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Mein ist die Dunkelheit

von

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XIII. Kapitel

 

 

Alles ist warm und gemütlich, er fühlt sich ungewohnt sicher und geborgen, doch da nagt etwas an seinem trägen Bewußtsein, eine Erinnerung, die seinen behaglichen Kokon von außen her anknabbert und seine Ruhe stört.

Und dann durchfährt es ihn wie ein Blitz.

„Du hast deine Stimme gegen mich benutzt!"

Aufgebracht stemmt sich Urushihara von Mao fort. Das kommt so überraschend, dass Mao nichts Gescheites darauf einfällt. Vor einer Sekunde hat sich sein General noch an ihn gekuschelt und in der nächsten behandelt er ihn wie seinen größten Feind.

„Das fällt ihm ja schnell auf", bemerkt Emi aus dem Hintergrund belustigt. Sie deckt gerade zusammen mit Ashiya den Tisch. Der Duft von Reis, Fisch und Gemüse erfüllt die Hütte.

Urushiharas violette Augen weiten sich für den Bruchteil einer Sekunde, als er ihre Stimme hört. Hastig rutscht er noch etwas weiter zurück, fort von ihrer Stimme und als er dann mit dem Rücken an die Lehne stößt, zieht er schützend die Knie an seine Brust und wickelt sich enger in seine Decke.

Mao beobachtet das besorgt, ist aber unschlüssig, wie er darauf reagieren soll.

Chiho dagegen hat keine solchen Probleme.

„Urushihara-san. Ich habe hier einen Kakao für dich."

Vorsichtig berührt sie Urushiharas Hand und als dieser sie ihr zögernd entgegenstreckt, drückt sie ihm behutsam die Tasse in die Hand. Langsam schließt Urushihara seine Finger um das warme Porzellan und atmet den süßen Geruch genüsslich ein, während sich sein heftig klopfendes Herz langsam wieder beruhigt. Zögernd nippt er an der großen Tasse.

Hm. Heiße Schokolade mit Sahne und einem Hauch von Zimt. Genau so, wie er es mag.

Und das ist so falsch.

Enttäuscht lässt er die Tasse wieder sinken.

„Das ist nicht echt." Seine Stimme ist rauh und bricht zum Ende her weg.

„Was?“ entfährt es Mao neben ihm ungläubig.

„Euch gibt’s nicht“, wiederholt Urushihara. Er muss sich räuspern, bevor er weitersprechen kann. Und er stolpert immer wieder über die Worte, benutzt Ausdrücke in Engelssprache, weil ihm die japanischen nicht sofort wieder einfallen. „Das hier ist nur eine Halluzination. Ihr seid zu cara … nett“, berichtigt er sich. „Niemand von euch ist je so nett zu mir. Außer Alas und Chiho. Aber Alas es pueri … ist ein Kind und Chiho ist einfach von Natur aus nett zu jedem.“

Chiho lächelt schief.

„Oh, danke. Aber es war Ashiya-san, der dir den Kakao gekocht hat.“

„Natürlich hat er das“, kommt es zynisch zurück. „Das hier ist doch nicht echt.“ Er streckt ihr die Tasse entgegen und sie nimmt sie schnell, gerade noch rechtzeitig, bevor er sie wieder loslässt und alles auf seinem Schoß oder der Couch gelandet wäre.

Seinen Worten folgt kollektive, betroffene Stille, die von Alas-Ramus unterbrochen wird.

„Lucifer, geht es dir gut?“ fragt die Kleine, während sie sich vorsichtig an seine Beine lehnt und ihm tröstend übers Knie streichelt.

Plötzlich runzelt Urushihara die Stirn und tastet nach ihrem Handgelenk und fährt dann prüfend mit seinen Fingern darüber.

„Alas-chan? Ubi est Armilla?

„Mein Armband hat Papa draußen aufgehangen, damit du es hörst und uns findest.“

Niemand von ihnen ist wirklich überrascht, dass sie seine Sprache versteht. Ihr Ursprung ist schließlich der Lebensbaum des Himmels. Doch manchmal vergessen sie das und wenn sie dann so wie jetzt daran erinnert werden, ist es ihnen peinlich.

„Das war meine Idee“, ergänzt Alas-Ramus stolz, von den peinlich berührten Mienen der anderen um sie herum völlig unbeeindruckt.

Von ihrer Hand tastet sich Urushihara über ihren Arm hoch zu ihrem Kopf, um ihr sanft durchs Haar zu streicheln. Auf seiner Miene erscheint dabei ein nachdenklicher Ausdruck.

Allmählich kommen ihm Zweifel, ob es sich bei all dem hier wirklich um eine Halluzination handelt.

„Lucifer...“, Mao findet endlich seine Stimme wieder. „Das ist keine Halluzination.“

Vorsichtig streckt er die Hand aus und berührt ihn an der Schulter. Zu seiner großen Erleichterung zuckt Urushihara nicht zusammen.

„Alciel und ich haben dich im Wald gefunden. Du warst völlig unterkühlt und wahrscheinlich bist du das immer noch ein kleines bißchen. Und was meine Stimme betrifft“, fährt Mao leise fort, „es tut mir wirklich leid, aber es war die einzige Möglichkeit. Du hattest große Schmerzen.“

„Jetzt bist du wieder bei uns“, zwitschert Alas. „Ich umarm dich jetzt“, warnt sie ihn vor, „denn ich hab dich soooooooo lieb.“

Er legt ebenfalls einen Arm um sie und drückt sie so lange an sich, bis sie sich wieder von ihm löst. Das tut sie aber nur, weil sie Chiho den Kakao fortnimmt und ihn dann ihm auffordernd in die Hände drückt.

„Lässt du mir etwas übrig?“ fragt sie dann treuherzig.

„Alas-Ramus!“ schnappt Emi aus dem Hintergrund entsetzt, gefolgt von einem: „Urushihara, ich warne dich, sie mit deinen Bakterien-“

Emilia!“ Ashiyas warnendes Grollen lässt sie mitten im Wort verstummen.

Chiho und Alas-Ramus kichern leise und auch aus Maos Richtung kommt ein amüsiertes Glucksen.

Urushihara hat immer noch große Schwierigkeiten, das alles zu verstehen, in seinem Kopf ist irgendwie alles durcheinander, aber der Kakao schmeckt wirklich gut.

Geduldig läßt er es über sich ergehen, als Mao seine Temperatur misst, aber als Mao das Ergebnis laut abliest, registriert er es zwar, doch es geht irgendwie im dumpfen Nebel unter, der sich in seinem Gehirn breitgemacht hat.

„Hast du Hunger? Möchtest du etwas essen?“

Erst durch diese Frage von Mao begreift er, dass er wohl eine ganze Zeit lang abwesend war und gar nicht mitbekam, was um ihn herum vorgeht. In seinen Händen hält er die leere und inzwischen erkaltete Tasse.

Plötzlich erscheinen ihm die Geräusche unüberhörbar laut: das Klappern von Stäbchen auf Porzellan, das leise Gluckern von Wasser in Gläsern und das übliche Stimmengewirr von mindestens vier Personen, die sich um einen Tisch scharen. Ganz deutlich kann er Alas' fröhliche Stimme erkennen.

Und über all dem liegt der verführerische Duft von selbst zubereiteter Nahrung. Er hat seit mindestens vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen, aber von Hunger ist er weit entfernt.

„Non, gratias. Später vielleicht. Wo ist das Badezimmer?“

Es hasst das, was jetzt zwangsläufig kommen wird. Er wird sich seinen Weg an gefühlt tausend Hindernissen vorbei bahnen müssen, sich wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen aufführen, stolpern, überall anstoßen und im schlimmsten Fall alle Meter hinfallen. Und dann muss er sich irgendwelche Ausreden einfallen lassen und es wird trotzdem furchtbar peinlich werden und er wird mal wieder zum Gespött aller.

„Ich bring dich hin“, schlägt Mao zu seiner großen Überraschung vor und nimmt ihm als erstes die Tasse ab.

Und dann fühlt sich Urushihara an den Händen gepackt und auf die Füße gezogen und ist darüber so verblüfft, dass er es sich ohne Protest gefallen lässt. Er ist noch ziemlich wacklig auf den Beinen, also denkt er sich noch nichts dabei, als Mao ihn unterhakt. Es dauert eine Weile, bis Urushihara, ganz darauf konzentriert, die Schritte zu zählen und sich ungefähr richtungsmäßig zu orientieren, registriert, dass Mao ihn nicht einfach nur stützt, sondern auch führt.

Sein Verdacht bestätigt sich, als Mao mit ihm stehenbleibt und leise zu ihm meint:

„Direkt vor dir ist die Tür und auf deiner Kopfhöhe ist ein Holzschild. Rechts ist die Türklinke und die Tür ist keine Schiebetür und geht nach innen auf.“

Urushihara erstarrt regelrecht und für einen Moment fühlt er sich, als würde er träumen. Oder wäre im falschen Film.

Doch dann schluckt er seine aufkeimende Panik nur herunter – darin hat er allmählich Übung – und tastet sich mit der freien Hand über das Holz, auf der Suche nach der erwähnten Klinke.

„Soll ich mit reinkommen und dir alles zeigen?“ fragt Mao neben ihm nervös.

Urushihara holt einmal tief Luft und schließt für einen Moment die Augen, um sich zu sammeln. Es ist egal, dass er nichts sieht – es gibt Gewohnheiten, die sind tief verwurzelt.

Sein Stolz würde Mao nur zu gerne ein scharfes „Danke, nein“, entgegen pfeffern, doch er fühlt sich müde und hat einfach keine Lust, sich zu konzentrieren, also nimmt er das Angebot widerstrebend an.

 



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