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Eins mit dem Tier

von

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Gefühle

Alaine seufzte erschöpft, nachdem sie die vielen Stufen des Palasts erklommen hatte.
 

Sie hielt die Hand vor dem Mund, um ihr breites Grinsen zu verstecken. Der Abend hatte ihr so gut gefallen und sie dachte immer wieder an Valnar; er war so freundlich und ausgelassen. Nicht nur das, aber er gefiel ihr auch äußerlich.

 

Mit ihm konnte sie normal sein. Selbst ihr kleines Geheimnis schreckte ihn nicht ab. Alle Prinzen und Könige, die sie jemals kennengelernt hatte, wären längst vor ihr geflüchtet.

 

Ihr Tier stupste sie an, aber sie schüttelte den Kopf. Sie kamen gut miteinander klar, mehr war da nicht.

 

Ab morgen würden sie sich wieder auf ihr Training konzentrieren.

 

Zu ihrem Entsetzen kam ihr Onkel Vincent entgegen. Sie wollte gerade weglaufen, aber er hatte sie schon erkannt.

 

»Alaine, was soll das?«, fragte er gereizt.

 

Alaine stöhnte und drehte sich zu ihm um. »Was denn? Darf ich nicht einmal in meinem eigenen Palast spazieren?«

 

»Verkauf mich nicht für dumm. Eine Hohepriesterin hat nicht so mit ihren Kriegern herumzualbern.« Vincent verschränkte die Arme und knurrte. »Wirklich, Alaine. Ich habe mich geschämt, als ich das gesehen habe. Diese Kneipen sind keine Orte für dich.«

 

Mit den Fäusten geballt knurrte Alaine. Warum mischte er sich ständig ein? Manchmal fühlte sie sich wie eine Puppe, die nur das tun sollte, was eine Anführerin tat. Nicht einmal etwas Freiheit war ihr gegönnt. Ihr Tier wollte ihn zum Schweigen bringen, ihn zerfetzen, dafür, dass er sie in einem Käfig sperren wollte! Aber Alaine versuchte sich zu beruhigen.

 

»Wie sollen wir denn so einen geeigneten Mann für dich finden?«, fügte er hinzu und das brachte das Fass zum Überlaufen.

 

»Ich habe keine Zeit für irgendeinen Kerl! Tradan wurde zwar vernichtet, aber Molana ist immer noch da draußen. Dieser Krieg ist im Moment wichtiger.«

 

»Der Krieg, für den du verantwortlich bist.«

 

Alaine fletschte die Zähne. Seine Worte überrumpelten sie und sie brachte keinen Ton heraus. Schließlich ließ sie verzweifelt den Kopf hängen und seufzte, bis Ihr Onkel ihr an die Schulter fasste.

 

»Du weißt, dass ich nur das Beste für dich will, Alaine. Dein Vater hätte das auch gewollt.«

 

»Vater ist tot«, flüsterte Alaine, wusste nicht, was sie sonst sagen sollte.

 

Es herrschte einige Sekunden stille, bis Vincent wieder das Wort ergriff.

 

»Du solltest dich ausruhen. Morgen wird ein langer Tag.«

 

Alaine antwortete nicht, aber bei dieser Aussage stimmte sie ihm einmal zu.

 

Und so lief sie ohne ein weiteres Wort auf ihr Zimmer.

 

*
 

In ihrem fast durchsichtigen rosa Gewand saß Alaine auf ihrem Hocker und beobachtete den Mond. Sie kämmte ihre langen Haare und dachte wieder an Valnar. Was er wohl gerade machte? Sie lächelte, wenn sie daran dachte, wie betrunken er gewesen war. Wahrscheinlich schlief er längst fest. Das Tier wollte mehr von dem Krieger, war neugierig, wie er schmecken würde.

 

Sie legte die Bürste zurück auf den Tisch. »Was tust du nur?«, flüsterte sie sich selbst zu, aber nicht einmal ihr Tier antwortete ihr.

 

Am nächsten Morgen.

 

Noch in ihrer Robe saß Alaine im Besprechungsraum am großen runden Tisch. Sie rührte mit dem Löffel in ihrem Blutrosentee herum und wippte nervös mit dem Bein. Schließlich nahm sie einen kräftigen Zug von ihrer Zigarette und atmete den Rauch aus.

 

»Es hat also nicht funktioniert«, sprach sie betrübt und vergrub das Gesicht in ihrer Hand.

 

»Nein, Hohepriesterin.« Abraxas kam näher und legte einige Dokumente auf den Tisch. »Wir haben es zwar geschafft, sie als Vampir wiederzubeleben, aber sie hat dieselben negativen Eigenschaften wie die anderen.«

 

Alaine nahm einen Schluck aus ihrer Tasse, um ihren Zorn zu zügeln. »Wieso kann nicht einmal etwas klappen?«, fragte sie eher sich selbst. »Ich weiß, wir gehen zu weit, aber wir müssen diese Experimente fortführen! Wir müssen endlich eine Möglichkeit finden, wie wir die Verwandlung kontrollieren können.«

 

»Wir tun unser Bestes, Hohepriesterin«, antwortete Abraxas kühl. »Das ist das erste Mal, dass wir unser Wissen an einem toten Menschen angewendet haben, der die Verwandlung nicht überlebt hatte. Wir haben einige Erkenntnisse machen können, aber sie scheint vom Tier übernommen worden zu sein.«

 

»Was für ein Desaster ...« Wieder zog Alaine an ihrer Zigarette, dann nickte sie. »Sie kann hier nicht bleiben, aber Nyria muss davon erfahren. Ich will das nicht hinter ihrem Rücken entscheiden.«

 

Abraxas nickte ihr zu und verließ eilig den Raum. Alaine dachte an Molana, den ersten Vampir, an denen sie experimentiert hatten. Die Tätowierung, die ihr Tier die Kraft gab, wurde vollständig entfernt. Ohne sie konnte sie sich zwar nicht verwandeln, aber sie hatte kaum noch die volle Stärke eines Vampirs.

 

Sie war ein Vampir, aber auch nicht ...

 

Das war nicht Alaines Ziel gewesen. Hätte sie gewusst, was diese Frau für ein Problem werden würde, hätte sie sie getötet. Sie hätte ahnen müssen, dass Molana eines Tages mit den anderen Experimenten aus Klennars Gefängnis ausbrechen und einen Krieg anzetteln würde. Alaine bebte wieder vor Wut; wie konnte sie nur so dumm gewesen sein? Ihr Vater würde sich für sie schämen ...

 

Damals hatte sie Mitleid gehabt, doch heute wusste sie es besser.

 

Aber Alaine wollte dieses Vorhaben nicht stoppen und lieber experimentierten sie an solchen Vampiren wie Molana, statt an ihren treuen Untertanen. Sie war machthungrig und unkontrollierbar gewesen; sie hätten sie sowieso eines Tages verbannt oder geköpft.

 

Nur Nyrias Schwester Jayna traf keine Schuld. Alaine hoffte, dass ihr Blutschild sich für die Verbannung entscheiden würde. So könnte sie noch woanders glücklich werden und vielleicht irgendwann wieder ihr Bewusstsein erlangen.

Die Schuldgefühle nagten an ihr. Ihr Tier labte sich an sie, wollte sie wütend machen. Sie tat das Richtige und wollte ihren Artgenossen helfen! Die anderen waren nur zu schwach, diese Aufgabe zu übernehmen.

 

Nein, das war nicht wahr. Alaine ist für all das verantwortlich. Sie allein.

 

Sie lief zum Fenster und beobachtete die Vampire auf dem Burghof. Wenn sie keine Lösung fand, würde die Hälfte von ihnen irgendwann an der Macht des Tieres sterben, genauso wie ihr Vater.

 

»Vater, vergib mir.«

 

Einen Moment später kam Abraxas mit Nyria zurück und Alaine nahm tief Luft.

 

»Jayna lebt, aber wird von ihrem Tier kontrolliert ... Es tut mir wirklich leid«, sprach Alaine schmerzerfüllt und Nyria reagierte erst nicht, aber dann nickte sie ihr zu. In ihren Augen schimmerte die Trauer, aber sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

 

»Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass sie irgendwann wieder aus ihrem Inneren erwacht, und ich will sie auch nicht töten; das hat sie nicht verdient. Ich werde sie nach Shannar verbannen, wo man sich gut um sie kümmern wird.« Alaine formulierte es als Befehl, aber es war viel mehr eine Frage gewesen. »Kein Gefängnis. Versprochen.«

 

Nyria brauchte einen Augenblick, um ihr zu antworten. Alaine machte ihr keine Vorwürfe, denn es war immerhin ihre Schwester. Die Entscheidung war besonders schlimm, wenn es um Personen ging, die einem so nah waren.

 

»Ja, Hohepriesterin«, flüsterte Nyria letztendlich. »Das wäre das Beste.«

 

*

 

Wochen vergingen.

 

Valnar und Alaine trainierten täglich zusammen und sie war stolz zu sehen, wie er sich entwickelte.

 

Deshalb flüchtete sie am Nachmittag aus dem Palast, um mit ihm zu üben. Sie brauchte die Auszeit, bevor sie sich wieder ihren Verpflichtungen stellen musste.

 

Diesmal gingen sie in den Wald hinein, ohne das Alaine den Helm trug, und sie zeigte ihm einige Techniken an einem Baum.

 

»Ihr werdet niemals besser werden, solange Ihr Euer Tier nicht kontrollieren könnt«, wiederholte sie wie so oft. »Ihr müsst den Unterschied zwischen Kontrolle und Hingabe lernen.«

 

Alaine beschwor ihr Tier aus ihrem Inneren heraus. Ohne zu zögern, breitete es sich in ihren Muskeln aus, füllte ihren ganzen Körper mit Wärme und Stärke. Wie so oft wurden sie eins, bewegten sich im Einklang. Es war das höchste Gefühl einer tiefen Bindung und vollständigem Vertrauen. Mit einer gewaltigen Kraft holte Alaine aus und schlug den dicken Stamm des Baumes fast in zwei Hälften.

 

Als es nicht länger gebraucht wurde, zog sich das Tier zurück.

 

Alaine atmete schwer und lächelte, während sie ihr Werk betrachtete. Valnar beobachtete erst sie und dann den Baum.

 

»Beeindruckend, was diese Bindung zum Tier zustande bringt. Das hatte ich bisher nur in Tradan geschafft, aber für Euch scheint es so einfach.«

 

»Das kommt alles mit der Zeit.« Alaine nahm ihre Hände und löste ihren Zopf, dann schüttelte sie den Kopf und ihre Haare fielen ihr über die Schultern. »Im Moment bin ich mit Euren Schwerttechniken zufrieden. Ihr solltet die nächsten Tage öfter im Tempel meditieren.«

 

»In Ordnung. Dann mach ich mich mal auf den Weg.« Valnar wollte sich gerade abwenden, aber Alaine wollte ihn nicht gehen lassen, nicht so früh schon, und sie griff nach seinem Arm.

 

Valnar schaute sie verwirrt an und sie wusste für einen Moment nicht, was sie hier überhaupt tat, aber dann verließen die Worte schon ihren Mund.

 

»Sagt, wollt Ihr ... ähm, nun, habt Ihr heute Abend Zeit? Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr mit mir diniert.«

 

Seine Mundwinkel gingen nach oben und er schaute sich um, bevor er ihr in die Augen blickte. »Alleine?«, fragte er.

 

»Ja.« Alaine wurde verlegen, als er sie so anlächelte. »Ich wollte mich noch richtig bei Euch bedanken, dafür, dass Ihr mein Leben in Tradan gerettet habt und auch für den Abend danach ...«

 

Valnar drehte sich wieder zu ihr hin und sie ließ seinen Arm los.

 

»Ich werde da sein.«

 

Alaine musste sich anstrengen, ihre Freude nicht anmerken zu lassen.

 

*

 

Am Abend machte Alaine alles in ihrem Zimmer bereit. Sie hoffte, niemand würde hiervon etwas mitbekommen. Vor allem nicht Onkel Vincent.

 

Ihre Haare waren mit einem Haarstäbchen hochgesteckt. Dabei trug sie ein schwarz-lila Kleid mit Silber Rosenmuster an der linken Seite. Ihre Arme waren mit Armwärmern umhüllt und sie trug ihre schönsten Silberringe.

 

Noch ein letztes Mal schaute sie in den Spiegel, malte noch einmal mit dem roten Lippenstift über ihre Lippen.

 

»Irgendwas fehlt noch.« Alaines Augen glitten über den Tisch, bis sie ihren Steckkamm im Rosenmotiv entdeckte. Diesen platzierte sie sich oben ins Haar hinein.

 

Ob sie übertrieb? Sie wollte nur einen guten Eindruck machen.

 

Alaine zündete noch die Kerze auf den Tisch an und einige Sekunden später klopfte es. Sie sprang regelrecht zur Tür, um sie zu öffnen.

 

Valnar trug wie immer seine schwarze Lederrüstung. Er starrte sie kurz begeistert an, bevor er einen Blumenstrauß hob.

»Für Euch. Ich dachte mir, wenn Ihr mich schon einladet, kann ich Euch auch ein Geschenk mitbringen.«

 

Schöne Feuerlilien! Wie aufmerksam! Er sah so niedlich aus, dass ihr Tier bei dem Anblick einen Hüpfer machte und sie selbst wollte ihn am liebsten beißen, sich vollends an seinem Blut laben, während sie in seinen Armen verweilte.

Alaine räusperte sich. Ihr Körper zitterte schon und sie zwang sich, sich zu beherrschen.

 

»Wie geht es Euch, Hohepriesterin?«, fragte er höflich und überreichte ihr den Strauß, als er ins Zimmer trat, aber Alaine konnte auch seine Aufregung spüren.

 

»Alaine«, korrigierte sie und roch neugierig an den Lilien. Fast lief sie wieder rot an. »Bitte Valnar, lass uns uns duzen.«

 

Darauf lachte er. »In Ordnung.« Dann fing er an, sie zu mustern. »Wenn ich gewusst hätte, dass Ihr- Verzeihung, dass du dich so vornehm anziehen würdest, hätte ich was Passenderes ausgesucht. Du siehst wirklich atemberaubend aus.«

 

»Ach«, kicherte sie verlegen, aber es war genau die Reaktion, die sie sich erhofft hatte. »Das macht doch nichts! Vielen Dank.« Sie rannte zum Nachttisch, schmiss die Nelken von Onkel Vincent aus der Vase und steckte die Lilien hinein. Schließlich wandte sie sich wieder ihm zu und grinste.

 

»Ich hoffe, du hast Appetit auf frisches Menschenblut.«

 

»Menschenblut?«, fragte er vorsichtig, während Alaine eine Weinflasche aus dem Regal nahm und auf den Tisch abstellte.

 

»Normalerweise gebe ich das nicht an neuen Kriegern. Es ist zwar nicht so intensiv, als würden wir uns an einem lebenden Menschen laben, aber es hat es trotzdem ganz schön in sich.« Alaine öffnete die Flasche und sie beobachtete, wie Valnars Pupillen zu Schlitzen wurden, fühlte seine Aufregung noch stärker. »Aber ich weiß, wie stark du bist.«

 

»Danke. Ich werde jeden Tropfen schätzen.«

 

Alaine war froh über seine Zustimmung; sie wollte alles sehen.

 

»Selbst ich traue mich nicht, mich direkt von einem Menschen zu ernähren. Es würde fatal enden.« Die Geschichten von ihrem Vater, wie Vampire die Menschen vor Blutgier zerfetzten, jagten ihr immer noch einen Schauer über den Rücken.

 

»Es fällt mir schon schwer, Menschen zu beißen.« Es war jedes Mal eine Herausforderung, wenn sie eine neue Gruppe von Menschenkriegern verwandeln musste. Für einen Moment wünschte sie sich, sie hätte damals Valnars Menschenblut gekostet. Das Tier pochte neugierig, bevor sie den Gedanken wieder verbannte.

 

Valnar nickte und setzte sich, und Alaine füllte beide Gläser mit der roten Flüssigkeit. Schließlich setzte sie sich gegenüber von ihm und hob ihr Glas an, während sie ihn neugierig betrachtete.

 

»Ah«, keuchte er. »Es riecht wundervoll.« Vorsichtig nahm er das Glas in die Hand und schnupperte leicht daran. Er zitterte und schien noch Hemmungen zu haben, aber das konnte sie verstehen. Immerhin war das hier freiwilliges Blut der Menschen aus ihrer Stadt. Kostbarer als alles andere.

 

Normalerweise würde sie das hier nicht so zur Schau stellen, aber es war nur fair, wenn sie ihn auch dabei beobachten wollte. Alaine hob lässig ihr Getränk, dann nahm sie einige Schlücke. Ihr Tier trat sofort hervor und wandte sich vor Gier. Wie eine Schlange begleitete es das Blut, als es ihre Kehle hinunterfloss. Ein wohltuendes Gefühl machte sich in ihrem Magen breit und langte in jede Ecke ihres Körpers; sie bebte vor Erregung, als ihr Tier sich in ihre empfindlichen Stellen hineindrückte und massierte. Was ein schönes Gefühl. Jedes Mal fühlte es sich wie eine Erlösung an.

 

Sie stellte das Glas wieder ab und stöhnte zufrieden.

 

Valnar lächelte sie verlegen an; er schien ganz gebannt auf Alaines Treiben gewesen zu sein und die Schamesröte stieg ihr ein klein wenig ins Gesicht. Sie legte die Arme auf den Tisch und starrte ihn erwartungsvoll an, bis auch er das Glas an seine Lippen legte und anfing zu trinken.

 

Erst trank er vorsichtig und sein Gesicht verkrampfte sich. Sein Tier schien sich ungeduldig auszubreiten und seine Schlücke wurden immer gieriger, aber er verschwendete keinen Tropfen. Es verging keine Minute, bis das gesamte Blut ausgetrunken war. Valnar ließ fast das Glas fallen, als er es abstellte; er keuchte laut, die Augen rot leuchtend aufgerissen. Ein einziger blutiger Faden lief seinem Kinn hinunter und auch sein Körper zitterte vor Erregung. Noch mehr, wie ihrer es getan hatte. Das erste Mal Menschenblut war immer noch eines der schönsten Höhepunkte der Gefühle und Alaine war fasziniert, ihn dabei observieren zu können. Sie lehnte sich vor und wischte das Blut von seinem Kinn mit ihrem Zeigefinger ab, dann leckte sie es auf.

 

Valnar räusperte sich und zwang sich zu einem Lächeln, aber Alaine konnte sehen, wie anstrengend es für ihn war.

 

»Unglaublich«, keuchte er schließlich mit Erleichterung in seiner Stimme.

 

Sie schmunzelte. »Nicht wahr?« Gespannt lehnte sie die Arme über den Tisch. »Wie hat es sich angefühlt?«

 

Er lehnte sich zurück und atmete tief aus. »Das war intensiver als Sex, stärker als eine Droge«, beschrieb er es und Alaines Mundwinkel gingen schüchtern nach oben. Er konnte das so gelassen aussprechen und das schätzte sie sehr.

 

»Es ist diese starke Bindung mit dem Tier, noch viel extremer als damals, als ich mein erstes Vampirblut gekostet hatte«, fügte er noch hinzu. »Diesmal wollte es viel mehr. Ich wollte mehr.«

 

Sie nickte. »Selbst ich fühle mich noch oft so, aber man sollte stets vorsichtig sein. Vor allem als junger Vampir könnte es das Tier zu stark antreiben, deshalb geben wir euch am Anfang Vampirblut.«

 

»Wie schön, dass man mit Euch noch beim Essen etwas lernt«, neckte er.

 

Alaine musste lachen, auch wenn es wahr war. »Hab ich dir nicht gesagt, du sollst mich duzen?«

 

Valnar schlug sich die flache Hand sanft vor die Stirn. »Verzeihung. Das kommt nie wieder vor, Alaine.«

 

Wieder musste sie lachen und kriegte sich fast nicht mehr ein, worauf er mitlachte, bis sie ihre innere Stimme hörte.

 

Warum wehrst du dich? Sein Blut würde so viel besser schmecken als alles, was du jemals gekostet hattest.

 

Doch Alaine ignorierte sie.

 

*

 

Sie hatten sich mittlerweile aufs Sofa gesetzt, den Rücken gegen die Wand gelehnt und redeten über Kindheitsgeschichten.

 

»Da stand ich, voller Dreck und Schlamm. Noch nie hatte ich Onkel Vincent so wütend erlebt, aber immerhin hatte ich meinen Teddy wieder!«

 

Alaine und Valnar lachten laut und er zerdrückte den Zigarettenstummel im Aschenbecher, bevor er sich wieder an die Wand lehnte.

 

»Du warst ja ein wirklich abenteuerlustiges Mädchen. Erinnert mich etwas an mich. Meine Mutter musste mich ständig von irgendwelchen Bäumen retten, weil ich nicht mehr herunterkam.«

 

»Ooh, also auch ein kleiner Abenteurer.« Sie kicherte, bis auch sie ihren letzten Zug nahm und den Stummel zerdrückte. »Das ist aber irgendwie niedlich.«

 

Valnar grinste sie an. »Kinder sind schon was Feines.«

 

»Ja ...« Sie wurde etwas betrübt an den Gedanken. »Ich möchte eines Tages auch Mutter werden.«

 

»Ist es schwierig als Vampir?«, fragte er vorsichtig.

 

»Nein, da ich geboren worden bin, kann ich auch Kinder gebären, aber ... mein Onkel. Er will, dass ich einen Herrscher heirate«, sie seufzte. »Ich weiß, dass es meine Pflicht ist, aber das kann ich nicht. Und ein Kind mit jemanden zeugen, den ich nicht liebe, kommt für mich nicht infrage.«

 

»Das verstehe ich«, antwortete Valnar, aber dann schwieg er eine Weile und Alaine brachte auch keinen Ton heraus.

 

»Aber«, fing er an. »Das ist die richtige Einstellung. Du verdienst es, jemanden zu haben, den du liebst und der dich genauso sehr liebt. Ich möchte dich nicht unglücklich an der Seite eines Königs sehen, nur weil es deine Pflicht ist.«

 

»Ich-« Alaine stockte. Sie war so gerührt von seinen Worten. Endlich gab es jemanden, der sie verstand, der sie wie eine Person sah, nicht nur eine Anführerin. Sie merkte nicht einmal, wie nah ihre Gesichter kamen.

 

Seine Lippen streiften ihre und sie wollte ihn küssen. Ihre innere Stimme schrie nach Verlangen, nach Vereinigung mit dem Vampir vor ihr. Sie sollten miteinander verschmelzen, sich gegenseitig hingeben, aber in letzter Sekunde legte Alaine ihre Hand auf Valnars Brust, schubste ihn leicht von sich und drehte beschämt ihr Gesicht weg. Das Tier strafte sie mit einer brennenden Welle durch ihren Körper, aber auch das ignorierte sie.

 

»Es ... tut mir leid«, entschuldigte Valnar sich. »Ich-«

 

»Schon gut«, unterbrach Alaine ihn und zwang sich zu einem höflichen Lächeln. »Danke, dass du heute da warst. Der Abend war sehr schön.«

 

Zuerst reagierte Valnar nicht, aber dann nickte er. »Das war er. Wenn, dann muss ich mich bedanken.«

 

»Gern.« Alaine stand auf und bemerkte, wie dunkel es draußen geworden war. »Du solltest dich beeilen, bevor dich jemand sieht.«

 

Valnar öffnete den Mund, als würde er noch irgendetwas sagen wollen, aber dann stand auch er auf, wieder mit diesem freundlichen Gesichtsausdruck, lief zur Tür und öffnete sie. »Gute Nacht, Alaine.«

 

»Gute Nacht, Valnar.«

 

Noch einmal schaute er sie an und für einen kurzen Augenblick sah sie seinen Kummer, aber dann ging er hinaus und schloss die Tür wieder leise. Alaine rührte sich nicht, bis sie seine Schritte nicht mehr hörte.

 

Was hast du getan?

 

Alaine knurrte und riss das Haarstäbchen aus ihren Haaren, und ihre Locken fielen herunter. Warum war alles so verdammt schwierig? Sie liebte ihn doch gar nicht; sie waren nur gute Freunde, die sich prima verstanden. Und wenn er ihr Geheimnis wüsste, würde er sowieso nie wieder etwas mit ihr zu tun haben wollen.

 

Sie erspähte die Lilien und ging zu ihnen herüber. Vorsichtig nahm sie eine von ihnen und roch daran. Es war ein außergewöhnlicher Abend gewesen, aber trotzdem spürte sie einen Schmerz, weil es nicht sein durfte. Blutige Tränen liefen lautlos ihre Wangen hinunter, als sie anfing zu weinen.

 

Wohin sollte das nur führen?



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