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How to save a life

Midnight x Mt. Lady
von

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Sich auf die erste Doppelstunde Geschichtsunterricht zu konzentrieren, fiel Nemuri alles andere als leicht. Sie kannte das Thema, welches sie ihren Schülern heute beibringen wollte, eigentlich in- und auswendig, doch heute musste sie darauf achten, nicht mit den Jahreszahlen oder der Reihenfolge wichtiger, politischer Ereignisse durcheinanderzukommen.

Bereits gestern war sie während des Unterrichts mit den Gedanken ständig abgedriftet, doch heute war es eindeutig schlimmer. Aber war das ein Wunder? Gestern hatte sie sich während der Arbeit 'nur' Gedanken über ihre neue Bekanntschaft und das Schlafgas, welches Yu als Quirk bezeichnete, machen müssen. Erst nach dem Unterricht gestern hatten die Ereignisse sich zu überschlagen begonnen.

Erst war sie von diesem Monster verfolgt worden, was leicht auch ganz übel hätte ausgehen können, dann hatte sich herausgestellt, dass Yu nicht bloß zu viel ferngesehen, sondern ihr die ganze Zeit über die Wahrheit gesagt hatte. Die zierliche Blondine hatte sich als Riesin entpuppt und die Tatsache, dass es eine Art Parallelwelt geben musste, gab Nemuri ebenfalls zu denken.

Dann noch das plötzliche Erdbeben, die merkwürdigen violetten Blitze und heute Morgen dann diese Bilder... Erinnerungen wollte sie sie absichtlich nicht nennen, denn Nemuri erinnerte sich nicht wirklich an die Gesichter, die plötzlich vor ihrem inneren Auge aufgetaucht waren. Sie kamen ihr seltsam vertraut vor, doch wusste sie nicht woher sie sie kennen sollte.

Vielleicht hätte Yu eine Antwort darauf gehabt, vielleicht hätte sie die Ältere auch nur für vollkommen übergeschnappt gehalten. Um das zu erfahren, hätte Nemuri der Blondine allerdings erst einmal von den Bildern erzählen müssen, die plötzlich so präsent gewesen waren, kaum dass sie die junge Heldin geküsst hatte.

Die Sache war jedoch, dass Nemuri kein Sterbenswörtchen über die Bilder, die sich plötzlich in ihr Gedächtnis gebrannt hatten, verloren hatte. Sie war so überrumpelt gewesen, in gewisser Weise überfordert mit dieser Reizüberflutung. Die Lehrerin hatte erst einmal selbst damit klarkommen und sich wieder fangen müssen, ehe sie mit jemandem darüber sprechen konnte.

"Gestern hattet ihr Glück und seid ohne Hausaufgaben davongekommen. Heute kann ich nicht so nett sein, fürchte ich.", zwang sie sich, sich auf die Schüler zu konzentrieren.

"Ich schreibe euch an die Tafel, welche Seiten im Geschichtsbuch ihr euch durchlesen solltet und welche Aufgaben bis nächste Woche Mittwoch zu erledigen sind."

Mit einem Stück Kreide begann sie damit die Aufgaben an die Tafel zu schreiben. Die Schüler murrten unwillig.

"Was denn? Höre ich da Begeisterung?", hakte Nemuri sarkastisch nach. "Macht so weiter und ich überlege mir, ob wir nächsten Mittwoch einen Test über besagte Themen schreiben, oder ob ich eure Hausaufgaben einsammle und benote." Stille. Sehr schön.
 

Nachdem es zur Pause geklingelt hatte, verließen die Schüler den Klassenraum.

Auch Nemuri selbst machte sich bereit den Raum zu verlassen, doch zuvor erledigte sie noch einige Notizen im Klassenbuch.

Schließlich schnappte sie sich ihre Tasche, verließ die Klasse und machte sich auf den Weg zum Lehrerzimmer. So sehr sie es normalerweise auch mochte von lebhaften Schülern umgeben zu sein, heute war sie wirklich froh darüber keine Pausenaufsicht zu haben.

Bereits auf dem Weg zum Lehrerzimmer hing sie wieder ihren Gedanken nach.

Nicht nur, dass sie weiterhin keine Erklärung für die merkwürdigen Ereignisse gestern und die Bilder von heute Morgen hatte, zu allem Übel hatte sie ihrem Gast auch noch ziemliches Unrecht getan. Yu konnte nicht ahnen, was plötzlich mit der Lehrerin los war. Sie hatte ihre schlechte Laune und die plötzliche kalte Schulter auf die Zurückweisung von zuvor geschoben, dabei rauschte Nemuri bloß der Kopf. Das sollte sie eindeutig wieder gerade rücken.

//Was ist in den letzten Tagen bloß los? Die Welt scheint plötzlich vollkommen Kopf zu stehen. Allein gestern und heute sind so viele seltsame Dinge passiert//, grübelte die Dunkelhaarige in Gedanken. Und als wenn das nicht schon genug wäre, drehten ihre Gedanken sich zusätzlich auch noch ständig um ihre aktuelle Mitbewohnerin.

Die Blondine war ihr so vertraut und noch dazu unglaublich niedlich. Wie hätte sie sich da heute Morgen auch bitte zusammenreißen und sie nicht küssen sollen? Das verrückte war, das Yu im ersten Moment auf den Kuss eingegangen war und die Situation genossen hatte, ehe sie praktisch hatte spüren können, wie die Jüngere sich merklich angespannt hatte und wieder auf Abstand gegangen war. Natürlich hatte der Lehrerin dies nicht wirklich gepasst, doch war es im nächsten Moment auch schon ihre geringste Sorge gewesen, als die Bilder förmlich über sie hereingebrochen waren.

Und dieses Bild, in dem Yu und sie in einem Café gesessen hatten..., auch das fühlte sich fast an wie eine Erinnerung. Aber das konnte gar nicht sein, immerhin hatten sie noch nie zuvor gemeinsam ein Café besucht, lediglich eine Bar. Was genau war hier also los? Und hatte es irgendetwas damit zu tun, dass sie das Gefühl hatte, Yu schon viel länger zu kennen, als es der Fall sein konnte?
 

"Whoa, Vorsicht, Kayama!", riss eine Stimme sie aus den Gedanken. "Du hättest mich beinah umgerannt." Das klang nicht wirklich vorwurfsvoll, sondern viel mehr amüsiert.

Nemuri blinzelte. Einer ihrer Kollegen, mit dem sie wirklich gut auskam, stand direkt vor ihr.

Rasch setzte sie ein Lächeln auf. "Entschuldige, Yamamura. Ich war ganz in Gedanken."

Ihr Kollege zuckte nur unbekümmert mit den Schultern. "Das habe ich wohl schon bemerkt. Haben die Schüler dich geärgert?"

Im ersten Moment blickte die Lehrerin irritiert drein, dann winkte sie ab. "Ach Quatsch. Du weißt doch, dass ich mich von Schülern niemals ärgern lassen würde. Nein, die Teenies waren die reinsten Schätzchen, wie immer."

Gemeinsam mit Hiro Yamamura lief sie den Flur, welcher zum Lehrerzimmer führte, entlang.

Kurz zögerte sie, dann befand sie, dass sie ihrem Freund und Kollegen zumindest eine oberflächliche Erklärung liefern konnte, damit dieser sich keine Sorgen machte und auch nicht weiter nachhakte. Natürlich konnte sie ihm unmöglich sagen, was sie wirklich beschäftigte, doch ein Teil der Wahrheit würde es auch tun.

"Erinnerst du dich an die kleine Blondine, die wir neulich in der Bar getroffen haben, in die ich Ootori und dich mitgeschleift habe? Ich war heute Morgen nicht ganz fair zu ihr."

Nemuri drückte ihrem Kollegen ihre Lehrertasche in die Hand, um beide Hände frei zu haben und sich strecken zu können. "Heute nach der Arbeit sollte ich das eindeutig wieder in Ordnung bringen."

Yamamura hatte ganz automatisch nach der Tasche gegriffen, als die Dunkelhaarige sie ihm in die Arme gedrückt hatte. Nun blickte er seine Kollegin allerdings überrascht an.

"Die Kleine aus der Bar? Sie hat das zweite Mal in Folge bei dir übernachtet? Sag bloß, da entwickelt sich was Ernstes? So kenne ich dich ja gar nicht."

Nemuri verdrehte die Augen und stieß Yamamura den Ellbogen in die Rippen. "Jetzt hör schon auf. Ich weiß ja selbst noch nicht, in welche Richtung sich das entwickelt."

Und damit meinte sie die Gesamtsituation. Die beiden letzten Tage waren so verrückt gewesen, dass sie es ihrem Kollegen unmöglich erzählen konnte. Sie konnte ja selbst noch nicht so ganz glauben, dass sie in den letzten beiden Tagen mehr irritierende Dinge erlebt hatte, als es sie in manchem Fantasyfilm gab.

"Hey ihr beiden!", grüßte Ayato Ootori seine Kollegen. Er hatte die Hälfte der Unterhaltung aufgeschnappt. "Über Kayamas neue Flamme zu reden ist sicherlich interessant, aber könntet ihr wohl mal kurz hier herüber zum Fenster kommen? Das müsst ihr euch ansehen."

Bei Ootoris Worten verdrehte Nemuri kurz die Augen, doch dann tauschten Yamamura und sie einen fragenden Blick aus, als ihr Kollege sie zu sich ans Fenster winkte.

Außer den drei Kollegen, waren noch ein älterer Lehrer, sowie die Schulsekretärin anwesend.

Erst jetzt fiel Nemuri auf, dass auch diese beiden am Fenster standen und ungläubig hinausblickten.

Gemeinsam mit Yamamura gesellte sie sich folglich zu der kleinen Gruppe und blickte nach draußen.

Vom Lehrerzimmer aus hatte man einen guten Blick auf den Pausenhof. Die Schüler liefen nicht so wie sonst umher und unterhielten sich, sondern blickten viel mehr verwirrt gen Himmel.

Auch der Blick der Lehrer wanderte nach oben.

Nemuri zog die Stirn kraus. Das irgendetwas mit dem Licht nicht stimmte, war ihr beim Betreten des Lehrerzimmers bereits aufgefallen, doch im ersten Moment hatte sie geglaubt, dass jemand sich einen Scherz erlaubt und die Glühbirne ausgetauscht hatte.

Das Licht im Zimmer war seltsam violett und irgendwie zu grell. Nun wurde sie sich jedoch der Tatsache bewusst, dass das Licht überhaupt nicht brannte. Der violette Schein kam von draußen. Ungläubig starrte sie hoch in den Himmel. Was war das schon wieder?!

Die Wolken hatten einen violetten bis lilanen Ton, während die Sonne viel zu grell schien.

Alles in allem wurden Schule und Stadt in ein grelles, violettes Licht getaucht. Die Lichtverhältnisse taten fast schon in den Augen weh.

"W-was ist das denn?", stammelte Yamamura verwirrt. "So ein seltsames Licht habe ich ja noch nie gesehen."

"Vor allen Dingen war bis eben noch alles normal.", mischte die Sekretärin sich ein.

"Ob dieses seltsame Licht schädlich ist?", rätselte Ootori derweil.

"Die Pausenaufsicht scheucht die Schüler schon zurück ins Gebäude.", mischte Nemuri sich ein. "Und das ist mit Sicherheit auch besser so."

Der älteste Kollege im Raum begann über UV-Strahlung zu philosophieren, doch Nemuri hörte ihm nur noch mit einem Ohr zu.

Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie hatte ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache.

Gestern hatten violette Blitze das Erscheinen der seltsamen Kreatur angekündigt, welche sie durch die Stadt verfolgt hatte. Violette Blitze waren es auch gewesen, welche am Himmel entlanggezuckt waren, ehe das Erdbeben gestern Nachmittag eingesetzt hatte.

So grell wie heute, war das Licht gestern jedoch nicht gewesen. Konnte die aktuelle Beleuchtung also gut sein? Höchst wahrscheinlich nicht. Unwillkürlich spannte sie sich an.

Plötzlich hatte die Dunkelhaarige das Gefühl, das da noch etwas wesentlich Unangenehmeres als gestern auf sie alle zukommen würde.

"Hat noch jemand den Zeitungsartikel heute Morgen gelesen? Einige Stadtbewohner wollen gestern wohl auch schon seltsame violette Lichter gesehen haben, die sie sich nicht erklären konnten und dann behaupten einige Augenzeugen auch noch, sie hätten eine Art Monster gesehen.", wandte Ootori sich wieder an die Gruppe.

"Ein Monster?", gluckste Yamamura. "Ich gebe zu, das Licht ist echt seltsam, aber Monster? Die Leute sehen zu viel fern." Er hatte damit begonnen, mit seinem Handy Fotos von dem unerklärlichen Naturphänomen zu schießen. "Findest du nicht auch, dass das ziemlich weit hergeholt ist, Kayama?", hakte er an seine Kollegin gewandt nach.

Nemuri hatte sich bereits halb zum Gehen gewandt. "Ich helfe den Kollegen dabei sämtliche Schüler zurück ins Gebäude zu schicken.", stellte sie anstelle einer Antwort fest. Ob sie die Existenz von Monstern auch weit hergeholt fand? Pah, sie war gestern von dem Ding verfolgt worden! Aber das zu erklären, würde sie sich sparen, das würde ihr eh niemand glauben. Verübeln konnte sie es ihren Kollegen jedoch nicht, immerhin hatte sie bis zu dem unschönen Erlebnis gestern selbst nicht an monströse Kreaturen geglaubt.

Nemuri beschloss sich lieber nützlich zu machen und nach den Schülern zu sehen. Warum außer ihr noch niemand der anderen Anwesenden diesen Gedanken gehabt hatte, war ihr schleierhaft.

Beinahe hatte sie das Lehrerzimmer verlassen, als die Sekretärin plötzlich einen grellen Schrei ausstieß.
 

Alarmiert wirbelte Nemuri herum. Allein schon die Blicke ihrer Kollegen verrieten ihr, das etwas ganz und gar nicht stimmte - das seltsame Licht mal gänzlich ausgeklammert. Ungläubig und geschockt blickten die anderen hinaus aus dem Fenster, die Augen vor Grauen geweitet.

Schnell hatte Nemuri den Grund für die Panik ihrer Kollegen entdeckt. Auch ihr blieb fast das Herz stehen, als sie sah, was den anderen Lehrern solche Angst einjagte.

Adrenalin jagte durch ihren Körper. Sie fühlte sich, als hätte jemand sie unter Strom gesetzt. Ihre Hände kribbelten und die Luft im Raum schien von jetzt auf gleich deutlich abgekühlt zu sein, kaum dass das Entsetzen mit seinen kalten Klauen nach ihr griff.

Erneut zuckten Lichtblitze am Himmel entlang, ehe die Luft an zwei Stellen zu wabern begann. Kaum war die flirrende Luft zu einer Art Tor geworden, langten lange, klauenbesetzte Arme hinaus.

Das Monster von gestern war zurück und schob sich wie durch ein unsichtbares Tor. Als hätte diese eine grässliche Kreatur nicht schon ausgereicht, erschien aus dem anderen Luftloch ein zweites Ungetüm. Äußerlich glichen die beiden Ungeheuer sich stark. Beide waren riesig, standen auf zwei Beinen und besaßen eine Art Vogelschnabel mit Zähnen darin. Anstatt das ein Schädelknochen die Köpfe der Ungetüme gänzlich umschloss, endete dieser kurz nach der Stirn und gab einen Blick auf die Hirne der Bestien frei. Die beiden Monster unterschieden sich lediglich in ihrer Farbe. Während Ungeheuer Nr. 1 eher dunkel war, war Ungeheuer Nr. 2 fast schon schneeweiß, was es gleich noch gruseliger machte.

Kaum, dass die Kreaturen wie aus dem Nichts aufgetaucht waren, sprangen sie auch schon los. Unter den Schülern, welche sich noch auf dem Hof befanden, war eine Panik ausgebrochen - verständlicherweise.

Doch den wirklichen Grund zur Panik hatten die Personen, welche sich aktuell im Lehrerzimmer befanden. Anstatt von den Toren aus erst einmal auf den Hof zu springen, hechteten die Ungetüme geradewegs in Richtung der Fensterfront.

Die Scheiben zum Lehrerzimmer zersprangen. Glas und Teile des Fensterrahmens flogen ins Innere des Raums, gemeinsam mit den beiden monströsen Kreaturen.

Die Lehrer schrien in Panik auf. Besonders Ootoris Stimme überschlug sich fast und wirkte unnatürlich grell, war die helle Kreatur bei dem Sprung mit ihm zusammengeprallt und stand nun genau über ihm.

Nemuri spürte, wie ihr Herz einen Satz in ihrer Brust machte. Ihr Magen krampfte sich vor Entsetzen zusammen.

Ihr Kollege und guter Freund lag am Boden, das Monster direkt über sich stehend. Egal wie sehr sie sich beeilte, selbst wenn sie jetzt lossprang, wäre sie zu spät bei ihm, um ihn zu retten, wenn der Kreatur jetzt in den Sinn kommen sollte zuzuschlagen. Ein schreckliches Gefühl.

Und ein seltsamer Gedanke. Während ihre Kollegen in Panik vom Fenster wegstolperten und schrien, als sei der Teufel selbst hinter ihnen her, hatte Nemuri einen zögerlichen Schritt nach vorne gemacht. Es war nicht so, als wenn sie keine Angst hätte. Um genau zu sein war ihr schlecht vor Angst, doch sie konnte und wollte Ootori nicht seinem Schicksal überlassen.

Wieder war ihr erster Gedanke unbewusst gewesen, es mit dem Gegner aufzunehmen um jemanden zu retten, auch wenn sie nicht wusste, was sie eigentlich gegen die Ungetüme ausrichten sollte.

Doch wie sich herausstellte, war ihre Sorge um ihren Kollegen gänzlich unbegründet.

Beide Kreaturen beachteten den am Boden liegenden Lehrer mit keinem Blick. Die unheimlichen, brutalen Augen fixierten einzig und allein die Dunkelhaarige selbst.

Mit einem unheimlichen Grollen sprang das dunklere Monster, welches sie gestern schon gejagt hatte, auf sie los. Monster Nummer 2 folgte.

Mit einem entsetzten Aufschrei warf Nemuri sich zur Seite. Sie rutschte über einen Schreibtisch und riss dabei einen Computerbildschirm mit sich zu Boden.

Kaum, dass sie auf dem dunkelblauen Teppichboden aufgekommen war, regnete ein ganzer Hagelschauer von Kugelschreibern auf sie herab, hatte der Schlag der hellen Bestie sie doch knapp verfehlt und an ihrer Stelle einen Behälter mit Stiften vom Tisch gefegt.

Die dunklere Kreatur schlug gegen den Schreibtisch, welcher daraufhin durch den Raum und gegen eine Wand flog, als wäre er nicht schwerer als ein Tennisball.

Erneut griff das Monster von gestern sie an. Nemuri rollte gerade noch so zur Seite. Die Klauen des Angreifers schlitzten den Teppichboden auf.

Angst und Adrenalin verliehen ihr die nötige Agilität, sich gerade noch rechtzeitig wieder aufzurappeln und zwischen den beiden Kreaturen hindurchzuhechten. Die Lehrerin schlitterte hinaus auf den Flur. Die Ungetüme beachteten die anderen Lehrer nicht weiter, sondern nahmen unverzüglich ihre Verfolgung auf.

Einerseits war es beruhigend, dass die Biester es scheinbar nur auf sie abgesehen hatten und niemand sonst folglich in Gefahr zu sein schien, andererseits war die Tatsache, dass sie es nur auf sie abgesehen hatten, auch wieder mehr als beunruhigend!

Ihr Herz raste. Während Nemuri in den Treppenflur sprintete, kämpfte sie darum, dass die Angst nicht ihr logisches Denken lähmte.

Die Lehrerin musste sich nicht extra umdrehen, um zu wissen, dass die beiden Bestien sie verfolgten. Die schnellen, schweren Schritte ihrer Verfolger verrieten sie.
 

Sie rannte um ihr Leben. Das zweite Mal binnen zwei Tagen. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein! Und warum waren diese Ungetüme so verdammt schnell?! Wenn die sie erwischten!

Während sie durch den Treppenflur rannte, konnte Nemuri Schüler in wilder Panik kreischen hören. Die Teenager mussten die Ungetüme durch die Glastüren gesehen haben. Das diese Monster den Schülern eine Heiden Angst einjagten, konnte sie nur zu gut nachvollziehen.

Warum hatten die Kreaturen auch ausgerechnet hier in der Schule auftauchen müssen?! Jeder andere Ort wäre schon schlimm genug gewesen, aber ausgerechnet hier, wo es vor Jugendlichen nur so wimmelte? Bisher hatten die Kreaturen sich noch nicht für die Schüler interessiert, aber wer konnte schon sagen, ob sie nicht doch noch in Gefahr geraten würden?
 

In Gefahr war aktuell jedoch in erster Linie die Lehrerin selbst. Ihre Verfolger waren ihr unbarmherzig auf den Fersen.

So schnell sie konnte rannte sie im Treppenhaus nach unten. Verdammt! Diese Viecher durften sie auf keinen Fall erwischen! Sie musste schneller rennen! Schneller!

Nemuri spürte, wie der Absatz ihres rechten Stiefels über die Treppen rutschte. Sie verlor den Halt.

Voller Entsetzen realisierte sie, wie sie stürzte.

Zwar hatte sie den Treppenabsatz schon fast geschafft, dennoch war ein Treppensturz schon unter normalen Umständen nicht besonders gesund. Jetzt allerdings...

Ihr kam der Fall vor wie in Zeitlupe. Viele einzelne Bilder der kalten Steinfliesen, welche näher und näher kamen.

Schließlich prallte sie mit der Seite auf die Fliesen. Der Aufprall presste ihr die Luft aus den Lungen, fühlte sich jedoch lediglich dumpf an. Das Adrenalin sorgte dafür, das ihr Körper mögliche Schmerzen aktuell ausblendete.

Kaum, dass sie auf dem Boden aufgekommen war, war die Kreatur von Gestern über ihr und drückte sie mit einer Pranke herunter auf die Steinfliesen vor den Treppen.

Unter der Klaue des Ungeheuers fixiert, hatte die Lehrerin keine andere Wahl, als mit schreckgeweiteten Augen zu ihren Verfolgern hochzusehen.

Sie...sie hatten sie erwischt. Das war ganz und gar nicht gut. Das Gewicht der einen Bestie sorgte dafür, dass es ihr unmöglich war wieder aufzustehen. An eine weitere Flucht war nicht zu denken.

Angst und nacktes Entsetzen spülten wie eine Welle über sie hinweg. War es das jetzt? Sollte das hier...?

Die Kreatur, die sie festhielt, beugte sich zu ihr herunter. Nemuri konnte den fauligen Atem des Monsters riechen. Sehr zu ihrem Missfallen trennten ihre Gesichter nur noch gut zwanzig Zentimeter. Der Lehrerin wurde übel.

»Tod derer, die nicht hier her gehören.« Die Stimme des Ungetüms klang rostig und blechern. »Das Blutopfer wird das Gleichgewicht wieder herstellen.«

Nemuri wusste nicht, was eigentlich schlimmer war. Die Tatsache, dass das Biest tatsächlich gesprochen hatte, der Klang seiner Stimme, oder aber der Inhalt seiner Worte.

//W-was meint es damit überhaupt?//, schoss es der Lehrerin durch den Kopf. Doch würde sie kaum mehr die Gelegenheit dazu haben, sich Gedanken darüber zu machen.

Weiterhin wurde sie zu Boden gedrückt. Das Monster hob die noch freie, grässliche Pranke, dann holte es zum Schlag aus. Als sie die mörderischen Klauen auf sich zurasen sah, kniff die Lehrerin die Augen zusammen und wartete auf den Schmerz.
 

Die Fensterfront des Treppenhauses zerbarst. Laut klirrend flog das Glas durch den Flur.

Nemuri war sich sicher, dass die Kreatur ihrem Leben im Bruchteil der nächsten Sekunde ein Ende bereiten würde, doch anstelle eines einsetzenden Schmerzes, verschwand das Gewicht des Ungetüms urplötzlich von ihr.

Die Lehrerin spürte, wie sie gegriffen und hochgerissen wurde. Wieder eins der Ungetüme?

In ihrem Kopf drehte sich alles. Ihr logisches Denken hatte für den Moment ausgesetzt.

War es das jetzt? Sicherlich! Aber...warum passierte dann nichts? Auch nach zwei weiteren Sekunden lebte sie noch.

Langsam aber sicher öffnete Nemuri die Augen wieder und blinzelte. Nach wie vor hatte die Todesangst sie fest im Griff, doch nachdem sie immer noch in einem Stück war, mischte sich nun eine Spur von Hoffnung zu dem Entsetzen.

Sie spürte, dass sie gehalten wurde, aber nicht von einer der beiden entsetzlichen Kreaturen. Der Griff war fest genug um ihr Sicherheit zu geben und gleichzeitig auch sanft genug, um sie nicht zu verletzen.

Langsam realisierte Nemuri, dass sie sich in einer behandschuhten, riesigen Hand befand.

Sie spähte nach oben und blickte in Yus vertrautes Gesicht. Auch wenn die Situation gerade so surreal war und sie es weiterhin mehr als gewöhnungsbedürftig fand, dass ihre normalerweise kleine Mitbewohnerin in der Lage war zur Riesin zu werden, gerade fiel Nemuri ein Stein vom Herzen.

"Nemuri! Bist du verletzt?", wollte die Profiheldin besorgt wissen.

Angesprochene war noch so neben der Spur, dass sie erst einmal nur blinzelte und einen Moment brauchte, ehe sie den Kopf schüttelte und ein: "Nein, ich glaube nicht.", stammelte.

Sie konnte förmlich sehen, wie die Blondine sich bei ihren Worten ein wenig entspannte, dann jedoch gleich wieder entschlossener dreinblickte.

Vorsichtig setzte sie die Ältere auf ihrer Schulter ab.

"Das ist gut.", stellte Yu fest. "Halt dich an mir fest, ich brauche jetzt beide Hände."

Beinahe hätte Nemuri den Halt verloren, als die junge Heldin sich wieder aufrichtete.

"H-hey! Das ist jetzt nicht dein Ernst!"

Rasch griff sie nach dem Rand vom Kragen des Heldenkostüms, sowie nach einer der blonden Haarsträhnen, um nicht zu stürzen.

Nemuri fühlte sich wie im falschen Film. Das...das konnte doch alles nur ein schlechter Scherz sein! Aber leider war es das nicht! Die Monster, die dort im zerstörten Treppenflur des Schulgebäudes standen, waren genauso real, wie die Tatsache, dass sie sich auf der Schulter der Blondine befand.

Kurz blickte sie nach unten und wünschte sich, dies nicht getan zu haben.

Yus Schulter war weiter vom Boden entfernt, als das Dach von so manchem Haus! Und sie stand hier oben ungesichert herum!

"Pass auf, sie greifen an!", informierte Mt. Lady die Lehrerin nur, ohne auf deren Protest einzugehen.

Und sie hatte recht. Die dunklere Kreatur sprang aus dem Treppenflur geradewegs auf sie zu.

Yu blockte das Wesen, welches im Vergleich zu ihr selbst, nicht größer als eine Taube war, mit einem gezielten Schlag ab.

Das hellere Ungetüm flog auf die Profiheldin zu, kaum das Kreatur Nummer 1 auf dem Schulhof eingeschlagen war und einen kleinen Krater hinterlassen hatte.

Mit einer Hand fing die Blondine den Angreifer in der Luft.

Bei der Bewegung hätte Nemuri auf ihrer Schulter erneut beinahe den Halt verloren. Sie schrie auf, als sie für einen Moment lediglich an einer der blonden Haarsträhnen hing wie an einem Seil, ehe sie es schaffte, sich zurück auf die Schulter der Heldin zu kämpfen.

Diese Monster waren der Horror, ihre derzeitige Situation allerdings auch, befand die Lehrerin. Die Gefahr abzustürzen war immerhin allgegenwärtig.

Ihr Blick fiel zu der Bestie, welche sich aktuell zappelnd in Yus Hand befand. So gefährlich das Ungetüm auch sein mochte, die Gefahr war nun wohl gebannt.

Oder auch nicht. Ungläubig beobachtete sie, wie das Vieh es doch tatsächlich schaffte, den Griff der Blondine in so weit aufhebeln zu können, als das es sich zu befreien drohte.

"Autsch! Verdammte Made!" Yu griff mit ihrer anderen Hand zu, sodass sie den Oberkörper des Monsters mit einer Hand umfasst hielt, den Unterkörper mit der anderen. Schließlich drehte sie beide Hände in entgegengesetzte Richtungen.

Das Monster kreischte auf. Gleichzeitig war das grässliche Knirschen von Knochen zu hören, welches Nemuri durch Mark und Bein ging.

Doch anstelle von Monsterpampe zwischen den Fingern, zerfiel die Kreatur in einer Art Nebel, welcher sich einen Moment später schon vollständig aufgelöst hatte.

Die zweite Kreatur hatte sich währenddessen aus dem Loch im Schulhof gezogen, spannte die Muskeln an und machte sich bereit, in Richtung der beiden Frauen zu springen, doch Yu kam dem Wesen zuvor und beendete es mit einem raschen Tritt.

Nebel stieg aus dem zerstörten Asphalt unter ihrem Fuß auf, dann war auch dieser gänzlich verschwunden und nichts, bis auf die Schäden an Schulhof und Schulgebäude, erinnerten mehr an den Angriff.
 

Einen Moment lang hielt die Blondine inne und scannte die Umgebung mit dem Blick.

"Waren es nur die zwei, oder sind im Gebäude noch mehr von denen?", wollte sie von Nemuri wissen.

"Nein, es waren nur diese beiden.", bestätigte die Lehrerin. Jetzt, wo Yu ruhig dastand, war es leichter, Halt auf ihrer Schulter zu finden. Dennoch behagte Nemuri der Platz in luftiger Höhe nicht.

Die Profiheldin atmete auf und die Anspannung fiel von ihr ab. "Gut, dann wäre das erstmal geschafft.

Schließlich fiel Yus Blick in Richtung des Schulgebäudes. Schüler hingen an den Fenstern und Türen und starrten fassungslos auf den Schulhof. Die wenigen Jugendlichen, die sich noch draußen befanden, rannten in Richtung des Gebäudes, als hinge ihr Leben davon ab.

"Beeilt euch! Verschwinden wir von hier!", rief eine Schülerin zwei Klassenkameraden während des Laufens zu.

"Erst diese beiden Monster, jetzt eine Riesin! Was denn noch?!" In der Stimme ihres Mitschülers war das Entsetzen nicht zu überhören.

"Wenn die uns erwischt...!" Auch die dritte Jugendliche klang panisch.

Derweil blinzelte Yu ungläubig in Richtung der flüchtenden Schüler. Sie fühlte sich wie im falschen Film. Sie war es gewohnt, dass die Zivilisten ihr nach einer geglückten Rettungsaktion zujubelten, doch in dieser Parallelwelt...? Schüler und Lehrer rannten und verschanzten sich im Gebäude, als wäre der Teufel höchst persönlich hinter ihnen her. In den Gesichtern der Leute standen Angst und Entsetzen geschrieben.

"Hey! Was stimmt mit euch nicht?! Die Monster waren das Problem und ich habe sie euch vom Hals geschafft!", empörte sie sich. Was für eine verdrehte Welt!

"Yu!" Nemuri machte auf sich aufmerksam, indem sie an einer der blonden Haarsträhnen zog. "Lass mich wieder runter, in Ordnung?"

Die Profiheldin hielt der Älteren eine Hand hin, doch als Nemuri keine Anstalten machte in ihre Handfläche zu klettern, griff die Riesin letztlich ganz einfach nach ihr, wie nach einer Puppe.

Kurz musterte sie die Lehrerin in ihrer Hand. Glücklicherweise wirkte sie unverletzt. Zumindest auf den ersten Blick konnte Yu weder Schrammen, noch Verletzungen erkennen.

Vorsichtig stellte sie Nemuri wieder auf dem Boden ab und ließ sie los. Die Schüler im Gebäude schrien teilweise immer noch wie am Spieß, fast so, als wäre soeben Godzilla auf dem Schulhof aufgetaucht.

"Wie dumm und undankbar.", grummelte die Blondine vor sich hin. Es machte sie fast schon wütend, dass diese Zivilisten panisch auf sie reagierten, anstatt ihr dankbar zu sein, dass sie sie soeben gerettet hatte. Die entsetzen Blicke, als wäre sie selbst das Monster, waren verletzend und missfielen der Profiheldin, die es gewohnt war, beliebt bei der Bevölkerung zu sein. Bloß, dass das hier nicht ihre Welt war und die Leute keine Quirks kannten.

Die junge Frau begann zu schrumpfen und stand binnen zwei Sekunden wieder in ihrer normalen Größe neben Nemuri.

Obwohl die Riesin nun wieder ein wesentlich übersichtlicheres Format angenommen hatte, flachte die Panik nicht ab.

Verständnislos wandte Yu sich an Nemuri. "Mal ehrlich, was stimmt mit deinen Schülern nicht?! Die führen sich allesamt so auf, als wenn ich sie jeden Moment fressen wollte!", regte sie sich auf.

Die Ältere seufzte. "Hier hat nun mal niemand besondere Fähigkeiten und der Vorfall eben, hat die Schüler kalt erwischt. Sie stehen unter Schock.", erklärte sie das Naheliegende.

Sie selbst fand die Tatsache, dass diese zierliche Blondine von einer Sekunde zur anderen zur Riesin werden konnte, ja selbst noch arg gewöhnungsbedürftig, nur dass Yu ihr diese Fähigkeit gestern bereits demonstriert hatte und es daher nicht das erste Mal war, dass Nemuri sie in dieser Form sah. Zumal die Lehrerin die Profiheldin kannte.

Yu war mit der Erklärung nicht wirklich zufrieden, so naheliegend sie auch sein mochte. Ihr Ego war angekratzt. Die Blondine war kurz davor in das Schulgebäude zu laufen und zu versuchen den Schülern die Situation halbwegs zu erklären, als Nemuri sie am Handgelenk packte und ihre Aufmerksamkeit somit auf sich zog.

"Na los, komm schon, verschwinden wir von hier.", forderte die Lehrerin sie auf.

Yu blinzelte sie irritiert an, doch als Nemuri an ihrem Arm zog, stolperte sie ihr ganz automatisch zwei Schritte hinterher.

"Hey!", beschwerte sie sich. "Verschwinden? Wieso denn das auf einmal? Und vor allen Dingen wohin?"

Ungeduldig funkelte Nemuri sie an. "So blond kann man doch gar nicht sein!", blaffte sie. "Irgendwer hat mit Sicherheit die Polizei gerufen und die wird schon ziemlich bald hier sein. Das, was hier eben passiert ist, kannst du nicht erklären. Also los jetzt!"

Nun, wo Yu wieder ihre eigentliche, zierliche Gestalt hatte, fiel es Nemuri nicht besonders schwer, die Kleinere ganz einfach mit sich zu ziehen, ob Yu nun wollte oder nicht.

Einige Schritte lang sträubte die Profiheldin sich noch und protestierte, dann gab sie schließlich nach und rannte neben Nemuri her.

"Wo genau willst du eigentlich hin?", wollte sie während des Sprints wissen.

"Beeil dich einfach!", verfügte die Lehrerin lediglich.
 

Nachdem sie das Schulgelände verlassen hatten und etwa 300 Meter die Straße entlanggelaufen waren, entdeckte Nemuri ein am Straßenrand geparktes Auto einer Carsharing Firma. Da sie glücklicherweise dort registriert war, hielt sie geradewegs auf den Wagen zu, zückte ihr Handy und nach weniger als einer Minute, ließ das Auto sich öffnen.

"Du fährst wie der letzte Henker, wie du gestern schon bewiesen hast. Ich weiß ja nicht.", grummelte Yu vor sich hin, nahm jedoch trotzdem auf dem Beifahrersitz Platz.

"Sei bloß still! Ich bin schon seit Jahren unfallfrei unterwegs.", konterte Nemuri und startete den geliehenen Mini Cooper.

"Wo fahren wir jetzt überhaupt hin?", erkundigte Yu sich.

"Ich weiß es noch nicht.", gab Nemuri ehrlich zu. "Aber hörst du die Polizeisirenen? Wir mussten erstmal von der Straße weg."

Ohne ein wirkliches Ziel zu haben, lenkte die Lehrerin den Mini weg von der Schule und den Polizeisirenen.

Für einige Augenblicke herrschte Schweigen. Nemuri konzentrierte sich auf die Straße und versuchte gleichzeitig wirklich zu realisieren, was soeben an der Schule passiert war. Schon wieder waren diese merkwürdigen Kreaturen aufgetaucht und waren ganz offensichtlich hinter ihr her gewesen. Beinahe hätten diese Monster sie auch erwischt, wenn Yu sie nicht gerettet hätte. Die Verfolgungsjagt und der Rettungseinsatz waren so surreal.

Yu blickte währenddessen aus dem Fenster. Auch sie brauchte einen Moment um sich wieder zu fangen. Diese Ungeheuer hatten es ganz klar auf Nemuri abgesehen und hätten sie beinahe erwischt. Das Unglück abzuwenden, war ihr wortwörtlich in der letzten Sekunde gelungen.

Und wie die Schüler auf sie reagiert hatten. Noch nie war eine Menschenmenge wegen ihr in Panik ausgebrochen. An der Reaktion der Zivilisten hatte sie ganz schön zu knabbern.
 

"Bist du auch wirklich nicht verletzt?", durchbrach Yu die Stille schließlich.

"Vielleicht bekomme ich ein paar blaue Flecken, aber alles in allem ist mir nichts passiert. Das war im Übrigen ganz schön knapp." Die Lehrerin seufzte.

"Ich habe doch gesagt, dass ich auf dich aufpasse.", stellte die Blondine lediglich entschieden fest.

Auf sie aufgepasst, das hatte Yu wohl, musste Nemuri in Gedanken zugeben. Doch jetzt, wo sie so darüber nachdachte, stellte sich ihr auch noch eine ganz andere Frage.

"Wo bist du gerade eigentlich so plötzlich hergekommen?", wollte sie wissen.

Auf eine solche Frage schien Yu nur gewartet zu haben. Empört plusterte die Kleinere die Wangen auf.

"Du meinst, du wunderst dich, dass ich zu deiner Rettung da war, obwohl du dich heute Morgen aufgeführt hast, wie die letzte Idiotin?", wollte sie mit schnippischem Unterton wissen. "Tja, das liegt daran, dass ich bereits heute Morgen, als wir das Haus verlassen haben, ein komisches Bauchgefühl hatte. Ich war zwar echt sauer auf dich, aber ich bin selbst in Richtung Schule aufgebrochen und habe mich in der Nähe aufgehalten. Daher konnte ich noch eingreifen."

Einerseits passte es Nemuri ganz und gar nicht, von der Jüngeren das eigene Verhalten unter die Nase gerieben zu bekommen, andererseits hatte Yu wohl oder übel recht damit.

"Ich war wohl wirklich nicht ganz fair zu dir.", gab sie nach einer kurzen Sekunde des Zögerns also zu.

"Kann man wohl so sagen.", murrte Yu, ehe der Blick ihrer rötlichen Augen fragender wurde. "Mal ganz ehrlich, was war das bitte für eine Aktion, mir so die kalte Schulter zu zeigen, nachdem ich den Kuss abgebrochen habe? Du hast mir gestern Abend immerhin noch gesagt, du hättest keine Hintergedanken dabei, mich bei dir übernachten zu lassen."

"Darum ging es gar nicht.", ergriff Nemuri das Wort. "Mir ist schon klar, dass es für dich genau so ausgesehen haben muss, aber ich hatte in dem Moment ganz andere Sorgen. Das Timing war zugegebenermaßen ziemlich ungünstig."

Yu zog eine der feingeschwungenen Augenbrauen hoch. "Ach ja?", das sie der Lehrerin nicht so recht glaubte, war offensichtlich.

"Ich erkläre es dir gleich gerne, aber das wird mit Sicherheit ein längeres Gespräch. Lass uns erstmal ankommen.", entschied die Lehrerin. Vorerst beschloss sie das Thema zu wechseln.

Während sie durch die Stadt fuhr, musste sie immer wieder an die Ungeheuer denken, welche sie heute verfolgt und beinahe getötet hätten. Was für monströse Kreaturen. Und dann war da noch das, was eins dieser Monster gesagt hatte.

»Tod derer, die nicht hier her gehören. Das Blutopfer wird das Gleichgewicht wieder herstellen.«

Diese Worte hatten sich in ihr Gedächtnis gebrannt, auch wenn sie sich noch nicht sicher war, wie sie sie eigentlich interpretieren sollte.

"Mal was ganz anderes. Diese Monster, du hast sie selbst gesehen, weißt du, was zur Hölle das für Kreaturen waren?", wollte Nemuri nun von Yu wissen.

Die Blondine runzelte die Stirn. Der Themenwechsel gefiel ihr nicht. "Glaub nicht, dass ich es darauf beruhen lassen würde.", stellte sie erst einmal klar, ehe sie einlenkte und auf den Themenwechsel einging. "Aber diese Monster, die wie aus dem Nichts aufgetaucht sind... um ehrlich zu sein haben sie mich an die Nomu aus meiner Welt erinnert."

"Nomu?", hakte Nemuri nach.

"Künstlich geschaffene Kreaturen mit einer ungeheuren Stärke.", erklärte Yu kurz. "Diese Gestalten haben den Helden in meiner Welt schon das Leben schwer gemacht und diese Monster, die ich hier gesehen habe, haben mich stark daran erinnert. Allerdings waren die beiden Exemplare von heute eindeutig schwächer als die in meiner Welt."

Immer noch war es seltsam, von meiner und deiner Welt zu sprechen, denn es auch noch zu erwähnen, machte es realer, nicht einfach nur an einem weiter entfernten Ort gelandet zu sein.

Aber diese Biester...sie erinnerten Yu in der Tat an die Nomu, gegen die ihre Heldenkollegen bereits gekämpft hatten.

"Sie waren zumindest ganz eindeutig hinter mir her. Diese Monster, Nomu wie du sagst, haben die anderen Lehrer und Schüler gänzlich ignoriert.", ergriff Nemuri wieder das Wort, was ihr einen besorgten Blick von Yu einbrachte. Die Dunkelhaarige überlegte weiter. "Inzwischen hat das Licht sich wieder beruhigt, aber als der Himmel sich vorhin violett verfärbt hat, hat es ausgesehen, als hätte sich mitten in der Luft eine Art Tor gebildet, aus dem die Kreaturen gekrochen sind. Denkst du, unsere Welten könnten vielleicht durch eine Art Wurmloch miteinander verbunden sein?" Kurz hielt die Lehrerin inne. "So verrückt sich das auch anhört. Aber was ist in den letzten Tagen bitte normal?"

Normalerweise mochte Nemuri Aktion, doch das, was in den letzten Tagen passiert war, war ganz eindeutig zu viel des Guten. Viel zu viel.

Yu zuckte währenddessen nur mit den Schultern. "Ich weiß es nicht, Nemuri. Ich weiß ja noch nicht mal, wie es möglich ist, das ich hier gelandet bin.", seufzte sie. "Aber es gibt mir wirklich zu denken, dass diese Nomu scheinbar ganz gezielt hinter dir her waren."

"DAS finde ich im Übrigen auch ziemlich beunruhigend.", murrte die Lehrerin. Schließlich steuerte sie eine Parktasche an.

"Wir halten an?", erkundigte Yu sich.

"Ja. Wir können nicht ewig so weiterfahren, aber wir sollten fürs Erste weg von der Straße und ich denke ich weiß, wo wir vorerst unterkommen können. Meine Wohnung tut es nicht, weil zumindest meine Kollegen wissen, wo ich wohne. Eigentlich haben diese Viecher mich nur verfolgt, trotzdem könnte ich mir vorstellen, dass die Polizei heute noch bei mir klingelt. Auf Erklärungen, die ich nicht liefern kann, habe ich im Moment wirklich keine Lust.", erklärte Nemuri.

Nachdem sie den Mini Cooper in die Parklücke gesetzt hatte, schaltete sie den Motor aus und öffnete die Tür. Yu tat es ihr gleich, doch bevor sie ausstieg, hielt Nemuri noch einmal inne.

"Ach, Kleine?", sprach sie ihre Begleiterin an, welche ebenfalls noch kurz sitzen blieb und sie abwartend ansah. "Danke übrigens für die Rettung. Ohne dich hätten die Nomu mich erwischt."

Für einen kurzen Moment stutzte die Profiheldin, dann grinste sie die Ältere an. "Gern geschehen. Das machen Helden so."

Schließlich stiegen die beiden Frauen aus dem Auto.



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