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Die Sonne scheint für alle

von

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XXVIII

 

Ein neuer Morgen bricht über dem Shibuya Bezirk in Tokyo an und taucht das Gebäude, das von seiner Besitzerin „Villa Rosa Sasazuka“ getauft wurde in sanftes Licht. Golden fällt dieses Licht durch das Fenster in die kleine sechs-Tatami-Matten-große Wohnung Nummer 201 und dort, an dem niedrigen Tisch, sitzen zwei Dämonen und ein gefallener Engel an ihrem gemeinsamen Frühstück. Es herrscht eine ausgesprochen friedliche, familiäre Atmosphäre.

„Noch etwas Tee, Mylord?“ fragt der blonde Dämon eifrig und hebt die Teekanne.

„Ja, bitte“, lächelnd hält ihm Mao seine Tasse entgegen. „Vielen Dank, Ashiya.“

Dieser schenkt ihm nach und wendet sich dann an den dritten im Bunde.

„Du auch, Lucifer?“

Der hat den Ellbogen auf den Tisch abgestützt, das Kinn in die Hand gelegt und starrt versonnen aus dem geöffneten Fenster. Bei Alciels Worten schreckt er auf.

„Was? Oh. Ja“, meint er zerstreut und schiebt ihm seine Tasse zu. „Ja, danke Alciel.“

Die daraufhin folgende, geradezu ohrenbetäubende Stille reißt den ehemaligen Erzengel aus seinem leicht dösigen Zustand. Er spürt die Blicke seiner beiden Freunde auf sich gerichtet und dreht verdutzt blinzelnd den Kopf.

„Huh? Was ist los?“

„Nichts.“ Alciel lächelt milde und füllt seine Tasse neu.

Mao schmunzelt hinter seiner eigenen Teetasse.

„Ich könnte mich daran gewöhnen.“

„Ja“, stimmt ihm Alciel aus tiefstem Herzen zu. „Lucifer so zufrieden zu sehen ist eine wahre Wohltat.“

„Ich meinte die Tatsache, dass er sich bedankt.“

„Ja, das auch.“

„Oi“, protestiert Lucifer vergrätzt. „Ich bin hier, wißt ihr? Ich höre euch.“

Grinsend langt Mao zu ihm hinüber und wuschelt ihm durchs Haar, zieht seine Hand jedoch sofort zurück, als Lucifer schmerzhaft das Gesicht verzieht.

„Sumimasen“, entschuldigt er sich zerknirscht. In seiner Begeisterung hatte er doch glatt Lucifers Kopfverletzung vergessen.

„Schon gut.“ Vorsichtig fährt sich Lucifer mit den Fingerspitzen seiner linken Hand über die heilende Wunde am Hinterkopf. Er ist heute völlig ohne Kopfschmerzen aufgewacht und hatte selbst nicht mehr daran gedacht. Und um die beiden zu beruhigen, schenkt er ihnen ein kleines, aber ehrlich gemeintes Lächeln und murmelt ein „es ziepte nur ein wenig, das ist alles.“

Die beiden atmen sichtlich auf und Lucifer wird es plötzlich ganz warm ums Herz. Überhaupt fühlt er sich seit dem Aufwachen ganz warm und entspannt. Auch, wenn er es hasst, durch Maos Wecker aus dem Schlaf gerissen zu werden oder erst einmal von links und rechts einen Ellbogen oder ein Knie in den Körper gebohrt zu bekommen, weil er nicht der einzige ist, der sich von dem Geklingel fast zu Tode erschreckt. Auch hat er das Gefühl, von beiden als Teddybär mißbraucht worden zu sein, aber die beiden waren so schnell auf den Beinen und er noch viel zu schlaftrunken, es könnte also auch nur ein Traum gewesen sein.

Kein Traum ist dagegen diese ungewohnte, träge Wärme, die sich tief in seine Seele hineingeschlichen hat. Er kennt dieses Gefühl nur von einer völlig anderen Situation her: wenn er sich mit ausgebreiteten Flügeln in einer warmen Luftströmung ziellos dahintreiben lässt. Wenn er nicht nur eins ist mit dem Wind, sondern einfach mit allem und sein Kopf so völlig leer ist, dass nicht einmal die dunklen Gedanken sich aus ihrem Hinterhof wagen.

Ja, so gesehen hat Alciel wohl recht: er ist zufrieden.

Warum auch immer. Denn eigentlich ist nichts in Ordnung: sein Laptop ist zerstört und damit sein Fenster zur Welt. Sein Arm ist immer noch gebrochen. Seine Flügel sind immer noch verloren. Und zu allem Überfluss sitzt er außerhalb seines sicheren Wandschranks mit Mao und Alciel zusammen am Frühstückstisch.

Nicht an seinem Katzentisch wie üblich.

Nicht für sich allein.

Das ist schon der dritte Tag in Folge.

Und es fühlt sich gut an.

Selbst in der Dämonenwelt hatte er solche erzwungenen Zusammenkünfte nur zähneknirschend ertragen.

Und jetzt genießt er es?

Was ist denn nur los mit ihm?

„Lucifer...“

Und er kann es nicht mehr auf seine Gehirnerschütterung schieben.

„Lucifer. Oi, Lucifer.“

Finger an seiner linken Wange und der sanfte Druck von Lippen auf seiner Nasenspitze reißen ihn aus seinen Gedanken.

„Huh?“

Er blinzelt verwirrt und starrt direkt in Maos rötlich glühende Augen.

„Da bist du ja wieder. Wo warst du eben mit deinen Gedanken? Ich sagte gerade, dass ich leider nicht mit ins Elektronikfachgeschäft kann, weil ich zur Arbeit muss, aber wir können die Hälfte der Strecke zusammengehen.“

Versonnen berührt sich Lucifer an der Nase. Hat Mao ihn da eben gerade … geküßt?

„Lucifer?“

„Was? Oh. Ja, ja, klingt gut.“

Mao und Alciel wechseln einen besorgten Blick. Dann schnalzt Mao einmal mit der Zunge und mustert ihn eindringlich.

„Du wirst mir doch nicht wieder schwermütig? Du weißt, dass du mit uns reden kannst, wenn dich etwas bedrückt.“

Lucifer zögert einen Moment. Er spürt, wie er verlegen errötet.

„Weil es unter Eheleuten nun einmal so üblich ist?“ versucht er sich in einen Scherz zu retten, doch Mao und Alciel bleiben todernst.

Und während Alciel nickt, kurven sich Maos Lippen zu einem kleinen Lächeln und er lehnt sich wieder zu ihm vor. Und plötzlich liegt seine Hand in Lucifers Nacken und er zieht ihn daran näher zu sich.

„Genau“, bestätigt er, bevor er seine Lippen auf Lucifers presst und sich den ersten Kuss des Tages stiehlt.

Lucifer spürt, wie sein Herz einmal kurz stockt, um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiterzuschlagen. Etwas tief in ihm erzittert und drängt sich Mao regelrecht entgegen und sein Körper will dem folgen, doch noch bevor er einen Finger rühren kann, hat sich Mao wieder zurückgezogen.

Lucifers Kehle entringt sich sofort ein enttäuschtes Wimmern, was ihm einen überraschten Blick von Mao einfängt. Und dann, ganz, ganz langsam, breitet sich ein Grinsen auf Maos Gesicht aus und Lucifer ahnt Schlimmes. Und er soll recht behalten.

„Und ich glaube, wie bei einem richtigen Ehepaar, steht mir ein anständiger Abschiedskuss zu.“

Und bevor Lucifer auch nur daran denken kann zu protestieren, verstärkt sich Maos Griff um seinen Nacken und er hat ihn zu einem weiteren Kuss zu sich herangezogen. Er hat eindeutig dazugelernt, denn er hält sich gar nicht erst lange mit irgendwelchen Vorspielen auf und nutzt Lucifers Überraschung sofort aus. Kompromisslos schiebt er ihm seine Zunge in den Mund und hat ihn binnen der ersten Sekunde schon in ein leidenschaftliches Zungenduell verwickelt. Lucifer weiß gar nicht, wie ihm geschieht, aber das ist gut. Oh, so gut! Sein Herz rast und wieder ist da dieses Zittern in ihm. Leise in ihren Kuss hineinseufzend, krallt er sich in Maos T-Shirt und schmiegt sich in dessen Umarmung.

Reiner Luftmangel zwingt Mao schließlich dazu, diesen himmlischen Kuss zu lösen und dann stellt er überrascht fest, dass Lucifer irgendwie irgendwann auf seinem Schoß gelandet ist.

„Wow“, macht er leise. Zärtlich streicht er Lucifer die Haare zurück, die immer seine rechte Gesichtshälfte bedecken, um einen besseren Blick auf sein gesamtes Gesicht werfen zu können. Und es ist ein verdammt schöner Anblick. Lucifers Wangen überzieht eine aparte Röte und in seinen wunderschönen violetten Augen liegt ein grenzenlos verklärter Glanz. Ganz ähnlich diesem Glanz, den sie bekommen, wenn er vom Fliegen spricht.

Mao wird es ganz warm ums Herz. Unwillkürlich schließt er ihn in seine Arme und drückt ihn fest an sich. Er will ihn nie wieder hergeben.

Plötzlich durchbricht Alciels leise Stimme seine kleine Wohlfühlblase.

„Mylord, Ihr solltet Euch wirklich langsam fertig machen.“

Er klingt verdächtig angespannt und als Mao den Kopf in seine Richtung dreht und seinem ernsten Gesicht begegnet, fühlt er sich plötzlich unglaublich schuldig.

Doch nur für eine Sekunde.

Ah, verdammt, Alciel, du hast ihn den ganzen Tag für dich. Krieg dich wieder ein.

Aber er schluckt diese Worte herunter und zwingt sich zu einem fröhlichen Lächeln.

„Stimmt. Danke, Ashiya.“

Schweren Herzens schiebt er Lucifer von sich herunter. Dieser hat glücklicherweise inzwischen wieder etwas zu sich selbst gefunden und rutscht ab einem gewissen Punkt aus eigenem Antrieb zurück. Seine Wangen sind feuerrot und er kann ihm nicht in die Augen sehen, aber ehrlich gesagt, geht es Mao da nicht besser.

Mao begeht den Fehler, in Alciels Richtung zu sehen und wäre beinahe zusammengezuckt, so durchdringend ist dessen Blick.

Aber bevor die Stimmung endgültig zu kippen droht, klingelt es an der Tür.

Alle drei erstarren auf der Stelle und werfen sich verwirrte Blicke zu. Wer mag das sein, so früh am Morgen?

„Ich bin unschuldig“, erklärt Lucifer hastig. „Ich habe nichts bestellt.“

„Das hat auch niemand behauptet“, erwidert Mao beruhigend und ganz besonders sanft. Er fühlt sich schuldig. Wie oft müssen sie Lucifer schon auf diese Weise beschuldigt haben, wenn das das Erste ist, was ihm zu einem Überraschungsbesuch einfällt?

Es klingelt erneut, aber Alciel ist schon aufgestanden und unterwegs zur Tür und während er sie öffnet, erheben sich hinter ihm auch Mao und Lucifer, bereit, ihren frühen, unerwarteten Besuch gebührend zu empfangen – je nachdem, was dessen Begehr sein mag.

„Guten Morgen. Bitte entschuldigen Sie die frühe Störung.“ Im Gang steht ein Mann in den späten Dreißigern in Anzug und Krawatte, der Alciel und Mao vage bekannt vorkommt. Doch erst, als er sich verbeugt und dadurch Chihos schmale Gestalt hinter ihm für einen Moment sichtbar wird, erinnern sie sich wieder, woher sie ihn kennen.

„Darf ich eintreten?“ bittet Sasaki Senichi mit einem neutralen Lächeln. „Ich muss mit Ihnen reden.“ Sein Blick fällt auf Lucifer. „Vor allem mit Ihnen, junger Mann.“

 

 



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