Zum Inhalt der Seite

Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 23
 

Auch das Dunkel der Nacht konnte ihn nicht schrecken.

Als Priester eines Wüstentempels hatte er gelernt, das Meer des Sandes und seine Spuren zu lesen, die Lautlosigkeit der Nacht zu deuten. Die Fackel in seiner Hand spendete ihm zu wenig Licht, also hatte er sie schon vor Stunden gelöscht. Der helle Vollmond am Himmel erleuchtete die Weite viel besser als es ein schnödes Feuer hätte tun können.

Der goldene Sand schimmerte wie flüssiges Silber, die Dünen waren wie Berge aus heller Seide und selbst sein am Tage schwarzer Schatten war fast weiß. So weiß wie der schnaufende Atem, welchen sein Pferd aus den Nüstern blies. Eine Fackel leuchtete nur einige Meter weit. Der Mond jedoch strahlte hoch vom Himmel herab und ließ das nächtliche Sonnenlicht auf das Reich Ägypten scheinen.

Hier irgendwo musste er sein, der König, welcher die Wüste besaß. Der Gott Seth vertraute sein Reich dem Pharao an, wie es jeder Gott bei solch einem gesegneten König tat. Und nicht weit von hier, vermutete er das Nachtlager seines Pharao.

Einen ganzen Tag war er schnell geritten und auch in der Nacht fand er keine Ruhe. Sein Pferd war erschöpft und fror, was eigentlich auch seinem Reiter zustand. Aber der folgte nur diesem unbekannten Ruf.

Was er dem Pharao sagen wollte, wusste er nicht.

Was er tun wollte, wusste er nicht.

Er wusste nur, dass er bei ihm sein wollte. An seiner Seite, ihm dienen, ihm nahe sein. Nach einer Gelegenheit suchen, ihm seine Dankbarkeit zu beweisen. Eines Tages würde er die Chance bekommen, seine Loyalität zu zeigen. Ihm zu versichern, dass das Leben, welches er geschaffen hatte, gut war. Dass es zu seinem Besten war. Seth wollte ihm gehören, mit all seinem Denken und seinem Tun.

Der Pharao war der Mensch, den er jedem vorziehen würde. Keinem anderen könnte er jemals treu sein, keiner Braut und keinem Herren - nicht mal einem Gott.

Dem Pharao galt sein ganzes Sein.

Das zumindest wusste er jetzt.
 

Und endlich! Nach etlichen Stunden des Reisens durch Hitze und klirrende Kälte erreichte er das gesuchte Nachtlager. Also hatten ihn die Spuren im Sand nicht getäuscht. Reit- und Lastenpferde hinterließen selbst bei Versorgung von nur vier Männern genug Spuren, um ihnen zu folgen.

Er wäre dem König auch noch viel weiter gefolgt, bis ans Ende der Welt.

Das Lager war nicht groß. Es bestand aus einem länglichen Zelt, welches rechteckig mitten im Sand aufgestellt war. Es war niedrig, reichte eben gerade zum Stehen. Die Feuerstelle davor war erlöschen, aber die Glut leuchtete noch, würde es sicher tun bis zum frühen Morgen, wo sie wieder entfacht wurde.

Die neun Pferde standen angebunden an den dicken Provianttaschen und hatten die Köpfe zum Schlafen gesenkt. Nur eines war wach und kaute ein wenig auf den letzten Futterresten herum, welche noch im Sand zu finden waren.

Ansonsten war nichts rundum außer silbernem Sand und den riesigen Dünen, in deren Tal das Lager sicher geschützt lag.
 

Leise stieg Seth vom Pferd ab, setzte seinen Fuß in den kalten Sand und sah sich um. Niemand war hier. Merkwürdig? Standen denn die Soldaten keine Wache? Beim ersten Mal hatte er den Pharao nur aus der Ferne gesehen und nun war es, als würde er ihn atmen hören.

Doch lieber wollte er Vorsicht regieren lassen. Diese Leibwächter gehörten zur Elite des Palastes. Vielleicht hatten sie ihn auch bereits bemerkt, weswegen er vorerst nahe bei seinem Pferd blieb, um sicher zu gehen, dass sich niemand überraschend von hinten näherte, bis er die Gegend abgesucht hatte. Das letzte Mal hatte man ihn auf den Hinterkopf geschlagen und bewusstlos gemacht - so etwas sollte nicht ein zweites Mal geschehen.

Doch nichts tat sich. Er hörte kein Geräusch, nicht mal das Flüstern des Windes.

Als würde in diesem Moment alles in einen tiefen Schlaf gesunken sein.

Bis er auf ein Mal erschrak.

Lautlos war es hier, nichts schien sich zu bewegen, aber etwas Kühles kroch über seinen Fuß. Im ersten Moment wollte er einen Satz zurückspringen, aber ihm kam auch sofort die Lehre seines Wüstenführers in den Sinn, lieber stillzustehen als alles in Panik zu versetzen. Er bewegte sich instinktiv nicht, aber erschrocken sah er zu Boden. Da war es auch schon weg. Er konnte nur noch einem kleinen Skorpion hinterher sehen, welcher ihm über die Zehen gekrochen war. Nachtaktives Wesen, hochgiftig, große Art, sehr fleischig, schwarz mit einer weißen Zeichnung an den Spitzen der Scheren. Dies hier war noch ein recht kleines Exemplar, aber als er zwei Meter daneben blickte, saß dort ein ausgewachsenes Männchen, zu erkennen an den großen Vorderbeinen.

Solch eine Art war so gut wie verschwunden aus der Wüste, umso erstaunlicher, dass es hier noch welche gab. Umso besorgter wurde Seth. Weißspitzen wurden diese Tiere genannt und zur Paarungszeit, wenn sie nach Wärme suchten, traten sie in Massen auf. Früher habe es Momente gegeben, da hatte man eine Tausendschar von ihnen durch ein Dorf wandern sehen. Doch heute sah man sie kaum noch. Man vermutete eine Krankheit, welche diese Art langsam auszurotten drohte und wirklich traurig war niemand darum, denn ihr Gift war tödlich.

Er schaute noch mal zur Feuerstelle, trat ein paar Schritte vor, um genauer sehen zu können und tatsächlich, dort fanden sich nach und nach immer mehr dieser Tiere ein. Angelockt von der Wärme der Glut.

Ein kurzes Zählen brachte schon über zwanzig Tiere zum Vorschein, welche wie aus dem Boden geboren schienen. Eine gefährliche Gruppe dieser selten gewordenen Wesen. Schön und doch ein Verderben für jeden, den ihr Stachel traf.
 

Lange war er nicht unbemerkt geblieben, da wurde er plötzlich am Hinterkopf gepackt, am Schopfe festgehalten und spürte das kalte Gefühl eines Dolches an seiner Kehle. Die nach hinten gebeugte Haltung machte ihm das Parieren des Angriffes schwer und dieser Griff seines scheinbar viel kleineren Angreifers war wirklich kräftig. Zu kräftig für seinen noch geschwächten Körper und außerdem wollte er dieses Mal nicht kämpfen. Mit Gewalt würde er nicht zum König vordringen können, das hatte er eingesehen. Also musste er es mit Worten versuchen.

„Wer bist du?“ zischte es leise in sein Ohr hinein.

„Seth“ keuchte er noch immer überrascht zur Antwort heraus. „Seth Chuanch Amun Sanacht. Priester aus dem roten Wüstentempel.“

„Der junge Priester“ wiederholte er wissend. „Haben wir dich nicht neulich schon vertrieben? Was willst du schon wieder?“

„Ich will nicht kämpfen“ bat er. Dieser Dolch an seiner Kehle machte ihn doch langsam nervös. „Ich bin unbewaffnet und verletzt. Ich bin kein Gegner für dich.“

„Eine schnelle Bewegung und dein Leben war einmal“ drohte er, aber ließ ihn doch ganz langsam frei. Er nahm seine Hände weg, zog auch den Dolch zurück und ließ den Priester sich aufrichten.

„Danke“ sprach Seth etwas beruhigter und rieb sich über die Kehle, wo eben noch das kalte Eisen saß. Er hatte nicht einen Kratzer abbekommen, was bedeuten musste, dass sich dieser Mann mit Klingen auskannte, wenn er sie so gut unter Kontrolle hatte.

„Was willst du? Warum verfolgst du uns?“ kam sofort die nächste Frage.

Langsam und betont unbedrohlich drehte Seth sich herum und sah vor sich einen gedrungenen Mann. Nicht außerordentlich groß, doch klein noch lange nicht. Dafür sehr kräftig. Breite Schultern, kurze, starke Beine und große Hände. Sogar der Name fiel ihm wieder ein. Penu, die Maus. Wie eine Maus sah er nicht aus, eher wie ein Bär. Aber diesen unpassenden Namen vergaß man so schnell nicht.

„Ich möchte zum Pharao“ bat er und noch bevor er seine Bitte ganz ausgesprochen hatte, kam sofort ein entschiedenes

„Nein“ zur Antwort. „Er will dich nicht sehen. Also schwing dich aufs Pferd und behellige ihn nicht weiter. Er hat keine Geschäfte mit dir zu tun.“

„Das soll er mir selbst sagen“ sprach er ebenso entschieden zurück.

„Es reicht, wenn ich es dir sage. Wenn du so dringend was vom Pharao willst, schreib erst an den Palastvorsteher und bitte um Audienz. Mit Angriffen oder nächtlichen Überraschungen wirst du nicht zu ihm kommen. Und jetzt geh, bevor ich dich dazu zwinge. Und ein zweites Mal bringen wir dich nicht in den Tempel zurück, dann krepierst du in der Wüste.“

Hier war wirklich kaum ein Durchkommen. Die Männer an des Königs Seite waren befehlstreu und würden nur nach dem Wort des Pharaos handeln.

Wie gerne wäre er doch einer von ihnen.

„Wie dem auch sei, ich kann euch einen Handel vorschlagen.“

„Wir gehen keinen Handel ein. Nimm dein Pferd und geh zurück, wo du herkamst.“

>Wo ich herkam ...< dachte er einen Augenblick traurig. >Warum kann ich nicht dorthin, wo ich hinwill?< „Vielleicht solltest du dir erst anhören, was ich zu sagen habe“ forderte er und fuhr sofort ohne noch eine weitere ablehnende Antwort weiter. Er wies auf die Feuerstelle, an welcher sich mittlerweile schon eine ganz beträchtliche Anzahl wärmesuchender Skorpione eingefunden hatte. „Siehst du das? Ihr habt euer Lager direkt am Paarungsplatz von Weißspitzen-Skorpionen aufgeschlagen. Sie kommen aus ihren Höhlen und es werden immer mehr.“ Und diese Einschüchterung schien doch zu wirken, denn für einen Moment machte der sonst so tapfere Penu einen ziemlich erschrockenen Gesichtsausdruck. Er blickte sich auch neben und unter sich um und fand den nächsten Skorpion nur drei Meter entfernt. „Ja, es ist alles voll von ihnen und es werden bis zum Einbruch der Dämmerung immer mehr. Sie suchen nach warmen Orten, um sich zu paaren. Deswegen verkriechen sie sich nicht im warmen Sand, sondern suchen nach Wärmequellen“ sprach Seth weiter. „Ihr Gift ist tödlich und ich bezweifle, dass einer von euch in der Lage ist, ein Gegengift zu mischen.“

„So ein Unsinn“ wehrte er ab, auch wenn ihn die Anwesenheit dieser giftschwänzigen Mini-Riesen doch ziemlich nervös machte. „Wir haben bereits einen erprobten Wüstenführer. Er kriegt ein Gegengift auch ohne dich hin.“

„Ach ja?“ fragte er ganz provokativ und zog seine elegante Augenbraue zu einem Haken in die Höhe. „Dann frage ihn lieber. Diese Art ist nämlich sehr selten und deshalb wird über sie kaum noch gelehrt. Bevor ich und mein Wissen fort sind, solltest du das sicher stellen. Außerdem solltet ihr euer Lager lieber verlassen, bevor sie nach Körperwärme suchen.“

Und er wusste doch genau, was jetzt in seinem Kopf vorging. Als treuer Soldat musste er schleunigst den Pharao dort rausholen, bevor er sich im Schlaf vielleicht auf eines dieser Tiere rollte und gestochen wurde. Und dass jeder Wüstenführer ein Gegengift bei so seltenen Arten mischen konnte, war durchaus nicht selbstverständlich.

Doch was sollte Penu jetzt tun? Dieser Mann wollte eindeutig zum Pharao durchdringen und er durfte ihn nicht unbeaufsichtigt lassen. Auf der anderen Seite musste er hinein und seine Begleiter wecken, damit sie den König aus diesem Giftnest brachten. Wie sollte er an zwei Orten gleichzeitig sein?

„Dreh dich um, Hände auf den Rücken“ forderte er, drehte Seth plötzlich herum und stieß ihn hart einen Schritt nach vorne. „Hände auf den Rücken“ schnauzte er noch mal, schnappte sich die eine Hand und war doch leicht überrascht, dass der Priester so einfach tat, was er befahl.

Er zog ein Seil aus seinem Gürtel und band ihm die Hände auf dem Rücken zusammen, ganz fest zurrte er die Fessel, damit er sich dort nicht so einfach herauswinden konnte. Er schubste ihn nach vorne, wo noch das Pferd stand und band das andere Ende des Seils am Sattel fest, machte einen so komplizierten Knoten, dass er nicht so leicht zu lösen sein würde und hatte ihn damit hoffentlich richtig festgesetzt.

„Du machst keine Metzchen, verstanden Priester?“ Er sah ihn noch einen Moment dunkel an, gab sich mit einem Schweigen als Antwort zufrieden und drehte sich dann um. Er verschwand im niedrigen Zelt und ließ den Gefesselten an seinem Pferd stehen.
 

Seth wartete dort ganz geduldig. Sein Plan, ohne Gewalt den Pharao zu Gesicht zu bekommen, schien aufzugehen. Zwar war die Gefahr im Nest dieser riesigen Skorpione nicht gerade gering, aber vielleicht war es auch ein Glück, dass er gerade heute Nacht gekommen war. Diese giftigen Tiere kamen wie gerufen, um sich ein Gespräch zu erpressen.

Er wusste auch, dass es eigentlich respektlos war, dem König auf diese aufdringliche Weise nachzustellen, aber sein Herz würde keine Ruhe finden, wenn es nicht endlich eine Erklärung bekam.

Eine Erklärung dafür, weshalb die Majestät ihn fort stieß.

Eine Erklärung dafür, weshalb er außer dem Pharao keinem anderen Menschen nahe sein wollte.

Eine Erklärung dafür, weshalb Atemu im letzten Moment so traurige Augen gehabt hatte.
 

Nach einigen Momenten trat der Mann heraus, an den Seth sich noch gut erinnerte.

Er war von mittelgroßer Statur, schulterlanges, schwarzgewelltes Haar und Augen so dunkelbraun, dass sie in der Nacht wie schwarz erschienen. Eine schmale Nase und sehr dunkle Haut. Er war der Gesellschafter an des Pharaos Seite. Er hieß Fatil, aber welche Bedeutung er außerdem für den König hatte, das hatte sich ihm noch nicht erschlossen. Er wusste nur, dass er dem Pharao nahe stand und nicht von ihm abging. Wenn er zum König wollte, musste er notgedrungen an ihm vorbei.

Dieser Mann kam direkt auf ihn zu, blieb vor ihm stehen und blickte mit spitz funkelnden Augen an ihm herauf. Ein bisschen sah er aus wie eine Katze, welche jeden Moment fauchen wollte.

„Lass dir eines gesagt sein“ zischte er ihm wütend entgegen, ohne dem Priester zur Begrüßung ein höfliches Wort zu geben. „Egal, was du willst, du wirst es nicht bekommen.“

„Bist du der Wüstenführer?“ fragte er umso ruhiger zurück. „Kannst du das Gegengift zu dieser Art Skorpione mischen?“

„Es wird dich wundern, aber ja, das kann ich“ antwortete er außerordentlich aggressiv, als hätte man ihn persönlich beleidigt. „Weißspitzenskorpione, dämmerungs- und nachtaktiv, große Art, fleischiger Körper, langer Schwanz, Männchen lange Vorderbeine, Weibchen kleinere Scheren. Treten zur Paarungszeit in großen Gruppen auf und suchen nach warmen Plätzen zur Eiablage. In den letzten Jahren sehr selten geworden, aber nicht ganz ausgestorben. Du glaubst doch nicht wirklich, dass der Führer der Majestät so etwas nicht weiß?“

Tja, da hatte Seth sich verkalkuliert. Dieser Fatil war vielleicht kein Kämpfer, aber seine Waffe war die Intelligenz. An ihm vorbeizukommen könnte schwerer werden, als gedacht. Diese drei Männer ersetzen für den Pharao wirklich eine ganze Armee. Kein Wunder, dass er bedenkenlos ohne großes Gefolge reiste - mit diesen Leibwächtern konnte er es sich erlauben.

„Ich möchte zum Pharao“ bat Seth um Ruhe bemüht. „Bitte lasst mich mit ihm sprechen, Fatil. Ich wäre Euch sehr dankbar dafür. Es ist sehr wichtig für mich.“

„Du kannst auch mit mir sprechen, Priester. Also, was willst du schon wieder? Hat es dir nicht gereicht, dass wir dich vom Pferd geholt haben?“

„Ich muss zum Pharao persönlich. Bitte lasst mich zu ihm, Fatil.“

„Du brauchst gar nicht so respektvoll mit mir sprechen, das wirkt nicht. Du bist eine Schande für die Religion, eine Schande für den Wüstentempel. Jemand wie du wird seine Klauen niemals ins Fleisch des Pharaos schlagen. Nicht solange ich dazwischen stehe.“

Doch Fatils mutige Worte verhallten im Nichts, als Seths Blick auf den Stoff des Zelteingangs fiel, welcher von einem großen, schlanken Mann zur Seite gezogen wurde, die Statur erkannte er als den Bogenschützen, welcher sein Pferd zu Fall gebracht hatte. Und ihm folgte der bullige Schwertkämpfer, welcher den teuersten Schatz Ägyptens auf seinen Armen trug. Eingehüllt in eine wärmende Decke bei diesen eisigen Temperaturen. Wohl frisch geweckt aus dem Schlafe wurde er getragen, um ihn vor den giftigen Tieren am Boden zu schützen.

„MAJESTÄT!“ rief er laut und wollte zu ihm laufen, doch seine Fesseln hinderten ihm daran. Sein Pferd trat nur überrascht einen Schritt zur Seite und würde sich kaum überreden lassen, ihm zu folgen, solange Fatil es am Geschirr festhielt. „Majestät, bitte sprecht zu mir!“ flehte er und wäre auf die Knie gefallen, wäre der Sattel nicht so hoch. „Es tut mir leid! Was auch immer ich getan habe, es tut mir leid!“

Aber Atemu blickte ihn nur an. Blickte mit diesen undurchdringlichen Augen direkt durch ihn hindurch ... oder in ihn hinein? Dieser Blick des Königs war so erhaben über alles Irdische und doch schien er so verletzlich wie eine Wüstenblume im Sturm. Diese Vereinigung der Widersprüche in sich. Er war so wunderschön, so mächtig, so herrlich und herrschend. Warum nur blickten seine Augen selbst durch diese schimmernde Dunkelheit hindurch noch so traurig wie im letzten Moment, bevor er ihn an jenem Abend verließ?

„Hoheit bitte“ flehte er mit zitternder Stimme. „Bitte sagt doch etwas. Quält mich nicht mit Eurem Schweigen. Gebt mir nur ein Wort, nur einen Moment mit Euch.“

Doch er blickte ihn nur an. Seine unlesbaren Augen reflektierten das Mondlicht so hell, dass er wie ein Fabelwesen schien. So wunderbar, so weich und doch so hart. Er brachte sein Herz zum Klopfen und seinen Kopf zum Nachdenken. Warum nur stieß er ihn von sich?

„Wenn ich irgendetwas tun kann, um mich zu entschuldigen“ rief Seth voller Verzweiflung in seiner zitternden Stimme. „Bitte, Majestät, irgendetwas! Bitte schweigt nicht! Ich flehe Euch an! Bitte!“

Doch sein kräftiger Träger setzte sich wieder in Bewegung, ging an Seth vorbei und der Pharao wand seinen Blick zu Boden. Er sah den jungen Priester nicht mehr an, entzog ihm seine Aufmerksamkeit.

„Majestät! Bitte!“

Der König wurde auf eines der Pferde gesetzt, welches aus seinem Schlafe etwas erschrocken den Kopf hob und seinen Reiter doch sofort erkannte.

Der große, schlanke Mann kam ihm mit einer zusätzlichen Decke nach und legte sie dem König über die Schultern. Die Wüste war des nachts so schrecklich kalt und ein so warmes Wesen wie der Pharao sollte nicht frieren müssen.

Penu nahm die Zügel des Pferdes, band es von den schweren Taschen los und achtete bei jedem Schritt darauf, nicht auf einen der gefährlichen Skorpione zu treten, welche langsam wirklich zu einer mengenmäßigen Plage wurden.

„Majestät!“

„Hör auf, ihn zu drängen. Er wird nicht mit dir sprechen“ stauchte Fatil ihn abermals zusammen und funkelte wütend aus seinen dunklen Augen. Es sah so aus als würde er ihn am liebsten nochmals schlagen, um ihn endlich zum Schweigen zu bringen. Dass dieser Mann eine Abneigung gegen ihn hegte, war so deutlich zu sehen.

Ganz plötzlich erschien der Bogenschütze neben ihm, hatte einen seiner Pfeile in der Hand und stach damit so schnell auf den Boden, dass Seth dieser schnellen Bewegung kaum folgen konnte.

Entsetzt sah er hinab und erblickte, dass die Pfeilspitze direkt in Fatils Fuß gestochen war. Was sollte das? Als Soldat ging man doch nicht seine eigenen Leute an.

„Wir sollten auch langsam hier weg, Fatil“ sprach er dafür ganz ruhig, hob seinen Pfeil und hatte an dessen Ende einen recht großen Skorpion aufgespießt, welcher noch lebendig zappelte.

Er hatte seinem Kumpanen nicht in den Fuß gestochen, sondern zwischen seine Zehen, um den Skorpion zu töten, welcher dort wohl gesessen hatte. Und Fatil hatte nicht mal gezuckt.

Was mussten diese Männer für ein Vertrauen zueinander und in ihre gegenseitigen Fähigkeiten haben, dass jemand einen so guten Blick hatte und im Dunkel zwischen die Zehen eines anderen stechen konnte, während dieser nicht mal erschrak?

An diesen Männern vorbeizukommen, war ein Ding der Unmöglichkeit.

„Ja, du hast Recht, Faari“ antwortete er ruhig und trat vorsichtig einen Schritt zurück, wo schon das nächste Giftgetier entlang kroch. „Wir kommen morgen früh wieder und holen unsere Sachen. Dann müssten die Tiere fort sein.“

„Majestät, was machen wir mit ihm?“ nickte Faari auf Seth, der noch immer an sein Pferd gefesselt stand und sich langsam gewiss wurde, dass er kaum noch Aussichten hatte, an den Leuten des Königs vorbeizukommen.

„Ich schlage vor, Faari bleibt bei ihm und bringt ihn zurück in den Tempel“ sprach Fatil seinen König an, während der auf seinem Pferd saß und den Kopf gen Boden gesenkt hielt. „Ich schreibe einen Befehl, dass man den Priester dort einzusperren hat, bis wir sicher im Palast sind. Faari wird dann mit der nächsten Karawane zu uns reisen.“

„Du hast Glück“ sagte Faari ganz ruhig und sah Seth gnadenlos kalt an. „Wärst du kein Priester, würden wir dich jetzt töten für deine Aufsässigkeit.“ Und damit hatte er Recht. Als Priester durfte er nicht getötet werden, wäre er ein anderer, wäre er schon längst des Todes. Doch so würde er nur eingesperrt werden bis er vor Gericht kam. Dem Pharao so aufdringlich nachzustellen, war unter Strafe verboten.

„Nein.“ Die Stimme des Pharaos war leise und durchbrach doch alle anderen Stimmen seiner Leute. Das war das Wesens eines wahren Königs, wenn er sprach, schwiegen alle anderen. „Bindet ihn los und bringt ihn gleich zu mir. Ich werde mit ihm sprechen.“

„Aber Hoheit, er ...“

„Keine Sorge, er ist nicht gefährlich, Faari“ bat er sogleich und schaute doch nicht hoch, obwohl er die Zügel nahm und scheinbar selbst reiten konnte. „Penu, zünde uns ein paar Fackeln an dort hinten und hole noch Decken für euch. Auch für den Priester. Und sei bitte vorsichtig, ich will nicht, dass jemand gestochen wird.“

„Natürlich, wie Ihr wünscht“ antwortete Penu nur knapp als der Pharao seinem Pferd einen kleinen Stups gab und es langsam weiter in die Wüste gehen ließ. Nur weg von diesem Nest voll paarungswilliger Skorpione.

Seth blickte ihm sehnsüchtig nach und wurde eigentlich nur noch nervöser als eben. Er würde ihn also empfangen, mit ihm sprechen - ganz entgegen der Ablehnung seiner Männer. Und doch konnte der junge Priester kaum darüber nachdenken, was er ihm sagen wollte. Viel eher musste er diese Anmut bewundern, mit welcher sein König sich bewegte. Wie die warmen Decken um seine Schultern lagen und in dem silbernen Mondlicht wie magisch schimmerten. Auf seinem grauen Pferd schien er so unwirklich wie ein wahrer Gott der Güte, so leuchtend und geheimnisvoll, so wunderschön.

„Glück gehabt.“ Fatils Stimme riss ihn aus seinem Gedanken. Er blickte ihn an und schon spürte er, wie die Fesseln an seinen Händen gelockert wurden und ihn freiließen. „Aber ich warne dich“ drohte er mit dunkler, gepresster Stimme. „Auch nur ein einziger Fehltritt, ein einziges falsches Wort und du bist schneller fort, als der Pharao es verbieten kann. Du wirst ihm nicht schaden, verstanden?“

„Warum glaubt ihr denn nur, dass ich ihm schaden möchte?“ fragte er doch etwas gekränkt und enttäuscht, blickte Fatil und Faari an, welche ihn beide nicht aus den Augen ließen. „Ich bin Priester. Das Letzte, was ich bezwecken möchte, ist es, dem Sohn der Götter zu schaden.“

„Bezweckt oder nicht, behandle ihn mit dem gebührenden Respekt, du ...“ Er wollte es aussprechen, es lag ihm auf der Zunge. Sklave wollte er ihn nennen, ihn degradieren, an den Platz zurücksetzen, der seiner war. Doch er hatte versprochen, das Geheimnis des Pharao zu wahren. Dies wäre das letzte Mittel, diesen Sklaven zu vertreiben und er würde es auch einsetzen, um den Pharao vor seinen Intrigen zu schützen. Er traute diesem sogenannten Priester nicht eine Nasenlänge und wenn der König schon vor lauter liebender Verwirrtheit nicht auf sich zu achten wusste, so würde Fatil das eben für ihn übernehmen. Lieber tötete er ohne großes Aufsehen einen schmutzigen Lustsklaven, als den König traurig zu sehen. Wenn er wollte, könnte er Seth schneller verschwinden lassen, als es irgendwer mitbekam ... doch jetzt noch nicht. Blieb abzuwarten, was der König mit seinem Sklaven zu besprechen hatte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2006-09-20T23:38:14+00:00 21.09.2006 01:38
habe heute angefangen zu lesen,
eine schöne geschichte, freue mich wenn es weiter geht.
Von:  Tiger01
2006-09-20T13:55:49+00:00 20.09.2006 15:55
So erstmal....
Boa wie fies an einer solchen Stelle aufzuhören
*Arme in Hüften stemm und dich entgeistert anguck*

Erst hörst du immer bei deiner Drachensaga an den unmöglichsten Stellen auf und jetzt hier auch noch...
*Haare rauf*

Das war mit Abstand das Beste was ich in den vergangenen Monaten gelesen habe! Diese riesigen Gefühle, die auch auf den Leser übergreifen, die einen unwillkürlich mitziehen und miterleben lassen was nun in Atemu abgeht.
Diese Zwangslage in der er sich befindet als er Seth wiedersieht und ihm doch nicht nahe sein kann. Zumindest nicht so wie er es gerne hätte.

Und auf der anderen Seite Seth, der ein neues Leben geschenkt bekommen hat und aus Dankbarkeit sich in solche Gefahr begibt, die ihn hätte töten können. Ich bin sicher das er Atemu ebenso tief liebt, es aber noch als Dankbarkeit einstuft....

Arrrrrgggg.... spann uns net unnötig auf die Folter..., daß Warten fällt bei dir immer besonders schwer und da ich eh kaum zum lesen komme, nehme ich mir nur wirklich lesenwertes vor... also deine FFs. *lächel*

Also ich warte gespannt.
*lieb knuddel*

Mellie^.~
Von: abgemeldet
2006-09-17T09:29:14+00:00 17.09.2006 11:29
einfach nur toll, aber sooooooo traurig. na ja, nicht wirklich traurig, aber irgendwie niederschmetternd. seth merkt zwar, dass er nur bei atemu sein will, aber kappiert einfach nicht, was es wirklich bedeutet. und atemu traut sich einfach nicht endlich das zu sagen, was er wirklich fühlt. und jedes mal wenn ich denke: "ja,jetzt", dann kommt alles wieder ganz anders.

ich glaube ich werde luftsprünge machen, wenn atemu und seth endlich glücklich sind und heulen, wenn alles nicht so endet, wie ich es mir wünsche.

ja, eigentlich hab ich noch so viel, aber ich weiß gar nicht, wie ich das alles erklären soll ^-^
Von:  Dragon1
2006-08-31T13:44:25+00:00 31.08.2006 15:44
Oh süüüüüüüperb!!!!
Endlich!! Endlich!!! ENDLICH!!!!!!!!!!
Hat seth eingesehen, dass er nur Atemu gehört! Punkt!
ich finde auch Fatil sehr gelungen, aber wäre der Pharao nicht viel trauriger, wenn er Seth auf einmal verschwinden lassen würde?
Natürlich. er will Atemu schützen... er ist ja nunmal wie ein Sohn für Ihn... tja... aber junge Liebe.. *seuftz*

Auf jeden Fall ist es mal wiedr ein WAAAAAAAAAAHNSINNS Kapitel geworden und das erste, welches du heute Hochgeladen hast natürlich auch!!! Soviel ist sicher!!
Also. ich freue mich schon darauf, wenn es hier und vor allem bei der Drachensaga weitergeht!!

deine ewige treue Leserin Vicky!!!!

salü


Zurück