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Prelude of Shadows

Die Team Shadow Chroniken
von

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Ronya − Akt 1, Szene 5

7 Jahre vor Team Shadows Gründung

 

Ronya gab den Versuch auf, sich auf den Band Fortgeschrittene Trainingsmethoden für Elektrotypen von Sybill Lordlinger zu konzentrieren und sah stattdessen aus dem Fenster. Regen peitschte gegen das Glas und lief in schmalen Strömen die Scheibe herab.

Seit sie sich vor einigen Tagen von ihrer Schwester losgesagt hatte, war Thea unerträglich geworden. Sie ließ Ronya endgültig nicht mehr in ihr Zimmer, hatte ihre Klamotten aus dem Fenster geworfen und schrie wie ein Kleinkind, wann immer ihre Mutter das Wort ergriff. Ronya hatte schnell aufgegeben und vergrub sich nun täglich in der geschlossenen Abteilung der Bibliothek, wo sie alle Bücher zum Thema Pokémontraining und -aufzucht verschlang, die ihr zwischen die Finger kamen.

Sie mochte keine Trainerin mehr werden können, aber sie hatte dennoch nicht vor, ihre Leidenschaft aufzugeben. Ihr blieb nur, sich mit der Theorie auseinanderzusetzen, bis Thea ihr nicht mehr gewachsen war.

„Schätzchen, da wartet jemand auf dich“, ertönte die Stimme der Bibliothekarin in dem Moment und riss Ronya aus ihren Gedanken. Sie sah auf. Die alte Frau winkte sie ungeduldig zu sich. Sie war die einzige, die Ronyas neuer Frisur keinerlei Beachtung geschenkt und sie auch sonst nicht kommentiert hatte. Für sie zählte nur, dass ein junges Mädchen unter ihrem Dach Bücher las und das genügte ihr. Ronya glaubte nicht, dass Mrs. Harving überhaupt ihren Namen kannte. Vom ersten Tag an war sie nur Schätzchen gewesen.

Als Ronya das Buch in dem wandhohen Regal verstaute—nicht ohne sich vorher die Seitenzahl für den nächsten Tag zu merken—schüttelte die Bibliothekarin traurig den Kopf.

„Wieder keine Ausleihe?“, fragte sie und trat zur Seite, um Ronya durch die Tür zu lassen.

„Ein andermal vielleicht“, log Ronya und folgte ihr die Treppen hinunter ins Foyer. Dort warteten bereits, wie verabredet, ihr Vater und Margret.

Margret teilte die tiefbraune Haarfarbe mit dem Rest der Familie Olith, doch da hörten die Gemeinsamkeiten auf. Der schmale Körperbau und die geringe Größe waren eindeutig von Darleens Seite gekommen, denn Marge war kräftig gebaut und voller Rundungen.

Ronya lief die letzten Stufen herab und ließ sich erst von ihrem Vater, dann von ihrer Tante in die Arme schließen.

„Deine Frisur ist der Wahnsinn“, sagte Margret ohne Umschweife. „Darf ich?“ Sie streckte eine Hand nach Ronyas Kopf aus, die geduldig nickte und ihre Haarstoppel befühlen ließ. „Wirklich großartig“, wiederholte Marge grinsend.

Ronya lächelte. Auch wenn sie die Entscheidung nicht aus ästhetischen Gründen getroffen hatte, war sie eitel genug, um das Kompliment zu genießen.

„Ich habe Marge gerade vom Hafen abgeholt“, erklärte Jacob, während sie die Bibliothek verließen und ihre Schirme zückten. Der Regen hüllte Fleetburg in einen grauen Schleier. Verschwommene Reflektionen in den Pfützen zerplatzten unter Ronyas Schuhsohlen und der salzige Wind war angenehm kühl auf ihrer Kopfhaut. „Sie wird ein paar Tage bei uns übernachten.“

„Ich störe hoffentlich nicht“, sagte Marge fröhlich, eindeutig in der Auffassung, dass das nicht der Fall sein würde.

„Wie geht es deiner Familie?“, fragte Ronya, um nicht völlig stumm zu bleiben.

„Oh, gut soweit. Martin hat einen neuen Job in Teak City gefunden, aber ich bin trotzdem regelmäßig in Dukatia City, um … eine alte Freundin zu besuchen. Sie ist wirklich alt.“ Sie überspielte das kurze Zögern mit einem Lachen.

Ronya nickte, aber sie spürte, dass hinter der Pause mehr steckte. Sie fragte nicht nach.

 

 

Darleen hatte sich an diesem Abend ins Zeug gelegt. Der Tisch ächzte förmlich unter all den Platten und Schüsseln, die sie im Esszimmer aufgetragen hatte. Thea saß bereits auf der Bank und schob mit ihrer Gabel die kleinen Kieselsteine umher, die ihre Mutter als Tischdekoration zwischen dem Geschirr verstreut hatte.

Als Ronya mit Jacob und Marge eintrat, warf Thea ihrer Schwester einen giftigen Blick zu. Ronya ignorierte sie. Ihre Worte im Park waren nicht gelogen gewesen. Sie konnte weder Mitleid noch Verständnis für Thea aufbringen. Alles an ihrer Art irritierte sie, untermalt von der Angst, dass Thea es doch irgendwie schaffen würde, ihre Macht über Ronya zurückzugewinnen. Bisher war es ihr nicht gelungen, aber Ronya wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war.

Das Abendessen verlief in friedlichen Bahnen, soweit das zwischen Theas Seitenhieben und Ronyas resolutem Schweigen möglich war. Marge, entgegen Ronyas Einschätzung ihrer Tante, bemerkte schnell, dass etwas nicht stimmte.

„Ihr zwei habt euch ja ganz schön verändert“, sagte sie, als Darleen mit Jacob in der Küche war, um das Dessert vorzubereiten. „Früher konnte man euch kaum auseinanderhalten.“

Ronya hat sich verändert“, sagte Thea verbittert. Sie hatte ihr Spiel mit den Steinchen wieder aufgenommen. „Sie ist jeden Tag weg und nimmt sich keine Zeit für mich.“

„Ich habe kein großes Bedürfnis danach, Zeit mit dir zu verbringen, wenn du mich aus meinem eigenen Zimmer aussperrst“, erwiderte Ronya zwischen zusammengebissenen Zähnen. Dass sie noch nie so gut geschlafen hatte, wie die gesamte letzte Woche im Gästezimmer, behielt sie für sich.

„Du bist schuld!“, fuhr Thea sie an. „Du willst nicht mehr meine Schwester sein, deshalb darfst du auch nicht mehr in unser Zimmer. Es war unser Zimmer, aber wenn du nicht mehr meine Schwester bist, dann gehört es dir auch nicht mehr.“

„Das ergibt keinen Sinn“, sagte Ronya, hielt dann aber den Mund. Marge sah sie beide mit gerunzelter Stirn an.

„Warum nimmst du Thea nicht mit in die Bibliothek?“, fragte sie.

Ronyas Kehle wurde trocken. Sie starrte Marge an, die gerade ihr wohlbehütetstes Geheimnis ausgeplaudert hatte. Die Hoffnung, dass Thea der Hinweis entgehen könnte, schwand in Sekundenschnelle.

„Du warst in der Bibliothek?“, fragte sie überrascht. „Aber ich war doch schon dort und habe nach dir gesucht!“

Dankbar, dass Mrs. Harving sich niemals Ronyas Namen gemerkt hatte, atmete sie erleichtert aus. Selbst, wenn Thea nach ihr gefragt hatte, wäre die Bibliothekarin ihr keine Hilfe gewesen.

„Außer …“, fuhr Thea leiser fort und riss plötzlich die Augen auf. „Du hast einen Ausweis, oder? Oder Ronya? Deswegen habe ich dich nicht gefunden, du warst in den gesicherten Bereichen! Oh, wie unfair!“

„Was ist unfair?“, fragte Darleen, die in dem Moment mit den Puddingschälchen ins Esszimmer trat.

„Ronya hat einen Bibliotheksausweis und ich nicht! Warum habe ich keinen bekommen?“, schrie sie, ohne Rücksicht auf Marge oder Ronya zu nehmen, die beide kreidebleich geworden waren, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Ronya sah ihre neugewonnene Freiheit dahinschmelzen. Ihr letzter Rückzugsort, ihre letzte Möglichkeit, ihre Leidenschaft zu verfolgen. Thea machte alles zu Nichte, so wie immer. Selbst Marge schien zu merken, dass sie in ein Bibornest getreten war. Sie warf Ronya einen entschuldigenden Blick zu.

„Du hast nie nach einem Ausweis gefragt“, erinnerte ihr Vater Thea ruhig. „Und jetzt setz dich wieder hin. In diesem Ton redest du weder mit deiner Schwester, noch mit dem Rest von uns, ist das klar?“

„Aber ich will auch einen Ausweis“, protestierte Thea sofort. „Ich will einen, sofort!“

„Warum?“, fragte Darleen. Der leidende Ausdruck in ihrem Gesicht erinnerte Ronya an das eine Mal, als sie auf dem Eis ausgerutscht war und sich den Knöchel verstaucht hatte. „Versuch doch einmal, dir selbst treu zu bleiben, Thea. Wann hast du jemals freiwillig ein Buch ausgeliehen? Wann hast du eigenständig etwas gelesen, das nicht Ronya gehörte?“

Thea verschränkte trotzig die Arme. „Ich will einen Ausweis.“

„Nein.“ Darleen blieb hart. „Ich werde dein Imitationsspiel nicht weiter unterstützen. Es zerbricht unsere Familie und treibt deine Schwester allmählich in den Wahnsinn. Wenn du ein Hobby gefunden hast, dass du für deine eigenen Gründe magst, die nichts mit Ronya zu tun haben, dann können wir weiterreden.“

Der Ausdruck auf Theas Gesicht war es Ronya beinahe wert, ihr Geheimnis auffliegen zu sehen. Der schiere Schock, einmal nicht das zu bekommen, was sie wollte, war köstlicher als jeder Pudding.

 

 

Wie Ronya erwartet hatte, floh Thea heulend die Treppen hinauf in ihr Zimmer, kaum dass das Essen offiziell beendet war. Unter normalen Umständen hätte Darleen darauf bestanden, dass ihre beiden Töchter zumindest einen Teil des Gespräches mit Marge beiwohnten, aber sie war klug genug, Thea nicht weiter in die Ecke zu drängen.

Die Unterhaltung folgte schon bald den Geschehnissen der letzten Woche. Ronya hörte nur mit halbem Ohr hin. Ihre Eltern kannten nur die Hälfte der Geschichte und was sie wussten, war Ronya längst ins Gedächtnis gebrannt. Als sie das Gefühl hatte, gehen zu können, ohne unhöflich zu sein, verabschiedete sie sich und verschwand schlurfend die Treppen hinauf.

Die Tür war verschlossen.

Es überraschte Ronya nicht, aber statt sich ins Gästezimmer zu schleichen und ein paar Stunden Schlaf zu stibitzen, bevor Marge zu Bett ging, lehnte sie sich an das Treppengeländer und starrte an die Decke.

Marge hatte Ronyas Lebensstil in Gefahr gebracht. Ihre Mutter hatte das Schlimmste abgewendet, aber es würde nicht lange dauern, bevor Thea sich irgendetwas einfallen ließ. Ihre Schwester war viele Dinge, aber nicht dumm. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie ihrem Vater im Halbschlaf eine Unterschrift abschwatzte, deren Verwendung er meist erst ein paar Tage später in Frage stellte. Wenn es darum ging, Ronya nachzuahmen, war Thea sehr einfallsreich.

Ronya seufzte und schlug ihren Kopf mehrmals gegen das Holzgeländer, um sich abzulenken. Spekulieren half nichts. Sie musste sich etwas einfallen lassen, kein Trübsal blasen. Konnte sie Mrs. Harving um Hilfe bitten? Ein unbenutzter Raum vielleicht, oder eine Warnung, wenn Thea kam? Die Bücher auszuleihen war ausgeschlossen, es sei denn, sie fand einen geheimen Ort, an dem sie ihre Schätze sicher aufbewahren und lesen konnte, ohne entdeckt zu werden.

Mit neu gefundener Entschlossenheit nickte sie zu sich selbst. Thea würde nicht die Überhand gewinnen. Sie wollte gerade einen Platz zum Schlafen suchen, da hörte sie von unten die Stimmen ihrer Mutter und Tante.

„—weiß wirklich nicht mehr, was ich noch tun soll“, sagte Darleen in gedämpfter Stimme. Ronya hielt in ihrer Bewegung inne und ging stattdessen neben dem Geländer in die Hocke. Sie presste ihr Gesicht gegen die Stäbe, konnte aber nicht an der Wand vorbei in den Flur sehen. „Ronya ist kaum noch zu Hause und Thea weint den ganzen Tag oder lässt ihren Frust an uns aus. Wenn das so weiter geht, geht eins meiner beiden Mädchen daran kaputt. Höchstwahrscheinlich beide, so wie sich die Dinge gerade entwickeln.“

Ronya runzelte die Stirn. Sie hatte ihre Mutter noch nie so direkt reden hören, schon gar nicht über ihre Ängste. War das ein Blick in die wahren Gefühle ihrer Mutter, die sie nur mit anderen Erwachsenen teilen konnte? Sie war nicht sicher, wie sie sich dabei fühlte, so mit ihrer Tante besprochen zu werden.

„Ich kann verstehen, dass du eine schwierige Phase durchmachst, Darleen“, sagte Marge leise. „Aber du machst einen tollen Job. Kinder in dem Alter sind nicht leicht zu handhaben, und du hast dich heute gut geschlagen.“

„Es ist einfach so frustrierend …“ Die Stimme ihrer Mutter war heiser. „Ich will meine beiden Mädchen glücklich sehen, nicht in diesem Machtkampf. Ich bin ihre Mutter, ich sollte dafür sorgen, dass sie ihren Träumen folgen können. Stattdessen muss ich mit ansehen, wie Ronya alles aufgibt, was sie liebt, während Thea nicht weiß, wer sie eigentlich ist oder was sie will.“

„Vielleicht kann ich helfen“, sagte Marge. „Ich habe dir doch von meiner Bekannten in Dukatia City erzählt —“

Ronya floh in das Gästezimmer und warf sich auf das Bett. Sie wollte es nicht hören. Sie hatte mit ihrem Traum abgeschlossen, sie würde sich keine neue Hoffnung machen lassen. Marge konnte unmöglich ihr Versprechen halten, egal was sie ihrer Mutter jetzt sagte.

Morgen würde sie ihr eigenes Leben in die Hand nehmen. Sie hatte viel zu tun.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kerstin-san
2022-04-17T16:24:39+00:00 17.04.2022 18:24
Hallo,
 
ich hatte mir ja schon gedacht, dass Ronya ihr neues, zweites Zuhause nicht ewig vor Thea geheimhalten kann, aber es ist natürlich sehr ärgerlich, dass ihre Tante versehentlich damit herausplatzt und Thea jetzt genau weiß, wo Ronya sich immer herumtreibt.
Generell wirkt Margret hier wesentlich zugänglicher als in AA, aber das liegt sicherlich zum Teil auch daran, dass ihr Abby wie ne naseweise Göre vorkam und na ja, dass sie hier bei ihrer Familie ist.
 
Prinzipiell finde ich es gut, dass Margret den Elefanten im Raum direkt anspricht (sie kann ja nicht ahnen, in was für ein Wespennest sie da sticht), weil sie damit sowohl Thea als auch Royna die Gelegenheit gibt, ihre Sicht der Dinge zu schildern. Und ich finde es auch gut, dass Darleen hier mal klipp und klar sagt, was sie von Theas anhänglicher Art hält und dass sie dem Grenzen setzt. Das muss für sie eine sehr schwierige Situation sein, weswegen ich total verstehe, dass sie später mit Margret nochmal drüber spricht. Ich nehme nicht an, dass sie das bisher groß mit irgendwelchen anderen Erwachsenen debattiert hat (es wirkt jedenfalls nicht so, als hätte sie sowas wie eine beste Freundin, mit der sie darüber reden kann) und die Perspektive und Ratschläge eines Außenstehenden sind da bestimmt sehr hilfreich.
 
Man merkt, wie sehr Ronya immer noch von der Furcht umhergetrieben wird, dass Thea es irgendwie schafft sich wieder in ihr Leben zu drängen und sie weiter zu kopieren und dass sie immer auf der Hut und Thea quasi zwei Schritte voraus sein muss. Momentan denke ich wirklich, dass sie so schnell wie möglich versuchen wird, ihr Elternhaus zu verlassen, um Thea so endgültig abzuschütteln. Ist das vlt. auch mit ein Grund, warum sie sich später gegen das Orden sammeln entscheiden wird? Weil das zu viel Aufmerksamkeit auf sie und ihre Reiseroute lenken könnte und man mit genügend Recherche herausfinden könnte, wo sie schon überall gewesen ist?
 
Liebe Grüße
Kerstin
Von:  Lady_Ocean
2022-04-17T04:54:05+00:00 17.04.2022 06:54
Die Bibliothekarin ist ja toll. Ich stell mir unter ihr eine etwas gesetzte Frau mittleren Alters (vielleicht um die 50) vor, mit viel Lebenserfahrung und einem ruhigen Gemüt (das "Schätzchen" würde auch gut dazu passen). Hat Ronya als ruhiges, Bücher liebendes Mädchen kennengelernt und sie gleich ins Herz geschlossen. Ihren Namen kennt sie bestimmt, schließlich muss Ronya oft genug ihren Ausweis vorzeigen, z. B. um in das geschlossene Zimmer zu kommen. Aber Name und Herkunft bedeuten ihr nichts, wichtig ist nur die Person. Sicher wird sie sich ihren Teil gedacht haben, als Ronya plötzlich mit geschorenem Kopf ankam, aber sie wird sich sicher ihren Teil gedacht haben, dass Ronya Probleme hat, wenn sie plötzlich zu solch drastischen Mitteln greift, und dass es dem Mädchen sicher nicht hilft, wenn sie nachbohrt und mit ungebetenen Ratschlägen kommt. Und Ronya tut diese Art der Behandlung wirklich gut.
Und auch die Tante ist super! :D Herrlich, wie sie auf Ronyas neue Frisur reagiert hat. XD Der Vater wird wahrscheinlich schon ein bisschen was dazu gesagt haben, bevor sie angekommen sind. Aber auch wenn nicht, scheint die Tante ja ein sehr positiver Mensch zu sein, die sich durch nichts so leicht erschrecken lässt. Dass sie Ronyas neue Frisur so richtig im Positiven kommentiert hat (mal durch die kurzen Stoppeln fahren wollen und dann sagen, dass das "der Wahnsinn" ist), gibt Ronya auch viel Rückhalt und stärkt ihr Selbstbewusstsein, ihre eigene Identität. Als Tante hat sie eine gute Position: Sie kennt die Kinder und die Eltern, ist aber nicht so eng mit der Familie verbunden, dass sie so tief in der Innenperspektive gefangen ist wie die Betroffenen (speziell Mutter und Kinder). Aufgrund dieser Betroffenheit kann Darleen auch nicht mit Ronya darüber reden, denke ich. Thea ist für solche Gespräche eh zu kindisch und zu ignorant. Sie kann sich nicht gut in andere hineinversetzen und würde das kein Stück nachvollziehen können. Ronya ist hingegen zu sensibel und es besteht die Gefahr, dass der Schmerz und die Angst ihrer Mutter sie so sehr mitnehmen, dass sie wieder versucht, sich selbst unterzuordnen, zu opfern, nur damit ihre Mutter nicht mehr unter der Situation leiden muss. Und daran würde Ronya selbst nur noch weiter zerbrechen, was auch absolut nicht sein darf.
Ich denke, es ist auch ganz gut, dass die Mutter Thea mit dem Verschließen des Zimmers gewähren lässt. Das bringt zusätzlichen Abstand zwischen die zwei und den brauchen sie eigentlich beide im Moment. Die Mutter hat es gegenüber der Tante sehr schön auf den Punkt gebracht, finde ich: Ronya verliert alles, was sie ausmacht, und Thea hat keine Ahnung, wer sie selbst überhaupt ist. Ohne einen gewissen Abstand zu Ronya wird Thea wahrscheinlich nie einen Ansatz finden, um diese Selbstfindung in Gang zu setzen. Und Ronya wird sich ebenfalls nicht frei entfalten können, wenn Thea ihr weiterhin alles streitig machen will, was ihr etwas bedeutet. Ich gebe aber Ronya recht, dass man sich bei Thea weiterhin darauf gefasst machen muss, dass bald weitere Racheschläge kommen. Dass sie bald wieder anfängt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, um Ronya wieder auf irgendeine Art ihre Freiheit zu nehmen. Das mit dem Bibliotheksausweis ist eine Möglichkeit. Dass sie selbst versucht, irgendwie an einen ranzukommen. Oder dass sie guckt, wo Ronya ihren hat, um ihn ihr wegzunehmen. Aber auf jeden Fall wird es für Thea künftig sehr schwer sein, Ronya weiter zu beeinflussen, denn jetzt, wo sie Theas Absichten erst mal durchschaut hat, hat sie eine dicke emotionale Mauer um sich hochgezogen und sich kompromisslos fürs Kämpfen entschieden. Da sind momentan keinerlei geschwisterliche Gefühle für ihre Schwester, kein Funken der Hoffnung, dass Thea es vielleicht nicht so meint und sie einfach aus übertriebener Geschwisterliebe handelt. Sprich da ist einfach gar nichts, was bei weiteren Konfrontationen oder Annäherungsversuchen dazu führen könnte, dass Ronya entweder nachgibt oder Angst bekommt.
Aber die Angst davor, dass sie ihre eigene Identität wieder verliert, hat richtig fest Wurzeln geschlagen. Ich glaube, bis sie die wieder los wird, wird es eine ganze Weile dauern und viel Kraft benötigen. Thea hat ihr einfach über so lange Zeit alles genommen, womit Ronya sich als eigenen Menschen identifizieren konnte. Daher könnte ich mir gut vorstellen, dass ähnliche Selbstzweifel an sich auch später, wenn sie auf ihrer Trainingsreise unterwegs ist, auch immer mal wieder aufbrechen könnten, wenn ihr von außen Zweifel herangetragen werden. Z.B. wie sie sich mit ihrer "verstümmelten" Frisur nach draußen trauen kann. Dass sie nicht das Zeug zur Trainerin hat und sich lieber irgendwas suchen soll, was zu ihr passt. Dass sie keine Ahnung davon hat, was sie tut. Giftige Menschen gibt es ja leider überall. Und ich denke, solcherlei Kommentare würden Ronya ganz empfindlich treffen, auch wenn sie von Außenstehenden kommen.

Aber noch mal zur Tante: Ich ahne, was ihre Idee ist. Sie kommt bestimmt an ein Evoli in Dukatia City ran! :D Sag mal, das Evoli von Abby, Priss, hatte das nicht auch irgendwie Verbindungen nach Dukatia City? War das nicht so, dass sie irgendwie mitbekommen hatte, dass Ronyas Folipurba und Priss Geschwister sind?
Antwort von:  yazumi-chan
17.04.2022 10:42
Ich empfehle zum Nachschlagen Kapitel 102 in AA ;) Gut aufgepasst!
Antwort von:  Lady_Ocean
17.04.2022 12:28
Da war's! Tatsache. :D Na ja, ich hatte AA letztes Jahr fast komplett noch mal gelesen, daher sind mir solche Details grad z. T. wieder in Erinnerung. ^^ Und Abby hat sogar direkt erwähnt, dass Ronya Max von ihrer Tante bekommen hat. Na dann haben wir ja schon die komplette Auflösung. XD


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