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Selbstmord auf Raten Barfuß, Uni

Autor:  Karopapier
Es ist zwanzig vor sieben, ich sitze im Zug zur Uni und warte, dass er endlich losfährt. Heute ist eigentlich kein besonderer Tag. Dienstag, kein Stundenausfall, keine Verspätung (jedenfalls bis jetzt nicht) und seltsame Leute sind mir auch noch nicht über den Weg gelaufen... obwohl das gegebenenfalls sowohl ein gutes als auch ein schlechtes Omen sein kann.

Was heute eindeutig anders ist als sonst, ist meine Fußbekleidung. Von halb sieben bis halb fünf Abends bin ich heute barfuß unterwegs, oder zumindest ist das mein Plan. Für alle Fälle habe ich meine Flipflops dabei, die für dieses Jahr natürlich noch nicht eingelaufen sind. Ein Himmelfahrtskommando ohnegleichen, wie ich mir selbst zugestehen muss, aber ich widerstehe dem Drang, nochmal nach Hause zu gehen und meine Turnschuhe anzuziehen.

Der Zug füllt sich und ich bemühe mich, möglichst unauffällig ein erstes Steinchen aus meiner Fußsohle zu bekommen. Leicht ist das nicht, ich werde von allen Seiten angestarrt. Dennoch schaffe ich es und stelle fest, dass es aus Glas ist und scharfe Kanten hat. Ein kurzer Blick; mein Fuß ist trotzdem heil. Hoch lebe die Hornhaut. Es ist schön zu wissen, dass ich zumindest realistische Chancen habe, den Tag zu überleben.

Als ein Freund anruft um mich zu fragen, ob er ich im Auto bis nach Ludwigshafen mitnehmen soll, fährt der Zug schon. Meinen nett gemeinten Tipp mit "es ist schon warm, nur der Boden ist noch ziemlich kühl" honoriert er mit langem Schweigen und der Frage, ob ich wenigstens Schuhe mit eingepackt habe. Ich bejahe – ob ich fähig sein werde, den restlichen Tag in ihnen zu laufen, wenn meine Füße zu lädiert sind um barfuß weiterzugehen, hat er nicht gefragt.


Das erste kleinere Hindernis kommt, als ich vom Bahnhof zur Uni fahre. Eine Baustelle – normaler Weise kein Problem, wären die Steine nicht zu groß und trotzdem zu klein, um nicht mehr weh zu tun. Ich überlege einen Moment, ob ich meine Schuhe auspacke, aber mein Stolz gewinnt haushoch. Das führt dazu, dass ich die Zähne zusammenbeiße und betont gerade und betont elegant über die spitzen Brocken laufe. Es ist weniger schlimm als erwartet, aber das ändert nichts daran, dass der eine Bauarbeiter nett lächelt und mir ein Brett als Brücke über die schlimmste Stelle legt, bevor er mir verschwörerisch zuzwinkert. Ich huldige lächle zurück und streife mir hinter der nächsten Biegung die nervigtsten Piekser von der Sohle.
Geschafft.

Denke ich jedenfalls, bis mich eine alte Frau ankeift, ob ich denn kein Geld für Schuhe hätte. Ich zicke gekonnt zurück, ob sie denn zu viel Zeit für ihre eigenen Probleme hat und stolziere weiter.

In der Uni selbst ziehe ich nach zwei Stunden die Schuhe doch an. Nicht weil mir die Füße weh täten, sondern weil ich die blöden Kommentare leid bin.
Allerdings sind sie eine weitere Stunde später wieder aus. Der Steg zwischen den Zehen ist schlimmer als heißer Asphalt unter den Füßen.

Weitere Zwischenfälle gibt es auch den Rest des Tages nicht. Um fünf Uhr außer Haus gegangen, um halb sechs abends wieder zurückgekommen. Es geht mir gut, meine Füße fühlen sich gut an – gebraucht, aber positiv gebraucht, müde, aber nicht unangenehm. Die Fußsohle bedarf einer Grundreinigung, die Glasscherbe (die ich nicht im Geringsten bemerkt habe, bis auf ein leichtes Drücken) ist auch wieder draußen.
Fazit: Es hat sich gelohnt. Ich weiß, dass ich nicht mehr auf jedes kleine Papierschnipselchen achten muss, wenn ich unterwegs bin, und dass ich auch längere Strecken absolut schmerzfrei bewältigen kann.

Ob ich mir dieses Jahr wirklich neue Schuhe kaufen soll...?