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Rechts-Frust [edit s.u.] Gerichte, Internetabzocke, Privat, Rant, Rechtsfragen

Autor:  Jitsch

Hallo ihr,

erinnert ihr euch noch an diesen Weblogeintrag? Wo ich einem Betrugsangebot über 50% Ersparnis bei Supermarkt-Gutscheinen auf den Leim gegangen war? Ich beiße mir bis heute in den Ar***, dass ich mir das damals nicht genauer angeguckt und sofort das Geld überwiesen habe. Beziehungsweise beiße ich mir seit Anfang der Woche umso mehr in den Hintern, weil sich gezeigt hat, dass das ganze noch viel mehr Probleme macht als ich zunächst dachte.

Das ganze ist jetzt schon fast ein Jahr her und ich hatte mich neulich gefragt, ob ich von dem Fall überhaupt noch etwas höre - da flattert mir ein Brief von der Staatsanwaltschaft ins Haus.

Ich habe bisher mit dem deutschen Rechtssystem kaum Berührungspunkte gehabt. Mir wurde einmal ein Fahrrad geklaut, aber das habe ich problemlos wiederbekommen, sobald es gefunden wurde (ja, ich hatte da echt Glück). Ich dachte, das wäre in diesem Fall auch unbürokratisch möglich - die Bank bei der das Geld eingegangen ist kann glaube ich nachvollziehen von wo das Geld überwiesen wurde und ich dachte, in dem Fall könnte es einfach zurück überwiesen werden. Anscheinend war ich da zu naiv.

Nein, die Staatsanwaltschaft schreibt mir, ich müsse "zuerst einen Vollstreckungstitel erwirken, hieraus vollstrecken und anschließend bei dem zuständigen Strafgericht die Zulassung zur Zwangsvollstreckung gemäß §§ 111g, 111h StPO beantragen". Für mich ist diese Aussage kaum leichter verständlich als für den Durchschnittsdeutschen Japanisch.

Nachdem ich gleich  Azamir (subjektiv die Rechtsexpertin in Animexx'schen Weblogkreisen) mal gefragt hatte was sie davon hält habe ich noch ein paar Telefonate mit der zuständigen Staatsanwaltschaft und meinem Amtsgericht vor Ort geführt, das lief aber auf dasselbe hinaus: Ich muss einen Mahnantrag gegen den Täter stellen. Das klingt erstmal einfach, oder? Ist es aber nicht, denn

  1. ein Mahnantrag kostet Geld. Bei meinem zuständigen Mahngericht müsste ich 32 Euro dafür berappen. Um 20 Euro wiederzukriegen. Klingt sinnvoll, was? :/
  2. ich hab mir den Mahnantrag mal angeschaut und bei der Hälfte der auszufüllenden Felder keine Ahnung, was da genau rein soll.
  3. die Gerichte dürfen mich zur Wahrung der Neutralität nicht rechtlich beraten. Überall steht "im Zweifelsfall wenden sie sich an einen Rechtsanwalt". Ich hab jetzt zwar keine konkrete Vorstellung wie viel ein Rechtsanwalt kostet, aber auch das wird über den 20 Euro liegen, die ich zurück haben will und irgendwo stand auch, dass Anwälte solche Popelfälle gar nicht erst übernehmen.
  4. ich habe keine Ahnung, was die Konsequenzen sind wenn ich den Mahnantrag durchziehe (kriege ich die Gebühren dann auch wieder? Kann der Fall eintreten dass ich meine 20 Euro trotzdem nicht wiedersehe? etc.) oder wenn ich auf meine Ansprüche verzichte (kriegt dann die Staatsanwaltschaft das Geld das keiner eingefordert hat? Oder wird davon ausgegangen dass der Täter das rechtmäßig erworben hat - sprich, er darf's behalten?)
  5. ich hab bisher nicht so richtig rausfinden können, wo und wie man sich in so einer Situation kostenlos rechtlich beraten lassen kann. Ich kenne auch niemanden persönlich (auch nicht über dutzende Ecken) der Ahnung von so was hätte.

 

Das kotzt mich alles gerade ziemlich an. Der ganze Stress für nur 20 Euro lohnt sich eigentlich gar nicht, aber ich will die Sache auch nicht einfach auf sich beruhen lassen und auf das Geld verzichten.

Und das ganze kam natürlich gerade jetzt, zwei Wochen bevor ich erst nach Frankfurt (neuer Job) und dann zwei Wochen später nach England (ca. 14 Wochen Grundausbildung für den Job) aufbreche. Als hätte ich sonst nicht schon genug zu organisieren (Versicherung, Unterkünfte, Ticket nach Frankfurt, nebenbei die Abschluspräsentation zur Masterarbeit, Anerkennung an der koreanischen Uni, lange aufgeschobene Arztbesuche... die Liste ist lang).

Kurz gesagt: ich heule hier nur rum und will mich auskotzen, ich erwarte auch keine Rückmeldungen oder aufbauende Kommentare (aber wenn jemand einen heißen Tipp für mich hat, freu ich mich natürlich trotzdem drüber ;)

 

EDIT: Günstigerweise bietet die HU in Berlin kostenlose Rechtsberatung für Studenten an (bzw. allgemein kostenlose Rechtsberatung... zumindest wollte der Rechtsanwalt keinen Studentenausweis von mir sehen) und gestern war auch noch Sprechstunde bei einem Straf- und Zivilrechtler.

Der meinte auch, eine Mahnung wäre im Prinzip Glücksspiel, weil es sein kann, dass der Typ trotzdem Einspruch einlegt und ich dann n Gerichtsverfahren anstrengen muss, oder dass viele andere vor mir Ansprüche gestellt haben und dann am Ende nichts mehr für mich übrigbleibt. Ich würde also die 32 Euro Mahngebühr investieren und vielleicht die 20 Euro wiederkriegen, schlimmstenfalls noch höhere Folgekosten (Anwalt/Rechtsverfahren) auf mich zukommen sehen. Man muss nicht mal (wie ich) was mit Wirtschaft studiert haben um zu sehen, dass sich das nicht lohnt.

Im ersten Moment (also direkt danach) habe ich gedacht: "ist mir egal, das ist mein Geld und ich will das wiederhaben", aber nachdem ich eine Nacht drüber geschlafen habe ist mir klar, dass das einfach vom Aufwand den ich dafür betreiben müsste (nicht nur monetär) einfach in keinem Verhältnis steht.

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Datum: 22.07.2015 19:17
Ich hatte gegen meinen alten Vermieter mal einen Mahnbescheid erlassen, dann hat der ganz schnell gespurrt, keinen Widerspruch eingelegt sondern mir meine Kaution nach Monaten des Wartens überwiesen - und die Kosten für den Mahnbescheid musste er auch tragen! Also wenn du Recht bekommst, bekommst du das Geld (meiner Erfahrung nach!) wieder zurück.
Würde den Empfänger vielleicht ja erst recht fuchsen, dass er für zwanzich Öcken jetzt 35 Euro zusätzlich berappen muss :D

(Wie gesagt, nur meine Erfahrung, kein tatsächliches Wissen meinerseits.)
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Datum: 22.07.2015 19:19
Ich kann deinen Frust verstehen, mich würde das auch nicht schlafen lassen wenn mir jemand unberechtigt das Geld aus der Tasche gezogen hätte und ich mich dagegen nicht zur wehr setzen könnte.

Allerdings kann ich dir in dem Fall wirklich nur davon abraten einen Mahn- und später Vollstreckungsbescheid zu beantragen. Das lohnt sich für 20 Euro wirklich nicht. Zudem musst du auch wissen wo die Betrüger ihren Sitz haben usw. Ich habe mir den anderen Blog nicht durchgelesen, aber es wird sicherlich schwer sein das festzustellen oder?

Ich hatte mir vor zwei Jahren mal was übers Internet für 599 Euro bestellt. Als ich das Teil nach fast einem Jahr nicht bekommen hatte und immer wieder nachgefragt und dran erinnert hatte und nur vertröstet wurde habe ich der Firma eine letzte Frist gegeben und bin anschließend vom Vertrag zurückgetreten. Dann habe ich auf Grundlage meines Rücktritts vom Vertrag um fristgerechte Rückerstattung des Betrages gebeten und im Falle ausbleibender Reaktion der Gegenseite angedroht zu mahnen und zu vollstrecken und als nichts geschah habe ich einen Mahnbescheid beantragt. Das Formular war für mich einfach auszufüllen weil ich eine Ausbildung im Rechtsbereich gemacht habe (zwar nicht mit diesem Schwerpunkt aber egal), den einzigen "Fehler" den ich gemacht habe war dass ich nicht das Gericht in meinem Bereich, sondern im Bereich des Gegners gewählt habe (was dazu führte, dass der Prozess vor der Haustüre des Gegners stattfand und nicht vor meiner).
Wenn ich mich richtig erinnere wurde der Mahnbescheid vom Gericht aus an den Gegner zugestellt und dieser hat Einspruch dagegen eingelegt weil er sich ja natürlich keiner Schuld bewusst war. Der Einspruch war auch unbegründet, einfach nur um die Frist zu wahren. Dann bin ich zum Rechtsanwalt gegangen. Auch weil sich die Firma zwischenzeitlich geteilt hatte und auch noch von einer anderen Firma übernommen wurde und ich nicht wusste ob der Adressat damit noch stimmt. Dieser hat mich beraten und die Sache für mich dann übernommen. Außerdem konnte der Rechtsanwalt auch feststellen ob die Firma insolvent ist (was sie zum Glück nicht war). Billig war das nicht (125 Euro) aber die Beratung war gut und ich war froh, dass die Sache in professionelle Hände gekommen ist. Klar hätte ich weitermachen können aber das hätte mir mit Sicherheit die ein oder andere schlaflose Nacht beschert.
Natürlich kam es wirklich zum Prozess. Letztendlich habe ich den Prozess gewonnen und alle Kosten nebst Zinsen zurück erstattet bekommen, insgesamt über 900 Euro. Wobei die Anwaltskosten nochmal eingetrieben werden mussten.
Nun ist das aber ein eher glasklarer Fall, den man noch einigermaßen gut überblicken kann. Bei deinem Fall ist es leider so, dass es (zumindest für mich) völlig undurchsichtig ist und du obendrein selbst keine Erfahrung damit hast (was ja auch nicht schlimm ist).

Stell dir vor dein Gegner würde gegen deinen Mahnbescheid Einspruch einlegen, was machst du dann?
Lass dich in der Hinsicht am Besten wirklich professionell beraten. Ich denke aber nicht dass sich jemand den Schuh anzieht und dich verbindlich kostenlos berät. Zahlen musst du dafür sicherlich und ob dir das wert ist ist deine Entscheidung.

Klar ist es ärgerlich, aber mach dir nicht mehr Probleme als nötig. Ich wollte dir mit meinem Gefasel nur ein Beispiel zeigen, dass solche Aktionen auch unerwartete Wendungen nehmen können. Ich hätte nie gedacht, dass gegen meinen Mahnbescheid Einspruch erhoben wird. Ich hätte auch nie gedacht, dass die Firma sich teilt usw. Die eine Seite davon hat den Sitz nämlich in Polen dann gehabt und da wäre ich mit meinem Mahnbescheid wahrscheinlich gegen eine Mauer gelaufen.
✡ Hevenu shalom alechem ✡
Datum: 22.07.2015 22:23
Also ich denk bei der Summe ist es am sinnvollsten, das unter "bin ich halt blöd gewesen, hat mich 20 eur gekostet, nächstes Mal bin ich schlauer" abzuhaken.

Und ja, unser Rechtssystem ist schon seltsam. Insbesondere sind Straf- und Zivilrecht zwei ganz verschiedene Paar Stiefel, auch wenn man beide auf den gleichen Sachverhalt loslässt, man kann z.B. im Zivilrecht auf Ergebnisse aus dem Strafverfahren unter bestimmten Bedingungen zugreifen und sie sich für einen Zivilprozess zunutze machen, aber dass ein Rechtsanwalt so viel mehr Möglichkeiten hat als man selber, das finde ich nicht einleuchtend.
Beispiel: Wenn ich bei einer Polizei eine Strafanzeige (Anzeige mit Strafantrag) mache, weil ich mich als Opfer eines kriminellen Sachverhalts fühle, dann bekomme ich nicht mal selbst meine Zeugenaussage in die Hand, aber ein Anwalt kann für mich Akteneinsicht beantragen und bekommt dann nicht nur diese sondern auch alles, was durch Polizei und Staatsanwaltschaft zu dem Gegner ermittelt wurde, damit er überhaupt mal weiß, gegen wen ich zivilrechtliche Forderungen geltend machen könnte. Vielleicht hab ich das auch missverstanden, was mir bei der Polizei erklärt wurde, aber demnach könnte ich ohne Anwalt eigentlich nichts auisrichten, weil ich garnicht weiß, gegen wen ich vorgehen müsste (wenn ich die ladungsfähige Anschrift nicht eh schon selber wusste), auch wenn die Identität des Täters im Strafverfahren bereits ermittelt wurde.
Und eine Class Action wie in USA gibts hier auich nicht, das würde bedeuten, dass ein Anwalt aufgrund einer Anfrage eines Geschädigten beschließt, diesen Betrüger sollte man nicht ungeschoren davonkommen zu lassen, und dann nach und nach weitere Opfer einsammelt um in einem gemeinsamen Prozess den Schaden all derer gegenüber dem Banditen geltend zu machen. Bei uns dagegen kann sich jedes Opfer seinen Anwalt frei wählen (hurra) und dann eben genau seinen Schaden als separate Rechtsstreitigkeit verfolgen, was bei kleinen Summen wie bei dir einfach unwirtschaftlich für alle außer den Betrüger ist. Boshaft interpretiert dient unser System dem Täterschutz.

Anyway, genug gegrummelt.
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Datum: 24.07.2015 18:10
 Azamir
>Wegen den 20 vs. 32 € - es kostte halt doch irgendwen Arbeit, diesen Mahnbescheid zu bearbeiten. Von irgendwas muss das Justizsystem ja leben, unsere Steuergelder werden schließlich für andere Dinge verbraten.

Ich seh natürlich gerne ein, dass diese Gebühren ihren Sinn haben, aber im Einzelfall ärgert es mich halt, dass mich diese Gebühren im Resultat davon abgehalten haben, mein Recht einzufordern, nämlich meine 20 Euro wiederzubekommen, die dem Täter nicht zustehen. Ich glaube kaum, dass das im Sinne des Erfinders ist, auch wenn ich die Gründe FÜR die Gebühr rational komplett nachvollziehen kann und es wie du sagst bei höheren Beträgen sich auch schon mehr lohnt.

Ich will jetzt auch nicht ewig dieser doch kleinen Summe hinterherjammern und letztlich bin ich selber Schuld, dass ich es überhaupt so vorschnell überwiesen habe. Trotzdem stellt man sich natürlich die Frage "ginge das nicht auch einfacher?" und auf die gibt es wohl keine Patentlösungen.
„Um nach vorne zu kommen und dort zu bleiben, kommt es nicht darauf an,
wie gut du bist, wenn du gut bist,
sondern wie gut du bist, wenn du schlecht bist.“

Martina Navratilova


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