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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Bevor Kapitel 22 startet, möchte ich mich doch noch mal zu Wort melden. Das fällt mir während der Story schon schwer genug, aber ich will auch mal was, ohne gehässige Randbemerkungen schreiben. ^^’
 

Was mir aber wirklich am Herzen liegt, ist noch mal ein Dank an die super lieben Kommi-Schreiber. Ich weiß, ich bin ein Schlusi, wenn’s darum geht, zu antworten, aber das ist echt nix böse gemeint! Ich liebe euch alle und freue mich jedes Mal wie eine Schneekönigin. Vor allem eure langen Kommis sind ja der Hammer. Dass ihr euch echt die Mühe macht und das alles niederschreibt, ist unglaublich! Ich weiß das wirklich zu würdigen und das wollte ich noch mal ganz ernst ausdrücken. Das lag mir wirklich auf der Seele und auch, wenn ihr nicht immer sofort eine Rückmeldung bekommt (ich weiß, ich komme dafür irgendwann in die Hölle), so bin ich euch dennoch unendlich dankbar. Ganz ehrlich und wirklich. Teilweise sind eure Kommis ja krasser als die Story selbst ... ihr macht mich sprachlos, echt!
 

Tja, ich wollte auch nur sagen, dass ich euch dafür liebe und dass ihr mich damit immer wieder anspornt. Der Honig, den ihr auf meinen Bauch schmiert, der kommt im Herzen an und verklebt da alles ... ich warte nur noch drauf, dass Maja und Willi bei mir einziehen ...
 

Ich liebe euch wirklich! Und ich meine das ganz ehrlich! Jedes Wort von euch ist Gold wert und noch mehr.
 

Bleibt mir nicht viel mehr zu sagen ... als einfach nur danke.
 

Danke!
 

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Kapitel 22
 

Dünne Vorhänge schwächten die gleißenden Sonnenstrahlen ab und zauberten einen seichten Schimmer auf den tiefroten Stein. Die schlicht bemalten Vasen und Krüge warfen ebenso wenig einen Schatten wie der kleine Hocker neben seinem Bett oder der niedrige Tisch, welcher auf einem dick gewebten Wollteppich stand.

Mittagshitze im roten Tempel.

Zu dieser Zeit des Tages war es ruhiger als am Morgen oder am Abend. Besonders zu dieser Jahreszeit war die Sonne so unerbittlich, dass die Menschen selbst mit dem Wasser des vollsten Brunnens langsam sparsam sein mussten. Deshalb wurde zur Mittagszeit nicht gearbeitet, sondern ein wenig Schlaf vorgeholt, um die kühleren Abendstunden zur Geschäftigkeit zu nutzen.

Diese Ruhe war entspannend. Er hörte den leisen Wind um die Ecken wehen und ab und zu ein paar Worte, welche unten im Hof gesprochen wurden. Doch um aufzustehen und nachzusehen, wer dort unten saß, dafür war er zu müde. Sein Kopf schmerzte, ab und an überkam ihn der Schwindel gepaart mit Übelkeit. Die Wunden an seinem Unterarm, der Schnitt an seinem Fußknöchel und das noch immer nicht vernarbte Brandmal an seiner Schulter ließen ihn keine annehmbare Schlafposition finden.

Und das drückende Gefühl in seinem Herzen ließ diese entspannte Mittagsruhe zu einem einengenden Schweigen werden.

Er seufzte, drehte sich langsam auf die andere Seite und schloss seine Augen.

Weshalb nur war der Pharao vor ihm davon gelaufen?

Weshalb nur hatte er ihm seine Soldaten geschickt?

Weshalb nur wollte er nicht auch nur noch ein Wort mit ihm wechseln?

Immer dieselben Fragen, auf die er tausende verschiedener Antworten fand.

Er hatte sich respektlos verhalten.

Er hatte den Pharao bedroht.

Er hatte einfach nicht das Recht, ihm nahe sein zu dürfen.

Ewig könnte er weitermachen, noch mehr Gründe suchen, sich noch mehr Vorwürfe machen und doch die Worte in diesem letzten Brief niemals verstehen. Langsam kam er mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass nicht die geschriebenen Worte die Botschaft waren, sondern das Gefühl, welches zwischen den Zeilen mitschwang. Jedoch dieses Gefühl zu lesen, dazu war er nicht imstande. In das große Wesen des Pharao konnte kein anderer jemals Einblick erhalten.

Atemu war so ein wundervoller Mensch. Nach diesen sieben Jahren hatte er sich verändert und war doch der Selbe geblieben. Seine Statur war männlicher geworden, seine Haut dunkler, seine Augen klarer und doch leuchteten sie bei Mondenschein so verträumt, so hell und sanft. Er war stark und mächtig auf der einen Seite, abgeklärt, vernünftig und wohlbedacht. Und doch schien er manchmal so tollpatschig, fast naiv auf der anderen Seite. So unentschlossen, zaghaft und impulsiv, fast kindisch ein wenig. Er hatte so viele Eigenschaften und davon ausgenommen nur gute. Die einen ließen die Menschen niederknien vor seiner Größe. Die anderen machten ihn so begehrenswert, so liebenswert. Seine Worte waren in der Sprache, wie in der Schrift immer liebevoll, voller Verständnis und doch konnte er so klar und weisend sein, wie es ein König sein musste.

>Ich kann ihn nicht verstehen.< Niemals würde ein Wesen auf der Erde ein göttergleiches Geschöpf wie ihn verstehen können. Er war gesegnet vom Himmel, von der Unterwelt. Er hatte alles, Gold, Edelsteine, Ländereien und die Macht über alles innerhalb der Reichsgrenzen. Und doch schien es in manchen Momenten, als würde ihm etwas fehlen. Etwas, was er sich wünschte, wofür er arbeitete, was er selbst nicht erreichen konnte ... in seinen Augen lag solche Sehnsucht.

Vielleicht war er in dieser Nacht, als er ihm das letzte Mal nahe sein durfte, zu unsensibel gewesen. Er hatte sich Mühe gegeben, entspannt zu wirken, obwohl er doch so aufgeregt war, seinen Pharao nach Jahren wiederzusehen. Er wollte ihm so vieles zeigen, so vieles erzählen. Er war so sehr damit beschäftigt, perfekt zu sein, dass er vielleicht falsch auf ihn eingegangen war. Wahrscheinlich war er zu aufdringlich. Nur, weil sie sich über Jahre schrieben, hieß das noch lange nicht, dass er des Pharaos Freund war! Sich so ein Denken zu erdreisten, gehörte bestraft! Deshalb hatte der König ihn von sich gestoßen.

Und doch ... warum durfte er ihn in diesen privaten Momenten bei seinem Namen nennen? Weshalb ließ Atemu es straflos zu, dass er dies tat?

Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Egal, welche Richtung seine Überlegungen nahmen, sie kamen immer wieder bei der Suche nach den Gründen seiner Flucht an.

„Atemu ...“ flüsterte er leise, hielt seine verzweifelten Tränen zurück und strich sehnsüchtig über das faltige Laken. Wie gerne hätte er ihn noch ein letztes Mal angesehen, seine sanfte, starke Stimme gehört. Wie gerne hätte er ihm noch ein letztes Mal seine königlichen Hände geküsst. Das Schimmern seiner bronzenen Haut bewundert und das sanfte Fallen seiner Haare belächelt, wenn ihm seine viel zu große Krone auf die Stirn rutschte.

Viel lieber als an jedem anderen Ort, würde er ihm zu Füßen sitzen. Auf seine Worte lauschen und sein rätselhaftes Wesen bestaunen. Er wollte ihm seine Dankbarkeit zeigen und nun? Nun würde er vielleicht niemals mehr Gelegenheit bekommen, ihm auch nur einen entfernten Dank zukommen zu lassen.

Wahrscheinlich war sein Leben ohne den Pharao nun beendet ...
 

„Seth? Bist du wach?“

Er öffnete seine Augen und erblickte den alten Hohepriester, welcher so prächtig vor seinem Bett stand. Von hier unten erschien er viel größer als sonst. Oder lag es einfach daran, dass er sich erst die Augen reiben musste, um klarer zu sehen?

„Darf ich mich zu dir setzen?“ Ohne die Antwort abzuwarten, trat er heran und ließ sich am Rande seiner gepolsterten Matte auf dem kleinen Holzhocker nieder.

Seth indessen kniff die Augen zusammen und richtete sich trotz seines schmerzenden Kopfes ein Stück auf, lehnte sich gegen die warme Wand und wischte sich kurz übers Gesicht, um dann vor sich die vertrauten Augen des höchsten Mannes hier zu sehen.

„Wie fühlst du dich?“ fragte er mit leiser Stimme. Er wusste, dass der junge Priester seinen Kopf geprellt hatte und ihn laute Geräusche schmerzen würden.

„Besser. Danke“ antwortete er müde und hielt mit Mühe seinen Kopf aufrecht. Er hatte viel geschlafen, die ganze Nacht und von heute Morgen noch mal bis zur frühen Mittagshitze. Und trotzdem fühlte es sich an, als wollten weder sein Geist, noch als wollten seine Glieder den treuen Dienst wieder aufnehmen.

„Ich frage mich, was mit dir los ist“ sprach der Alte langsam weiter. „Was hat dich so bewegt, dass du dem Pharao folgst wie vom Wahnsinn gepackt?“

„Shinasa hat mit dir gesprochen“ unterstellte er einfach mal.

„Dein abnormes Verhalten habe selbst ich bemerkt“ antwortete er. „Aber natürlich hat sie mit mir gesprochen. Sie hat geweint und erzählt, du hättest eure Verlobung gelöst, um dem Pharao zu folgen. Das hätte ich ja noch auf irgendeine Weise verstehen können, aber dass dich ein Soldat des Königs bewusstlos wieder zurückgebracht hat, warf doch Fragen auf. Ich dachte, du hättest ein Angebot bekommen, dem du folgen wolltest. Wenn dieses Angebot aber gar nicht mehr existierte oder du eh ablehnen wolltest, warum verlässt du dann meine Tochter, um dich niederkämpfen zu lassen? Was geht nur in dir vor, dass es dich zu solchen Taten hinreißt?“

„Ich weiß auch nicht, was in mir vorgeht“ seufzte er und stützte seinen Ellenbogen auf die angezogenen Knie, um seinen Kopf ein wenig zu entlasten. „Wenn ich wüsste, was in mir vorgeht, wäre ich nicht so ratlos.“

Er spürte die Augen des Hohepriesters auf sich. Spürte, wie sie ihn durchschauen wollten, ihn erforschten und nach einer Antwort suchten. Aber sie konnten keine Antwort finden, welche er selbst nicht wusste. Wie konnte er eine Antwort geben, wenn sein Kopf voller Fragen war?

„Dass ich Shinasa verletzt habe, tut mir leid“ sprach er erschöpft weiter. „Ich weiß, das alles kam sehr plötzlich, aber ich ... ich weiß es auch nicht.“

„Liebst du sie denn nicht mehr?“ wollte er wissen, aber seine Stimme ließ keinen Vorwurf mitschwingen. Viel eher klang es als hätte er schon seine Antwort gefunden, als hätte er sich seine Meinung gebildet. Chaba hatte diese Eigenschaft, welche ihn niemals ratlos machte. Seine Worte und sein Denken waren immer von Weisheit und Verständnis geprägt. So wie ein perfekter Priester sein sollte - im Gegensatz zu Seth, welcher seine Verlobte für irgend so ein fixes Gefühl verließ und sich in einen Kampf mit Soldaten stürzte. Was hätte er dem Pharao denn sagen wollen, wenn er ihn erreicht hätte?

„Seth?“

„Doch, ich liebe sie sehr“ erwiderte er nach dieser kleinen Aufforderung. Doch in die Augen sehen, konnte er ihm nicht. „Bitte, Chaba, das musst du mir glauben. Ich liebe sie, aber ...“

„Aber da ist noch jemand anderes“ unterstellte er ruhig und fand es nicht überraschend, wie überrascht der junge Mann vor ihm seinen blauen Blick hob und ihn fragend ansah. „Ich glaube dir, dass du sie liebst, Seth. Doch seit der Pharao hier einkehrte, schienst du in Gedanken zu sein. Ist er der Grund dafür, dass du sie verlassen möchtest?“

„Indirekt“ gestand er und senkte seine müden Augen zurück auf das graue Laken, welches seine Beine bedeckte. „Ich wollte dem Pharao unbedingt folgen, aber ich wusste auch, dass ich sie dann vernachlässigt hätte. Ich kann nicht der Krone und einer Frau gleichzeitig dienen, egal wie sehr ich sie liebe. Shinasa ist eine wundervolle Frau und hat solch eine Behandlung nicht verdient. Sie wäre nicht glücklich geworden an zweiter Stelle.“

„Deine Worte haben sie aber auch nicht glücklich gemacht. Auf der einen Seite forderst du, dass sie dir sofort zu folgen hat und auf der anderen Seite forderst du, dass sie ganz zurück bleibt. Ich kann verstehen, dass sie verwirrt ist.“

„Ja, ich auch ...“ flüsterte er. „Chaba, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich wollte das Angebot des Pharaos wirklich ablehnen, aber als ich mir dann klar wurde, dass ich ihn niemals wiedersehen würde ... es klingt gemein, aber plötzlich wurde sie so unwichtig. Ein wundervolles Mädchen wie sie, hat es nicht verdient, gegen jemand anderen zu verblassen. Und trotzdem liebe ich sie.“

„Und den Pharao?“ sprach er mit einer unheimlichen Ruhe. „Liebst du ihn?“

„Chaba.“ Er musste lächeln. Dieser Gedanke war so absurd. Er war dem Pharao dankbar, er bewunderte ihn, er wollte ihm nahe sein - aber ihn lieben? „Er ist der Pharao. Jeder Ägypter liebt seinen Pharao. Ich nicht anders als du. Was willst du mit dieser Frage bezwecken?“

„Warum? Ist das so abwegig?“ lächelte er zurück und stützte sich rückwärts und ganz entspannt auf seine Hände, ließ seine Augen aber nicht von ihm ab. „Der Pharao ist ein wundervoller Mann. Er sieht gut aus, er ist höflicher als es seine Position erfordert und er besitzt eine hohe Intelligenz. Und er scheint großen Eindruck auf dich gemacht zu haben. Wie ich gehört habe, hast du ihm dein grünes Bett gezeigt und ihr habt euch lange unterhalten. Warum sonst solltest du meine Tochter verlassen, um ihm zu folgen? Du warst doch schon immer fasziniert von seiner Person und seiner Politik.“

„Ich liebe Shinasa“ betonte er noch mal.

„Aber folgen willst du ihm. Was sonst hast du für einen Grund, ihm so blind nachzureiten? Du warst bereit alles aufzugeben. Deine Zukunft hier im Tempel und die wohl höchste Hochzeit, die man haben kann. Mit der Ehelichung meiner Tochter hättest du nicht nur eine gute Mitgift bekommen, sondern du hättest auch gute Chancen darauf, der nächste Hohepriester zu werden. Selbst wenn du sie nicht liebst, wäre sie eine gute Partie.“

„Ich würde sie doch nicht nur des Standes wegen heiraten!“ beschwor er ganz entrückt. Dieser Gedanke wäre ja fast noch absurder! „Shinasa ist ein tolles Mädchen. Ich würde sie auch lieben, wenn sie die Tochter des Stallburschen wäre.“

„Das haben mir schon viele gesagt, aber dir glaube ich das sogar“ lächelte er wissend. Seth war kein Mann, welcher nach Macht strebte. Sein Streben hatte ein ganz anderes Ziel, welches ihm selbst wohl noch im Nebel verborgen lag.

„Chaba, der eigentliche Grund ist ...“ Wie sollte er das formulieren, wenn er selbst nicht wusste, was der Grund für seine Verwirrung war? „Ich verdanke dem Pharao viel. Seine Unterschrift auf meiner Empfehlung hat mir erst meine Lehre hier ermöglicht. Ohne seine finanzielle Zuwendung hätte ich niemals Priester werden können. Er hat mich begnadigt und mir ein neues Leben geschenkt.“

„Und die Briefe aus dem Palast waren auch von ihm?“ Seth sah ihn erschrocken an. Beunruhigt. Diese Briefe waren geheim! Niemand hatte sie lesen dürfen! „Keine Angst, sie haben dich ungeöffnet erreicht“ beruhigte er gleich. „Aber du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sich so ein jahrelanger Schriftverkehr meiner Kenntnis entzieht? Ich fand es unbedenklich und habe dich machen lassen. Schließlich hatte ich die offizielle Weisung, nicht in deiner Vergangenheit zu forschen, aber selbst wenn doch, hätte ich dich nicht darauf angesprochen. Vertrauliche Dinge sollten vertraulich bleiben, denke ich. Besonders, wenn ein Siegel des Palastes darauf ruht. Und solange du nicht selbst darüber sprichst, werde ich dich auch niemals fragen. Ich weiß nicht, in welcher Verbindung du zum Königshaus stehst, aber ich weiß, dass du ein guter Mensch bist.“

„Ich bin ... ein Mensch.“ Wie merkwürdig sich das anhörte, wenn es von jemandem gesprochen wurde, der so weit über ihm stand. Ein Mensch. Kein Sklave, sondern ein Mensch. Genau wie Atemu es ihm immer gesagt hatte. Er war ein Mensch ...

„Du hast ein gutes Herz und eine treue Seele“ sprach der alte Chaba fort. „In den letzten Jahren bist du mir wie ein Sohn ans Herz gewachsen. Als du zu mir kamst, war dein Blick gebrochen, deine Stimme ebenso leer wie deine Augen. Aber zu sehen, wie du aufblühst, hat mir Freude bereitet. Ich mag den Mann, der aus dir geworden ist und deshalb sorge ich mich auch nun noch um dein Wohl. Sicher wäre es mir das Liebste, du würdest bleiben und meine Tochter heiraten. Doch auch dein Glück ist mir wichtig und ich wünsche dir, dass du es findest. Selbst wenn es nicht in der Liebe zu meiner Tochter liegt.“

„Ich liebe sie sehr“ flüsterte Seth, senkte seinen traurigen Blick. „Aber ein anderes Gefühl ist größer als diese Liebe. Ich kann es mir selbst nicht erklären, aber sie zu heiraten und ihr in Gedanken nicht treu zu sein, das möchte ich nicht. Ich liebe sie und deshalb will ich ihr alles geben, was ich zu geben habe. Doch solange auch nur ein einziger Mensch existiert, für den ich sie verlassen würde, solange kann ich sie nicht heiraten. Es wäre Verrat an ihr und das hat sie nicht verdient. Ich liebe sie sehr, mehr als ich es jemals gedacht hätte, aber ein anderes Gefühl ist bestimmender. Ich weiß, die Menschen sprechen davon, das Liebe das intensivste aller Gefühle ist, aber ich fühle es anders. Ich glaube, Güte und Dankbarkeit sind in meinem Leben wichtiger. Ich kann nur einem Menschen wirklich treu sein, für zwei reicht meine Stärke nicht aus. Und dieser eine Mensch ist nicht deine Tochter. Ich bin selbst verwirrt darüber, wie das sein kann, denn sie ist die Erste, bei der ich so ein intensives Gefühl gespürt habe. Doch nun, wo der Pharao fort ist ...“

„Da fühlst du dich zu ihm mehr hingezogen“ ergänzte er, als der Satz nicht fortgesetzt wurde. „Ja, das habe ich mir gedacht. Und eigentlich bin ich froh darüber, dass du es ihr sofort gesagt hast.“

„Du bist froh darüber?“ fragte er verwirrt und war noch verwirrter, als er ein Lächeln durch den weißen Bart scheinen sah.

„Ja, ich bin froh. Du heiratest sie nicht aus Eigennutz heraus und du bist ehrlich zu ihr. Sie zu heiraten und dann untreu zu werden, sie der Qual einer unglücklichen Ehe auszusetzen, das tust du nicht. Viele würden sie und ihren Stand einfach nehmen und dann unglücklich machen. Doch stattdessen beendest du es rechtzeitig und nimmst sie nicht gefangen. Sicher ist ihr Herz jetzt gebrochen und auch mich macht es traurig, aber ich bin froh darüber, dass du sie so hoch schätzt, sie nicht zu hintergehen. Und sei es nur Untreue in Gedanken.“

„Ich wünschte, es wäre anders“ bat Seth, dem das selbst unglaublich leid tat. „Ich habe ihr wehgetan und das wollte ich nicht.“

„Wenn du dir nicht sicher bist, dann wäre auch eure Ehe kein Erfolg geworden“ seufzte er und erhob sich vom Hocker. Er strich sein langes, tiefrotes Gewand glatt und blickte dann mit so klaren Augen auf ihn herab, dass Seth eine Gänsehaut über den Körper fuhr. Als würde das allsehende Auge des Mondes persönlich in seine Seele blicken und auch das kleinste Geheimnis enthüllen.

„Gehst du schon wieder?“ fragte er und irgendwie wurde seine Stimme dünn unter diesem prüfenden Blick. So prüfend hatte Chaba ihn noch niemals angesehen.

„Ja, aber vorher möchte ich dir einen herzlichen Rat geben“ sprach er ruhig. „Du solltest dir bald über deine Gefühle klar werden, Seth. Höre ab und zu auch mal darauf, was dein Herz dir sagt.“

„Und wenn ich die Sprache meines Herzens nicht verstehe? Wenn es so schnell spricht, dass ich ihm nicht folgen kann?“

„Herzen sprechen immer klar und deutlich“ erwiderte er ernst. „Du hörst es nur nicht, weil dein Kopf dazwischenredet. Ich wünsche dir sehr, dass auch die Worte deines Herzens bald von dir verstanden werden. Und wenn dein Herz nach dir ruft, dann folge diesem Rufen. Dein Heil lag vermutlich hier im Tempel, aber dein Glück liegt möglich nicht hier. Möge der Amun dich schützen, denn lieben tut er dich sicher, mein Sohn. Sonst würde er deinem Herzen nicht eine so starke Stimme geben.“

„Chaba ...“ Ohne noch ein Wort zu sprechen, wand der alte Hohepriester sich um, schob den Vorhang der Tür zur Seite, trat hindurch und ließ ihn hinter sich zufallen. Seine leisen Schritte auf dem Steinboden entfernten sich schnell und ließen Seth mit diesen apostolischen Worten zurück.
 

Dass sein Herz ihm etwas zurief, das hörte er. Und doch konnte er es nicht verstehen. Oder waren es die Gedanken, welche sein Fühlen behinderten?

Bei Shinasa war das Rufen damals so klar gewesen, doch nun? Nun rief es noch lauter, es schrie und doch verstand er nicht ein klares Wort. Ebenso, wie er damals nicht ein einziges der Worte des Pharaos verstanden hatte. Er hatte sie gehört, aber der Sinn blieb ihm für Jahre verschlossen.

Sollte das nun wieder der Fall sein? Hörte er Worte, die er nicht verstand? Würde er den Sinn erst in einigen Jahren endlich verstehen?

Nein, den Sinn verstand er jetzt vielleicht nicht, aber die Richtung war klar und er hatte keine Jahre mehr Zeit.

Der Pharao war mittlerweile sicher eine ganze Tagesreise entfernt ... aber war das nicht ein zu überwindendes Hindernis?

Die Worte waren kryptisch, kompliziert und verschlungen, vom Kopf durcheinander gebracht.

Doch die Richtung wies in die Wüste.

Sein Weg des Lebens lag an der Seite seines Königs.

Wenigstens das war klar ... alles andere würde der Amun ihm zeigen, wenn die Zeit reif war.

Und bis dahin verstand er nur ein einziges Wort ...
 

>Atemu.<



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