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Wolfsherz

In den Augen des Tigers
von

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Der Wolf in Gefahr

Ein paar Werbeshootings, Workshops und Live-Streams später, stand der erste Drehtag an. Heute würde der Wolf endlich zum Leben erwachen, ich konnte es kaum noch erwarten. Gefühlt hatten wir eine Ewigkeit darauf hingearbeitet. Ein bisschen hatte ich mich auch schon an Seua gewöhnt, generell verstand sich der Cast gut miteinander. Doch es hieß nicht, dass es einfach für mich werden würde, mit ihm zu drehen. Vor allem, wo es ernst wurde. Man konnte nicht mehr sagen, dass man noch Zeit brauchte, die gab es nicht mehr. Spätestens wenn Seua mich nicht nervös machen würde, müsste ich mich stark hinterfragen. Ich war schon umgezogen, in der Thai-Uniform, da wir heute Szenen an der Uni drehen wollten. Mit Ray stand ich unter einem Zelt am Set. Angestrengt sah er auf sein Tablet, dort waren alle Locations, Drehtage und Sets, an denen man sein musste, aufgelistet. Als einer der Hauptcharaktere war meine Anwesenheit meistens erforderlich, aber eben auch nicht immer. Dadurch, dass die Leute ab jetzt individuell anreisten und auch nicht jeden Tag, würde man sich auch weniger sehen. Doch wie ich den Sender mittlerweile kannte, würden sie schon dafür sorgen, dass wir genügend Zeit miteinander verbrachten.

»Hi!«, begrüßte uns Noah mit einem strahlenden Lächeln. Auch er schien sich darauf zu freuen, endlich loslegen zu können. Ihn hatte ich seit der Party auch kaum noch gesehen. Ich nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie Ray die Augen verdrehte. Kannten die sich etwa?

»Hey«, grüßte ich zurück, Ray sagte nichts.

»Ich habe euer Fan-Event im Fernsehen gesehen, das war richtig cool. Vor allem Seuas Aktion kam richtig gut bei denen an. Ich glaube, die lieben euch jetzt schon«, erklärte Noah.

Das Kompliment nahm ich gerne ab. Aber ich durfte noch nicht zu arrogant werden.

»Echt?«

»Ja, ich glaube das war gute PR für euer Ship«, auch heute trug er die umgedrehte Basecap, und einen schwarzen Rucksack.

»Was für’n Ship?«, wollte ich wissen. Jemand legte mir die Arme um den Bauch und den Kopf auf meine Schulter. Ich musste nicht mal in seine Richtung sehen, ich wusste einfach, wer das war. Er beantwortete meine Frage: »Ship nennt man Pairings, die in den Serien vorkommen. Zum Beispiel: »Ich shippe Wolf und Nok«, würde bedeuten, dass man sich wünscht, dass die beiden zusammenkommen.«

Ray und Noah zogen die Augenbrauen hoch und das lag sicher nicht an seiner Erklärung. Doch ich beschloss ihm diesen Triumph nicht zu geben, diesmal würde ich mich nicht davon aus dem Konzept bringen lassen. Solange es niemand sehen konnte, dass ich innerlich fast explodierte, war das auch okay.

»Danke, P’Seua«, dann wandte ich mich an Noah, um unser Gespräch wieder aufzunehmen.

»Ich freue mich auch, dass wir endlich starten. Bald können wir die ersten Ergebnisse sehen.«

Von unserem Standpunkt konnte man sehen, wie das Set vorbereitet wurde. Sie stellen Getränke bereit, passten das Licht an und später würden sie noch unsere Positionen bestimmen. Die Zuschauer bekamen es meist nur indirekt mit, aber drehen war viel mehr Arbeit, als man es sich vorstellte.

Noah war bei unserem Anblick doch ein bisschen stutzig geworden, er sah nicht mehr in unsere Richtung.

»Klar. Das wird cool. Ich glaube…die brauchen mich jetzt, Cai. Ich wünsche euch viel Erfolg für den ersten Drehtag. Wir sehen uns«, schon mischte er sich wieder unter die Crew. Auch Ray schien das etwas nervös zu machen, doch er blieb professionell: »Cai, kannst du deinen Text?«

Er hielt mir das zerfledderte Drehbuch hin, was einiges mitgemacht hatte, weil ich viel darin gelesen und markiert hatte. Die Texte konnte ich, zumindest für die anstehenden Szenen. Ich hoffte darauf, dass ich nicht direkt alles vergessen würde, wenn Seua mir in die Augen sah.

»Komm‘ schon, Ray. So viel Professionalität wirst du mir doch wohl zutrauen. Ansonsten kann man zwischendurch sicherlich noch mal ins Drehbuch schauen, oder?«, wandte ich mich indirekt an Seua, der immer noch genauso stand.

»Grundsätzlich sollten wir ohne auskommen, aber man kann auch bei Szenenwechseln immer zwischendurch noch einmal alles durchgehen. Manchmal gibt es auch Änderungen, da muss man es dann sogar. Irgendwo wird immer ein Drehbuch zur Hand sein.«

Ich glaubte auch daran, dass es ein entspannter Dreh werden würde, weil das Team sich untereinander auch gut verstand. Wäre da nicht der Tiger, der gerade an mir klebte. Ob er das mit jedem machte, der sein Drehpartner war? So sanft wie möglich nahm ich seine Hände von meinem Bauch, befreite mich aus seiner Umarmung. Ich hatte ihn lange genug gelassen, jetzt mussten wir arbeiten. Zusammen mit den Anderen nahmen wir unsere Positionen im Set ein. Licht. Kamera. Action.
 

- Wolfsherz – Szene 2-
 

Nok stolperte mehr hinter mir her, als ich ihn am Arm über das Campusgelände zog. Mittlerweile war ich eine Woche hier, doch weil Nok von sich aus keine Anstalten machte, etwas zu ändern, nahm ich das in die Hand. Heute sollte er meine neuen Freunde kennenlernen. Es waren zwei Mädels, die mir geholfen hatten, den Weg zum Klassenraum für meine Thai-Stunde zu finden. Nok hatte mir zwar alles gezeigt, aber ich konnte mich nicht mehr erinnern. Die beiden waren Zwillinge und nur durch ihren Schmuck und ihre Ohrringe auseinanderzuhalten.

Schon von weitem sah ich sie am Tisch sitzen und sie winkten mir zu. Als wir am Tisch standen, versteckte Nok sich halb hinter mir, sodass ich zur Seite treten musste, um den Blick auf ihn freizugeben. Zusätzlich gab ich ihm noch einen Schubs, dass er auch in ihrem Blickfeld stand.

»Ich habe gesagt, dass ich euch jemanden vorstellen will. Das ist mein Mentor, Nok. Er hat sich vorgenommen, sich mit allen Leuten an der Uni anzufreunden.«

Ihre Reaktion war jedoch komplett anders, als ich erwartet hatte. Ying, die mit den weißen Ohrringen lächelte gequält: »Nok ist sogar schon relativ bekannt. Nur vielleicht nicht so, wie er es gerne hätte.«

Ich hate sofort gemerkt, dass die Stimmung gekippt war, und das konnte ich so nicht stehen lassen. Wie um Himmels willen konnte Nok denn bitte bekannt sein?

»Was habt ihr?«, fragte ich direkt. Doch statt mir zu antworten, wichen sie meinen Blicken aus, taten so, als würden sie sich mit ihren Büchern beschäftigen. Mit den Händen schlug ich auf den Tisch, sodass sie zusammenzuckten.

»Ich muss das wissen. Bitte«, sagte ich und sah sie eindringlich an. Egal was für einen Ruf er hatte, ich würde das schon retten. Schließlich gab sich Yang einen Ruck: »Also gut. Wir dachten bisher alle, dass Nok arrogant ist und deshalb einfach mit niemandem reden will.«

Noks Augen wurden groß, er sah mich an. Offenbar fand er diesen Gedanken genauso absurd wie ich.

»Ihr denkt das einfach alle, ohne jemals ein Wort mit ihm gewechselt zu haben?«, hakte ich weiter nach und es war mir egal, ob ihnen das unangenehm war. Stumm nickten sie. Gut, hier fangen wir an. Wir setzten uns zu den Mädels, dann stieß ich Nok an: »Sag‘ ihnen, wie du wirklich bist.«

Kurz sah er mich an, dann konzentrierte er sich komplett auf den Tisch, begann leise: »Es ist nicht so, dass ich mit den Leuten nicht reden möchte, ich kann es einfach nicht.« Ich konnte sehen, wie es Ying und Yang wie Schuppen von den Augen fiel. Ying legte entschuldigend ihre Hand auf seine: »Also bist du einfach nur schüchtern?«

Ich seufzte hörbar. War es etwa unmöglich, gutaussehend und schüchtern gleichzeitig zu sein?

»Es tut mir wirklich leid, dass wir dich falsch eingeschätzt haben.« Zum Glück entspannte sich die Stimmung wieder und die Mädels boten ihm an, auch jederzeit mit ihnen rumzuhängen. Für mich war es das Wichtigste, dass er Leute kennenlernte, mit denen er auch nach meinem Aufenthalt sein Uni-Leben verbringen konnte. Ying und Yang sahen aus, als hätten sie Fragen, hielten sich jedoch höflich zurück. Ich war immer noch auf der Suche nach etwas, mit dem man Nok aus der Reserve locken konnte. Es musste etwas geben, was ihn wütend, traurig oder glücklich machte. Irgendetwas, wo er einfach nicht still bleiben konnte. Mit dem Blick auf meine Tasche, fielen mir jedoch meine Thai-Hausaufgaben wieder ein, die ich mir mit Nok zusammen ansah. Diesmal wagte Yang einen Vorstoß: »Du studierst Englisch, oder? Um ehrlich zu sein habe ich Englisch als Wahlpflichtfach und wir müssen die Kernaussagen aus diesem Aufsatz herausarbeiten. Aber ich verstehe überhaupt nichts.«

Während ich meinen Stift bewegte, als würde ich schreiben, beobachtete ich die Situation. Vorsichtig hielt er seine Hand hin: »Ich kann dir bestimmt helfen, wenn du mir den Aufsatz zeigst.«

Während sie ihm den Zettel überreichte, sah Nok mich von der Seite an: »Du solltest lieber deine Aufgaben machen, P’Wolf.«

Ich musste lachen. Das so etwas mal von ihm kommen würde! Doch ich wollte meinen Mentor nicht enttäuschen und begab mich tatsächlich an die Aufgaben. Zumindest ein bisschen. Ich kam nicht umhin, seine leuchtenden Augen zu sehen, als er den Aufsatz las. Ich glaube, langsam bekomme ich ein Gefühl dafür, wie man ihn aus seiner Schale rausholen konnte. Nach einer Weile gab er Yang den Zettel zurück.

»Grundsätzlich geht es darum, dass einem manchmal das entscheidende Puzzleteil fehlt, um weiterzumachen. Der Autor benutzt hier viele verschiedene Bilder und Motive, um zu zeigen, dass selbst wenn etwas ausweglos scheint, es noch gerettet werden kann. Die Uhr zum Beispiel. Sie fällt runter, ist aber nicht kaputt. Doch dadurch, dass sie ihre Batterie verliert, kann sie die Zeit nicht mehr anzeigen und ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Bis also jemand eine neue Batterie reinmacht, ist die Uhr sozusagen tot, obwohl sie gar nicht kaputt ist.«

Mit offenen Mündern hörten wir seinen Erklärungen zu, er hatte eine sehr angenehme Stimme. Erst wo ich ihn länger reden hörte, kam das zur Geltung. Yang lächelte: »Danke! Endlich kann ich meine Aufgabe machen!« Nok lächelte auch kurz, dann verfiel er wieder in seine Ursprungshaltung. Für mich war das sehr aufschlussreich, auch wenn er es vielleicht gar nicht merkte, wie viel er damit von sich preisgab. Auch er holte sein Lernmaterial heraus und es glich einem Weltwunder, aber wir schafften es, für eine gute Stunde konzentriert zu arbeiten, ohne zu quatschen. Es war ein gutes Gefühl, mein Pensum zu schaffen, doch ohne seine tadelnden Blicke wäre das niemals möglich gewesen. Auf einmal kam jemand zu uns an den Tisch, den ich nicht kannte. Die Blicke der Anderen zeigten mir, dass sie ihn ebenfalls nicht kannten.

»Ich muss mit dir reden, Nok«, sagte er. Nok sah mich an, als bräuchte er meine Erlaubnis. Ich deutete ihm an, dass es okay sei, auch wenn ich keinen Plan hatte, was dieser Typ mit Nok besprechen wollte. Als die Beiden den Tisch verließen, folgten Ying, Yang und ich unauffällig. Meine Neugier war leider unheilbar. Wir sahen um die Wand herum, dort standen sie. Nok sah ihn nicht an, trotzdem begann der Unbekannte zu sprechen.

»Ich bin Kraisee aus dem 2. Jahr. Ich wollte dir sagen, dass du dich jederzeit auch an mich wenden kannst, wenn du Hilfe brauchst. Bei Wolf wäre ich an deiner Stelle lieber vorsichtig. Ich weiß, dass ihr zusammenarbeiten müsst, aber ich würde ihm nicht vertrauen. Er ist unberechenbar.«

Was erlaubte der sich? Einfach hinter meinem Rücken schlecht über mich zu reden? Bevor ich mich richtig aufregen konnte, zog Nok mich hinter der Wand hervor und nahm demonstrativ meinen Arm. Völlig überrumpelt stand ich vor Kraisee, der offensichtlich auch nicht mit meiner Anwesenheit gerechnet hatte. Aber diese Chance konnte ich mir nicht entgehen lassen.

»Ich übersetze mal für Nok: Bitte rede nicht schlecht über Wolf, wenn du ihn nicht einmal kennst. Wolf hilft mir schon, wir kommen klar, vielen Dank. Wieso sollte ich dann zu einem Typen gehen, den ich noch weniger kenne?«, sagte ich und grinste schadenfroh. Kraisee schüttelte genervt den Kopf: »Was soll das? Als ob Nok genau das sagen wollte! Er kann selbst sprechen.«

Um ihm zu zeigen, dass meine Worte zutrafen, machte Nok auf dem Absatz kehrt und zog mich mit. Das war sein stiller Widerstand und ich konnte überhaupt nicht aufhören zu grinsen. Es ist cool, ihn so zu sehen. Trotz allem würde ich diesen Kraisee auf jeden Fall im Auge behalten.
 

Bis es dunkel wurde, drehten wir diese Szene und noch ein paar andere an der Uni. Es gab zwar ein paar kleine Versprecher und Aussetzer, aber ansonsten hatte alle einen richtigen guten Job abgeliefert. Auch das Team, welches gerade das Equipment abbaute, schien zufrieden. Während der Rest des Casts bereits zu Abend aß, ließ ich mich von P’Joe zum Hotel zurückfahren, da ich unglaublich müde war. Schon im Auto fielen mir zwischendurch die Augen zu. Ein paar Mal wurde ich gefragt, ob mich jemand begleiten soll, doch ich wollte, dass sie alle in Ruhe essen konnten. Den Weg zum Hotel würde ich wohl noch schaffen. Mir ging es gut, ich hatte Spaß am Set und mein Arbeitsmodus war wieder da. Auch wenn man mal einen Fehler machte, das Team war immer da, um zu helfen. Müde schlenderte ich über den Hotelflur, der mir fast endlos vorkam. Immer der gleiche Teppich, immer die gleiche Wandfarbe. An meinem Zimmer angekommen, wollte ich gerade die Schlüsselkarte an die Tür halten, da kam jemand aus meinem Zimmer und rempelte mich an. Nach einem langen Tag waren meine Reflexe auch nicht mehr die besten, daher ging ich zu Boden. Die Person war komplett in schwarz gekleidet, hatte eine Waffe in der rechten Hand. Mit dieser zielte sie auf mich.

»Rühr‘ dich und du bist tot, verstanden?«, sagte sie in gebrochenem Englisch. Ich wusste überhaupt nicht, wie mir geschah. War das echt? Nur eine Halluzination? Meine Augen täuschten mich gerne, daher konnte ich mir nie sicher sein. Vorsichtshalber hob ich die Hände, sah mein Leben schon an mir vorbeiziehen. Gerade wo ich diese Chance bekommen hatte, mit einem richtig guten Team und netten Leuten zusammenzuarbeiten. Ich wollte so viel sagen, doch ich traute mich nicht. Ich konnte durch die schwarze Kleidung überhaupt nichts von dieser Person erkennen, nicht einmal, ob es ein Mann oder eine Frau war. Es war zum Glück nur ein kurzer Moment, dann flüchtete die Person.
 

Es kam nicht ehrlich jemand aus meinem Zimmer und hat mich mit einer Waffe bedroht, oder? Ich konnte überhaupt nicht verstehen, was gerade passiert war. Wie in Trance lief ich den Weg zur Rezeption, ich war ihn in den zwei Wochen schon oft gegangen, kannte ihn mittlerweile auswendig. In der Lobby war nicht viel los, die Dame von der Rezeption sah mich freundlich an: »Guten Abend, Khun Cai. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

Ich war froh, dass ich nach diesem Schock überhaupt ein Wort rausbrachte.

»Ich glaube bei mir wurde eingebrochen, die Person hat mich mit einer Waffe bedroht. Ich weiß nicht, ob sie noch im Haus ist. Rufen Sie bitte die Polizei und informieren den Sender.«

Kurz sah sich mich geschockt an, sagte dann aber: »Verstanden.« Sie fuhr mit ihrer Hand unter den Tisch, plötzlich ertönte eine Durchsage: »Achtung, Achtung. Aufgrund eines technischen Defekts bitten wir Sie, umgehend das Haus zu verlassen. Bleiben Sie ruhig und begeben Sie sich zum Ausgang.«

Sie fragte mich noch, ob sie irgendetwas tun könnte, doch ich winkte ab, begab mich auch in Richtung Ausgang. Da stand ich nun. Nur mit Jeans und Hemd bekleidet, es war das erste Mal seit meiner Ankunft, dass mir in Thailand kalt war. Erst stand ich alleine unter dem Abdach draußen, dann wurden es immer mehr Leute. Manche waren noch im Bademantel oder schon im Pyjama. Nach ein paar Minuten, traf auch die Polizei ein. Es waren zwei Wagen und einer der Polizisten wurde von einem Hotelmitarbeiter zu mir geführt. Ich nahm kaum etwas um mich herum wahr. Alles war einfach nur verschwommen. Seine Stimme klang unglaublich weit weg: »Sind Sie Caiden Gresson?«

»Ja.«

»Sollten Sie dazu in der Lage sein, würden wir gerne Ihre Aussage aufnehmen. Erläutern Sie bitte möglichst genau, was passiert ist.«

Ich erzählte ihm das, was ich schon an der Rezeption gesagt hatte, die Worte kamen wie automatisch heraus, wie auswendig gelernt.

»Können Sie die Person beschreiben?«

»Ich weiß nur, dass sie schwarz gekleidet war. Erkennen konnte ich nichts.«

Glücklicherweise reichte ihm das und er verschwand ins Gebäude. Neben den Hotelgästen kamen nun auch Schaulustige und Presse dazu. Mühsam arbeitete ich mich durch die Menschen, bis ich an der Straße stand. Falls die Leute vom Sender kamen, sollten sie mich auch sehen. Mehrere Autos hielten vor dem Hotel, ihre Türen gingen fast zeitgleich auf. Ray mit Handy am Ohr und Seua kamen auf mich zu. In ihren Gesichtern zeichnete sich Erleichterung ab, als sie mich sahen. Ray deutete auf das Handy, welches in meiner Hand klingelte: »Cai, ich habe schon die ganze Zeit versucht, dich anzurufen!«

Ungläubig starrte ich auf das Gerät in meiner Hand, als würde ich es heute zum ersten Mal sehen. Rays Name leuchtete auf. Nicht einmal das absurd laute Handy hatte ich wahrgenommen.

»Was ist passiert?«, fragte Seua, doch als ich antworten wollte, gaben meine Beine unter mir nach. Mit einem Arm fing er mich auf, sagte irgendetwas zu Ray.
 

Seua zog mich ein Stück mit sich, bis er mich, ein Stück entfernt vom Hotel, auf einer Bank absetzte. Ich zitterte, konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Ich spürte eine Jacke über meinen Schultern, die ich sofort um mich schlug. Seua hockte sich vor mich: »Cai, kannst du mir sagen, was passiert ist?«

Die Stille, die Dunkelheit und seine Anwesenheit beruhigten mich etwas, ich versuchte mich auf seine Augen zu konzentrieren.

»Da war jemand, der mich mit einer Waffe bedroht hat. Ich glaube, diese Person ist auch in mein Zimmer eingebrochen. Dann habe ich an der Rezeption Bescheid gegeben und sie haben das Hotel abgeriegelt.«

Es war das erste Mal, dass ich Seuas geschockten Blick sah. Zumindest in meiner Anwesenheit hatte er nie vorher die Fassung verloren.

»Bist du verletzt?«, fragte er. Als ich den Kopf schüttelte, atmete er erleichtert auf. Er stand auf und sah sich um.

»P’Seua, was machst du?«, fragte ich leise. Bevor er jedoch antworten konnte, klingelte sein Handy.

»Ja?«, er nahm ab, ohne mich aus den Augen zu lassen.

Ich hörte die Stimme am anderen Ende nicht, aber ich hörte ihn sagen: »Das machen wir, kein Problem. Nein, es geht ihm so weit gut, das Ganze hat ihn aber verständlicherweise ziemlich mitgenommen. Bis gleich.«

Ich stand auf, nahm seinen Arm. Ich erinnerte mich an die Szene, die wir heute gedreht hatten und in dieser Position hatte ich mich wohlgefühlt. Freundlich sah er mich an: »Cai, wir fahren jetzt mit allen zum Sender, dort wartet P’Star. Mit ihm werden wir alles weitere besprechen.«

Wir gingen in Richtung Straße, ich ließ seinen Arm die ganze Zeit über nicht los. Wenn Ray nicht da war, war Seua die Person hier, der ich am meisten vertraute. Auch im Auto und beim Sender ließ ich nicht los.
 

Wir wurden in einen großen Konferenzraum geführt, wo sich das ganze Team versammelte. Die meisten von ihnen waren schließlich im Hotel untergebracht. P’Star erklärte kurz, was vorgefallen war und ihr Raunen ging durch den Raum. Ihre Fragen, ob es mir gut ging, beantwortete Seua für mich. Auf meinem Stuhl zusammengekauert saß ich neben ihm. Er musste jetzt in diesem Moment, meine Augen, meine Ohren und mein Kopf sein. P’Star erklärte: »Dadurch, dass diese Person gefährlich ist, hat das Hotel beschlossen sich so lange abzuriegeln, bis der Täter gefunden und der Tatort gründlich untersucht ist. Für solche Fälle haben wir natürlich ein Ersatzhotel vorbereitet, die auch die meisten von uns unterbringen können, aber leider nicht alle. Also solange ihr bei Freunden, Verwandten oder Bekannten unterkommen könnt, wäre das super. Ich weiß, dass einige von euch auch eine Zweitwohnung haben, dort könnt ihr auch für den Moment hin. Alle, die sicher eine Unterkunft für die nächsten paar Tage haben, verlassen bitte den Raum. Alle, bei denen das nicht geht, melden sich bitte bei mir. Da es Cai offensichtlich gerade schlecht geht, werden wir die Dreharbeiten für drei Tage pausieren.«

Die meisten gingen auch, die die blieben, bekamen eine Zimmerkarte. Am Ende waren nur noch Ray, Seua und ich übrig. Ray bekam auch eine Karte, P’Star wollte Seua auch eine geben, doch er schob die Hand von ihm weg.

»Ich habe noch meine Wohnung, dort können Cai und ich bleiben. Ich werde mich um ihn kümmern. Es wäre nur gut, wenn du uns Bodyguards mitschicken könntest.«

Was er sagte, drang nur teilweise zu mir durch, aber es klang so, als müsste ich zumindest heute Nacht nicht auf der Straße schlafen.

»Wenn das für dich okay ist, Seua, dann gerne. Ich glaube es ist ohnehin besser, wenn Cai heute nicht allein bleibt.«
 

Draußen am Auto, sagte Ray: »Wenn irgendetwas ist oder ihr irgendetwas braucht, ruf‘ mich sofort an, okay? Ich werde heute Nacht sowieso nicht schlafen.«

»Sicher. Ich schicke dir die Adresse.«

»Alles klar. Und danke, dass du dich um ihn kümmerst.«

Kurz verabschiedete er sich, dann saßen wir schon wieder im Auto. Ich hatte gar kein Zeitgefühl mehr, alles ging unglaublich schnell. Waren fünf Minuten oder fünf Stunden vergangen? Seua handelte das gefühlt alles ruhig ab, als würde er das jeden Tag machen. P’Joe setzte uns an einem großen Gebäude ab, zwei Männer in schwarzen Anzügen folgten uns. Seua deutete ihnen an, unten zu bleiben, während wir das Gebäude betraten und mit dem Fahrstuhl nach oben fuhren. Es muss irgendeine Zahl um die 20 sein. In der Etage angekommen, gab er an einer Tür einen PIN-Code ein und sie öffnete sich. Das Einzige, was ich wirklich richtig wahrnahm, war dass der komplette Eingangsbereich hell ausgeleuchtet war. Die Tür fiel ins Schloss und zum ersten Mal an diesem verrückten Abend fühlte ich mich sicher.

»Hier kommt keiner rein, oder?«, musste ich mich trotzdem noch einmal absichern.

»Nein, das Gebäude ist sehr gut bewacht und draußen sind auch die Bodyguards. Falls du…«, ich ließ Seua nicht aussprechen, stattdessen umarmte ich ihn. Fest drückte ich ihn an mich, es war in diesem Moment die einzige Möglichkeit für mich, mich zu beruhigen. Ich schloss die Augen, ließ dieses Gefühl auf mich wirken. Bei ihm konnte ich das machen, weil ich wusste, dass er mich nicht abhalten oder es komisch finden würde. Sanft legte er seine Arme um mich, was mir einen warmen Schauer über den Rücken laufen ließ. Erst von diesem Moment an, war ich sicher, dass mir nichts passieren würde. Ich ließ meinen Kopf an seiner Schulter ruhen, er streichelte mir über die Haare. Meine Atmung wurde langsamer und die Müdigkeit, die durch den Schock verdrängt worden war, kam zurück. Ich hätte direkt einschlafen können, doch Seua schob mich sanft von sich, nachdem wir ein paar Minuten verharrt hatten.

»Lass‘ uns schlafen gehen«, sagte er leise und auch als wir ins Schlafzimmer gingen, fiel mir auf, dass es hell erleuchtet war. Ich wollte diesen Abend einfach nur vergessen, daher legte ich mich ins Bett. Seua setzte sich neben mich. Bittend sah ich ihn an: »Kannst du das Licht anlassen, P’Seua?« Lächelnd nickte er. Vorsichtig nahm ich seine Hand in meine, suchte in seinem Gesicht nach einer Reaktion, doch es blieb unverändert. Wenn er nicht da sein würde, würde ich bei diesen Umständen niemals einschlafen können.
 

Als ich aufwachte, sah ich wieder in die Augen des Tigers, der neben mit lag, den Kopf auf den Arm gestützt hatte und mich ansah. Wieder lag dieses Glitzern in seinen Augen, auch wenn er diesmal ziemlich müde aussah. Ich bemerkte, dass ich seine Hand hielt, setzte mich auf und ließ sofort los. Kaum eine Sekunde später strömten die Erinnerungen an letzte Nacht auf mich ein und ich wäre am liebsten im Boden versunken. Wie konnte man sich so kindisch benehmen? Ich hatte mich Seua komplett ausgeliefert und auch, wenn ich ihm nicht direkt etwas Böses zutraute, war das verdammt gefährlich. Schnell drehte ich mich weg, sah mich im Schlafzimmer um, wo man aus den großen Fenstern die ganze Stadt sehen konnte. Ansonsten war es eingerichtet wie ein Hotelzimmer, komplett ohne persönliche Gegenstände. Ich konzentrierte mich auf das Fenster: »P’Seua, du vergisst am besten ganz schnell, wie ich mich gestern benommen habe.«

Ich hörte ihn hinter mir seufzen: »Ich rede nur mit dir, wenn du mich ansiehst, Cai.« Verdammt, diese Zeile hatte er sich bei Wolf abgeschaut. Ich drehte mich wieder in seine Richtung, er saß mittlerweile auch im Bett. Erst in diesem Moment fiel mir auf, dass es das erste Mal war, dass ich ihn ohne Make-up oder Styling sah. Ehrlich gesagt machte das bei seiner Aura aber keinen großen Unterschied. Im Gegenteil, die durchwuschelten Haare ließen ihn noch mysteriöser wirken. Für mich war das Ganze hier schon absurd genug. In seiner Wohnung, okay. Aber in seinem Bett? Diesmal konnte ich jedoch keine Anzeichen dafür finden, dass er es nicht ernst meinte.

»Das, was gestern passiert ist, war für uns alle ein Schock, vor allem für dich. Du wurdest bedroht und hättest verletzt werden können. Wenn es dir damit besser geht, sagen wir einfach, du hast jemanden gebraucht, der dir zur Seite steht und ich war da. Ich will nicht, dass du dich dafür schämst, okay?«

Auch wenn mir mein Verhalten selbst noch lange nachhängen würde, glaubte ich, dass ich fürs Erste mit dieser Erklärung leben könnte.

»Ja, dann nehme ich das so hin, P’Seua. Danke, dass du dich um mich gekümmert und mich aufgenommen hast.«

Sein Gesicht nahm wieder freundlichere Züge an und er wuschelte mir versöhnlich durch die Haare: »Kein Problem. Geht es dir denn jetzt besser?«

»Ja, viel besser. Aber du siehst irgendwie müde aus, P’Seua.«

Verlegen grinste er: »Naja, ich habe gesagt, dass ich ehrlich sein will, also bin ich es auch. Ich habe das Licht für dich angelassen, weil ich auch weiß, dass du im Dunkeln nichts sehen kannst. Ich konnte so aber kaum schlafen.«

Enttäuscht von mir selbst, senkte ich die Schultern. Sie hatten schon den ganzen Stress wegen dem Vorfall und ich raubte ihm auch noch den Schlaf. Bevor ich mich dazu äußern konnte, war er schon aufgestanden.

»Entschuldige dich aber bitte nicht dafür. Das haben wir schon besprochen. Lass‘ uns lieber frühstücken, gleich wird Ray hier sein.«

Zusammen verließen wir das Schlafzimmer, doch kurz vor der Tür blieb er noch einmal stehen, kam mit seinem Gesicht ganz nah an mein Ohr und flüsterte: »Übrigens kann der Tiger gut unterschieden, wann es Zeit ist, die Beute zu überfallen und wann nicht. Wehrloser Beute würde er nichts antun, aber solange sie wach und in seinem Territorium ist, kann er für nichts garantieren.«

Ich bekam Gänsehaut, wollte ihn dieses Spiel aber nicht alleine spielen lassen. »Der Tiger sollte sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, der Wolf kann auch beißen, wenn er will«, flüstere ich zurück. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen, konnte mir aber vorstellen, dass er damit nicht gerechnet hatte. »Gut, dass wir das geklärt haben. Ich werde darauf warten, dass der Wolf angreift.«

Wir setzten unseren Weg ins Wohnzimmer fort, welches auch eine kleine Küche beinhaltete, wo Seua uns etwas zu Essen zubereitete. In der Zwischenzeit sah ich mir den Ausblick an, weil man von diesem Penthouse aus, die ganze Stadt sehen konnte.

»Welches Stockwerk ist das?«, fragte ich, ohne ihn anzusehen.

»Das Fünfzehnte.«

»Wow, krass. Du bist nicht oft in dieser Wohnung, oder?«

»Nein, es ist mehr ein Zufluchtsort als eine richtige Wohnung. Ich bin die meiste Zeit unterwegs, da lohnt es sich für mich nicht großartig irgendwo hinzuziehen. Aber wie du siehst, hat es seine Vorteile, so einen Ort zu haben.«

»Und die Lebensmittel?«

»Wir haben jemanden, der jederzeit die Wohnung vorbereiten kann, für den Fall, dass ich mich verbarrikadieren muss.«

Als Star immer einen Plan in der Hinterhand zu haben, was sicherlich nicht die schlechteste Idee, von der ich jetzt profitierte. Heimlich beobachtete ich Seua beim Kochen, es sah aus, als würde es Toast mit Spiegelei geben. Genauso wie Wolf den Schwachpunkt von Nok in der Serie herausfinden wollte, musste ich das auch bei Seua machen. Es musste etwas geben, was ihn aus dem Konzept brachte. Mach‘ dich drauf gefasst, Seua, ich werde es rausfinden.
 

Wir setzten uns hin zum Essen, in diesem Moment kehrte zum ersten Mal wieder Ruhe in meine Gedanken ein. Ein kleines Stück Alltag in dieser komischen Situation. Lange hielt diese Ruhe jedoch nicht an, denn kurze Zeit später klingelte jemand Sturm. Also wenn das Ray war, den Seua angekündigt hatte, konnte das nichts Gutes heißen. Er war es tatsächlich, wurde von Seua reingelassen. Sein hektischen Gebaren machte mich sofort wieder nervös. Außer Atem stellte er meinen Koffer ab.

»Das sind deine Sachen aus dem Hotel, Cai. Aber ich bin nicht nur deswegen hier. Wir haben ein Problem.«

Er kramte ein Tablet aus seiner Tasche, auf dem er uns ein Youtube-Video zeigte. Ich verstand nichts und es gab auch keine Untertitel, aber als ich die Fotos sah, ließ es mir das Blut in den Adern gefrieren. Denn die kannte ich. Es waren die Fotos aus meinem Zimmer, die der Fotograf mir geschenkt hatte. Hilfesuchend sah ich Seua an: »Was sagen die?«

Konzentriert, aber mit einem kleinen Lächeln erwiderte er: »Neue geheime Bilder vom Fotoshooting aufgetaucht! Knutschen hinter den Kulissen! Ist es diesmal die große Liebe? Macht Seua wirklich ernst?«



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