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Die Sonne scheint für alle

von

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XXXI.

 

„Es tut mir leid.“ Mao fühlt sich schuldiger denn je. Erst jetzt wird ihm bewusst, wieviel Hoffnung er in diesen Versuch gelegt hatte und wie bitter und schmerzhaft die Enttäuschung sein kann. Es fühlt sich schlimmer an als seine Niederlage gegen Emilia Justina. Schlimmer als die Frustration der ersten Tage und Wochen auf der Erde, als jede Stunde ein verzweifelter Kampf ums Verstehen war, wie diese Gesellschaft, ja, sogar wie dieser menschliche Körper funktionierte. Es ist fast so schlimm wie der Moment vor fünf Tagen, als Lucifer vor ihnen aus dem Fenster floh.

Ist das wirklich erst fünf Tage her? Es kommt mir vor wie ein ganzes Leben. Es ist so viel passiert in diesen fünf Tagen.

„Es tut mir leid.“ Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit ist Mao den Tränen nahe.

Alciel sagt nichts, seine Schuld schnürt ihm eindeutig die Kehle zu, aber seine Miene spiegelt all jene Gefühle wider, die auch Mao das Herz zerreißen.

Lucifer saugt nur lautstark den letzten Rest Cola mit dem Strohhalm aus seinem Pappbecher und zuckt nonchalant mit den Schultern.

„Ehrlich gesagt, habe ich nichts anderes erwartet“, erklärt er, während er den Müll dann in einem nahem Abfalleimer beseitigt. „Es war ein cooler Horrorstreifen. Und ein schöner Abend. Das alleine war es wert.“

Für seinen Geschmack sind das ungewohnte, viel zu tröstende Worte aus seinem Mund, aber wenn diese beiden Idioten jetzt in aller Öffentlichkeit in Tränen ausbrechen, wäre es noch peinlicher.

„Der Abend ist noch nicht vorbei.“ Entschlossen wendet sich Mao Richtung Treppe.

„Echt jetzt? Du willst das wirklich durchziehen?“

„Ja“, kommt es in einem Tonfall zurück, der keinen Widerspruch duldet.

Lucifer seufzt einmal tonlos auf und Alciel fühlt sich eindeutig nicht mehr ganz wohl in seiner Haut, doch sie folgen ihrem König gehorsam, als dieser die Treppe hinuntergeht, um sich an der Kinokasse wieder anzustellen. Als es zum Kartenkauf kommt, gibt es beinahe denselben kleinen Skandal wie vor zweieinhalb Stunden, als sie Tickets für den Horrorfilm kauften, weil sich auch hier der Verkäufer weigert, ein Ticket für den minderjährigen Urushihara herauszurücken, aber Mao regelt das – zum zweiten Mal an diesem Abend - schnell mit etwas Gedankenkontrolle.

Und dieser kleine Trick kostet ihn nicht mehr als ein müdes Augenblinzeln.

Lucifer erstarrt, als er das sieht. Beim ersten Mal hat er noch darüber gelacht, aber jetzt, ganz plötzlich, fühlt er sich plötzlich wieder so unendlich schwach.

Ohne seine Magie ist er genauso hilflos wie der arme Verkäufer eben – würde Mao sein Gedächtnis manipulieren, wäre er dem nicht nur wehrlos ausgesetzt, sondern könnte sich logischerweise auch nicht mehr daran erinnern.

Was … was ist, wenn er davon schon Gebrauch gemacht hat?

Bis eben war ihm der Verlust seiner eigenen Macht nur wie ein bohrender Stachel im Fleisch vorgekommen, der Schmerz darüber war etwas abgeflaut, als hätte man eine dicke Wolldecke darüber geworfen, aber jetzt trifft es ihn wieder mit voller Wucht. Er hat nicht nur seine Flügel verloren, sondern auch jede Widerstandsfähigkeit gegen dämonische Magie.

Er ist tatsächlich schwach und absolut hilflos.

Sogar noch hilfloser als die Menschen, denn diese stehen bei Mao immerhin unter Welpenschutz. Er manipuliert sie ungern und nur, wenn ihm nichts anderes mehr übrigbleibt.

„Urushihara?“

Nein, das würde ihm Mao nicht antun, oder? Jedenfalls jetzt nicht mehr. Oder?

„Hanzō.“

Nein, niemals. Er muß aufhören, so paranoid zu sein.

„Lucifer.“

Er zwingt sich zu einem Lächeln und nimmt die Karte entgegen, die ihm Mao auffordernd entgegenstreckt.

„Entschuldige.“ Er verzichtet darauf, sich zu erklären, denn er will nicht lügen. Glücklicherweise besteht Mao nicht auf einer Antwort. Er mustert ihn nur ernst und legt ihm dann eine Hand auf die Schulter.

„Ich bin zuversichtlich, dass es diesmal klappt“, verspricht er ihm dann.

Und Lucifer, erleichtert darüber, dass Mao seine geistige Abwesenheit so gründlich mißinterpretiert hat, nickt nur.

 

 

Es funktioniert nicht. Die Luft in dem kleinen, dunklen Kinosaal schwirrt nur so vor sexueller Energie, doch … es funktioniert nicht.

Wie erwartet sind die Zuschauer mehr mit sich selbst als mit dem schlüpfrigen Geschehen auf der Leinwand beschäftigt, aber – es funktioniert einfach nicht. Er spürt nicht dasselbe, elektrisierende Kribbeln wie damals, als er sich das letzte Mal in der Gesellschaft notgeiler Menschen aufhielt. Er spürt nur seine eigene, bittersüße Erregung, das heiße Aufwallen seiner Teenagerhormone, angestachelt durch das, was über die Leinwand flimmert und dem unanständigen Treiben der Menschen um ihn herum.

Das ist enttäuschend, aber Lucifer drängt dieses Gefühl mit aller Macht wieder zurück in die verräterische Ecke, aus der es gekrochen kam. Lieber konzentriert er sich auf die beiden Dämonen links und rechts neben sich, deren beginnende Unruhe ihm ein kleines Grinsen entlockt.

„Und?“ flüstert er ihnen zu. „Merkt ihr schon etwas?“

Hastig schüttelt Mao den Kopf, daß seine Haare nur so fliegen. Auch er ist ein wenig enttäuscht – ein Teil von ihm hatte gehofft, da er jetzt Lucifers Magie besitzt, dass er sich dann auch an der Lust nähren könnte. Er ist neugierig, wie sich das anfühlt.

Und allein dieser Gedanke ist wieder so egoistisch, dass er sofort wieder ein schlechtes Gewissen bekommt.

„Wirklich nicht?“ hakt Lucifer unschuldig nach, während er den Arm etwas ausstreckt und seine Fingernägel nachdrücklich über Maos Jeans kratzen. Lautstark zieht Mao die Luft durch die Zähne

und pflückt entschieden diese freche Hand von seinem Oberschenkel.

Seine Wangen brennen hochrot, doch das kann man zu seiner großen Erleichterung in der Dunkelheit nicht sehen. Er sagt nichts, denn er traut seiner Stimme nicht mehr.

Lucifer kann ein solches Biest sein! Am liebsten würde Mao ihn jetzt packen, gegen den Sessel drücken und ihn erbarmungslos besteigen, doch das sind dunkle Gelüste, denen er selbst in der Dämonenwelt nicht ohne Weiteres nachgab.

Lucifers Grinsen wächst in die Breite und für einen Moment kann Mao seine starken, weißen Zähne aufblitzen sehen, doch da hat sich der gefallene Engel schon dem anderen Dämonen auf seiner rechten Seite zugewandt.

„Und wie steht's bei dir, Alciel?“

Der hat schon seit einiger Zeit die Hände im Schoß verkrampft und starrt stur geradeaus. Direkt auf die Leinwand, aber es ist zweifelhaft, ob er wirklich etwas sieht.

Plötzlich tut er Lucifer furchtbar leid.

„Oi, Alciel“, wispert er ihm tröstend ins Ohr, „das ist völlig normal. Das beweist nur, dass du gesund bist.“

Alciel starrt nur weiterhin stur geradeaus. Lucifer wartet ein paar Sekunden und öffnet gerade den Mund, um noch etwas Aufmunterndes zu sagen, da strafft Alciel die Schultern.

„Dieser menschliche Körper ist ein Fluch. Bitte entschuldigt mich.“ Mit diesen Worten erhebt er sich und eilt durch die Sitzreihen dem Ausgang zu.

Lucifer und Mao werfen sich einen verdutzten Blick zu und folgen ihm.

 

 

Mit stoischen Gesichtsausdruck und ungewohnt steifen Bewegungen verschwindet Alciel in den Waschräumen. Mao und Lucifer folgen ihm bis vor die Tür und halten dann zögernd inne. Sie werfen sich unsichere Blicke zu und weichen dann ein paar Schritte zurück in den breiten Gang, um nicht allzu offensichtlich dort herumzulungern.

Da die Filme zur Zeit alle laufen, sind sie die einzigen hier, aber das macht die Sache eigentlich nur unangenehmer. Sie warten ein paar Minuten schweigend, dann seufzt Mao einmal tief auf.

„Einer sollte mal nach ihm sehen...“

Obwohl es seine Idee ist, macht er keine Anstalten, sich auch nur einen Zentimeter vom Platz zu bewegen.

Lucifer verdreht die Augen, rührt sich aber ebenfalls nicht.

„Geh schon“, fordert Mao ihn schließlich auf.

„Warum ich? Er ist dein General.“

„Weil ich es dir befehle, darum.“

Lucifer mustert ihn unter hochgezogenen Augenbrauen, seufzt dann einmal ergeben und zuckt mit den Schultern. Das erinnert ihn merkwürdigerweise an die Situation in Ente Isla, als Mao ihn vorschickte, das von der Heiligen Kirche beherrschte Gebiet zu erobern – weil er in Maos Augen als Engel am besten wisse, wie man mit den Priestern dort umgehe.

Nun, wie das endete, wissen sie alle und Lucifer kann nur hoffen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.

Todesmutig betritt er die Waschräume.

 



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