verwünschungen konnte er keine Unterhaltung heraushören.

Müde drehte er den Kopf auf die andere Seite und ließ sich vom Geholper durchrütteln, wobei er gedankenverloren seinen Blick durch das Innere des Kastenwagens schweifen ließ. Mittlerweile war er unempfindlich gegenüber dem Anblick des Elends geworden. Meist nahm er dieses kaum mehr wahr, sondern verlor sich viel eher in seinen Gedanken. Neben denen an Lucy und auch Turpin gesellte sich ein neuer dazu, der seine Situation nicht besser hätte beschreiben können.

„Wie Vieh“, murmelte Benjamin. Er hatte es sich in den vier Monaten angewöhnt, hin und wieder seine Gedanken laut zu äußern, damit er seine eigene Stimme hörte, da er die Unterhaltungen mit den anderen Insassen Newgates irgendwann gemieden hatte.

„Ja, genau so lässt sich das beschreiben“, stimme ihm auf einmal jemand zu. „Wie Vieh ist unsere Behandlung – vielleicht sogar schlechter…“

Verwundert drehte sich Benjamin in die Richtung, aus der er die Stimme gehört hatte und sah in das Gesicht des Mannes, mit dem er zusammengekettet war. Dieser musterte ihn mit einem sonderbaren Blick, dann lächelte er.

„Bin Richard Walker.“

Bei diesen Worten hielt er dem noch etwas verwundert dreinschauenden Barbier die Hand entgegen, bis dieser sie schließlich ergriff und das Lächeln erfreut erwiderte. Wie es schien, hatte Benjamin in all dieser schrecklichen Zeit mal das Glück auf seiner Seite!

„Benjamin Barker – es freut mich wirklich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr Walker.“

„Die Freude ist ganz meinerseits, Mr Barker“, erwiderte Richard mit einem unterdrückten Grinsen und prustete schließlich los. „Auf die Floskeln kannste hier wirklich pfeifen, mein Guter! Nenn mich einfach Richard.“

Benjamin lächelte etwas gezwungen. Seine Hoffnungen hatten sich doch nicht erfüllt. Richard schien keinen Deut besser als die anderen Sträflinge zu sein, mit denen er bereits ein, seiner Meinung nach, anständiges Gespräch versucht hatte zu führen. Dennoch sagte er sich, dass er es wenigstens mit ihm versuchen sollte, denn wenn er Pech hatte – und das hatte er in letzter Zeit wahrlich oft – würde er für eine längere Zeit mit seinem Mitgefangenen unabänderlich durch Eisenketten verbunden sein.

„Ist in Ordnung … Richard“, entgegnete der Barbier schließlich. „Ich werde es mir merken.“

„Glaub mir, du wirst deine alten Gewohnheiten schneller los, als du’s dir vorstellen kannst“, meinte Richard darauf nur. „Ich weiß, wovon ich rede.“ Und Benjamin kam es bei den letzten Worten vor, als läge etwas wie Schmerz in Richards Blick.

Dann sagte eine Weile lang keiner der beiden mehr etwas. Schweigend kauerten sie eingezwängt an der Wand und hingen jeder seinen eigenen Gedanken nach. Wie fast immer war Benjamin darum bemüht, das ganze Geschehen um sich herum einfach mit allen Sinnen auszublenden. Nichts sollte ihn in diesem Moment daran erinnern, wo er sich wirklich befand, lieber lebte er in einer Traumwelt, als die Realität zu akzeptieren.
 

So verstrich eine schrecklich, endlos lange Zeit in dem Wagen, den sie nur einmal für eine Rast verlassen durften, bis sie schließlich den Hafen erreicht hatten. Die Luft im Wageninneren stank bestialisch und Benjamin war froh, als es ihnen endlich erlaubt war, diesen zu verlassen. Selbst der faulige Geruch das Hafenwasser kam in seinem Gestank nicht annähernd an den heran, der die Kastenwagen erfüllte.

Doch schnell schlug die Erleichterung des Barbiers in bloßes Elend um. Die Sträflinge waren kaum auf die schaukelnden Ruderboote verteilt, in denen sie zu dem Dreimaster gebracht wurden, da machte sich der erste Anflug von Übelkeit in ihm bemerkbar, der dieses Mal nicht vom Gestank herrührte, wie es sonst so oft der Fall gewesen war. Nein, in diesem Falle war er einfach nur seekrank.

Sich immer elender fühlend, saß Benjamin auf der Steuerbordseite des Ruderbootes neben ihm Richard und hoffte, die Fahrt möge ein ja schnelles Ende finden. Der Gefallen wurde ihm jedoch nicht getan. Stattdessen warteten sie erst auf die anderen Sträflinge, die zur gleichen Zeit mit den Ruderbooten zum Schiff gebracht wurden und gerade auf dieses kletterten.

Die Wartezeit im Boot, das vom sanften Hin und Her des Hafenwassers leicht schaukelte, erschien Benjamin wie eine Ewigkeit, bis sie endlich an der Reihe waren. Ihm war mittlerweile immer schlechter geworden. Die klägliche Mahlzeit, die sie an diesem Tag bekommen hatten, hatte er schon längst wieder erbrochen, bis es ihm erlaubt war, an Bord des Schiffes zu steigen.

Befreit von den Eisen, welche ihn an Richard gekettet hatten, stieg er vorsichtig Stufe für Stufe die Bordseite des Dreimasters hinauf. Seine Seekrankheit verschlimmerte diesen Aufstieg jedoch erheblich, sodass er einmal fast den Halt verloren hätte.

Schließlich kletterte er mit vor Anstrengung zusammengepressten Lippen über die Reling und wäre beinahe gestürzt, als er endlich die Planken des Schiffes unter den Füßen spürte. Im letzten Moment packte Richard ihn unsanft am Arm und verhinderte so jedoch den Sturz des Barbiers.

„Danke“, brachte dieser schwach heraus und erlangte taumelnd das Gleichgewicht wieder. „Ich-“

„Lass dir jetzt ja keine Schwäche anmerken!“, unterbrach ihn Richard zischend und zog unauffällig die Hand zurück, wobei er stur geradeaus starrte, ohne Benjamin noch eines Blickes zu würdigen.

Dennoch schenkte Benjamin dem jungen Mann einen dankbaren Blick, um danach seine Aufmerksamkeit den anderen Sträflingen zu zuwenden, die sich alle an Deck, dicht zusammengedrängt, versammelt hatten. Insgesamt waren es an die zweihundert, die nach Australien deportiert werden sollten und nun, vom Bootsmann und Wärtern bewacht, auf weitere Anweisungen warteten.

Als sich schließlich alle Sträflinge an Bord befanden, betrat ein kleiner stämmiger Mann mit verkniffenem Gesicht, dessen Uniform ihn als den Captain auszeichnete, das Deck. Die Hände hatte er hinter dem Rücken verschränkt, während er langsam mit ruhigem Gang die Reihe der Sträflinge entlang schritt und jeden mit stechendem Blick musterte. Nachdem er alle seiner Musterung unterzogen hatte, stellte er sich wieder in die Mitte, wo er mit rauer tiefer Stimme, die es gewohnt war, Befehle zu erteilen, rief: „Ich will eins fürs erste klarstellen: An Bord meines Schiffes herrscht Disziplin! Sollte ich auch nur irgendeinen Grund zu Annahme finden, dass einem von euch Halunken, dies nicht klar ist, wird dieser die Peitsche zu spüren bekommen! Außerdem solltet ihr wissen, dass, bevor wir England nicht verlassen haben werden, keiner auch nur einen Fuß an Deck dieses Schiffes setzen darf! Ich hoffe, das war eindeutig genug.“
 

Schweigend hatte Benjamin den Worten des Captains zugehört. Auch die letzte Hoffnung, dass man vielleicht Nachsicht mit ihm, der doch unschuldig war, haben würde, war erloschen. Turpin hatte ihn unwiderruflich zu einem Sträfling gemacht. Nichts konnte er dagegen tun, denn der Richter verkörperte das Gesetz.

Ein Anflug von Wut stieg in Benjamin bei diesem Gedanken auf. Mit plötzlicher Klarheit erkannte er seinen Leichtsinn, mit dem er seine Unschuld beteuerte. Denn glauben würde man ihm ohnehin nicht, bloß mit einem verachtenden Blick ansehen, da er in den Augen der anderen an einer nur allzu offensichtlichen Lüge festhielt.

Weiter kam er in seinen Überlegungen nicht. Plötzlich durchzuckte ihn ein heftiger Schmerz und als er wieder aufsah, starrte er direkt in das grimmige Antlitz eines Wärters.

„Du glaubst wohl, du müsstest mir nicht zuhören was?“, knurrte er verärgert. „Dir werde ich das ganz schnell austreiben, wart’s nur ab! Und jetzt Hände her!“

Während Benjamin noch völlig überrumpelt dem Befehl folgte, wurde ihm bewusst, dass er in seinen Gedanken das gesamte Umfeld um sich herum ausgeblendet hatte. Erst durch den Schlag des Wärters war er wieder zurück in die Realität gerissen worden und dadurch direkt zu Beginn der Reise unangenehm aufgefallen – eine Sache, die er sich nicht leisten konnte.

Nachdem er wie die anderen Sträflinge auch in Eisen gelegt worden war, brachte man ihn unter Deck. Dort waren entlang der Rumpfseite in zwei Reihen Doppelstockkojen angebracht, zwischen denen ein Mittelgang führt, den sie nun entlanggingen.
 

Schließlich wies man Benjamin eine der unteren Kojen zu, der kurz davor auch schon Richard zugeteilt worden war. Mit einem verschmitzten Lächeln saß er auf den Decken und beobachtete, wie Benjamin sich nun zu ihm gesellte.

„Da sind wir also wieder zusammen, was?“, sagte er, das erste Mal einen recht kameradschaftlichen Ton anschlagend. Als er daraufhin den verwunderten Gesichtsausdruck des Barbiers sah, fügte er erklärend hinzu: „Nun, da wir die Seereise mehr oder weniger gemeinsam verbringen müssen, sollten wir uns nicht wie zwei Fremde verhalten. Findeste nicht auch?“

Es war das erste Mal, dass die Worte eines Sträflings Benjamin ein freundliches Lächeln entlockten. So schlecht, wie er anfangs über Richard gedacht hatte, schien dieser wohl nicht zu sein. Doch schnell wich das Lächeln einem Ausdruck des Elends und ehe der Barbier noch etwas erwidern konnte, beugte er sich hastig vor und erbrach sich.

„Verzeihung“, murmelte er schwach und wischte sich verstohlen mit dem Ärmel über den Mund. Die Seekrankheit, die er in den letzten Minuten tapfer zurückgehalten hatte, machte sich nun mit ganzer Kraft bemerkbar. In seinem Magen, so glaubte er, tobte ein Sturm, der die Übelkeit bloß von Sekunde zu Sekunde verschlimmerte.

Richard brauchte nicht lange, um Benjamins Zustand zu erkennen. Ein Blick in das leichenblasse Gesicht, das einen Stich ins Grüne aufwies, genügte und er wusste bescheid.

„Du solltest dich hinlegen“, meinte er und machte auffordernd auf dem Bett Platz. „Sonst wird’s dir am Ende nur noch schlechter gehen.“

Dankbar befolgte Benjamin Richards Rat und verbrachte den restlichen Tag damit, gegen seine Übelkeit anzukämpfen. Es war ihm schleierhaft, wie er diese je überstehen sollte.
 

Am Abend oder vielleicht war es auch schon mitten in der Nacht, so genau konnte Benjamin das nicht sagen, fühlte er sich für eine kurze Weile besser und verspürte das Bedürfnis, sich die Beine zu vertreten. Doch schnell wurde er sich des Ortes bewusst, an dem er sich in diesem Augenblick befand, weshalb er entschied, dass es genügte, wenn er wenigstens für kurze Zeit stehen konnte.

Was er dabei nicht bedacht hatte, als er mühsam aufstand, war das Schwindelgefühl, das ihn prompt befiel und durch welches er beinahe gestürzt wäre. Geistesgegenwärtig stützte er sich an der Wand ab und verhinderte so ganz knapp seinen Sturz.

„He, he, vorsichtig!“, hörte er da auf einmal Richard rufen. „Du bist noch nich’ soweit, um wieder fröhlich durchs Schiff zu spazieren“, erklärte er anschließend, nach einem prüfenden Blick in das Gesicht des Barbiers.

Seufzend ließ sich Benjamin an der Wand zu Boden. „Ich weiß“, murmelte er. „Aber dieses untätige Rumliegen treibt mich noch in den Wahnsinn!“

„Da kenn’ ich ganz andere Dinge, die einen in den Wahnsinn treiben können“, erwiderte Richard. „Du bist schon komisch, anders als manch ein anderer hier…“ Dann gesellte er sich zu Benjamin und starrte nachdenklich an die niedrige Decke.

„Weißt du“, sagte er schließlich. „Wenn sie morgen das Frühstück austeilen, geb’ ich dir Bescheid. Etwas zu beißen wird dir sicherlich gut tun.“

Der Barbier nickte nur und spürte, wie sich sein Magen bei dem Gedanken an Essen schmerzhaft zusammenzog. „Vielen Dank, Richard, ich verdanke dir schon jetzt sehr viel.“

„Nicht doch“, wehrte dieser grinsend ab. Dann fügte er mit einem verschmitzten Lächeln hinzu: „Und nun ruh dich weiter aus, sonst geht’s dir morgen zu dreckig, um an den Fraß zu kommen, den sie uns hier vorsetzen.“

„Ja, das werde ich wohl tun“, murmelte Benjamin, dem es schon wieder schlechter ging. Angestrengt mühte er sich auf das Bett, was ihm die Eisen erheblich erschwerten. Er konnte nur hoffen, dass sie ihnen bald wieder abgenommen wurden
 

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So, das war die Überarbeitung bzw. das war das 7. Kapitel^^;

Falls jemandem die Zeit seltsam vorgekommen ist (das habe ich nämlich auch noch mal ein wenig verändert):

Benjamin hat nach seiner Verhaftung ca 4 Monate im Newgate auf das Gerichtsverfahren gewartet. Nach diesem wurde er wieder für drei Tage ins Newgate geschickt, um am dritten Tag zum Hafen gebracht zu werden, den das Schiff am 4. Tag auslaufen wird.

Na ja ich bin zumindest mit dieser Version zufrieden, jedenfalls bei weitem mehr als ich es mit der vorherigen war.

lg -Hakura

Am 4. Tag - Lucy

Die ersten Strahlen der Morgensonne suchten sich einen Weg durch das große Fenster ins Schlafgemach des Richters, wo das warme Licht sanft auf Lucys Gesicht fiel, es zu streicheln schien. Und dennoch vermochte es nicht, die zu einer gequälten Grimasse verzerrten Züge zu glätten.

Ein Zucken glitt über ihr Gesicht, dann erwachte Lucy blinzelnd aus einem der vielen Albträume, die sie die Nacht über geplagt hatten. Ihr schlaftrunkener Blick glitt verwundert durch den fremden Raum. Im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie war. Doch plötzlich fuhr sie entsetzt hoch. Ihr langes, völlig zerzaustes Haar fiel ihr dabei nach vorne und verdeckte ihr Gesicht, als wollte es sie vor der Realität schützen, jedoch vergebens.

Keuchend saß sie da in einem fremden Bett und starrte mit vor Schreck geweiteten Augen ins Leere. Langsam sickerten die Erinnerungen an vergangene Nacht in ihr Bewusstsein, wurden immer klarer, immer deutlicher und machten die Hoffnung, das Geschehene möge nur ein schlimmer Albtraum gewesen sein, zunichte. Mit den Erinnerungen kam das Grauen und Tränen stiegen Lucy in die Augen. Hemmungslos begann sie zu weinen und presste ihr Gesicht in die fremde Bettdecke, die es nicht vermochte, die Kälte, welche von der jungen Frau Besitz ergriffen hatte, zu vertreiben. Schlimmer noch, sie verstärkte das grässliche Gefühl in Lucy und führte ihr nur noch mehr die schreckliche Wahrheit vor Augen.
 

Sie wusste nicht, wie lange sie so dagesessen und geweint hatte, als auf einmal die Tür geöffnet wurde. Erschrocken sah Lucy auf und wich zurück, in dem Glauben Turpin vor sich zu haben. Doch es war bloß ein verwundertes Dienstmädchen, das da das Zimmer betreten hatte. Und trotzdem konnte dieser Anblick Lucy keineswegs beruhigen. Zu stark haftete der Schrecken noch an ihr, als dass sie es geschafft hätte, ihn zu überwinden oder wenigstens für kurze Zeit zu vergessen.

„Guten Morgen, Miss“, stammelte das junge Ding hastig und hängte die Kleider, die es auf dem Arm trug, über einen Stuhl. „Man hat mich zu Ihnen geschickt, um Ihnen auszurichten, dass Richter Turpin Sie in einer halben Stunde zum Frühstück erwartet.“

Unwillkürlich zuckte Lucy zusammen. Ihre flüchtige Hoffnung, die sie beim Eintreten des Dienstmädchens bekommen hatte, war im Nu wieder zunichte gemacht. Ihr wurde schmerzlich bewusst, dass es vor ihrer unausweichlichen Begegnung kein Entrinnen gab. Für den Moment war diese lediglich aufgeschoben.

Als Lucy keine Antwort gab, fuhr das Dienstmädchen verunsichert fort: „Hier sind ein paar Kleider, die der der Richter für Sie bereitlegen ließ“, und deutete auf den Stapel prächtigen Stoffes, den es mitgebracht hatte, „Sie können sich aussuchen, welches Sie für diesen Tag tragen wollen.“

Teilnahmslos folgte Lucys Blick der Bewegung, dann ließ sie sich zurück in die weichen Kissen fallen. Es war hoffnungslos – so schrecklich hoffnungslos! Am liebsten würde sie einfach liegen bleiben und schlafen … ja, schlafen und träumen und vergessen, nur nicht aufwachen, geschweige denn aufstehen.
 

Eine kurze Zeit verstrich, in der Lucy regungslos auf dem großen Bett liegen blieb und das Dienstmädchen unsicher mitten im Zimmer stand und nicht wusste, was zu tun war, bis es schließlich schüchtern die unbehagliche Stille durchbrach: „Verzeihen Sie, Miss, aber Sie müssen aufstehen.“

Mit einem unwilligen Seufzen ließ Lucy ihren Kopf auf die Seite rollen und betrachtete die Bedienstete. Sie war jung, jünger als sie selbst, ja, fast noch ein Mädchen. Was es wohl in diesen unseligen Haushalt verschlagen hatte? Sicherlich würde es am Ende Ärger bekommen, wenn sie den Richter zu spät mit ihrer Gesellschaft beehrte, dachte sich Lucy und kämpfte sich unglücklich aus dem Bett. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich in ihr derzeitiges Schicksal zu fügen.

„Soll ich Ihnen beim Ankleiden helfen, Miss?“, wagte das Dienstmädchen zögernd zu fragen, nachdem es bemerkt hatte, dass Lucy allem Anschein nach nicht auf ihren Dienst angewiesen war.

Verwundert sah Lucy bei der Frage auf und murmelte mit brüchiger Stimme: „Nein, das brauchst du nicht.“ Dann widmete sie sich wieder dem Waschen. Es tat gut, das kalte Wasser auf der Haut zu spüren und half ihr, ihre Gedanken zu ordnen. Dennoch konnte es sie nicht beruhigen und als sie anfing, sich mit zitternden Händen die Haare zu bürsten, griff das Dienstmädchen ein, nahm ihr sanft die Bürste aus der Hand und begann behutsam die verknoteten Strähnen zu entwirren.

Trotz Lucys anfänglichen Einwänden suchte es anschließend auch ein Kleid für sie heraus und half ihr beim Ankleiden.

Als Lucy danach einen Blick in den großen Spiegel warf, erkannte sie sich selbst kaum wieder. Ihre weizenblonden Haare hatte das Mädchen zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt und sie selbst trug ein Kleid, welches sie sich wohl nie hätte leisten können. Unter anderen Umständen wäre nun ein Mädchentraum für sie in Erfüllung gegangen. Doch es waren keine anderen Umstände. In den grünen Augen, die ihr aus dem Spiegel entgegen starrten, lag das ganze Unglück, das Lucy in diesem Augenblick empfand und zerstörte das Bild einer vornehmen Lady.

„Gefällt es Ihnen nicht?“, fragte das Mädchen erschrocken, als es Lucys traurigen Blick bemerkt hatte.

„Doch“, flüsterte Lucy und wandte sich an das Dienstmädchen. Mühsam rang sie sich ein Lächeln ab, während sie hinzufügte: „Du hast ganz wundervolle Arbeit geleistet, ich danke dir.“

Erleichtert atmete es auf und forderte sie dann auf, ihm zu folgen. In dem Wissen, dass sie keine andere Wahl hatte, ließ Lucy sich an der Seite des Mädchens zu dem Salon führen, in dem Richter Turpin auf sie warten würde, um mit ihr gemeinsam das Frühstück einzunehmen. Allein der bloße Gedanke erfüllte sie mit Panik. Wenn es ihr bloß möglich wäre – sie würde auf dem Absatz kehrt machen und das Haus für immer verlassen!
 

Sie hatten eine schwere doppelflüglige Tür aus Eichenholz erreicht. Vorsichtig drückte das Dienstmädchen eine der goldenen Türklinken runter und bedeutete Lucy einzutreten.

Es kostete sie eine schreckliche Überwindung die Schwelle zu überschreiten und in den Raum zu treten. Sie glaubte, ihre Beine würden sie nicht mehr länger tragen, als sie vor sich Richter Turpin erblickte, der bereits an einem gedeckten Tisch saß.

„Guten Morgen, ich hoffe, Sie haben gut geschlafen“, begrüßte er sie und seine Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln. Die unausgesprochenen Worte hingen in der Luft und Lucy bekam das Gefühl, von ihnen angeschrien zu werden. Angst kroch in ihr empor, als sie die Begierde in den dunklen Augen des Richters sah, während er seinen Blick über ihren Körper gleiten ließ. Erinnerungen, die sie in den letzten Minuten krampfhaft unterdrückt hatte, stiegen wieder in ihr auf und die mit ihnen geweckte Frucht, lähmte sie, sodass sie einfach mitten im Raum stehen blieb, zu keiner Regung mehr fähig.

„Wollen Sie sich nicht setzen?“, fragte Turpin und deutete auf den Platz an seiner Seite. Er störte sich nicht an Lucys Verhalten. In diesem Augenblick zählte einzig und allein das Triumphgefühl, dass ihn bei ihrem Anblick und den Erinnerungen an vergangene Nacht überkam.

Aus Furcht vor den Folgen, die sie erwarten würden, wenn sie der Aufforderung nicht nachkam, nickte Lucy und setzte sich an die ihr zugewiesene Tischseite. Immer deutlicher glaubte sie nun, die Charakterzüge des Richters zu erkennen und in dem Moment, als sie sich setzte, beschlich sie mit einem Mal die grauenvolle Ahnung, dass es aus diesem Haus vielleicht gar kein Entkommen mehr für sie gab.

Plötzlich wurde ihr das schreckliche Ausmaß dieser Folge vollends bewusst. Würde der Richter sie tatsächlich bei sich gefangen halten, was geschähe dann mit Johanna? Das schlechte Gewissen ertränkte all ihre Furcht. Auf die Bemerkung des Richters, wie gut sie doch in dem Kleid, das er für sie hatte raus legen lassen, aussehe, antwortete sie bloß mit einem gemurmelten Danke. Sie konzentrierte sich einzig und allein auf das Schicksal ihrer Tochter, denn so konnte sie für kurze Zeit ihre Angst verdrängen.
 

Würde Mrs Lovett die kleine Johanna erneut in ihre Obhut nehmen, wie sie es schon einmal getan hatte? Aber auf die Dauer konnte das keine Lösung sein. Und außerdem war nicht sicher, ob sie das überhaupt tun würde. Für Lucy stand mit plötzlicher Entschlossenheit fest, dass sie es irgendwie schaffen musste, mit ihrer Vermieterin in Kontakt zu treten. Sie würde ihr helfen, da war sie sich sicher. Und sie musste etwas unternehmen, denn ansonsten … denn ansonsten würde Johanna auch noch in die Fänge des Richters geraten! Wenn doch bloß Benjamin da wäre…

Bei dem Gedanken an ihren Mann überkamen Lucy schreckliche Schuldgefühle, als ihr bewusst wurde, dass sie all das getan hatte, was er nicht für sie gewollt hatte. Nicht nur das, heute war auch noch der Tag, an dem das Schiff auslief, welches ihn nach Australien deportieren sollte.

„Benjamin“, hauchte sie unwillkürlich und schlug sich entsetzt die Hände vor den Mund. Sie hatte versagt! Tränen stiegen ihr in die Augen, die sie hastig wegblinzelte. Alles hatte sie zerstört!

Die Anwesenheit des Richters schien sie völlig vergessen zu haben. Dieser jedoch hatte unverwandt Lucy angestarrt. Erst als sie den Namen ihres Mannes aussprach, verdüsterte sich seine Miene. Obwohl von diesem Tag an Benjamin endgültig aus dem Leben Lucys gestrichen war, kam er ihm trotzdem immer wieder dazwischen. Allmählich bereute er es, den Barbier überhaupt am Leben gelassen zu haben.

Nach einem flüchtigen Blick auf die große Standuhr im Zimmer huschte ein befriedigtes Lächeln über Richter Turpins Gesicht und um seinen Hass auf Benjamin kundzutun, verkündete er: „Allem Anschein nach, müsste Mr Barker nun seinem wohlverdienten Schicksal entgegensegeln.“

Diese unbedachten Worte erfüllten nur ihren halben Zweck, denn während sie in Turpin ein Gefühl der Genugtuung aufstiegen ließen, brachten sie Lucy vollends zum Weinen. Unkontrolliert flossen ihr Tränen übers Gesicht, welche sie vergeblich zurückzuhalten versuchte. Allein der Gedanke war für sie schlimm genug gewesen, doch diesen auch noch ausgesprochen zu hören, brach den Willen, der die Tränen verdrängte.

Eine seltsame Atmosphäre war in dem Salon eingetreten. Beide hingen stumm ihren Gedanken nach, während sie wortlos, das aufgetischte Frühstück zu sich nahmen, jeder von ihnen mit völlig gegensätzlichen Gefühlen. Einzig und allein Lucys Aufschluchzen sowie das Ticken der Standuhr durchbrachen die Stille.
 

Doch je mehr Zeit verstrich, desto größer wurde Turpins Ärger, bis er dem ganzen schließlich ein Ende bereitete. Nachdem er endlich Benjamin aus dem Weg geschafft hatte und nun ihm, nur ihm allein, Lucy gehörte, war er den freundlichen Annäherungsversuchen ihr gegenüber überdrüssig geworden, da diese ja doch nicht befriedigend stellend ausliefen. So konnte er auch gleich ohne Rücksicht auf Gefühle seinen Willen durchsetzen.

„Da Ihr Mann sich nun auf seinem Weg nach Australien befindet, werden Sie wohl mittellos sein“, sagte der Richter in die Stille hinein und sprach damit nur eine weitere Angst Lucys aus. „Weil ich mich aber sehr um Ihr Wohlergehen sorge und ich kein Unmensch sein will, möchte ich Ihnen ein Zimmer, von denen ich wahrlich genug habe, zur Verfügung stellen, womit für Ihre Unterkunft gesorgt sein sollte.“

Unsanft wurde Lucy dadurch in die grausame Realität zurückgeholt. Alles Wünschen, Hoffen und Beten, dies möge nicht der Wahrheit entsprechen, wäre verschwendet gewesen. Dennoch wollte sie nicht kampflos aufzugeben. Es gab immerhin noch andere Möglichkeiten für Lucy, sich durchs Leben zu schlagen, ohne auf die „Barmherzigkeit“ des Richters angewiesen zu sein. Irgendetwas würde sie schon finden, weshalb sie schwach erwiderte: „Vielen Dank, ich weiß das Angebot zu schätzen, doch wird dies sicherlich nicht nötig sein. Sie sollten sich meinetwegen keine Umstände machen.“ Wie gerne hätte Lucy Turpin feindselig angezischt, er solle sie einfach in Ruhe lassen und ihm dabei allerlei Schimpfwörter an den Kopf geworfen! Nur war sie dafür einfach nicht stark genug, wie sie sich verbittert eingestand. Wahrscheinlich würde sie dies auch nie werden.
 

„Aber nicht doch, ich bestehe darauf! Und wenn Sie sich Sorgen um den Verbleib Ihrer Tochter machen, so versichere ich Ihnen, dass ich sie keineswegs in ein Waisenhaus stecken lasse, sondern ich mich ebenso um ihr Wohlergehen sorge, wie ich es auch um das Ihre tue. Aus diesem Grund wird Ihr Kind selbstverständlich zu Ihnen kommen“, erklärte der Richter mit einem schmallippigen Lächeln, welches es nicht vermochte, all die schmutzigen Hintergedanken, die ihm dabei durch den Kopf gingen, zu verbergen.

„Nein!“, flüsterte Lucy, der bei dem bloßen Gedanken ein Grauen überkam. Von Entsetzen gepackt, fügte sie mit bebender, an Hysterie grenzender Stimme hinzu: „Nicht Johanna!“ Reichte es diesem Mann etwa nicht, die gesamte Familie ins Unglück gestürzt zu haben und das Leben von Benjamin und ihr zu zerstören? Musste es nun auch noch das Leben eines kleinen, unschuldigen Kindes sein? Als ihr all dies durch den Kopf ging, regte sich so etwas wie Widerstand in ihr.

„Sie Monster!“, kreischte Lucy hysterisch und machte Anstalten, sich auf den Richter zu stürzen. Sie war sich in diesem Moment bewusst, dass sie alles tun würde, um Johanna zu schützen. Allein schon Benjamin wegen und dem schlimmen Schicksal, das ihre Tochter im Hause des Richters erwarten würde, wenn sie zu einer jungen Frau herangewachsen war.

„Aber, aber, meine gute Frau“, sagte Turpin spöttisch. Er hatte sich erhoben und hielt Lucys Handgelenke mit eisernem Griff fest, sodass sie sie sich nicht mehr bewegen konnte. „Das alles geschieht nur zu ihrem Besten. Wie es mir aber scheint, sollten Sie sich erst einmal auf Ihr neues Zimmer begeben und überlegen, was der Begriff Dankbarkeit bedeutet. In der zwischen Zeit werde ich jemanden beauftragen, der Johanna abholt und damit Sie sich ein wenig mehr wie Zuhause fühlen, werde ich auch sobald wie möglich Männer losschicken, die ein paar Ihrer Möbel hierher bringen werden.“

Panik wallte in Lucy auf, als sie den Griff um ihre Handgelenke spürte, der schreckliche Erinnerungen der letzten Nacht mit sich brachte. All ihr Zorn war im Nu verraucht und hinterließ ein Gefühl der Schwäche und Machtlosigkeit. Was konnte sie auch ausrichten? Nichts! Sie hatte alles nur noch verschlimmert und hinzukam, dass nun auch noch die kleine Johanna in die Fänge des Richters geriet.
 

Es dauerte nicht lange und der Büttel betrat das Zimmer, wie immer zierte ein boshaftes Lächeln das feiste Gesicht, während er schnell die Anweisungen des Richters entgegennahm. Danach machte er sich auf den Weg, diese zu erfüllen.

Anschließend ließ sich Lucy widerstandslos in ihr neues Zimmer bringen. Jedes Fünkchen Hoffnung war in ihr erloschen und nur die bittere Erkenntnis, wie nutzlos Widerstand und wie machtlos sie selbst war, blieb. Unglücklich ins Leere starrend, setzte sie sich aufs Bett, in dem sie von nun an schlafen würde und wartete darauf, dass man Johanna brachte, hierher auf ihr neues Zimmer, das auf ewig ihr neues Zuhause sein sollte.
 

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So hier ist wieder ein neues Kapitel. Tut mir Leid, wenn es zur Zeit ein wenig lange mit neuen Kapiteln dauert, aber ich stecke so richtig schön im Schulstress-__- Hinzu kommt, dass es schwierig wird, Informationen über die Deportation usw. zu finden. Na ja, dafür werde ich mich so lange mit One-Shots beschäfigen^^

Egal, nun zum eigentlichen Kapitel: Warum ich immer irgendwie so viel zu Lucy schreibe, weiß ich auch nicht wirklich, zumal die mich nicht wirklich interessiert. Na ja, fest steht, dass sie höchstens einmal noch mal richtig im Kapitel auftaucht (ebenso wie Mrs Lovett dann) und der Rest ist nur noch über Benjamin bzw. Sweeney Todd!
 

lg -Hakura

Am 4. Tag - Mrs Lovett Teil 1

Der Morgen war mittlerweile vergangen. Der Lärm des geschäftigen Treibens der Fleet Street drang hinauf in die Wohnung der Barker, in der wenige Stunden zuvor die kleine Johanna schreiend und mutterseelenallein aufgewacht war.

Mrs Lovett die mit dem Zubereiten ihrer Pasteten beschäftigt gewesen war, war wie vor zwei Tagen auch hinauf geeilt und hatte das kleine Kind der Barker erneut ganz allein vorgefunden. Dieses Mal hatte sich die Bäckerin denken können, wo sich Lucy befand, denn trotz des frühen Tages waren schon die neusten Gerüchte im Umlauf, die sie alle mehr oder weniger von ihren Kunden erfuhr.

Mrs Lovett konnte es einfach nicht fassen, wie die junge Frau mit dem kleinen Kind umging! Armer Benjamin! Wenn er all dies wüsste, vielleicht würde er ja dann anders über seine Frau denken. Doch es sollte keine Gelegenheit geben, dass er je davon erfahren würde, da heute das Schiff nach Australien auslief. Am Besten wäre es wohl, würde sie Benjamin Barker einfach vergessen – ihn und seine Familie, dessen war sich Nellie Lovett bewusst. Sie sollte die törichte Hoffnung aufgeben, der Barbier käme eines Tages zurück und wolle vielleicht sogar etwas von ihr! Zum einen war es ungewiss, dass ein Sträfling, der einmal nach Australien deportiert worden war, je wieder zurück nach England kommen würde – und wenn dann keiner, welcher lebenslänglich dorthin geschickt worden war. Zum anderen war sie schon verheiratet, mit dem guten Albert. Ja, sie sollte die gesamte Familie aus ihrem Kopf verbannen und sich vielmehr mit ihren eigenen Sorgen herumplagen. Doch tat sie dies nicht. Ihr Blick fiel auf die friedlich schlafende Johanna in ihrem Arm und ein fürsorglicher Ausdruck trat in ihr Gesicht.
 

Es lag auf der Hand, dass Mrs Lovett sich nicht immer um das kleine Kind würde kümmern können, da es schon schwer genug war, für sie selbst und Albert genügend Geld zum Leben aufzutreiben. Das Pastetengeschäft allein gab schließlich nicht genug her und nun war es vorerst die einzige Geldquelle, bis sie die Wohnung der Barker wieder vermietet haben würden.

Ein Seufzer entfuhr der Bäckerin bei dem Gedanken an die bevorstehenden Geldprobleme. Dann erinnerte sie sich wieder an ihre Pflichten und legte die kleine Johanna sanft in die Sofakissen. Warum bloß musste es Lucy sein? Warum konnte nicht sie, Mrs Lovett, die Mutter dieses Kindes sein? Sie hätte so viel besser gemacht…

Während sie sich auf den Weg in die Küche machte, verlor sie sich immer weiter in ihren Träumen von einer glücklichen Familie und bedauerte es, dass dieser Wunschtraum nie in Erfüllung gehen würde. Albert war einfach nicht dafür geeignet, eine Familie zu gründen. Er selbst hatte einmal gesagt, dass er keinen guten Vater abgebe. Dann wäre da noch das liebe, gute Geld. Sie würden es sich kaum leisten können ein zusätzliches hungriges Maul zu stopfen. So machte sich Mrs Lovett von Trauer erfüllt wieder ans Werk.
 

Es war gerade Mittag, als unerwarteter Besuch kam. Mrs Lovett hatte sich kurz zuvor um Johanna gekümmert, die wieder aufgewacht war, und plagte sich nun mit den Sorgen bezüglich der Zukunft des Kindes. Irgendetwas musste es geben, was sie für es tun konnte!

Da hörte sie auf einmal das laute Stampfen von Stiefeln, die die Holztreppe zum Barbiersalon hinaufstiegen. Merkwürdig. Dabei hatte Mrs Lovett doch für jeden sehbar das „Geschlossen“ Schild in die Tür gehängt. Wer also würde trotz des Schildes die Wohnung ihrer Vermieter betreten wollen? Sie musste nicht lange überlegen. Die unangenehme Antwort durchzuckte sie beinahe in dem Augenblick, als in ihr die Frage aufgekommen war. Da sie nicht das Verlangen verspürte sich Gewissheit zu verschaffen, wartete sie einfach unruhig in ihrem Geschäft.

Nachdem mehrmals heftig gegen die Tür des Barbiersalons geklopft worden war, ertönte das polternde Geräusch von Schritten, die wieder die Holztreppe hinuntergingen. Dann öffnete sich die Ladentür des Pastetengeschäfts und der Büttel trat ein, womit sich Mrs Lovetts Verdacht, was den unbekannten Besucher betraf, bestätigte. Dennoch fragte sie sich, warum er nicht gleich sie, die Vermieterin, aufgesucht hatte, statt erst vor der nun verlassenen Wohnung der Barker zu stehen. Er als Büttel müsste schließlich wissen, dass sich Lucy nicht mehr dort befinden konnte! Oder hatte er etwa erwartet, dass ihm ein einjähriges Kind öffnete? Bei dem Gedanken huschte der Anflug eines spöttischen Lächelns über das Gesicht der Bäckerin. Vielleicht hatte er das sogar tatsächlich getan. So hinterlistig er auch war, er war immerhin nur ein dreckiger Handlanger des Richters.
 

„Guten Tag, Mrs Lovett“, sagte der Büttel und nickte leicht mit dem Kopf.

„Guten Tag“, entgegnete Mrs Lovett nur. Sie musste sich sichtlich zusammenreißen, um ihre Abneigung, die sie gegen Bamford hegte, nicht allzu offensichtlich zu zeigen. „Wie mir bekannt ist, sind Sie die Vermieterin der Wohnung, in der die Barker bis vor kurzem noch gelebt haben.“ Sie konnte sich denken, worauf der Büttel hinauswollte. Trotzdem stellte sie sich unwissend und bestätigte: „Ja, die bin ich. Und aus welchem Grund erweisen Sie mir die Ehre, mich aufzusuchen? Ich will doch sehr hoffen, dass Sie mir nicht auch noch mitteilen, Mrs Barker habe ebenso wie ihr verwerflicher Mann eine böse Tat begangen.“ Es fiel ihr schwer, schlecht über Benjamin zu reden, nur blieb ihr keine andere Wahl. Würde sie etwas Falsches in Gegenwart des Büttels sagen, würde sie sich am Ende selbst noch vor Gericht wieder finden und wer weiß welch unmenschliche Strafe auferlegt bekommen.

„Im Gegenteil“, erklärte Bamford, „Mrs Barker geht es ausgezeichnet. Der Richter hat sich nun ihrer angenommen und das großzügige Angebot gemacht, desweiteren in dessen Haus zu wohnen, was sie freudig angenommen hat. Sie sehen also, Mrs Barker ist eine vorzügliche, tugendhafte Frau, die in der Gunst unseres ehrenwerten Richters steht. Und aus diesem Grund bin ich hier. Ich wurde beauftragt die kleine Johanna abzuholen und möchte Ihnen bescheid sagen, dass bald ein paar Männer auf Befehl des Richters kommen werden, um einige Möbel der Barker mitzunehmen, schließlich sollen sich Mrs Barker ebenso wie ihr kleines Töchterchen wie zu Hause fühlen. Selbstverständlich wird der Richter für all das aufkommen.“

Mrs Lovett durchschaute die Lüge des Büttels. Sie musste nur an die vergangenen Tage denken und an die Verzweiflung, die von Lucy Besitz ergriffen hatte, wenn sie an ihren Mann oder aber auch an Turpin dachte. Nie im Leben hätte sie aus freiem Willen entschieden, von nun an ausgerechnet in dem Haus des Mannes, der an all ihrem Elend Schuld war, zu leben! Dennoch blieb der Bäckerin nichts anderes übrig, als ihre Skepsis zu verbergen und stattdessen völlig falsche Dinge zu heucheln: „Es freut mich wirklich sehr, zu hören, dass es Mrs Barker so glücklich getroffen hat und welch guter Mann unser Richter doch ist. Sie müssen wissen, ich hatte mir heute Morgen schon Sorgen gemacht, als ich die Mutter des kleinen Kindes nicht auffinden konnte und dachte, ihr sei etwas passiert. Aber nun kann ich ja wieder völlig beruhigt meiner Arbeit nachgehen.“

„In der Tat, Mrs Lovett“, sagte Bamford. „Wenn Sie nun so freundlich wären und mich zu der kleinen Johanna führen...“
 

Unmerklich presste Mrs Lovett die Lippen aufeinander. Sie würde in diesem Augenblick beinahe alles tun, bloß nicht, den Büttel zu dem kleinen Kind führen, um es seinem grausamen Schicksal zu überlassen. Als sie jedoch die Ungeduld Bamfords bemerkte, ermahnte sie sich, auch an sich selbst zu denken und führte ihn widerwillig in ihre Wohnung zum Sofa, wo Johanna friedlich schlief.

Ein schlechtes Gewissen stieg in der Bäckerin auf, als ihr Blick auf das kleine Kind fiel, was sie dazu veranlasste, gerade als der Büttel Anstalten machte, nach Johanna zu greifen, zu bemerken: „Vielleicht wäre es besser, wenn ich Johanna nehme und Sie zum Haus des Richters begleite, immerhin kennt sie mich schon.“

„Es wird Mrs Barker und selbstverständlich auch den Richter freuen zu hören, wie Sie sich um das Kind kümmern, doch versichere ich Ihnen, dass dies nicht nötig sein wird. Zudem werden bald die Männer eintreffen, die der Richter geschickt hat, um die Möbel mitzunehmen. Wäre es da nicht besser, würden Sie als Vermieterin anwesend sein, wenn sie die Wohnung ausräumen werden?“

„Natürlich, da haben Sie recht“, beeilte sich Mrs Lovett zu sagen. Trotzdem konnte sie den Drang nicht verkneifen, noch einmal Johanna sanft auf den Arm zu nehmen. Während das kleine Kind anfing zu schreien, weil es geweckt worden war, wiegte Mrs Lovett es beruhigend in ihrem Arm hin und her und flüsterte dann ganz leise, sodass der Büttel nichts verstehen konnte: „Schhhh, meine Kleine, du wirst gleich zu deiner Mutter gebracht werden. Bitte verzeih mir, dass ich dir nicht mehr helfen konnte.“

Dann ging sie wieder zusammen mit dem Büttel zurück in ihr Geschäft, wo sie diesem schließlich äußerst widerwillig Johanna anvertraute, die sich wieder beruhigt hatte. Doch kaum hielt Bamford Lucys Tochter in den Armen, fing sie erneut an zu schreien.

„Wäre es nicht…“, setzte Mrs Lovett vorsichtig an, wurde aber vom leicht verärgerten Büttel unterbrochen: „Ich versichere Ihnen wirklich, dass dies nicht nötig sein wird, Mrs Lovett. Danke!“

Immerhin hatte sie es noch einmal versucht, sagte sich die Bäckerin, um etwas gegen ihr schlechtes Gewissen zu tun. „Den Kinderwagen der Kleinen finden Sie, wenn Sie rausgehen, vor der Treppe zum ehemaligen Barbier Salon“, fügte sie noch hinzu, um es Johanna zu ersparen, den ganzen Weg über vom Büttel getragen zu werden.

„Vielen Dank, das ist gut zu wissen“, entgegnete Bamford, der mit dem kleinen Kind im Arm etwas überfordert schien. „Und vergessen Sie nicht, der Richter hat ausdrücklich befohlen, alle Dinge, die Mrs Barker gehören und einst auch Benjamin Barker besessen hat, holen zu lassen. Aus diesem Grund wäre es sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie schon einmal alles so vorbereiten, dass man die Möbel und Gegenstände ohne weitere Schwierigkeiten mitnehmen kann“, erklärte der Büttel, wobei er sich mit diesen Worten umdrehte und zusammen mit der kleinen Johanna das Geschäft verließ.

Gedankenverloren starrte Mrs Lovett ihnen nach, selbst als diese schon längst verschwunden waren. Schuldgefühle nagten an ihr, wenn sie an das unmenschliche Schicksal dachte, das sie dem kleinen Kind überlassen hatte. Und doch wusste sie, dass ihr gar keine andere Wahl geblieben war. Vielleicht gab es aber etwas anderes, was sie für die Barker noch tun konnte…
 

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Hier ist das nächste Kapitel. Na ja ist im Grunde genommen ein totaler Filler, tut mir echt Leid! Das nächste erklärt schon eher noch was Wichtiges, aber was soll's. Zumindest stört es mich total, dass ich mittlerweile so lahm im Kapitel Hochladen geworden bin >.< Sobald ich jetzt meine Infos zur Deportation zusammen habe, hoffe ich, dass es wieder schneller geht (wer mehr wissen will, kann's in der Beschreibung der FF lesen).
 

lg -Hakura

Am 4. Tag - Mrs Lovett Teil 2

Schnell eilte Mrs Lovett in die Wohnung, in der vor wenigen Tagen die glückliche Familie Benjamins gelebt hatte und kam der Bitte des Büttels nach, jedoch nur dem Barbier zuliebe. Oft genug war sie nun schon in dem Zimmer gewesen, um zu wissen, wo sich die Utensilien für eine Rasur befanden, weshalb sie schnurstracks, ohne anderen Dingen die geringste Beachtung zu schenken, zu dem kleinen Tisch lief, auf dem sich ein Spiegel befand ebenso wie Benjamins wertvolle Rasiermesser.

Und da waren sie. Alle sieben lagen sauber poliert in der kleinen Schachtel, in der sie aufbewahrt wurden. Beinahe ehrfürchtig nahm Mrs Lovett eins heraus und betrachtete es, wie es das Licht reflektierte. Sanft fuhr sie mit dem Finger über die Einarbeitungen des Griffes, bis sie das Rasiermesser wieder zurück zu den anderen legte. Sie waren wahrlich viel zu schade dafür, um am Ende gar in den Händen des Richters zu landen, wo sie ja doch nur wieder verkauft wurden. Nein, sie wusste etwas viel Besseres.

Im Bereich rechts vom großen Fenster begann Mrs Lovett die Bodendielen zu prüfen und abzuklopfen. Eine, so wusste sie, war locker und ließ sich problemlos herausheben. Genau das war der ideale Ort, um die kostbaren Rasiermesser Benjamins zu verstecken.
 

Nach einiger Zeit des Suchens fand sie schließlich das lose Brett und hob es sogleich heraus. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie es einst durch Zufall gefunden und sich gedacht hatte, wie gut es sich doch für ein Versteck eignen würde, weshalb sie auch nichts gegen die lose Bodendiele getan hatte. Das einzig störende fand sie, war die Falltür, da sie sich beim besten Willen nicht erklären konnte, was sich der Architekt dabei gedacht hatte, genau von dem Zimmer unterm Dach aus einen steilen Schacht zu bauen, der in den Keller führte. Aber das spielte in diesem Augenblick keine Rolle. Schließlich war diese Falltür kaum einem ihrer Mieter aufgefallen, geschweige denn dass sie ihn gestört hätte.

Vorsichtig legte Mrs Lovett die Schachtel, in denen die sieben Rasiermesser sicher verwahrt waren, in den Zwischenraum, den die lose Bodendiele freigegeben hatte, und griff nach dieser, um sie wieder an ihren Platz zu legen. Nachdem sich die Bäckerin sicher war, dass das Versteck nicht weiter auffallen würde, begann sie mit der eigentlichen Arbeit, suchte verschiedene Dinge der Barker zusammen und hörte bald wieder damit auf. Nach einem kurzen Blick durch den Raum, befand sie, dass dies genügen sollte, schließlich hatte sie auch noch andere Dinge zu tun und für das Zusammenpacken der Sachen würde sie höchstwahrscheinlich nicht bezahlt werden.

Deshalb ging sie wieder hinunter in die Küche, wo sie mit dem Zubereiten der Pasteten beschäftigt war, während sie darauf wartete, dass endlich die Männer kamen, die der Büttel angekündigt hatte.
 

Mittlerweile war später Nachmittag eingebrochen und noch immer ließ sich niemand blicken. Mrs Lovett ärgerte sich über sich selbst. Ihr hätte von Anfang an klar sein müssen, dass die angeblichen Männer, die der Büttel angekündigt hatte, nur eine Ablenkung Bamfords gewesen waren, damit sie nicht weiter darauf bestand, Johanna zu Lucy zu bringen. Sie hatte sich also für dumm verkaufen lassen. Und das war beinahe genauso schlimm wie das Wissen, dem kleinen Kind doch noch hätte helfen zu können.

Ärgerlich kniff Mrs Lovett die Lippen zusammen und bearbeitete den Teig für die Pasteten viel zu heftig, als es eigentlich nötig gewesen wäre, bis ihr Blick plötzlich aus dem Fenster fiel und sie eine Kutsche vor ihrem Geschäft halten sah, aus der der Büttel in Begleitung mehrerer Männer ausstieg. Mit einem selbstgefälligen Ausdruck im Gesicht lief dieser gemächlich auf den Pastetenladen zu. Er musste nicht einmal mehr anklopfen, da hatte die Besitzerin des Geschäfts ihm schon die Tür vor der Nase aufgerissen. Der Ärger stand ihr ins Gesicht geschrieben, den sie jedoch schnell hinter einem höflichen Lächeln verbarg.

„Ich nehme an, Sie wollen nun in die Wohnung von Mrs Barker gelassen werden“, meinte Mrs Lovett, bemüht darum, ihre Stimme so sachlich wie möglich klingen zu lassen, während sie sich in Gedanken ausmalte, was sie alles am liebsten mit dem Büttel machen würde.

„Ganz recht, genau das wollen wir“, entgegnete Bamford, wobei er den Mund zu dem verhassten schmierigen Lächeln verzog, von dem er wohl glaubte, es würde auf Frauen anziehend wirken, was in dem Fall wohl eher die genaue gegenteilige Wirkung mit sich brachte: Es war abstoßend.

Mrs Lovett entfuhr ein kaum hörbarer Seufzer, ehe sie den Büttel und seine Begleitung aufforderte: „Wenn sie mir dann bitte folgen würden.“ Mit diesen Worten führte sie die Männer in die Wohnung der Barker, wo sie sogleich mit dem Ausräumen begannen.

Ein Möbel nach dem anderen wurde wenn nötig auseinander genommen und hinunter zur Kutsche gebracht, wo es auf dem Kutschdach verstaut wurde. Währendessen musste Mrs Lovett mit ansehen, wie das einst so gemütliche und freundliche Zimmer der Barker immer leerer und kälter wurde. Hinzu kam das Wissen, dass sie nun darauf angewiesen war, neue Mieter zu finden, ansonsten würde sie selbst langsam aber sicher in Geldnot geraten.
 

„Wissen Sie vielleicht noch, wo Mr Barker seine Rasiermesser aufzuheben gedachte?“, fragte der Büttel auf einmal und riss die Bäckerin aus ihren Gedanken.

„Verzeihung, ich habe nicht alles mitbekommen“, murmelte Mrs Lovett und unterdrückte den Drang verwirrt den Kopf zu schütteln.

„Ich habe mich gerade gefragt“, wiederholte Bamford eindringlich, „wo Mr Barkers Rasiermesser sein könnten…“

Ein heißer Schauder durchlief Mrs Lovett bei den Worten. Dennoch blieb sie gefasst, als sie mit ruhiger Stimme entgegnete: „Ja, das habe ich mich selbst auch schon des öfteren gefragt. Sie müssen wissen, dass er immer sehr viel auf diese Rasiermesser gehalten hat und sie deswegen wie seinen Augapfel gehütet haben soll. So haben es mir zumindest einmal gute Kunden erzählt, die nach einer Rasur eine Pastete kaufen gingen. Wer weiß, vielleicht befinden Sie sich ja gut verwahrt in irgendeinem der Möbel? Oder aber: Er trägt sie immer mit sich herum. Bei einem Menschen, wie er einer ist, kann man schließlich nie wissen, wozu man solch gefährliche Gegenstände noch gebrauchen könnte…“ Dass sich die sieben Rasiermesser in Wahrheit wenige Schritte entfernt unter ihren Füßen befanden, würde der Büttel wohl nie erfahren.

„Hmm das sind interessante Vermutungen, die Sie da haben“, brummte Bamford und schien eine der beiden genannten Möglichkeiten ernsthaft in Betracht zu ziehen. „Jedenfalls sollte ich später wohl die Möbel nach geheimen Verstecken untersuchen lassen.“

Mit Mühe verkniff sich Mrs Lovett ein spöttisches Verziehen der Mundwinkel und schenkte ihre Aufmerksamkeit wieder der Ausräumarbeit der Männer. Es war kaum mehr etwas da. Mittlerweile war sogar eine zweite Kutsche angefahren, um die restlichen Dinge auf dem Kutschdach verstauen zu können. Wahrscheinlich würde nur die Hälfte in Lucys Besitz gelangen, den Rest würde man verkaufen und das dafür eingenommene Geld natürlich für die eigenen Zwecke behalten, was in diesem Falle die des Richters wären.
 

Plötzlich ertönte ein heftiges Fluchen und zog somit Mrs Lovetts ebenso wie die Aufmerksamkeit des Büttels auf sich. Dieser schnalzte missbilligend mit der Zunge, als er die Ursache dafür erkannte. Das Glas eines großen Spiegels war nun über und über einem Spinnennetz gleich mit Sprüngen bedeckt.

„Wie konnte das denn passieren?“, fragte Bamford ärgerlich mit einem drohenden Unterton in der Stimme.

Eine Weile schwiegen die Verantwortlichen unbehaglich, bis sich einer der beiden schließlich zu einer Antwort aufraffte und nach einigem Herumdrucksen erklärte: „Hab’n nich’ ganz aufgepasst un’ sin’ gegen das Teil gestoßen.“ Damit meinte er ein Teil des Tisches, auf dem vor kurzem noch die sieben wertvollen Rasiermesser Benjamins gelegen hatten.

Bevor sich der Büttel weiter über die Tölpelhaftigkeit der beiden Männer ärgern konnte, kam ihn eine Idee und er wandte sich mit einem abfälligen Grinsen an Mrs Lovett. „Mir ist da gerade eine Idee gekommen“, sagt er, „für all die Umstände, die ihnen durch die Barker widerfahren sind, lasse ich ihnen den Spiegel da und betrachte ihn als eine Art Bezahlung für die Miete, die ihnen noch zusteht.“

Mrs Lovett wollte ihren Ohren nicht trauen von dem, was sie da hörte. Nun da das Glas des Spiegels zersprungen war, hatte er nahezu keinen Wert mehr und genau den gab der Büttel ihr jetzt als Bezahlung für die Miete, die sie diesen Monat noch bekommen hätte. Das war Betrug! Wütend meinte sie daraufhin: „Ich denke nicht, dass der Spiegel für die gesamte Miete aufkommen wird.“

„Doch das tut er!“, bestimmte der Büttel. „Denn es ist ja nur ein halber Monat, für den Sie die Miete bekommen.“ Für ihn schien das Thema damit beendet zu sein und ignorierte weitere Proteste geflissentlich.

Mrs Lovett erkannte, wie zwecklos weiter Beschwerden waren und wartete verärgert ab, dass die Männer mit dem Ausräumen der Wohnung endlich fertig wurden. Das taten sie auch ziemlich schnell und gingen so schweigend wie sie gekommen waren wieder, gefolgt vom Büttel, der sich zu einem knappen Wort des Abschieds herunterließ.
 

Wütend sah die Bäckerin ihnen hinterher. Aber etwas anderes hatte sie eigentlich auch gar nicht erwartet können. So wandte sie sich seufzend ab, als ihr auf einmal ein Grinsen voller Genugtuung über die Lippen huschte. Alles hatten sie doch nicht mitnehmen können: Die sieben Rasiermesser befanden sich unbeachtet gelassen unter der lose Bodendiele, von der nur sie selbst wusste.

Dann sah sich Mrs Lovett den Spiegel an. Immerhin hatte sie so eine Art Andenken an Benjamin oder aber sie hatte Glück und sie konnte ihn für ein wenig Geld verkaufen. Bis dahin würde sie den Spiegel jedenfalls in den Keller stellen, wo sie stattdessen die anderen Einrichtungen für das Zimmer würde hervorholen müssen. Schließlich schenkte sie dem leeren Raum ihre Aufmerksamkeit. So kahl kam er ihr völlig fremd vor. Zu frisch waren noch die Erinnerungen von dem gemütlichen Zimmer, was die Barker gehabt hatten. Nun hieß es neue Mieter auftreiben. Womit Mrs Lovett jedoch nicht rechnete, war der Tratsch und die Gerüchte, die sich leider viel zu schnell verbreiteten…
 

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Hier ist nun endlich der 2. Teil! Ich war mal ein wenig kreativ, was Sweeneys früheren Besitz betrifft, nur um die Zeit hinauszögern zu können, die ich brauche, um endlich was Vernünftiges über die Deportation herauszufinden. Genützt hat es nicht viel, ich komme einfach nicht voran. Wahrscheinlich werde ich mir zumindest bei der Fahrt nach Australien dichterische Freiheit erlauben. Dann wird es auch wieder schneller Kapitel geben, hoffe ich.

Zur Zeit ist zwar noch Schustress und ich schaffe es so gut wie gar nicht meine eigenen Sachen zu schreiben (T-T) aber bald ist das alles vorbei und ich kann mich ganz meinen FFs widmen^^

Jedenfalls hoffe ich, dass einigen das Kapitel tortzdem gefallen hat.
 

lg -Hakura

Am 4. Tag - Benjamin

Kurz vorweg: Falls jemandem die Zeit seltsam vorgekommen ist (das habe ich nämlich auch noch mal ein wenig verändert):

Benjamin hat nach seiner Verhaftung ca 4 Monate im Newgate auf das Gerichtsverfahren gewartet. Nach diesem wurde er wieder für drei Tage ins Newgate geschickt, um am dritten Tag zum Hafen gebracht zu werden, den das Schiff am 4. Tag auslaufen wird.
 

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Richard brauchte Benjamin am nächsten Morgen nicht zu wecken. Der Lärm, den die Sträflinge verursachten, als die morgendliche Mahlzeit ausgeteilt wurde, war laut genug. Fordernd klopften sie mit ihren Löffeln auf die Blechnäpfe oder rasselten mit den Ketten, bis durch die Drohung des Aufsehers, dass sie kein Essen bekämen, wenn es nicht auf der Stelle ruhig sei, wieder Stille einkehrte.

Währenddessen zwang sich Benjamin mühsam dazu, aufzustehen trotz seines schlimmen Unwohlseins. Er hatte das Gefühl, seine Seekrankheit habe sich bloß über Nacht noch verschlimmert. Und tatsächlich war dem so. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, als er endlich das Bett verlassen hatte und vor Schwindel wankend, vergeblich nach Halt suchte.

Schließlich war es Richard, der ihn stützte, bis er sich an der Wand abstützen konnte. „Dich scheint es wirklich schlimm getroffen zu haben“, bemerkte der Sträfling, während sie darauf warteten, dass sie endlich an die Reihe kamen und ihnen ihr Frühstück gegeben wurde.

Dann waren die zwei Wärter endlich bei ihnen. Während der eine aus einem Sack zwei trockene Stücke Brot herausholte, füllte der andere die Blechnäpfe der beiden Sträflinge mit einer dünnen Suppe. Richard zog verächtlich die Nase kraus, als die beiden Wärter weitergegangen waren. „Welch köstliche Mahlzeit!“, brummte er spöttisch, beließ es aber bei dieser einen Bemerkung.
 

Benjamin indessen drehte sich bei dem Anblick des Essens der Magen um. Am liebsten hätte er es einfach beiseite gestellt und sich weiterhin seinem Elend überlassen, bis die Übelkeit endlich wieder verschwunden war. Jedoch hatte er nicht mit Richard gerechnet.

Dieser setzte sich zu dem Barbier aufs Bett und begann mit großem Appetit zu essen, bis sein Blick auf Benjamin fiel. „Du musst schon etwas zu dir nehmen, sonst wird’s dir bloß noch schlechter gehen, glaub mir!“

Zweifelnd sah der Barbier ihn an und schüttelte schwach den Kopf. „Ich glaube nicht, auch nur einen Bissen zu mir nehmen zu können.“

„Das kann schon sein“, meinte Richard, „aber es wird dir gut tun, was im Magen zu haben, auch wenn du’s vielleicht wieder auskotzt.“ Dann fügte er nach längerem Überlegen hinzu: „Ich weiß, wovon ich rede. Ich war…lange Zeit Seemann.“

Erstaunt sah Benjamin ihn an, dann nickte er ergeben, da ihm klar war, dass Richard nicht eher Ruhe geben würde, bis er etwas gegessen hatte. Widerwillig tauchte er den Löffel in die dünne Suppe und schluckte sie hastig hinunter. Sie schmeckte nach nichts, jedoch verschlimmerte sie auch nicht seine Übelkeit, wie er es befürchtet hatte.
 

„Na bitte, geht doch“, stellte Richard zufrieden fest und machte sich wieder über seine eigene Mahlzeit her, die er in wenigen Minuten gänzlich hinuntergeschlungen hatte. Als er aufsah, hatte Benjamin nicht vielmehr als den einen Löffel Suppe gegessen. Erst nach viel gutem Zureden schaffte der Seemann es, ihn zum Essen zu bewegen, auch wenn es nicht allzu viel war. Den Rest überließ der Barbier schließlich Richard, der sich gierig drüber hermachte, wobei er zwischen zwei Bissen nuschelte: „Weißt du, du solltest dich über jeden Bissen freuen, den du in die Finger kriegst und denk einfach nicht lange nach, wenn du den isst. Aber selbstverständlich kannst du dein Essen auch gerne einfach mir überlassen.“ Bei den letzten Worten sah Richard auf und grinste.

Benjamin erwiderte das Grinsen flüchtig und murmelte: „Betrachte es als eine Art Dankbarkeit für deine Mühe.“

„Das nennste Mühe?“, fragte Richard und verzog spöttisch den Mund. „Wart’ nur ab bis wir in Australien sind, dann weißte, was Mühe bedeutet.“

Der Barbier ging nicht weiter drauf ein. Die Worte des Seemanns hatten ihn wieder daran erinnert, was ihn erwarten würde, dass er seinem bevorstehenden Schicksal nicht entfliehen konnte. Um vom Thema abzulenken, bemerkte er: „Täusche ich mich oder hat sich das Schaukeln des Schiffes in der letzten Stunde bloß noch verschlimmert?“

„Ja, das hat es“, bestätigte Richard. „Lief vor einer guten Stunde den Hafen aus. Wusstest du das nicht? Wir sind nu auf dem direkten Wege nach Australien!“

Stöhnend lehnte Benjamin sich zurück. Das durfte nicht wahr sein! Jedoch war das heftige Schaukeln eindeutig und bekräftigte Richards Worte bloß.

Richard, der die Reaktion des Barbiers, missverstand und auf die Seekrankheit bezog, erklärte in einem aufmunternden Ton: „Nicht mehr lange, dann ist es überstanden und du wirst dich wieder besser fühlen.“

„Vielleicht“, seufzte Benjamin. Genau in diesem Moment übermannte ihn wieder eine Welle der Übelkeit, die fürs erste seine Unterhaltung mit dem Seemann unterbrach.
 

Die nächsten Stunden zog sich der Barbier in seinem Elend zurück und flüchtete sich in einen unruhigen Schlaf, der aber meist nur von kurzer Dauer war. Es bedurfte schon das laute Grölen eines Sträflings und Benjamin schreckte wieder hoch, nach wie vor von einer schrecklichen Übelkeit befallen.

In den Momenten, in denen es ihm etwas besser ging, stellte Richard ihm die beiden Sträflinge vor, die sich die Koje über ihnen teilten. Der eine hieß Patrick O’Hara und war Ire, wie er sogleich mitteilte, der andere stellte sich mit James Brown vor. Ihm schien es wichtig zu sein, nicht auch für einen Iren gehalten zu werden, weswegen er im selben Atemzug anmerkte, dass er Brite sei. Bevor aber weitere Floskeln ausgetauscht werden konnten, gesellte sich Patrick zu Benjamin.

„Scheinst ’nen recht schwachen Magen zu haben, was?“, grinste er, nachdem der Barbier sich nicht mehr länger hatte zurückhalten können, und sich erbrach. Dieser brachte in dem Augenblick bloß ein undeutliches Murmeln zustande und so verschoben sie das Gespräch auf später. Stattdessen hörte Benjamin mit halbem Ohr zu, wie der Ire eine Zeit lang mit Richard über ein paar bekannte Sträflinge und deren Taten sprach, die ihm aber alle unbekannt waren.
 

Gegen Abend schließlich besserte sich Benjamins Zustand ein wenig. Zwar war die Übelkeit nicht verschwunden, doch wurde sie merklich schwächer. Er konnte nur hoffen, dass Richard recht behielt und seine Seekrankheit tatsächlich mit der Zeit nachließ.

Das Essen am Abend stellte sich als recht lecker heraus im Vergleich zu der kläglichen Mahlzeit vom Morgen. Es gab Grütze mit ein paar Erbsen und dazu gepökeltes Rindfleisch, das Benjamins Magen trotz der schwächer werdenden Seekrankheit zum Knurren brachte und er sich bei dem bloßen Gedanken an Essen schmerzhaft zusammenzog. Der Barbier war froh auf Richard gehört und vom Frühstück etwas zu sich genommen zu haben. Doch nun war sein Hunger überwältigend und drängte seine Übelkeit beinahe gänzlich in den Hintergrund zurück. Hastig tunkte er den Löffel in die Grütze und schlang sie hinunter. Der Geschmack war Nebensache.

„Oh da hat einer aber Hunger“, hörte Benjamin auf einmal jemanden nah bei ihm sagen. Erschrocken zuckte er zusammen und sah in Richards grinsendes Gesicht.

„Freut mich, dass es dir wieder besser geht“, antwortete er immer noch mit einem Grinsen auf den Lippen. „Aber du solltest nich’ zu hastig alles hinunterschlingen, sonst hast du’s schneller wieder ausgekotzt, als du’s in dich hineingeschaufelt hast.“

Als hätten die Worte des Seemannes seinen Magen daran erinnert, kehrte die Übelkeit mit einem Mal zurück und brachte Benjamin zum Würgen.

Erst da wurde er sich seiner Tat bewusst, wie er sich auf das Essen gestürzt hatte, jegliche Vernunft in ihm ignorierend. Ein eiskalter Schauer schüttelte ihn bei dieser Erkenntnis. Er musste sich zusammenreißen! Er durfte nicht jetzt schon die Kontrolle verlieren. Das durfte er nie!

„Hat es dir den Appetit verschlagen?“, fragte Richard neugierig und musterte den Barbier interessiert, während er geistesabwesend ein Stück des zähen Rindfleisches abriss.

Benjamin starrte ihn an, als sei er aus seinem Traum erwacht. „Der Hunger hat mich überwältigt“, erklärte er bedächtig. „Da habe ich wohl zu hastig gegessen.“

Richard nickte wissend. „Passiert oft und kann recht beschissen für dich ausfallen, wenn du schon alles gegessen hast. Dann musst du warten, bis die das nächste Mal wieder was rausrücken.“

Benjamin brummte zustimmend und widmete sich dann erneut seiner Grütze, die er dieses Mal viel langsamer als zuvor aß. Das gepökelte Rindfleisch brachte er kaum runter und beglückte seinen Mitgefangenen letztendlich damit.
 

Anschließend wurde ein halber Pint Branntwein an jeden Sträfling verteilt, der sofort für eine ausgelassene Stimmung sorgte.

„Ist bei euch noch ein wenig Platz?“, fragte Patrick plötzlich gut gelaunt, den Becher Branntwein in der Hand und setzte sich, ohne erst eine Antwort abzuwarten zu Richard und Benjamin. Dieser beobachtete neugierig den Iren mit dem roten, krausen, das ihm wild vom Kopf abstand. Gemeinsam stieß er mit Richard an und sie beide kippten genüsslich ihr Getränk hinunter.

Benjamin jedoch rührte seinen Branntwein nicht an. Er war sich unsicher, ob er den schon vertragen würde. Den verlockenden Duft unbeachtet lassend, entschied er sich letzten Endes dagegen, den Branntwein zu sich zu nehmen, zumal er Alkohol in großen Mengen noch nie gut vertragen hatte.

Diese Entscheidung blieb natürlich nicht lange unbemerkt. „Trinkst du das etwa nicht?“, fragte Patrick und beugte sich zum Barbier, den Blick auf den Becher in dessen Hand geheftet.

Benjamin schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube nicht, dass ich den schon vertrage.“

„Ach ja der schwache Magen“, erwiderte der Ire grinsend und stieß den Barbier mit dem Ellebogen in die Seite, wodurch dieser beinahe den Becher fallen gelassen hätte.

„He pass doch auf!“, protestierte jedoch Richard an Benjamins Stelle. Auch er erhoffte sich diesen Abend, die tägliche Branntwein Portion erhöhen zu können.

Die Blicke der beiden Sträflinge blieben Benjamin nicht lange unbemerkt und nach kurzem Überlegen hatte er ihre Absicht durchschaut

„Eigentlich ist es ja schade um den Branntwein, wenn ich den nicht trinke“, überlegte er laut. Er spürte Richards und Patricks gespannte Blicke auf sich ruhen. „Also könnt ihr meinen haben“, schloss der Barbier mit einem freundlichen Lächeln.

„Ah, das war eine sehr kluge Entscheidung, mein Freund“, stellte Patrick zufrieden fest und nahm Benjamin den Becher aus der Hand, womit er Richard zuvorkam. Genüsslich setzte er ihn an die Lippen und hatte innerhalb weniger Sekunden den gesamten Branntwein getrunken.

„Verdammt!“, fluchte Richard und stürzte sich auf den Iren. „Teilen hat er gesagt!“

„Ich weiß“, antwortete dieser fröhlich und wich dem Seemann geschickt aus, wobei er mit seinem eigenen Becher Branntwein winkte. „Deshalb kannste meinen Rest haben.“

Murrend nahm Richard den Rest entgegen und stellte verärgert fest, dass, wie er es sich gedacht hatte, bloß noch ein kleiner Schluck des leckeren Getränkes vorhanden war. Schnell kippte er ihn hinunter, um anschließend mit dem Becher nach Patrick zu werfen. Ein schmerzerfülltes Aufheulen ertönte, gefolgt von einem Schwall derber Flüche, die durch das gesamte Deck hallten, als der Ire an der Stirn getroffen wurde.
 

Dann erschien auf einmal James. Missmutig funkelte er den Sträfling an, mit dem er eine Koje teilen musste und knurrte: „Verschiebt eure Streitigkeit auf morgen, das könnt ihr da von mir aus an Deck machen, aber nicht jetzt!“

„Zu Befehl, Captain!“, erwiderte Richard spöttisch. „Und dann bekommen wir die Peitsche zu spüren, was? Nee, benimm dich einfach daneben, die sperren dich wenn du Glück hast ins Loch, da haste deine Ruhe.“

Mit diesen Worten kehrte er James den Rücken und setzte sich neben Benjamin. „Und du gibst mir das nächste Mal deinen Branntwein, klar?“, bestimmte Richard grinsend.

Der Barbier musste zugeben, dass er nicht mit dem Verhalten von Patrick gerechnet hatte. Und da er nun gegenüber Richard ein schlechtes Gewissen bekam, erklärte er ernst: „Den werde ich dir morgen Abend geben. Versprochen.“

Ungläubig starrte Patrick ihn an und brach schließlich in schallendes Gelächter aus. „Das meint der doch nicht ernst, oder? Tja Richard, tut mir Leid für deinen Tropfen, aber ich hab’ den eher verdient als du.“

Bevor der Seemann aber zu einer Antwort ansetzen konnte, mischte sich Benjamin ein. Der Lärm, den die beiden veranstalteten, machte ihm zu schaffen, schon jetzt begann er sich wieder schlechter zu fühlen und da James Worte ihn auf etwas aufmerksam gemacht hatten, fragte er: „Also wird es uns morgen erlaubt sein, das Deck zu betreten?“

Es war James, der sich zu einer knappen Antwort herabließ. „Ja, das wird es.“

„Schließlich meinten sie nur, dass es uns nicht erlaubt ist, wenn wir England noch nicht verlassen haben. Aber das haben wir heute. Befinden uns mitten auf dem Ärmelkanal“, ergänzte Richard. „Dann werden wir endlich frische Seeluft schnuppern können.“

„Gott sei Dank! Ich kann es kaum mehr erwarten, diesem verfluchten Gestank zu entkommen!“ Damit sprach Patrick allen aus der Seele. Schon jetzt hing ein furchtbar muffiger Geruch in der Luft, der sich nicht verbessern würde.
 

Während das Gespräch der drei seinen Lauf nahm, stierte Benjamin schweigend ins Leere. Die Satzfetzen verloren sich langsam, bis sie im Nichts verschwanden, in einer Geräuschkulisse untergingen, die er ausblendete.

Im Stillen versuchte er die Sträflinge, die er nun kannte, einzuordnen. Jedoch war dies schwieriger als gedacht und letztendlich musste Benjamin erkennen, dass er würde warten müssen, denn dafür waren sie allesamt auf eine gewisse Art undurchschaubar. Zumindest waren ihm ihre Charakterzüge nur teilweise vertraut. Und wenn, dann auch nur von den Insassen aus Newgate, mit denen er so wenig Kontakt wie nur irgend möglich gehabt hatte.

Eigentlich war das egal, versuchte er sich einzureden, er musste sie nicht richtig kennen lernen, da er keinen Kontakt zu Sträflingen brauchte, denn immerhin war er ein anständiger Bürger Londons, das würde man früher oder später erkennen müssen! Jedoch tief in ihm drin wusste Benjamin, dass dies bloß eine Illusion war. Er konnte sich das nicht mehr vorgaukeln. Auf diesem Schiff war er ein Sträfling und ohne Kontakt zu diesen, würde er schnell an dem harten Leben zerbrechen. Richard war der lebende Beweis. Er war sich nicht sicher, wie er ohne ihn mit seiner Seekrankheit umgegangen wäre, doch war sich Benjamin darüber im Klaren, dass er sich ohne dem Drängen des Seemannes, wenigstens etwas zu essen, nun wesentlich schlechter fühlen würde.

Und so war langsam der erste Anflug von Erkenntnis gesät.
 

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So und nach langer Zeit geht es nun wirklich weiter. Benjamin befindet sich auf See auf dem direkten Weg nach Australien. Was die Seereise betrifft, werde ich diese auch nicht ganz so kurz ausfallen lassen, da ich ein paar interessante Ideen dazu bekommen habe, die auch noch Auswirkungen auf sein Leben in Australien haben könnten.

Und die Kapitel werden wohl jetzt alle 2000 oder mehr Wörter umfassen, sonst wirkt alles so gequetscht. Na ja vielleicht gefiel jemandem das Kapitel ja^^
 

lg -Hakura
 

PS: Seit einem Jahr gibt's nun schon die FF hier *feier* Und ich hab mir vorgenommen auch noch ein weiteres durchzuhalten, bis ich sie beenden kann. Und an der Stelle ein vielen Dank an die lieben Kommischreiber^^
 

PPS: Ein halber Pint sind ca ein Viertel Liter also 250 ml.

Auf See

Es war Benjamin schwer gefallen, den ersehnten Schlaf zu finden. Als das laute Grölen der Sträflinge einem durchdringenden Schnarchen gewichen war, welches die Stille durchbrach, hatte sich dieses Mal ein neues Geräusch dazu gesellt, das dem Barbier erst an diesem Abend bewusst geworden war. Die Laute des Schiffes.

Es war ihm schon oft zu Ohren gekommen, dass man sich erzählte, ein Schiff würde leben, nie aber hatte er dem eine besondere Bedeutung geschenkt. Wozu auch? Er hatte auch nie vorgehabt, sich je auf einem Schiff zu befinden.

Doch nun hatte er verstanden, was damit gemeint war. Das Ächzen und Stöhnen der Planken, das harte Schlagen der Segel im kühlen Nachtwind und das sanfte Klatschen der Wellen gegen die Bordwand hatten ihn immer wieder aus seinem unruhigen Schlummer gerissen. An das Schnarchen und die anderen Laute der Sträflinge hatte er sich bereits in Newgate gewöhnen können, die Geräusche des Schiffes jedoch waren ihm gänzlich neu und so konnte er nicht verhindern, dass sie in ihm eine gewisse Beunruhigung weckten, welche ihn um den Schlaf brachte.

Aus diesem Grund fiel es Benjamin entsetzlich schwer am nächsten Morgen aufzustehen. Unsanft war er, wie schon am Tag zuvor, durch das laute Getöse der Sträflinge, das beim Austeilen des Frühstücks ausgelöst wurde, geweckt worden.
 

Schlaftrunken richtete sich Benjamin auf und musste sogleich feststellen, dass seine Übelkeit – sehr zu seinem Leidwesen – noch nicht gänzlich verschwunden war. Dennoch rappelte er sich schwankend auf, griff nach Löffel und Blechnapf und gesellte sich zu Richard, der ungeduldig auf seine Mahlzeit wartete.

„Na, wie geht’s uns heute so?“, fragte er mit einem schiefen Lächeln, während er es den anderen nachtat, in dem er unablässig mit dem Löffel gegen das Blech seines Napfes schlug.

„Besser“, brummte Benjamin, der sich nicht an dem Radau beteiligte, sondern geduldig wartete.

Danach verloren beide kein Wort mehr, bis sie schließlich mit ihrem kargen Frühstück in der Hand auf dem Bett saßen und hastig aßen. Als Richard jedoch erwähnte, dass es Benjamin anscheinend wirklich viel besser ginge und dieser darauf prompt anfing zu würgen, musste er es auf ein „fast besser“ beschränken, womit er es fürs erste bei einem Gespräch beließ. Jedem von ihnen war mittlerweile klar geworden, dass sie noch viel Zeit haben würden, miteinander zu reden, da war es unsinnig in den ersten Tagen allen Gesprächsstoff aufzubrauchen.
 

Und so verstrichen langsam die Stunden, welche kaum Abwechslung für Benjamin versprachen. Mit stumpfem Blick lauschte er den Geräuschen um sich herum, ohne sie dabei direkt wahrzunehmen. Das bleierne Gefühl der Untätigkeit hatte sich auf ihn gelegt, fesselte ihn an den Boden, wo er zu keiner Regung fähig war. Doch je mehr Zeit verging, desto deutlicher spürte er, dass sich die enge Umklammerung der Seekrankheit lockerte und ihn allmählich wieder freigab.

Schließlich wurde der Barbier aus seiner Lethargie gerissen, als Richard plötzlich vor ihm auftauchte und rief: „Na los, aufgestanden! Die frische Seeluft wartete auf uns!“

Etwas benommen sah Benjamin auf und schüttelte verwirrt den Kopf. Es dauerte, bis er die Bedeutung dieser Worte verstand. Dann jedoch durchdrang ihn Leben und ließ keinen Gedanken an Untätigkeit mehr zu. Von dem Wunsch besessen, der muffigen Luft unter Deck zu entkommen, sprang er auf und tadelte sich sogleich dafür heimlich, denn beinahe wäre er mit dem Kopf gegen die niedrige Decke der Koje gestoßen, unter der er gerade noch aufrecht stehen konnte. Der Ärger über ihre kleine Koje, in der sie beide kaum genug Platz hatten, war schnell verflogen, nachdem er den anderen an Deck gefolgt war.
 

Ein seltsames Gefühl der Freiheit ergriff Benjamin, als er durch die Luke das Deck betrat und den frischen Seewind im Gesicht spürte. Er fröstelte leicht, doch war er nur allzu gern bereit, diesen geringen Preis im Austausch gegen das bisschen Freiheit, das ihnen erlaubt war, zu zahlen. Glücklich sog er die salzige Brise tief ein und ein wohliger Seufzer entwich seinen Lippen.

Richard, der das seltsame Verhalten des Barbiers bemerkt hatte, musste lachen. „Du erweckst den Anschein, als seiste gerade aus jahrelanger Gefangenschaft entlassen worden, statt zwei lächerliche Tage unter Deck gefristet zu haben.“

Benjamin sah ihn mit einem Lächeln auf den Lippen an. „Das mag sein“, erwiderte er, „aber kommt mir dies tatsächlich so vor. Seit über vier Monaten war es mir nun nicht mehr vergönnt, so etwas wie Freiheit zu erfahren, wo mir doch sonst nichts anderes bis dahin bekannt war.“

„Vier Monate musstest du auf das Urteil für deine Straftat warten?“, fragte Richard. In seiner Stimme schwang ein Anflug von Spott mit. Benjamin, dem dies nicht entgangen war, nickte ernst. Jedoch hatte er nicht mit der Antwort des Sträflings gerechnet.

„Da haste aber richtig Glück gehabt! Vier Monate. Das ist eigentlich ‘ne verdammt kurze Zeit!“ Als er aber dem überraschten Blick des Barbiers begegnete, war es dieses Mal an ihm ungläubig zu gucken. „Dir ist doch wohl bewusst, dass die meisten mindestens ‘n halbes wenn nicht sogar ein Jahr oder noch länger auf ihr Gerichtsverfahren warten müssen, oder?“

„Nein.“ Benjamin schüttelte erstaunt den Kopf, während er sich auszumalen versuchte, solch lange Zeit in Newgate ausharren zu müssen. Bei dem Gedanken überlief ihn unwillkürlich ein Schauer, den er schnell wieder verdrängte. Dennoch flüsterte eine leise Stimme in ihm, ob es in Australien wirklich besser als in Newgate sei.
 

Doch Richard ließ dem Barbier keine Gelegenheit, sich seiner Sorge bezüglich der Sträflingskolonie zu widmen.

„Du bist schon ‘nen seltsamer Kerl, weißt du das? Die wenigsten Verurteilten wissen nicht, was für ein Glück sie haben, wenn sie so früh das Verfahren kriegen. Hast wahrscheinlich auch den Kontakt zu anderen Sträflingen gemieden, was?“

Bei diesen Worten stieß der Seemann Benjamin verschwörerisch in die Seite. Dieser zuckte leicht zusammen, da er mit dieser Reaktion nicht gerechnet hatte und bestätigte Richards Worte. Zufrieden lächelte der Seemann, als sich seine Vermutung als richtig erwies.

„Auf diesem dreckigen Schiff wird dir nur leider nichts anderes übrig bleiben, als dich mit ein paar deiner Sorte bekannt zu machen. Und mich kriegste so schnell wahrscheinlich auch nicht los. Weißt du…, ich finde, du solltest mir mal heute bei einem guten Schluck Portwein erzählen, weswegen du dich auf dem Weg ans andere Ende der Welt befindest“, meinte er dann mit unverhohlener Neugierde.

Nachdenklich starrte Benjamin den jungen Mann an. Warum eigentlich nicht?, sagte er sich schließlich. Er selbst musste sich eingestehen, dass es ihm gut tun würde, endlich einmal jemandem mit Verständnis seine Geschichte erzählen zu können. Und irgendwie glaubte er, dass sich Richard von den anderen Sträflingen unterschied. Er wirkte so vertrauensvoll, eigentlich genau so jemanden hatte sich Benjamin während seiner kurzen Zeit in Newgate zum Reden gewünscht.

„Das ist ein guter Vorschlag – außerdem wird sich heute deine Portweinportion verdoppeln“, meinte Benjamin mit einem vielsagenden Lächeln und stützte sich auf der Reling ab, die sie in ihrem Gespräch angesteuert hatten.

„Du bist ja ‘ne richtig ehrliche Haut, das sieht man wirklich g-…“, setzte Richard erfreut an und hielt abrupt inne, als sein Blick auf das Gesicht das Barbiers fiel, das plötzlich besorgniserregend grünlich wirkte.
 

Benjamin hatte den Fehler begangen, aufs Meer zu schauen. Auf die endlos weite, blaue See. Mit einem Mal hatte ihn seine Seekrankheit wieder im Griff. Allein der Gedanke an die Unendlichkeit des Gewässers bereitete ihm Übelkeit und sein Vertrauen in das majestätische Schiff, das ruhig durch die Wellen stampfte und sich immer weiter von seiner Heimat entfernte, schwand zusehends. Zitternd klammerte er sich an das beruhigend feste Holz der Reling und musste sich hastig drüber beugen, um sich zu erbrechen. Dabei fiel sein Blick auf die schäumenden Wellen, die der Dreimaster durchpflügte und ihm schwindelte.

Plötzlich wurde er grob fortgerissen und in Richtung Deck gedreht, sodass sein Blick unweigerlich, auf die Planken und die sich darauf befindenden Sträflinge fiel.

„Besser du siehst woanders hin“, meinte Richard neben ihm, der den Barbier unsanft dazu gebracht hatte, sich vom Anblick des unendlichen Meeres loszureißen.

Benjamin nickte nur benommen. Noch immer schwirrte in seinem Kopf das Bild der weiten See umher. An nichts anderes konnte er mehr denken. Ihm war mit einem Mal bewusst geworden, wie recht man doch damit hatte, Australien als sich am anderen Ende der Welt befindend zu bezeichnen. Ein Schauer schüttelte ihn bei den Gedanken an Lucy und die Entfernung, welche sie voneinander trennte. Doch das sollte ihn nicht aufhalten! Er würde zurückkehren! Eines Tages, da würde man schon seiner Unschuldsbeteuerung Glauben schenken, würde der ganze Irrtum auffliegen. Und dann, dann würde er…

„Na, geht’s wieder?“, fragte Richard unvermittelt, womit er den Barbier wieder aus seinen Gedanken riss.

Zerstreut schenkte Benjamin dem Seemann seine Aufmerksamkeit. „Ja, doch, vielen Dank“, brachte er schließlich heraus und lächelte. „Mittlerweile sollte dir mehr zustehen als diese eine Portweinportion.“

„Oh, nun fangen wir also wieder damit an“, bemerkte Richard spöttisch. „Obwohl, an sich wäre ich einer weiteren Portweinportion durchaus nicht abgeneigt…“

„Ich verstehe.“ Benjamin nickte wissend, während in seinen dunkelbraunen Augen ein warmer Funke aufglomm. Dann schenkte er nachdenklich dem Deck seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
 

Es war ihnen bloß erlaubt, sich in einem bestimmten Bereich aufzuhalten. Um dies zu verdeutlichen, hatte man Absperrungen errichtet, die in Benjamin immer mehr das Gefühl, wie Vieh behandelt zu werden, bestärkten. Hinzu kamen die bewaffneten Wärter, welche ein wachsames Auge auf die Sträflinge hatten. Allein das Achterdeck auch nur zu betreten, war strengstens verboten und würde – wie viele andere Taten, die in den Augen der Aufseher Missfallen erregten – mit schweren Strafen geahndet werden. Die Sträflinge schienen sich daran jedoch nicht zu stören. Sorglos faulenzten sie an Deck, genossen die frische Luft, spielten Karten, führten derbe Unterhaltungen oder beschäftigten sich mit Anderweitigem, das man in dieser Gefangenschaft tun konnte.

Was aber letztendlich Benjamins eigentliches Augenmerk auf sich zog, war das große Schiff selbst, auf dem er sich befand. Oft hatte er Geschichten und Seemannsgarn von manch abenteuerlichen Seefahrten gehört, hatte prächtige Handelsschiffe oder heruntergekommene Schaluppen aus der Ferne sehen können, doch den Wunsch verspürt, eins dieser Gefährte zu betreten, hatte er nie. So war es auch nicht verwunderlich, als er sich nun, da ihn für kurze Zeit nichts ablenkte, staunend umsah, überwältigt von der Höhe der Masten und der Takelage, die auf ihn den Eindruck erweckte, in einer völlig willkürlichen Anordnung angebracht worden zu sein.
 

Richard beobachtete den Barbier amüsiert, wie dieser sich voller Staunen umsah. Für ihn selbst war der Anblick eines Schiffes längst nichts Ungewöhnliches. Stattdessen weckte es bloß Erinnerungen an seine Zeit auf See, bevor man ihn verhaftet und zur Deportation verurteilt hatte. Ein verärgerter Ausdruck trat bei dem Gedanken in sein Gesicht und er verzog missmutig den Mund. Um sich ein wenig Ablenkung zu verschaffen, wandte er sich deshalb wieder an Benjamin.

„Ist ein tolles Schiff, was?“, grinste Richard und riss den Barbier aus seinem Staunen wieder heraus.

„Ja, sicher doch“, murmelte er verwirrt, in seinen Gedanken gefangen. Dann sah er zu dem Seemann und ihm fiel wieder ein, welchen Beruf sein Mitgefangener ausgeübt hatte. „Du warst doch Seemann, nicht? Dann müsstest du dich gut mit dem Schiff hier auskennen, oder?“

„Hmm so in etwa“, wich Richard ihm aus. „Aber wie wär’s, da wir ohnehin nichts zu tun haben und irgendwann vor Langeweile zugrunde gehen, könnte ich dir ein bisschen was übers Schiff erzählen.“

„Gerne.“ Benjamin hatte nichts gegen diesen Vorschlag einzuwenden. Er war sich der Langeweile, die ihn in den nächsten Wochen seiner eintönigen Gefangenschaft auf See erwarten würde, durchaus bewusst. Bereits in Newgate hatte er erfahren müssen, wie schnell einem die Untätigkeit zusetzen konnte, weshalb er nun über jede Ablenkung dankbar war, die zudem dafür sorgen würde, dass er seine Seekrankheit schlichtweg vergessen und in den Hintergrund verdrängen könnte.

Und so machte es Richard sich zur Aufgabe, in der Zeit, die es ihnen erlaubt war, an Deck zu verweilen, dem Barbier den Aufbau des Schiffes zu erklären und ihm jeweils die Begriffe und Namen einzelner Schiffsteile beizubringen. Benjamin fand Gefallen daran und erwies sich als aufmerksamer und guter Zuhörer.

Weit kam Richard anfangs jedoch nicht in seiner Erklärung, da sie schon nach kurzer Zeit wieder das Deck verlassen mussten.

„Morgen gibt’s dann mehr“, meinte Richard nur achselzuckend, als sie in Reih und Glied unter Deck zu ihren kleinen Kojen getrieben wurden.

Den restlichen Tag vertrieb Benjamin damit, stumm ein paar Gesprächen zu lauschen und sich langsam aus der Wirklichkeit zurückzuziehen, wie er es in seiner Gefangenschaft schon getan hatte. Es half und wenn er Glück hatte, erreichte er irgendwann den Punkt, an dem Zeit bedeutungslos wurde.

Richard zog es dagegen vor, bei anderen Sträflingen ein Gespräch zu suchen, bis schließlich das Abendessen ausgeteilt wurde. Gepökeltes Rindfleisch.
 

„So, dann schieß mal los!“, forderte der Seemann Benjamin neugierig auf. Er musste sich eingestehen, dass ihn die Geschichte des seltsamen, äußerst schweigsamen Sträflings sehr interessierte. Er unterschied sich von den anderen, ohne Zweifel. Und das war einer der Gründe, weshalb Richard sich überhaupt mit ihm einließ. Er hatte sogar dafür gesorgt, dass sie ungestört blieben und Patrick unmissverständlich klargemacht, an diesem Abend von ihm in Ruhe gelassen zu werden, was der Ire mit einem gleichgültigen Achselzucken zur Kenntnis genommen hatte.

Nachdenklich biss Benjamin vom zähen Fleischstreifen ab und überlegte, wie er beginnen sollte. „Bevor man mich zu Unrecht festgenommen hat, arbeitete ich als Barbier“, fing er schließlich zögernd an, wobei sein Blick auf das Essen in seinen Händen gerichtet blieb. Aus diesem Grund bemerkte er auch nicht, wie sich Richards Augenbraue skeptisch bei den Worten „zu Unrecht“ hob. Doch hielt der Seemann es für unklug, den Barbier gleich zu Anfang zu unterbrechen und wartete deshalb erst einmal schweigend ab, was er erzählen würde. Danach war immer noch Zeit das alles in Zweifel zu ziehen.

Und so begann Benjamin mit seiner Geschichte. Erzählte kurz von seinem Leben, wie es gewesen war und mit einem Mal durch seine Festnahme völlig aus den Fugen geriet.

„Dann kam endlich der Tag, an dem das Gerichtsverfahren stattfinden und sich das Missverständnis klären sollte, wie ich dachte. Aber stattdessen wurde ich plötzlich des Mordversuchs beschuldigt, Richard! Meine treusten Kunden sagten gegen mich aus, wo sie doch wussten, dass ich nie im Leben den bloßen Gedanken an eine solch ungeheuerliche Tat hegen würde!“, mit einem Mal spürte der Barbier, wie all die Empörung über dieses ungerechte Verhalten in ihm hervorkam, nicht willens, sich wieder verdrängen zu lassen, „Kein Wort hat mir der Richter geglaubt, als ich wahrheitsgemäß meine Stellung dazu äußerte. Mich der schamlosen Lüge bezeichnet, das hat er! Jedem einzelnen Wort, jedem einzelnen erlogenen Wort gegen mich hat er Glauben geschenkt. Schließlich verurteilte man mich zur Deportation nach Australien. Lebenslänglich – wegen Mordversuchs!“, rief Benjamin.

Während er seine Geschichte erzählt hatte, merkte er, wie die Worte ausgesprochen einen ganz anderen Klang annahmen als bloß gedacht. Die letzten Sätze hatte er auf einmal mit einer großen Heftigkeit ausgesprochen, die er schon lange nicht mehr verspürt hatte. Wie hatte man ihm dieses Unrecht bloß antun können? Alles in ihm protestierte auf einmal. Wie hatte er das nur so einfach hinnehmen können?
 

„Hmm, hört sich ja recht schlecht für dich an“, meinte Richard und überlegte, was er sagen sollte. Während Benjamin erzählt hatte, war die tägliche Portweinration ausgeteilt worden und so starrte er nun nachdenklich auf die rote Flüssigkeit. Er musste zugeben, die Wahrheit über den Barbier hatte ihn enttäuscht. Es war offensichtlich, dass er log. Allein die Tatsache, wie nachdrücklich er auf seine Unschuld beharrte, verlieh dem Ganzen eine ziemliche Unglaubwürdigkeit.

„Aber du scheinst ein verdammt gutes Weib gehabt zu haben. So ein Glück hat nun wirklich nicht jeder. Oh ich weiß, wahrscheinlich hat jemand ihr an die Wäsche gewollt und du hast sie eifersüchtig wie dein Augapfel gehütet, was? Ah so war’s doch“, grinste der Seemann zufrieden, der Benjamins fassungslosen Gesichtsausdruck falsch deutete und dadurch ermutigt mit seiner Theorie fortfuhr: „Und bevor der arme Kerl wusste, wie ihm geschah, hat er sich aufgeschlitzt in irgendeiner Gasse wiedergefunden. Und wahrscheinlich hat der Richter auch was an deinem Weib gefunden, wenn’s so ein hübsches Ding ist, wie du beteuert hast. Aber mit einem Richter als Widersacher hat man’s schon schwer. Vielleicht hat dich ja sogar dein liebes Täubchen verpfiffen, ich mein…“

Richard hatte ohne es zu wissen, das Fass zum Überlaufen gebracht. Anfangs mit Unglauben, dann mit zunehmender Fassungslosigkeit und schließlich mit einer langsam auflodernden Wut hatte Benjamin den Worten des Seemannes zugehört. Wie konnte dieser es wagen? Wie konnte er sich erdreisten, solch widerliche Geschichten zu erzählen? Lügen, erstunkene Lügen, die einen schneller als man es sich bewusst wurde, ins Verderben stürzten. Was wusste dieser Seemann schon von ihm? Wie konnte er all das Unrecht, das ihm in den letzten vier Monaten widerfahren war, überhaupt verstehen können? Wahrscheinlich war er wegen Trunkenheit oder dergleichen verurteilt worden. Nein, Richard war nicht im Geringsten bewusst, wovon er da redete, nie im Leben würde er verstehen können, was es bedeutete, an seiner Stelle zu sein!

„Sei still, du weißt nicht, was du da sagst“, flüsterte Benjamin leise mit ausdruckslosem Blick. Er war unschuldig, unschuldig, unschuldig! Man hatte ihn zu Unrecht verurteilt! Ihm hatte man eine schreckliche Ungerechtigkeit zugefügt, die nur allein er nachvollziehen konnte. Keiner, wirklich niemand, würde das je verstehen können.
 

Aber auch dieses Mal hatte Richard seinen Mitgefangenen falsch verstanden. Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht und er beugte sich mit triumphierenden Blick vor, als er feststellte: „Ha! Also hatte ich Recht mit meiner Vermutung! So viel also zu deiner Unschuld…“

„Nein!“, platzte es da aus Benjamin heraus und er sprang in all seiner Empörung plötzlich auf. Beinahe wäre er mit dem Kopf gegen die niedrige Deck der Koje gestoßen und konnte, dies bloß noch geistesgegenwärtig verhindern, indem er den Kopf einzog. Aber das stachelte seine Wut nur weiter an. Wütend starrte er auf Richard herab, während er aufgebracht rief: „Ich bin unschuldig! Vom einen auf den anderen Moment hat man mich grundlos verhaftet, hat mich vier verdammte Monate in Newgate festgehalten und bezichtigt mich dreist der Lüge! Nie, wirklich nie habe ich auch nur einen einzigen Gedanken daran verloren, etwas Widerrechtliches zu tun! Oh ich habe ein vorbildliches Leben geführt, habe mich immer ans Gesetz gehalten, niemandem geschadet und auf einmal erzählt alle Welt das Gegenteil! Warum tut man mir das an? Wie, wie konnte das passieren? Was wird nur Lucy nun von mir denken? Wie konnte ich sie einfach so zurücklassen völlig auf sich allein gestellt. Oh Lucy, nie wollte ich dir das antun…“ Kraftlos war Benjamin zusammengesunken. All seine Empörung, die er die letzten Monate über aufgestaut hatte, war mit einem Mal hervorgebrochen, hatte sich Luft gemacht und war in eine erschreckende Wut umgeschlagen. Und je mehr er die Wahrheit aussprach, desto verzweifelter wurde er, bis sein aufgebrachter Ausruf der Empörung einem leisen Wimmern gewichen war. Verzweifelt vergrub er den Kopf in seinen Händen. Es war alles so schrecklich ausweglos! Er war machtlos. Und niemand glaubte ihm – eine schrecklich niederschmetternde Tatsache, bittere Realität.
 

Stumm hatte Richard den Gefühlsausbruch des Barbiers verfolgt. Er war von der Empfindlichkeit seines Mitgefangenen gegenüber diesem Thema überrascht. Meist erzählten die Sträflinge recht gelassen von ihrem Vergehen. Ja, manche brüsteten sich nahezu mit ihren Straftaten und Benjamin schien stattdessen gänzlich darunter zu leiden. Aber, wenn er länger über die Geschichte des Barbiers nachdachte, so kamen ihm ganz andere Gedanken und auf einmal breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er hatte seinen Mitgefangenen in der Tat richtig eingeschätzt, was sein Interesse jedoch bloß an diesem steigerte.

Benjamin indessen hatte Richard völlig vergessen. Noch immer litt er unter seinem Gefühlsausbruch. Mit einem Mal waren all die Gefühle, die er die ganze Zeit unterdrückt hatte, teils auch durch die falsche Hoffnung, alles handle sich bloß um ein Missverständnis, auf ihn eingestürmt. Mit jedem Wort, das er ausgesprochen und ihm beinahe schon etwas Befreiendes gegeben hatte, waren auch seine Ängste, seine Verzweiflung, sein Leid und, ja, seine Wut auf die schlimme Ungerechtigkeit in ihm aufgestiegen. All das hatte ihn verwirrt, denn nie hatte er je so empfunden. Vielleicht war er mal ein bisschen ängstlich gewesen, er hatte auch mal ein wenig Verärgerung verspürt, sicher, aber in diesem Ausmaß … nie! Erst recht nicht diese schreckliche Verzweiflung.

Was geschah hier bloß? Was tat man ihm an?

Er merkte, wie sich seine Kehle zuschnürte und ihr ein erstickter Laut entwich.
 

„Da, bitte, den hast du gerade nötiger als ich, wie mir scheint“, hörte er da auf einmal Richards Stimme, aus der jeglicher Spott verschwunden war.

Zögernd sah Benjamin mit stumpfem Blick auf und starrte auf den Portwein, den er eigentlich dem Seemann überlassen hatte und dieser ihm nun auffordernd hinhielt. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verlieren, griff der Barbier danach und stürzte ihn in großen Schlucken hinunter.

„Danke“, murmelte er ausdruckslos und ließ den Becher achtlos fallen. In diesem einen Augenblick wünschte er sich nichts sehnlicher, als sich in das wohltuende Vergessen, das ihm der Schlaf schenken würde, flüchten zu können.

Sein Mitgefangener hatte dies bemerkte und ließ ihn in Ruhe. Dankbar schloss Benjamin die Augen. Er fühlte sich grässlich, so ausgelaugt, wie ein Kleidungsstück, aus dem man gewaltsam alles Wasser heraus gewrungen hatte. Er wollte nicht mehr denken, nicht mehr fühlen, sondern sich einfach nur der Vergessenheit des Schlafes überlassen, der ihn langsam übermannte und ihm einen tiefen traumlosen Schlummer schenkte.
 

Nach diesem einen Abend verhielt sich Benjamin verschlossener und wortkarger jedem gegenüber. Richards Reaktion hatte ihn bitter enttäuscht, hatte er doch auf Verständnis und Mitgefühl gehofft. Stattdessen war er mehr oder weniger für seine heftige Unschuldsbeteuerung verspottet worden und wieder hatte man ihm keinen Glauben geschenkt. Es schien, als glaubte niemand der Wahrheit, jeder hielt die Lüge für einfacher, glaubhafter. Und dennoch hatten Richards Mutmaßungen über die vermeintliche Wahrheit Benjamins Gedanken, ohne dass dieser sich darüber im Klaren war, auf eine andere Spur gelenkt. Richter Turpin.

Richard hingegen verhielt sich in den nächsten Tagen unverändert, als hätte dieses Gespräch überhaupt nicht stattgefunden. Einen Teil der Zeit an Deck verbrachte er damit, Benjamin auch weiterhin vom Schiff zu erzählen, was dieser nun wortlos zur Kenntnis nahm. Trotzdem zeigte er sich dankbar für die Ablenkung und bemühte sich, nicht allzu abweisend zu reagieren.

Hin und wieder gesellte er sich auch zu anderen Sträflingen, bloß um schnell zu erkennen, dass sie Welten voneinander trennten. Jedoch störte ihn das nicht. Vielmehr stimmte ihn die Erkenntnis, dass er sich von den anderen unterschied, glücklich und in ihm regte sich die leise Hoffnung, das alles doch noch gut zu überstehen, ohne sich das Verhalten eines Sträflings anzueignen.
 

Die Tage auf See verstrichen langsam. Jeder einzelne, schien eine Ewigkeit anzudauern und aus der anfänglichen Abwechslung, die sich durch Kartenspielen, Gesprächen oder den kostbaren Stunden an Deck bot, wurde Eintönigkeit, die die Langeweile in jedem an Bord nährte. Auch Benjamin quälte die Untätigkeit, sodass er langsam bereit war, sich auf mehr einzulassen. Die Unterhaltungen, denen er beiwohnte wurden länger. Er stellte fest, dass nicht alle Vorurteile, die er gehabt hatte, berechtigt waren. Nicht jeder wusste nur von unflätigen Dingen oder Verbrechen zu berichten, so war es Patrick, der ihm von seiner Lebensgeschichte erzählte. Vom Iren erfuhr er, dass diesem einzig und allein wegen seiner Herkunft im Laufe der Jahre immer wieder Unrecht angetan worden war. Anfangs hatte der Barbier nicht glauben wollen, was er da hörte, doch schließlich wurde ihm bewusst, dass Patrick Recht hatte. Nicht nur das erfuhr er von ihm, sondern auch den Grund seiner Deportation. Freimütig erklärte Patrick, dass er einer Verschwörung beigewohnt habe, die sich gegen die englische Regierung gerichtet hatte. Er hatte Glück im Unglück gehabt, als dies aufgeflogen war und man sich damit begnügt hatte, ihn lebenslänglich nach Australien zu verbannen, statt ihn zu hängen.

Trotz der Ehrlichkeit des Sträflings weigerte sich Benjamin, von seiner Geschichte zu erzählen und gab nichts von seinem Leben preis. Er hatte sich fest vorgenommen, dass niemanden dies mehr etwas anging. Er war es leid, von Außenstehenden der Lüge bezichtigt zu werden. Und irgendwann hörte Patrick auf zu fragen und akzeptierte den Willen des Barbiers, wobei dieser sich manchmal im Stillen fragte, ob nicht vielleicht auch Richard geplaudert hatte. Sein anfängliches Vertrauen in den Seemann war zwar noch vorhanden, jedoch hatte es seit diesem einen Vorfall stark gelitten und sowie auf dieses Thema zu sprechen gekommen wurde, begegnete er allem mit Misstrauen.
 

Ein weiterer Zeitvertreib war das Einüben und Aufführen von selbst erdachten Gerichtsverfahren. Diese endeten meistens darin, dass der verurteilte Sträfling den Richter verhöhnte, ihm die Flucht gelang und er letztendlich ein hübsches Weib bekam. Benjamin begnügte sich damit dem zu zusehen. Schnell hatte er bemerkt, dass in den Augen der Sträflingen das Gericht ein anderes war als für ihn. Seine Gerechtigkeit, an die er immer geglaubt hatte und es immer noch tat, gab es nicht. Der Richter war meist skrupellos und hatte schon von vorneherein beschlossen, dass man schuldig war. Oder aber er war ein Trottel, dem von dem Verurteilten gehörig auf der Nase herumgetanzt wurde. Alle Stücke hatten eines jedoch gemeinsam: Der Name des Gesetzes und denen, die dieses ausführten, wurde in den Dreck gezogen, wo es nur ging.

Benjamin war sich unsicher, was er davon halten sollte. Das alles handelte schließlich gegen jegliche Vorstellung von seiner Moral – sein ganzer Glaube an das Gesetz und die Gerechtigkeit würde so in seinen Grundfesten erschüttert werden. Und doch…, ein kleiner Teil in ihm schloss sich dieser Sicht der Dinge mit Begeisterung an. Denn gäbe es tatsächlich diese Gerechtigkeit, hätte man ihn da einfach lebenslänglich nach Australien verbannt? Die Antwort lag auf der Hand und trotzdem floh Benjamin noch eine lange Zeit vor ihr.
 

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Ich habe gerade festgestellt, dass fast ein Jahr zwischen dem letzten und diesem Kapitel hier liegen. Wobei dieses Kapitel so ziemlich in dem Zeitraum des letzten geschrieben worden ist - es war nur die Überarbeitung kleiner Details, die mir zu schaffen gemacht hat und weswegen es so lange gedauert hat.

Ich denke, dass dieses Kapitel ein paar wichtige Punkte zu Benjamins Weltanschauung hat. Ingesamt bin ich jedenfalls ganz zufrieden damit.

Leider ist mir in letzter Zeit bewusst geworden, dass ich kurz davor bin, die FF abzubrechen oder zumindest zu pausieren, da ich aus diesem ganzen Australien Thema irgendwie rausgerutscht bin. Gut möglich, dass ich in nächster Zeit auch weiterhin lieber an meinem alternativen Ende zu Sweeney Todd weiterschreibe.

Wie dem auch sei.

Ich hoffe, das Kapitel hat dem ein oder anderen gefallen.
 

Lg -Hakura



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Kommentare zu dieser Fanfic (50)
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Von:  Caro-kun
2010-04-06T18:02:11+00:00 06.04.2010 20:02
Ich fand es wirklich unmöglich von Richard, dass er Ben der Lüge bezichtigt hat. Und ich kann Benjamin verstehen. Ich weiß, wie weh es tut, wenn man jemandem dem man eigentlich vertraut seine Sorgen erzählt und dann statt Mitgefühl nur Hohn oder Spott erntet. Ich kann es wirklich sehr gut verstehen *nick*
Der Gefühlsausbruch von ihm war wirklich berechtigt. Ein ganz kleines bisschen kam da Sweeney zum Vorschein.

Es tut ehrlich gut, mal wieder was von dir zu lesen! Ich muss sagen, dein Schreibstil ist so einzigartig, ich hab ihn richtig vermisst ^^
Klar fände ich es schade, wenn du diese geniale FF hier abbrechen würdest, aber ich weiß nur zu gut, wie quälend es ist, an einer Geschichte weiterzuschreiben, die für einen selbst eigentlich jeglichen Reiz verloren hat.
Und solange du nicht gänzlich aufhörst zu schreiben, werde ich dich hier zu nichts drängen, ist doch ganz klar ^^

Von:  Caro-kun
2009-09-10T20:44:15+00:00 10.09.2009 22:44
Benjamin tut mir Leid.
Zum Glück hat sich seine Seekrankheit etwas gebessert ^^

Was ich insgeheim doch ein kleeeeines bisschen schade finde, ich hatte nämlich gehofft, Sweeney Todd auch irgendwann mal kotzend über der Reling hängen zu sehen – nimm das bitte nicht persönlich. Ich liebe ihn, wirklich, aber manchmal muss ich ihn einfach ein wenig ärgern =)

Von:  Caro-kun
2009-09-10T20:43:28+00:00 10.09.2009 22:43
Was? Moment mal!
Die Falltür und der Schacht zum Keller waren schon immer da?
Gott, wie peinlich >.<
Ich dachte immer, die seien erst entstanden, als Mrs Lovett damit angefangen hat, das Fleisch der Leichen in die Pasteten zu verarbeiten.
Aber … na klar, wie hätte Sweeney das denn machen sollen? Er hat ja lediglich den Stuhl umgebaut, den Schacht selbst auszumauern, hätte er niemals geschafft.
Oh, ich bin so blöd!

Das Lächeln von Bamfort ist übrigends wirklich abstoßend. Einfach nur ekelhaft, so wie alles an ihm.
Und es ist so fies von ihm, Mrs. Lovett nicht ordentlich zu bezahlen >-<

Von:  Caro-kun
2009-09-10T20:42:46+00:00 10.09.2009 22:42
Dreckiger Handlanger, na diese Bezeichnung passt ja mal perfekt auf Bamfort.
Aber es war rührend zu sehen, wie sehr Mrs. Lovett es zumindest versucht hat die kleine Johanna zu beschützen.

Ich würde als Kind übrigends auch anfangen zu schreien, würde mich dieser Büttel im Arm halten *schauder*
Schmieriger Sack!
Johannas Tränen machen es in dem Moment noch deutlicher, dass man diesem Kerl nicht trauen kann. Finde ich zumindest.

Von:  Caro-kun
2009-09-10T20:41:50+00:00 10.09.2009 22:41
Sag mal, wo ist eigentlich die Stelle im Film, an der man dann weiß, dass Lucy vom Richter vergewaltigt wurde? Ich hab diese Information nur aus Foren. Genauso wie die Tatsache, dass Ben nach Australien verbannt wurde. Woher weiß man das denn?

Na ja, jetzt zu was anderem ^^°
Auch wenn Mrs. Lovett Lucy nicht leiden kann, sie würde niemals ein hilfloses Baby im Stich lassen. Man merkt ja schon bei Toby, dass sie Kinder wirklich mag.

Aber das dieser hinterhältige Bastard von einem Richter, Lucy sozusagen in seinem Haus einsperrt, das ist einfach nur … ach ich weiß auch nicht. Ich hasse den Kerl mit jedem Kapitel immer mehr òó

Von:  Caro-kun
2009-09-10T20:41:06+00:00 10.09.2009 22:41
Benjamin Barker alias Sweeney Todd leidet an der Seekrankheit, ja wie cool *g*
Äh ich meine natürlich, oh wie blöd òó

Aber wenigstens ist Richard freundlich zu ihm und versucht ihm zu helfen ^^ *erleichtert aufatme*

Muss ich noch mal betonen, wie sehr mir dein detailreicher Schreibstil gefällt?
Hab echt das Gefühl, ich würde hier einen historischen Roman lesen ^^
Klasse recherchiert. War bestimmt ein Haufen Arbeit.
Ein ganz, ganz großes Lob an dich ^^

Von:  Caro-kun
2009-09-10T20:40:07+00:00 10.09.2009 22:40
Als ich Benjamins Gedanken über Lucy und Johanna gelesen hab, hat sich mir das Herz zusammengezogen.
Und auch bei der Szene, wo Lucy allein in ihrem Bett liegt, an dessen Laken vielleicht immer noch der Geruch ihres Mannes haftet, von Einsamkeit gequält und niemand da, an den sie sich hätte kuscheln können TT^TT

Halt mich für verrückt, aber irgendwie hatte ich gehofft Turpin tritt Lucy im Bademantel gegenüber. War ja leider nicht der Fall, ach wie schaaade *g*

Ich finde es trotzdem schön von Mrs. Lovett sich um Lucy zu kümmern … JA VERDAMMT ich weiß das ist falsch, aber ich kann doch auch nichts für meine Gefühle >////<

Aber Lucy darf sich nicht die Schuld an Bens Verurteilung geben. Nein, nein, das darf sie einfach nicht!!!

Von:  Caro-kun
2009-09-10T20:39:00+00:00 10.09.2009 22:39
Oh nein! Nein, nein, nein! TT^TT
Wieso nimmt mich das so mit, wo ich doch eigentlich genau wusste dass es so endet?

Ich finde es immer so dermaßen ungerecht, wenn Menschen, denen man eigentlich vertraut, einem in den Rücken fallen!

Aber Mr. Brooks tut mir so Leid.
Es muss furchtbar für ihn gewesen sein, gegen den Barbier auszusagen, wo er doch eigentlich genau wusste, dass der nichts Unrechtes getan hat.
Und als Benjamin ihn dann auch noch um Hilfe angefleht hat … in dem Moment wäre ich weinend zusammen gebrochen. Aber auf mich hätte ja eh keiner gehört, ich bin ja nur eine Frau.

Aber ham die Mr. Brooks jetzt extra deswegen den Hals aufgeschnitten? So richtig mit dem Messer oo? Ich mein, so Narben zum aufkleben gabs damals ja noch nich, oder?
Das is so brutal, da krieg ich ´ne Gänsehaut *fröstel*
*auf Turpin deut* SCHLANGE!!!!
(das wollte ich schon lange mal machen *g*)

Von:  Caro-kun
2009-09-10T20:38:00+00:00 10.09.2009 22:38
~er buckelte mehrmals~
Hä? Was soll das denn heißen. Diesen Ausdruck kenne ich bisher nur von Pferden. Is er im Zimmer rumgesprungen oder hat er sich auf irgendeine besondere Art und Weise verbeugt?

Sag mal, was hatte ein Büttel eigentlich für Aufgaben? Ich mein, er hat ja nicht nur dem Richter gedient, oder?

Nach all den Fragen, will ich jetzt mal danke sagen ^^
Dafür dass du Benjamins Aussehen im Gericht noch mal extra beschrieben hast. Ich hatte bis dahin nämlich immer noch den schönen, „sauberen“ Benjamin Barker vor Augen.

Und noch eine kleine Anmerkung zum Schluss:
Ich finde es immer total süß, wenn erwachsene Männer den Wunsch hegen, sich ganz klein zu machen ^^

Von:  Caro-kun
2009-09-10T20:37:06+00:00 10.09.2009 22:37
Durch dieses Kapitel ist mir jetzt so richtig bewusst geworden, wie hinterhältig Turpin eigentlich ist. Ich mein, Lucy setzt all ihr Vertrauen in ihn und sogar Benjamin hält ihn für einen guten Menschen und er hat nichts Besseres zu tun, als das Leben der Beiden zu zerstören!

Die Zelle hast du verdammt gut beschrieben. Schimmel, Urin, Kot und vermutlich auch noch saukalt (waaah > ~ <).
Und wie Ben darin lebt. Würmer zwischen den Zähnen, Ungeziefer in den Klamotten (nochmal WAAAAH > ~ <). Da ist man doch richtig froh, im 21. Jahrhundert zu leben, oder nicht?

Du beschreibst eh alles so perfekt. Sowas motiviert mich immer, mir beim Schreiben noch mehr Mühe zu geben (und noch mehr und noch mehr).
Danke!



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