Kapitel 2
„Er hat dich was?“
„Gefragt, ob ich heute Abend Zeit habe.“
„Wow. Also hat er dich echt nach einem Date gefragt?“
Ungläubig sehen sowohl Aihara als auch Sasaki ihre Freundin an. Michimiya sitzt bei ihnen und knabbert auf ihren Fingernägeln.
„Ich hätte jetzt echt nicht erwartet, das das noch passiert“, stellt Aihara trocken fest.
„Was soll dass denn heißen?“, fragt ihre Freundin sofort mit gerunzelter Stirn nach.
„Na was wohl, Yui. Du bist schon seit der Mittelschule in Sawamura verliebt und er hat bis heute nicht anklingen lassen, dass er dich auch mehr als nur ein wenig mag.“
„Ach komm schon, Mao.“ Sasaki sieht diese mit gehobenen Augenbrauen an. „Er mag sie sehr wohl. Immerhin hat er ihr immer unter die Arme gegriffen und ihr geholfen. Er sagt ja selbst, dass sie Freunde sind, schon vergessen? Und immerhin hat er sie jetzt um ein Date gebeten, wenn auch erst recht spät.“
„Na gut, du hast ja recht, Chizuru. Lieber spät als nie.“
Michimiyas Blick huscht zwischen ihren Freundinnen hin und her. Sie erstarrt, als beide sie gleichzeitig ansehen.
„W-was?“, stottert sie. Und schon erhält sie ein breites Grinsen von ihnen.
„Was hat er denn mit dir vor?“ Sasaki legt ihren Kopf fragend zur Seite.
„I-ich weiß nicht. Er hat nur gefragt, ob ich heute Abend Zeit habe und ob ich etwas mit ihm machen will.“
„Wirklich? Gar keine Ahnung?“ Aihara wirkt überrascht. Auf ihre Frage schüttelt Michimiya ihren Kopf, ohne etwas zu sagen.
„Na gut, aber dann wissen wir zumindest, was wir jetzt zu tun haben.“ Aihara geht um ihre Freundin herum und legt dieser ihre Hände auf die Schultern, ehe sie sie anschiebt.
„Was denn?“, fragt diese über ihre Schulter.
„Na wir putzen dich heraus. Daichi Sawamura soll nach heute Abend nur noch daran denken, dass du das schönste Mädchen der Welt bist!“
~🏐~
Mit einem Druck seines Fingers auf die Türklingel unter dem Schild Michimiya betätigt Sawamura die Klingel. Kaum dass er seine Hand zurückgezogen hat, tritt er ein paar Schritte zurück und lässt seinen Blick zum Himmel hinauf gleiten. Es ist Februar, es wird zwar später dunkel als sonst, trotzdem ist jetzt um 19 Uhr bereits der Nachthimmel hereingebrochen. Doch bald ist es Frühling, danach Sommer. Und er freut sich darauf. Auch wenn es bedeutet, dass die Zeit noch weiter vorangeschritten ist. Als sich die Türe vor ihm öffnet, sieht er in diese Richtung. Ein Lächeln erscheint auf seinen Zügen, als er seine Klassenkameradin erkennt, dann legt runzelt er seine Stirn.
“Oh, Michimiya. Es tut mir leid, aber …”
~🏐~
Michimiya steht vor ihrem Spiegel und dreht sich hin und her. Sie trägt ein Wollkleid mit langen Ärmeln in einem dunkelroten Farbton, dazu eine schwarze Strumpfhose. Sehr hübsch und warm. Aihara und Sasaki haben beim aussuchen geholfen. Ihr Herz schlägt unglaublich schnell in ihrer Brust. Daichi Sawamura. Solange schwärmt sie schon von ihm und ihm scheint es nie klar gewesen zu sein. Doch jetzt, jetzt endlich ist es ihm klar. Vorher hatte sie sich noch überlegt, ob sie ihm ihre Adresse noch schicken sollte, aber er hatte sie schon früher mal nach Hause begleitet, gerade wenn sie in der Mittelschule noch spät unterwegs gewesen waren. Und das ist vermutlich einer der Gründe gewesen, weshalb sie sich in ihn verliebt hat.
Als die Türklingel ertönt, zuckt sie zusammen. Oh Gott, er ist da! Kurz darauf steht sie vor der Haustüre und zieht diese auf, während ihr Herz wie verrückt in ihrer Brust schlägt. Oh Gott, oh Gott, oh Gott! Und dann ist er da und sieht sie mit diesem unglaublichen Lächeln und seinen wunderschönen Augen an. Bis …
“Oh, Michimiya. Es tut mir leid, aber …”
Nein, bitte nicht. Bitte sag unser Date nicht ab! Bitte nicht! Bitte tue das nicht! Was soll sie jetzt machen? Kommt es doof, wenn sie sich vor ihm auf die Knie wirft und ihn anfleht? Okay, das würde vermutlich alles positive, das er vielleicht je über sie gedacht hat, kaputt machen. Von wegen selbstbewusste Kapitänin! Ehemalige versteht sich. Ganz im Gegenteil. Kleines Häufchen irgendetwas. Etwas, das man nicht einmal berühren will! Das schießt ihr im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf und ehe sie es verhindern kann, dringt ein leises und klägliches “Bitte sag nicht ab …” aus ihrem Mund.
Verwundert blickt Sawamura sie an, ehe er in seiner Tasche, die über seiner Schulter hängt, zu wühlen beginnt.
“Was? Warum sollte ich absagen? Nein”, er lacht leise, “ich wollte nur sagen, dass du dich vielleicht besser umziehen gehen solltest, denn sonst können wir schlecht spielen gehen.”
Erst jetzt bemerkt sie den Gegenstand, den er ihr entgegenhält. Einen Volleyball. Den scheint er aus seiner Tasche gezogen zu haben. Mit geweiteten Augen macht sie einen Schritt nach hinten.
“Oh … ähm …” Was? Volleyball spielen? Ist das hier etwa doch kein Date? Ihre Augen liegen unverändert weit aufgerissen auf ihm.
“Hast du … ähm, hast du keine Lust?” Unsicher lässt Sawamura den Ball wieder sinken und reibt sich mit einer Hand über den Hinterkopf. “Weißt du, ich habe dich in den letzten Tagen öfter gesehen, dass du irgendwie, ich weiß nicht, verloren gewirkt hast. Und, naja”, er lässt seine Hand von Hinterkopf ebenfalls sinken und legt sie ebenfalls um den Volleyball, “mir geht es auch so … oder zumindest geht es mir so. Und ich habe auch bemerkt, dass ich den Volleyball”, erneut hebt er ihn hoch, “vermisse. Ich dachte, vielleicht geht es dir ja auch so. Und deshalb dachte ich, warum spielen wir beide nicht ein paar Bälle zusammen. Wenn du natürlich keine Lust hast oder vielleicht sogar mit dem Fußball abgeschlossen hast, ist das für mich auch okay.”
Erneut nimmt Michimiyas Herzschlag, der vorher gestockt hat, zu. Er hat an sie gedacht? Sich um sie vielleicht sogar gesorgt? Und jetzt ist er hier? Deswegen? Ein Lächeln erscheint auf ihren Zügen, umrahmt von roten Wangen.
“Ich … ich gehe mich schnell umziehen, ja? Und gehe auf keinen Fall weg!”
Es scheint, als würde Anspannung von ihm abfallen. Erleichterung nimmt seine Züge ein.
“Auf keinen Fall!”
Schnell läuft Michimiya zurück ins Haus, die Treppe hinauf und zieht gleichzeitig ihr Handy heraus. Aiharas Nummer ist ganz oben in der Liste und schon wählt sie diese.
“Yui, was ist los?” Die Stimme ihrer besten Freundin klingt alarmiert.
“Ich … ich habe mich vertan.” Michimiya schluckt, während sie an ihren Kleiderschrank steht und sich ihr Kleid über den Kopf und anschließend die Strumpfhose die Beine hinab zerrt. Ihr Handy hat sie mit eingestelltem Lautsprecher in den Kleiderschrank gelegt.
“Worin vertan?”
“Er hat mich nicht um ein Date gebeten.” Erst jetzt dringt es zu ihr durch. Das hier, das ist kein Date. Schmerzhaft muss sie schlucken, kämpft gegen den Kloß in ihrem Hals an.
“Kein Date?”
“Ja …” Nun zittert ihre Stimme.
“Was will er dann von dir?”
“Er hat gesehen, dass es mir die letzten Tage nicht so gut ging und will ein bisschen Volleyball mit mir spielen, um mich aufzumuntern.” Langsam zieht Michimiya ihre Sportkleidung aus dem Kleiderschrank. Eine lange Hose und ein Sportshirt. Darüber noch eine Sportjacke mit langen Ärmeln. Sie weiß ja nicht, wo er spielen will. Vielleicht im Park? Da muss sie sich lieber wärmer als zu kalt anziehen.
“Oh Süße.” Aiharas Stimme klingt mitleidig. “Aber weißt du …”, gibt sie dann plötzlich aufgeregt von sich.
“Was?”
“Er hat sich Gedanken und anscheinend Sorgen um dich gemacht! Das hat auch etwas zu bedeuten! Und das bedeutet, du hast trotzdem noch eine Chance bei ihm!”
“Denkst du … denkst du das wirklich?” Hoffnung macht sich in Michimiya breit.
“Oh ja. Deshalb geh jetzt da raus zu ihm und genieße die Zeit einfach. Wenn er dich nicht mögen wird, wäre er nicht bei dir. Und da Gefühle auch noch wachsen können, ist es doch erst recht gut, dass du viel Zeit mit ihm verbringst, nicht wahr?”
“Das … das stimmt.”
“Natürlich stimmt das, immerhin habe ich immer recht. Also los, wiederhole: Mao hat immer recht.”
Ein Kichern entkommt Michimiya.
“Mao hat immer recht!”, wiederholt sie.
“Lauter!”
“MAO HAT IMMER RECHT!”
“Genauso. Und jetzt viel Spaß mit deinem nicht heimlichen Schwarm.”
“Manchmal bist du wirklich dumm.”
“Und du liebst mich trotzdem. Also bis morgen.”
Und als nächstes tönt ein langer Ton durch das Handy, das anzeigt, dass Aihara das Telefonat beendet hat. Mit einem Lächeln greift Michimiya danach und wirft es in ihre Tasche zurück. Sie ist wirklich froh und dankbar für ihre Freundin. Wo sie vor ein paar Minuten noch niedergeschlagen war, ist sie jetzt wieder voller Hoffnung. Und damit läuft sie wieder die Treppe hinunter und nach draußen, wo Sawamuras Blick auf ihr zu liegen kommt. Ein Lächeln erscheint auf ihren Zügen.
“Ich bin bereit. Wir können also gerne gehen.”
