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Mein Weg zu Dir

von

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Mimi

Ich sitze im Blue Bottle Café und rühre gedankenverloren in meinem Latte Macchiato rum. Draußen ziehen dichte Wolken vorbei und ich denke, es wird bald Regen geben, mal wieder. Das Wetter spiegelt in letzter Zeit meinen Gemütszustand sehr gut wieder. Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Bereits fünf Minuten zu spät. Das werde ich meiner perfektionistischen Mutter so was von aufs Brot schmieren.

Oder … lieber doch nicht. Schließlich will ich etwas von ihr und das ist nicht gerade wenig. Ich sollte mich wenigstens ein bisschen zusammenreißen.

Als hinter mir die Tür zum Café aufgeht und ich Stöckelschuhe höre, die in meine Richtung kommen, weiß ich sofort, dass sie es ist. Ich sehe nicht zuerst in ihr Gesicht, als sie an meinem Tisch stehen bleibt, sondern runter auf ihre Schuhe.

»Nur du trägst hochschwanger noch High Heels, Mom.«

»Sei nicht albern«, antwortet sie und setzt sich mir gegenüber. »Ich bin nicht hochschwanger. Das dauert noch einige Monate. Zum Glück.«

Ich grinse, weil sie keinen Hehl daraus macht, dass sie zu den wenigen Frauen gehört, die nicht gerne schwanger sind. Man wird nur dick und unbeweglich, hatte sie neulich beim Arzt zu mir gesagt. Typisch für sie.

»Danke, dass du gekommen bist«, beginne ich das Gespräch so förmlich, als wäre es ein Bewerbungsgespräch. Aber meistens fühlen sich die Gespräche mit meiner Mom auch genauso an.

»Ich bin froh, dass du angerufen hast«, sagt sie und greift über den Tisch nach meiner Hand, die ich ihr sofort wieder entziehe. Auch sie zieht ihre Hand wieder zurück und setzt sich stattdessen noch etwas aufrechter hin, während ich verlegen aus dem Fenster sehe.

»Ich habe dich wegen Dad angerufen«, erkläre ich und höre auch schon ihr Stöhnen.

»Oh Mimi, bitte nicht …«

»Jetzt hör mir doch erst mal zu«, entgegne ich forsch, senke aber gleich wieder die Stimme, weil die Kellnerin an unseren Tisch kommt. Mom bestellt sich einen Tee, dann rede ich weiter.

»Ich finde, du könntest etwas offener für seine Belange sein, nachdem, was du ihm angetan hast.«

»Oh Gott«, entgegnet Mom, als wär ich nicht ganz dicht und streicht sich eine Ponysträhne aus dem Gesicht. »Ich dachte, du willst über dich reden, über uns, über deine Zukunft.«

»Das bin ich leid«, gebe ich offen zu, weil es die blanke Wahrheit ist. »Wir wissen doch inzwischen beide, dass du nicht mit meinem Leben einverstanden bist, so, wie ich es führe.«

»Und du?«, wirft sie fragend ein. »Willst du mir etwa sagen, du bist damit zufrieden, so wie es läuft?«

Die Kellnerin bringt ihren Tee und wir beide sehen sie an, wissend, dass sie genau das meint. Mein Leben als eine Angestellte, eine Bedienstete.

»Das habe ich nie behauptet. Aber du gibst mir auch keine Möglichkeit, um es herauszufinden. Egal …« Ich winke ab. »Deshalb bin ich wirklich nicht hier und wenn du mir jetzt eine Moralpredigt über meinen Job oder meinen Freund halten willst …« Ich sehe, wie sie bei dem Gedanken an Matt hart schluckt. Mir egal, nur zu gern lasse ich sie in dem Glauben, dass Matt und ich ein Paar wären. » … dann gehe ich besser gleich wieder. Deine Entscheidung.«

Mom verdreht die Augen. Das kann sie mindestens genauso gut wie ich. Immerhin eine Gemeinsamkeit. Dann lehnt sie sich in ihrem Stuhl zurück, die Arme vor der Brust verschränkt und die Brauen herausfordernd gehoben.

»Schön. Dann reden wir eben über deinen Dad. Was willst du wissen?«

»Wusstest du, dass er aus dem Haus ausziehen muss?« Ich frage sie ganz direkt. Sie verzieht keine Miene.

»Ja, das wusste ich.«

»Und, ist dir das egal?« Vorwurf schwingt in meiner Stimme mit. Ich weiß genau, dass sie ihn nach wie vor im Stich lässt.

»Was erwartest du von mir, Mimi?«, antwortet Mom lediglich. Wut steigt in mir auf. Ja, was erwarte ich eigentlich noch von ihr?

»Ich kann dir sagen, was ich von dir erwarte«, sage ich und lehne mich weit nach vorne über den Tisch. Jetzt wird es interessant. »Ich will von dir, dass du ihm eine neue Wohnung beschaffst. Zwei Zimmer, Küche, Bad. Bezahlbar, natürlich.«

Ihr klappt der Mund auf und sie sieht mich empört an, als hätte ich den Verstand verloren.

»Du machst Witze, Mimi. Bist du betrunken?«

»Nein und es kommt noch besser.« Ein fast schon teuflisches Grinsen legt sich auf meine Lippen und ich muss aufpassen, dass ich es nicht zu weit treibe mit meiner Überheblichkeit. »Du wirst ihm die Wohnung bezahlen, bis er seine Therapie abgeschlossen hat und sich einen neuen Job gesucht hat.«

Sie lässt die Arme sinken, während sie fassungslos die Augen aufreißt.

»Sag mal, bist du von allen guten Geistern verlassen?«, entgegnet sie vorwurfsvoll. »Wieso sollte ich das tun?«

Entspannt lehne ich mich zurück und nehme einen Schluck von meinem Getränk. »Du brauchst einen Grund? Ich gebe dir einen Grund«, sage ich und lasse sie dabei nicht aus den Augen - wie eine Schlange ihre Beute. Keine Ahnung, woher ich den Mut nehme, so mit ihr zu reden. Aber es ist längst überfällig.

»Grund Nummer eins …« Ich halte einen Finger in die Höhe. » … du hast dich Dad gegenüber echt mies benommen und das nicht nur ein mal. Das hat er nicht verdient und deshalb wirst du zumindest versuchen, das wieder gut zu machen. Sieh es als eine gute Gelegenheit, um dein Karma aufzubessern. Nummer zwei …«

Mom ist so von den Socken, dass sie gar nicht weiß, wie ihr geschieht, aber ich sehe, wie ihre Halsschlagader pulsiert. Innerlich tobt sie. Wären wir nicht in einem Café, hätte sie mir schon längst eine Szene gemacht. Aber sie lässt mich ausreden.

» … du wirst es für mich tun. Für deine Tochter, die du über alles liebst, das hoffe ich zumindest. Du wirst dich mit dieser Geste dafür bedanken, dass ich für ihn da war, als er dir völlig egal wurde. Du wirst dich dafür entschuldigen, dass du ausgezogen und mich allein gelassen hast, mit diesem ganzen Scherbenhaufen hinter dir. Und Grund Nummer drei …« Ich sehe sie gleichgültig an und zucke mit den Schultern. » … du hast genügend Geld. Es sollte dich also nicht kratzen.«

Kurz entgleisen meiner Mutter die Gesichtszüge, nachdem ich meine kurze Rede beendet habe. Doch dann fängt sie sich wieder, typisch. Sie räuspert sich, während sie ein paar Mal blinzelt. Dann sieht sie mich mit ihrem strengen Mom-Blick an.

»Du bist dreist, Mimi. Richtig unverfroren.«

»Danke, das habe ich von dir.« Meine Mundwinkel zucken und ich weiß, dass ich sie fast habe.

»Du verlangst ziemlich viel«, sagt sie, greift nach ihrem heißen Tee und nippt daran.

»Nur so viel, wie du geben kannst. Und ich weiß, dass du es kannst. Möchtest du nicht dein Gewissen rein waschen?«

Sie sieht lächelnd an die Decke. »Das würde voraussetzen, dass ich ein schlechtes Gewissen hätte.«

Ich beiße mir auf die Unterlippe und beginne unruhig mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln.

»Gut, Mimi«, entgegnet Mom und lehnt sich ebenfalls geschäftig nach vorne. »Wir können einen Deal machen.«

Interessiert sehe ich auf. »Welchen Deal?«

Ein Grinsen schleicht sich auf ihre Lippen. Hätte mir ja klar sein müssen, dass sie nicht einfach so einwilligt.

»Ich tue, was du verlangst«, schlägt sie vor und legt den Kopf schief. »Ich suche eine Wohnung für deinen Dad, bezahle die Kaution und die Miete, bis er wieder auf eigenen Beinen steht. Weißt du was? Ich komme sogar für die Umzugskosten auf. Wenn es sein muss, fahre ich ihn auch höchstpersönlich zu seiner Therapie.«

Meine Augen verengen sich zu zwei schmalen Schlitzen und ich sehe sie misstrauisch an.

»Wo ist der Haken?«

Sie grinst noch breiter. »Dafür machst du mit deinem Freund Schluss!«

Ich falle fast vom Stuhl - vor Lachen!

»Was, mit Matt?«

Sie nickt. Und der Ausdruck auf ihrem Gesicht wirkt siegessicher.

»Man«, erwidere ich und schüttle den Kopf. »Er muss dir echt ein Dorn im Auge sein, wenn du sogar so weit gehst.«

Mom zuckt nur belanglos mit den Schultern. »Das ist eben mein Angebot. Was du tust, liegt bei dir. So oder so, ich kann nur gewinnen.«

Richtig. Das habe ich bereits erkannt. Entweder ich werde Matt für sie los, damit ihre Tochter nicht mit einem Musiker verkehren muss oder sie wird meinem Dad nicht helfen. Beide Enden gehen zu ihren Gunsten aus.

Herzlich Willkommen im Kopf meiner Mutter.

Was für ein durchtriebenes Miststück sie doch sein kann.

»Fein«, sage ich und leere mein Getränk in einem Zug. »Ich tue es.«

Kurz wirkt sie überrascht. »Wirklich? Du machst mit ihm Schluss?«

»Jepp!«

»Einfach so?«

Erstaunt sieht sie mich an, während ich nur in mich rein grinsen kann. Sie hat keine Ahnung, dass Matt gar nicht mein fester Freund ist, sondern dass ich nur mit ihm geschlafen habe. Und das auch nur ein mal. Sie denkt sie gewinnt. Ich lasse sie nur zu gern in dem Glauben, wenn ich Dad damit helfen kann.

»Das hätte ich offen gestanden nicht erwartet«, gesteht sie mir, als ich mein Geld aus der Tasche krame.

»Tja, was soll ich sagen?«, antworte ich triumphierend. »Blut ist eben dicker als Wasser. Dachtest du, ich stelle irgendeinen Typen über das Wohl meines Vaters? Ich bin nicht …«

Nicht wie du. Das wollte ich sagen, doch die Worte bleiben mir im Halse stecken. Ich will nicht, dass sie es sich noch mal anders überlegt. In dem Moment klingelt mein Handy und ich bin mehr als dankbar für die Unterbrechung.

Ich schaue aufs Display.

Es ist Matt.

Ausgerechnet jetzt.

Ich hebe ab.

»Hey, Matt«, begrüße ich ihn absichtlich mit Namen, woraufhin meine Mom wie erwartet aufsieht. »Warum hast du keine meiner Nachrichten beantwortet?«

»Hey, tut mir leid«, sagt Matt. »Ich habe anscheinend mein Ladekabel verloren. Es muss wohl Beine bekommen haben und weggelaufen sein. Mein Handy war die letzten Tage aus.«

Oh, shit! Daran habe ich ja gar nicht mehr gedacht. Als Tai mich in der Wohnung überrascht hat, habe ich schnell nach Matts Ladekabel gegriffen und es eingesteckt - und nie zurück gebracht. Ich war mit den Gedanken ganz woanders.

»Egal, der Grund, warum ich anrufe ist …«, redet Matt einfach weiter und lädt mich daraufhin zu seinem Konzert heute Abend ein. Ich werfe meiner Mom einen Blick zu, die auf irgendwas zu warten scheint. Denkt sie, ich mache hier und jetzt am Telefon Schluss? Erwartungsvoll sieht sie mich an und ich stöhne.

Oh Gott, erlöse mich von dem Bösen.

»Matt, hör mal«, sage ich und rutsche dabei unruhig auf meinem Stuhl hin und her, um ihr den Eindruck zu vermitteln, dass mir das gar nicht so leicht fällt. »Ich denke nicht, dass ich heute zu deinem Konzert kommen kann und um noch deutlicher zu werden: ich denke auch nicht, dass wir zusammenpassen.«

»Okaaay?« Matt klingt eindeutig verwirrt, was mich aber nicht aus dem Text bringt.

»Jaah, mir tut es auch leid. Ich weiß, du wirst ganz sicher eine andere finden. Eine Bessere.«

Vorwurfsvoll und mit verschränkten Armen wirft mir meine Mutter einen eindeutigen Blick zu.

Oh, schon klar.

»Ich meine natürlich … ich bin nicht eines deiner billigen Flittchen. ICH werde etwas Besseres finden. Ich mache mit dir Schluss, verstanden?«, sage ich eine Spur arroganter.

»Mimi, gehts dir nicht gut?«, fragt Matt jedoch nur irritiert, woraufhin ich theatralisch aufseufze.

»Verstehst du nicht? Wir können uns nicht mehr treffen. Ich weiß, das fällt dir nicht leicht, aber: es ist vorbei. Versteh das doch. Ich wünsche dir noch ein schönes Leben. Mach's gut, Matt.«

Dann lege ich auf. Kurz und schmerzlos.

Gott, der Arme. Seit wann bin ich so mies zu Männern?

»Das hast du gut gemacht, Kind. Ich bin stolz auf dich«, sagt meine Mutter und tätschelt mir die Hand, als wäre ich ein kleines Kind, dass eine Eins in Mathe geschrieben hat. »So ist es das Beste. Er war nicht der Richtige für dich. Er ist unter deiner Würde.«

»Wie recht du doch hast, Mom.« Ich stehe auf und ziehe meine Jacke an. »Also, da ich mein Versprechen bereits eingelöst habe, bist du nun an der Reihe. Und kein Wort zu Dad. Er würde dein Geld niemals annehmen, dafür ist er viel zu stolz. Wir können es als die Wohnung eines Kollegen von mir verkaufen, der mir noch einen Gefallen schuldet. In Ordnung?«

»Du kannst dich darauf verlassen«, entgegnet Mom zustimmend und ich verabschiede mich.

Gleich, nachdem ich das Café verlassen habe, schreibe ich Matt eine Nachricht, dass ich gerne zu seinem Konzert komme. Er antwortet nicht, aber das erwarte ich nach der Nummer auch gar nicht.

Ich habe bekommen, was ich wollte.
 

Als ich drei Stunden später im Club auftauche, wo Matt und seine Band heute Abend auftritt, ist es bereits dunkel. Er hat mir nicht einmal die Adresse geschickt, die musste ich über Google raussuchen. Habe ich ihn wirklich so verschreckt? Ein wenig peinlich ist es mir ja schon, aber … was sollte ich machen? Ich hatte schließlich keine andere Wahl. Und der Zweck heiligt schließlich die Mittel. Zumindest in diesem Fall.

Der Club ist schon gut gefüllt und die Stimmung ausgelassen. Perfekt! Genau das, was ich brauche, um heute meinen Sieg zu feiern. Ich suche den Clubbesitzer, einen ziemlich kleinen, rundlichen Mann und überzeuge ihn, dass ich eine Freundin von Matt bin, aber erst, als er sich bei den Jungs rückversichert hat, lässt er mich nach hinten gehen.

Auf dem Flur kommt mir Tatsuya entgegen.

»Ach, hey Mimi, du bist es«, begrüßt er mich lachend und ich runzle die Stirn.

»Ja, wen hast du erwartet?«

»Na ja, der Typ vom Club meinte, dass da eine hübsche Brünette draußen steht, die zu uns will. Ich hatte keine Ahnung, dass du es bist, aber hübsch und brünett wollte ich mir nicht entgehen lassen.«

Ich lache und schlage ihn gegen den Oberarm. »Du bist blöd. Ist Matt da? Ich wollte zu ihm.«

»Ja, klar willst du das. Wieso wollen alle hübschen Mädchen immer nur zu ihm?«

Ich lege den Kopf schief und schenke ihm einen fragenden Blick, woraufhin er gespielt verletzt aufseufzt.

»Er ist dort hinten, letzte Tür rechts.« Er deutet mit dem Finger hinter sich, bevor ich mich bei ihm bedanke und nach hinten gehe.

Kurz vorher geht die Tür zu seinem Zimmer auf und ich sehe, wie eine junge, hübsche Frau raus kommt. Ich halte inne und mustere sie, als sie die Tür hinter sich schließt. Sie ist sicher Mitte 30 und extrem attraktiv. Eine schlanke Figur, lange, schwarze Haare, helle Haut und lange Beine, die durch ihr kurzes, schwarzes Kleid und den High Heels sehr gut zur Geltung kommen. Sie sieht super elegant aus und wirkt in diesem Club irgendwie fehlplatziert.

Als sie sich zu mir umdreht und mich erblickt, stutzt sie für einen Moment. Dann kommt sie direkt auf mich zu und nun bin ich es, die sich wundert.

»Du musst Mimi sein.«

Überrascht sehe ich sie an. Woher kennt sie meinen Namen?

Sie legt den Kopf schief und ein hübsches Lächeln umspielt ihr makelloses Gesicht. »Matt hat mir erzählt, dass du kommst.«

»Du kennst Matt?«, frage ich frei heraus, weil es mir ein wenig abwegig vorkommt, dass die beiden befreundet sind. Aber eine seiner Liebschaften kann es auch nicht sein, denn sie passt so gar nicht in sein Beuteschema. Oder genauer gesagt: er wird vermutlich nicht in ihres passen. Sie wirkt so reif, erwachsen und vornehm.

»Nur flüchtig«, antwortet sie lächelnd und streicht sich eine ihrer langen, schwarzen Haarsträhnen hinters Ohr. »War schön, dich mal kennenzulernen.« Sie geht an mir vorbei, während ich nur verdutzt nicke und ihr hinterher starre. Selbst ihr Gang ist elfengleich.

Selbst ermahnend schüttle ich den Kopf. Nein, definitiv zu schick für Matt.

Ich löse mich aus meiner Starre und klopfe an die Tür. Von innen ertönt Matts Stimme.

»Herein.«

Vorsichtig öffne ich die Tür und schlüpfe hinein ins Zimmer. Matt sitzt auf einem Stuhl vor einem Schminktisch und stimmt gerade seine Gitarre. Als er mich bemerkt, sieht er mich durch den Spiegel hindurch an.

»Ach, sieh einer an. Die Verrückte ist gekommen. Und das, obwohl wir doch vorhin Schluss gemacht haben.«

Ein amüsiertes Grinsen ziert seine Lippen, woraufhin ich demonstrativ die Augen verdrehe.

»Wer war diese Frau eben?«, frage ich direkt anstatt einer Begrüßung, weil ich doch neugierig bin.

Ich sehe, wie Matt’s Spiegelbild eine Augenbraue in die Höhe hebt, als hätte er nicht mit dieser Frage gerechnet.

»Sie ist nur die Frau des Besitzers und wollte wissen, ob alles in Ordnung ist.«

Nun bin ich es, die andächtig eine Augenbraue in die Höhe zieht, weil es mir doch recht absurd vorkommt, wenn ich an den kleinen, dicklichen Mann von eben denke. Aber gut, wo die Liebe hinfällt.

»Erzähl mir lieber, was das vorhin für eine komische Aktion war?«, fragt Matt, während er sich wieder seiner Gitarre widmet. »Bist du schizophren geworden? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir je zusammen waren. Ergo können wir auch nicht Schluss machen.«

Ich gehe auf ihn zu. »Ja, vielleicht. Vielleicht habe ich meinen Verstand verloren. Vielleicht habe ich eine gespaltene Persönlichkeit. Die eine Hälfte von mir möchte überhaupt nichts mit dir zu tun haben, aber die andere ist wie besessen von dir.«

Matt hebt den Kopf, sieht mich durch den Spiegel hindurch an und stellt dann die Gitarre zur Seite. Er steht auf und kommt auf mich zu.

»Wenn du mich fragst, ist das gar nicht so weit hergeholt.«

Ich lache auf, nur, um im nächsten Moment abrupt zu stoppen, weil er mir plötzlich viel zu nah kommt. Er beugt sich zu mir runter und haucht mir einen Kuss auf die Wange, bevor er in mein Ohr flüstert: »Und welche Mimi steht gerade vor mir?«

Ich räuspere mich, versuche, die Hitze zu unterdrücken, die sich bereits jetzt einen Weg durch meinen Bauch an die Oberfläche bahnen will. Nach wie vor hat er diese Wirkung auf mich. Seltsam. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass der Zauber verfliegt, sobald ich ihn ein Mal gehabt habe. Aber eigentlich hat es das nur noch schlimmer gemacht. Um mich nicht zu verraten, trete ich schnell einen Schritt zurück und ziehe stattdessen das Ladekabel aus der Tasche, um es ihm vor die Nase zu halten.

»Definitiv Mimi Nummer eins«, sage ich. Matt schenkt mir ein Grinsen, tritt dann jedoch ebenfalls zurück und greift nach dem Kabel.

»Du bist eine gemeine Diebin, ich hoffe, du weißt das.«

»Tut mir leid«, entgegne ich und falte die Hände vor meinem Gesicht. »Ich hatte keine andere Wahl. Tai tauchte neulich auf, als wir … ich meine, nachdem wir … du weißt schon. Und da musste ich mir schnell eine Ausrede einfallen lassen.«

Fragend zieht Matt eine Braue hoch. »Tai war an dem Morgen da? Das habe ich gar nicht mitbekommen.«

»Nein, du hast ja auch geschlafen. Er hat mich ziemlich überrumpelt, aber ich denke, er hat nichts gemerkt.«

Gott bewahre. Allein bei dem Gedanken daran wird mir ganz schlecht. Allerdings habe ich Tai seitdem nicht mehr gesehen, also … wer weiß überhaupt noch, was Tai denkt?

»Keine Sorge, er hat nichts gemerkt. Sonst hätte er heute was gesagt, als er nach Hause gekommen ist«, sagt Matt und klingt dabei völlig beiläufig.

Ich schlucke. »Tai ist zu Hause?«

»Ja, ich denke, er braucht etwas Abstand von Sora. Ich will gerade ehrlich nicht in seiner Haut stecken.«

Tzz, wer will das schon?

Ich puste die Luft aus, während Matt das Kabel einpackt.

»Tja, meine Aufgabe wäre hiermit erledigt«, sage ich, ohne weiter auf das Thema einzugehen. »Ich denke, ich sehe mir noch euer Konzert an und werde dann wieder nach Hause gehen.« Ich will mich umdrehen und gehen, doch Matt hält mich zurück.

»Warte mal, ich hätte da noch eine Bitte an dich.«

Fragend sehe ich ihn an. »Eine Bitte?«

»Also, eigentlich ist es eher ein Vorschlag. Und ich hoffe, du sagst ja.«

»Das klingt ziemlich geheimnisvoll«, sage ich unsicher lächelnd und streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr, während Matt sich auf das Sofa setzt, das mitten im Raum steht und auf den Platz neben sich klopft.

»Komm, setz dich.«

Ich zögere einen Moment, weil ich keine Ahnung habe, was er von mir will, doch dann siegt natürlich meine Neugier und ich setze mich doch.

»Also«, beginnt er, dreht sich in meine Richtung und legt einen Arm hinter mir auf die Lehne. »Was hältst du davon, unsere Managerin zu werden?«

Verblüffung springt mir aus dem Gesicht. »Du willst … was? Managerin? Aber ich …«

»Bleib locker, Mimi. Das ist keine große Sache«, lacht Matt auf und legt eine Hand auf meine. Kurz sehe ich auf unsere Hände und spüre die Wärme, die von ihm ausgeht, ehe ich ihm wieder ins Gesicht sehe.

»Es ist nur so, dass ich einfach keine Zeit mehr habe, Songs zu schreiben und zu komponieren. Die Band verkommt allmählich. Wir bringen keine neuen Lieder mehr, sondern covern meistens nur noch. Das ist nicht das, was die Leute hören wollen, das ist nicht unser Anspruch. Die anderen aus der Band sind keine Singer und Songwriter, sie können das nicht übernehmen. Wir bekommen immer weniger Aufträge und immer schlechtere Gagen, weil wir immer den alten Käse spielen. Wenn das so weiter geht, geht die Band vor die Hunde.«

»Okay«, nicke ich. »Ich verstehe das Problem. Aber was hat das mit mir zu tun? Wie kommst du ausgerechnet auf mich?«

»Die Arbeit neben der Band frisst mich auf, Mimi«, sagt Matt und sieht ernsthaft gestresst aus. Erst jetzt fallen mir die dunklen Schatten unter seinen Augen auf. Er muss wenig geschlafen haben.

»Ich habe nur noch mit Rechnungen und Verträgen und Versicherungen zu tun. Ständig wollen die Leute irgendwas von mir, weil ich der erste Ansprechpartner für sie bin. Die Jungs haben alle noch Nebenjobs oder ihr Studium und keine Zeit, um mir die Arbeit abzunehmen. Zudem haben sie kein Händchen für Geschäftspartner. Der Auftritt auf der Bühne und das Proben nimmt nicht mal 50 Prozent des Geschäftes ein. Ich brauche dringend Entlastung, um wieder an neuen Songs arbeiten zu können. Ich brauche so was wie eine Assistentin. Oder eben Managerin, wenn man es so nennen will. Und da kommst du ins Spiel.« Er sieht mich erwartungsvoll an und lächelt begeistert, während ich noch versuche, seinen Gedankengängen zu folgen.

»Ich weiß, dass du den Job im Café nicht sonderlich magst. Und wie du uns neulich geholfen hast, mit den Instrumenten und so … du hast genau das richtige Gespür für so was und du kannst gut mit Menschen. Tai meinte, dass du wirklich Talent für solche Dinge hast und ich denke auch, dass du …«

»Moment«, unterbreche ich ihn. »Tai hat diesen Vorschlag gemacht?«

»Ja«, antwortet Matt und wirkt ein wenig irritiert. »Ist das ein Problem?«

Ich beiße mir auf die Unterlippe. »Nein.« Dann stehe ich auf. »Tut mir leid, aber ich denke nicht, dass ich die Richtige für den Job bin. Ich habe überhaupt keine Ahnung von dem Business und du findest sicher jemanden, der besser geeignet ist.«

»Hey, warte mal«, meint Matt und hält meine Hand fest. »Ich weiß, du wärst perfekt dafür und Tai sieht das nun mal auch so. Du hast es dir noch gar nicht richtig durch den Kopf gehen lassen. «

Nein, aber das brauche ich auch nicht. »Tut mir leid, Matt. Die Antwort lautet nein.« Angespannt halte ich die Luft an, während es in mir zu brodeln beginnt. Ich entziehe ihm meine Hand und verlasse ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Vor der Tür atme ich durch.

Tai.

Wie kommt er dazu, Matt diesen Vorschlag zu machen? Als würde er mich geradewegs in seine Arme treiben wollen. Und Matt? Er hinterfragt es gar nicht, weil Tai sein Freund ist. Oder stecken die beiden unter einer Decke und Matt will tatsächlich mehr von mir, als er mich glauben lässt? Soll mich dieser Vorschlag von Tai über meinen Verlust hinweg trösten? Wenn ja, wäre das ein ziemlich schwacher Versuch. Was hat er nur vor?

Jetzt sei nicht albern, Mimi. Du führst dich auf wie eine Verrückte.

Am besten, ich vergesse das Gespräch ganz schnell wieder, genauso wie Tai, der sich dank Matt wieder in meine Gedanken geschlichen hat.
 

Obwohl ich wegen des Gesprächs mit Matt sauer bin, sehe ich mir noch das Konzert an, sogar bis zum Schluss, obwohl es tatsächlich haargenau dieselben Songs sind, wie bei dem letzten Konzert, dass ich gesehen habe. Das Publikum ist zwar ganz angetan, aber die Begeisterung, das Feeling, fehlt. Dieses Gefühl, wenn dich ein Song, den du zum ersten Mal hörst, sofort abholt und du ihn in dir aufsaugst als hättest du nie etwas Schöneres gehört.

Matt ist gut. Die Band ist gut. Aber sie könnten so viel besser sein. Sie haben alle ein unfassbares Talent und sie nutzen es nicht. Das stimmt mich am Ende des Konzerts, als ich die Bar verlasse, ein wenig traurig, aber auch nachdenklich. Trotzdem kann und will ich nicht auf Matts Vorschlag eingehen. Weil es nicht seiner war, sondern der von Tai. Und der hat lang genug einen Großteil meines Lebens bestimmt. Jedes Mal, bevor ich irgendeine Entscheidung getroffen habe, habe ich zuvor Tai davon erzählt und mir seine Meinung dazu angehört. Erst dann habe ich entschieden. Selbst, wenn ich Matt verstehen kann. Ich werde ihm, was das angeht, nicht helfen. Ich möchte Tai keine Entscheidungen mehr für mich treffen lassen. Oder sonst irgendjemanden. Ich will meine eigenen Entscheidungen treffen und nicht ständig nur das tun, was andere von mir erwarten.

Weder meine Mutter, noch Tai werden darüber entscheiden, wo und mit wem ich arbeite. Es wird Zeit, dass ich mir mein Leben zurückerobere.

Ich will aus dem Club in die frische Nachtluft treten und stolpere über eine Stufe. Doch zwei Arme fangen mich auf.

»Hey Mimi, mach mal langsam«, höre ich eine vertraute Stimme lachen. Ich blicke auf und sehe direkt in dieselben blauen Augen, die auch Matt hat.

»T.K.?« Ich löse mich aus seinen Armen und richte mich wieder auf. »Was machst du denn hier?«

T.K. runzelt amüsiert die Stirn und stemmt die Hände in die Hüfte. »Mein großer Bruder hatte hier einen Auftritt. Wieso sollte ich nicht hier sein?«

Oh, stimmt.

Gott, diese Tai-Matt-Sache hat mir schon völlig das Hirn vernebelt. Kann ich überhaupt noch einen klaren Gedanken fassen?

»Warst du schon die ganze Zeit hier?«, fragt T.K. und legt den Kopf leicht schief.

»Ähm ja, ich …«, sage ich und deute hinter mich. » … Ich habe mir den Auftritt angesehen.«

»Warum das?« Ein Ausdruck von Verwunderung tritt auf sein Gesicht. »Du hast dich doch früher nie für die Musik meines Bruders interessiert. Wieso jetzt? Bist du allein hier?«

Ich weiß genau, dass meine Augen gerade gen Himmel rollen, aber ich überlege wirklich, welche Ausrede ich ihm auftischen könnte. Ich - allein - bei Matts Konzert. Nein, das kann man drehen und wenden wie man will, es passt einfach nicht zu mir.

Mir fällt nichts Gutes ein.

»Ich habe mir was von ihm ausgeliehen und es ihm vor dem Auftritt zurückgebracht. Dann bin ich einfach geblieben, weil ich nichts Besseres zu tun hatte.« Immerhin ist das irgendwie die Wahrheit.

»Bist du allein gekommen? Wo ist Kari?« Ganz automatisch lehne ich mich zur Seite, um an T.K. vorbei zu blicken. Als würde Kari sich hinter seinem Rücken verstecken und gleich »Booh!« rufen.

»Sie ist nicht hier.« T.K. fährt sich mit der Hand durch seine wilden, blonden Haare und sieht durch diese Geste nur noch mehr aus wie sein Bruder. Überhaupt werden die beiden sich, zumindest äußerlich, immer ähnlicher. Das Einzige, was sie unterscheidet, ist ihr Kleidungsstil.

Ich lache. »Wie kommt das denn? Ihr seid doch sonst unzertrennlich.«

»Ja, ich weiß«, antwortet T.K. und setzt sich plötzlich in Bewegung. »Muss wieder rein, wir sehen uns, Mimi.«

Und dann lässt er mich stehen.

Verwirrt sehe ich ihm hinterher.

Was war das denn?

Ich glaube, heute sind alle einfach nur verrückt - mich mit eingeschlossen. Das sind meine letzten Gedanken, als ich mich endlich auf den Weg nach Hause mache.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Hallostern2014
2022-10-04T19:06:10+00:00 04.10.2022 21:06
Huhu Liebes,

Mimi! Ich finde dich Klasse 😍. Wie sie mit ihrer Mutter geredet hat war einfach genial. Tja, dann muss sie halt mit Matt Schluss machen. Beide waren ja eh nie zusammen. Und wenn sie so ihren Papa helfen kann, also warum nicht. Dass beide nicht zusammen waren muss sie ja nicht wissen. Das Telefonat mit Matt war so genial 🤣. Ich konnte mich vorstellen wie Matt auf der andere Seite sein Handy anguckt und fragt wo er gelandet ist.

Und später trifft Mimi auf Matt Liebe? Na, da bin ich mal gespannt wie Mimi reagieren tut wenn Matt ihr erzählt was es wirklich mit ihr Aufsicht hat. Und das Matt Tai den einen morgen nicht gemerkt hatte war klar. Er war ja sehr erschöpft. Nur komisch ist warum hat Tai Matt nicht erzählt das Mimi sein Ladegerät hat.

🙈 und ich glaube das beide noch öfters und Bett oder sonst wo landen. Mimi kommt wohl anscheind schwer von ihn los gerade bzw der Gedanke mit ihn zu schlafen.

Oje, Matt hätte wohl Tai nicht erwähnen sollen. Evtl hätte Mimi ja da noch ja gesagt. Mal sehen wann Mimi Matt helfen wird. Und diesen Job machen wird.

Ich freue mich auf jedenfall aufs nächste Kapitel 😍


Antwort von:  Khaleesi26
05.10.2022 21:01
Hallo Liebes :)

Ja, das Telefonat habe ich mir tatsächlich auch ganz witzig vorgestellt. Zumindest Matts Gesicht, der denkt, Mimi hat nicht mehr alle Tassen im Schrank :D Naja, hauptsache die Mami ist zufrieden mit ihrer braven Tochter ;P

Nein, Tai ist ja sicher davon ausgegangen, dass Matt weiß, dass Mimi sein Ladekabel genommen hat. Daher war er ja so überrascht, dass Matt wie ein Irrer danach gesucht hat :D
Aber bis jetzt ist Tai der Einzige, der von Misaki weiß. Mal sehen, ob Matt Mimi noch einweiht...

Stimmt, so ein bisschen verfallen ist sie ihm schon :D Aber bis jetzt hat sie sich ja noch ganz gut im Griff. Mal sehen wie lange xD

Und ja, dass Matt erwähnt hat, dass das Ganze Tais Idee war, war ein bisschen blöd. Aber vielleicht lässt Mimi sich ja noch umstimmen. Zu ihr passen würde es ja.

Viel Spaß beim nächsten Kapitel :*
Von:  Tasha88
2022-10-03T21:00:14+00:00 03.10.2022 23:00
Hey,
Nach Ewigkeiten mal wieder. Aber ich lese fleißig mit und ich bin so begeistert über die Geschichte. Einfach nur toll.
Der Aufbau, dein Schreibstil. Ich wünschte, meine wären von Fehlern etc so gut wie deine (ich habe einfach noch zuviele 🙈)
Und falls du dir es schon denken kannst: ich hoffe doch, dass sich auch die sache mit tk und kari klärt - als takari Fan 😜
Tja, aber dank Linchen und Ariana bin ich halt auch michi Fan 😂

Mach weiter so, ich freue mich über jedes Kapitel 🤗

Liebe Grüße

Antwort von:  Khaleesi26
05.10.2022 20:57
Hey :)
Das macht doch gar nichts, ich freue mich auch über seltene/ kurze Kommentare :) Und danke für dein Kompliment. Freut mich total, dass dir die Geschichte so gefällt! Und ich denke, als Takari Fan wirst du die nächsten Kapitel auch ganz gut finden :D Zumindest kommen die Beiden ab jetzt etwas häufiger vor und haben natürlich ihre ganz eigenen Probleme...
Ich wünsche dir schon mal viel Spaß beim Weiterlesen :)


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