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Diagnose: Schreibblockade

Dreimonatige Challenge
von

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1.5.2024: Feiertag

Seit gut fünf Minuten stand Hellen bereits vor dem Hallenbad und schaute auf die Aneinanderreihung von Milchglasfenstern und Metall, die das Gebäude an ein Gewächshaus erinnern ließen. Sie wusste gar nicht mehr, wann sie das letzte Mal dort zu Besuch gewesen war. Hatte sie es seit Ende ihrer Schulzeit überhaupt einmal wieder betreten? Von den baulichen Veränderungen der letzten Jahre hatte sie nur über Zeitungsberichte oder durch Gespräche erfahren. Der Weg über den Parkplatz war an diesem Tag noch derselbe wie früher gewesen, aber schon von außen erinnerte nur noch wenig an das Hallenbad, das sie zu Schulzeiten für den Schwimmunterricht hatte besuchen müssen – immer im Winter statt im Sommer, wenn das Wasser wenigstens noch eine schöne Abkühlung gewesen wäre... War sie deshalb mit dem Schwimmen nie richtig warm geworden und hatte mehr Freude an anderen Sportarten gefunden?

Sie nahm einen tiefen Atemzug und wandte sich zum Eingang. Immer noch stand eine kleine Schlange davor, die auf Einlass wartete und vom Parkplatz kamen schon die nächsten Besucher angelaufen. Eigentlich wollte Hellen nicht, dass jemand den Grund ihres Besuchs mitbekam, aber so wie es im Moment aussah, konnte sie noch Stunden warten, um die Kassiererin ungestört zu sprechen. Mit gemischten Gefühlen stellte sie sich also an; hinter eine der vielen Familien mit kleinen Kindern, die den Feiertag für einen Ausflug hierher nutzten. Es überraschte Hellen, wie viele von ihnen es heute hierher zog, obwohl die Außentemperaturen noch recht kalt waren, selbst wenn die Sonne schon fleißig schien. Ab und zu bekam sie einen verwunderten Blick der anderen Besucher mit, weil sie kein Handtuch oder ähnliches bei sich hatte, aber die meiste Zeit über waren die Leute mit sich selbst beschäftigt. Oder irritierte sie eher die große Sonnenbrille auf Hellens Nase? Sie schwankte, ob sie damit unnötig viel Aufmerksamkeit auf sich zog, obwohl sie sie eigentlich nutzen wollte, um sich dahinter zu verstecken. Als sie schließlich an die Kasse trat, schob sie sich ins Haar – auch aus Höflichkeit der Kassiererin gegenüber. Einstudiert fragte die sofort, was für ein Ticket Hellen haben wolle und ob sie allein sei, aber Hellen schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hand.

„Ich möchte kein Ticket. Ich möchte nur diese Jacke abgeben“, beugte sie sich näher zur Kassiererin, um so leise wie möglich zu sprechen und hob das Kleidungsstück über ihrem Arm etwas an. Hinter ihr machte man bereits neugierige Augen.

„Ham Sie sie auf dem Parkplatz gefunden?“, fragte die Kassiererin und wieder schüttelte Hellen den Kopf.

„Nein, sie gehört…“. Verdammt! In diesem Moment fiel ihr auf, dass sie Bens Nachnamen nicht mehr wusste!

„B...Benjamin. Ben. Einem Ihrer Schwimmlehrer“, stotterte sie und räusperte sich, weil sie Kichern und genervtes Seufzen hinter sich hörte. So viel dazu, dass sie nicht hatte auffallen wollen… Zum Glück erstrahlte nun aber das Gesicht der Kassiererin.

„Ach ja, stimmt! Hat er mir gesagt, dass er seine Jacke verliehen hat! Wollen Se mir die geben oder hier auf ihn warten?“, meinte sie und Hellen drückte ihr schnell die Jacke in die Hand. Dann aber griff sie doch wieder selbst danach.

„Ich… ich glaub, ich geb sie ihm doch selbst, wenn er heute auch da ist“, lächelte sie entschuldigend, als die Kassiererin sie wegen ihrer Unentschlossenheit irritiert anschaute und wurde in einen Vorraum geschickt, von dem aus sie durch ein riesiges Klarglasfenster ins Hallenbad schauen konnte. Während die anderen Besucher an ihr vorbei durch eine Tür zu den Kabinen verschwanden, fühlte Hellen sich daran erinnert, wie sie und ihre Schulfreundinnen immer in diesem Raum hatten warten müssen, wenn sie sich einmal im Monat vor dem Schwimmunterricht gedrückt hatten. Diese kleine Ecke des Schwimmbades hatte sich also tatsächlich nicht verändert, wohingegen sie alles andere kaum wiedererkannte. Es wirkte viel offener, größer, hatte Saunalandschaft und neue Rutschen hinzubekommen, die jetzt von Badegästen bevölkert wurden. Wie sollte sie Ben in dieser Menschenmenge finden? Und wie sollte sie ihn auf sich aufmerksam machen? Kurz überlegte sie, die Kassiererin zu fragen, wann er Pause hatte oder ob sie ihm eine Nachricht zukommen lassen konnte, dass jemand am Eingang auf ihn wartete. Bei der nicht abreißenden Besucherschlange traute sie sich das aber nicht.

„Ich hab ja heute sonst nicht viel zu tun“, murmelte sie beinahe resignierend und warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war noch am Vormittag und trotzdem wusste sie, dass höchstens der Schreibtisch mit Uniunterlagen auf sie wartete, aber kein Richard. Der saß längst wieder im Büro über seiner Arbeit, die ihn so vereinnahmte und über die er mit Hellen trotzdem kaum sprach. Sie seufzte leise und ging ihre Nachrichten auf dem Smartphone durch. Von den Leuten aus der Uni hatte auch niemand Zeit; die waren alle bereits anders verplant. Aber wenn Hellen ehrlich mit sich war, überraschte sie das auch nicht: Sie ging kaum mit zu Parties und Kneipenbesuchen, um stattdessen ihren Freund zu begleiten oder nutzte die Zeit fürs Lernen, damit sie die hart erarbeiteten Bestnoten überall beibehalten konnte. Die Überraschung war also eher, dass sie überhaupt noch hier und da jemand einlud. Von den Leuten aus der Schulzeit hatte sie inzwischen schon seit Jahren nichts mehr gehört.

Schwermütig ließ sie bei diesem Gedanken das Smartphone sacken und schob es zurück in ihre Hosentasche. Hatte sie sich so ihr Leben vorgestellt? So tief es ging atmete sie ein. Langsam kroch wieder dieses Gefühl der Beklemmung in ihre Brust, so, wie auch an dem Abend, der sie schließlich an den Küchentisch von Bens Großeltern geführt hatte. Richard hatte sie gefragt, was mit ihr los sei und das fragte sie sich auch langsam.

„Alles in Ordnung?“, hörte Hellen plötzlich neben sich und fuhr zusammen. Sie schaute zu einer jungen blonden Frau, die sie besorgt musterte.

„Ja… ja, ich bin nur den Geruch vom Chlor nicht so gewöhnt“, meinte Hellen und kramte im Kopf nach dem Namen dieser Frau. Ihr Gesicht kam ihr bekannt vor und ein Blick auf ihre rote Arbeitskleidung brachte schnell die Erleuchtung: Die neue Bademeisterin, die vor ein paar Monaten in der Zeitung genannt worden war.

„Mir fällt das schon gar nicht mehr auf!“, meinte die und lachte Hellen herzlich an, ehe sie von einem „Jenny!“ abgelenkt wurde.

„Kannste Ben mal sagen, dass er in der Pause herkommen soll? Besuch für ihn!“, deutete die Kassiererin auf Hellen, die sich plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wiederfand. Sie drehte den anderen Besuchern bestmöglich den Rücken zu und schenkte ihrem blonden Gegenüber ein schiefes Lächeln, das nach ihrem Empfinden eine Spur zu hochnäsig erwidert wurde, als die Bademeisterin sie nun ausgiebiger musterte und mit einem „Ja, ich sags ihm“, wieder verschwand. Hellen runzelte die Stirn und schaute ihr fragend nach. Ein Blick über die Schulter verriet ihr, dass die Kassiererin längst wieder mit den nächsten Besuchern beschäftigt war.

„War vielleicht doch keine gute Idee“, murmelte Hellen zu sich und klammerte sich unwillkürlich fester an die Jacke, während ihr Blick wieder über die Schwimmhalle glitt und sie zusammenzucken ließ. Gar nicht weit von ihr erkannte sie die Bademeisterin, die gerade zu Ben ging, der am Beckenrand stand und aufpasste - er unterrichtete also nicht nur, sondern war auch Bademeister. Kurz dachte Hellen, dass sie darauf auch selbst hätte kommen können, da an einem Feiertag wohl kaum Unterricht stattfand, aber das Geschehen am Beckenrand war viel zu aufregend für sie, um an diesem Gedanken festzuhalten. In vertrauter Geste legte die Bademeisterin gerade die Hand auf Bens Oberarm und er lehnte sich ihr entgegen. Ein Lächeln lag ihm auf den Lippen, während sie ihm ins Ohr sprach. Noch während sie redete verschwand das Lächeln und seine Augen folgten Jennys Finger, der ohne Umschweife zu Hellen hinüber deutete. Es hatte fast etwas Anklagendes.



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