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We're (NOT) Getting Married

... it's all fake!
von

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» 1 «

- Eliza -


 

Seit ich denken konnte, war der Winter meine liebste Jahreszeit. Natürlich konnte ich nachvollziehen, dass manche Menschen bei zugefrorenen Straßen, rutschigen Gehwegen und dieser Eiseskälte niemals freiwillig einen Fuß nach draußen setzen wollten. Für mich jedoch gab es nichts Schöneres als durch den hohen Schnee zu stampfen und die weiße Landschaft um mich herum zu bewundern.
 

Zugegeben, Landschaft war relativ. Ich befand mich immerhin in New York, der berühmten Weltstadt, die niemals schlief. Ein wenig Natur konnte man nur dann genießen, wenn man sich die Zeit im Central Park oder den anderen Parkanlagen vertrieb, die in der gesamten Stadt verteilt waren.
 

Wer jedoch um eine so unchristliche Uhrzeit wie ich unterwegs war (es war immerhin erst 05.30 Uhr), konnte selbst in New York große, unberührte Flächen bedeckt von Schnee entdecken. Nachdem es wochenlang nur kalt gewesen war, hatte der Wintergott vergangene Nacht beschlossen, richtig zuschlagen zu müssen. 25 Zentimeter Neuschnee innerhalb weniger Stunden. Für jemanden wie mich, der aus Alaska kam und deshalb viel größere Schneemassen gewohnt war, stellte das kein allzu großes Problem da. Hier jedoch schienen die Menschen bereits nach wenigen Flöckchen, die vom Himmel fielen, in Panik auszubrechen.
 

Der kalte Wind, der mir ins Gesicht blies, brachte mich dazu, meinen Schal noch ein wenig höher zu ziehen. Ich hatte gerade an einem der vielen Stände in den Straßen eine Zeitung gekauft und betrat schließlich fröstelnd den kleinen Coffee-Shop in der Nähe meines Büros.
 

»Guten Morgen, Eliza!«
 

Ich lächelte, als Kates fröhliche Stimme hinter der Theke zu vernehmen war. »Guten Morgen, Kate.«
 

»Es ist unglaublich, selbst bei diesem Sauwetter bist du auf die Minute pünktlich.« Die Großgewachsene Barista schüttelte den Kopf und fuhr damit fort, zwei Kaffeebecher vorzubereiten.
 

»Ist doch nur ein bisschen Schnee.« Ich zuckte unbekümmert mit den Schultern. »Kann ja nichts dafür, dass ihr Großstädter nichts gewohnt seid.«
 

»Würden wir uns mit tonnenweise Schnee beschäftigen wollen, würden wir auf dem Land leben.« Kate drückte Deckel auf die Becher und zog eine Tragehalterung unter dem Tresen hervor. »So, bitte schön. Ein Kaffee mit Milch, Zucker und einer lächerlichen Menge Zimt und ein Kaffee, schwarz wie die dunkle Seele der Person, für die du ihn mitnimmst.«
 

Ich verdrehte die Augen, grinste aber. »Wir sind heute aber wieder dramatisch veranlagt. So schlimm ist er auch wieder nicht.«
 

Das versuchte ich mir zumindest selbst immer wieder einzureden.
 

»Natürlich nicht. Jeder nette Chef lässt seine Mitarbeiter morgens ins Büro kommen, wenn es noch dunkel ist und erst wieder nachhause gehen, wenn die Sonne lange untergegangen ist.«, erwiderte Kate sarkastisch.
 

»Ich kann dich gar nicht hören.« Ich zog meine Kreditkarte heraus und hielt sie kurz über das kleine Lesegerät auf der Theke. Ein kleines Piepsen bestätigte die Bezahlung. »Und außerdem muss ich jetzt auch schon wieder los.«
 

»Kommst du heute Mittag vorbei?«
 

»Ich weiß noch nicht genau.« Ich nahm die beiden Becher in der Tragehalterung entgegen. »Das ist ein ziemlich wichtiges Projekt, an dem wir arbeiten. Keine Ahnung, wann ich es schaffe Mittag zu machen.«
 

In anderen Worten – ob ich es überhaupt schaffen würde.
 

Ein Augenrollen. »Hier.« Sie zog einen mit Salat und Frischkäse bestrichenen Bagel aus der Verkaufstheke und packte ihn in eine Papiertüte. »Und keine Widerrede. Hau ab.«
 

Ich verkniff mir jeden weiteren Kommentar und schenkte ihr ein lächeln, als ich das Gebäck in meiner Tasche verschwinden ließ. »Du bist die Beste. Aber das muss ich dir ja nicht sagen.«
 

»Nein. Das weiß ich auch so.«
 

Ich hob zum Abschied die Hand, ehe ich wieder nach draußen ins Freie trat. Ein paar wenige Minuten Fußmarsch später überquerte ich eine Straße und steuerte das mit Glasfronten versehene Hochhaus an, in dem ich seit nun mehr als zwei Jahren arbeitete.
 

L&S – Laws and Sons
 

Hätte man mir nach dem Schulabschluss erzählt, dass ich irgendwann einmal für eine hoch angesehene Anwaltskanzlei arbeiten würde, hätte ich diese Person vermutlich ausgelacht. Seit ich denken konnte, hatte ich eine tiefgründige Abneigung gegen alles, was mit Rechtswissenschaften zu tun hatte.
 

Durchaus möglich, dass es daran lag, dass ich aus einer verdammten Anwaltsfamilie kam.
 

Mein Onkel war Anwalt. Mein Vater war Anwalt. Mein ältester Bruder war Anwalt und mein zweitältester Bruder war auf dem besten Wege ebenfalls einer zu werden. Nicht weiter verwunderlich, dass von mir erwartet wurde, die Familientradition fortzuführen.
 

Was ich jedoch nicht vorhatte zu tun.
 

So sehr ich meine Familie auch liebte, würde ich mich nicht für einen Beruf entscheiden, mit dem ich mein Leben lang unglücklich sein würde. Ich war nicht dafür geschaffen, Anwältin zu werden.
 

Wie ich also als Anwaltsgehilfin in einer Anwaltskanzlei gelandet war? Ganz einfach: Um das Märchen, das ich beschämenderweise seit Jahren meiner Familie auftischte, nicht auffliegen zu lassen.
 

Bis zum heutigen Tage an waren sie davon überzeugt, dass ich die Stelle angenommen hatte, um neben meinem Jurastudium Praxiserfahrung sammeln zu können. Das war nicht einmal unüblich. Viele angehende Anwälte arbeiteten nebenbei und das nicht nur, um ihr Studium zu finanzieren.
 

Finanziell musste ich mir glücklicherweise keine Gedanken machen. Das für New York überraschend geräumige zwei Zimmer Apartment, in dem ich lebte, gehörte meiner Großmutter, die es mir sofort zur freien Verfügung angeboten hatte, nachdem feststand, das ich für mein Studium in die Weltmetropole ziehen würde.
 

Meine Großmutter war eine der wichtigsten Personen in meinem Leben und ich hatte es nicht übers Herz bringen können sie zu belügen. Wenige Tage, bevor ich nach New York gezogen war, hatte ich in ihrem Wohnzimmer gesessen und Rotz und Wasser geheult, während ich ihr beichtete, was ich tatsächlich vorhatte zu tun.
 

Bücher.
 

Ein Wort. Ganz einfach.
 

Mein Leben lang schon hatte ich eine Leidenschaft für Bücher. Ich liebte das Lesen, liebte es, Stunden über Stunden in Buchhandlungen oder Bibliotheken zu verbringen. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie oft ich mich abends aus dem Haus geschlichen hatte, um Vorlesungen meiner Lieblingsautoren zu besuchen. Meine gesamte Kindheit und Teenagerzeit war ich der größte Bücherwurm überhaupt gewesen. Meine Großmutter schien wohl gerade deshalb nicht im mindesten überrascht gewesen zu sein, als ich ihr verkündet hatte ein Literaturstudium beginnen zu wollen.
 

„Es ist dein Leben, Ellie.“ Ich konnte ihre Worte von damals noch immer hören. „Wenn du dich dem Willen deiner Familie beugst, wirst du es den Rest deines Lebens bereuen. Diese Entscheidung musst du fällen, du allein.“
 

Und das hatte ich getan.
 

Während meine Familie also glaubte, dass ich seit zwei Jahren Jura an der New York University studierte, absolvierte ich in Wirklichkeit ein Literaturstudium an der Columbia University.
 

Mein schlechtes Gewissen war in den ersten Wochen ins unermessliche gestiegen. Ich ging meiner Familie so gut ich konnte aus dem Weg und versuchte, jegliche Telefonate und Gespräche so kurz und knapp wie möglich zu halten. Je weniger ich sie sah und sprach, umso weniger musste ich lügen. Ganz einfach.
 

Ich war nicht so dumm zu glauben, dass ich diese Lügen mein Leben lang aufrechterhalten konnte. Spätestens in einem Jahr, wenn ich unter normalen Umständen mein Studium hinter mir hätte, würde ich reinen Tisch machen müssen. Mir wurde schon jetzt schlecht, wenn ich nur an das Gespräch dachte, das unausweichlich auf mich zukommen würde. Aber bis dahin hatte ich noch Zeit. Zumindest noch etwas.
 

Da es eindeutig schon schlimm genug war, dass ich sie bezüglich meines Studiums belog, buchte ich das gesamte Geld, das mir mein Vater Monat für Monat für die Studiengebühren schickte, auf ein separates Bankkonto. Keinen einzigen Cent hatte ich angerührt. Dadurch, dass ich durch die Wohnung meiner Großmutter keine Mietkosten aufbringen musste, reichte mein Gehalt aus, um die Gebühren für die Columbia University und alle Lebenserhaltungskosten zahlen zu können. Allzu große Sprünge waren zwar nicht möglich, am Hungertuch musste ich aber auch nicht nagen.
 

»Guten Morgen.« Wie jeden Morgen schenkte ich dem grimmig aussehenden Wachmann ein Lächeln, der alle paar Sekunden die große Uhr gegenüber des Empfangstisches anstarrte und auf das Ende seiner Nachtschicht wartete. Ich wartete nicht auf eine Antwort – ich würde sowieso keine bekommen.
 

Da außer mir bisher kaum jemand im Gebäude war, musste ich nicht lange auf einen freien Fahrstuhl warten. In meinem Stockwerk angekommen durchquerte ich den langen Flur und sah durch die Glaswände in die leeren Büros. Wie erwartet war ich die Erste. Ich musste fast die komplette Etage durchqueren, bis ich schließlich in einen separaten Korridor einbog, der mich zu meinem Schreibtisch führen würde.
 

Mein direkter Vorgesetzter war einer der fünf erfolgreichsten Anwälte der Kanzlei, die alle daraufhin arbeiteten, die letzte Stufe in der Hierarchie aufzusteigen und Teilhaber von Laws & Sons zu werden. Der Vorstand setzte sich momentan aus sieben Vorstandsmitgliedern zusammen, wovon einer im kommenden Jahr in den wohlverdienten Ruhestand gehen würde. Es war also nicht weiter erstaunlich, dass der Druck mit Aussicht auf einen freien Posten noch weiter zugenommen hatte.
 

Gähnend stellte ich meine Tasche auf meinem Schreibtisch ab und fing an mich von meinem Schal und meiner Jacke zu befreien. Ich hängte beides ordentlich an den Kleiderhaken an der Wand und löste einen der Kaffeebecher aus der Tragehalterung. Mit dem Becher in der einen und der Zeitung in der anderen Hand trat ich durch die einzige weitere Tür. Egal wie oft ich schon hier gewesen war, überwältigte mich der Ausblick aus dem siebzehnten Stock immer wieder aufs Neue. Mein Chef hatte das Glück eines der heißbegehrten Eckbüros seine eigen nennen zu dürfen. Während man von einer Seite das rege Treiben auf den Straßen von New York beobachten konnte, hatte man auf der anderen Seite einen atemberaubenden Blick auf den Hudson.

Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich ihn nicht beneiden würde. Allerdings konnte ich froh sein, überhaupt ein Fenster geschweige denn ein eigenes Büro zu haben. Die meisten Mitarbeiter der Kanzlei arbeiteten in den Großraumbüros in der Mitte des Gebäudes. Lediglich die Chefassistenten und Assistentinnen hatten eigene Räume, die wiederum zu den Büros ihrer Vorgesetzten führten.
 

Wie jeden Morgen stellte ich den Kaffee auf den großen Schreibtisch, genau links neben das Telefon. Die Zeitung platzierte ich auf der anderen Seite neben der Tastatur des Computers. Ich schaltete die Schreibtischlampe an und aktivierte mit der Fernbedienung das kleine Radio, das in dem Schrank hinter dem Schreibtisch stand.

Mit geübtem Blick überflog ich das restliche Büro und prüfte, ob alles an seinem Platz war, ehe ich zufrieden zurück zu meinem Platz ging und meinen Computer startete. Mit einem kurzen Blick in den kleinen Spiegel, den ich in meiner Schreibtischschublade lagerte, stellte ich sicher, dass der Wind meine Haare nicht komplett zerzaust hatte und zupfte ein paar lose Strähnen zurecht. Alles in Ordnung.
 

Die ersten Tätigkeiten eines jedem morgens gingen mir fast schon automatisch von der Hand. Ich prüfte die neu eingetroffenen E-Mails, trug neue Termine in den Kalender meines Chefs ein und forderte fehlende Dokumente an, die ich bis spätestens am Nachmittag vorliegen haben musste. Mike – der neue Praktikant – hatte gerade die Post vorbeigebracht, als die Tür meines Büros erneut geöffnet wurde. Instinktiv richtete ich mich auf und setzte mich noch gerader hin.
 

»Guten Morgen.«
 

Nathan Scott war schwer zu beschreiben. Als einer der fünf Anwärter auf einen Vorstandsposten war er einer der hochangesehensten und geschicktesten jungen Anwälte, die die Kanzlei zu bieten hatte. Der erstklassige Abschluss von der New York University hatte ihm eine sofortige Anstellung eingebracht und innerhalb weniger Jahre war er die Karriereleiter höher aufgestiegen, als viele es in ihrem Gesamten leben nicht schaffen würden.
 

Die Menschen, die ihn nicht persönlich kannten, würden ihn als gutaussehenden Mann Ende zwanzig beschreiben. Scharfsinnig, zielorientiert und hochintelligent.
 

Wenn man mich fragen würde, kämen mir andere Begriffe in den Sinn. Unfreundlich, kalt, eingebildet.
 

Aber mich fragte ja niemand.
 

»Sind die Akten von dem Debbie-Jones-Fall bei der Post dabei gewesen?«
 

Die nicht vorhandene Begrüßung ignorierte ich gekonnt und schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe das Polizeirevier in Brooklyn bereits kontaktiert. Sie werden die Unterlagen in den nächsten zwei Stunden zusammenstellen und per Kurier herbringen lassen.«
 

»Vollkommen egal, wann die Akte hier eintrifft, ich will sie sofort auf meinem Schreibtisch haben. Sollte ich besuch haben, kommen Sie trotzdem rein.«
 

»Natürlich.«
 

Damit fiel die Tür hinter ihm ins Schloss und ich blieb allein zurück. Ich schloss einen Augenblick lang die Augen und atmete tief durch. Wenn er um diese Uhrzeit bereits so eine Laune hatte, würde der restliche Tag alles andere als spaßig werden. Aber das war ich eigentlich auch schon gewohnt.

» 2 «

- Nathan -


 

Als mögliches neues Vorstandsmitglied einer der renommiertesten Anwaltskanzleien in New York, war es mir nicht möglich, weniger als 100 % zu geben. Wie bereits mein ganzes Leben schon war ich es gewohnt auf der Überholspur zu fahren. Wohlhabendes Elternhaus, erstklassige Privatschulen und ein Abschluss einer Eliteuniversität. Ich hatte die Voraussetzungen für eine steile Karriere bereits in die Wiege gelegt bekommen und genutzt, um mir innerhalb weniger Jahre bereits eine Position zu sichern, um die mich unzählige Menschen beneideten.
 

Nachdem vor etwa einem Jahr außerdem bekannt gegeben wurde, dass ein Vorstandsmitglied in absehbarer Zeit in den Ruhestand gehen würde, stand für mich bereits fest, dass die letzte Stufe in der Hierarchie zum greifen nah war.
 

Immerhin war ich die beste Option, die der Kanzlei zur Verfügung stand.
 

Auch wenn mich genügend Menschen eingebildet schimpften, konnte doch niemand abstreiten das ich in dem, was ich tat, gut war. Mehr als gut. Wie sonst hätte ich mit 29 Jahren bereits die Chance bekommen können, eine der höchsten Positionen in der Kanzlei einzunehmen?
 

Zwei Jahre in Folge ohne einen einzigen verlorenen Fall. Millionen von Dollar, die ich der Firma eingebracht hatte. Unzählige Klienten, die sich für Laws & Sons entschieden, nur um mich als ihren Anwalt arrangieren zu können.
 

Zu behaupten, es würde gut laufen, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts.
 

Dennoch war ich nicht so arrogant zu behaupten, mein Erfolg würde einzig und allein auf meinen eigenen Taten beruhen. Um so hervorragende Arbeit zu leisten, wie ich es tat, war ein voll funktionsfähiges Team nötig, dass ebenso gute Ergebnisse, wie ich selbst erzielte.
 

Eine Person dieses Teams saß wie jeden Morgen an ihrem Schreibtisch und war bereits am Arbeiten, als ich kurz vor sechs Uhr eintraf.
 

Zwar gab ich es nicht offen zu, doch war ich insgeheim beeindruckt. Eliza Blake war eine junge Jurastudentin, die vor etwas mehr als zwei Jahren in der Kanzlei angefangen hatte zu arbeiten. Es innerhalb einer so kurzen Zeitspanne von einfachen Angestellten zur Chefassistentin zu bringen, hatte einige Mitarbeiter skeptisch die Augenbrauen heben lassen. Doch ihre Arbeit sprach für sich.
 

Ich war froh, endlich eine kompetente Assistentin gefunden zu haben, die nicht nur dasitzen und hübsch aussehen konnte oder die in Tränen ausbrach, wenn ich ihr deutlich machte, was ich von ihrer Arbeit hielt. Sie war klug, wusste, was sie tat und auch wie sie sich zu benehmen hatte, wenn hochrangige Klienten einen Termin hatten. Einzig und allein ihre doch sehr zurückhaltende Art würde ihr, auf ihrem Weg Anwältin zu werden, früher oder später deutlich Probleme machen. Aber das konnte mir nur recht sein. Sollte sie ihr Studium nicht schaffen, müsste ich mir zumindest keine Sorgen machen, eine neue Assistentin finden zu müssen.
 

»Sind die Akten von dem Debbie-Jones-Fall bei der Post dabei gewesen?«, fragte ich ohne Umschweife.
 

Sie kannte mich mittlerweile gut genug, um nicht eingeschnappt auf die fehlende Begrüßung zu reagieren. »Nein. Ich habe das Polizeirevier in Brooklyn bereits kontaktiert. Sie werden die Unterlagen in den nächsten zwei Stunden zusammenstellen und per Kurier herbringen lassen.«
 

Ich nickte. »Vollkommen egal, wann die Akte hier eintrifft, ich will sie sofort auf meinem Schreibtisch haben. Sollte ich besuch haben, kommen Sie trotzdem rein.«
 

»Natürlich.«
 

Da alles gesagt war, was es zu sagen gab, betrat ich mein Büro und ließ die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Meine Tasche legte ich auf das Sideboard neben meinem Schreibtisch, bevor ich meine Jacke auszog, mich auf den dunklen Ledersessel setzte und die Zeitung zur Hand nahm.
 

Noch ein Grund, weshalb Eliza ihr Studium nicht schaffen sollte, schoss es mir durch den Kopf, als ich die Titelseite überflog und einen Schluck von meinem Kaffee nahm. Sie brachte Kaffee, die Zeitung und verrichtete gute Arbeit. Es wäre unnötig mühsam, eine neue Assistentin finden und meiner Vorstellung von einer Arbeitskraft formen zu müssen.
 

Meine Mutter wäre entsetzt, würde sie wissen, was ich von meinem Umfeld hielt. Aber ich war ein Gewinner. Und Gewinner gaben sich nicht mit nutzlosem Fußvolk ab.
 

--
 

»Ich kann Ihnen versichern, dass wir alle nötigen Unterlagen bis zu Beginn der Verhandlungen vorliegen haben, Mr. Falton. Wie Sie wissen habe ich in den vergangenen Jahren bereits mehrere Fälle dieser Art bearbeitet und erfolgreich abschließen können.«
 

Die nervöse Stimme des älteren Mannes am anderen Ende der Leitung raubte mir seit geraumer Zeit den letzten Nerv, doch war ich professionell genug, um ihm nicht zu sagen, dass er sich die ganze Misere selbst eingebrockt hatte und sich der Konsequenzen wie ein Mann stehen sollte – und nicht wie ein Weichei.
 

Der Vormittag ging nur schleppend voran. Die Gerichte hatten in den vergangenen Wochen mit unzähligen Ausfällen zu kämpfen gehabt, was zur Folge hatte, dass sich ebenso viele Verfahren immer weiter nach hinten verschoben hatten. Einige meiner sowieso übernervösen Klienten waren noch unruhiger geworden und zwangen mich dazu, bereits seit Stunden Schadensbegrenzung zu betreiben.
 

»Mr. Falton, atmen sie durch.« Ich stand an dem großen Panoramafenster und ließ meinen Blick über den Hudson schweifen, der schon immer eine beruhigende Wirkung auf mich gehabt hatte. »Sie werden jetzt zu Ihrer Frau gehen und sie zum Mittagessen in ein nettes Restaurant ausführen. Im Anschluss werden Sie beide sich die Zeit bei einem Spaziergang am Hafen vertreiben und ehe Sie sich versehen ist es später Nachmittag und ich werde Ihnen mitteilen können, dass die Akte endlich eingetroffen ist.«
 

Es war zunächst still am anderen Ende der Leitung, doch konnte ich zufrieden vernehmen, dass er bei seinen nächsten Worten nicht mehr allzu aufgebracht klang.
 

Das Telefon auf meinem Schreibtisch klingelte. Während ich Mr. Falton mit halbem Ohr zuhörte, durchquerte ich den Raum und sah auf die Anrufer-ID.
 

Eliza.
 

Höflich aber bestimmt beendete ich das Telefonat, das ich an meinem Smartphone geführt hatte und griff nach meinem Telefon. »Ja?«
 

»Mr. Swan und Mr. Thompson bitten um ein Gespräch.«, erklärte Eliza kurz und knapp.
 

Richard Swan und Charles Thompson waren zwei der insgesamt sieben Vorstandsmitglieder von Laws & Sons. Auch wenn es offiziell einen anderen Anschein machte, war inoffiziell bekannt, dass es die beiden waren, die die wirklich wichtigen Entscheidungen fällten, während die fünf anderen sich schweigend ihrer Meinungen fügten.
 

»Haben sie gesagt, um was es genau geht?«
 

»Nein.« Eliza schwieg einen Moment, ehe sie fortfuhr: »Aber es klang dringend.«
 

Ich schloss resignierend die Augen, ein solches Gespräch verweigern konnte ich nicht. Nicht zuletzt, weil die beiden die Personen waren, mit denen ich mich auch weiterhin gut stellen musste, wenn ich in den Vorstand aufsteigen wollte. »Sagen Sie ihnen, dass sie, wenn sie wollen, sofort vorbeikommen können.«
 

»In Ordnung.«
 

Ich trat hinter meinen Schreibtisch und legte einige Akten zur Seite, um ein wenig Ordnung zu schaffen. »Irgendeine Neuigkeit von den fehlenden Unterlagen?«
 

»Nein, leider noch nicht. Ich werde nochmals anrufen und druck machen.«
 

»Tun Sie das.« Ich legte den Hörer auf und ließ mich auf meinen Schreibtischstuhl sinken.
 

Irgendetwas musste entweder passiert sein oder würde passieren. Swan und Thompson kamen nicht einfach auf einen Besuch vorbei, nur weil sie gerade nichts zu tun hatten.
 

Nervös konnte man es nicht nennen, doch machte sich eine gewisse Unruhe in mir breit, während ich darauf wartete, dass die beiden Vorstandsmitglieder bei mir eintrafen. Es gefiel mir nicht im Geringsten, nicht zu wissen, weshalb sie zu einem Gespräch baten.
 

Es musste wirklich dringend sein, wurde mir klar, als es bereits wenige Minuten später an meiner Tür klopfte.
 

Eliza, die die Tür geöffnet hatte, war die Erste, die eintrat und wartete, bis die beiden älteren Herren den Raum betreten hatten.
 

Charles Thompson und Richard Swan waren genau so, wie man sich zwei Männer in ihrer Position vorstellte. Alles an ihnen schrie Autorität, die jahrelange Erfahrung hatte sie zu Experten auf ihren Gebieten gemacht und niemand würde ihnen in ihrem Job so leicht etwas vormachen. Die maßgeschneiderten Anzüge saßen perfekt, ebenso wie die darauf abgestimmten Krawatten.
 

Doch so sehr sie sich ähnelten, was ihre Ausstrahlung betraf, waren sie doch grundverschieden, wenn es um den Charakter ging. Während Swan nie mehr von sich preisgab, als zwingend notwendig, war Thompson derjenige, der mit Leichtigkeit Verbindungen mit potentiellen Kunden knüpfte.
 

»Mr. Swan, Mr. Thompson.« Ich wollte mich gerade von meinem Platz erheben, um sie zu begrüßen, als Thompson die Hand hob und mir deutete sitzenzubleiben.
 

»Schon in Ordnung, Nathan.«
 

Misstrauisch ließ sich mich wieder auf meinen Stuhl sinken und bot den beiden die Plätze vor meinem Schreibtisch an. »Kann ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee?«
 

»Für mich nicht.« Swan schüttelte den Kopf, Thompson ebenfalls.
 

Ich nickte Eliza zu, die schweigend in der Tür gewartet hatte und nun geräuschlos den Raum verließ.
 

»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich und bemühte mich, meine Stimme zu ruhig wie immer zu halten.
 

Wie ich es gewohnt war, hielten sich die beiden nicht lange mit ausweichendem Smalltalk auf, sondern kamen sofort zum Grund ihres Besuches.
 

»Nathan, Sie wissen, dass wir uns mehr als glücklich schätzen Sie hier für unsere Kanzlei gewonnen zu haben.«
 

Ich behielt meinen gelassenen Gesichtsausdruck bei, als Swan zu sprechen begann.
 

»Ihre Arbeit ist tadellos und es wäre lächerlich zu behaupten, wir würden Sie nicht für den bald freien Vorstandsposten in Betracht ziehen.«, fuhr Swan fort. »Aber dennoch wissen Sie genauso gut wie wir, dass das Geschäft höchste Priorität hat.«
 

»Selbstverständlich.«
 

»Seit der Bekanntgabe, dass Black Wolf Enterprises auf der Suche nach einem dauerhaften Rechtsbeistand ist, arbeitet der gesamte Vorstand auf Hochtouren. Sollte es uns gelingen, BW-E davon zu überzeugen, mit unserer Kanzlei einen Vertrag abzuschließen, würde uns das Einkünfte im achtstelligen Bereich einbringen.«
 

Ich verkniff mir einen Kommentar abzugeben, dass ich das alles längst wusste und selbst seit Wochen daran arbeitete, eben diese Geschäftsbeziehung zustande zu bringen. Leider waren die Verantwortlichen von Black Wolf Enterprises nicht die typischen Klienten, mit denen ich sonst zu tun hatte. Das gesamte Unternehmen baute auf einer fast schon familiären Basis auf, keine Entscheidung wurde von einer einzelnen Person getroffen. Das machte es um einige schwieriger, einen Deal auszuhandeln.
 

»Ich kann Ihnen versichern, dass ich bereits gute Kontakte zu mehreren Angestellten der Führungsebene herstellen konnte.«, erklärte ich ruhig. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich einen Vertrag zustande bringen werde.«
 

»Diese Zeit haben wir aber leider nicht.«, unterbrach mich Swan, bevor ich weitersprechen konnte. »Wir sind nicht die Einzigen, die an dieser Geschäftsbeziehung interessiert sind. Aus sicherer Quelle haben wir erfahren, dass die Kanzlei Prescott ebenfalls starkes Interesse gezeigt hat.«
 

Meine Hand schloss sich fester um den schwarzen Kugelschreiber, den ich unbewusst seit geraumer Zeit hin und her drehte. Prescott war tatsächlich ein Problem. Die Kanzlei am anderen Ende der Stadt der größte Konkurrent, den es gab.
 

»Ich werde mich sofort um weitere Gespräche mit den Verantwortlichen bemühen.«
 

»Sicher werden Sie das, aber das wird leider nicht reichen.« Charles Thompson lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Und genau deshalb werden wir diese Gespräche an Ethan Dawn weitergeben.«
 

Ich war froh, bereits zu sitzen und keine Waffen in greifbarer Nähe zu haben, als ich diesen Namen vernahm. »Ethan Dawn?«
 

»Ja, Dawn.«, bestätigte Swan. »Er leistet ebenso wie Sie hervorragende Arbeit und bringt die nötige Kompetenz und Erfahrung mit.«
 

»Wie Sie wissen, hat Black Wolf enge Bindungen mit all ihren Partnern. Und damit meine ich wirklich alle Partner. Gerade deshalb nehmen sie sich auch viel Zeit, um eine neue Kanzlei zu finden, die all ihre zukünftigen rechtlichen Interessen vertreten wird.« Thompson warf einen Blick auf den Kalender an der Wand. »In der kommenden Woche veranstalten sie deshalb eine Art Winterfreizeit. Sieben Tage in den Bergen zum besseren kennen lernen von eventuellen Partnern. Genau das ist unsere Chance.«
 

»Und was hat Dawn damit zu tun? Ich bin mir sicher, dass ich ebenso wie er unsere Interessen dort vertreten kann.« Es fiel mir zwar schwer, meine Wut nicht offen zu zeigen, doch schaffte ich es, ruhig zu bleiben.
 

Swan nickte. »Natürlich können Sie das. Aber Dawn hat einen bedeutenden Vorteil.«
 

Ich unterdrückte das Bedürfnis, ihm meinen Locher ins Gesicht zu werfen. »Und der wäre?«
 

»Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.«
 

Selten schaffte es jemand, mich wirklich zu überrumpeln. Mit diesem Satz hatte Swan es allerdings geschafft. Verheiratet. Kinder. »Was hat Dawns Privatleben mit alledem zu tun?«
 

»Black Wolf ist wie eine Familie und arbeitet auch als solche zusammen. Indem wir ihnen jemanden von unserer Kanzlei schicken, der mit diesen Verbindungen vertraut ist, werden wir unsere Chancen deutlich in die Höhe treiben können.«
 

Ich hatte mich wohl verhört. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein! Ich gab es zwar nicht gerne zu, doch war Ethan Dawn mein größter Konkurrent im Kampf um den Vorstandsposten. Er war ein paar Jahre älter als ich und ebenfalls seit seinem Juraabschluss bei Laws & Sons angestellt. Das ein oder andere Vorstandsmitglied war von der Idee, jemand so jungen wie mich in ihre Reihen aufzunehmen, nicht allzu begeistert. Dawn war Ende dreißig und würde ihnen damit mit Sicherheit eher zusagen. Sollte er jetzt außerdem auch noch diesen Deal aushandeln können… konnte ich mir den Vorstandsposten abschminken.
 

Meine Hände ballten sich unter dem Schreibtisch zu Fäusten. Das durfte nicht passieren. Jahrelange Arbeit, unzählige Überstunden, alles wäre umsonst gewesen! Und dann auch noch dieser Schmierlappen von Dawn – das wollte und konnte ich einfach nicht zulassen!
 

Mein Hirn arbeitete auf Hochtouren, versuchte, einen Ausweg zu finden und die richtigen Worte zu bilden, um die beiden Männer vor mir davon zu überzeugen, diese Entscheidung zurückzunehmen.
 

Ein leises Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Es war Eliza, die eine dicke Akte in den Händen hielt.
 

»Entschuldigen Sie vielmals die Störung.« Mit schnellen Schritten durchquerte sie den Raum und reichte mir die fehlenden Unterlagen, auf die ich gewartet hatte. »Der Kurier war eben da. Ich habe die Unterlagen überflogen, es scheint alles da zu sein.«
 

Ich nahm die Akte kommentarlos entgegen und noch während ich meine Assistentin dabei anstarrte, deutete mir mein Hirn plötzlich einen Ausweg.
 

Das war dumm. Ziemlich dumm.
 

»Ich werde diese Verbindung mit Black Wolf ebenso knüpfen können, wie Mr. Dawn.«, sagte ich langsam, ohne den Blick von ihr zu lösen.
 

Eliza, der mein durchdringender Blick aufgefallen sein musste, hatte mitten in der Bewegung innegehalten.
 

Du wirst es bereuen, wenn du das jetzt sagst, versuchte mich der vernünftige Teil meines Kopfes von meinen nächsten Worten abzuhalten.
 

Noch ehe Swan oder Thompson etwas erwidern konnten, fuhr ich fort: »Ich habe stets darauf geachtet, mein Privatleben auch privat zu halten. Bis zum heutigen Tage an war ich überzeugt, dass es für meine Laufbahn nicht relevant wäre, welche Beziehungen ich außerhalb der Arbeit pflege.« Ich erhob mich langsam von meinem Schreibtisch, den Blick weiterhin auf meiner Assistentin.
 

Dieser Plan war idiotisch. Wirklich idiotisch. Was für mich vollkommen untypisch war. Ich tat üblicherweise nie etwas, ohne mir der Konsequenzen bewusst zu sein, die mein Handeln mit sich bringen würde. Jetzt befand ich mich allerdings in einer Ausnahmesituation. Ich hatte keine Zeit, mir einen Plan zurechtzulegen, ich musste handeln, bevor dieser Schleimbeutel von Dawn mir meine Chancen auf die Beförderung zunichtemachen würde.
 

Mit wenigen Schritten hatte ich meinen Schreibtisch umrundet, bis ich neben meiner Assistentin stand. Als hätte ich es schon unzählige Male zuvorgetan, legte ich einen Arm um ihre Taille und zog sie zu mir.
 

Ich konnte spüren, wie sie sich verkrampfte, während große grüne Augen mir verständnislos entgegenstarten. „Wir werden heiraten.«

» 3 «

- Eliza -


 

Ich war schon immer eine ruhige und zurückhaltende Person gewesen. Konflikten ging ich weitestgehend aus dem Weg, bewusste Provokationen versuchte ich zu vermeiden. Das tat nicht nur meiner harmoniebedürftigen Seele gut, sondern machte das Leben auch um einiges einfacher.
 

Das hieß allerdings nicht, dass ich mir alles einfach so gefallen ließ. Im Gegenteil, ich war normalerweise wirklich nicht auf den Mund gefallen.
 

Als mein Chef mich jedoch plötzlich in den Arm nahm und mich mit seinen dunklen Augen fixierte, war ich sprachlos.
 

»Wir werden heiraten.«
 

Bitte was?!
 

Ich war so sehr damit beschäftigt zu verstehen, was Nathan da gerade gesagt hatte, dass ich nicht in der Lage war auch nur einen Finger zu rühren.
 

»Ist das wahr?« Charles Thompson hatte sich in seinem Stuhl aufgerichtet.
 

Nein, ist es nicht!
 

Ich hielt die Luft an, als mich Nathans Hand auf meinem Rücken noch näher an ihn zog und meine Wangen fingen an zu glühen, als er mich gegen seinen eindeutig gut gebauten Oberkörper drückte. Das Training im Fitnessstudio, dreimal die Woche – es zahlte sich wirklich aus.
 

»Sie können sich doch vorstellen, dass wir das Gesprächsthema Nummer 1 gewesen wären, hätten wir unsere Beziehung öffentlich gemacht.« Nathans Stimme klang in meinen Ohren plötzlich viel tiefer als üblich. »Ein Anwalt in meiner Position und seine Assistentin. Die werten Kollegen hätten sich das Maul darüber zerrissen.«
 

Und wie sie das hätten. Über solche Beziehungen wurde immer gemunkelt und alle warteten nur darauf, irgendetwas aufzuschnappen, um sich an dem Büroklatsch beteiligen zu können. Ich würde vermutlich genauso mitmachen.
 

»Ich bin wirklich… sprachlos.«, sagte Swan langsam und sah abwechselnd zwischen Nathan und mir hin und her.
 

Da wären wir schon zwei: Ich nämlich auch!
 

Er schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht glauben, dass Sie es geschafft haben das geheim zu halten, immerhin wissen wir wie schnell sich solche Dinge herumsprechen. Wie lange geht das denn schon?«
 

Nathan antwortete, ohne auch nur zu zögern. »Etwas mehr als ein Jahr.«
 

Was um Himmelswillen tat er da?
 

Das dort drüben waren nicht nur seine Chefs, sondern auch meine! Und er berichtete ihnen gerade von einer Beziehung, die überhaupt nicht existierte!
 

Du musst das richtigstellen, schoss es mir durch den Kopf. Und zwar sofort! Bevor er noch weitere Lügen verbreitet.
 

Thompson ergriff das Wort. »Ich sehe gar keinen Ring.« Er fixierte meine linke Hand, die an Nathans Brust ruhte, seitdem er mich an sich gezogen hatte.
 

»Es wäre zu auffällig, wenn sie einen tragen würde. Er liegt sicher verwahrt auf ihrem Nachttisch.«
 

Ich war mir sicher, dass auf meinem Nachttisch kein Verlobungsring herumlag.
 

»Verständlich. So etwas würde sofort Fragen aufwerfen.« Thompson nickte und schwieg einen Moment lang, ehe er den Kopf schüttelte und sich von seinem Platz erhob. »Ich denke, dann wären Glückwünsche angebracht.«
 

Nein, wären sie nicht, weil es nichts zu beglückwünschen gab!
 

Ich hatte mit endlich die passenden Worte zurechtgelegt und wollte gerade dieses ganze Missverständnis aufklären, als Nathan seine Lippen auf meine Stirn drückte.
 

Und weg war alles, was ich gerade hatte sagen wollen.
 

Die Hand in meinem Rücken übte noch mehr Druck aus, diesmal jedoch nicht um mich bei sich zu behalten. Es war eine stumme Aufforderung.
 

Spiel mit.
 

Mit der gesamten Situation völlig überfordert bemerkte ich erst jetzt, dass Swan und Thompson zu uns getreten waren.
 

»Da hätten wir also die zukünftige Braut.« Um Thompsons Augen erschienen kleine Fältchen, als er mir lächelnd die Hand reichte. »Ich muss gestehen, dass ich damit wirklich nicht gerechnet habe.«
 

Ich auch nicht, wollte ich sagen. Dann spürte ich, wie sich Nathans Finger erneut in meinen Rücken bohrten.
 

Wie ferngesteuert hob ich die Hand und erwiderte den Händedruck. »D-danke.«
 

»Ich habe mich schon immer gefragt, welche Frau es schaffen würde, einen der begehrtesten Junggesellen der Stadt um den Finger zu wickeln.« Swan lächelte ebenfalls, doch konnte ich im Gegensatz zu Thompson in seinem Blick eindeutige Skepsis erkennen. »Und dann auch noch so… plötzlich.«
 

Auch ihm schüttelte ich die Hand, ehe ich unsicher zu Nathan hinaufsah, nachdem er ebenfalls von beiden beglückwünscht worden war.
 

»Ich habe volles Verständnis dafür, dass Sie geschäftliches und privates strikt voneinander trennen. Mir geht es da nicht anders.«, begann Thompson schließlich und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder zu sich. »Wir haben nicht im Entferntesten damit gerechnet, dass Sie bereits verlobt sind. Unter diesen Umständen denke ich nicht, dass etwas dagegenspricht, Sie die Verhandlungen mit Black Wolf weiter führen zu lassen. Oder, Richard?«
 

»Nein, dieser Meinung bin ich auch.« Mich überkam eine Gänsehaut, als ich Swans durchdringenden Blick auf mir spürte, und versuchte, ihm auszuweichen. »Ich werde Ihnen die genaue Anschrift des Hotels zukommen lassen, in das Black Wolf geladen hat. Kommenden Montag werden Sie anreisen.«
 

Hotel? Montag?
 

Die danach noch gewechselten Worte bekam ich nur noch am Rande mit. Ich musste träumen, das konnte doch nicht tatsächlich passiert sein.
 

Ich zuckte erschrocken zusammen, als Nathan mir unauffällig mit der Hand, die an meiner Taille lag, in die Seite drückte. Ich versuchte, ein möglichst überzeugendes Lächeln zustande zu bringen, und nickte den beiden Vorstandsmitgliedern zu, die wenig später auch schon den Raum verlassen hatten.
 

Die Zeit schien stillzustehen. Wie gebannt starrte ich noch immer auf die geschlossene Bürotür und wartete innerlich darauf, endlich aus diesem irren Traum aufzuwachen, als Nathan sich von mir löste.
 

»Strengen Sie sich das nächste Mal mehr an. Wir müssen glaubwürdig sein, damit das funktioniert.«
 

Fassungslos drehte ich mich um und beobachtete ihn dabei, wie er sich wieder hinter seinen Schreibtisch setzte. Er hatte wieder diese undurchdringliche Maske aufgesetzt, während ich all meine Selbstbeherrschung aufbringen musste um nicht anfangen zu schreien.
 

»Funktionieren?«, wiederholte ich ungläubig.
 

»Ich arbeite seit mehreren Monaten bereits daran, Verbindungen mit hochrangigen Mitarbeitern der Black Wolf herzustellen. Wie Sie sicher wissen, reden wir hier von einem der größten Unternehmen der ganzen Stadt. Vor etwa einem halben Jahr wurde bekannt, dass sie sämtliche Verträge ihrer bis dahin zuständige Kanzlei aufgekündigt haben und nun auf der Suche nach einem neuen, dauerhaften Rechtsbeistand sind.«
 

Ich runzelte die Stirn und versuchte, das eben Gesagte schnellstmöglich zu verarbeiten. Selbstverständlich sagte mir Black Wolf etwas. Während sie vor zehn Jahren ausschließlich in New York ansässig waren, waren sie mittlerweile in mehreren Großstädten in ganz Amerika zu finden. Geschäfte, Restaurants, Tourismus – ein Millionengeschäft. Und eines, dass auf einen professionellen Rechtsbeistand angewiesen war. Nirgendwo sonst wurden mehr geklagt und mit Rechtsansprüchen um sich geworfen.
 

»Unter normalen Umständen hätte ich diesen Deal in den kommenden Wochen abschließen können. Unglücklicherweise kommt jetzt aber einer unserer größten Konkurrenten mit ins Spiel.« Nathan hatte die Akte, die ich ihm gebracht hatte, geöffnet und damit begonnen sämtliche Dokumente auf seinem Schreibtisch auszubreiten. »Die Kanzlei Prescott hat ebenfalls Kontakt aufgenommen.«
 

Die Kanzlei Prescott war der wohl gefährlichste Gegner, der mit Laws & Sons um diesen Vertrag hätte konkurrieren können. Es handelte sich um die einzige Kanzlei der Stadt, die es sowohl was die finanziellen Mittel als auch erfolgreichen Anwälte betraf mit L&S aufnehmen konnte.
 

»Der Vorstand von Black Wolf bevorzugt keine distanzierten Beziehungen zu ihren Geschäftspartnern, sondern bestehen auf enge, familiäre Kontakte. Um sich zu entscheiden, mit welcher Kanzlei sie zusammenarbeiten wollen, haben sie also sämtliche Mitbewerber kommenden Montag in ein Hotel in den Bergen eingeladen.«
 

Das waren eindeutig zu viele Informationen auf einmal, schoss es mir noch durch den Kopf, als Nathan unbeirrt fortfuhr.
 

»Ein alleinstehender Anwalt fällt nicht gerade in die typischen Kreise, mit denen sie normalerweise zu tun haben.«
 

Ich war mir ziemlich sicher, dass ein inoffizieller Ruf als Frauenmagnet und Womanizer hier vermutlich eher das Problem war. Er sah einfach lächerlich gut aus und hatte in den vergangenen beiden Jahren, seitdem ich unter ihm arbeitete, Beziehungen zu unzähligen Frauen gehabt. Woher ich das wusste? Ich führte seinen verfluchten Terminkalender! Die Frauen lagen im regelrecht zu Füßen, er schien sich nicht einmal sonderlich anstrengen zu müssen, um die nächste Dame irgendwo aufzugabeln. Und wir redeten nicht von irgendwelchen Frauen – die wenigen, die ich sogar zu Gesicht bekommen hatte, waren atemberaubend. Ganz vorne mit dabei war ein mittlerweile ziemlich bekanntes Model, das für eine weltbekannte Unterwäschemarke warb.
 

»Aus diesem Grund wollte unser Vorstand die Verhandlungen an Ethan Dawn weitergeben.«
 

Dieser Name sagte mir was. Mr. Dawn war einer der Anwälte, der ebenfalls gute Chancen auf den Vorstandsposten hatte. Seine Frau und die beiden Söhne waren schon häufiger in der Kanzlei gewesen, um ihren Vater in der Mittagspause zu besuchen. Nette Frau – anstrengende Kinder.
 

»Mir ist durchaus bewusst, dass Mr. Dawn unter normalen Umständen tatsächlich der bessere Verhandlungspartner wäre. Ich werde allerdings nicht zulassen, dass mir auf der Zielgeraden die Zügel aus der Hand genommen werden.« Es war das erste Mal, dass seine Stimme nicht mehr vollkommen kontrolliert, sondern fast schon wütend klang. »Das Zustandekommen einer dauerhaften Geschäftsbeziehung zu Black Wolf hat oberste Priorität. Und dabei werden Sie mir helfen.«
 

Das war vermutlich mein Stichwort. Jetzt sollte ich ihn wohl endlich fragen, was um alles in der Welt er sich dabei gedacht hatte, mich in all das mit hineinzuziehen.
 

»Das ist eine schlechte Idee, eine ganz schlechte Idee.« Ich versuchte, nicht hysterisch zu klingen, allerdings fiel mir das von Sekunde zu Sekunde schwerer.
 

»Im Gegenteil, umso länger ich darüber nachdenke, umso besser ist sie.« Nathan hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und begann mich zu mustern.
 

Mir lief ein Schauer über den Rücken und kam dem Bedürfnis nach, meine Arme vor der Brust zu verschränken, als müsste ich mich bedecken.
 

»Durch diese kleine Lüge habe ich die Kontrolle über die Verhandlungen behalten und Swan und Thompson werden mir nicht mehr im Nacken sitzen.«
 

»Kleine Lüge?!«, platzte es aus mir heraus. »Mr. Scott, bei allem Respekt!« Ich schnappte nach Luft und suchte nach den passenden Worten. »Das ist doch Wahnsinn!«
 

»Es war taktisch klug und der einzige Ausweg, der mir blieb.«
 

»Taktisch klug? Wir reden hier nicht von einer kleinen Notlüge. Sie haben dem Vorstand erzählt, dass wir heiraten werden!« Ein wenig Hysterie brach in meiner Stimme durch, das konnte ich einfach nicht mehr verhindern.
 

»Bleiben Sie ruhig. Sie werden mich nächste Woche zu dem Treffen mit Black Wolf begleiten. Wenn alles so läuft, wie ich es erwarte, werde ich einen Vertrag abschließen können und wir beide gehen wieder getrennte Wege.«
 

Das konnte doch nicht sein Ernst sein. »Vergessen Sie es, ich mache da nicht mit, ich-«
 

»Aber das haben Sie doch schon.«, unterbrach er mich vollkommen unbeeindruckt.
 

Ich hatte den Mund schon aufgemacht, um ihm noch mehr Gründe zu nennen, weshalb das alles eine ganz schlechte Idee war, als ich innehalten musste.
 

Verdammt. Er hatte Recht.
 

»Das… habe ich gar nicht gewollt.«, brachte ich mühsam heraus. »Sie haben mich völlig überrumpelt.«
 

»Und dennoch haben Sie es getan.« Ein selbstgefälliges Grinsen schlich sich zu meinem Entsetzen auf sein Gesicht. »Sie hängen schon mit drin, zu spät, um umzukehren.«
 

Mir blieb fast die Luft weg, so geschockt war ich. »Dann werde ich auf der Stelle zu Mr. Thompson und Mr. Swan gehen und die Sache richtigstellen.«
 

»Das werden Sie nicht.«, erwiderte er selbstsicher.
 

»Und wieso sollte ich es nicht tun? Sie haben sich in diesen Schlamassel selbst reingeritten, damit will ich nichts zu tun haben.«
 

Das Adrenalin, das durch meinen Körper schoss, schien sich überhaupt nicht mehr abbauen zu wollen. Unter normalen Umständen hätte ich mich nie gewagt, so mit ihm zu sprechen. Er war zwar ein arroganter Mistkerl, aber immer noch mein Vorgesetzter.
 

»Weil ich mir ziemlich sicher bin, dass Sie auf diesen Job hier angewiesen sind.« Er nahm eines der Dokumente aus der Akte in die Hände und begann die Zeilen zu überfliegen.
 

Mir wurde plötzlich speiübel. »Drohen Sie etwa mich zu feuern, wenn ich nicht kooperiere?«
 

»Natürlich nicht. Das wäre doch kein Kündigungsgrund.«
 

Es machte mich rasend, dass er mich nicht einmal mehr ansah, während er sprach. Diese Arroganz, die er ausstrahlte, führte fast dazu, dass ich ihm am liebsten den nächstbesten Gegenstand gegen den Schädel gerammt hätte.
 

»Aber?«, presste ich mühsam hervor.
 

»Aufgrund wichtiger Fälle, die wir bearbeiten müssen, werden Sie zukünftig viel mehr Überstunden machen müssen. Vor allem in den Abendstunden.« Er machte sich eine Notiz auf einem der Dokumente. »Ich korrigiere mich, ich werde Sie fast ausschließlich in den Abendstunden benötigen – und zwar jeden einzelnen Abend der Woche.«
 

Hätte ich mich vorhin nur schlecht gefühlt, hätte ich mich jetzt am liebsten übergeben. Ich wusste, worauf er hinauswollte.
 

»Sie elender…« Mistkerl! Ich ballte die Hände zu Fäusten. »Das können Sie nicht machen!«
 

»Ich kann und ich werde.« Er klappte den Rest der Akte wieder zu und wandte sich zu seinem Computer. »Und bis jetzt hielt ich Sie klug genug, um zu wissen, wann sie verloren haben. Enttäuschen Sie mich also nicht.«

» 4 «

- Eliza -


 

Mit einem leisen Stöhnen stütze ich die Ellenbogen auf meinem Schreibtisch auf und massierte meine schmerzenden Schläfen. Die vergangene Nacht war eine Katastrophe gewesen. Egal, was ich versucht hatte, ich hatte einfach nicht einschlafen können. Tee, Wärmflasche, ein wenig lesen – nichts hatte funktioniert. Mein Kopf wollte einfach nicht aufhören zu arbeiten.
 

Aber wie hätte er das auch tun können, bei allem, was gestern passiert war.
 

Wir werden heiraten.
 

Drei Worte, die mir nach wie vor so penetrant im Kopf umherschwirrten, als wären sie gerade erst ausgesprochen worden. Ich musste alle Anstrengung aufbringen, um nicht laut loszulachen. Wie um alles in der Welt hatte das nur passieren können? Gesternmorgen war alles noch wie immer gewesen, ein ganz normaler Mittwochmorgen. Und heute? Heute suchte ich verzweifelt nach einer Möglichkeit, aus diesem ganzen Schlamassel wieder herauszukommen.
 

Mir fiel nichts ein. Überhaupt nichts.
 

Sollte ich tatsächlich zum Vorstand gehen und reinen Tisch machen, würde Nathan mir das Leben zur Hölle machen. Feuern würde er mich nicht, aber er würde alles Erdenkliche tun, um mich dazu zu bringen, von mir aus zu kündigen. Er hatte mit allem, was er gesagt hatte Recht. Wenn er es wollte, konnte er meine Arbeitszeiten so legen, dass ich keine Chance mehr hatte meine Vorlesungen zu besuchen.
 

Und ohne meine Vorlesungen würde ich mein Studium nicht beenden können.
 

Und ohne mein Studium wären die letzten zweieinhalb Jahre vollkommen umsonst gewesen.
 

Alles würde herauskommen.
 

Natürlich wusste ich, dass ich spätestens nächstes Jahr meiner Familie sowieso hätte beichten müssen, dass ich kein Jurastudium verfolgt hatte und sogar eine komplett andere Universität besuchte. Der gewaltige Unterschied wäre allerdings, dass ich zu diesem Zeitpunkt zumindest meinen Literaturabschluss in der Tasche gehabt hätte.
 

Jetzt würde ich ohne überhaupt irgendetwas dastehen.
 

Ich vergrub das Gesicht in den Händen und schüttelte wiederholt den Kopf. Es war einfach hoffnungslos. Er hatte mich in der Hand. Egal, was ich tat, ich konnte nur verlieren.
 

Mir blieb keine andere Wahl, als dieses lächerliche Theater mitzuspielen und die Fassade so lange aufrecht zu erhalten, bis der Deal mit Black Wolf abgeschlossen war. Sofern Nathan die aktuelle Lage richtig einschätzte, würde das ganze nicht länger als eine Woche dauern. Eine Woche. Das würde ich doch wohl schaffen! Was sollte schon großartig schief gehen? Außer dem Vorstand wusste niemand von dieser Verlobungssache und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich Vorstandsmitglieder am Klatsch und Tratsch der Kanzlei beteiligten. Alles war gut. Kein Grund zur Sor-
 

»Entschuldigen Sie bitte, sind Sie Miss Blake?«
 

Ich fuhr herum und brauchte einen Moment, um mich auf den Mann zu konzentrieren, der gerade den Kopf zur Tür hereingestreckt hatte. Das Logo auf dem Basecap, das er trug, kam mir irgendwie bekannt vor.
 

»J-ja?« Ich schüttelte den Kopf, um mich wieder zu fangen. »Ja, die bin ich. Kann ich Ihnen helfen?«
 

»Ich habe hier eine Bestellung für Sie.«
 

Ich runzelte die Stirn und versuchte mich zu erinnern, ob ich irgendetwas vergessen hatte. »Was für eine Bestellung?«
 

»Die hier.«
 

Vollkommen sprachlos beobachtete ich ihn dabei, wie er einen riesigen Blumenstrauß durch die Tür quetschte. »Aber ich habe keine Blumen bestellt.«
 

»Laut Auftrag ein Geschenk.« Er hatte die farbenfrohe Pracht auf dem Sideboard neben der Tür abgelegt und kramte in seiner Hosentasche. Er faltete einen Zettel auseinander. »Auftraggeber war ein gewisser Richard Swan.«
 

Richard Swan.
 

Oh Gott.
 

Mir wurde schon wieder schlecht.
 

»Hier ist auch ne Karte dabei.« Mr. Basecap fummelte zwischen den Blumen herum, zog ein kleines Kärtchen heraus und reichte ihn mir. »Vielleicht hilft das ja weiter. Ich muss dann wieder. Schönen Tag noch.«
 

Im Augenwinkel nahm ich wahr, wie er zum Abschied die Hand hob. Ich murmelte eine kurze Verabschiedung, ohne den Blick von der Karte in meinen Händen abzuwenden, und starrte auf große, dunkle Buchstaben.
 

Für die zukünftige Mrs. Scott.
 

Oh Gott. Meine Hände fingen an zu zittern. Oh Gott, oh Gott, oh Gott!
 

Ich erhob mich von meinem Stuhl und stolperte durch den Raum, um den Strauß genauer zu betrachten. Unter normalen Umständen hätte ich mich über Blumen mehr als nur gefreut. Ich liebte Blumen. Diesen – zugegebenermaßen wunderschönen - Strauß hier hätte ich allerdings am liebsten aus dem Fenster geworfen.
 

Noch während ich die zartrosa Blüten anstarrte, kam mir ein furchtbarer Gedanke. Es war mitten am Tag, die Mittagspause hatten die meisten bereits hinter sich und waren wieder an ihren Arbeitsplätzen. Das bedeutete, dass der Blumenlieferant mit dem Strauß durch die gesamte Etage spaziert war.
 

Und solche Blumen zogen eine Menge Aufmerksamkeit auf sich. Zwar kannte ich mich mit den normalen Blumenpreisen nur vage aus, aber dieses Monstrum musste ein kleines Vermögen gekostet haben.
 

Ein klopfen an meiner Tür.
 

»Eliza?«
 

Ich starrte in die großen, blauen Augen von Annabell Johnson - Mitarbeiterin der Abrechnungsabteilung und das wohl größte Plappermaul der gesamten Firma. Definitiv nicht die Person, die ich jetzt gerade hier gebrauchen konnte.
 

»Hallo Bell.« Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Kann ich dir helfen?«
 

Sie musste eigentlich nicht sagen, was sie von mir wollte. Der neugierige Blick, mit dem sie auf den Blumenstrauß starrte, hatte mir bereits alles gesagt, was gesagt werden musste.
 

»Ach, ich wollte nur mal so vorbei schauen und fragen, wie es dir geht.« Sie begann über das ganze Gesicht zu strahlen und zeigte ihre perfekten, weißen Zähne.
 

Natürlich wollte sie das. Wir hatten ja sonst auch so viel miteinander zu tun, schoss es mir sarkastisch durch den Kopf.
 

»Bei mir ist alles in Ordnung, danke der Nachfrage.« Ich überlegte fieberhaft, wie ich sie schnellstmöglich wieder loswerden würde. »Ich... geh mal eine Vase besorgen. Und dann muss ich arbeiten. Ist viel zu tun.«
 

Ich versuchte, an ihr vorbei aus dem Raum kommen, doch sie versperrte mir den Weg.
 

»Von wem sind denn diese wunderschönen Blumen?«, fragte sie direkt und ohne mit der Wimper zu zucken. »Das muss ein ziemlich teurer Strauß sein. Hast du etwa einen Verehrer?«
 

Alles was ich ihr jetzt sagen würde, würde binnen einer Stunde im gesamten Gebäude bekannt sein.
 

»Es ist nicht so einfach.«, versuchte ich mich herauszureden und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. »Es ist kompliziert, ich erzähle es dir ein anderes Mal.«
 

»Ach komm schon, spann uns nicht alle so auf die Folter.« Annabelle zwinkerte mir zu. »Alle haben den Kurier gesehen und fragen sich dasselbe wie ich. Nur hat sich keiner getraut, zu dir zu kommen.«
 

Außer du. Weil du das größte Lästermaul der gesamten Firma bist und die anderen zwar neugierig sind, es der Anstand aber verbietet, seine Nase in fremde Angelegenheiten zu stecken.
 

Das durfte ich denken, aber nicht sagen.
 

»Ich habe dafür jetzt wirklich keine Zeit, Bell. Tut mir leid.«, versuchte ich es erneut.
 

Sie schien zu bemerken, dass sie nicht weiter kam. »Schon in Ordnung. Wollen wir uns nächste Woche in der Mittagspause zu einem Kaffee treffen und ein wenig quatschen?«
 

Damit du mich ausquetschen kannst? Nein danke.
 

»Nächste Woche kann ich leider nicht. Ich begleite Mr. Scott auf einer Geschäftsreise.« Ich zwang mich erneut zu einem Lächeln. »Aber wie wäre es übernächste Woche?«
 

Annabell schien wenig begeistert zu sein, dass sie so lange auf eine Erklärung warten musste. Das war gut, vielleicht hatte sie bis dahin ihr Interesse verloren und würde mich in Ruhe lassen. »Klar. Dann übernächste Woche...« Sie gab sich keine Mühe ihre Enttäuschung zu verbergen, fing sich jedoch relativ schnell wieder. »Ich muss dann mal wieder zurück an meinen Schreibtisch. Du weißt doch, viel zu tun und so.«
 

»Natürlich. Kein Problem. Wir sehen uns.«
 

»Bis dann.«
 

Ich zwang mich an ihr vorbei und eilte den Flur entlang, ehe ihr etwas Neues einfiel, um mit mir zu sprechen.
 

Als ich wenig später eine mit Wasser gefüllte Vase in den Händen hielt und zurück zu meinem Büro lief, hatte ich plötzlich das Gefühl von allen Seiten beobachtet zu werden. Als ich mich unauffällig versuchte umzusehen, drehten sich unzählige Köpfe schnellstmöglich wieder weg und taten so, als hätten sie mich nicht angestarrt.
 

Wieder dieses ungute Gefühl in meinem Magen.
 

Ich beeilte mich, in mein Büro zu kommen, schloss die Tür hinter mir und lehnte mich dagegen in dem verzweifelten Versuch, meine Paranoia in den Griff zu bekommen.
 

Mit wenigen Griffen stellte ich den Blumenstrauß in die Vase und zupfte ein paar Blumen zurecht. Der Strauß konnte immerhin nichts dafür, dass mir bei dem Gedanken an den Absender schlecht wurde. Ich hatte mich gerade abgewandt und wollte mich zu meinem Schreibtisch begeben, als ich mitten in der Bewegung innehielt. Langsam drehte ich den Kopf zur Seite und spürte meinen Puls in die Höhe schießen.
 

Die Karte.
 

Sie lang falsch herum auf dem Sideboard.
 

Annabell.
 

Diese verfluchte Schlange!
 

Ich ballte die Hände zu Fäusten und unterdrückte einen wütenden Aufschrei. Wie hatte ich nur so dumm sein können? Annabell war die neugierigste Person im gesamten Gebäude, natürlich war sie noch einmal zurückgekommen, um die Karte zu lesen.
 

Meine Bürotür öffnete sich erneut, diesmal jedoch war es die Ursache all meiner Probleme, die den Raum betrat. Er war vor etwas mehr als einer Stunde zu einer Besprechung gerufen worden. Wie immer schien er die Ruhe selbst zu sein, was mich innerlich nur noch mehr auf die Palme brachte. Das war nicht fair. Wie konnte er das alles nur so auf die leichte Schulter nehmen?
 

»Swan oder Thompson?«, fragte Nathan und deutete auf den Blumenstrauß.
 

»Swan.« Ich hielt ihm die Karte entgegen.
 

Er überflog die wenigen Wörter, zeigte jedoch noch immer keine wirkliche Gefühlsregung.
 

»Ich befürchte, dass es mittlerweile vermutlich das halbe Büro weiß.« Ich warf die Karte in den Mülleimer neben meinem Schreibtisch. »Annabell war hier.«
 

»Der restliche Vorstand hat mir gerade im Beisein von zwei anderen Sekretärinnen zu unserer Verlobung gratuliert. Von daher ist es egal, wer die Neuigkeiten verbreitet.«, erwiderte Nathan monoton.
 

Meine Hände ballten sich zu Fäusten. »Ich dachte, wir würden versuchen das Ganze irgendwie… geheim zu halten.«
 

»Das war auch der Plan. Ich muss zugeben, dass ich nicht erwartet hätte, dass es so hohe Wellen schlägt.« Er nahm sich die Akte, die ich im Laufe des Vormittages für ihn vorbereitet und an die Ecke meines Schreibtisches gelegt hatte. »Jetzt ist es sowieso zu spät. Sagen Sie meinen Termin heute Nachmittag mit Mr. Bolton ab und vereinbaren Sie einen Neuen für übernächste Woche.«
 

Es war höchst ungewöhnlich, dass er Termine so kurzfristig cancelte. Ich warf einen Blick auf seinen Kalender. »Werde ich machen. Soll ich für heute etwas anderes eintragen?«
 

»Nein, aber Sie werden mich später begleiten.«
 

Ich hatte mir gerade einen Vermerk auf einem Notizzettel gemacht, als ich innehielt. »Ich? Wohin denn?«
 

»Das werden Sie schon sehen. Abfahrt 14.30 Uhr.«
 

Ohne auch nur eine Antwort abzuwarten wandte er sich ab und verschwand in seinem Büro. Seufzend lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und legte den Kopf in den Nacken. Ich würde noch durchdrehen.
 

--
 

Pünktlich um 14.30 Uhr wartete ich in meinem Büro auf meinen Chef, um was auch immer zu tun. Er hätte zumindest so freundlich sein können, mir zu erklären, wohin ich ihn denn bitte begleiten sollte.
 

Ich hatte gerade meine Jacke geschlossen, als er in mein Büro trat, seinen schwarzen Mantel bereits angezogen und die dunkle Arbeitstasche in der Hand. Er hatte nicht vor nach diesem Termin zurück ins Büro zu kommen, stellte ich überrascht fest.
 

»Können wir?«
 

Nein. »Ja.«
 

Stirnrunzelnd beobachtete ich ihn dabei, wie er die Tür öffnete, diesmal jedoch innehielt und wartete, damit ich zuerst hinausgehen konnte.
 

Natürlich.

Er war ja mein Verlobter.

Gentleman und so.
 

Ich hatte eindeutig schon viel zu lange keine Verabredungen mehr gehabt, wenn mich selbst diese kleinen Aufmerksamkeiten so durcheinanderbrachten.
 

Meine Hand schloss sich fester um die Träger meiner Handtasche, als ich fast augenblicklich wieder die Blicke meiner Kollegen auf mir spüren konnte, kaum hatte ich die Schwelle übertreten. Ich war gerade dabei gegen den Drang zu kämpfen, wie ein trotziges Kind einfach zurück zu starren, als ich Nathans Hand in meinem Rücken spürte, die mich leicht nach vorne schob.
 

Meine Wangen wurden heiß, als mir klar wurde, dass dieses ganze Schauspiel jetzt nicht mehr nur in der Theorie stattfand. Die neugierigen Blicke meiner Kollegen waren Beweis genug – sie wussten Bescheid. Und so, wie ich Annabell kannte, wussten es mittlerweile vermutlich alle.
 

»Einfach weiter gehen.«
 

Nathans tiefe Stimme half mir nicht gerade dabei zu entspannen. Ich entschied mich einfach auf den Boden zu schauen, während wir den langen Flur quer durch das Stockwerk entlangliefen, bis wir die Fahrstühle erreichten. Wenigstens hier hatten wir ausnahmsweise Glück – wir konnten sofort einsteigen und ohne Unterbrechung bis hinunter in die Tiefgarage fahren.
 

Auch wenn ich nicht gewusst hätte, was für ein Auto Nathan fuhr, hätte ich dennoch automatisch auf den schwarzen SUV getippt, den wir geradewegs ansteuerten. Groß. Teuer. Schnell. Natürlich, was sollte er auch sonst fahren?
 

Als ich schließlich auf dem Beifahrersitz saß und wir hinaus auf die vollen Straßen New Yorks gebogen waren, fand ich meine Stimme schließlich wieder: »Und wo fahren wir jetzt genau hin?«
 

»5th Avenue.«
 

Ich runzelte die Stirn. Zwar lebte ich noch nicht mein ganzes Leben lang hier in New York, mittlerweile allerdings lange genug, um zu wissen, dass das die wohl bekannteste Straße der Stadt war. Nathans knappe Antwort war deutlich gewesen; mehr würde ich nicht erfahren.
 

Seufzend lehnte ich mich zurück und vertrieb mir die Zeit damit, aus dem Fenster zu schauen und die Menschen zu beobachten. Da wir uns sowieso in Manhattan befanden, waren wir nicht lange unterwegs, ehe Nathan vor einem Geschäft zu stehen kam, von dem Frauen aus aller Welt träumten.
 

Mit großen Augen starrte ich auf große, dezent beleuchtete Buchstaben.
 

»Tiffanys?«, entfuhr es mir.
 

»Wir sind verlobt.«, erwiderte Nathan als wäre das bereits Antwort genug.


Ich zwang mich, den Blick von dem Geschäft abzuwenden und mich in seine Richtung zu drehen. Ehe ich jedoch etwas sagen konnte, hatte er sich bereits abgeschnallt und die Tür geöffnet.
 

Ihn gedanklich verfluchend tat ich es ihm gleich und trat hinaus ins Freie. Wieder legte er mir eine Hand auf den Rücken und schob mich in Richtung Eingang. Zwei Männer in perfekt sitzenden, schwarzen Anzügen öffneten uns die Tür und katapultierten mich mit einem Schlag in das reich meiner Träume.
 

So ungern ich es zugab, konnte ich nicht abstreiten, dass sich eine kindliche Freude in mir breitmachte, als ich die vielen mit wunderschönem Schmuck befüllten Vitrinen erblickte. Augenblicklich wurde ich an den Filmabend mit meiner Großmutter erinnert, der schon einige Jahre zurücklag: Frühstück bei Tiffany.
 

Eine Frau mittleren Alters, gekleidet in einem schwarzen knielangen Kleid, schwarzen Pumps und mit perfekt sitzender Frisur und Make-Up trat auf uns zu, kaum hatten sich die Türen hinter uns wieder geschlossen.
 

»Guten Tag Mr. Scott. Ihre Bestellung liegt für sie bereit.“
 

Es sagte vieles aus, dass die Verkäuferin Nathan mit Namen kannte.
 

Sie lächelte und wandte sich plötzlich mir zu. »Mein Name ist Tabitha. Ich nehme an, Sie sind die glückliche Braut?«
 

Braut? Ja. Glücklich? Nein.
 

Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Ja… bin ich.« Ich räusperte mich leise. »Eliza Blake.«
 

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Blake. Möchten Sie sich erst noch etwas umsehen oder sollen wir direkt nach hinten durchgehen?«
 

Noch während ich mich fragte, was genau mit ‚nach hinten durchgehen‘ gemeint war, übernahm Nathan wieder das Reden. »Wir können direkt los.«
 

»Dann folgen Sie mir bitte.«
 

Wieder eine Hand in meinem Rücken, wieder wurde ich geschoben. Man hätte meinen können, ich hätte mich mittlerweile daran gewöhnt.
 

Ich konnte den ein oder anderen verstohlenen Blick auf die vielen Schmuckstücke nicht zurückhalten, an denen wir vorbeikamen. Gott, das war alles so schrecklich teuer. Und so schrecklich schön.
 

Tabitha führte uns quer durch das Geschäft, bis wir schließlich den klassischen Verkaufsraum verlassen hatten und in einem etwas kleinerem Raum gebracht wurden. Auch hier gab es einige Vitrinen - diesmal jedoch ohne Preisschilder - einen Tisch und zwei Stühle.
 

Ich schüttelte unwillkürlich mit dem Kopf. Selbst dieser verdammte Tisch kostete vermutlich ein kleines Vermögen.
 

»Nehmen Sie doch Platz, während ich den Ring hole.« Tabitha deutete auf die Stühle, ehe sie durch eine schmale Tür an der Seite des Raumes verschwand.
 

Mit klopfendem Herzen ließ ich mich auf den linken der beiden Plätze sinken, während Nathan neben mir Platz nahm. »Ring?«, brauchte ich schließlich heraus.
 

»Die Ausrede, dass Sie den Verlobungsring nicht tragen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, zieht nicht mehr.« Nathan hatte sein Smartphone gezückt und schien seine E-Mails zu überprüfen.
 

»Es gibt durchaus Frauen, die überhaupt keinen Ring tragen.«, sagte ich langsam, ahnte aber schon, dass ich sowieso kein Mitspracherecht hatte.
 

»Meine zukünftige Frau wird aber einen tragen.«, erwiderte er entschieden und machte mir deutlich klar, dass er sich auf keine Diskussionen einlassen würde.
 

Ich schluckte die patzige Antwort hinunter, die mir auf der Zunge lag. »Wieso musste ich mit hier her kommen? Sie hätten den Ring doch ebenso gut einfach abholen können.«
 

»Einige der wohlhabenden Ehefrauen der Vorstandsmitglieder sind regelmäßige Gäste bei diesem Juwelier und Thabita ist diejenige, die für Kunden dieser Kategorie zuständig ist.« Er sah nicht einmal von seinem Smartphone auf, während er sprach. »Und unter Frauen wird nun einmal gerne geredet, vor allem wenn es um den neusten Klatsch der oberen Zehntausend geht. Ich bin mir meines Rufes durchaus bewusst, Miss Blake, deshalb ist es nur von Vorteil, wenn man uns beide hier zusammen sieht und Tabitha bestätigen kann, was für eine reizende Verlobte ich doch habe.«
 

Ich kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten, da Tabitha bereits wieder schon zurückkam. Sie trug ein kleines, mit schwarzem Satin bezogenes Tablett in der Hand und setzte sich auf die andere Seite des Tisches.
 

»Hier wäre das Schmuckstück.«
 

Mir blieb die Luft weg, als ich den Blick senkte. Der Ring selbst war äußerst schlicht gehalten, glatt und silbern. Der wirkliche Hingucker war der große, strahlende Stein der in der Mitte des Rings, eingefasst von einer Reihe weiterer, kleiner Steine.
 

Er war atemberaubend schön.
 

»Dann wollen wir mal sehen, ob er passt.« Tabitha wandte sich an Nathan. »Möchten Sie ihr den Ring anstecken?«
 

Mit einem Mal wurde mir ganz anders. Es lag nicht nur daran, dass es mich nervös machte einen zweifelsfreien sehr teuren Ring anzuprobieren. Das hier war… intim. Etwas, was man normalerweise mit einer Person machte, die man liebte. Das hier war ein Verlobungsring. Das nahmen die meisten Menschen nicht so auf die leichte Schulter. Und trotzdem saß ich jetzt hier, an der Seite meines Fake-Verlobten und versuchte, mir mein Unwohlsein nicht anmerken zu lassen.
 

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Nathan es tatsächlich tun würde und war entsprechend erstaunt, als er sein Smartphone in seiner Jackentasche verschwinden ließ und den Ring nahm. Ich stelle erleichtert fest, dass ich nicht so sehr zitterte, wie ich erwartet hatte, als ich ihm meine linke Hand entgegenstreckte. Nathans Pokerface war wie immer perfekt. Wie selbstverständlich nahm er meine Hand in seine und schob mir den Ring auf den Finger.
 

Seine Berührung verursachte mir eine Gänsehaut, doch richtete sich meine Aufmerksamkeit sofort wieder auf das kleine Vermögen an meiner Hand.
 

»Wunderschön…«, flüsterte ich und strich ehrfürchtig über das makellose Silber.
 

»Ihr zukünftiger Ehemann hat einen guten Geschmack.« Tabitha lächelte und bat mich, ihr meine Hand entgegenzustrecken. Sie bewegte den Ring etwas hin und her, ehe sie zufrieden nickte. »Passt perfekt. Ich denke nicht, dass wir noch etwas daran ändern müssen. Was sagen Sie? Fühlt er sich unangenehm an?«
 

Unangenehm, ja. Aber nicht, weil er nicht passte.
 

Ich schüttelte den Kopf.
 

»Wunderbar. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? Möchten Sie vielleicht schon einen ersten Blick auf die Eheringe werfen?« Tabitha hatte sich zur Seite gedreht und deutete auf eine der Vitrinen. »Wir haben erst vergangene Woche einige neue Stücke erhalten.«
 

»Nicht nötig. Darum werden wir uns ein andermal kümmern.« Nathan griff in die Innentasche seines Mantels nach seinem Geldbeutel und zückte eine schwarze Kreditkarte.
 

»Natürlich, wie Sie wünschen.« Sie zog ein kleines Lesegerät unter dem Tisch hervor und flog mit den Fingern über die Tasten, ehe sie es in Nathans Richtung schob.
 

Ich konnte nicht anders und wagte einen Blick auf den kleinen Bildschirm.
 

Mir blieb fast das Herz stehen.
 

Natürlich hatte ich schon geahnt, dass der Ring teuer sein würde, immerhin waren wir hier bei keinem 0815 Juwelier, aber mit einem fünfstelligen Betrag hatte ich definitiv auch nicht gerechnet.
 

Urplötzlich überkam mich das starke Verlagen, den Ring sofort wieder abzulegen und in einem Tresor einzuschließen. Ich wollte keinen so teuren Schmuck tragen, viel zu groß war die Angst, dass ich ihn versehentlich verlieren könnte. Ich schluckte schwer und spürte, wie ich ein wenig blass um die Nase wurde.
 

Nathan bezahlte, schob seinen Geldbeutel zurück in die Manteltasche und erhob sich. »Können wir gehen, Liebling?«
 

Liebling?
 

Ich musste einen verwirrten Eindruck machen, denn er griff nach meinem Arm und zog mich auf die Beine. »J-ja, natürlich.«, beeilte ich mich zu sagen.
 

Liebling. Das war ich.
 

Nathan wandte sich an Tabitha, die ebenfalls aufgestanden war, und bedankte sich.
 

Sie winkte lächelnd ab. »Ich habe zu danken. Sollten Sie sich auf die Suche nach passenden Eheringen machen, würden wir uns natürlich freuen, Sie wieder bei uns begrüßen zu dürfen.«
 

Natürlich würden sie das, immerhin hatte Nathan schon für diesen Fake-Verlobungsring ein kleines Vermögen ausgegeben. Ich wollte gar nicht wissen, von was für Preisen dann bei Eheringen gesprochen wurde.
 

Ich brachte ein freundliches Lächeln zu Stande, während wir uns verabschiedeten, und war froh, frische Luft schnappen zu können, nachdem wir hinaus auf die Straße getreten waren. Es war mir vollkommen egal, dass die Luft eisig war – es war genau das, was ich jetzt brauchte.
 

Mit gemischten Gefühlen lehnte ich mich an die Beifahrerseite von Nathans Wagen und betrachtete den Ring an meiner Hand. Mir war durchaus bewusst, dass mein Boss am liebsten sofort wieder gefahren wäre, war er doch bereits dabei um den Wagen herum zur Fahrertür zu gehen. Er stoppte und trat zu mir.
 

»Der ist… viel zu teuer.« Ich schüttelte den Kopf. »Mr. Scott, wirklich, ich kann diesen Ring nicht tragen.«
 

»Sie sollten nicht vergessen, mit wem Sie verlobt sind.«
 

Die Arroganz in diesen Worten war nicht überhörbar und brachte mich fast dazu, die Augen zu verdrehen. Aber er hatte ja Recht. Es war ein offenes Geheimnis, dass Nathan von einer mehr als nur wohlhabenden Familie abstammte. Privatschulen, Eliteuniversität – der Begriff wohlhabend war die Untertreibung des Jahrhunderts.
 

»Wir werden nächste Woche auf Menschen treffen, die so einen Betrag aus ihrer Portokasse zahlen würden.«, fuhr er ebenso ungerührt fort. »Also gewöhnen Sie sich lieber schnell daran in solchen Kreisen zu verkehren.«
 

Nathan war es zwar nicht bewusst, doch hatte ich durchaus Erfahrungen mit solchen Menschen. Ich selbst konnte mich über mein Elternhaus definitiv nicht beklagen. Nie hatte ich auf etwas verzichten müssen, hatte selbst eine Privatschule besucht und mir nie Sorgen um Finanzen machen müssen. Als einziges Mädchen der Familie, noch dazu als Nesthäkchen, war ich zudem ziemlich verwöhnt worden, und es war ein kleines Wunder, das ich keine verzogene Göre geworden war.
 

Doch trotz allem war mir spätestens nach dem Kauf dieses Ringes ins Gedächtnis gerufen worden, dass Nathans Familie in einer völlig anderen Liga spielte.
 

»Wie soll es jetzt weiter gehen?«, fragte ich langsam und zwang mich, den Blick von dem Ring abzuwenden.
 

Es verging ein quälend langer Augenblick, ehe er mir antwortete: »Eine Woche, Miss Blake. Spielen Sie einfach eine Woche lang diese Rolle, dann ist alles vorbei und alles wird genauso sein, wie vorher.« Lächerlicherweise klang das fast so, als wollte er mich aufmuntern.
 

Ich musste wirklich elendig dreinblicken. »Nichts wird wieder so sein wie vorher.«, widersprach ich ihm mit überraschend gefasster Stimme. »Das gesamte Büro weiß vermutlich mittlerweile Bescheid. Für Sie stellt das vielleicht kein Problem da, wenn wir uns schlicht und ergreifend nach dieser ganzen Scharade wieder ›trennen‹, aber ich bin eine Frau, noch dazu Ihre Assistentin.«
 

Es war nicht nötig, dass ich meine Worte weiter erklärte. Egal wie das alles ausgehen würde, den Stempel, den man ganz automatisch verpasst bekam, wenn man mit seinem Vorgesetzten schlief, hatte ich bereits erhalten – und das, obwohl nicht einmal Sex im Spiel war.
 

Wie erwartet bekam ich keine Antwort.
 

Ich schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Jetzt war das ganze sowieso zu spät, ich steckte bereits viel zu tief drin, als jetzt noch einen Rückzieher machen zu können.
 

»Also schön.« Ich sah ihm in seine dunkelbraunen, fast schon schwarz wirkenden Augen. »Mein Name ist Eliza, mein Liebling. Und ich denke, wir sollten uns jetzt ein wenig besser kennenlernen, wenn das Ganze funktionieren soll.«

» 5 «

- Eliza -


 

»Kann ich Ihnen schon etwas bringen?«
 

Ich schreckte aus meinen Gedanken und wandte mich zu der hübschen Bedienung, die neben den Tisch getreten war. Das Schild an ihrer ordentlich bis oben zugeknöpften Bluse verriet mir, dass sie Amanda hieß. »Ein Cappuccino. Groß, bitte.«
 

Amanda lächelte und notierte meine Bestellung auf dem kleinen, elektronischen Gerät in ihrer Hand. »Kommt sofort.«
 

»Danke.«
 

Während die junge Kellnerin auch schon in Richtung Küche verschwand, ließ ich meinen Blick wieder hinaus zum Fenster wandern. Das kleine Café, in dem ich mich befand, lang genau gegenüber des Central Parks und war für einen Samstagmorgen überraschend leer. Vermutlich lag es an dem mittelschweren Schneesturm, der New York seit den frühen Morgenstunden fest im Griff hatte. Schnee. Schon wieder. Und noch mehr als am Vortag.
 

Unter normalen Umständen hätte selbst ich bei so einem Wetter meine Wohnung niemals freiwillig verlassen. Aber als ‚normal‘ konnte man im Moment vermutlich nichts in meinem Leben bezeichnen.
 

Argwöhnisch begutachtete ich das kleine Vermögen an meinem Finger, an das ich mich noch immer nicht gewöhnt hatte. Mein Verlobungsring. Oder eher Fake-Verlobungsring. Als ich am morgen aufgewacht war, hatte ich für ein paar wenige Augenblicke geglaubt, dass ich alles nur geträumt hatte. Aber dann hatte ich ja auf meinen Nachttisch sehen müssen, auf dem ich das Schmuckstück am Abend zuvor gelegt hatte.
 

Mit dem Finger strich ich über den strahlenden Stein in der Mitte des Rings. Kein Traum. Definitiv kein Traum.
 

Mit einem leisen Stöhnen vergrub ich das Gesicht in meinen Händen. Gott, in was hatte ich mich da nur reinziehen lassen? Als gäbe es durch mein Literaturstudium nicht schon genügend Lügen in meinem Leben, durfte ich mich jetzt auch noch mit einem falschen Verlobten herumschlagen, der noch dazu auch noch mein Vorgesetzter war.
 

»Ihr Cappuccino.« Ich hob den Blick, als Amanda eine dampfende Tasse vor mich stellte. »Danke.«
 

»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie vorsichtig, sichtlich unsicher, ob sie diese Frage stellen durfte.
 

»Ja, ja. Alles ok.« Ich zwang mich zu einem kleinen Lächeln.
 

»Möchten Sie vielleicht etwas essen? Wir haben frischen Kuchen.«
 

»Nein, danke. Ich melde mich, wenn ich Sie brauche.«
 

Sie wirkte etwas geknickt, da sie mir nicht noch mehr servieren konnte, höchst wahrscheinlich in Sorge, deshalb kein besonders hohes Trinkgeld zu bekommen. Dennoch nickte sie lächelnd und huschte bereits zum nächsten Tisch, um einer kleinen Familie die Speisekarten zu reichen.
 

Gedankenverloren kippte ich zwei keine Päckchen Zucker in meinen Cappuccino und rührte einige Male mit meinem Löffel, bevor ich es wagte, einen Schluck zu trinken. Heiß, aber gut. Die Wärme war bei diesem kalten Wetter eine willkommene Abwechslung.
 

Ich war so dermaßen mit meiner Tasse beschäftigt, dass ich die Türglocke überhaupt nicht registrierte. Sehr wohl jedoch die Stimme, die auf Amandas Begrüßung hin antwortete.
 

Als ich den Blick hob, kam ich mir vor, als würde ich in einer dieser kitschigen Filme sitzen, in denen die Frau sehnsüchtig auf den gutaussehenden Mann ihrer Träume wartete, der keinerlei Herausforderungen scheute, um trotz schlimmster Wetterverhältnisse auf seine Geliebte zu treffen.
 

Zwar war das Wetter wirklich die reinste Katastrophe, doch war ich weder die Geliebte meines Chefs, noch hatte ich sehnsüchtig auf seine Ankunft gewartet. Das Einzige, was ich nicht abstreiten konnte, war, dass er tatsächlich lächerlich attraktiv war. Der einzige Pluspunkt an diesem ganzen Theater.
 

Mir stellten sich die Nackenhaare auf, als er sich suchend im Café umsah, bis er mich entdeckte. Amanda, die seinem Blick gefolgt hatte, wirkte einen kurzen Moment lang erstaunt.
 

Ich versuchte, nicht beleidigt zu sein, war ich mir immerhin durchaus bewusst, dass ich wohl nicht gerade in das Beuteschema eines Mannes wie Nathan Scott gehörte. Was ich auch überhaupt nicht wollte.
 

Es war ungewohnt ihn in etwas anderem als einem seiner maßgeschneiderten Anzüge zu sehen, doch war nicht zu leugnen, dass er in diesen dunkelblauen Jeans, dem weißen Hemd und dem offenen, schwarzen Mantel nicht schlechter aussah als sonst.
 

»Guten Morgen.«
 

War er gut? Da war ich mir nicht so sicher. »Guten Morgen.«
 

Nathan hing Mantel und Schal über den Stuhl zu seiner rechten, bevor er mir gegenüber Platz nahm und bei der wartenden Amanda einen Kaffee bestellte.
 

Ich war mir nicht sicher, was ich sagen sollte. Nach dem Besuch bei dem Juwelier hatten wir vereinbart, uns in diesem Café zu treffen, um uns… kennenzulernen.
 

Aber wie lernte man jemanden kennen, für den man sich unter normalen Umständen überhaupt nicht interessierte? Er war mein Boss und nicht irgendein gutaussehender Typ, den ich zufällig kennengelernt und mit dem ich mich auf einen Kaffee verabredet hatte. Ich wollte überhaupt nichts von ihm erfahren, ganz im Gegenteil. Wenn ich könnte, würde ich all unsere Gespräche auf ein Minimum reduzieren und ihn aus meinem Kopf verbannen, sobald ich das Büro verließ, um mein Wochenende zu genießen.
 

Herrgott – ich mochte ihn doch überhaupt nicht.
 

Jetzt war es allerdings zu spät. Ich hatte zugestimmt und konnte keinen Rückzieher mehr machen. Anstatt also in Selbstmitleid zu versinken, musste ich mich darauf konzentrieren eine Lösung zu finden, wie wir dieses Schauspiel glaubwürdig hinter uns bringen konnten.
 

»Ich habe mir gestern Abend Gedanken gemacht, wie wir uns wohl am besten… kennenlernen könnten.«, begann ich zögerlich zu sprechen.
 

Nathan sagte nichts, sah mich allerdings aufmerksam an.
 

Ich griff zu meiner Tasche, die ich an die Lehne meines Stuhls gehangen hatte, und zog mehrere Zeitschriften hervor. Bei dem Großteil davon handelte es sich um klassische Frauenzeitschriften, die sich mit diversen Themen befassten, doch allen voran gab es in allen von ihnen ganz bestimmte Artikel, die uns vermutlich helfen konnten.
 

Nachdem ich die entsprechende Seite eines Heftes aufgeschlagen hatte, schob ich es über den Tisch.
 

Nathan warf einen Blick auf den Artikel. »Wie gut kennst du deinen Partner?«, las er laut vor und hob eine Augenbraue.
 

Ich bekam das Gefühl, als müsste ich mich für meinen Einfall verteidigen. »Natürlich sind nicht alle Fragen relevant, ich will überhaupt nicht wissen, was für Unterwäsche du bevorzugst, aber einige Punkte werden angesprochen, die tatsächlich jedes Paar voneinander wissen sollte.« Ich griff nach der nächsten Zeitschrift und blätterte hindurch. »Hier zum Beispiel. Hat dein Partner Geschwister? Wenn ja, wie viele? Wo ist er aufgewachsen? Lieblingsessen? Was für Hobbys geht dein Partner nach?« Es gab unendlich viele Fragen, von denen ich nicht die leiseste Ahnung hatte, wie ich sie beantworten sollte. »Es sei denn…«, ich warf ihm einen fragenden Blick zu. »… du hast eine bessere Idee?«
 

Schweigend beobachtete ich ihn dabei, wie er die Seiten überflog.
 

Als sich sein Blick wieder auf mich richtete, kam ich mir vor, als würde ich in einer mündlichen Prüfung sitzen und stand kurz vor meiner Befragung.
 

»Fangen wir an.«
 

Nathan stimmte zu. Einfach so. Ich musste zugeben, dass mich das doch ein wenig überraschte. Als er dann auch noch einen Notizblock aus seiner Innentasche zog, klappte mir fast die Kinnlade hinunter.
 

Er war allerdings nicht der Einzige, der vorbereitet war. Ich griff erneut in meine Tasche, und zog ein Notizbuch heraus, dass ich immer mit mir herumschleppte, und blätterte darin herum, bis ich eine freie Seite gefunden hatte. Mit meinem Stift in der Hand warf ich einen Blick auf eine der aufgeschlagenen Zeitschriften.
 

»Hast du Geschwister?«
 

Er schüttelte den Kopf. »Einzelkind.«
 

»Ich habe zwei ältere Bruder. Christian ist der Ältere, 32 Jahre alt, Jonathan ist 27.« Aufgrund seines eigenen Jobs schien es mir plausibel hinzuzufügen: »Beides Anwälte. Christian hat sich auf Wirtschaftskriminalität spezialisiert, Jonathan auf Gewaltverbrechen.«
 

Nathan warf mir einen überraschten Blick zu. »Drei Anwälte in einer Familie.«, stellte er fest.
 

»Vier.«, korrigierte ich. »Mein Vater, Robert, ist auch Anwalt, meine Mutter arbeitet nicht.«
 

Er neigte den Kopf. »Da stand die Berufswahl wohl außer Frage.«
 

Aus Sicht meiner Familie schon, dass ich allerdings in Wirklichkeit Literatur studierte, musste niemand wissen – auch nicht mein Fake-Verlobter. »Gewissermaßen.« Ich wartete, bis er sich einige Notizen gemacht hatte, bevor ich die nächste Frage stellte. »Wo bist du geboren?«
 

»Geboren und aufgewachsen hier in New York.«
 

»Ich bin aus Anchorage. Geboren und aufgewachsen, für das Studium bin ich dann hergezogen.“«
 

»Alaska. Ziemlich weit weg.«
 

Ich zuckte mit den Schultern. »Meine Brüder haben während ihres Studiums auch hier gelebt, sind danach allerdings wieder zurück.«
 

»Was du selbstverständlich nicht tun wirst, weil wir hier in New York bleiben werden.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
 

Nathan war nicht bewusst, wie richtig er mit dieser Aussage lag. Ich hatte tatsächlich nicht vor zurück nach Anchorage zu ziehen, allen voran da ich mir nicht sicher war, ob ich dort noch willkommen sein würde, sobald meine Familie von meinem Lügenmärchen erfuhr.
 

»Was machen deine Eltern beruflich?«, fragte ich.
 

»Mein Vater ist gestorben, als ich zwölf Jahre alt war. Meine Mutter ist Professorin an der Columbia University.«
 

Mir rutschte das Herz in die Hose. Seine Mutter war Professorin an meiner Universität? Keine Panik, versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Die Universität war groß und es gab unzählige Professoren und Professorinnen – wie groß war da die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihr überhaupt jemals begegnen sollte? Ich hatte definitiv noch keine Vorlesungen bei einer Professorin Scott besucht, gut möglich, dass ich das auch nie tun würde.
 

»Tut mir leid zu hören.«, sagte ich in Bezug auf seinen Vater. Auch wenn es mir unangenehm war, zu fragen, musste ich es dennoch tun: »Wie… ist er gestorben?«
 

»Krebs. Drei Monate nach der Diagnose.«
 

Seine Worte klangen völlig emotionslos. Das war etwas, was ich von ihm bereits kannte. Es war dieselbe Art und Weise, wie er mit den meisten Klienten sprach. Da ich nicht im Geringsten einschätzen konnte, ob ihn das Thema tatsächlich so wenig berührte, oder ob er es einfach nur herunterspielte, schlug ich die Augen nieder und suchte nach einer weiteren Frage, die ich ihm stellen konnte.
 

»Was isst du am liebsten?«
 

»Italienisch.«
 

Eine Notiz für mich. »Ich bin da nicht sonderlich festgelegt, aber die asiatische Küche hat es mir generell angetan.« Nächste Frage. »Lieblingsfarbe?«
 

»Grau.«
 

Das war keine sonderlich freundliche Farbe, passte aber zu ihm. Die meisten seiner Anzüge waren in den verschiedensten Grautönen gehalten. »Meine ist Türkis. Hast du Haustiere?«
 

»Einen Hund. Cody.«
 

Erstaunt sah ich auf. »Wirklich?«
 

Er hob eine Augenbraue. »Ist das so schwer zu glauben?«
 

Wenn ich ehrlich war: Ja! »Du wirkst nicht gerade wie ein Hundeliebhaber.«, erwiderte ich langsam und gab mein bestes, meine Worte nicht beleidigend klingen zu lassen. »Was für eine Rasse?«
 

»Schäferhund.«
 

Ein großer Hund, natürlich. Das wiederum passte wie die Faust aufs Auge.
 

»Ziemlich groß für einen Stadthund.«, stellte ich fest. »Wo ist er, während du arbeitest?«
 

»Meine Großeltern leben in der Nähe. Da wird er auch sein, während wir in den Bergen sind.«
 

Ich nickte. Das waren Dinge, die eine Freundin wissen sollte.
 

Diesmal war Nathan derjenige, der eine Frage stellte: »Lieblingssportart und Verein.«
 

»Ich interessiere mich nicht sonderlich für Sport, habe also auch keinen Lieblingsverein.«, antwortete ich. »Du bist Ice-Hockey Fan und da du regelmäßig zu den Jets gehst, gehe ich davon aus, dass das deine Lieblingsmannschaft ist.« Seinen Terminkalender zu führen erwies sich in diesem Fall als praktisch.
 

Er nickte. »Richtig.«
 

Wenigstens etwas, was ich tatsächlich über ihn wusste.
 

Ich trank einen Schluck von meinem Cappuccino, während Amanda Nathan seinen Kaffee brachte. »Länder, in die du schon gereist bist?«, fragte ich, nachdem sie wieder gegangen war.
 

»Ich bin während der Semesterferien durch Europa gereist und habe so einige Länder besucht.«
 

Da konnte ich unglücklicherweise nicht mithalten. »Ich war bisher nur in Kanada und Mexiko.« Im Vergleich zu ihm also fast nur um die Ecke.
 

Sobald ich das Studium beendet hatte, hatte ich mir fest vorgenommen, mir die Zeit zu nehmen, die Welt zu bereisen. Sofern ich finanziell dazu noch in der Lage sein würde.
 

»Wo möchtest du unbedingt einmal hinreisen?«
 

Nathan überlegte eine Weile. »Island.«, sagte er eine Weile. »Keinen speziellen Ort, sondern das Land generell.« Er trank einen Schluck Kaffee. »Du?«
 

»Ich wollte schon immer einmal nach Rom.« Es war eine wunderschöne Nachtaufnahme des Kolosseums gewesen, die ich vor Jahren einmal auf einer Werbetafel gesehen hatte. Nachdem ich noch mehr über die Stadt recherchiert hatte, war sie in meiner Top 10 möglicher Reiseziele ganz nach oben gerutscht.
 

Ich suchte nach der nächsten Frage. »Hast du Spitznamen?«
 

»Meine Freunde nennen mich Nate.«
 

Nate. Ich ließ mir den Namen auf der Zunge zergehen und konnte nicht ganz einschätzen, ob er mir gefiel.
 

»Mit Ellie kann ich leben, alle anderen Formen meines Namens kann ich nicht ausstehen.« Es war faszinierend, wie viele schreckliche Abkürzungen aus Eliza gemacht werden konnten. Kinder konnten ja so grausam sein.
 

»Was ist deine Lieblingsjahreszeit?« , las ich als Nächstes vor.
 

Wir antworteten zeitgleich. »Winter.«
 

»Urlaub am Stand, in den Bergen oder in der Stadt?«
 

»Wenn ich mich erholen will am Strand oder in den Bergen, nicht in der Stadt.«, erwiderte er. »Zumindest nicht für einen längeren Zeitraum.«
 

Das ergab Sinn. »Ich liebe Städtereisen, aber mit den Bergen bin ich auch zufrieden, ich bin schon immer gerne gewandert. Strand ist nichts für mich.«
 

»Wieso nicht?«
 

Zwar war es mir unangenehm es zuzugeben, aber auch das war etwas, was ein zukünftiger Ehemann wissen sollte. »Ich kann nicht schwimmen.«
 

Ich starrte mit Absicht auf die aufgeschlagene Zeitschrift auf dem Tisch und war mir seinem durchdringenden Blick durchaus bewusst. Ich seufzte leise, bevor ich erklärte: »Ich bin als Vierjährige in einen See gefallen und fast ertrunken. Seitdem habe ich eine Phobie gegen sämtliche Gewässer entwickelt.«
 

Es war der schnellen Reaktion meines Onkels zu verdanken, dass ich überhaupt noch lebte. Er war es gewesen, der mich vom Fenster aus gesehen und aus dem Wasser gezogen hatte. Doch auch wenn ich nicht mehr als eine halbe Minute im Wasser gewesen war, hatte es ausgereicht, um eine krankhafte Angst zu entwickeln.
 

Ich wartete überhaupt nicht auf eine Antwort, sondern stellte die nächste Frage: »Spielst du ein Instrument?«
 

Nathan lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und als er mir nach einer Weile noch nicht geantwortet hatte, sah ich auf. Seine dunklen Augen hielten mich genau fixiert und ich konnte förmlich hören, wie es in seinem Kopf arbeitete.
 

»Ein Instrument? Irgendwas?«, wiederholte ich, um ihn von weiteren Fragen bezüglich meines Wasser-Problems abzulenken. »Blockflöte?«
 

Diesmal reagierte er und hob spöttisch eine Augenbraue. »Ich hatte einige Jahre Klavierunterricht und kann ganz passabel spielen.«
 

Ich nickte. »Ich habe zwei linke Hände – wobei eher rechte Hände, weil ich Linkshänderin bin. Instrumente und ich vertragen sich nicht. Du bist Rechtshänder, das weiß ich.«
 

Ich fuhr mir mit einer Hand durch die langen Haare und strich mir einige Ponysträhnen aus dem Gesicht, die schon wieder zu lang geworden waren. »Ich Bezug auf unsere Verlobung durchaus eine Frage, die aufkommen könnte.«, sagte ich, als ich zu Fragen kam, die eindeutig zukunftsorientierter waren. »Möchtest du irgendwann einmal Kinder haben?«
 

»Vollkommen gleich, was ich persönlich dazu für eine Meinung habe, muss die Antwort auf diese Frage in der kommenden Woche ›ja‹ sein.« Nathan hob die Hand und bestellte sich eine weitere Tasse Kaffee bei Amanda. »Die Themen Ehe und Familie haben uns immerhin in diese Problemsituation gebracht.«
 

Problemsituation. So konnte man eine geheuchelte Verlobung auch bezeichnen.
 

»Ich weiß noch immer nicht genau, was ich nächste Woche dort überhaupt soll.«, gab ich unschlüssig zu. »Mir ist durchaus bewusst, dass es hier um ein Millionengeschäft für L&S geht, aber trotzdem verstehe ich nicht, wie meine Anwesenheit die Verhandlungen beeinflussen soll.«
 

»Das bleibt abzuwarten.«, entgegnete Nathan. »Meine Kontakte beschränken sich aktuell auch nur auch die direkten Vorstandsmitglieder. Ich kann noch nicht zu Hundertprozent einschätzen, welchen Einfluss die Familien tatsächlich haben.«
 

»Im ersten Schritt reicht es also, wenn ich einfach da bin, freundlich lächle und Smalltalk halte?«, fragte ich hoffnungsvoll.
 

Zwar war ich kein Fan von irgendwelchen Cocktailpartys, aber das würde ich hinbekommen. Für irgendwas mussten die Theaterstunden in der Schule doch gut gewesen sein.
 

»Vermutlich. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass die Frauen darauf aus sind, dich ebenso auszuhorchen wie die Ehemänner mich.«
 

Ich verzog das Gesicht. »Dann hoffen wir mal, dass das nicht der Fall sein wird. Auch wenn ich durch diese Fragerei hier etwas mehr über dich weiß als vorher, sind wir trotzdem noch immer... Fremde.« Dass das alles in einer Katastrophe enden würde brauchte ich überhaupt nicht zu sagen. Man lernte sich nun einmal nicht innerhalb eines Wochenendes so kennen, wie normale Paare über einen Zeitraum von mehreren Monaten oder gar Jahren.
 

Wieder dieses schweigen. Eine Eigenschaft, die mich innerlich auf die Palme brachte. Wäre Nathan tatsächlich mein Verlobter, wäre das etwas, was ich ihm eindeutig austreiben würde. Kaum ging ein Gespräch in eine Richtung, die er nicht wirklich beurteilen konnte, schien er eine unsichtbare Mauer zu errichten, hinter die niemand außer ihm selbst sehen konnte.
 

Verwundert beobachtete ich ihn dabei, wie er seine Tasse zur Seite schob und beide Hände auf den Tisch legte, die Handflächen nach oben gerichtet. »Deine Hände.«
 

Stirnrunzelnd sah ich ihn an. »Wie bitte?«
 

»Deine Hände.«, wiederholte er ruhig. »Gib sie mir.«
 

Unsicher, was er damit bezweckte, tat ich ihm den Gefallen. Kaum hatte ich seine Handflächen berührt, schlossen sich seine Finger um ich. Auch wenn diese Berührungen so etwas simples darstellten, sorgten sie augenblicklich dafür, dass sich eine Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitete.
 

»Es ist nicht gerade schmeichelnd, dass du aussiehst, als würdest du am liebsten vor das nächste Auto rennen, sobald ich dich anfasse.«, sagte Nathan spöttisch, ohne mich loszulassen.
 

Ertappt spürte ich, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. »Stimmt doch überhaupt nicht.«
 

Und wie es stimmte. Und das wusste er.
 

Verdammt aber auch.
 

»Ich werde dich nicht mehr wie nötig anfassen, aber je nachdem, was genau in den Bergen passiert und auf was für Veranstaltungen wir gehen werden, wirst du dich daran gewöhnen müssen, dass ich dich berührte.« Seine Stimme klang plötzlich seltsam beruhigend. »Und das vorzugsweise, ohne jedes Mal zusammenzuzucken.«
 

Ich verzog das Gesicht, nickte aber schließlich. Da hatte er Recht. Ich benahm mich tatsächlich wie ein aufgeschrecktes Huhn.
 

Fast schon fasziniert beobachtete ich ihn dabei, wie er mit den Daumen über meine Handrücken strich, und stellte fest, dass er für einen Mann überraschend sanfte Hände hatte.
 

Ein unwichtiges Detail, aber wieder etwas, was ich festgestellt hatte.
 

»Sollen wir noch ein paar Fragen durchgehen?«, fragte ich nach einer Weile und nickte in Richtung der Zeitschriften.
 

»Keine Zeitschriften mehr.«, erwiderte er entschieden. »Erzähl mir... etwas von dir. Was machst du nach der Arbeit? Was tust du in deiner Freizeit, wenn du weder für dein Studium lernen musst, oder arbeitest.«
 

Ich legte den Kopf unbewusst etwas schief, während ich über seine Frage nachdachte. »Ich lese unwahrscheinlich viel. Alles Mögliche, von Liebesromanen bis hin zu Thrillern ist alles dabei.«, gab ich zu. »Meine Mutter ist schon immer wahnsinnig geworden, weil ich so viele Bücher besitze, dass ich nicht mehr weiß wohin damit.« Nicht selten hatten wir uns über das daraus resultierende Chaos in meinem Zimmer gestritten. »Außerdem gehe ich gerne ins Kino. Musicals finde ich auch wirklich toll. Das Phantom der Oper habe ich mittlerweile elfmal gesehen.«
 

Mein Geldbeutel freute sich nicht, über meine kostenspieleigen Interessen, aber waren es mir diese Vorstellungen allemal wert.
 

»Was ist mit dir?«, fragte ich nun doch eine Spur neugieriger als zuvor. »Hast du besondere Hobbys?«
 

»Ich mache viel Sport und fahre mit Cody aus der Stadt, so viel ich kann, um wandern zu gehen.«, antwortete er. »Und mindestens dreimal die Woche gehe ich Schwimmen.«
 

Ich zog allein bei der Vorstellung des Schwimmbads die Nase kraus. »Wirklich tolles Hobby.«
 

Seine Mundwinkel zuckten. »Es hilft mir, Stress abzubauen.«
 

Für die meisten Menschen durchaus plausibel, für mich unverständlich.
 

Wieder wanderte mein Blick auf unsere Hände, diesmal jedoch zu dem Ring an meinem Finger. »Wie hast du mir den Antrag gemacht?«
 

Mit dieser Frage schien ich ihn tatsächlich ein kleinwenig überrumpelt zu haben.
 

Amüsiert zuckte ich mit den Schultern. »Eine berechtigte Frage, die durchaus aufkommen kann, wenn mich die Ehefrauen in die Mangel nehmen.«, gab ich zu bedenken. »Es sagt viel über einen Mann aus, wie er der Frau, die er liebt, einen Antrag macht.«
 

»Du hast gesagt, du liest auch Liebesromane. Wie machen die Hauptprotagonisten denn dort Heiratsanträge?«
 

Seine Gegenfrage brachte mich zum Lachen. »Kommt darauf an, wie kitschig das Buch ist.« Und hin und wieder liebte ich übertrieben sentimentale Geschichten. »Denk dir lieber etwas Eigenes aus, sonst erzähle ich allen, du hättest um meine Hand angehalten, nachdem du mir bei Nacht unterm Sternenhimmel im Central Park ein Ständchen gebracht hast.« Ich konnte ihm seinen zweifelnden Blick nicht verübeln. »In den Büchern sind solche Anträge wirklich ganz niedlich.«
 

Nathan senkte den Blick auf den Ring an meinem Finger. »Nicht im Central Park. Und ganz bestimmt ohne Ständchen.«, sagte er entschieden.
 

»Hattest du noch keine Beziehung, die dich dazu gebracht hat über einen Heiratsantrag nachzudenken?« Ich bereute meine Frage zunächst, schien sie mir doch etwas zu privat zu sein. Andererseits würden uns solche Details vielleicht helfen, glaubwürdiger zu erscheinen.
 

Er schüttelte den Kopf. »Nein, noch nie.«
 

Eine überraschende, aber ehrlich klingende Antwort.
 

»Ich denke nicht, das ich sonderlich kreativ in solchen Dingen wäre.«, fuhr er schließlich fort. »Nehmen wir einfach die klassische Variante und behaupten, ich hätte den Antrag in einem edlen Restaurant gemacht.«
 

Langweilig, aber durchaus eine weit verbreitete Art, Heiratsanträge zu machen.
 

»Mit Kniefall?«, fragte ich, ohne genau zu wissen, wieso.
 

Wieder dieser spöttische Blick. »Muss das denn dazu gehören?«
 

Ich zuckte mit den Schultern. »Für mich persönlich schon.«
 

Auch wenn ich es niemals zugeben würde, war ich doch insgeheim eine Verfechterin von schrecklich romantischen und filmreifen Heiratsanträgen.
 

»Dann war da selbstverständlich ein Kniefall.«
 

Sein trockener Ton brachte mich erneut zum Lachen und während ich ihn ansah bemerkte ich, dass auch seine Mundwinkel sich zu einem Lächeln hoben.
 

Diese ganze Situation war so schrecklich absurd. Wir waren zwei praktisch völlig fremde Menschen, die versuchten, binnen weniger Stunden eine Beziehung aufzubauen, die gut genug wäre, um unzählige Menschen davon zu überzeugen, dass wir tatsächlich ein verliebtes Paar waren.
 

»Das alles wird niemals funktionieren.«, sagte ich schließlich ein.
 

Nathan wusste genau, wovon ich sprach. »Dann sollten wir wohl noch einige dieser Fragebögen durchgehen.« Er warf einen Blick auf eine der aufgeklappten Zeitschriften. »Ich wollte schon immer wissen, ob meine Assistentin lieber hohe oder flache Schuhe trägt, ob sie auf der linken oder rechten Bettseite schläft oder mit welchem Prominenten sie gerne nachts ein Eis essen gehen würde.«
 

»Na mit Johnny Depp.«, entfuhr es mir wie aus der Pistole geschossen und ich grinste. »Mit wem denn sonst?«



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