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Die Sonne scheint für alle

von

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XI.

 

Es ist, als würde er aus einem tiefen, dunklen Moor zurück ins Licht gezogen. Dieses Gefühl ähnelt dem gestrigen, aber diesmal ist etwas grundlegend anders. Er lehnt an einem warmen Körper und starke Arme halten ihn. Normalerweise etwas, das alle Alarmsirenen aufheulen lässt, aber diesmal fühlt er sich ... sicher?

„Bist du wieder da?"

Er blinzelt. Vor ihm sitzt Mao und mustert ihn... besorgt?

„Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt."

Bei diesen Worten umklammern ihn diese Arme ein klein wenig fester. Aber nur für einen Moment. Lucifer dreht den Kopf und sieht nach oben in ein ernstes Gesicht. Alciel! Wieder in seiner menschlichen Gestalt. Er sagt kein Wort, aber der Ausdruck in seiner Miene ... das ist eindeutig Sorge, aber auch eine gewisse Entschlossenheit.

„A-Alciel?" Unwillkürlich macht Lucifer eine ausweichende Bewegung, aber daraufhin umarmt Alciel ihn nur wieder fester. „W-was ist passiert?"

„Du hast hyperventiliert und hattest einen Atemaussetzer", erklärt Mao betont locker. Aber jeder, der ihn kennt, hört die Nervosität heraus.

„Oh..." ist alles, was Lucifer dazu einfällt. Er fühlt sich ziemlich matschig, aber das ist seit gestern ein Dauerzustand.

Es entsteht ein unangenehmes Schweigen, das mit jeder verstreichenden Sekunde peinlicher wird. Aber niemand bewegt sich. Und dafür ist Lucifer sehr dankbar. Etwas in ihm sträubt sich, Alciels Arme zu verlassen und dieses Etwas wird mit jedem Herzschlag größer. Er ist zur Zeit nicht er selber, daran muss es liegen. Aber er hofft, dass Alciel sich nicht als erster bewegt. Er hofft, dass er seine Arme nicht fortzieht. Er hofft, dass er sich nicht daran erinnert, wen er hier hält, denn dann würde er ihn garantiert wegstoßen und dabei ist Alciel doch so warm. Also hält Lucifer ganz still.

„Tja, nun...“ Maos dunkle Stimme bricht den Bann. Er lacht verlegen und reibt sich den Nacken. „Wollen wir darüber reden? Wo wir schon mal damit angefangen haben...?“

Und wie es Lucifer befürchtet hat, löst Alciel seine Umarmung und rutscht ein paar Zentimeter von ihm ab. Und dann noch ein paar mehr und mehr, bis er neben ihm kniet. Die Hände auf den Oberschenkeln, den Rücken gerade und den Kopf demutsvoll gesenkt, kniet er am Tisch und murmelt ein „Jawohl, Mylord.“

Von einer plötzlichen inneren Kälte ergriffen, schlingt Lucifer beide Arme um seinen eigenen Oberkörper. Er bringt kein Wort heraus, schenkt Mao aber den giftigsten Blick, den er auf Lager hat.

Er. Hasst. Ihn. So. Sehr.

Etwas irritiert über Lucifers Reaktion, runzelt Mao die Stirn, doch er hat beschlossen, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

„Ashiya“, wendet er sich mit sanfter Stimme an seinen blonden General, „auch wenn ich verstanden habe, wieso du eben so ausgerastet bist, möchtest du es Lucifer auch nochmal erklären?“

Alciel senkt den Kopf noch um ein paar Zentimeter tiefer und holt einmal tief Luft. Seine rechte Hand zuckt nur Seite und er packt Lucifers linke Hand, als wolle er ihn an Ort und Stelle halten.

Verdutzt starrt Lucifer auf diese Hand, in der seine eigene so klein und zart wie die eines Kindes erscheint. Sein eigener Herzschlag dröhnt ihm plötzlich so laut in den Ohren, dass er Alciels Antwort fast gar nicht versteht.

„Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass diese Menschen unseren Engel derartig anfassen“,

murmelt er, den Blick dabei beschämt von Lucifer abgewandt. Während es ihm nie schwer fällt, seinem König immer wieder und wieder seine unsterbliche Liebe und Ergebenheit zu beteuern, muss er jetzt, wo es um Lucifer geht, quasi jedes einzelne Wort geradezu gewaltsam hervorpressen. Aber Mao hat es ihm befohlen, also gehorcht er. Das heißt aber nicht, dass er dabei in diese violetten Augen sehen kann.

„Das ist es wirklich nicht wert.“ Unwillkürlich packt er Lucifers Hand etwas fester. „Ich verstehe einfach nicht, warum er so weit gehen muß. Wie er diese Berührungen ertragen kann, aber vor uns so große Panik hat, dass er entweder aus dem Fenster springt oder aufhört zu atmen. Wie kann er fremden Menschen so sehr vertrauen, dass er sie all diese furchtbaren Dinge mit sich machen lässt, aber vor uns fürchtet er sich zu Tode?“

Mit immer noch wild klopfendem Herzen starrt Lucifer auf ihre inzwischen ineinander verschlungen Finger.

„Euer … euer Engel?“ wispert er.

Nun dreht Alciel doch den Kopf in seine Richtung und starrt ihn verblüfft an. Von all dem, was er gerade unter unvorstellbaren inneren Qualen gestand...

Alciels Augen verengen sich gefährlich.

„Hast du mir überhaupt zugehört, du Kellerkind?“

„Ashiya...“, mahnt Mao leise.

„Ich bin euer Engel?“ wiederholt Lucifer verdutzt ohne Mao auch nur eines Blickes zu würdigen. Seine ganze Aufmerksamkeit gehört dem blonden Mann neben sich, der immer noch seine Hand hält.

„Seit wann gehöre ich euch? Ich habe ja kapiert, dass ich für euch nur ein nützliches Werkzeug bin, und dass ich euren Haussklaven spielen soll, überrascht mich nicht, aber ich habe immer noch einen freien Willen. Ich bin nicht euer Engel. Ich bin über zehntausend Jahre alt, verdammt nochmal! Ich entscheide selbst, von wem ich mich vögeln lasse! Ihr braucht das Geld, oder nicht? Ständig jammerst du herum, wie viel ich euch koste. Jetzt bedanke dich doch einfach mal. Du und Mao, ihr beide hasst mich doch, wieso kümmert es euch dann? Oder hasst ihr mich so sehr, dass ihr über jeden Aspekt meines Lebens bestimmen müsst?“

Aus Alciels Kehle löst sich ein dumpfes Knurren.

Niemand hier hasst dich, du Idiot!“ schreit er so laut, dass selbst Mao überrascht zusammenzuckt. „Wie kommst du überhaupt auf diese Schnapsidee? Glaubst du, ich hätte sonst so eine Scheißangst um dich?“

Zuerst schreckt Lucifer entsetzt zurück, doch das lässt ihn aufhorchen. Alciel flucht sonst nie.

„Warum... warum hast du...? Huh?“

„Ich weiß nicht, warum, okay?“ Verzweifelt greift Alciel nach Lucifers anderer Hand und hält nun auch diese – wenn auch etwas ungeschickt, da die Schiene im Weg ist. In seinen goldbraunen Augen beginnt es verdächtig zu schimmern. „Du bist verdammt nochmal Lord Lucifer, der beste General, den Mao-sama je hatte! Du hast mir verdammt nochmal ein Loch in die Brust geschossen und deine ganze schnoddrige Art treibt mich nochmal zum Wahnsinn, aber wenn jemand hinfällt und wieder aufsteht, dann bist das du, es gibt keinen plausiblen Grund, wieso ich …“, er schnappt nach Luft und fährt dann mit leiser, brechender Stimme fort: „Aber es ist so. Und es tut mir verdammt weh, wenn du mir sowas sagst.“

„Sowas?“ hakt Lucifer verständnislos nach. Auch seine Stimme ist plötzlich schwer vor mühsam unterdrückten Emotionen.

Alciel schließt die Augen und Lucifer beobachtet mit Entsetzen, wie sich eine Träne unter seinen Lidern hervorstiehlt.

„Dass du mich hasst“, gesteht er schniefend.

„Alciel...“ ohne wirklich darüber nachzudenken, befreit Lucifer seine linke Hand aus Alciels Griff und wischt ihm die Träne von der Wange.

„Lucifer...“ Aufschluchzend wirft Alciel seine Arme um ihn und drückt ihn an sich.

Und Lucifer … lehnt sich nach einem kurzen Zögern nur an ihn und entgegnet diese Umarmung ungeschickt.

Mao beobachtet das Ganze etwas verdutzt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Alciel so emotional reagiert, aber normalerweise sieht sich Mao im Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Normalerweise ist er es, der derart umarmt wird. Jetzt zu sehen, wie sein treuer General seinen anderen (nicht ganz so treuen) General umarmt, verursacht ihm einen kleinen Stich im Herzen. Und vielleicht ist dieser kleine Hauch von Eifersucht die Triebfeder seiner nächsten Handlung.

Innerhalb eines Herzschlages gesellt er sich zu ihnen und schließt sie beide gemeinsam in seine Arme.

„Jaaaa“, schnurrt er dabei gedehnt, „so gefällt mir das.“

 

 

 

Lucifer fühlt sich emotional so ausgelaugt, dass er kaum noch geradeaus sehen kann. Glücklicherweise scheinen Mao und Alciel etwas zu bemerken, denn nach dieser seltsamen Gruppenumarmung reden sie nicht mehr über dieses Thema und stattdessen bringt Mao Alciel die aufgewärmten Reste vom Abendessen. Während sich die beiden gegenseitig von ihrem Tag erzählen, döst Lucifer für ein paar Minuten einfach weg.

Er schreckt auf, als Alciel ihn sachte an der Schulter schüttelt und ihm vorschlägt, sich auch bettfertig zu machen. Lucifer gehorcht ihm da nur allzu gern. Als er knappe fünfzehn Minuten später frisch geduscht und umgezogen und mit geputzten Zähnen zurückkommt, kann er seinen Augen kaum trauen.

„Ist das euer Ernst?“ Irritiert huscht sein Blick zwischen Mao und Alciel und den ausgerollten Futons hin und her.

„Ja“, erklärt Alciel und klopft vielsagend neben sich auf die dünne Matratze.

Lucifer zögert unsicher und wirft einen sehnsüchtigen Blick zu seinem Wandschrank hinüber.„Wenn ihr befürchtet, ich könnte wieder davonschleichen, kann ich euch beruhigen. Heute ist mir wirklich nicht danach.“

„Darum geht es nicht. Oder, Ashiya?“

„Ich fühle mich einfach besser, wenn du in meiner Nähe bist.“ Alciel blickt Lucifer unverwandt an und seine Miene ist so ernst und entschlossen und das Licht in seinen Augen so zwingend, dass sich Lucifer wie von selbst in Bewegung setzt und sich zwischen ihn und Mao sinken läßt.

„Wir haben nur zwei Futons“, bemerkt er dabei zögernd.

Wortlos rutscht Alciel zur Seite und lupft vielsagend seine Decke. Lucifer wirft ihm einen überraschten Blick zu.

„Ist das dein Ernst?“ wiederholt er.

Alciel klopft nur bedeutungsvoll auf das zweite Kopfkissen neben seinem eigenen.

Lucifer zögert. Das ist ihm viel zu nahe. Aber er ist so müde, dass ihm schon schwindlig wird. Sein Gehirn ist immer noch (und nach der Dusche noch viel mehr) leicht matschig. Und das sieht bequem aus. Er hat schon lange nicht mehr auf einer richtigen Matratze geschlafen, im Schrank hat er nur ein Brett als Unterlage und eine Decke. Er hat zwar schon an schlimmeren Orten gelegen, seit er ausgiebigen Schlaf braucht, aber alles in ihm sehnt sich nach einem warmen, gemütlichen Plätzchen ...

Seufzend gibt er sich geschlagen.

 

 



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