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Tage der Vergeltung

von

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Chapter XVII

Ruinen

Sierra Madre / Mexico

11.40 h

26. Mai
 

Sie zündeten zwei weitere Fackeln an und standen eine Zeit lang tatenlos nebeneinander. Seit sie das letzte Mal hier gewesen waren hatte sich nicht allzu viel verändert. Mit Ausnahme der Wände. Sie waren bis zur Decke mit verschlungenen Zeichen und Runen beschrieben worden und im Boden waren noch immer die Spuren eines Pentagramms zu erkennen. Deutliche Spuren, die von einer nicht all zu weit zurück liegenden Benutzung dieses Ortes kündeten.

Vorsichtig betraten sie die Gruft, als würden sie sich vor jedem weiteren Schritt erneut überwinden müssen. Es besaß beinah etwas apokalyptisches, etwas vollkommen endgültiges. Aber auch etwas lähmendes. Jetzt kam es auf jede kleinste Handlung an, sie durften keine Fehler machen.

Behutsam setzte Scully einen Fuß vor den nächsten, wobei sie ihre schattenhafte Umgebung nicht einmal aus den Augen ließ. Noch nie war ihr etwas derart schwer gefallen, wie das Betreten dieser Gruft! Es kam ihr vor als würden ihre Sinne um das Doppelte verschärft arbeiten. Die Fackel, die sie hielt, wurde schlüpfrig durch den Schweiß an ihren Händen. Angst stieg schleichend in ihrem Innern auf.

Auch wenn sie Mulder nie so recht hatte glauben wollen – jetzt, wo sie das Grab sah, wo sie die Gruft mit all ihren unheimlichen Runen vor sich hatte, glaubte sie. Und das mit einer unerschütterlichen Intensität.

Unschlüssig blieb sie stehen.

„Ich habe so etwas noch nie getan und ich...weiß auch gar nicht so recht wie man es macht.“ murmelte Mulder bedrückt und schaute hilfesuchend zu Scully hinüber. Sie erwiderte seinen Blick ratlos und sah dann zu den Gruben hinüber. „Ich würde sagen – nach allem was ich so über den klassischen Vampir gehört habe – kommt hier nur ein Grab in Frage.“

Mulder trat an das Pentagramm im Boden heran, verwischte es gänzlich und setzte statt dessen ein Kreuz an die Stelle. Dann ging er zu dem einzig intakten Grab und winkte die drei anderen herbei. Neugierig und furchtsam schlichen sie zu ihm hinüber, die fackeln wie ein Schild vor sich haltend.

Mulder fühlte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken huschte und ihm Schweiß auf die Stirn trat, als er seine Hände in den feinen Sand grub, um ihn fort zu schaufeln. Er wusste nicht was ihn erwartete, geschweige denn was er tun sollte. Er hoffte nur, dass die Legenden wahr waren und helfen konnten.

Irgendwann stieß er auf etwas Hartes, befreite es vom Sand und zog es heraus. Es war ein Stück Holz, herausgebrochen aus einem größeren. Erneut griff Mulder zu, um das ganze Gebilde mit einem beherzten Ruck aus der Erde zu ziehen, aber noch ehe er etwas erfassen konnte brach das Stück, das er ausgegraben hatte, ein und stürzte in eine darunter verborgene Holzkiste. Instinktiv wichen alle zurück und wandten angewidert den Kopf ab, als ihnen ein bestialischer Geruch nach Fäulnis und Verwesung entgegenschlug. Dennoch traten sie nach dem ersten Schreck erneut neugierig näher, um einen Blick in die freigelegte zu können.

Was sie dort sahen, verschlug ihnen allen den Atem.

In der Kiste lag etwas. Ein Ding, dass zur einen Hälfte aussah wie ein Mensch, zur andern wie ein Tier, entsprungen aus den Tiefen einer anderen, dunklen Dimension. Dem Knochenaufbau nach zu urteilen hatte es durchaus Ähnlichkeit mit einem Menschen, aber damit hörte diese auch schon wieder auf. Es war verunstaltet und auf eine abstoßende Weise verkrüppelt. Der ganze Körper wirkte in sich verdreht und missgestaltet. Die Haut erschien ledrig und erweckte den Anschein sofort zu zerbröseln, würde man sie berühren. Hände und Füße endeten in langen, klauenhaften Gliedern, an denen die Nägel zu monströsen Krallen herangewachsen waren. Das Gesicht war das eines Toten, mit leeren, tiefen Augenhöhlen, einer abgefaulten Nase und einem Mund, der die Betrachter mit seinem fauligen Gebiss und vertrockneten Lippen dämonisch anzugrinsen schien.

„Seht doch!“ Einer der Fackelträger ging neben der Grube in die Hocke und deutete auf die unübersehbaren Eckzähne des Wesens.

Mulder trat neben ihn und auch Scully beugte sich ein Stück weiter über die Holzkiste. „Ich glaube wir haben gefunden, wonach wir gesucht haben.“ Mulder streckte die Hand nach dem Arm des Wesens aus. „Was haben wir denn da? Sieht aus wie eine Verbindungshaut, die sich zwischen Arm und Oberkörper spannt.“ Seine Hand schwebte nur wenige Zoll über dem Wesen, als eine Klaue hervor schoss und Mulder am Handgelenk packte.

Mit einem entsetzten Schrei sprangen sie von dem Grab zurück und Mulder wandt sich in dem eisernen Griff der Kreatur. Er versuchte sich mit aller Macht loszureißen und stemmte die Füße in den Sand, als sie ihn unerbittlich näher zu sich heranzog. Verzweifelt suchte er nach Halt. „Scully, die Fackel! Greifen Sie es mit der Fackel an!“ Er schrie auf, als die Kreatur jetzt auch mit der zweiten Klaue nach ihm griff und sich mit einem seltsam raschelnden Geräusch aus ihrer Kiste erhob.

Scully zögerte noch, gebannt von dem grauenvollen Anblick, der sich ihr da bot. Doch dann schloss sich ihre Hand fester um den Griff ihrer Fackel und sie sprang vor, um der Kreatur das brennende Ende in die Fratze zu stoßen.

Ein schriller Pfeifton entrang sich ihrer Kehle und sie wich zurück, ohne Mulder jedoch aus ihrem Griff freizugeben.

Erneut schlug Scully mit der Fackel nach ihr und trat zu, als das noch immer keine Wirkung zeigte. Die Kreatur wurde in die Holzkiste zurückgeschleudert und schien für einige Augenblicke wie betäubt. Ohne noch eine Sekunde länger zu zögern, warf Scully ihre Fackel hinterher, sodass das morsche Holz sofort Feuer fing, riss ihren Partner am Arm auf die Beine und stürmte hinter den drei Männern aus der Gruft.

Hintereinander hasteten sie den Gang hinunter und blieben verblüfft stehen, als sie nach mehreren hundert Metern die eingebrochene Decke nicht erreicht hatten. Gehetzt sahen sie sich um.

Mulder fluchte ungehalten. „Verdammt, hier irgendwo muss es doch sein! Seid ihr in den falschen Gang gelaufen?“

Ohne auf diese Frage zu antworten liefen sie den Weg zurück zu der ersten Kreuzung, die sie passiert hatten, und blieben unschlüssig stehen. Sie hatten die Orientierung verloren. Rauchschwaden begannen sich in den Gängen auszubreiten und die Sicht trübte sich.

Scully lief noch ein Stück den Gang hinunter und gestikulierte wild in der Luft herum. „Wir müssen zurück zur Gruft. Vielleicht sind wir tatsächlich in die falsche Richtung gerannt und finden von dort aus den Weg nach draußen.“

Sie folgten ihr, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Als sie an den Eingang der Gruft zurückkehrten, wallte dicker Rauch daraus hervor und die Sicht ging gegen Null. Lediglich ein flackernder Feuerschein drang bis zu ihnen vor. Zögernd blieben sie stehen, dicht beieinander, und sahen sich hektisch um. Weit und breit war kein Anzeichen zu finden, dass die Kreatur in der Nähe war. Aber sie wussten, dass sie jederzeit an jedem Ort sein konnte. Durch diese trägen Rauchschwaden war es nicht einmal sicher, dass sie die gegenüberliegende Wand überhaupt erreichten.

Mulder sah zu den anderen, die hinter ihm standen und mit huschenden Augen den Dunst vor ihnen zu durchdringen suchten. Ihr beiden mexikanischen Freunde hatten die Augen dabei weit aufgerissen und zitterten am ganzen Körper. Der Agent war sich sicher, dass sie bei der nächstbesten Gelegenheit entweder flüchten oder durchdrehen würden.

Er ergriff Scullys Hand. „Fasst euch an den Händen, dann verlieren wir uns wenigstens nicht. Keiner darf die Hand des anderen loslassen. Auf gar keinen Fall! Wir können das Risiko nicht eingehen und umkehren, sollte einer verloren gehen.“

Eng aneinander geklammert betraten sie die Gruft und tasteten sich behutsam Schritt um Schritt weiter. Sie bemühten sich, eine möglichst gerade Linie beizubehalten.

Je näher sie dem Zentrum der Gruft kamen, um so unerträglicher wurde die Hitze. Jeder Atemzug begann in ihren Lungen zu brennen und ihre Augen tränten unaufhörlich, was es schier unmöglich machte überhaupt irgendetwas zu erkennen. Blind und hustend taumelten sie vorwärts, der rettenden Wand entgegen.

Durch den Rauch drang ein glühender, roter Schein und lautes Kisten erfüllte die Luft. Mulder keuchte, schnappte hilflos nach Luft und starrte mit angstverzerrtem Gesicht hinüber, die freie Hand schützend vor sich haltend. Kalter Schweiß rann ihm den Rücken hinunter und er bekam das Gefühl, als wenn ihm am ganzen Körper die Haare zu Berge stehen würden. Noch nie hatte er solch eine Angst verspürt, sie machte ihn fast wahnsinnig. Hinzu kam noch das ständige Gefühl, unerbittlich verfolgt zu werden. Das Gefühl es nicht zu schaffen.

Scully riss an seinem Arm, als er so sehr zu schwanken begann, dass es aussah, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. „Mulder, lassen Sie sich nicht in die Irre führen! ER ist es, ER will es so. Sie dürfen nicht auf ihn hören!“ Sie alle hatten panische Angst. Aber wenn nur einer aufgab oder ein Zeichen von Schwäche aufzeigte, war es gut möglich, dass die Situation eskalierte.

Für einen kurzen Augenblick stockten sie, als ein Schatten über sie hinweg huschte von dem sie nicht wussten, ob ihn die Flammen verursacht hatten oder etwas anderes. Verunsichert suchten sie ihre Umgebung ab, soweit dies überhaupt noch möglich war. Der Rauch waberte um sie herum und erweckte immer wieder zuckende, undeutliche Schatten zum Leben.

„Raus hier!“ murmelte Scully. „Und zwar auf dem schnellsten Weg.“

Keiner ließ sich das zweimal sagen. Sämtliche Vorsichtsmaßnahmen wurden in den Wind geschlagen und die Vier rannten los. Tatsächlich erreichten sie die gegenüberliegende Wand in nur wenigen Schritten, stürmten in den nächstbesten Gang – und hatten Glück. Mehr oder weniger, denn jetzt erhob sich vor ihnen der schier unüberwindliche Steinhaufen der zusammengebrochenen Decke. Und sie hatten keine Ahnung wie tief er sich erstreckte.

Die zwei Mexikaner kletterten hinauf und begannen so schnell es ihre Kraft erlaubte die Trümmer fortzuräumen. Mulder folgte ihnen, während Scully mit den Fackeln am Fuß des Haufens stehen blieb und den Gang hinter ihnen misstrauisch beobachtete. Immer wieder hob sie die Fackel, um den Gang weiter auszuleuchten. Sie war nervös und spürte fast körperlich, dass sich dort am anderen Ende des Ganges etwas manifestierte und von Sekunde zu Sekunde stärker wurde. „Mulder.“ Ihre Stimme zitterte. „Da kommt etwas auf uns zu, beeilen sie sich!“

Erschrocken hielt er inne und kam zu ihr herunter. Sein Blick suchte den Gang ab. „Wo?“

Langsam wich Scully zurück. „Fühlen Sie es denn nicht?“

Mulder lauschte in sich hinein und fuhr sichtlich zusammen, als ihm seine innere Stimme unüberhörbar 'Gefahr' zuschrie. Alarmiert sah er sich um, warf einen Blick auf die beiden Mexikaner, die ihre Arbeit unterbrochen hatten, und suchte flüchtig den Boden ab. Scullys Kruzifix in seiner Tasche vergessend, griff er nach den beiden Fackeln, die Scully in der Hand trug, entriss sie ihr unsanft und zog sich seinen Gürtel aus der Hose.

Irritiert blickte Scully ihren Partner an, der die Fackeln jetzt mit seinem Gürtel in einem rechten Winkel zusammenband, so dass sie ein Kreuz ergaben. Dann drückte er es Scully wieder in die Hand. „Segnen Sie es!“

Entsetzt sah sie Mulder an.

„Los schon. Wir haben nicht mehr viel Zeit.“

„Aber ich...“

„Nun machen sie schon!“ fuhr er die wie erstarrte Scully an. Überfordert blinzelte sie das Kreuz in ihren Händen an. Es brannte an allen vier Enden.

Etwas bewegte sich im Nebel, der ihnen jetzt immer stärker aus dem Gang entgegen wallte, und Mulder war sich sicher, dass es diesmal keine Einbildung war. Er schluckte hart und wandte kurz den Blick ab, als Scully leise das 'Vater unser' zu murmeln begann. Sie schloss es mit „Im Namen des Vaters...“

Mulder wandte seinen Blick wieder dem Gang zu und konnte den Schrei nicht mehr unterdrücken, der sich seiner Kehle entrang.

„... des Sohnes...“

Rücklings stürzte er zu Boden, riss die Arme vor sein Gesicht und krümmte sich wimmernd unter dem Anblick.

„... und des Heiligen Geistes...“

Ihm gefror das Blut in den Adern. Jegliche Bewegung war ihm unmöglich. Er starrte nur wie ein Kaninchen in der Falle in diese Augen.

„... Amen!“

Das Kreuz begann in Scullys Händen in einem überirdischen Licht schwach zu leuchten. Ungläubig starrte sie es an, warf einen Blick auf Mulder und erschrak. Er war vollkommen in den Bann geschlagen von dem, was sich hinter ihr befand. Grauen stieg ihren Nacken hinauf und ließ ihre Finger zittern. Doch sie riss all ihren Mut zusammen, umfasste das Kreuz mit beiden Händen und drehte sich um.

Entsetzt riss sie die Augen auf, als sie sah was dort hinter ihr stand. Sie konnte es nicht richtig erkennen, aber sie spürte, dass es durch und durch böse war. Und genauso dunkel und abgrundtief hässlich.

Für einen Moment schien Scullys Stimme versagen zu wollen, aber sie zwang sich mit all ihrer Kraft zur Ruhe. Schützend hob sie das Kreuz vor sich, Mulder und die zwei Mexikaner. Sie blickte ihrem Gegenüber fest in die blutunterlaufenen Augen. „Der Herr ist mein Hirte.“

Die Gestalt krümmte sich zischend und schlug mit den knochigen klauen nach dem Kreuz, das mit einer immer stärker werdenden Intensität zu leuchten begann. Ein gequälter Schrei hallte durch den Gang, dennoch wagte die Gestalt einen letzten Angriff.

Scully hieb mit dem Kreuz auf sie ein, wodurch das Wesen mit Macht gegen die Wand und dann zu Boden geschleudert wurde. Scharfer Brandgeruch von versengter haut erfüllte die Luft. „Erneut sprang Scully vor und rammte die Spitze des Kreuzes in den zuckenden Leib der Kreatur, die sich zischend unter ihr wand. Ein gleißend heller Lichtstrahl brach aus der Wunde hervor und erneut kreischte das Wesen schmerzerfüllt.

Entsetzt wich die FBI-Agentin zurück, als sie endlich erkannte, was sie dort angriff. Das Wesen hatte starke Ähnlichkeit mit dem Ding, das sie zuvor in dem Holzsarg gefunden hatten, nur wirkte es hier noch wesentlich abstoßender. Es erinnerte sie an eine Art menschenähnlichen Flughund mit den Formen einer Riesengottesanbeterin. Nur viel viel missgestalteter.

Wie, zum Teufel, hatte dieses Ding dem Flammeninferno in der Gruft entkommen können?

Scully schluckte und hielt ihm das Kreuz direkt vor die Augenhöhlen. Ihr Stimme war sehr leise, aber fest. „Verschwinde!“

Das Leuchten des Kreuzes wurde für Augenblicke unerträglich gell, ehe es langsam und zögerlich schwächer wurde. Scully blinzelte, die Kreatur war weg, einfach verschwunden. Sie hatte sich in Nichts auflöst.

Ehrfürchtiges Schweigen hielt die vier Menschen gefangen, jeder von ihnen schaute auf das warme, pulsierende, aber immer schwächer werdende Licht des Kreuzes.

Mulder rieb sich die Augen und fuhr sich fahrig durchs Haare. Er fühlte sich, als sei er soeben aus einem tiefen Schlaf erwacht. Wankend stand er auf, ging zu seiner Partnerin hinüber und sah ungläubig auf die Fackeln hinab. Ihre Blicke trafen sich und Scully lächelte kurz. Er nickte nur und drehte sich um. „Es ist noch nicht vorbei.“

Sie hielt ihn am Arm zurück. „Mulder... Wieso ich?“

Er wandte sich ihr noch einmal zu, um ihr ernst in die Augen zu sehen, aber der Blick seiner Augen war sanft. „Weil Sie dir Einzige sind, die einen festen Glauben hat, Scully. Einen festen Glauben an Gott.“ Mit diesen Worten ging er zu den beiden Mexikanern, die das Geschehen gelähmt vor Schreck mitverfolgt hatten.



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