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Chroniken der Unterwelt

Das Geheimnis des feuerroten Drachen
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Vorab: Ich habe von Animexx die Nachricht erhalten, dass mein Bild gelöscht wurde, weil "der zeichnerische Aufwand als zu gering angesehen wurde" ... Ich lass das mal so im Raum stehen, und gebe euch den neuen Link zu Pinterest xD

https://www.pinterest.de/pin/944348615605082141/ Komplett anzeigen

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Der Alltag

Die wärmenden Strahlen der Sonne schienen mir ins Gesicht. Trotz des Visiers blendete mich das Licht und ich neigte meinen Kopf, um den Highway besser zu sehen. Ich genoss das Gefühl des Fahrtwinds und das leise Surren meines D-Wheels. Nach einer Weile bog ich in die Einfahrt zur Garage des Hauses und stellte es ab. Ob sie schon zuhause ist? Es war bereits spät am Abend und wieder war ich zu lange auf der Arbeit beschäftigt. Schnell ging ich die Treppe von der Garage zu unserer Wohnung hinauf. Trat ein und legte den Schlüssel in die Schale auf der kleinen Anrichte neben der Tür, die ich sogleich zuzog. Der Flur war zum Wohnzimmer hin offen und die Abendsonne tauchte den ganzen Raum in ein angenehm warmes Licht. Ich ging den Flur entlang, doch im Wohnzimmer angekommen entdeckte ich keine Menschenseele. Dann lief ich am Sofa vorbei, durch die offene Tür zum Arbeitszimmer und da stand sie: grübelnd vor ihrem Regal, in ihrer weißen Bluse und dem kurzen, schwarzen Rock mit einem Buch in der Hand, ihre langen roten Haare hochgesteckt und bemerkte mich nicht.

Ich schmunzelte und klopfte dezent an den Türrahmen, um sie nicht zu erschrecken. Sie drehte sich zu mir und musterte mich argwöhnisch. Oh je, vielleicht ist sie doch sauer. Schnell versuchte ich die Wogen zu glätten und ging auf sie zu. „Entschuldige ich bin spät“ sagte ich. Hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen.

Zu meiner Erleichterung lächelte auch sie mich an. „Schon okay, ich bin auch noch nicht lange Zuhause. Viel Stress im Labor?“

Ich nickte. „Bei dir dasselbe, nehme ich an?“

Ein seufzen entkam ihr. „Wir haben heute einen Patienten reinbekommen, der morgen operiert werden soll. Die Vorbereitung dauert noch eine Weile.“

„Dann will ich dich lieber nicht aufhalten. Hast du Hunger?“

Unschlüssig wanderten ihre bernsteinfarbenen Augen kurz zu ihrem Buch, ehe sie mich wieder ansah. „Ich glaube, eine kleine Pause kann nicht schaden.“

„Dann hol ich dich, wenn ich fertig bin“ sagte ich mit einem Lächeln und gab ihr erneut einen flüchtigen Kuss, ehe ich in die Küche ging.
 

Dort angelangt, stellte ich das Wasser für den Reis auf den Herd und schaltete nebenbei die Nachrichten an. Prompt sah ich in ein bekanntes Gesicht und musste schmunzeln. „Mister Atlas, was sagen Sie zu ihrem überragenden Sieg zum Saisonende?“

Jack verdrehte die Augen und widmete sich der Kamera. „Was wohl? Ein Jack Atlas gewinnt jedes Duell. Ich verteidige meinen Titel auch in Zukunft. Leider gibt es da draußen kaum einen würdigen Gegner mehr für mich.“

Ich schüttelte belustigt den Kopf und warf den Reis in das Wasser, widmete mich dann dem Gemüse. Dass er jetzt in der weltweiten Profiliga spielte, hatte seinem Ego keinen Abbruch getan. Man müsste meinen, mit seinen fast 30 Jahren hätte sich das irgendwann mal gelegt.

„Wie haben Sie auf dem Eintritt ihres ehemaligen Teamkollegen Crow Hogan in die nächste Saison reagiert?“ Nun sah ich doch überrascht auf. Crow hat es schon öffentlich gemacht? „Dass er den Teamduellen den Rücken gekehrt und eine Solokarriere im Blick hat, hat Sie sicher überrascht.“

„Nicht wirklich“ gab er unbeeindruckt zurück.

„Was erwarten Sie von der nächsten Saison?“

Während Jacks nächster Selbstbeweihräucherung widmete ich mich wieder dem Essen, warf alles in eine Pfanne und deckte den Tisch. Überraschend war Crows Austritt nicht wirklich. Er hatte nur so lange gezögert, weil er sein Team nicht im Stich lassen wollte. Aber mit Leo hatte er einen wirklich guten Ersatz für ihn gefunden. Das Energiebündel war endlich 18 geworden und damit alt genug für die Profiliga.

Nach kurzer Zeit war ich fertig und richtete unser Abendessen an, bevor ich wieder zu Akiza ins Arbeitszimmer ging. In der Tür blieb ich kurz stehen und lehnte mich gegen den Rahmen. Beobachtete sie dabei für einen Moment. Sie brütete über ihrem Buch und machte sich Notizen. Dabei tippte sie den Stift immer wieder gegen ihre Lippen, während sie nachdachte, nur um gleich darauf weiterzuschreiben. Plötzlich sah sie verwundert auf. „Ist alles okay? Warum stehst du so still in der Tür?“

Ich schüttelte nur den Kopf und schmunzelte. „Das Essen ist fertig“.
 

Als wir in die Küche kamen, schaltete ich die Nachrichten aus. Akiza sah neugierig zu mir. „Gab‘s was Neues?“

Der Stuhl kratzte über den Boden, ich setzte mich. „Crow hat es endlich offiziell gemacht.“

„Seinen Eintritt in die Riding Ace?“ fragte sie belustigt. „Wie hat Jack reagiert?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Du kennst ihn doch.“

Sie ließ das unkommentiert und schnitt ein anderes Thema an. „Hat er eigentlich endlich auf die Einladung geantwortet?“

„Ja, heute Morgen. Er hat nochmal betont, dass er erst am Freitag vor der Hochzeit ankommen wird.“

„Hm.“ Sie schwieg, stocherte konzentriert in ihrem Essen herum. Schließlich erhellte ein kleines Lächeln ihr Gesicht.

„Was ist los?“

Überrascht sah sie auf. „Hm? Nichts, ich war nur in Gedanken.“ Ich hob fragend eine Augenbrauche, was sie zum Lachen brachte. „Ach ich weiß nicht. Wenn er es so sehr betont, ist doch was im Busch, meinst du nicht auch?“ Ihr Lächeln wurde breiter. „Vielleicht will er sich ja vorher heimlich mit Carly treffen.“

Ich schnaufte belustigt. „Versuchst du immer noch sie zu verkuppeln? Jack hat doch schon gesagt, dass er sie aus der Öffentlichkeit raushalten will. Du kennst ihn doch, was seine Gefühle betrifft.“

„Ja, aber er liebt sie auch, da bin ich mir sicher. Carly wartet bis heute noch auf ihn und langsam bricht es mir das Herz!“
 

Ich schüttelte nur den Kopf. Diese Diskussion konnte ich nicht gewinnen. Jack war schon immer ein Einzelgänger und hatte Schwierigkeiten tiefere Beziehungen zu knüpfen. Ich glaube aber, dass er nicht viele davon brauchte um glücklich zu sein. Aber auch mir fiel damals auf, dass er mehr für sie empfand als nur Freundschaft, aber er hatte Angst sie zu verletzen. Deswegen distanzierte er sich und flog ans andere Ende der Welt. Ich versuchte das Thema zu wechseln. „Hat dir Misty schon erzählt, dass sie Kalin gefragt hat?“

Sie schmunzelte. „Sicher doch, das wurde langsam auch Zeit. Die Beiden pendelten doch schon die ganze Zeit um sich zu besuchen. Endlich machen sie es offiziell, auch wenn ich es wirklich lustig finde, dass Kalin sich nicht getraut hat!“

„Ja, sonst hat er auch in jeder Hinsicht die Zügel in der Hand, aber bei Misty wird er zu einem ganz anderen Menschen.“
 

Unser ehemaliger Anführer hatte sich wirklich verändert. Er leitet jetzt seit neun Jahren seine eigene Stadt und schien sich damit eigentlich erfüllt zu fühlen. Die Sache mit Misty ging nun schon ein paar Monate, aber er traute sich nie sie zu fragen und es fest zu machen. Gestern rief er mich an und erzählte mir, dass Misty diesen Part übernommen hatte. Ich freute mich wirklich für ihn.
 

Akiza riss mich mit ihrer Stimme aus meinen Gedanken „Sag mal, wann wollten Leo und Luna eigentlich ankommen?“

Ich überlegte kurz. „Sonntag, und Crow wollte Dienstag hier sein.“

Sie lächelte. „Ich freue mich so, endlich mal wieder alle zu sehen! Es ist wirklich eine Ewigkeit her, seit das Team 5D’s wieder vereint war.“

„Fast acht Jahre“ stimmte ich ihr zu. Trotzdem hatten wir es geschafft immer Kontakt zu halten.
 

Als wir fertig waren, räumte ich noch ein wenig auf, während Akiza sich wieder zurückzog, um weiterzuarbeiten. Nur noch ein paar Tage, dann hatten wir Urlaub und endlich wieder mehr Zeit füreinander. Bis dahin kosteten wir sie aus, wenn wir nicht gerade in die Arbeit vertieft waren. Als ich fertig war, nahm ich meinen Laptop, setzte mich in den Sessel im Wohnzimmer und arbeitete an meinem Programm für unsere D-Wheels weiter. Es war mehr eine Beschäftigung, als eine Notwendigkeit. Ich war so vertieft, dass ich die voranschreitende Zeit kaum bemerkte, da legten sich zarte Arme sanft um meine Brust und ich spürte ihre weichen Lippen an meinem Hals. Genießend schloss ich meine Augen und schmunzelte, klappte den Laptop zu und drehte mich zu ihr. „Fertig?“ fragte ich. Sie schenkte mir ein Lächeln und gab mir einen zärtlichen Kuss.

Überraschung

//Akiza//
 

Als ich aufwachte, vermisste ich die Wärme seines Körpers neben mir. Stattdessen war da nur ein kaltes Laken. Ich seufzte. Er war also schon länger weg. Als ich auf die Uhr sah, fiel mir ein, dass seine Schicht jetzt beginnen müsste. Ich ließ meinen Kopf wieder ins Kissen sinken und genoss den leichten Duft, der noch immer neben mir war. Heute wird ein wirklich langer Tag. Ich lag auf der Seite und hatte die Hand auf sein Kissen gelegt. Dabei fiel mein Blick wieder auf den eleganten, roségoldfarbenen Ring an meinem Finger. Ich lächelte und dachte zurück, an diesen süßen Antrag vor wenigen Monaten.
 

Es war ein einfacher und wundervoller Antrag gewesen, den Yusei vorbereitet hatte. Wir hatten beide einen freien Tag und verbrachten ihn die gesamte Zeit zusammen. Beim Skaten, einem gemeinsamen Turbo-Duell, im Kino und als es dunkel wurde machten wir ein kleines Picknick im Rosengarten am Rande der Stadt. Ich liebte diesen Ort. Wir blickten hinauf in die Sterne, man konnte an diesem Abend die Milchstraße sehen, und genossen den Augenblick. Um uns herum erkannte man im schwachen Licht des Vollmonds die weißen und roten Rosen und Yusei drehte sich etwas nervös zu mir und stammelte ein paar Sätze. Dabei wurde er rot im Gesicht. So hatte ich ihn vorher nie erlebt. Als er dann um meine Hand angehalten hatte, musste ich über meine Antwort nicht nachdenken. Vor acht Jahren hätte ich nie erwartet, dass das irgendwann passieren könnte. Damals, an dem Abend, an dem wir uns verabschiedet hatten. Als mich seine tiefblauen Augen in ihren Bann gezogen hatten und die Welt um mich herum für kurze Zeit nicht mehr existierte. Nach diesem Kuss dachte ich, ich würde diese Liebe für ihn hinter mir lassen müssen. Ich schmunzelte. Als ich vor zwei Jahren wieder aus Deutschland zurückkehrte, war es, als wäre ich nie weg gewesen. Meine Gefühle für ihn hatten sich nicht geändert und ihm ging es tatsächlich wie mir. Noch einmal seufzte ich tief.
 

Langsam musste ich allerdings in die Gänge kommen, also stand ich auf um zu duschen. Unter dem warmen Wasser dachte ich an die Bilder von gestern Abend. An Yuseis wundervolle, tiefblaue Augen, die mich mit einer Mischung aus reiner Liebe und brennender Leidenschaft ansahen. Ich spürte wieder die Hitze in meinen Kopf steigen, selbst nach zwei Jahren unseres Zusammenseins. So viel Sex hatten wir seit den ersten Monaten unserer Beziehung nicht mehr. Und dann traf es mich wie ein Schlag. Sieben Wochen. Wir hatten sieben Wochen fast täglich Sex! Wie konnte mir das nur nicht aufgefallen sein?! Schnell stellte ich das Wasser aus und machte mich fertig.
 

Als ich im Krankenhaus ankam, ging ich nicht in die Pädiatrie, in der ich eigentlich arbeitete, sondern in die Gynäkologie und holte aus dem Lager einen Test. Nach einigen Minuten blickte ich nervös auf das Teststäbchen und traute meinen Augen nicht. Das kann doch nicht sein! Schnell lief ich in das Büro meiner Freundin und Kollegin Azuna, die mich überrascht ansah. „Hast du dich in der Station geirrt Akiza?“ fragte sie belustigt. „Du bist hier in der Gyn, nicht auf der pädiatrischen. Was ist denn mit dir los, du bist ja ganz blass!“ Immer noch schockiert hielt ich den Teststreifen in der Hand und sah sie an. Azunas Blick wanderte zu ebenjenem Streifen und ihre himmelblauen Augen wurden größer. „Oh, Akiza das ist ja wundervoll! Komm schon!“
 

Sie nahm meine Hand und schleifte mich aus dem Büro in den nächsten freien Untersuchungsraum. „Leg dich auf den Stuhl und mach den Bauch frei!“ sagte sie. Ich tat wie mir geheißen, setzte mich und knöpfte meine Bluse bis zum letzten Knopf auf. „Wie lang bist du denn schon drüber?“ fragte sie und gab etwas Gel auf meinen Bauch. Es war ziemlich kalt.

„Drei Wochen. Mir ist es erst gar nicht aufgefallen. Ich habe das völlig vergessen!“ Ich spürte, wie ich langsam anfing zu schwitzen und schaute nervös auf den Bildschirm neben mir. Azuna schaltete die Geräte ein und suchte behutsam mit der Ultraschallsonde den Bauchraum ab. Sie tippte gelegentlich etwas in die Tastatur und sah mich dann an. Ich schluckte.

Ein warmes lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Glückwunsch, meine liebe. Ich würde sagen fünfte Woche!“

Wieder starrte ich wie gebannt auf den Bildschirm und versuchte ihre Worte zu realisieren. Dort sah ich eine kleine Gestalt, man konnte nur erahnen was es darstellen sollte, aber ich erkannte es. Ich war tatsächlich schwanger. Eine Flut von Gefühlen übermannte mich. Ich wusste nicht welches die Oberhand gewann. Angst? Euphorie? Panik? Freude? Glück? Meine Augen füllten sich mit Tränen und vernebelten mir die Sicht. Darauf hatten wir es eigentlich noch nicht angelegt.

„Akiza, ich freue mich so für euch!“ Azuna umarmte mich herzlich und der Klang ihrer Stimme machte mir Hoffnung. Ich dachte an Yusei und unsere bevorstehende Hochzeit. Ein gemeinsames Leben. „Jetzt kommt der knifflige Teil“ sagte Azuna und säuberte dabei sacht meinen Bauch.

Ich knöpfte mir die Bluse zu und schaute sie fragend an. „Was meinst du?“

„Naja“ begann sie und lächelte. „Du musst es deinem Verlobten beibringen.“

Erneut stand ich wie vom Donner gerührt da. Wie sollte ich ihm so etwas Wichtiges am besten sagen? Am Telefon war das unmöglich. Vielleicht beim Abendessen? Heute noch? „Azuna?“ Sie tippte etwas in den Computer ein. Ihre Finger stoppten in ihrer Bewegung. Fragend sah sie mich an. Ich schluckte trocken, versuchte den Kloß in meinem Hals loszuwerden. „Wie… würdest du es ihm sagen?“

Der Stuhl knarzte, als sie sich zurücklehnte und an die Decke starrte. „Ich weiß es nicht“ sagte sie und sah mir offen in die Augen. „Hast du Angst vor seiner Reaktion?“

Wieder schluckte ich, nestelte an meiner Bluse herum. Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen. „Ich weiß es nicht. Vielleicht. Geplant war es nicht.“

„Wie steht er denn zu Kindern? Kam das Thema mal auf?“

„Nicht direkt, aber…“ Tief atmete ich durch. „Er liebt Kinder. Ich weiß nur nicht, ob er eigene haben möchte. Und dann kommt das auch noch kurz vor unserer Hochzeit.“

Einen Moment war es still und ich sah vorsichtig auf. Azuna lächelte vergnügt. „Du machst dir zu viele Gedanken. Ich erlebe das täglich, und in den allermeisten Fällen sind die Väter überglücklich. Yusei wird es da sicher nicht anders gehen, glaub mir.“

Ich versuchte zu lächeln und nickte. Irgendetwas tippte sie wieder ein, kurz darauf druckte sie etwas aus und hielt es mir fröhlich entgegen. „Hier hast du ein Beweisfoto. Und erzähl mir von seiner Reaktion, ja?“

Zögerlich nahm ich es an mich. Strich mit den Fingern bedächtig über das, was bereits einem kleinen Menschen ähnelte. „Mach ich. Ich danke dir.“
 

Den restlichen Tag lenkte mich die Arbeit von diesem Gedanken ab, und nach dem Feierabend fuhr ich so schnell wie möglich mit meinem D-Wheel nach Hause, parkte es in der Garage, lief nach oben und schloss die Tür auf, hielt jedoch etwas außer Atem kurz inne. Das positive Teststäbchen und das Ultraschallbild hatte ich in einer kleinen Tüte in meiner Tasche. Wie sollte ich es ihm am besten sagen? Ich konnte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Ich schüttelte den Gedanken ab. Azuna hat Recht. Yusei wird im ersten Moment sicher so überrascht sein wie ich, aber nachdem sie sich gelegt hatte, war ich überglücklich. Irgendwie freute ich mich sogar ein wenig auf sein Gesicht. Noch einmal atmete ich tief durch und betrat die Wohnung. Es war alles dunkel. Aber Yusei sollte schon Zuhause sein. Ich schaltete das Licht an und ging ins Wohnzimmer. Hier war er zumindest nicht. Dann suchte ich das Arbeitszimmer, das Bad, das Schlafzimmer und die Küche ab. Auch hier war keine Spur von ihm. Auf dem Esstisch in der Küche fiel mein Blick auf einen Brief, an eine Vase gelehnt, in der eine einzelne rote Rose stand. Neugierig entfaltete ich ihn.
 

Hey, Akiza. Es tut mir leid, aber ich muss leider wegen eines Notfalls ein paar Tage die Stadt verlassen. Der Leiter des Reaktors in Peking bat mich um Hilfe bei der Neukalibrierung und Testphase der neuen Anlage. Sie haben wohl einige Schwierigkeiten damit. Ich weiß, wir wollten am Sonntag eigentlich Leo und Luna zusammen vom Flughafen abholen, doch bis dahin werde ich nicht zurück sein. Sag ihnen liebe Grüße! Ich bin vermutlich am Dienstag, spätestens aber am Mittwoch, wenn die Hochzeitsplanerin die letzten Details mit uns absprechen will, wieder in Neo Domino City. Ich ruf dich an, wenn ich angekommen bin.
 

In Liebe,

Yusei.
 

PS: Abendessen steht im Kühlschrank.
 

„Tolles Timing“ murmelte ich und meine Euphorie wandelte sich in Enttäuschung. Ich hatte mich schon auf sein Gesicht gefreut, wenn ich es ihm gesagt hätte. Jetzt musste ich ganze fünf Tage warten, denn am Telefon wollte ich ihm so eine wichtige Neuigkeit nicht mitteilen. Ich seufzte. Und das kurz vor unserer Hochzeit. So hatten wir nur noch wenige Tage Zeit die letzten Dinge zu erledigen. Zugegeben, die Hochzeitsplanerin, die Yusei engagiert hatte, war nett und sehr gut in ihrem Job und ohne sie hätten wir es mit unseren Vollzeitjobs nicht geschafft, die gesamte Hochzeit auch nur in einem Jahr zu planen, aber dennoch wollte ich ihn die nächsten Tage bei mir haben. Er würde die Ankunft von Leo und Luna am Sonntag, und die von Crow am Dienstagnachmittag verpassen. Aber ich konnte ihm keinen Vorwurf machen. Er hatte sich gefreut, die drei aus solch einem Anlass wieder in der Stadt begrüßen zu können, und bei einem Notfall wird er leider als erstes gerufen, da er den Reaktor bereits vor seinem Abschluss mitentwickelt hatte und als führender Experte galt.

Ich seufzte tief und ging zum Kühlschrank. Ein kleines Lächeln überkam mich. Er hatte sich vor seiner Abreise die Zeit genommen mir mein Lieblingsessen zu kochen. „Er muss wirklich Schuldgefühle haben“ murmelte ich in mich hinein und spürte eine Träne, die meine Wange hinunterlief.
 

Der nächste Tag verlief ziemlich Ereignislos. Es war mein letzter Arbeitstag, danach hatte ich mir drei Wochen frei genommen. Ich konnte mich in Yuseis Abwesenheit also nicht einmal damit ablenken. Ich telefonierte jeden Abend mit ihm und vermisste ihn schrecklich. Den größten Teil des Sonntags verbrachte ich mit Misty und Carly in einem kleinen Café. Seit ich wiedr in Neo Domino lebte, war unsere Freundschaft noch enger geworden.

„Ist schon alles vorbereitet?“

Ich lächelte Misty entgegen. „Das Meiste schon, wir müssen nur noch ein paar Details besprechen. Die Gäste, die von außerhalb kommen, wurden noch nicht alle untergebracht.“

„Wirklich?“ fragte Carly. Ich grinste sie an und prompt wurde sie rot. Ach, wie gern hätte ich sie mit Jack zusammen gebracht, aber Yusei hatte Recht. Ich sollte mich da nicht einmischen.

„Meine Güte, Carly, jetzt mach doch endlich Nägel mit Köpfen!“ sagte Misty.

Carlys Gesicht hatte schon einen dunkelroten Ton angenommen. „D-Das sagt sich so einfach!“

„Warum? Ich habe Kalin auch selbst gefragt und bin wirklich glücklich mit meiner Entscheidung.“ Sie nahm Carlys Hand und hatte ein warmes Lächeln auf den Lippen. „Gib dir einen Ruck.“
 

Unsere bebrillte Freundin senkte den Blick. Flüsterte ihre Antwort schon fast. „Ja, aber bei euch ist das auch etwas Anderes. Ihr seht euch wenigstens, wenn ihr hin- und herpendelt, aber ich habe kaum Kontakt zu Jack!“

Misty lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bleibe bei meiner Aussage!“

Ich konnte mir ein kleines Lachen nicht verkneifen und sah Carly in ihre hellblauen Augen, die durch ihre Brille schimmerten. „Weißt du, du bist eine wirklich hübsche Frau und es wird schon kommen, wie es soll. Hast du nicht mal deine Schicksalsfeen dazu befragt?“

Carly stöhnte auf. „Ich glaube, die können mir da auch nicht weiterhelfen!“ Verzweifelt legte sie ihren Kopf mit dem Gesicht nach unten auf dem Tisch ab, und Misty strich ihr beruhigend durchs Haar.
 

Nach einiger Zeit hatten wir es geschafft, Carly wieder aufzubauen und verabschiedeten uns voneinander. Die Zwillinge mussten wetterbedingt einen späteren Flug nehmen und kamen erst am Montagmorgen an. Kurz bevor ich die beiden abholen wollte, klingelte mein Handy. Als ich es aus meiner Tasche holte, und auf das Display sah, wunderte ich mich über meinen Anrufer. Es war Yusei. Ich lächelte und drückte auf den grünen Hörer. „Hallo Yusei, warum rufst du denn jetzt schon an?“

Stille. Einen schier endlosen Augenblick war nur Yuseis flacher Atem am anderen Ende der Leitung zu hören, bis er die Stille durchbrach. „Akiza, geht’s dir gut?“ fragte er besorgt. Irgendwie ängstlich.

Ich wusste nicht ganz, warum er mich das fragte, schließlich hatten wir erst am Abend zuvor miteinander geredet. Langsam mache ich mir Sorgen, in welche Richtung dieses Gespräch wohl gehen wird. „Sicher, ich wollte gerade los, um die Zwillinge zu holen. Ist alles in Ordnung bei dir? Du klingst so seltsam.“

Ich hörte, wie Yusei am anderen Ende der Leitung erleichtert aufatmete. „Nichts, schon gut. Ich hatte nur ein ungutes Gefühl, das sind sicher meine Nerven. Ich wollte dir keine Sorgen bereiten. Wir stehen jetzt in den letzten Tests, ich werde morgen den abschließenden Bericht abgeben und dann den nächsten Flug nach Hause nehmen. Ich muss jetzt auflegen. Pass bitte auf dich auf. Ich liebe dich.“

Er klang erschöpft. Nun war ich mehr als verunsichert. Ich hatte ihn bisher selten so ängstlich erlebt. „Ja, ich liebe dich auch, pass bitte auch auf dich-“
 

Da hörte ich nur noch den Freizeichenton meines Handys und sah verwirrt auf das Display. Er hatte mitten im Satz aufgelegt. Das war doch sonst nicht seine Art. Mit einem flauen Gefühl im Magen fuhr ich mit dem Wagen, den ich mir von meinen Eltern geliehen hatte, zum Flughafen und wartete am angegebenen Gate auf den Flug aus London. Da erblickte ich inmitten der Menschenmenge auch schon zwei Jugendliche mit türkisfarbenem Haar, die sich suchend umblickten. Lunas Blick traf mich zuerst und sie stupste ihren Bruder an. Mit seinen Koffern im Gepäck stürmte er auf mich zu, und ich hatte schon Angst umgeworfen zu werden. Luna begrüßte mich gediegener, aber nicht weniger glücklich.

„Wo ist denn Yusei?“ fragte Leo, als wir uns zu den Parkplätzen begaben.

Ich erinnerte mich wieder an das Telefonat von heute Morgen und wieder wurde mir flau im Magen. „Er ist wegen eines Notfalls nach Peking geflogen. Er sagte aber, er wird morgen Abend wieder in Neo Domino City sein.“

„Eine Woche vor eurer Hochzeit?“ fragte Luna überrascht.

„Ist eben ein Notfall, da kann man nichts machen“ sagte ich und hob, mit einem nicht ganz überzeugenden Lächeln, beschwichtigend die Hände.

Luna hingegen war sprachlos. „Bist du sehr traurig, Akiza?“

„Nein, ach was. Yusei musste schon mehrmals spontan irgendwo hinfahren. Und er ist ja auch morgen wieder da.“

„Oh maaaan! Ich hatte mich schon darauf gefreut zum ersten Mal gegen Yusei in einem Turbo-Duell anzutreten, und aus Lunas geplantem Mädelsabend wird wohl auch nichts. Schade.“

Seine Schwester lehnte sich mit einem vorwurfsvollen Blick zu ihm und stupste ihn mit dem Ellenbogen an. „Mensch, Leo! Du siehst doch, dass es Akiza damit auch nicht so gut geht!“ flüsterte sie.

„Aber sie sagte doch ihr geht es gut“ sagte er verwirrt.

Luna seufzte verzweifelt.
 

Mich ließ die Unterhaltung schmunzeln. Ich hatte die beiden mehr vermisst, als ich dachte. „Ach, wir brauchen Yusei nicht, um uns einen lustigen Tag zu machen! Ich fahre euch erstmal in die alte Wohnung eurer Eltern, damit ihr eure Koffer ablegen könnt, und dann unternehmen wir was Lustiges!“
 

Auf der Fahrt unterhielten wir uns angeregt, bis Luna eine Frage stellte. „Sag mal, Akiza? Ist das mit der Hochzeit schon bis zur Presse durchgesickert?“

„Nein, wir haben nur Freunden und der Familie davon erzählt. Die einzige Reporterin, die etwas weiß, ist Carly. Aber sie hat uns versprochen, bis nach der Hochzeit zu warten, um es dann exklusiv ihrem Verlag zu präsentieren. Bis dahin sind wir aber schon unterwegs in unsere Flitterwochen.“
 

Ich seufzte. Schon merkwürdig, dass die Presse sich noch immer auf jedes Detail in Yuseis Leben stürzt. Nach dem Sieg im WRGP, dem Triumph über ZONE und dem World Champions Turnier vor vier Jahren, bei dem auch Jack antrat, und aus dem Yusei ebenfalls als Sieger hervorging, hat er sich weitestgehend von öffentlichen Duellen zurückgezogen. Er hasste die Aufmerksamkeit schon immer, mochte es nie, wenn die Klatschzeitung einen reißerischen Artikel schrieb, und gab der Presse auch nie Kommentare dazu ab. Was das Anging, so war er das komplette Gegenteil von Jack.
 

Der Tag, den ich gemeinsam mit den Zwillingen verbrachte, war wirklich schön. Wir waren in einem Café und brachten uns gegenseitig auf den neusten Stand. Ich entschloss mich aber dazu, meine besonderen Umstände vorerst zu verschweigen, schließlich sollte mein Verlobter zuerst erfahren, dass ich schwanger war.
 

Zuhause angekommen, versuchte ich Yusei anzurufen. Nach vier Versuchen antwortete er zwei Stunden später mit einer Textnachricht.
 

Es tut mir leid, ich habe gerade noch eine Menge zu tun. Wir telefonieren morgen, bevor ich hier abreise.

Ich liebe dich!

- Yusei
 

Erst dieser seltsame Anruf heute Morgen, und jetzt das! Er benimmt sich wirklich merkwürdig. Ich würde gern wissen, was das war… Aufgewühlt wälzte ich mich in unserem Bett hin und her. Nach endlos scheinenden Stunden des Grübelns, glitt ich schließlich in einen unruhigen Schlaf.

Alpträume

//Yusei//
 

Ich wurde allmählich wach und spürte noch immer diese wohlige Wärme. Dieser vertraute Duft, der mich wissen ließ, dass ich zu Hause war. Ich öffnete meine Augen und starrte an die Decke über mir. Wie spät es wohl ist? Mein Blick wanderte zu der Uhr auf meinem Nachttisch. Ich muss langsam aufstehen, oder ich komme zu spät. Ich seufzte leise und sah meine zukünftige Frau an. Ein Lächeln überkam mich. Zukünftige Frau. Wie sehr ich mich auf die Hochzeit freute, konnte ich nicht in Worte fassen. Sie hatte ihr Gesicht an meiner Brust vergraben und schlief friedlich weiter. Ich strich ihr sanft durchs Haar und genoss noch eine Weile ihre Nähe. Ihren gleichmäßigen Atem. Aber langsam musste ich mich beeilen. Vorsichtig schob ich sie etwas von meinem Oberkörper. Sie murrte und drehte sich auf die andere Seite. Ich unterdrückte ein Lachen. Sie war wirklich kein Morgenmensch. Ich gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn und machte mich fertig.
 

Am Reaktor angekommen, ging ich ins Büro, um noch einige Unterlagen und Mails durchzusehen. In einer Stunde würde eine weitere Konferenz stattfinden. Das Ganze lief via Großbildmonitor, bei der die einzelnen Teilnehmer gleichzeitig zugeschaltet wurden. Da diese Wissenschaftler alle aus den verschiedensten Ländern kamen, fanden alle Konferenzen auf Englisch statt. Diese Leute waren die Leiter der jeweiligen Reaktoranlagen im asiatischen Raum. Ich war der führende Wissenschaftler und Vorstand in Asien, also standen die Leute, mit denen ich gleich sprechen würde, unter meiner Leitung. Diese Besprechungen beraumte ich einmal im Quartal ein, damit mich alle auf den aktuellen Stand bringen konnten und auch, um die Daten zu kontrollieren. Ich hatte es lieber sie von Angesicht zu Angesicht zu sprechen, statt mir nur endlos lange Datenlisten anzusehen.

Ein kurzer Blick in meinen Kalender verriet mir, dass das digitale Treffen mit den Doktoren Adams, Vorstand im Raum Nordamerika, Chandrek, Vorstand im Raum Südamerika, Naru, Vorstand im Raum Afrika und Australien, und Roland, Vorstand im Raum Europa morgen um 15 Uhr stattfinden würde.
 

Ich ging in den Konferenzraum, gab ein paar Daten ein, blickte auf den riesigen Monitor und sah zu, wie meine Kollegen sich nach und nach zuschalteten. „Schön, wie ich sehe, sind wir alle vollzählig“ begann ich und blickte in die Gesichter der Doktoren. Sie waren alle weit älter als ich, mit Ausnahme einer Mitte 30-jährigen, bebrillten Frau mit kurzen, braunen Haaren. Ihr Name war Dr. Tailea Chang und sie war die Leiterin des neuen Reaktors in Peking. Ich erinnerte mich daran, als Dr. Chang die Stelle vor einem Jahr übernahm. Bis auf mich hatte sie keiner meiner Kollegen wegen ihres Alters und Geschlechts ernst genommen. Sie war ein brillanter Kopf und wusste was sie tat, doch fehlte ihr oft das Selbstvertrauen sich den älteren Kollegen zu stellen und sich zu behaupten.

„Ich habe mir Ihre Unterlagen durchgesehen und konnte nur Unregelmäßigkeiten in Seoul, Hanoi und Peking entdecken“ sagte ich und ging die Liste der Anwesenden durch. Dabei fragte ich auch jeden einzeln nach dem aktuellen Stand ab. Als ich mich an Dr. Lien Mosh, einem etwa 60-jährigen Mann mit grauen Haaren, aus Vietnam wandte, gab mir dieser sogleich eine Erklärung: „Es gab eine kleine Explosion im Nebengebäude. Dadurch wurden die Daten bedauerlicherweise gefälscht. Die Ursache war eine defekte Gasleitung, aber wir haben alles wieder unter Kontrolle.“

Ich nickte und bedeutete dem Koreaner Dr. Jusako Du-Jul weiterzusprechen. „Wir werden einige Tests durchlaufen lassen, aber es sind nur geringe Abweichungen der Normwerte, kein Grund sich Sorgen zu machen“ sagte er in seinem gewohnt hochnäsigen Tonfall. Meine Augen verengten sich leicht. Ich mochte ihn nie besonders. Wann immer Dr. Du-Jul sprach, wirkte er blasiert, mit seiner Hakennase, der hohen Stirn und dem schleimigen Lächeln. Das schlimmste jedoch war die Handhabung der Arbeitsverteilung in Seoul. Sie war so konfus, dass es bei einem Fehler nie herauskommen könnte, wer ihn begangen hatte. Ich sah ihm ernst in die Augen, und antwortete ihm bestimmt: „Jede Abweichung, die nicht kontrolliert wird, kann zu einer Katastrophe führen. Sie stimmen mir gewiss zu, dass es töricht wäre, Menschenleben zu riskieren, nur, weil man einige kleine Fehler übergangen hat.“
 

Wieder drangen die Bilder vergangener Alpträume in meinen Kopf. Ein überhitzter Reaktor, eine gewaltige Explosion, Menschen, die ihr Leben verloren. Schnell schüttelte ich diese Bilder ab und fixierte meinen Blick wieder auf meinen Kollegen. „Und noch etwas: Ihre Protokolle sind unvollständig. Es macht Ihnen sicher nichts aus, sie mir bis morgen früh zukommen zu lassen, nicht wahr?“ Mein Blick ließ keine wiederworte zu. Dr. Du-Jul antwortete mit einem Schnauben. „Sicher doch“ sagte er knapp.

Die letzte Person die sprach war Dr. Chang. „Ich habe diese Unregelmäßigkeiten vor vier Tagen überprüft. Ich bin mir sicher, dass das Programm fehlerfrei läuft, es muss ein Problem bei den Generatoren geben. Mein Ingenieurteam hat aber leider nichts gefunden.“

„Sicher, dass es an den Maschinen liegt, Mädchen? Vielleicht hast du etwas übersehen, wenn dein Team nichts finden konnte, schließlich --“ meldete sich der Leiter des Reaktors in Riad. Allerdings erstarb er mitten im Satz, als er auf meinen Blick traf, der ihm das Wort abschnitt.

„Sicher ist Dr. Chang besser befugt eine Aussage zu ihrem Problem, ihrem Reaktor und ihrem Team zu treffen nicht wahr?“ sagte ich streng. An die Wissenschaftlerin gewandt fügte ich, jedoch freundlicher, hinzu: „Wenn es ein maschinelles Problem ist, muss es schnell behoben werden, bevor die Werte sich auf einen kritischen Bereich heben und wir den Reaktor wieder abschalten müssen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich mir das gern ansehen. Könnten Sie mir Fotos von den Bereichen A8 bis G3 schicken? Ich melde mich, sollte mir etwas auffallen. Lassen Sie Ihr Team verstärkt dort suchen. Vielen Dank, das war alles“ fügte ich nun an die anderen hinzu. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.“ Mit diesen Worten beendete ich die Konferenzschaltung und ging zurück in mein Büro.
 

Etwa eine Stunde später bekam ich eine E-Mail auf dem gesicherten Sever. Darin waren die angeforderten Bilder. „Das ging ja schnell“ murmelte ich und nahm mir jedes Bild einzeln vor und auf einem Foto entdeckte ich etwas Merkwürdiges. Augenblicklich rief ich Dr. Chang an und besprach mit ihr das weitere Vorgehen. Sie schlug mir vor, dass ich mir die Sache aus nächster Nähe ansehen sollte. Aber ich konnte doch nicht eine Woche vor meiner Hochzeit noch eine Geschäftsreise antreten. Leider war es jedoch ein vernünftiger Vorschlag. Eigentlich wollte ich am Dienstag meinen Urlaub antreten und mich auf Akiza und die Hochzeit konzentrieren, aber dieser Zwischenfall musste vorher noch geklärt werden. Also erklärte ich meinem Team grob die Situation und machte mich auf den Heimweg, um meine Tasche zu packen.
 

Auf dem Weg hielt ich noch an einem kleinen Laden, um Lebensmittel zu besorgen. Wenn ich sie schon enttäusche, indem ich kurz vor der Hochzeit noch eine Geschäftsreise mache, dann kann ich ihr wenigstens noch eine kleine Freude bereiten. Also holte ich noch die Zutaten für Akizas Leibspeise und eine Rose. Daheim angekommen, packte ich schnell die Tasche, kochte das Abendessen für sie und schrieb ihr eine kleine Notiz. Ein schneller Blick auf die Uhr: 45 Minuten bis zu meinem Abflug.
 

In Peking angekommen wurde ich gleich von Dr. Chang persönlich abgeholt. „Vielen Dank, dass sie so schnell kommen konnten, Dr. Fudo!“ sagte sie und verbeugte sich.

„Kein Problem, haben sich Ihre Leute den seltsamen Abschnitt in E9 angesehen?“ entgegnete ich und stieg in das Auto.

„Ja, und Sie hatten Recht. Es war wie Sie es gesagt haben. Unglaublich, dass sie das Anhand eines Fotos erkennen konnten! Ich habe mich genau an Ihre Anweisungen gehalten und wir versuchen den Reaktor im Simulator aufgrund der Daten neu zu kalibrieren, doch treten ständig Probleme in der Testphase auf.“

Ich lächelte zuversichtlich. „Das bekommen wir schon hin.“
 

Wir saßen eine ganze Weile an dem Problem, und als ich endlich im Hotel eincheckte, war es bereits kurz nach Mitternacht. Ich rief Akiza an und wir unterhielten uns noch eine Weile. Irgendwie wirkte sie aufgeregt, aber sie wollte nicht erzählen, warum. Da ich aber verdammt müde war, konnte ich nicht lange darüber nachdenken, und schlief fast augenblicklich ein.
 

Der Traum, den ich in dieser Nacht hatte, kam mir seltsam verstörend vor. Es war einer dieser real wirkenden Träume, in denen man nicht zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden kann. Ich war auf meiner Hochzeit, und wir hatten uns gerade das Ja-Wort gegeben, als es einen Knall gab. Ich blinzelte, drehte mich um und als ich die Augen wieder öffnete, sah ich unsere Gäste. Aufgestapelt zu einem großen Leichenberg. Oben auf der Spitze saß eine Frau mit schulterlangem, gewelltem, rabenschwarzem Haar, bleicher Haut und Augen mit einer Farbe flüssigen Karamells. Sie war zierlich und sehr hübsch, wären da nicht diese schrecklichen Flügel auf ihrem Rücken, die aussahen, wie die eines Drachen. Blutüberströmt saß sie auf der Spitze mit überkreuzten Beinen, die Flügel angelegt und einem mörderischen Lächeln auf ihren blutroten Lippen. Ich stand mit angstgeweiteten Augen vor dieser schrecklichen Szenerie. Neben dem Berg aus Leichen standen Kalin, Misty und Carly. Sie blickten in die Leere. Ich schrie sie an sie sollten fliehen und ging einige schnelle Schritte auf sie zu, doch es war als käme ich nicht von der Stelle. Plötzlich blickten die drei auf, schauten mich an und brachen dann schreiend zusammen. Umhüllt von einem schwarzen Nebel. Als dieser sich verzog standen sie auf und grinsten mich an. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie sahen wieder aus, wie in ihrer Zeit als finstere Auserwählte.
 

Hinter mir hörte ich ein boshaftes Lachen. Ich drehte mich um und sah Akiza, Jack, Crow, Leo und Luna gefesselt auf dem Boden. Von ihren Fesseln aus führte eine schwere Eisenkette zu den Händen eines Mannes. Er war sicher zwei Köpfe größer als ich. Dünn, aber muskulös. Er hatte hüftlange, dunkelblonde Haare und blutrote Augen. Sein langer, schwarzer Mantel bewegte sich in einer dunklen Aura, die seinen Körper umhüllte. Er hatte, ebenso wie die Frau, diese abstrusen Flügel. Sein bedrohliches Lächeln wirkte teuflisch und er schwebte über meinen gefesselten und verletzten Freunden. Akiza holte mich mit einem leisen Wimmern zurück aus meinem Schockzustand. „Yusei, es tut so weh!“ sagte sie mit zitternder Stimme und krümmte sich. Ich sah, dass irgendetwas mit ihrem Bauch nicht stimmte. Doch als ich verzweifelt versuchte, zu ihr zu gelangen, kam ich nicht vom Fleck.

„Akiza…“ wisperte ich. Aus dem Schleier meiner Tränen sah ich zu Jack, Crow, Leo und Luna.

„Armer kleiner Auserwählter. Sei schön brav und lass dich gefangen nehmen, dann passiert deinen Freunden nichts“ sagte der Fremde mit einem irren Grinsen. Ich hatte Panik. Ich konnte nicht zulassen, dass ihnen etwas passiert.

„Bitte!“ schrie ich ihn an. „Was willst du von uns? Nimm mich, aber lass meine Freunde gehen!“ Der Mann lachte auf und mir gefror das Blut in den Adern. Plötzlich wurde Alles um mich herum in feuerrotes Licht getaucht.
 

Ich saß aufrecht im Bett, meine Augen geweitet, mein Körper zitterte, ich war schweißgebadet. Keuchte, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Mein Herz raste. Mir war übel. Was war das? Vollkommen verwirrt, und noch immer mit Angst in den Knochen, setzte ich mich auf den Bettrand und vergrub mein Gesicht in den Händen. Versuchte meine Atmung zu kontrollieren. Meinen Herzschlag. Das war kein normaler Traum. Ich sah aus dem kleinen Fenster meines Hotelzimmers. Es war stockdunkel. Vermutlich war es noch mitten in der Nacht.
 

Stunden später wartete ich vor meinem Hotel auf Dr. Chang, die mich mit zum Reaktor nahm. Nach diesem Traum konnte ich nicht mehr schlafen. Ich war zu aufgewühlt. Es fühlte sich einfach zu real an, nicht wie andere Alpträume. Ich sah aus dem Autofenster und betrachtete die vorbeiziehenden Häuser, Menschen und Fahrzeuge doch nicht wirklich. Die Arbeit würde mich vielleicht ablenken.

Bis 14:30 Uhr arbeitete ich mit meiner Kollegin an der Simulation, dann verabschiedete ich mich wegen der Konferenzschaltung mit den Vorständen. Zu diesem Zweck hatte Tailea einen Raum mit einer gesicherten Verbindung für mich vorbereitet.

Die Konferenzschaltung startete pünktlich 15 Uhr. Zuerst schaltete sich Dr. Tayu Naru zu. Der dunkelhäutige Südafrikaner war um die 40, groß gebaut und muskulös. Seine Gesichtszüge waren kantig und seine braunen Augen waren undurchdringlich. Er nickte mir kurz zu und wartete auf den Rest. Einige Sekunden später kam Dr. Sarah Roland dazu, eine dünne Frau Mitte 40 mit einer schmalen Brille und strengem Blick. Die blonden Haare hat sie nach hinten gesteckt und sie Blickte mich durchdringend an. Ich schluckte und war erleichtert, als sich Dr. Brian Adams zuschaltete. Der 54-jährige stämmige, braunhaarige Mann schwatzte gleich drauf los: „Oh! Hallo Yusei, mein Guter! Du siehst aber gar nicht gut aus! Miss Sarah! Bezaubernd wie eh und je. Hallo Mister Naru. Nun, ich will die Sache hier gleich abkürzen: Es gab einen kurzen Zwischenfall in Ottawa, doch wir haben es schnell unter Kontrolle bekommen. Sonst läuft hier überall alles glatt!“

„Doktor Adams. Plappern sie nicht gleich drauf los, Sie sehen doch, dass noch jemand fehlt!“ sagte die Frau mit dem strengen Blick.

„Oh! Sie haben Recht, meine Liebe! Wo steckt denn unser guter Aram?“

Gute Frage. Wo steckte er? Normalerweise war er immer zehn Minuten vorher in der Schaltung und hat sich oft noch kurz mit mir unterhalten. Ich mochte den Brasilianer mit seinem ruhigen, höflichen Wesen. Er hatte stechend grüne Augen und kurze, schwarze Haare, im Nacken waren sie jedoch länger und zu einem geflochtenen Zopf zusammengebunden. Er behielt selbst in schwierigen Situationen immer einen kühlen Kopf.

15:13 Uhr schaltete er sich dazu. Er sah genauso erschöpft aus, wie ich und wirkte extrem beunruhigt. „Es tut mir sehr leid, aber es gibt große Komplikationen in Peru“ sagte er und wischte sich mit einem Tuch über die Stirn.

„Was ist passiert? Wo bist du?“ fragte ich. Hinter ihm erkannte ich die Sitze eines Flugzeugs.

Dr. Chandrek sammelte sich einen Moment und atmete tief durch. „Letzte Nacht gab es ein Erdbeben. Keines der Geräte hat eines dieser Stärke vorausgesagt, außerdem ist es mehr als nur ungewöhnlich, dass es in Peru überhaupt dazu kommt. Jedenfalls wurde dabei ein Teil des Nationalheiligtums, drei der Nazca Linien, stark beschädigt. Der dortige Geheimdienst versucht die Sache bis zur Aufklärung zu vertuschen, aber es wird angenommen, dass der 87km entfernte Reaktor etwas damit zu tun hat. Ich bin gerade auf dem Weg dorthin, um mir die Sache genauer anzusehen. Dr. Sath, der dortige Leiter, ist seitdem nicht zu erreichen und auch sonst keiner in der Anlage.“

Ich war wie erstarrt. Letzte Nacht? Hat das mit diesem Alptraum zu tun? Könnte das sein? Als ich meine Stimme wiedergefunden hatte, redeten Dr. Roland und Dr. Adams aufgeregt durcheinander. Dr. Naru beobachtete die Situation bisher unkommentiert. „Welche?“ sagte ich zitternd.

Stille trat ein. Meine Kollegen musterten mich. Dr. Adams sah irritiert aus. „Was meinst du mit welche?“

„Welche der Nazca Linien wurden zerstört?“ fragte ich erneut mit Nachdruck.

Dr. Rolands Blick wurde zunehmend skeptisch. „Warum ist das von Belang?“

Ich ignorierte sie und starrte das Bild des Brasilianers an. „Welche drei der Nazca Linien wurden beschädigt?“ fragte ich wieder mit einem nervösen Zittern in der Stimme.

Dr. Chandrek erkannte meine Besorgnis. „Soweit ich weiß sind es der Riese, der Kolibri und die Eidechse.“

Für einen kurzen Moment hörte ich nicht ein einziges Geräusch. Alles um mich herum bewegte sich wie in Zeitlupe. Meine Augen weiteten sich. Die Linien von Kalin, Carly und Misty. Das konnte kein Zufall sein. „Ich glaube … das hat nichts mit dem … Reaktor zu tun …“ wisperte ich.

„Wie kommen Sie darauf, Dr. Fudo?“ meldete sich plötzlich Dr. Narus tiefe Stimme.

Seine Stimme war nur ein dumpfes Geräusch im Hintergrund. Wenn es wirklich diese drei Linien waren, und es tatsächlich mit meinem Alptraum zu tun haben könnte, dann waren meine Freunde in Gefahr! Ich musste ihnen irgendwie helfen, aber dazu brauchte ich mehr Informationen. Dr. Naru wiederholte seine Frage. Dieses Mal hatte ich ihn verstanden. Ich musste mich etwas sammeln, ehe ich antworten konnte.

„Es tut mir leid. Wenn sie mich entschuldigen, ich muss etwas überprüfen. Könnten wir diese Unterhaltung morgen um dieselbe Zeit fortsetzen? Bis dahin hat Dr. Chandrek vermutlich neue Informationen.“

Dr. Adams nickte. „Informationen zu sammeln ist im Moment wohl das Beste. Nun denn, meine Herren, die Dame. Bis morgen. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt.“ Dann unterbrach er die Verbindung.

„Na schön, meinetwegen. Auf Wiedersehen“ sagte Dr. Roland und trennte die Verbindung. Auch Dr. Narus Bild wurde schwarz.

„Yusei, warte“ sagte Dr. Chandrek, bevor ich die Verbindung unterbrechen konnte. „Was denkst du, geht hier vor?“

„Ich weiß es nicht. Nenn es eine böse Vorahnung, aber ich glaube dieses Problem ist weit größer, als nur ein defekter Reaktor. Versuch bitte in Erfahrung zu bringen was du kannst, ich mache dasselbe und melde mich morgen.“

„Na schön. Viel Glück!“ Mit diesen Worten verabschiedete sich der Brasilianer von mir und ich versuchte eine neue Verbindung nach Peru aufzubauen, um Greygor zu kontaktieren. Er wohnte in einem Dorf in der Nähe der Linien. Wenn mir jemand etwas über den Vorfall in Peru sagen konnte, dann er. Aber leider konnte ich einfach keiner Verbindung herstellen.
 

Frustriert schlug ich mit der Faust auf den Tisch. Sie zitterte. Hoffentlich geht es ihnen gut. Was ist, wenn es schon zu spät ist? Schnell wählte ich Kalins Nummer und starrte auf den Monitor. Mein Herz schlug so schnell gegen meine Rippen, dass ich dachte es würde an ihnen zerschellen. Doch dann erschien das Bild meines weißhaarigen Freundes und mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich atmete erleichtert aus. Er sah aus, wie immer.

„Hey Yusei, was ist denn los?“ fragte er und seine olivgrünen Augen musterten mich mit Neugier und Freude. „Wenn es um nächste Woche geht: Ich werde am Freitag ankommen. Pünktlich zum Junggesellenabschied. Wir haben schon was vorbereitet“ fügte er grinsend hinzu.

Ich versuchte mich an einem Lächeln, doch ganz gelang es mir vermutlich nicht. „Nein, deswegen rufe ich nicht an.“ Ich stockte. Da das Erdbeben vom peruanischen Geheimdienst unter Verschluss gehalten wurde, konnte ich Kalin nichts davon sagen, sonst würden wir beide Schwierigkeiten bekommen. Stattdessen stellte ich eine andere Frage: „Sag mal, Kalin… Geht es dir gut?“ Das war nicht gerade die unauffälligste Frage, denn wir telefonierten regelmäßig miteinander.

Er schien überrascht und überlegte, ehe er mir antworten konnte. „Misty sagte, du bist gerade in China. Sie trifft sich im Moment mit Akiza. Du rufst doch nicht wirklich an, nur um mich zu fragen, wie es mir geht.“

„Nein, aber beantworte die Frage bitte“ sagte ich und wurde nervös.

„Mir geht es gut. Wie immer. Hier passiert nicht allzu viel. Aber wie geht es dir denn? Du siehst verdammt fertig aus. Ist wohl nicht nur der Jetlag.“

Erleichterung machte sich in meinem Körper breit. Meine Muskeln waren nicht mehr so angespannt. Kalin war also nicht, wie befürchtet, erneut zum finsteren Auserwählten geworden. Wenn er nicht besessen war, dann würde es Carly und Misty auch gut gehen. Vielleicht sind das alles nur makabre Zufälle. Die Nerven gehen wohl mit mir durch. „Viel zu tun“ sagte ich müde lächelnd. „Ich bin bald wieder daheim und habe dann erst mal drei Wochen Urlaub. Ich befürchte, den habe ich auch bitter nötig. Ich wollte dich nicht stören. Wir sehen uns am Freitag.“ Mit diesen Worten legte ich auf, ohne eine Antwort abzuwarten.
 

Der Rest des Tages verlief ohne Zwischenfälle. Dr. Chang schaffte es, mich mit der Arbeit und ihrer ungezwungenen Art abzulenken. Die Simulation war kniffliger als angenommen. Der Fehler wurde noch immer nicht behoben und ohne die Reparatur konnten wir nicht weiterarbeiten.
 

Den restlichen Sonntagabend verbrachte ich damit, Greygor anzurufen. Oder es zumindest zu versuchen. Dann versuchte ich es bei Akiza und erkundigte mich bei dieser Gelegenheit gleich nach Misty und Carly, doch auch ihnen schien nichts zu fehlen. Nach kurzer Zeit beendete ich das Telefonat. Ich war furchtbar müde, also zog ich mich aus, legte mich hin und fiel fast Augenblicklich in einen unruhigen Schlaf. Und dann kam wieder dieser Traum. Es war der Gleiche, wie letzte Nacht und erneut wachte ich schweißgebadet und in Panik auf.

Schnell nahm ich mir mein Handy zur Hand und rief Akiza an. Dummerweise bevor ich meine Gedanken gesammelt und mich beruhigt hatte. Es tat gut ihre Stimme zu hören, auch wenn sie sich Sorgen zu machen schien. Sie beruhigte mich ein wenig und die Panik wich aus meinem Körper. Auf einmal klopfte es an der Tür. Ich beendete schnell das Gespräch und öffnete sie.

Der feuerrote Drache

Als ich die Tür öffnete, war ich wirklich überrascht. Vor mir stand Tailea Chang. Was macht sie so früh hier? Ich dachte, wir können vor Abschluss der Reparaturen nichts machen. Aus irgendeinem Grund starrte sie mich verwirrt an, und wurde immer röter im Gesicht. „Ähm… ich also… ich wollte Ihnen sagen, dass die Reparaturen abgeschlossen sind. Ich, also wir. Ich meine … Die Arbeit an der Simulation kann weitergehen.“ Nach einer Verbeugung drehte sie sich um und ging schnellen Schrittes zur Treppe. Im Treppenhaus konnte ich sie noch rufen hören: „Ich warte unten vor dem Hotel auf Sie, Dr. Fudo!“
 

Was war das denn eben? Ich ging ins Bad, um mich frisch zu machen. Da kam mir allmählich in den Sinn, warum sie sich so komisch verhalten hatte. Ich legte mir die Hand auf mein Gesicht und seufzte. Ich hatte ihr eben nur in Unterwäsche dir Tür geöffnet. Unter dem fließenden Wasser, das meine angespannten Muskeln ein wenig beruhigte, dachte ich noch einmal über den Traum nach. Dieser Mann und diese Frau mit den Flügeln. Ich hatte ihre Gesichter noch nie gesehen. Ich hatte irgendwann mal gehört, dass man nur von Personen träumen konnte, deren Gesichter man bereits kannte. Aber diese beiden? Ich war mir so sicher, dass ich sie noch nie gesehen hatte. Und dann diese unter Verschluss gehaltene Sache mit den Nazca Linien. Waren Kalin, Carly und Misty in Gefahr? Bildete ich mir tatsächlich alles nur ein?

Ich hätte gern mit meinen Freunden darüber geredet, aber die würden mich vermutlich für übergeschnappt halten. Und selbst, wenn ich es plausibel erklären könnte, so durfte ich dennoch nichts sagen. Ich würde meine Schweigepflicht verletzen, im schlimmsten Fall meinen Job verlieren und mich vor dem peruanischen Geheimdienst und dem Gericht verantworten müssen. Nicht, dass ich das Risiko für meine Freunde nicht eingehen würde, doch ich brauchte mehr Beweise. Ich seufzte und stellte das Wasser ab. Mit den aktuellen Informationen konnte ich nichts machen.
 

Ich machte mich fertig und verließ das Hotelzimmer. Unten angekommen, wartete Tailea noch immer mit geröteten Wangen auf mich. „Tut mir leid, ich musste mich noch fertig machen“ sagte ich und kratzte mir verlegen lächelnd am Hinterkopf.

Sie hob die Hände und fuchtelte nervös mit ihnen herum „Nein, nein! Es war meine Schuld! Ich hätte nicht unangekündigt fast eine Stunde zu früh aufkreuzen dürfen!“

Ich öffnete die Beifahrertür. „Wollen wir dann?“ sagte ich lächelnd.

Sie wurde wieder rot. „Ähm, ach so ja, selbstverständlich!“ Mit diesen Worten stieg sie ein und wir fuhren Los.

Bis kurz vor der verschobenen Konferenz, arbeiteten wir, bis auf eine kurze Mittagspause, durch und fanden endlich das Problem in der Simulation. Zufrieden sah ich mir das Ergebnis an. „Scheint alles gut zu laufen. Dr. Chang bitte übertragen Sie die Simulation auf den Raektor-Server, ich muss mich jetzt entschuldigen.“

„Sicher“ sagte sie und gab ihrem Team einige Anweisungen als ich zur Tür ging.
 

Auf dem Weg zu meinem zur Verfügung gestellten Büro musste ich schmunzeln. Sie stellt sich immer so naiv und ungeschickt an, wenn man mit ihr spricht, aber bei der Arbeit ist sie wirklich souverän. Das hatte ich bereits damals bei ihrer Einstellung gemerkt, doch jetzt war ich mir dessen wirklich bewusst. Im Büro angekommen, startete ich gleich den gesicherten Server. In fünf Minuten hatten wir das nächste Treffen angesetzt. Zu meiner Überraschung war ich der letzte, der sich einloggte.

„Einen schönen guten Tag. Wurde aber auch Zeit, dass Sie endlich eintreffen!“ sagte Dr. Roland.

Da meldete sich Dr. Adams. „Nun aber mal halblang, werte Kollegin, es sollte sowieso erst in fünf Minuten anfangen. Der liebe Aram ist auch eben erst dazugekommen. Sei gegrüßt, Yusei!“

Dr. Chandrek sah betrübt aus. „Ich hoffe, Sie haben bessere Neuigkeiten als ich, Dr. Fudo“ begann er das Gespräch.

Ich schluckte, denn ich hatte leider nichts herausgefunden. Aber ich war mir so sicher, dass das kein Zufall sein konnte. „Ich konnte meine Befürchtung nicht bestätigen, aber es besteht eventuell eine Verbindung zu einem Ereignis von vor zehn Jahren. Beweise habe ich allerdings keine.“

„Sehr bedauerlich“ sagte Dr. Adams und zog die Stirn in Falten. „Und wie ist die aktuelle Lage in Peru?“ fragte er an Aram Chandrek gewandt.

Dieser schloss die Augen und sammelte sich kurz. Ich hatte den Eindruck, er kämpfe gerade mit den Tränen. Als er sie wieder öffnete, sagte er nur zwei Worte: „Alle tot.“

Ich starrte ihn entsetzt an. Auch meinen Kollegen erging es nicht anders. „Was?“ wisperte Brian Adams fast tonlos. Tayo Naru murmelte perplex etwas auf Siswati. Sarah Roland schien sich als erste gefasst zu haben: „Was ist passiert?“ fragte sie, doch klang ihre Stimme ungewöhnlich zittrig.

„Das weiß niemand. Als ich ankam, wurde ich vom Geheimdienst zum Ort des Geschehens geführt. Überall war Blut und sie waren noch nicht damit fertig alle Leichen abzutransportieren. Der Reaktor war komplett zerstört, wohl eine Explosion. Ein schreckliches Bild. Ich sollte anhand der noch zu rettenden Reaktordaten herausfinden, ob es an ihm lag, doch er schien bis zu seiner Zerstörung komplett fehlerfrei zu laufen. Die Leichen, die von der Explosion nicht betroffen waren, sahen … wie soll ich sagen … irgendwie aufgeschlitzt aus. Die Behörden gehen nach meiner Aussage endgültig von einem Anschlag aus.“ Bei den letzten Worten sah Aram selbst blass aus, wie ein Toter.

Stille. Alle beobachteten den Brasilianer, unfähig zu antworten. Was hatte er gesagt? Aufgeschlitzt? Der Mann in meinem Traum … hatte er nicht ein Schwert an der Hüfte gehabt? Ich schüttelte den Kopf unmerklich. Das kann nicht sein… Das darf nicht sein… Makabere Zufälle, mehr nicht.

Dr. Adams fand seine Stimme wieder. „Das … tut mir sehr leid … Aram, ich weiß nicht was ich sagen soll. Ich weiß wie du dich fühlen musst, aber ich verspreche dir, irgendwann werden dich diese Bilder nicht mehr so verfolgen.“ Dr. Chandrek war gut mit dem Leiter des peruanischen Reaktors befreundet. Vermutlich wusste der Amerikaner durch seine Dienstzeit im Irak, wie er sich fühlen musste.

Nun ergriff Sarah das Wort. „Es tut mir wirklich leid, Aram. Das muss schwer für dich sein. Aber wenn das Problem nicht bei dem Reaktor lag, dann sind wir nicht mehr dafür zuständig. So wie es sich anhört, war es vermutlich wirklich ein Anschlag, also ist das dortige Verteidigungsministerium verantwortlich.“ Sie schluckte schwer als sie geendet hatte. Anscheinend musste sie es auch erstmal verdauen. Trotz ihrer harten Fassade, hatte auch sie diese Neuigkeit getroffen.

Tayo hielt sich die Hand unters Kinn und murmelte leise, eher zu sich selbst, als zu uns: „Aber wie ist das möglich? Es gibt zu viele Sicherheitsvorkehrungen, als dass so ein Unglück passieren könnte … und was hat die Verletzungen derer ausgelöst, die nicht von der Explosion betroffen waren?“
 

Die Unterhaltung die sie führten, war für mich nicht mehr als ein Rauschen im Hintergrund. Ich starrte in die Leere. Vor meinem inneren Auge spielten sich erneut die Szenen aus meinem Traum ab. Das waren alles zu viele Zufälle. Wie konnte es sein, dass ich seit der Nacht des Massakers immer wieder diesen Traum hatte. Erst die Nazca Linien, und jetzt die schwer verletzten Wissenschaftler. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Hatte ich einen Blick auf die Zukunft erhascht? Wenn das so war, dann würden Kalin, Misty und Carly bis zur Hochzeit nicht zu finsteren Auserwählten werden. Sie müssten dafür ohnehin zuerst selbst sterben. Doch so wie die übrige Szenerie aussah, überlebten diesen Tag sowieso nur Akiza, die Zwillinge, meine Sandkastenfreunde und ich selbst. Irgendeine Lösung musste es doch geben. So durfte dieser Tag nicht ausgehen. Sie durften nicht sterben. Das könnte ich nicht ertragen. „Ich muss sie doch beschützen“ wisperte ich.
 

Ganz plötzlich wurde, so wie in meinem Traum, alles um mich herum in feuerrotes Licht gehüllt. Erschrocken schrie ich auf und schützte mein Gesicht mit den Armen. Was passiert hier?! Ich blinzelte ein paar Mal, um meine Augen an das Licht zu gewöhnen und sah mich um. Doch außer dieses gleißend helle Licht, sah ich nichts. Plötzlich erschien vor mir eine blassrote Kugel. Sie sah aus, wie eine große, rot schimmernde Seifenblase. Ich machte einen Schritt vorwärts und hob meinen Arm. Ich wusste nicht warum, doch ich hatte den Drang, sie berühren zu müssen. Meine Finger waren nur Millimeter von ihr entfernt. Mein Herz begann wild in meiner Brust zu pochen. Alle Gedanken waren wie ausgelöscht. Mich plagten keine schlechten Gefühle mehr. Da war nur noch diese Erscheinung vor mir.

In dem Moment, als ich die Kugel berührte, zerbarst sie in hunderte von kleineren Blasen, die sich explosionsartig ausbreiteten. Doch ich schreckte nicht zurück. Ich nahm den Arm wieder nach unten und betrachtete das Schauspiel vor mir. Beobachtete, wie die Kugeln aufeinanderprallten, sich abstießen und spalteten. Es war ein wildes Durcheinander von scheinbar willkürlichen Bewegungen. Als sich alles um mich herum langsam beruhigte und die Blasen nur noch langsam umherschwebten, betrachtete ich sie mir genauer.

Ich sah Szenen meines Lebens in ihnen. Aber nicht nur meines. Auch das meiner Freunde, dabei war ich bei den meisten dieser Momente gar nicht anwesend. Unsere Kindheit in Satellite, Leos erster Turboduellversuch mit dem Board, Lunas erste Reise in die Geisterwelt, Akizas Duell gegen ihren Vater, der Moment als Crows Drachenmal sich zum ersten Mal zeigte, Jacks Falle in die er mich damals gelockt hatte um mir Sternenstaubdrache abzunehmen, mein Duell gegen ZONE. All diese Einblicke stürzten auf einmal auf mich ein.

Ich verfolgte gebannt eine Kugel, die heller war, als alle anderen. In ihr konnte ich nichts erkennen, als reines, warmes Licht. Wenn ich es ansah, konnte ich das Leben und die Sonne selbst sehen. Ich wusste nicht, wie ich es beschreiben sollte. So geborgen hatte ich mich vermutlich noch nie gefühlt. Und plötzlich hörte ich eine Stimme aus ihrem inneren. Sie war glockenhell, klar und wunderschön.
 

„Yusei …“ säuselte die helle Stimme „Wenn du deine Freunde wirklich beschützen willst, kann ich dir helfen.“ Mein Blick war von dieser Erscheinung wie gebannt. Ich wusste nicht warum, aber diese Stimme kam mir bekannt vor. „Deine Träume waren Visionen einer möglichen Zukunft. Doch die Zukunft ist nicht in Stein gemeißelt. Du kannst sie ändern.“

„Wie?“ fragte ich. Denn das war das, was ich mir am meisten wünschte.

„Du musst die Stärken deiner Freunde geschickt ausspielen und ihnen vertrauen, dir Selbst vertrauen. Du bist ein helles Köpfchen. Denk nach. Denk an eure Verbindung, an eure Seelendrachen.“

„Unsere Seelendrachen?“ stutzte ich. „Meinst du damit Sternenstaubdrache und die anderen fünf des feuerroten Drachen?“

„Ja“ sagte die engelsgleiche Stimme. Aber was meinte sie mit ‚Vorteile ausspielen‘? Was sollte ich denn genau machen? Ich konnte schlecht ein paar Hologramme auf zwei mörderische, dämonische Wesen hetzen. Warte mal … Hologramme. Ich dachte nach. „Luna. Ihre Monster sind nicht nur Hologramme, wenn sie sich stark genug konzentriert. Und Akizas Psi-Kräfte sind unwahrscheinlich stark. Damit könnten sie sie in Schach halten und die anderen Menschen schützen.“ Und Crow hatte durch sein Mal ebenso strake Psi-Kräfte wie Luna, allerdings nicht mehr, seit der feuerrote Drache diese Kräfte wieder an sich genommen hatte.

„Sehr gut“ sagte die Stimme. „Nutze das zu eurem Vorteil. Du wirst auch herausfinden, die anderen Stärken zu nutzen. Ich werde euch dafür erneut meine Macht verleihen. Beschütze sie Yusei, doch bedenke eines: Es wird leider keine Möglichkeit geben, alle zu retten.“

Mit diesen Worten schwebte die sonnengleiche Blase nach oben und alle anderen taten es ihr gleich. „Warte!“ rief ich ihr noch hinterher „Was meinst du damit? Wer und was sind diese Kreaturen und was wollen sie?!“ doch sie waren außer Reichweite. Ich beobachtete die Blasen noch einen Augenblick, wie sie kleiner und kleiner wurden.
 

Plötzlich hatte ich das Gefühl, als würde ich anfangen zu fallen. Unter mir tat sich ein dunkler Abgrund auf und ich fiel hinein. Erneut schloss ich die Augen und hielt mir die Arme vors Gesicht. Als ich meine Lider wieder öffnete, war ich im Büro und meine Kollegen schauten mich vollkommen entgeistert an. Mein Rücken tat irgendwie weh, doch kam mir dieses Gefühl bekannt vor.

„Warum fängst du denn auf einmal an zu schreien, Yusei?! Du erschreckst uns ja noch zu Tode!“ sagte Dr. Adams und fasste sich mit der Hand ans Herz. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet.

Zu schreien? Anscheinend war meine Unterhaltung mit der körperlosen Stimme nicht länger als ein Augenblick gewesen. Doch nur eine Halluzination? Werde ich langsam verrückt?

„Dr. Fudo, ist mit Ihnen wirklich alles in Ordnung?“ fragte meine Kollegin.

Ich brauchte einen Moment um mich zu sammeln. Außerdem hatte ich es eilig, über das eben Geschehene in Ruhe nachdenken zu können. „Entschuldigt. Ja, mir geht es wieder gut ich hatte nur … Ich habe mich an etwas erinnert. Dr. Chandrek, es tut mir wirklich leid, was Sie gesehen haben. Die Explosion hatte ja anscheinend wirklich nichts mit dem Reaktor zu tun, also würde ich sagen, die Quartalsbesprechung ist damit beendet, nicht wahr?“
 

Völlig verdutzt starrten sie mich an. Sie schienen komplett überfordert mit der Gesamtsituation. Erst diese schockierende Neuigkeit, dann der Schrei und jetzt benahm ich mich plötzlich völlig unnormal. Eigentlich war ich sehr ausgeglichen, und so einen Ausbruch hatten sie vorher noch nie bei mir erlebt. Dabei kannten sie mich seit einigen Jahren. Noch ehe sie sich sammeln konnten um zu antworten, wünschte ich ihnen einen schönen Tag, bedauerte noch einmal Arams Situation und legte auf. Ich lief schnell aus dem Büro raus, einige Türen weiter, rannte dabei fast einige Angestellte um und verschwand ins Bad. Sah mich hektisch um. Sehr gut, ich bin allein. Ich zog meinen Kittel aus, knöpfte mein Hemd auf und legte es ab. Dann, mit schneller schlagendem Herzen, betrachtete ich den Spiegel und drehte mich langsam um, damit ich meinen Rücken begutachten konnte. Dort war es. Das Zeichen des feuerroten Drachen. Er war wieder zurück. Nun war ich mir sicher, dass das alles doch kein Traum war…
 

~*~
 

Der restliche Tag verlief Ereignislos. Der Reaktor arbeitete allem Anschein nach wieder funktionstüchtig und die Kalibrierung war fast abgeschlossen. Morgen würde ich nur noch Feinjustierungen mit Dr. Chang zusammen übernehmen und einen Bericht abgeben und dann konnte ich endlich nach Hause. Ich hatte mich in der Zeit in Peking mit Tailea angefreundet. Sie war wirklich nett. Als ich auf mein Handy sah, hatte ich einige Anrufe in Abwesenheit von Akiza. Ich schrieb ihr eine kurze Textnachricht und widmete mich dann wieder den Daten.
 

Kurze Zeit später schnappte ich ein kurzes Gespräch unter zwei Mitarbeitern auf. Während meiner Arbeit in den letzten Jahren hatte ich ein paar Brocken chinesisch gelernt. In dem Gespräch ging es um einen Drachen am Himmel. Das wollte ich genauer wissen und fragte sie freundlich auf Englisch, was sie gesehen hatten. Sie antworteten ganz aufgeregt, sie hatten am späten Nachmittag einen riesigen, roten Drachen am Himmel gesehen. Die beiden Männer waren der festen Überzeugung, es ginge um eine Kampagne für das neue Duel Monster Set. Anscheinend war das der Moment, als ich das Drachenmal wiederbekam. Vielleicht würden meine Freunde es in den Nachrichten erfahren.
 

Im Hotel angekommen, wollte ich einfach nur noch schlafen. Die Nachricht über die Ereignisse in Peru zehrte an meinen Kräften und die letzten Nächte hatten ihren Teil dazu beigetragen. Plötzlich klingelte mein Handy. Ich wollte es schon ignorieren, aber wenn es Akiza war, so wollte ich sie nicht vor den Kopf stoßen. Ich sah auf das Display. Mein Puls erhöhte sich schlagartig. Es war Greyger.

Komplikationen

//Akiza//
 

Warum habe ich so ein seltsames Gefühl? Mir war, als würde bald etwas Schreckliches passieren. So ein mulmiges Gefühl hatte ich noch nie. Ich konnte es mir einfach nicht erklären. Plötzlich übermannte mich ein ganz anderes Gefühl, das ich nur zu gut kannte. Mir war übel. Schnell rannte ich ins Bad. Na ganz toll. Morgenübelkeit. Das hat mir noch gefehlt!
 

Nach dem Frühstück verbrachte ich den angebrochenen Tag mit einem Wohnungsputz, da ich sonst nichts mit mir anzufangen wusste. Am frühen Nachmittag kamen Leo und Luna zu Besuch und wir überlegten, was wir an diesem herrlichen Sommertag unternehmen könnten. Da klingelte mein Handy. Ich sah auf das Display und meine Mundwinkel wanderten nach oben. „Es ist Yusei!“

Die Zwillinge grinsten begeistert.

Ich nahm den Anruf an, wechselte ein paar Worte mit ihm und sagte zum Schluss: „Das ist ja toll! Ich freu mich schon. Ja, bis später. Ich liebe dich auch.“

Zufrieden grinsend legte ich auf. „Und?“ fragte Luna neugierig.

„Er sagt, dass er eben fertig geworden ist. Er ist jetzt gleich auf dem Weg zum Flughafen und in etwa fünf Stunden hier.“ Die Beiden freuten sich riesig, ihn bald wiederzusehen.

„Vielleicht ist er noch vor Crow da!“ sagte Leo begeistert und er und Luna schlossen schon Wetten ab.
 

Bis zum Eintreffen der Jungs verbrachten wir den Tag auf der Dachterrasse und unterhielten uns. Von hier hatte man einen atemberaubenden Ausblick auf die gesamte Stadt. Das war einer der Gründe, warum wir uns damals für diese Wohnung entschieden hatten. Es war herrlich warm draußen, eine kühle Brise wehte über den Platz. Leo war ganz wild darauf, sich mit mir zu duellieren, also ging ich auf seinen Wunsch ein. Es war bis zum Schluss ein ziemlich ausgeglichenes Spiel, und nach fast einer kleinen Ewigkeit, mit nur 100 übrigen Lebenspunkten und drei restlichen Karten im Deck, gewann Leo. „Du hast dich wirklich stark verbessert Leo, das war großartig!“ lobte ich ihn.

Leo rieb sich mit dem Finger unter der Nase und setzte ein breites Grinsen auf. „Danke, du warst aber auch nicht schlecht.“

„Jetzt wird nicht gleich überheblich Leo, du hast nur ganz knapp gewonnen“ neckte ihn seine Schwester mit einem verschmitzten Lächeln.

Plötzlich hörte ich das Läuten unserer Türklingel. Ich ging los, um sie zu öffnen. Yusei konnte es nicht sein, dafür war es viel zu früh. Vielleicht Crow, er wollte längst da sein. Ich drückte die Klinke runter und schwang die Tür auf die rechte Seite. Überrascht betrachtete ich mein Gegenüber.

„Jack?“ begrüßte ihn Leo ungläubig, setzte allerdings schnell ein Grinsen auf.

Er stand mit verschränkten Armen vor uns, und Blickte mit einem zufriedenen Lächeln auf uns herab. „Überraschung“ sagte er und grinste.

Ich lachte und umarmte ihn herzlich zur Begrüßung. „Was machst du denn jetzt schon hier? Du wolltest doch erst in ein paar Tagen in der Stadt ankommen!“

Ich nahm eine sanfte Berührung an meinen Schultern wahr. Jack drückte mich ein Stück von sich weg. Er mochte Umarmungen noch nie, aber nach der langen Zeit, in der ich ihn nicht gesehen hatte, musste er damit umgehen. „Diese dämliche Presse ging mir auf die Nerven, also bin ich nach dem letzten Kampf der Saison in den Flieger gestiegen und hierhergekommen. Wann passiert es schon mal, dass ein Freund heiratet? Wo ist denn der Rest?“

„Komm erstmal rein!“ sagte ich und winkte ihn ins Wohnzimmer.

Währenddessen schnatterte Leo fröhlich drauf los. „Yusei war gerade im Ausland und sitzt jetzt im Flieger. Er sollte bald hier sein. Crow kann auch jeden Moment aufschlagen. Luna hat gewettet, Crow kommt eher an als Yusei, aber ich halte dagegen.“

„Da steig ich mit ein“ sagte Jack. „Diese Trantüte findet sicher nicht mal den Weg hier her! Wieso wohnt ihr eigentlich so abgelegen?“

„Ist doch schön hier. Und warum überhaupt abgelegen?“ antwortete ich, und drehte mich zu ihm. „Schau dich doch mal um! Man ist ganz nahe am Highway, aber hört keinen Ton. Und hinter dem Haus ist ein kleines Waldgebiet. Es ist so friedlich hier, einfach perfekt!“ Das fröhliche Lächeln bekam ich einfach nicht aus meinem Gesicht. Es war wirklich die perfekte Lage, um ein Kind großzuziehen.

„Perfekt für was?“ entgegnete er. Die Hitze schoss mir ins Gesicht. Ich wusste nicht was ich jetzt antworten sollte, ohne ihnen gleich zu sagen, dass wir bald zu dritt hier leben werden.

„Ich mag die Gegend einfach. Und Yusei fühlt sich hier auch sehr wohl.“

Er zuckte mit den Schultern, begutachtete die Wohnung flüchtig. „Gemütlicher als am Popo Time ist es hier alle mal.“

Die Zwillinge lachten.
 

Einige Zeit später wurde Jack immer noch von den Zwillingen ausgequetscht. Es war nun sechs Stunden her, seit ich Yuseis Anruf entgegengenommen hatte. Er wollte doch längst hier sein. Ich war in Sorge, und gleichzeitig nervös. Schließlich hatte ich ihm noch etwas Wichtiges zu sagen! Da klingelte es erneut an der Tür. Vielleicht ist er das endlich! Aufgeregt lief ich hin um sie zu öffnen, während der Rest im Wohnzimmer wartete und sich weiter unterhielt. Als ich die Tür geöffnet hatte, blickte ich in ein vertrautes Gesicht, aber es war nicht das meines Verlobten. „Wie kann man einen alten Freund nach langer Zeit wieder begrüßen, und dann so ein enttäuschtes Gesicht ziehen?“ scherzte Crow und legte eine künstlich beleidigte Mine auf. Mir war das ziemlich peinlich. Natürlich war ich etwas enttäuscht, dass es nicht Yusei war, aber ich wollte ihm auch nicht vor den Kopf stoßen.

„Entschuldige. Natürlich freue ich mich, dass du da bist. Komm rein!“ sagte ich mit einem etwas gezwungenem Lächeln.

Crow wurde nicht nur von mir anders begrüßt, als er erwartet hatte. „Ach verdammt!“ sagte Jack und verschränkte die Arme auf dem Sessel. Leo warf sich mit einem enttäuschten Stöhnen über die Sofalehne. Einzig Luna war begeistert ihn zu sehen und umarmte ihn sogleich.

„Sagt mal, was ist das denn für ein Empfang?!“ echauffierte er sich.

Luna löste die Umarmung und lachte. „Tut ihnen leid Crow, es liegt nicht an dir. Wir haben eine Wette abgeschlossen wer zuerst ankommt. Du oder Yusei. Und ich habe gewonnen!“

Er sah Jack und Leo an und zeigte dann mit dem Finger auf Luna, während er die Beiden fixierte. „Sie ist ein besserer Mensch als ihr beide zusammen! Und überhaupt: Was willst du eigentlich schon hier?!“ Jack grinste. Nun konnte auch ich nicht anders, musste lachen und verschwand kurz in der Küche. Sie hatten sich wirklich nicht verändert.

„Ich hatte eben etwas eher Zeit als gedacht, zumindest komme ich nicht zu spät“ sagte Jack etwas überheblicher als es nötig war und stand auf, um seinen alten Freund mit einem Faustschlag zu begrüßen. Dieser hatte noch immer eine kleine Zornesfalte auf der Stirn, hob aber die Hand und Schlug etwas härter gegen die Faust seines Gegenübers. „Ja, ja ich weiß, ich hatte mich schon vor zwei Stunden angekündigt, aber ich wurde von Carly in der Stadt aufgehalten. Als sie mich erkannt hat, hat sie mir fast ein Ohr abgekaut.“

Leo richtete sich wieder auf. „Sorry Crow, schön, dass du da bist!“ sagte er mit einem schiefen Grinsen.

Crow hatte sich längst wieder beruhigt und winkte ab. „Schon gut, aber wo ist eigentlich der Bräutigam?“

„Yusei sollte jeden Augenblick hier sein“ sagte ich. In meinen Händen hielt ich ein Tablett mit ein paar Gläsern Eistee und stellte sie auf den kleinen Tisch im Wohnzimmer ab.

„Danke!“ sagte Luna. Auch der Rest nickte mir dankend zu und alle nahmen sich ein Glas. Crow setzte sich zwischen Leo und Luna, trank seines in einem Zug leer und seufzte zufrieden.
 

Sie unterhielten sich ausgelassen über die bevorstehende Saison und Crows baldigen Eintritt in die Profiliga. „Als ob du es dort lange aushalten wirst“ stichelte Jack.

„Dir eingebildetem Fatzke tret ich schon noch in den Hintern.“ Er grinste herausfordernd. Um das Thema zu wechseln, sah er mich an und fügte hinzu: „Hey sag mal, wie laufen eigentlich die Hochzeitsvorbereitungen?“

Ich seufzte. Ein wenig Ablenkung von der Frage, wo sich Yusei rumtreibt, war mir nur recht. „Ganz gut“ sagte ich. „Die Sitzordnung hat uns Tage gekostet. Ohne Mizuki hätten wir nie alles geschafft.“

„Wer zur Hölle ist Mizuki?“ fragte Crow und zog eine Augenbraue nach oben, während er seinen Ellbogen über die Rückenlehne legte.

„Unsere Hochzeitsplanerin“ entgegnete ich ihm. „Sie kümmert sich um die Besorgung der Deko und Blumen und erledigt Absprachen mit dem Personal. Sie hat auch die ganzen Einladungen rausgeschickt.“

Crow lachte. „Stimmt, der Name war mir entfallen. Aber was habt ihr dann noch zu tun gehabt?“ Ich warf ihm einen argwöhnischen Blick zu und sein Lachen erstarb zu einem halb beschwichtigenden, halb ängstlichen Grinsen. „Das, äh, das war ein Scherz. Ich weiß, ihr habt viel um die Ohren, hab mich auch mit Yusei unterhalten und… naja.“ Er wurde immer kleiner während er sprach, bis ihn ein erneutes Läuten an der Tür erlöste. Er atmete einmal tief durch und wirkte erleichtert, während ich in den Flur ging.

Jack grinste höhnisch. „Toll gemacht.“

Crow sprang auf und ballte eine Faust, die er auf Augenhöhe hielt. „Na warte du mieser, kleiner–“

„Crow!“ rief Luna ihm zu.

Er setzte sich überrascht und Leo beugte sich zu ihm herüber. „Sie sieht zwar nett aus, aber langsam bekommt sie das gleiche Temperament wie Akiza“ flüsterte er.
 

Als ich die Tür öffnete, war ich immer noch etwas genervt, aber das wandelte sich schnell wieder. Vor mir standen zwei dunkelhäutige Männer im Anzug und musterten mich. „Wer sind Sie?“ fragte ich überrascht. Diese Adresse kannten doch nur enge Freunde und unsere Familien. Der eine Kerl fragte mich irgendwas in gebrochenem Englisch, aber ich konnte nur einen Namen heraushören. Doktor Fudo. Ich blinzelte sie verwirrt an und der Typ hielt mir einen Ausweis vor die Nase. Darauf war die Abkürzung „ABIN“ zu lesen und sein Foto war darauf abgebildet. Daneben stand ein Name, den ich nicht aussprechen konnte.

Ich versuchte ihnen, ebenfalls auf Englisch, zu sagen, dass Yusei nicht zu Hause wäre, und dass sie mir eine Nummer geben könnten, um sie zurückzurufen. Doch davon wollten sie anscheinend nichts hören. Sie drängten mich immer weiter dazu, sofort meinen Verlobten zu holen. Langsam verlor ich die Geduld. Sie hatten mir immer noch nicht gesagt, wer sie eigentlich sind, und was sie so dringend mit Yusei bereden wollten. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und warf ihnen einen finsteren Blick zu. „Wer sind Sie, und was wollen sie von ihm?“ sagte ich energisch und etwas zu laut.

„Alles in Ordnung, Akiza?“ hörte ich Crows Stimme hinter mir sagen.

Genervt wandte ich mich ihm zu. „Die beiden sind von irgendeinem Ministerium. Sie sprechen anscheinend nur gebrochenes Englisch und wollen irgendwas von Yusei. Ich versuch ihnen gerade klarzumachen, dass er nicht da ist.“

Jack trat zwischen mich und den beiden Männern und schob mich dann ein Stück weiter zu Crow. Dieser stellte sich ebenfalls zu seinem Freund und hob schützend den Arm vor mich. Jack bedeutete den beiden Männern auf Englisch, dass sie sich zu verziehen haben. Die Männer reagierten nicht und forderten weiterhin, Yusei zu sehen. Die Stimmung war zum Zerreißen angespannt.
 

Plötzlich hörte ich eine mir vertraute Stimme hinter den beiden Männern, und mein Herz machte einen Satz. „Me dejé claro.“ Die Männer drehten sich um und es entstand eine Lücke zwischen den beiden. Durch diese konnte ich den Mann sehen, dem die Stimme gehörte. Yusei. Ich wollte schon auf ihn zugehen, aber Crow hatte seinen Arm noch schützend vor mich gehoben und hielt mich zurück. Dabei sah er mich an und schüttelte leicht seinen Kopf. Etwas verwirrt, erwiderte ich seinen Blick und sah wieder auf das Geschehen vor mir.

Yusei sah die beiden Männer ein paar Schritte entfernt mit einem finsteren Blick an. „Largo de aqui!“ sagte er kalt. Sprach er da gerade spanisch? Jack stand noch immer angespannt aber verdutzt hinter den beiden Männern. Sie unterhielten sich noch immer schnell miteinander und redeten auf meinen Verlobten ein aber dieser war so abweisend und bestimmt, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Ich bekam bei seinem eiskalten Blick und der Art, wie er sprach eine Gänsehaut. Nach einigen Augenblicken gingen die Beiden an Yusei vorbei. Einer ging die Treppe runter, der andere blieb einen Schritt hinter ihm stehen. „Eso tendrá consecuencias“ sagte der Mann. Yusei schnaubte, biss die Zähne zusammen und drehte seinen Kopf kaum merklich, damit er den Mann im Augenwinkel sehen konnte. Ich verstand kein Wort, doch was dieser Kerl sagte, hörte sich auf jeden Fall nach einer Drohung an. Der Mann ging weiter.
 

Jack und sah dem Anzugtypen hinterher, bis er nicht mehr zu sehen war. „Was war das denn?“

„Komplikationen“ antwortete Yusei, der ihm ebenfalls hinterher sah.

Einen Moment sagte niemand etwas, bis ein leiser Schluchzer die Stille durchbrach. „Yusei!“

Er drehte sich herum und konnte kaum reagieren, da wurde er schon stürmisch von mir umarmt. Ich war so erleichtert, ihn wiederzusehen. Diese Situation war so merkwürdig. Seine Gesichtszüge entspannten sich und nun sah er wieder ganz wie er selbst aus. Er erwiderte die Umarmung. „Es tut mir leid, dass ich so spät bin. Ich wurde aufgehalten.“ Er löste sich etwas von mir, legte mir eine Hand auf die Wange und sah mir mit einem warmen Lächeln in die tränengefüllten Augen. Mit einer sanften Berührung, wischte er die Tränen beiseite und gab mir einen Kuss. Wie ich diese warmen, weichen Lippen vermisst hatte.

Crow räusperte sich. Erschrocken löste ich den Kuss wieder und drehte mich mit geröteten Wangen um. Die beiden hatte ich völlig vergessen. „Von uns bekommst du aber keinen Kuss zur Begrüßung!“ sagte Crow und grinste breit, hielt ihm seine Faust entgegen.

Yusei lächelte ebenfalls, erwiderte. „Jack, Crow! Schön euch zu sehen. Ich habe nicht damit gerechnet, euch heute schon zu treffen.“

Zurück im Wohnzimmer, stellte er seine Tasche ab und wurde schon von den nächsten beiden stürmisch begrüßt. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten. „Yusei! Wir haben dich so vermisst!“ sagte Leo.

Auch seine Schwester war ganz aufgeregt. „Schön, dass du wieder da bist!“

„Lange nicht gesehen ihr beiden. Ihr seid ja riesig geworden!“ sagte er müde lächelnd. Auch die letzte Anspannung wich aus ihm, und ich erkannte, wie erschöpft er war. Er hatte dunkle Schatten unter den Augen und war leichenblass.

„Du siehst echt scheiße aus!“ sagte Crow und sah ihn besorgt an.

„Seit wann sprichst du eigentlich spanisch? Und was wollten die Typen?“ fragte Jack. Letzteres war auch interessant für die übrigen Anwesenden.

„Auslandssemester“ sagte Yusei knapp. Statt auf die andere Frage seines Freundes zu antworten, stellte er eine Gegenfrage. „Sagt mal, wo schlaft ihr denn heute Nacht?“ Als Antwort bekam er nur fragende Blicke.

Luna durchbrach die kurze Stille, die eintrat. „Naja, Leo und ich fahren in die Wohnung unserer Eltern. Sie stand zwar ziemlich lange leer, ist aber immer noch in ihrem Besitz.“

„Crow und Jack wollten zu Martha fahren“ sagte ich und drehte mich zu den beiden um. „Nicht wahr?“ Crow nickte verwirrt.

„Würdest du mir antworten?“ hakte Jack nach und verschränkte die Arme vor der Brust.

Yusei sah auf die Uhr und dachte einen Moment nach. „Es … war ein langer Tag und die Geschichte ist zu lang, um sie jetzt zu erzählen. Ich wäre euch dankbar, wenn ihr bis morgen warten könntet.“ In seiner Stimme lag nicht nur Müdigkeit, sondern auch Trauer. Langsam machte ich mir ernsthaft Sorgen. Was war nur los mit ihm?

Jack gab nach. „Na schön, aber morgen hätte ich gern eine Antwort von dir. Komm schon Crow.“ Damit wandte er sich um, zum Gehen.

„Warte.“

Jack drehte sich wieder zu Yusei. Wegen irgendetwas machte Yusei sich Sorgen. Er schien hin und her zu überlegen. „Fahrt vorsichtig und grüßt Martha von mir.“

Ich musterte ihn. Irgendwie bezweifelte ich, dass er ihm wirklich das sagen wollte. Ihm brannte etwas anderes auf der Seele. Crow nickte. „Klar doch“ sagte er, hob den Daumen und grinste wieder. Sie drehten sich um und verschwanden im Flur. Mit einem dumpfen Knall fiel die Tür ins Schloss.

„Geht’s dir wirklich gut?“ fragte ich und riss ihn aus seinen Gedanken. Er zwang sich zu einem Lächeln, aber ich kannte ihn lange genug.

Er versuchte mir in diesem Moment etwas vorzuspielen. „Mach dir keine Sorgen“ sagte er und sah dann wieder zu den Zwillingen. „Wollt ihr beide nicht im Gästezimmer schlafen? Es ist schon spät, und ich will nicht, dass euch auf dem Heimweg noch was passiert.“

„Ach was, wir sind alt genug, um auf uns aufzupassen. Ich werde Luna be- AU!“

Seine Schwester gab ihm einen Hieb mit dem Ellbogen in die Seite, schenkte Yusei ein strahlendes Lächeln und antwortete ihm an stelle ihres Bruders. „Was er eigentlich sagen wollte war ‚Du hast Recht, Yusei. Es ist schon spät. Wir bleiben heute Nacht hier und fahren morgen früh, danke für das Angebot‘!“

Leo rieb sich verwirrt die Rippen und bestätigte die Aussage seiner Schwester. „Ähm ja klar, ich hab mich nur versprochen.“

Yusei sah erleichtert aus und auch etwas belustigt. Ich ging in den Flur, um das Gästezimmer vorzubereiten. „Danke“ rief mir Yusei hinterher, schnappte sich seine Tasche und ging ins Bad.

Leo schielte zu seiner Schwester rüber. „Sag mal Luna, was sollte das eben?“ Er war offensichtlich sauer.

Sie blickte ihn vorwurfsvoll an: „Leo! Hast du nicht gesehen, dass er sich wegen irgendwas große Sorgen macht? Ich glaube, wären wir aufgebrochen, hätte er kein Auge zugetan und er sieht jetzt schon völlig übermüdet aus!“

Leo seufzte. „Hast ja Recht.“
 

Sie gingen ins Gästezimmer und ich wünschte ihnen eine gute Nacht, bevor ich ins Schlafzimmer ging um mich bettfertig zu machen. Nach ein paar Minuten kam Yusei ins Zimmer und legte die Tasche auf den Stuhl neben dem Schrank. Er hatte sich gewaschen und trug nun eine graue Baumwollhose und ein schwarzes Shirt. „Ist heute was passiert?“ fragte ich ihn erneut.

Er musterte mich eine kleine Weile und kam dann langsam auf mich zu. „Ich erzähl dir morgen alles, ja? Jetzt bin ich erstmal froh, wieder zu Hause zu sein“ sagte er und gab mir einen zärtlichen Kuss. Ich erwiderte ihn nur zu gern. Ich hatte ihn so vermisst, aber ich machte mir dennoch Sorgen um ihn. Er wirkte so anders.

„Na schön“ gab ich nach. Da fiel mir etwas ein und ich schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Ich habe dir morgen auch was zu erzählen.“ Für einen kurzen Moment wich die Sorge aus seinem Gesicht und er lächelte mir entgegen. Wie sehr ich sein Lächeln liebte. Morgen würde ich es ihm endlich erzählen. Wie er wohl reagieren wird? Ich schmiegte mich an seine Brust genoss seine bloße Anwesenheit. Seinen Duft. Seine Nähe. Nach kurzer Zeit, lauschte ich seinem gleichmäßigen Atem. Ich schmunzelte. Er war wirklich schnell eingeschlafen.

Erklärungen

//Akiza//
 

Ein leiser, stetiger Herzschlag. Sein Duft. Er war wieder bei mir. Er hielt mich im Arm. Zufrieden kuschelte ich mich noch ein wenig näher an ihn heran und genoss den Augenblick. Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen. Heute werde ich es ihm sagen. Ich öffnete meine Augen und betrachtete ihn. Er schlief noch immer friedlich. Von seiner sorgenvollen Miene vom Vortag war nichts mehr zu sehen und er sah vollkommen entspannt aus. Ein leises Seufzen entwich mir und ich genoss diesen Augenblick, der leider viel zu schnell Enden musste. Denn schnell meldete sich schon wieder mein Magen. Oh nein! Nicht jetzt! Vorsichtig löste ich mich aus seiner Umarmung, um ihn nicht zu wecken, und verschwand im Bad. Darauf könnte ich wirklich verzichten! Als es mir wieder besser ging, machte ich mich etwas frisch und öffnete anschließend die Tür. Ich hatte mich unglaublich erschrocken, als Luna plötzlich vor mir stand. Ich hatte ganz vergessen, dass die Zwillinge bei uns übernachtet hatten. Ich legte mir eine Hand auf die Brust und atmete geräuschvoll aus. „Meine Güte Luna, mit dir habe ich um die Uhrzeit nicht gerechnet.“

„Entschuldige!“ erwiderte sie und wurde rot. Ich lächelte sie an und wünschte ihr einen Guten Morgen.
 

Das war knapp! Ein paar Minuten eher, und sie hätte mich gehört. Zusammen bereiteten wir in der Küche das Frühstück vor und unterhielten uns dabei leise, um die anderen nicht zu wecken. Als wir alles vorbereitet hatten, hörten wir Schritte. Leo stand mit zerzausten Haaren gähnend vor uns. „Guten Morgen!“ sagte er und streckte sich.

„Morgen!“ erwiderte ich und lächelte. Wir hatten wirklich ewig keine Gäste mehr über Nacht.

Leo sah sich um und rieb sich die Augen. „Wo ist denn Yusei?“

Ob er noch schläft? Ich huschte zum Schlafzimmer, öffnete es und sah meinen Verlobten seelenruhig schlafend im Bett liegen. Er war noch immer in der gleichen Position wie vor einer halben Stunde, als ich mich davonstahl. Er war wohl gestern wirklich müde. Leise schloss ich die Tür und ging wieder in die Küche. „Der schläft noch. Wir können ja schon ohne ihn anfangen. Ich glaube, er braucht noch etwas Ruhe.“

„Was war denn gestern mit ihm los?“ fragte Luna. Wenn ich das nur wüsste.

Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, das wird er uns schon erzählen, wenn er wach ist.“ Im Augenwinkel konnte ich sehen, dass das Display meines Handys aufleuchtete. Eine Nachricht. Ich nahm mir das Telefon zur Hand und öffnete sie. Sie war von Crow.
 

Hey Akiza, wir sind gestern gut angekommen, liebe Grüße von Martha! Jack ging mir auf dem Heimweg noch tierisch auf den Keks wegen Yusei. Sag mal, was war denn mit ihm los? Wir wollten gegen zwei noch mal bei euch aufschlagen, damit er uns das Ganze mit den Typen von gestern mal erklären kann. Passt euch das oder ist da diese Mizuki da?
 

„Was ist denn, Akiza?“ fragte Luna.

Ich schaute auf. „Hm. Crow wollte gegen zwei mit Jack vorbeikommen. Ich werde sie auf um drei vertrösten müssen. Mizuki kommt vorher noch vorbei und ich weiß nicht, wie lange wir brauchen werden.“ Ich tippte eine Antwort, legte das Handy beiseite und wandte mich lächelnd an die Zwillinge. „Was habt ihr denn heute schönes vor?“

Leo schien hellauf begeistert. „Ich wollte eine kleine Spritztour machen. Mein D-Wheel ist endlich von den Typen am Flughafen freigegeben worden. Aber wenn die Jungs heute Nachmittag hier ankommen, bin ich wieder da, versprochen! Ich will auch wissen, was das gestern war!“ Kaum hatte er den Satz beendet, nahm er erneut einen großen Bissen von seinem Brötchen.

„Ich weiß noch nicht, was ich mache. Kann ich euch irgendwie bei der Hochzeitsvorbereitung helfen?“

„Wenn du willst, gern“ antwortete ich und seufzte. Ob ich wohl heute wirklich noch die Gelegenheit habe es ihm zu erzählen?
 

Nach dem Frühstück bot ich Leo an, ihn mit dem Auto zum Flughafen zu fahren, was er dankend annahm. Ich hinterließ eine Notiz für Yusei in der Küche und ging los. Auf dem Rückweg erledigten wir noch den Einkauf und einige Zeit später kamen Luna und ich wieder in der Wohnung an. Wir spähten ins Wohnzimmer aber sahen niemanden. „Ob er immer noch schläft?“ fragte Luna. Sonst ist er eigentlich immer ein Frühaufsteher. Ich stellte die Einkäufe in der Küche ab und sah nach. Er lag noch immer regungslos da. Ob ich ihn wecken sollte? Ich ging zu ihm, setzte mich auf die Bettkante und streichelte sanft über sein Haar. Er zuckte leicht zusammen, drehte sich zu mir und sah mich verschlafen an. Ich lachte gedämpft. Er bot wirklich einen süßen Anblick. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Es ist schon nach elf und ich dachte, vielleicht sollte ich dich wecken“ sagte ich leise. Yusei richtete sich auf und sah mich mit diesen herrlich klaren, blauen Augen an.

„Guten Morgen“ sagte er, legte mir eine Hand auf die Wange und küsste mich zärtlich. Unwillkürlich fuhr ich mit der Hand zu seinem Nacken und erwiderte diesen. Als er sich wieder von mir löste, schenkte er mir ein warmes Lächeln. Ebenjenes breitete sich auch auf meinem Gesicht aus.

Ich zog mich zurück und stand auf. „Luna ist draußen auf der Terrasse, ich werde ihr wieder Gesellschaft leisten. Kommst du mit?“

Yusei nickte. „Ich verschwinde kurz noch im Bad, dann komme ich.“

Ich ging in die Küche, kochte Kaffee und machte ihm noch ein kleines Frühstück zurecht. Nebenbei räumte ich die Zutaten für das Mittagessen in den Kühlschrank. Von hinten spürte ich eine Umarmung und Yuseis vom Duschen feuchte Haare kitzelten mich im Gesicht als er mir einen Kuss auf die Wange hauchte. Ich lachte. Gemeinsam gingen wir auf die Terrasse, wo wir schon von Luna erwartet wurden.

„Hallo Yusei!“ sagte sie erfreut.

„Hallo“ erwiderte er und setzte sich mit seinem Kaffee auf den Stuhl neben sie.

„Ich hoffe …“ setzte Luna an und spielte mit den Fingern an dem Saum ihres rosafarbenen Kleides. Neugierig musterte ich sie. „Ich hoffe, ich störe euch nicht.“ Bei diesen Worten wurde sie rot.

Ich gab einen belustigten Laut von mir. „Nein, warum denn? Wir freuen uns, dass du hier bist!“ Ich sah Yusei an und redete weiter. „Luna will uns heute mit den Hochzeitsvorbereitungen helfen. Mizuki will in knapp zwei Stunden hier auftauchen.“

Dieser stellte die Tasse, aus dem er eben getrunken hatte, ab und legte lächelnd den Kopf etwas schief „Lieb von dir, Luna. Danke.“
 

Luna war eine wirklich tolle Hilfe. Mit ihr zusammen dauerte das Treffen nicht ganz so lang, wie ich erwartet hatte. Yusei verhielt sich zwar recht still, und driftete hin und wieder in seine Gedankenwelt ab, doch hatten wir alle Punkte innerhalb der Zeit abgehakt. Mizuki verabschiedete sich und verließ die Wohnung. Dann packten wir die Unterlagen, die sie uns gegeben hatte, zusammen und warteten auf dem Sofa auf den Rest. Yusei holte seinen Arbeitslaptop, verband ihn mit einem Kabel mit dem Fernseher, setzte sich in den Sessel, stellte das Gerät auf seinen Beinen ab und tippte in schneller Abfolge etwas ein.

„Was machst du da?“ fragte ich und linste über seine Schulter. Auf dem Bildschirm war irgendein Artikel zu sehen. Aber die Schrift war chinesisch, nicht japanisch. Was hat er denn vor? Das Klingeln an der Tür ließ uns aufsehen.

„Ich geh schon! Das ist Leo“ sagte Luna und verschwand im Flur.

Yusei sah mich über seine Schulter an. „Naja, ihr wolltet Antworten und es verkürzt sie Sache etwas, wenn ich euch einiges zeige.“ Er nahm sich die Fernbedienung vom Tisch und schaltete den Fernseher ein, dann ging er wieder in das Arbeitszimmer. Ich bin wirklich gespannt, was er uns erklären will…
 

//Yusei//
 

Ich öffnete in schneller Abfolge einige Seiten und Videos auf meinem Laptop um mich auf das Folgende vorzubereiten. Mittlerweile hatte ich genug Informationen gesammelt, um meinen Freunden die Situation zu erklären. Es war an der Zeit sie einzuweihen, auch wenn ich noch immer nicht alle Antworten hatte. Aber sie mussten davon erfahren.

Leos aufgeregte Stimme ließ mich aufschauen. „Schaut mal, wen ich gefunden habe!“ Im Schlepptau hatte er Jack und Crow. Die letzte, die den Raum betrat war Luna, da sie noch die Wohnungstür geschlossen hatte.

„Und?“ fragte Jack, sah mich durchdringend an und verschränkte seine Arme. Anscheinend wurde er ungeduldig. Ich atmete noch einmal tief durch, stellte den Laptop mit den geöffneten Fenstern auf den Couchtisch und stand Jack gegenüber.

„Ich habe dir Antworten versprochen und die bekommst du, aber wie schon gesagt wird das eine etwas längere Geschichte. Setzt euch“ sagte ich und deutete auf die L-förmige Couch.

Während meine Freunde Platz nahmen, holte ich meine Tasche aus dem Schlafzimmer, die ich am Tag zuvor noch darin verstaut hatte, stellte diese neben meinem Platz ab, holte ein kleines Gerät heraus, dass aussah wie ein USB-Stick, und drückte auf einen dort angebrachten Knopf.

„Was ist das?“ fragte Luna neugierig.

„Das ist ein Störsender. Er wird alle Satelliten- und Datenübertragungen für 90 Minuten verhindern. So kann uns niemand zuhören.“

Crow zog die Augenbrauen zusammen. „Seit wann bist du so paranoid?“

„Das wirst du schon noch verstehen.“
 

Ein letztes Mal noch, sammelte ich mich und ging alle Schritte noch einmal genau durch. „Zuerst Folgendes“ setzte ich an und bedachte jeden der Anwesenden mit einem ernsten Blick. „Fast Alles, was ich euch gleich sagen werde, steht unter Verschluss und darf diesen Raum nicht verlassen. Ich habe gestern verdammt lang mit einigen Behörden diskutiert und an ein paar der Materialien bin ich nicht auf ganz legalem Weg gelangt. Die Typen, die euch gestern belästigt haben, sind vom peruanischen Geheimdienst. Sie waren… sagen wir mal ‚nicht einverstanden‘, dass ich wieder in Japan bin.“

„Peru?“ fragte Leo und sah mich verwirrt an. „Das versteh ich nicht. Ich dachte du warst in China.“

Ich nickte zögerlich, nahm den Laptop, der mit dem Fernseher verbunden war, wieder auf meinen Schoß und übertrug den Bildschirm über ein Kabel auf das Gerät. Bevor ich das erste Video öffnete, zögerte ich noch einen Augenblick. Ich spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte. Schließlich atmete ich noch einmal tief durch und startete das Video. „Das ist eine Aufnahme eines Amateurfilmers, der mit dem Flugzeug die Nazca Linien filmen wollte. Sie entstand vor fünf Tagen.“

„Was soll das?“ An Jacks Stimme erkannte ich, dass er langsam ungeduldig wurde, aber ich hatte einen Plan und darum würde es mit seiner Ungeduld auch nicht schneller gehen.

Ohne aufzublicken, gab ich meinem Freund eine Antwort. „Sieh hin!“

Alle Augen waren auf den Bildschirm gerichtet. Er zeigte die Linie des Kolibris und in der rechten, unteren Ecke konnte man einen Zeit- und Datumsstempel sehen. Einige Stimmen waren zu hören, doch sie waren in einer anderen Sprache. Eine der Stimmen wurde ganz aufgeregt. Plötzlich begann das Bild zu wackeln und die Stimmen wurden zunehmend panisch. Im nächsten Moment tat sich ein gewaltiger Riss, quer über den Kolibri auf. Der Riss nahm kein Ende, wurde immer breiter und das Bild begann zu flackern. Zum Schluss hörte man einen Schrei, bevor die Aufnahme beendet war.

Ich sah wieder von meinem Laptop auf. Luna hatte sich die Hände vor dem Mund zusammengehalten. Leo und Crow lehnten sich nach vorn, als könnten sie dadurch besser begreifen, was sie gesehen hatten. Akizas Augen weiteten sich. Sie vergrub ihre Finger in den Falten ihres Rockes und ballte sie zu Fäusten. Jack schien erstaunlich gefasst zu sein, doch auch er verstand vermutlich nicht, was er da sah. „Was war das?“ fragte er.

„Mein Kollege hat es mir kurz vor meinem Abflug von China nach Japan geschickt. Ich habe es aber schon am Tag nach der Katastrophe von ihm erfahren. Die Behörden gingen von einem Erdbeben aus, hervorgerufen durch den Reaktor in der Nähe. Nicht nur der Kolibri wurde dadurch zerstört, sondern auch die Eidechse und der Riese.“ Ich versuchte die ungläubigen Blicke zu meiden. Schnell öffnete ich die nächste Datei. Es war eine Satellitenaufnahme vom zerstörten Reaktor. „Das ist der vermeintliche Ausgangspunkt für das Erdbeben, aber bis zu seiner Zerstörung hatte es nie Probleme gegeben. Mein Kollege war Vorort und bemerkte später durch das Video, dass die Explosion des Reaktors erst 20 Minuten nach dem Erdbeben stattfand. Da die Daten zeigten, dass er zu diesem Zeitpunkt fehlerfrei lief, konnte er als Quelle der Zerstörung ausgeschlossen werden. Der Grund ist den Behörden immer noch unklar.“ Ich schluckte trocken und betrachtete das Satellitenfoto. Meine Stimme wurde ungewollt leiser als ich die totenstille des Raumes erneut durchbrach. „276 Menschen verloren an diesem Tag ihr Leben. Mein Kollege war mit einigen von ihnen befreundet.“

Wieder war es still. Nur das leise surren meines Laptops war zu hören. „Aber …“ setzte Akiza an als sie ihre Stimme wiederfand. „Wie wurde der Reaktor dann zerstört?“

Die Antwort auf diese Frage kannte ich selbst nicht, aber ich hatte eine Vermutung. „Es war nicht menschlich“ sagte ich ohne von meinem Bildschirm aufzusehen. Sie klang traurig und ich wusste nicht, ob ich ihrem Blick standhalten würde. Während ich die nächsten Bilder öffnete, war das Tippen auf der Tastatur das einzige Geräusch im Raum. „Ich habe versucht Greyger zu erreichen, er lebt in einem Dorf in der Nähe des Unglücksortes. Zwei Tage später rief er mich zurück und erzählte mir sein Dorf sei bei der Katastrophe zerstört worden. Er überlebte nur knapp, fuhr zum Ort des Geschehens und dokumentierte alles. Nach unserem Telefonat schickte er mir das hier.“ Auf dem Fernseher erschienen Bilder von der zerstörten Landschaft. In dem Riss, der sich gebildet hatte, erkannte man einen bläulich violetten Nebel. „Dieser Schleier sieht auf dem ersten Blick aus wie ein Bildfehler, aber Greyger meinte, dass er denselben Nebel gesehen hatte, kurz bevor er zum finsteren Auserwählten wurde.“
 

„Warte mal!“ Jack stand mit geballten Fäusten auf. Ich sah erschrocken zu ihm und auch die Blicke der übrigen Anwesenden galten unserem blonden Freund. Er schlug den rechten Arm zur Seite. „Willst du damit sagen, dass das Siegel gebrochen wurde und Carly, Kalin und Misty wieder zu finsteren Auserwählten werden könnten?!“ Damit sprach er tatsächlich meine größte Befürchtung aus, aber ich versuchte ruhig zu bleiben.

„Warte bitte bis ich fertig bin, Jack. Aber ja, das könnte unter Umständen passieren, und das wäre nicht mal das Schlimmste an der ganzen Sache.“

„Wie kannst du dabei so ruhig bleiben?! Was sollte denn schlimmer sein als das?!“ schrie er und machte einen Satz nach vorn.

Ehe er mich am Kragen packen konnte, hielt Crow ihn zurück. „Jetzt beruhig dich wieder! Lass ihn doch ausreden.“

Ich mied Jacks Blick. „Ich hatte einige Tage Zeit um das sacken zu lassen. Ich wollte euch nicht beunruhigen, bevor ich nicht mehr rausgefunden habe. Außerdem steht alles, wie gesagt, unter strengster Geheimhaltung. Es wäre einfach zu gefährlich gewesen, es euch nicht persönlich zu sagen.“

Jack schnaubte. „Na schön, red weiter!“ presste er zwischen seinen Zähnen hervor und setzte sich wieder.

Ich atmete schwer aus. „Seit dem vermeintlichen Erdbeben hatte ich jede Nacht den gleichen Traum.“ Ich versuchte die Bilder aus meinem Kopf zu vertreiben, aber es gelang mir nicht. Augenblicklich hatte ich das Gefühl als würde meine Brust zugeschnürt. „Die Hochzeit endete in einem Massaker, ihr wurdet von zwei dämonischen Wesen gefangen genommen und die übrigen Gäste waren… tot.“ Meine Stimme brach kurz ab. Noch nie hatte ich laut ausgesprochen, was mich in den letzten Tagen so sehr verfolgte. Ich räusperte mich, zwang mich weiterzusprechen. „Ihre Verletzungen waren dem, was den Wissenschaftlern in Peru passierte, sehr ähnlich. Kalin, Misty und Carly wurden wieder zu finsteren Auserwählten und ich konnte nichts ausrichten.“ Ich schluckte schwer und hatte das Gefühl an dem Kloß in meinem Hals zu ersticken. „Jedes Mal… kurz bevor ich aufwachte… sah ich dieses Licht.“

Ein Schluchzen ließ mich Aufsehen. Es kam von Luna. Ihr Bruder hielt ihre Hand. Auch Akiza kämpfte mit den Tränen. Ich versuchte mich wieder auf den Bildschirm zu konzentrieren und schüttelte die Gedanken ab. Schnell öffnete ich die nächste Datei. Sie zeigte einen chinesischen Zeitungsartikel, datiert auf den Abend vor zwei Tagen, doch was geschrieben stand, war nicht von Belang. Das Bild zeigte den feuerroten Drachen über dem Reaktor in Peking. „Er ist zurück“ sagte ich leise und musterte meine Freunde.

„Aber…“ fing Crow an, brach jedoch ab.

Jack stutzte. „Tz. Und wo sind dann bitte unsere Male? Vielleicht war das nur ein Hologramm! Vielleicht hattest du einfach nur einen beschissenen Traum! Wir haben diese Dinger vor zehn Jahren versiegelt! Das kann unmöglich wahr sein!“ Während er sprach gruben sich seine Finger immer weiter in seine verschränkten Arme. In seinen violetten Augen blitzten Zorn und ein wenig Verzweiflung, die er zu verbergen versuchte.

Ich seufzte. Natürlich wollten sie mir nicht glauben, aber dieses Mal hatte ich zumindest einen greifbaren Beweis. Wir konnten die Macht des feuerroten Drachen beim letzten Mal nicht kontrollieren, wurden nur von ihr geleitet. Überraschenderweise war es dieses Mal anders. Langsam legte ich den Laptop auf den Tisch, stand auf, streckte meinen rechten Arm mit der Handfläche nach oben aus und versuchte mich zu konzentrieren.

Ich spürte, wie sich das Mal auf meinem Rücken aktivierte und den geschockten Blicken meiner Freunde nach zu urteilen, begann es auch zu leuchten. Die Energie pulsierte durch meinen Körper. Ich versuchte die Macht des feuerroten Drachen in meiner Handfläche zu konzentrieren. So wie diese Blasen in meiner Vision nur konzentrierte Energie waren, war es auch die Kraft des Drachen. Meine Bemühungen zahlten sich aus, denn langsam materialisierte sich diese kleine, blassrote und leuchtende Kugel aus meiner Vision tatsächlich in meiner Handfläche.

Nur vage bekam ich mit, dass meine Freunde aufgesprungen waren und einen Schritt zurückgewichen sind. Plötzlich teilte sich die Kugel in fünf kleinere Blasen auf und diese flogen blitzschnell zum jeweils rechten Arm meiner Freunde. Als sie platzten, starrten Jack, Crow, Leo, Luna und Akiza fassungslos auf die Stelle an der die Kugel sie berührte. Genau dort tauchten ihre Drachenmale auf.
 

Ich ließ meinen Arm wieder sinken und beobachtete meine Freunde. Das Leuchten auf meinem Rücken erlosch, und stattdessen tauchte auch mein Drachenmal wieder auf meinem Arm auf.

„Was… Was ist denn… jetzt los?!“ stotterte Crow ungläubig.

„Unsere Male“ sagten die Zwillinge gleichzeitig.

„Unmöglich“ hauchte Jack.

Akiza sah verwirrt von ihrem Drachenmal zu mir. „Wie… Wie hast du das gemacht?“ fragte sie mit zitternder Stimme.

Ich konnte es selbst nicht beschreiben und schüttelte langsam den Kopf. „Ich weiß es nicht. Dieses Mal ist es anders. Ich kann die Macht jetzt kontrollieren. Und ich glaube, ihr seid dazu auch imstande. Der feuerrote Drache erzählte mir, dass dieser Traum eine Vision war, eine mögliche Zukunft. Und… dass wir sie ändern könnten. Zusammen. Mit seiner Hilfe. Das Problem ist, dass ich nicht weiß, was diese Monster für ein Ziel verfolgen.“ Ich kniete mich vor den Laptop und startete erneut ein Amateurvideo. Dieses Mal zeigte es einige Touristen in China. Im Hintergrund sah man die Reaktoranlage. „Das passierte etwa drei Stunden, nachdem ich den Reaktor verlassen hatte und etwa 18 Stunden, nachdem der Drache dort aufgetaucht ist. Achtet auf den Hintergrund.“ Sie sahen Richtung Fernseher. Die Touristen erzählten irgendetwas in die Kamera und schienen glücklich. Dann gab es einen lauten Knall und das Bild wackelte. Der Kameramann ist vermutlich in Deckung gegangen und hielt dann die Kamera auf den Reaktor. Die Wolken über ihm bildeten einen grau-violetten Strudel und blaue Blitze zuckten vom Himmel herab. Ich vergrößerte einen Ausschnitt an der Wolkendecke. Das Bild war schlecht und verpixelt aber man konnte ganz deutlich eine Person inmitten der Blitze am Himmel erkennen. „Das ist eines der Monster, die ich in meinem Traum gesehen habe“ Die Gestalt hob die Arme und das Bild wurde plötzlich weiß. Ich wechselte die Perspektive wieder in ihre Ausgangslage. Ein gewaltiger Blitz schlug in den Reaktor ein und es gab eine verheerende Explosion, die sich immer weiter ausbreitete. Einen Augenblick später wurde das Bild schwarz. „Das löschte etwa 1.500 Quadratmeter Pekings aus.“ Meine Stimme wurde leiser. All diese Menschen starben, ohne dass ich etwas hätte ausrichten können. „Zu diesem Zeitpunkt startete mein Flieger. Es gab tausende Opfer. Aus offizieller Sicht war es eine Gasexplosion.“ Ich seufzte. „Auf dem Rückflug habe ich mit dem Heimatschutzministerium Japans telefoniert. Die Chinesen glauben, ich habe etwas mit der Explosion zu tun, da ich die einzig außenstehende Person war, die Zugriff auf alle Daten hatte. Darum haben sie mich auf dem Zielflughafen festnehmen lassen. Sie zweifeln die Echtheit dieser Aufnahmen an, obwohl sie sie selbst aus den Trümmern geborgen haben. Sie wissen nicht, dass ich mir die Aufnahmen ‚ausgeliehen‘ habe, aber ohne die habe ich keine Beweise, die für mich sprechen würden. Die Kerle haben mich nur unter Sanktionen wieder gehen lassen. Meinem Kollegen, der den Reaktor in Peru untersucht hat, ergeht es auch nicht viel besser.“ Mein Blick senkte sich. Mit vielen Menschen, die dabei gestorben sind hatte ich vor nicht einmal 34 Stunden gearbeitet. Auch Tailea ist jetzt tot.
 

Betretenes Schweigen legte sich über uns. Während ich meine Ausführungen beendet hatte, hatten sich alle wieder auf das Sofa gesetzt. „Wir müssen es Carly und den Anderen sagen“ ertönte eine leise Stimme.

„Erinnerst du dich nicht, Jack?“ fragte ich und sah ihn mit traurigen Augen an. „Sie müssen erst sterben, bevor sie zu finsteren Auserwählten werden. Wir müssen sie beschützen, so wie alle anderen auch.“

„Aber sie verdienen die Wahrheit!“ platzte es aus ihm heraus. Seine Hände ballten sich erneut zu Fäusten und er sah mich wütend an.

Crow seufzte schwer. „Und was wollen sie damit anfangen? Sie können sich nicht schützen vor diesen Dingern. Wir würden sie nur unnötig verängstigen. Und Außerdem“ sagte er, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ sich in die Rückenlehne sinken. „Hat Yusei vermutlich gut ein Duzend Gesetze gebrochen, damit er uns davon erzählen kann. Je mehr davon erfahren, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass er in den Knast wandert.“

Ich nickte. „Ich habe mit dem Bürgermeister geredet. Mistys Leibwächter wurden verdoppelt, Kalin wird von Greyger beobachtet und Carly vom Sicherheitsdienst überwacht. Sobald es auch nur das kleinste Anzeichen gibt, sie könnten in Gefahr sein, schlagen sie sofort Alarm.“

Akiza starrte mit leerem Blick auf den schwarzen Bildschirm. Die Zwillinge sahen nicht weniger fertig aus. Ich konnte sie so gut verstehen. Ich hatte die Informationen nach und nach sacken lassen können, doch sie mussten mit Allem auf einmal zurechtkommen. Vorsichtig legte ich meine Hand auf die von Akiza und versuchte sie etwas zu beruhigen. Langsam neigte sie den Kopf zu mir und ich musste feststellen, dass sich Tränen in ihren Augen sammelten. „Es tut mir leid“ wisperte sie.

Ich nahm sie in den Arm und sie fing furchtbar an zu schluchzen. „Mir tut es leid“ sagte ich kaum hörbar und schloss die Augen.

Jack erhob sich, noch immer wutentbrannt, und ging auf die Wohnungstür zu.

„Und wo willst du jetzt hin?“ fragte Crow mit verschränkten Armen und schaute seinen Freund hinterher.

Dieser stoppte kurz, spannte seine Fäuste an und erwiderte mit zusammengebissenen Zähnen, ohne sich umzudrehen: „Ich werde nach Carly suchen.“ Danach lief er weiter und wenige Augenblicke später hörten wir, wie die Tür ins Schloss fiel.

„Der wird sich nie ändern“ stöhnte Crow auf und musterte mich. „Was ist jetzt dein Plan?“

Noch immer hatte ich Akiza im Arm und versuchte sie zu trösten. Einen genauen Plan hatte ich nicht, aber zumindest eine Idee. „Ich habe gehofft… für den Anfang könnte uns Luna helfen.“

„Ich?“ fragte sie verwirrt. Eine Träne lief ihr über die blassen Wangen und sie sah betreten zu Boden. „Aber ich… Ich weiß nicht wie…“

„Der feuerrote Drache erwähnte unsere Drachen. Vielleicht könntest du mit Antiker Feendrache sprechen, möglicherweise weiß sie mehr.“ Ich wollte sie nicht in Gefahr bringen, aber jede weitere Information könnte uns helfen, diesen Alptraum abzuwenden.

Leo legte seiner Schwester eine Hand auf die Schulter. „Ich begleite dich!“ sagte er und versuchte zuversichtlich zu klingen. Er schenkte ihr ein aufmunterndes lächeln.

Sie wischte sich die Tränen weg. „Danke.“ Mit einem entschlossenen Blick sah sie nun von Leo zu mir. „Ich werde in die Geisterwelt gehen und Antiker Feendrache fragen!“

Erleichtert atmete ich aus und Akiza löste sich aus der Umarmung. „Bist du sicher?“ Ich nickte. Einen anderen Anhaltspunkt hatten wir nicht.

Luna und Leo traten in die Mitte des Wohnzimmers. Sie sah ihrem Bruder in die Augen. „Bereit?“

Er grinste. „Logisch!“

„Bitte passt auf euch auf!“ sagte ich und betrachtete die Zwillinge mit Sorge. „Wir wissen nicht, ob es in der Geisterwelt ebenfalls irgendwelche Vorfälle gab.“

Akiza klammerte sich an meinen Arm und fügte hinzu: „Wir werden hier auf euch warten.“

Crow grinste und hob seinen Daumen in ihre Richtung. „Ach was, wird schon schief gehen! Lasst euch nicht zu lange Zeit!“

Die beiden nickten, hielten sich an den Händen und wurden in eine weiße Lichtsäule gehüllt. Einen Augenblick später waren sie verschwunden.
 

Der Störsender piepte. Die 90 Minuten waren um.

Geisterwelt

//Erzähler//
 

Als die Zwillinge ihre Augen öffneten, fanden sie sich in einem wunderschönen Wald wieder. Der sanfte Wind ließ die Blätter in den Bäumen rascheln und die Luft war erfüllt von einer angenehmen Atmosphäre. Luna atmete tief durch. Sie war ewig nicht mehr hier gewesen und hatte diesen Ort vermisst. „Also schön“ begann sie. „Antiker Feendrache müsste hier irgendwo sein. Wir sind hier im Geisterwald aber ich bin mir nicht ganz sicher wo genau.“ Leo sah sich um. Er war bisher nur einmal mit seiner Schwester hier gewesen, aber da konnte er diese herrliche Idylle nicht betrachten. Um sie herum wuchsen hohe Bäume, die Aura dieses Waldes war mysteriös und geheimnisvoll, jedoch vertraut. Er fühlte sich sicher. Da ertönte hinter ihnen ein rascheln. Sie wanden sich schnell dem Geräusch zu.

„Was ist das?“ fragte Leo, doch seine Schwester zuckte nur mit den Schultern. Aus dem Unterholz schwebte plötzlich eine kleine, braune Kugel freudig auf sie zu.

„Kuribon!“ Luna schloss den Fellball mit den großen, grünen Augen fröhlich in die Arme. „Schön, dass es dir gut geht! Wir suchen Antiker Feendrache, weißt du zufällig wo sie ist?“

Der Plüschball hüpfte aufgeregt auf und ab. „Kuriii“

Leo verstand kein Wort. „Was sagt er denn?“ fragte er seine Schwester, als Kuribon sich langsam beruhigte.

„Sie ist bei ihrem Tempel ganz in der Nähe!“ sagte Luna glücklich.

Leo richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Kuribon. „Kannst du uns hinbringen?!“

Kuribon hüpfte wieder auf und ab und schwebte auf das Unterholz zu. „Kuriii“ drängte er seine Freunde, damit sie ihm folgten. Diese setzten sich in Bewegung und kamen nach einigen Minuten an einem gepflasterten Weg an. „Jetzt weiß ich wo wir sind!“ sagte Luna. „Komm, es ist nicht weit!“ Mit diesen Worten rannte sie mit Kuribon im Schlepptau fast schon den Weg entlang.

„Wa- Warte auf mich, Luna!“
 

Der Weg vor ihnen wurde langsam breiter und der Wald um sie herum lichtete sich. Nach einiger Zeit fanden sie sich auf einer Lichtung wieder. Auf der herrlich grünen Wiese wuchsen zierliche, bunte Blumen und sie hörten das Zwitschern der Vögel um sie herum. Es war so friedlich hier. Inmitten dieses schönen Anblicks stand ein großer, steinerner Tempel. Er sah sehr alt und stellenweise verfallen aus, aber selbst jetzt, da der Zahn der Zeit an diesem Imposanten Bauwerk nagte, wirkte er doch stabil und sicher. Langsam gingen sie auf die Stufen des Tempels zu. Als sie ihn fast erreicht hatten, rief ihnen eine Stimme aus dem Innern zu: „Ich habe mich schon gefragt, wann ihr auftauchen würdet.“

Luna erkannte die Stimme und stieg schnell die Treppen empor, gefolgt von ihrem Bruder. Oben angekommen rannte sie durch das riesige Tor und stand vor dem Körper, der zu dieser Stimme gehörte. „Regulus!“ sagte sie fröhlich und umarmte den Löwen.

Regulus schmiegte seinen Kopf einen Augenblick lang an das Mädchen und fuhr dann in seiner gebieterischen Stimme fort: „Es ist viel zu lange her. Ich wünschte, wir würden uns unter anderen Umständen wiedersehen. Wie ich sehe, hast du auch deinen Bruder mitgebracht.“

Luna ließ von Regulus ab und drehte sich um. Leo kam etwas außer Atem oben an und grinste. Fröhlich winkte er dem Löwen zu. „Hallo Regulus, freut mich dich wiederzusehen!“

„Ihr wisst also was los ist?“ fragte sie den Duellgeist. Dieser schloss die Augen und schüttelte seinen Kopf. „Nicht genau, ich bring euch zu Antiker Feendrache, sie würde euch gern sehen. Kommt mit!“

Die Zwillinge gingen links und rechts von Regulus‘ muskulösen Schultern in das Innere des Tempels. „Also ist hier in der Geisterwelt auch irgendwas los?“ fragte Leo den großen Löwen.

Dieser sah ihn aus dem Augenwinkel heraus an. „Nicht direkt. Es ist bisher nichts passiert, aber Antiker Feendrache sagte, es kommt etwas auf uns zu.“ Einige Augenblicke später waren sie im Herzen des Tempels. An den Wänden schlängelten sich Rankpflanzen in die Höhe und der Boden war mit Moos und Gras bedeckt. Aus den Löchern in der Decke drang Tageslicht und inmitten dieses großen Raumes war ein großer, schöner, hellblauer Drache mit riesigen Feenflügeln, einer türkisfarbenen Mähne und einem goldenen Brustpanzer.

Die leuchtend orangefarbenen Augen fixierten die drei, als er sie bemerkte. „Luna, Leo ich habe euch bereits erwartet“ erklang die schöne Stimme des Drachen.
 

„Hallo, Antiker Feendrache!“ sagte die Zwillinge. Der Löwe neigte seinen Kopf zur Begrüßung.

„Danke, dass du sie zu mir gebracht hast, Regulus. Und auch dir Danke, Kuribon.“

Der Plüschball hüpfte vor Freude.

„Du hast uns also erwartet?“ hakte Luna nach. Sie wirkte nervös.

Der Drache nickte. „Wie ich sehe, habt ihr eure Drachenmale wieder“ sagte sie und betrachtete die Arme der Zwillinge.

„Ja, aber erst seit heute“ erklärte Leo und betrachtete sein Mal genauer. „Aber nicht von dem feuerroten Drachen selbst, sondern von Yusei. Keine Ahnung wie er das gemacht hat. Er hat auch gesagt, es hat sich verändert, aber es sieht noch genauso aus wie früher.“

„Yusei?“ fragte der Drache und legte den Kopf schief. „Der Auserwählte von Sternenstaubdrache?“

Leo nickte. „Weißt du, was hier vorgeht?“

Antiker Feendrache musterte die Zwillinge. Ihr Blick war durchdringend, doch sie dachte genau über ihre nächsten Worte nach. Dann erklang ihre Stimme: „Ich hatte eine Vision. Einen vagen Einblick in die Zukunft. Uns steht eine schwere Zeit bevor, geprägt von Chaos und Krieg. Der König der Unterwelt ist von seinem letzten Kampf noch immer geschwächt, doch seine Kinder haben einen Weg gefunden drei der Siegel, die ihn in der Unterwelt halten, zu zerstören.“

„Seine WAS?“ platzte es aus Leo heraus.

Luna hielt sich die Hand vor den Mund. „Das ist… unmöglich! Warum jetzt, wenn der König so schwach ist? Das ergibt keinen Sinn!“ Die Beiden starrten den Drachen mit angstgeweiteten Augen an.

Antiker Feendrache stutzte. „Es muss ein Ereignis sein, dass es Wert ist ein solches Risiko einzugehen. Wie sie es geschafft haben, weiß ich leider nicht, aber sie sind sehr mächtig. Gebt gut Acht. Ihr dürft ihnen nicht in die Hände fallen!“

Regulus knurrte. „Das wird nicht passieren, dafür werde ich sorgen!“

„Weißt du…“ fing Luna an zu sprechen und legte dabei die Hand an ihr Kinn. „Yusei sagte uns, dass er auch eine Vision hatte. Diese Monster werden angreifen, wie es aussieht in vier Tagen, zu seiner und Akizas Hochzeit.“ Dann sah sie Leo an. „Er hat doch von zwei Dämonen gesprochen, oder?“

Er nickte. „Ja, einem Mann und einer Frau.“

„Ihre Namen sind Lillith und Lucifer“ sagte der Drache. „Sie sind mehrere Jahrtausende alt und beherrschen mächtige, schwarze Magie. Leider kann ich euch bis auf diese wenigen Informationen nicht viel über sie berichten.“

Luna versuchte sich an einem Lächeln um ihren Drachen aufzumuntern. „Das sind mehr Informationen, als wir vorher hatten, Antiker Feendrache. Ich danke dir!“

Leo erkannte was seine Schwester vorhatte und fügte hinzu: „Ja, sie hat Recht! Wir kriegen schon noch raus, was die wollen und dann besiegen wir sie! Wir haben es ja auch schon geschafft den König zu besiegen!“

Antiker Feendrache musste bei so viel Naivität einfach schmunzeln. „Dieses Mal wird es schwerer. Ihr müsst euch auf die Fähigkeiten eurer Drachen und euer eigenes Können verlassen, wenn ihr gegen die Königskinder eine Chance haben wollt.“

„Was meinst du damit?“ fragte Luna.

Antiker Feendrache fuhr fort. „Jeder von uns hat seine eigenen besonderen Fähigkeiten als Drache der Auserwählten. In der Stunde größter Not können wir sie mit unseren Menschen teilen. Meine ist ein Schutzschild, für die, die mir am Herzen liegen. Die deines Drachen“ dabei sah sie Leo an. „Ist die Heilung jeder Verletzung. Der schwarze Rosendrache beherrscht die Zerstörung und kann Dornenranken erzeugen, sie seine Gegner fesseln. Auch der Rotdrachen Erzunterweltler ist ein Meister der Zerstörung und der Flammen. Der schwarz geflügelte Drache beherrscht die Reflektion von Angriffen. Er kann einen Schild erzeugen und magische Angriffe zurückwerfen. Wenn euer Freund Recht hat, und euer Mal wirklich stärker geworden ist, könnt ihr mit genug Konzentration auf diese Stärken zurückgreifen.“

„Wow!“ entgegnete Leo. „Das heißt, wir können diese Dämonen wirklich besiegen?“

„Und wir können unsere Freunde beschützen?“ fügte Luna hinzu.

„Ja“ sagte der Antike Feendrache. „Aber dafür benötigt ihr Training. Außerdem sind diese Fähigkeiten in eurer Welt schwächer.“ Diese Worte waren etwas ernüchternd für die Zwillinge. Es musste doch eine Möglichkeit geben diese Dämonen dennoch zu besiegen.

Luna war in Gedanken versunken, bis ihr etwas auffiel: „Antiker Feendrache? Was ist eigentlich die Fähigkeit von Sternenstaubdrache?“

Ihr Bruder stieg in die Frage ein. „Stimmt! Du hast alle Fähigkeiten aufgezählt, aber nicht seine!“

Der Drache seufzte. „Bei ihm ist es etwas… kompliziert. Seine Kräfte variieren von Auserwähltem zu Auserwähltem. Außerdem…“ sagte sie und wählte ihre nächsten Worte mit Bedacht. „Ich weiß, ihr vertraut eurem Freund, doch es wird die Zeit kommen, an dem ihr dem Auserwählten von Sternenstaubdrache nicht mehr vertrauen könnt.“ Die Zwillinge atmeten Ruckartig ein.

„Was?“ fragte Luna.

Leo verstand nicht, was der Drache den beiden sagen wollte. Er wurde wütend und gestikulierte wild, während er sprach: „Aber… Yusei ist unser Freund! Er hat uns nie im Stich gelassen, warum sollten wir ihm nicht trauen können? Ohne ihn hätten wir ja nicht mal unsere Male wieder!“

„Leo hat Recht!“ unterstützte ihn seine Schwester „Egal, wie brenzlich die Lage war, Yusei war immer für uns da und hat uns geholfen! Warum sagst du dann plötzlich, wir könnten ihm nicht trauen?!“

„Es geht nicht darum, dass ihr ihm jetzt nicht trauen könnt, sondern in der Zukunft. Ich kann euch den Grund nicht nennen, aber ich sah in meiner Vision wie er euch bald absichtlich schaden wird. Vielleicht nicht heute. Vielleicht nicht morgen, aber in naher Zukunft.“

Die Zwillinge waren nun beide wütend. „Das ist Unsinn! Das kann nicht sein! Antiker Feendrache, du musst dich irren!“ sprachen die beiden wild durcheinander. Plötzlich hörten sie ein Brüllen und waren schlagartig ruhig.

Regulus baute sich vor den Beiden auf. „Ich weiß, es ist nicht leicht zu verkraften, aber Antiker Feendrache meint es nur gut mit euch. Was immer sie in ihrer Vision gesehen hat, sie gibt euch diesen Rat nicht um euch zu kränken!“

„Regulus hat recht“ sprach der Drache weiter. „Gebt einfach nur gut auf ihn Acht. Ich hoffe für uns alle, dass ich mich irre.“
 

Mit diesen Worten entließ Antiker Feendrache die Zwillinge. „Ich kann euch leider nicht mehr sagen, meine Lieben. Geht zu euren Freunden und bereitet euch auf den Kampf vor. Und seid Vorsichtig“ hatte sie ihnen noch mit auf den Weg gegeben. Regulus begleitete die beiden noch bis vor den Tempel und verabschiedete sich. „Wenn ihr irgendwie in Gefahr geratet, ruft mich. Ich werde euch beschützen.“ Leo nickte mit einem Lächeln. Luna legte zaghaft eine Hand in seine Mähne. „Danke, Regulus. Ich hoffe alles wird gut!“ sie umarmten den Löwen und hielten sich dann wieder an den Händen. Erneut umhüllte sie eine Lichtsäule, die sie zurück zu ihren Freunden bringen würde.
 

~*~
 

„Sie sind jetzt schon seit einer Weile weg“ sagte Akiza und lehnte sich an Yuseis Schulter. „Ich hoffe, es ist nichts passiert.“

Sie saßen auf dem Sofa und warteten seit einer gefühlten Ewigkeit auf die Ankunft ihrer jüngeren Freunde. Crow saß mit verschränkten Armen im Sessel neben ihnen und versuchte sie aufzumuntern „Ach was! Die beiden sind stärker als sie aussehen. Außerdem kennt sich Luna in der Geisterwelt aus! Den Beiden wird es schon gut gehen.“

Yusei nickte und schenkte ihr ein Lächeln. „Crow hat Recht, den Beiden wird nichts passieren.“ Er gab ihr einen Kuss in ihr rotes Haar, doch auch er machte sich furchtbare Sorgen.

„Sag mal, Yusei“ begann Crow und sah zu ihm. „Meinst du wir sollten Jack anrufen? Was auch immer die Zwillinge rausfinden, er sollte es hören.“

„Du kannst es versuchen, aber als er ging, war er stinksauer. Er braucht etwas Zeit um alles zu verarbeiten, schließlich ist auch Carly in Gefahr.“ Die dunkelhaarige Reporterin war für Jack mehr als nur eine Freundin. Selbst nach all diesen Jahren machte er sich nach Yuseis Ansprache zuerst Sorgen um sie. Er würde es nie zugeben, doch er war nach acht Jahren, in denen sie sich nicht gesehen hatten, immer noch in sie verliebt. Der Wissenschaftler seufzte. ‚Was für eine verfahrene Situation‘ dachte er und beobachtete Crow, wie er vergeblich versuchte Jack zu erreichen. Irgendwann sprach er ihm kurz auf die Mailbox. „Hey Alter, jetzt geh endlich ran! Die Zwillinge sind in der Geisterwelt und versuchen mehr rauszufinden, vielleicht solltest du herkommen und dir anhören, was sie zu sagen haben, wenn sie wiederkommen. Carly geht’s gut! Du hast Yusei gehört, sie wird beschützt! Also bis gleich, verdammt nochmal!“ Dann legte er wütend auf. „AHH dieser Kerl!“ sagte er und kratzte sich mit beiden Händen am Hinterkopf. „Kann der nicht einmal nachdenken, bevor er Hals über Kopf irgendwo hinrennt?!“

Yusei lachte und sah zu seinem Freund. „In der Hinsicht nehmt ihr euch beide nicht viel.“

Auch Akiza musste schmunzeln und sah ihn an.

Crow warf ihnen einen genervten Blick zu, lenkte jedoch ein. „Ja, ja. Manchmal bin ich vielleicht auch etwas stur, aber er setzt dem ganzen noch die Krone auf!“ Ein Klingeln ließ sie alle Richtung Flur sehen. „Na endlich!“ sagte der orangehaarige und stiefelte zur Tür. Akiza setzte sich aufrecht hin, um Jack zu empfangen, da hörten sie plötzlich Crows wütende Stimme. „Bist du komplett bescheuert?!“

Yusei stand auf und ging ein paar Schritte auf den Flur zu. „Was ist denn jetzt los?“ murmelte er. Als er den Grund für Crows Aufstand sah, riss er seine Augen weit auf und blieb wie angewurzelt stehen.

„Was ist denn los?“ fragte Akiza, aber einen Moment später verstand sie.
 

„Carly?“ sagte sie überrascht. Der Angesprochenen war die Sache sichtlich unangenehm. Sie rückte ihre Brille zurecht und wurde feuerrot. „Äh… Hi… Also ich, wie soll ich sagen. Ich weiß selbst nicht, warum ich hier bin. Jack sagte irgendwas von Gefahr und ich solle mitkommen und… naja… hier bin ich.“ Sie drehte sich um zu Jack und Crow, die nun ebenfalls im Wohnzimmer angelangt waren. „Und was… mach ich jetzt hier?“ fragte sie nervös und sah zu Jack.

„Das würde ich auch gerne wissen!“ Crow blitzte Jack wütend an. „Was hast du dir dabei gedacht?! Wir haben das doch besprochen!“

„Nein“ sagte dieser bestimmt und sah seinem Freund mit einem giftigen Blick an. „Ihr habt das besprochen. Ich habe gesagt, ich suche Carly!“

Crow platzte der Kragen. „Du Idiot! Warum willst du sie in die Sache mit reinziehen!“

Yusei hielt ihn zurück. „Das reicht, Crow. Jetzt ist es auch zu spät!“

Er schnaubte und ließ von dem langen Blonden ab. „Schön, wie du willst, aber du darfst ihr die Sache selbst erklären!“ Mit diesen Worten ging er auf die Terrasse um frische Luft zu schnappen und wieder runterzukommen.

„Was ist denn hier los?“ fragte Carly verwundert und sah von einer Person zur nächsten. Sie verstand nicht, warum sich alle so seltsam benahmen.

Yusei seufzte. „Lange Geschichte.“

„Die Kurzfassung“ sagte Jack „Es besteht die Möglichkeit, dass du, Kalin und Misty wieder zu finsteren Auserwählten werden könntet. Wir haben unsere Drachenmale wieder und irgendwelche Dämonen bedrohen die Stadt.“ Dann sah er zu Yusei und ergänzte: „Hab ich was vergessen?“

Dieser senkte den Kopf und schüttelte ihn ungläubig, ehe er sich wieder an Jack wandte. „Das trifft es in etwa. Die Zwillinge sollten bald wieder da sein, dann wissen wir vielleicht mehr.“

Carly stand da wie vom Donner gerührt. Sie? Wieder eine finstere Auserwählte? Sie konnte sich an ihre Zeit bei dieser dunklen Organisation nicht erinnern, doch sie wusste, dass sie damals schreckliche Dinge unter dem Einfluss dieser Macht getan hatte.

„Entschuldige, Carly“ sagte Akiza. Die Reporterin zuckte zusammen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass ihre Freundin an ihre Seite gekommen war. „Wir wollten dich nicht ängstigen, aber einigen von uns“ dabei warf sie Jack einen eiskalten Blick zu. „Dachten, es wäre besser dir die Details zu verschweigen. Es stimmt was Jack sagt, aber wir lassen nicht zu, dass das passiert!“

„Naja…“ begann sie und sah Jack an. „Natürlich habe ich Angst, aber so kann ich mich zumindest darauf einstellen.“ An Akiza gewandt fügte sie noch hinzu: „Aber ein paar mehr Details wären schon interessant!“ Ihre Freundin schmunzelte, doch darin lag auch etwas Trauriges. Sie nickte und bot ihr einen Platz auf dem Sofa an. Jetzt kam auch Crow endlich wieder dazu, doch er ignorierte Jack so gut es ging. Als Yusei gerade den Mund aufmachte, um Carly etwas mehr zu erklären, wurde das Zimmer von einer weißen Lichtsäule erhellt. Alle kniffen die Augen ob der plötzlichen Helligkeit zusammen oder hielten sich einen Arm vors Gesicht. Carly schrie und vergrub ihr Gesicht an Jacks Brust. Die Säule verschwand und die Zwillinge standen plötzlich mitten im Raum. Als Carly wieder hochlugte, riss sie die Augen auf. „Wie… wie ist das denn möglich?“ hauchte sie. Crow sah immer noch etwas genervt zu ihr. „Lange Geschichte.“

„Leo, Luna! Wir sind froh, dass es euch gut geht“ rief Akiza und ging zu den Zwillingen.

Yusei war an ihrer Seite. „Hat Antiker Feendrache irgendetwas sagen können?“
 

Luna lächelte und nickte.

„Lass mich raten…“ murmelte Carly, wandte sich dabei an Jack.

Dieser schenkte ihr ein leichtes Grinsen. „Ja, vermutlich eine lange Geschichte.“

Sie seufzte. "War ja klar."

Geständnis

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Training

//Yusei//
 

Ich saß auf unserer Terrasse und trank meinen morgendlichen Kaffee, während ich die aktuellen Nachrichten überflog. Ich suchte gezielt nach allem, was auf diese Dämonen in meinen Alpträumen hinweisen könnte. Angriffe, weitere Explosionen oder Erscheinungen, doch ich konnte nichts finden. Erleichtert legte ich das kleine Holo-Gerät auf den Tisch und betrachtete den Anblick vor mir. Die Sonne warf ihre goldenen Strahlen auf die Stadt, die sich vor mir erstreckte, und ich ließ meinen Blick über die Skyline wandern. Ich liebte diese Stadt. Liebte das Leben, das ich mir hier aufgebaut hatte. Unwillkürlich lächelte ich bei dem Gedanken, dass unsere Terrasse bald vom Lachen eines Kindes erfüllt werden würde. Ich brauchte einige Zeit, ehe ich verstanden hatte, was Akiza mir gestern erzählt hatte. Sie war wirklich schwanger. Wir würden bald ein Kind bekommen. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Leider wollte sie noch bis zur zwölften Woche warten, ehe wir es unseren Freunden erzählen würden, aber ich respektierte ihre Entscheidung.
 

„Irgendwas neues?“ fragte eine sanfte Stimme hinter mir.

Ich lächelte und blickte über meine Schulter. „Nein, nichts Interessantes. Hast du was von den anderen gehört?“

Während ich sprach, ging Akiza auf den freien Stuhl neben mir zu und setzte sich. „Ja, Crow hat vorhin geschrieben. Wir treffen und gegen Mittag bei Leo und Luna.“

Ihr Blick war auf den Boden gerichtet und sie schien besorgt zu sein. Ihre Hände waren in ihrem Schoß gefaltet. „Was ist los?“ fragte ich leiste.

Sie sah auf und musterte mich einen Augenblick lang. „Sag mal… findest du nicht, wir sollten die Hochzeit verschieben?“

Die Frage überraschte mich nicht. Auch ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, die Hochzeit vorerst abzusagen. Aber es gab einfach zu viele Ungereimtheiten. „Ich glaube, es wäre unklug sie zu verschieben. Was sollten wir unseren Gästen sagen? Wir würden von allen Seiten gelöchert werden und könnten nichts erklären. Und wenn der Angriff mit der Hochzeit zusammenhängt, und nicht mit dem Datum, verschieben wir die Bedrohung nur nach hinten, anstatt uns ihr zu stellen.“

Akiza senkte wieder ihren Blick und spielte nervös mit ihren Fingern. „Hm.“

Ich legte eine Hand auf ihre und lächelte sie an. „Hey, mach nicht so ein Gesicht. Es wird alles gut gehen. Wie oft haben wir zusammen schon schlimme Zeiten oder Katastrophen durchgestanden? Wenn unsere Freunde an unserer Seite sind, können wir nur gewinnen, nicht wahr?“

Auf Akizas Lippen zeichnete sich ein kleines Lächeln ab. „Du hast Recht.“

Ich lehnte mich zu ihr, gab ihr einen Kuss auf die Schläfe und strich dabei sanft über ihren Bauch. „Ich geh jetzt ins Bad und dann sollten wir uns langsam auf den Weg machen, was meinst du?“

Als Antwort bekam ich ein zaghaftes Nicken. Sie machte sich noch immer Sorgen, aber ich konnte es ihr nicht verübeln. Auch wenn ich es zu verbergen wusste, ich hatte Sorge, wie dieser Tag ablaufen würde.
 

~*~
 

Als wir mit unseren D-Wheels ankamen und die Wohnung der Zwillinge betraten, waren schon alle versammelt. Luna und Carly unterhielten sich angeregt über irgendetwas. Crow und Leo fochten an dem niedrigen Couchtisch gerade ein Duell gegeneinander aus. Jack lehnte an der Wand und beobachtete das Geschehen. Ich hob die Hand zur Begrüßung, mit der anderen hielt ich die von Akiza.

„Auch schon da?“ schmunzelte Crow.

Leo lachte. „Das sagt der Richtige!“

Crow schielte ihm beleidigt von der Seite zu, ließ es aber auf sich beruhen.

„Jetzt, da wir alle da sind, können wir ja anfangen!“ verkündete Luna fröhlich.

Jack schnaubte. „Und wie hast du dir das vorgestellt? Wir haben keine Ahnung wie wir irgendwelche Kräfte nutzen können oder was wir tun sollen.“

„Also eigentlich…“ begann Leo mit einem stolzen Grinsen.

Ich sah ihn überrascht an. „Habt ihr was rausgefunden?“ Nun wurde auch der Rest hellhörig, schließlich hatten wir nur diesen und den nächsten Tag, bevor die Hochzeit stattfinden würde und wir diese Kräfte beherrschen sollten.

„Ich nicht, aber Luna!“ entfuhr es ihm aufgeregt.

Sie nickte. „Ja, heute Morgen! Ich saß auf meinem Bett und hatte Antiker Feendrache in der Hand. Dann hab ich überlegt, was sie und Yusei gesagt haben! Ich habe mich auf sie konzentriert und dachte nur daran, dass ich diesen Schild erzeugen will, von dem sie sprach. Da leuchtete mein Mal und es hat geklappt!“ Man konnte ihr ansehen, dass sie wirklich stolz darauf war und ich musste schmunzeln.

„Das ist ja großartig Luna!“ sagte Akiza und schenkte ihr ein Lächeln.

„Danke! Ich kann ihn aber noch nicht lange stabil halten. Um ehrlich zu sein, nur ein paar Sekunden.“

Crow reckte die Faust in die Höhe. „Hey, das ist doch schon ein Anfang! Wie wäre es mit einer kleinen Kostprobe?“

Lunas Wangen nahmen eine rosarote Farbe an, dann nickte sie. Sie nahm Antiker Feendrache aus ihrer Deckbox, sah sie kurz an und schloss ihre Augen. Die Sekunden strichen dahin, während alle Blicke auf der jungen Duellantin ruhten. Plötzlich fing ihr Arm an zu glühen und die leuchtende Kralle des feuerroten Drachen war zu erkennen. Überrascht stellte ich fest, dass sich um Luna herum langsam ein durchscheinend roter Schild zu bilden schien, der nach wenigen Sekunden wieder verschwunden war. Es war dasselbe schimmernde Rot der Kugeln aus meiner Vision.

„WOW!“ sagte Carly und ihre Augen hinter ihrer Brille weiteten sich.

Jack ging auf sie zu. „Okay, das war ganz nett. Aber wir wissen immer noch nicht, ob er funktioniert oder nur eine Erscheinung war.“

„Und was schlägst du vor?“

Jack musterte mich ernst. „Luna soll ihn noch einmal erzeugen und wir werden sehen, ob der Schild meinen Angriff abhält.“ Er ballte die rechte Hand zur Faust. Ich sah ihn überrascht an. Ist das sein Ernst?

„Hast du nen Knall?!“ platzte es aus Crow heraus. „Du willst Luna angreifen? Was ist, wenn sie sich verletzt?“

„Dann hat sie im schlimmsten Fall einen blauen Fleck oder eine kleine Platzwunde, ich werd ihr schon nicht ins Gesicht zielen. Außerdem haben wir hier eine ausgebildete Kinderärztin und einen Auserwählten, der angeblich Heilkräfte besitzen soll, wenn ich mich nicht irre.“

Leo schluckte. Akiza sah besorgt zwischen Jack und Luna.

Plötzlich trat Carly einen Schritt auf uns zu. „Naja, mir gefällt die Vorstellung auch nicht, dass Luna verletzt wird. Aber anders finden wir wirklich nicht heraus ob dieser Schild funktioniert, oder?“ Ihr Blick wanderte zu Luna. „Aber letzten Endes ist es deine Entscheidung.“

Luna überlegte nicht lange bis sie ihre Antwort hatte. „Ich will es versuchen!“

„Bist du sicher?“ fragte Leo besorgt.

Sie nickte entschlossen. „Jack hat Recht! Wir müssen es versuchen, viel Zeit haben wir nicht!“ An Jack gewandt fügte sie hinzu: „Also, bist du bereit?“

Er grinste und gab ihr ein zustimmendes Nicken.

Bis auf ihn traten alle ein paar Schritte zurück und beobachteten die Beiden.
 

Luna nahm ihre Karte vor die Brust und konzentrierte sich wieder auf den Schild, der sie einige Sekunden später wieder in ein schimmernd rotes Licht hüllte. Jack holte aus und schlug mit der Faust zu, so kräftig er konnte. Tatsächlich hielt der Schild den Schlag auf, doch nicht nur das: Er schleuderte ihn mit vielfacher Kraft zurück, woraufhin er quer durch den Raum flog. Ich versuchte zu reagieren und ihn noch abzufangen, wurde durch die Wucht des Aufpralls aber ebenfalls einige Meter nach hinten befördert. Mit einem Schlag wich alle Luft aus meinen Lungen und ich landete mit Jack auf dem harten Boden.

„Jack! Yusei!“ hörte ich einige Stimmen, die sich auf uns zu bewegten. Schnelle Schritte waren zu hören und jemand half mir auf. Ich saß aufrecht auf dem Boden und mit jedem Atemzug wurde meine Brust von einem Schmerz durchzogen. Das Gefühl war mir nicht unbekannt. Ich hatte mir wohl einige Rippen geprellt. „Alles in Ordnung?“

Ich sah wieder auf und versuchte mich an einem Lächeln. „Ja, es geht schon, mach dir keine Sorgen“ versuchte ich sie zu beruhigen. Allerdings brauchte ich ihr nichts vorzumachen, denn sie sah mir an, dass ich Schmerzen hatte.

„Oh nein! War ich das?“ Ich richtete meinen Blick wieder nach vorn und sah Luna auf uns zu rennen. Einige Schritte vor Jack und mir blieb sie stehen und sah geschockt aus.

„Argh, was war das denn?“ stöhnte Jack neben mir und rieb sich den Kopf. Sein linker Arm hing schlapp an seiner Seite. An seiner Seite waren Carly und Leo, um ihm aufzuhelfen.

Akiza betrachtete meinen Brustkorb genauer und tastete ihn ab. Dabei zuckte ich unwillkürlich zusammen. „Vermutlich ein paar geprellte Rippen“ sagte sie schließlich und zog das Shirt wieder nach unten.

Luna schluchzte. Verwundert sah ich auf. Eine Träne bahnte sich den Weg hinab über ihre Wange. „Tut… tut mir leid. Jack… Yusei… das wollte ich nicht!“ Dann vergrub sie ihr Gesicht in ihren Händen und wimmerte.

Akiza sah sie aus mitleidigen Augen an. Sie kannte das Gefühl. „Luna…“ murmelte sie.

Leo war schnell an der Seite seiner Schwester. „Hey, beruhige dich Luna! Das war doch keine Absicht! Und freu dich lieber, der Schild funktioniert!“ Er grinste sie an.

Jack stand mit Carlys Hilfe wieder auf und trat an Lunas Seite. „Leo hat Recht, er funktioniert sogar besser als gedacht.“

Sie nahm ihre Hände aus dem Gesicht, wischte die Tränen beiseite und betrachtete ihren lädierten Freund. „Ich… hab euch verletzt!“

Jack grinste. „So ein Schwachsinn, du hast dich verteidigt! Das ist was anderes.“

Lunas Blick wanderte wieder zu mir. Ich saß noch immer mit Akiza am Boden. Ihr gequälter Gesichtsausdruck brach mir fast das Herz und ich versuchte, sie ein wenig aufzumuntern. „Mach dir nichts draus, das heilt schnell wieder.“ Auch Akiza nickte Luna aufmunternd zu.

Leo funkelte mich aufgeregt an. „Hey! Jetzt kann ich es ja mal versuchen!“

Crow sah ihn irritiert an. „Bist du dir ganz sicher? Fang lieber mit Jack an, der heiratet nicht in zwei Tagen!“

„So ein Blödsinn“ erwiderte der Blonde. „Mir fehlt nichts!“

„Ach Nein?“ meinte Crow schelmisch und klopfte ihm einmal gegen die Schulter.

„Argh!“ Jack griff mit dem anderen Arm nach Crows Kragen. „Du Penner!“

Doch als Antwort erhielt er nur einen belustigten Blick.

„Crow!“ beschwerte sich Carly und alle Umherstehenden mussten etwas schmunzeln. Selbst Luna musste nun wieder lächeln und wischte die letzten Tränen aus ihrem Gesicht. Ich war mittlerweile wieder auf den Beinen und Akiza war an meiner Seite.

„Jetzt reicht‘s aber wieder!“ sagte sie und brachte die beiden Streithähne mit einem strengen Blick dazu, voneinander abzulassen.

Jack schnaubte.

„Also Leo“ fuhr sie fort und wandte sich zu ihm. „Meiner Meinung nach ist Jacks Schulter das dringlichere Problem. Eine Prellung ist unangenehm, heilt aber mit der Zeit von selbst aus. Seine Schulter sollte aber entweder in einer Schlinge stecken, oder sie wird nicht ausheilen.“

„Ist das dein Ernst?“ grummelte Jack und warf ihr einen genervten Seitenblick zu.

Akiza nickte freundlich in seine Richtung.

Leo hibbelte von einem Bein aufs andere. „Komm schon, Jack! Ich will es probieren!“

Dieser schloss die Augen und atmete geräuschvoll aus. „Na schön.“
 

„Yes!“ Leo holte schwungvoll seinen Lebensstromdrachen aus der Deckbox und tat es seiner Schwester gleich. Er hob den Drachen auf Brusthöhe und konzentrierte sich auf ihn. Nach einigen Minuten passierte immer noch nichts. Er zuckte mit der Augenbraue und stöhnte laut auf, was jeden Umstehenden zusammenzucken ließ. Ich versuchte, aufgrund der plötzlichen Bewegung, einen Schmerzenslaut zu unterdrücken. Anscheinend bemerkte es niemand.

„Brüll doch nicht so rum, Leo!“ tadelte ihn seine Schwester.

Dieser sah sie geknickt an. „Aber es passiert einfach nichts. Ich weiß nicht, was ich falsch mache!“

„Hmm, versuch dich mal auf seine Verletzung zu konzentrieren, statt auf deinen Lebensstromdrachen. Vielleicht hilft es, wenn du Jack mit deiner freien Hand an der Schulter berührst.“ Akizas Vorschlag war nicht schlecht. Leo nickte und legte die Hand auf Jacks Schulter, was diesen leicht zusammenzucken ließ. Er hob den Drachen erneut und schloss die Augen. Nach kurzer Zeit erstrahlte sein Mal in feuerrotem Licht. Die Augenblicke verstrichen und Jack sah verwundert auf. Sein Gesicht entspannte sich etwas. Erschöpft brach Leo ab und atmete schwer. Das Licht erlosch und Jack stand auf. „Und?“ fragte Carly.

Jack hob und senkte seinen Arm und ließ ihn leicht kreisen. „Besser“ sagte er. Er war zwar noch immer etwas eingeschränkt und hatte bei einigen Bewegungen noch leichte Schmerzen, aber die würde er auf jeden Fall aushalten. Er drehte sich Leo um. „Danke“ murmelte er.

Dieser hatte seine Atmung wieder halbwegs im Griff, grinste ihn an und hob den Daumen. „Kein Problem!“

„Denks du, du schaffst das nochmal?“ fragte ihn Crow und zeigte auf mich.

Leo überlegte kurz. „Wenn ich ehrlich bin, brauch ich ne kurze Pause. Das ist anstrengender als gedacht!“ Bei näherem Hinsehen konnte man erkennen, dass Leo die Schweißperlen auf der Stirn standen.

„Na schön, dann versuch ich es mal“ sagte Jack und holte seinen Rotdrachen-Erzunterweltler hervor.

„Warte!“ unterbrach ihn Carly.

Verdutzt sah er sie an. „Was ist denn los?“

„Naja“ begann sie und wurde ein wenig rot, doch sie fasste sich schnell wieder. „Der Antike Feendrache sagte doch, deine Fähigkeit wären Zerstörung und Flammen…“

„Ja, und?“

„Jack, sieh dich mal um“ lachte Akiza. „Willst du die Wohnung in Schutt und Asche legen?“

„Akiza hat recht“ warf Luna ein. „Es wäre das Beste, wir gehen hoch aufs Dach, da kann man eigentlich nichts kaputt machen.“
 

Oben angekommen, postierten sich alle etwas abseits von Jack, sodass er allein inmitten des großen Platzes stand. Er atmete tief durch und sah seinen Drachen an, dann schloss auch er seine Augen. Sein Mal leuchtete auf und wir beobachteten gespannt, was gleich passieren würde. Um ihn herum bildete sich ein kleiner, schmaler Ring aus Feuer, doch nach einigen Sekunden zerstreuten sich die Flammen und erloschen. Er versuchte es erneut, aber das Ergebnis war dasselbe.

„Das ist ja nicht sonderlich beeindruckend“ murmelte Crow und verschränkte die Arme vor seiner Brust.

„Pst!“ harschte Carly ihn an und legte einen Finger an ihre Lippen. „Sei leise, sonst kann er sich nicht konzentrieren!“

Plötzlich öffnete Jack seine Augen und betrachtete die Karte in seiner Hand. Einige Momente lang stand er regungslos da. Dann nickte er und verstaute seinen Drachen in seinem Deckhalfter. „Was hat er denn jetzt vor?“ murmelte Leo und sah seine Schwester an. Diese zuckte nur mit den Schultern.

Jack schloss wieder seine Augen und hob die Unterarme auf Höhe seines Bauches. Die Hände hielt er fast so, als würde er eine große Schale Wasser tragen. Akiza legte den Kopf schief und zog die Augenbrauen zusammen. „Was wird das?“ Auch ich hatte keine Ahnung, was da vor sich ging. Plötzlich bildete sich eine Kugel aus Feuer in Jacks Händen. Erschrocken öffnete er seine Augen wieder und die Kugel flog unkontrolliert einige Meter weiter. Mit einem lauten Knall schlug sie im Betongeländer ein. Ich betrachtete den Einschlagspunkt. Die Stelle, an der die Kugel den Beton getroffen hatte, war rußschwarz und es hatten sich ein paar Risse gebildet.

„Gleich nochmal!“ feuerte ihn Leo an. Gesagt getan, doch dieses Mal wusste Jack, was auf ihn zukommen wird. Erneut formte er einen Feuerball und hielt ihn schließlich ein paar Sekunden konstant auf einer Größe, bevor er einfach verpuffte. Genervt ballte Jack die Hände zu Fäusten und knurrte. Sein Mal erlosch. Man sah ihm die Anstrengung deutlich an.

„Hey, kurze Pause!“ rief Crow. Verwundert ruhten nun alle Blicke auf ihm.

„Ich bin noch nicht fertig!“ antwortete Jack.

Crow gab einen genervten Laut von sich. „Ja, ich weiß, aber mach ne kurze Pause, sonst kannst du deine Feuerbälle nicht mehr an meinem Schild ausprobieren!“

„Warte, was?“ mischte ich mich ein. „Du willst wirklich, dass er die Dinger auf dich abschießt?“

Crow sah mich entschlossen an. „Naja, Antiker Feendrache meinte doch, ich könnte auch einen Schild erzeugen, aber meiner würde magische Angriffe zurückwerfen. Um das zu testen brauch ich eine von Jacks Feuerkugeln. Würde doch passen, oder?“ Ich seufzte. Er trug das mit einer solchen Selbstverständlichkeit vor, dass ihm das vermutlich niemand ausreden konnte.

„Zuerst will ich die Dauer testen, bevor du mich abfackelst!“ Crow stellte sich ein paar Meter entfernt von Jack auf und wiederholte die Vorgehensweise von Luna. Auch ihn umschloss ein rötlicher Schleier, der nach einigen Sekunden wieder verschwand. Beim zweiten Mal jedoch, konnte er den Schild fast doppelt so lang aufrechterhalten. Er öffnete die Augen und grinste Jack zu. „Kann losgehen!“

Jack betrachtete ihn skeptisch und nickte.

Carly sah nervös zwischen den beiden hin und her. „Also entweder klappt es nicht und Crow wird verletzt, oder es klappt und der Angriff wird zurückgeworfen, sodass Jack verletzt wird.“

Luna versuchte sie zu beruhigen. „Mach dir keine Sorgen, die beiden werden schon wissen, was sie tun!“

Ihr Optimismus in allen Ehren, aber das war ein verdammt gefährlicher Weg das rauszufinden. Jacks physischer Angriff auf Luna war eine Sache, aber diese Feuerbälle waren verdammt gefährlich.
 

Crow baute seinen Schild wieder auf, während Jack erneut eine Feuerkugel formte. Dieses Mal schleuderte er sie gezielt auf Crow zu, bevor sie wieder verschwinden konnte. Ich beobachtete gespannt das Szenario und hoffte, es würde gut ausgehen. Der Feuerball raste auf Crow zu und traf seinen Schild, wo er einen Augenblick auf der Oberfläche verweilte und zurückflog, bevor Crow seine Verteidigung nicht mehr halten konnte und den Schild abbrach. Währenddessen schnellte der Feuerball direkt auf Jack zu, der keine Zeit mehr hatte auszuweichen. Verdammt! „JACK!!“ riefen einige Stimmen panisch. Er setzte einen Fuß nach hinten und schützte mit seinen Armen sein Gesicht. Nur Millimeter bevor ihn die Flammen trafen, drifteten sie auseinander und bildeten wieder den Ring, den Jack am Anfang erzeugt hatte. Verwirrt sah er sich um. „Was war das denn?“ murmelte er.

Ich atmete erleichtert auf. Carly war noch immer leichenblass und rannte auf Jack zu. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust und schlug mit der Faust etwas kraftlos dagegen. „Mach das nie wieder! Du kannst mich doch nicht so erschrecken, du Idiot!“

Er seufzte. „Schon gut.“ Dann nahm er sie bei den Schultern und schob sie ein Stück von sich weg, damit sie ihn ansah. „Mir geht’s gut, siehst du?“

„Hey, ihr zwei Turteltauben, kann’s weitergehen?“ rief Crow.

Carly sah geschockt aus und blickte wieder hoch zu Jack, der sie beruhigte. „Schon gut, ich weiß langsam was ich tue! Geh wieder zu den Anderen.“

Bedrückt folgte sie seiner Bitte.

Crow und Jack wiederholten das Ganze noch einige Male und es lief jedes Mal so ab, wie beim ersten Versuch. Crow schaffte es am Ende sogar, den Schild so weit auszudehnen, dass er mehrere Personen damit hätte schützen können, bevor er vor Erschöpfung in die Knie ging. Auch Jack war langsam am Ende seiner Kraft.

„Na gut, ich bin dran. Macht mal Pause ihr zwei!“ rief Akiza und ging auf den Platz zu.

Ich konnte nicht anders, als mir Sorgen um sie zu machen. Seit ich wusste, dass sie schwanger war, wollte ich sie aus der ganzen Sache eigentlich raushalten. Mir war bewusst, dass sie stark war, doch konnte sie es mir nicht verübeln, dass ich Angst um sie hatte. Und um unser ungeborenes Kind.

Als Crow bei uns ankam, setzte er sich an das Betongeländer und lehnte sich erschöpft an. Jack tat es ihm gleich.

„Alles gut bei euch?“ fragte Luna.

Crow grinste. „Unkraut vergeht nicht! Mal sehen wie sich Akiza schlägt.“
 

Auch sie hatte ihren Schwarzen Rosendrachen in der Hand. „Na schön, meine Süße, zeigen wir ihnen was wir können!“ sagte sie lächelnd und schloss die Augen. Ihr Mal leuchtete augenblicklich auf. Als sie anfing sich zu fokussieren, zog ein kalter Wind auf und umspielte ihren Körper. Ihre langen, roten Haare folgten der Bewegung der Brise. Auch um ihre Beine bildete sich ein Ring, wie bei Jack. Aber nicht aus Feuer, sondern kleinen Rosenblüten, begleitet von einem schwarzen Schleier. Sie öffnete verwundert ihre Augen und sah von ihrem Drachen rüber zu Jack. Er nickte ihr zu. Auch sie steckte ihren Drachen zu den übrigen Karten ihres Decks.

„Wird das jetzt das Gleiche, wie bei Jack?“ fragte Leo.

„Sieht so aus…“ sagte ich und beobachtete jede ihrer Bewegungen.

Sie atmete tief durch die Nase ein und dann geräuschvoll durch den Mund wieder aus. Dann öffnete sie ihre Augen und streckte die Arme aus, als wolle sie etwas greifen. In einiger Entfernung stand ein großer Pflanzenkübel mit einem Ficus, den sie zu fixieren schien. Der Wind wurde stärker, die Rosenblüten tanzten in einem Wirbel über den Boden und aus dem Pflanzenkübel wuchs mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit eine dicke Dornenranke, die das Bäumchen aus der Erde fegte.

„Wow, wo kommt die denn her?“ stieß Luna hervor.

Auch ihr Bruder schien beeindruckt. „Wahnsinn!“

Ich musste schmunzeln. Das passt zu dir, Akiza.

Sie bewegte ihre Arme in flüssiger Abfolge und die Ranke schlängelte sich wie eine riesige Schlange über den Boden und umschloss einen weiteren großen Blumentopf, der ohne große Mühe in die Luft gezogen wurde und zersprang. Einige Augenblicke später verließ auch sie die Kraft und die Ranke fiel zu Boden. Sie atmete schwer, hatte aber ein Lächeln auf den Lippen.

„Yusei ist dann wohl der letzte!“ sagte Leo und wandte sich mir zu. „Warte kurz, ich versuch vorher das Gleiche wie bei Jack vorhin, ja?“

Ich nickte zur Zustimmung.

Leo legte mir die Hand auf die Brust und schloss die Augen. Sein Mal begann zu leuchten. Langsam aber stetig hörte der pochende Schmerz, der von meinen Rippen ausging, auf und ich fühlte mich wieder wie vor dem kleinen Unfall im Wohnzimmer. „Danke, Leo“ sagte ich mit einem Lächeln und erntete sein freudiges Grinsen.
 

Schlussendlich trat auch ich in die Mitte des Platzes. Ich hatte keine Ahnung, was ich genau zu tun hatte, denn anders als bei meinen Freunden, konnte Antiker Feendrache nicht sagen welche Kraft ich hätte. Ich zog meine Lieblingskarte aus meinem Deck und betrachtete sie. Sternenstaubdrache. Wie oft hatte sie mich schon aus brenzligen Situationen befreit und mich gerettet? Sie war mir immer die wertvollste Karte, hatte ich durch sie doch ein so enges Band zu meinen Freunden. Und in diesem Moment würde ich seine Hilfe wieder brauchen, doch war mir nicht bewusst, wie ich es anstellen sollte.

Ich schloss die Augen und verbannte alle Gedanken aus meinem Kopf. Ich konzentrierte mich ganz auf Sternenstaubdrache und spürte die Kraft des feuerroten Drachen durch meinen Körper rauschen. Ich wusste, dass in diesem Moment mein Mal aufleuchtete, doch nichts passierte. Hilf mir, alter Freund. Sag mir, wie ich sie beschützen kann. Eine Weile dachte ich an nichts und konzentriere mich nur auf das Monster in meiner Hand. Meine Gedanken waren frei, selbst das Geräusch des Windes um mich herum hatte ich ausgeblendet. Ich hatte mein Zeitgefühl verloren.
 

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich an die Bilder der Aufnahmen, die ich von Greyger bekommen hatte und daran, wie diese Dämonen wohl die Siegel, die Nazca Linien, gebrochen hatten. Sie brannten sich in meinen Kopf. Schnell versuchte ich, den Gedanken loszuwerden, schließlich musste ich mich konzentrieren. In meinem Kopf hörte ich eine Stimme. Ich kannte sie. Sternenstaubdrache? „Wie du willst“ sagte die Stimme und mein Körper wurde abermals von der Kraft des feuerroten Drachen durchflutet. Stärker als zuvor. Ich riss meine Augen auf. Sah meine Umgebung nur noch als Schemen. Was geht hier vor? Um mich herum breitete sich ein gleißendes Licht aus. Dieses Leuchten kannte ich schon aus meinen Träumen. Erschrocken schrie ich auf und kniff die Augen zusammen. Versuchte mit den Armen, mein Gesicht vor der Helligkeit zu schützen. Dieses Licht war einfach zu hell.

Auf dem Sprung

//Akiza//
 

Es ist schon einige Zeit vergangen, seit Yusei in dieser Lichtsäule verschwand. Keiner von uns konnte sich erklären, wo er stecken könnte. Mein Blick wanderte zu Luna. „Ist er vielleicht in der Geisterwelt?“

Doch sie schüttelte nur den Kopf. „Wenn jemand in die Geisterwelt eintaucht, sieht das anders aus. Ich glaube, das war die Fähigkeit von Sternenstaubdrache.“ Sie sah zu dem Fleck auf dem ihr Freund gerade noch stand. „Wir müssen wohl warten, bis er wieder da ist.“

„Wo er wohl hin ist?“ fragte Leo.

„Hmm, diese Kräfte, die wir einsetzen können, scheinen auf den Effekten unserer Drachen zu basieren, nicht?“ Ich sah Crow erstaunt an. Auch die übrigen Anwesenden sahen überrascht zu ihm. „Naja, mein Drache sammelt den Effektschaden des Gegners und wirft ihn wieder zurück.“

„Stimmt“ murmelte ich. „Diese Dornenraken beschwört mein Drache im Kampf, um die Angriffskraft der gegnerischen Monster zu reduzieren.“

„Ja, und Lebensstromdrache erhöht die Lebenspunkte wieder auf 4000“ wandte Leo ein. „Lunas Drache hat eine starke Verteidigung, deswegen vielleicht der Schild.“

Jack mischte sich ebenfalls in das Gespräch ein. „Und Rotdrachen Erzunterweltler vernichtet Monster mit seinem Höllenfeuer.“

„Aber was ist mit Sternenstaubdrache?“ wandte Luna ein.

Jack sah sie an. „Sternenstaubdraches Effekt ist das genaue Gegenteil meines Drachen. Seiner annulliert eine Zerstörung und nimmt sich dann bis zum Ende des Spielzugs selbst aus dem Spiel.“

„Ich weiß“ antwortete sie. „Aber welche Fähigkeit könnte dann Yusei jetzt haben? Immerhin ist das auch ein Reaktionseffekt!“

„Sie hat Recht“ sagte Carly. „Eben wurde nichts zerstört als er verschwunden ist. Das ergibt keinen Sinn!“ Jack zuckte mit den Schultern. Der Rest wusste auch nicht weiter.

„Naja“ sagte Crow, stand auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Wir können uns den Kopf weiter zerbrechen oder, bis er wieder da ist, mach ich uns erstmal was zu essen. Ich hab Kohldampf, wie steht es bei euch?“ Leos Magen beantwortete die Frage mit einem lauten Knurren. Crow grinste. „Dacht ich‘s mir doch!“

Luna ging an Crows Seite. „Ich helfe dir!“

„Ich auch!“ sagte Leo und lief zu seiner Schwester.

„Ich schließ mich auch an.“ fügte Carly hinzu und die vier verschwanden wieder die Treppe runter in die Wohnung.
 

Jack lehnte noch immer mit dem Rücken an der Betonbrüstung und wir sahen den vieren hinterher. Als sie nicht mehr zu sehen waren, wandte ich mich an ihn. „Was denkst du?“

Er schloss die Augen, verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf in den Nacken. Es dauerte etwas, ehe er antwortete. „Ich weiß es nicht. Dieser Antike Feendrache hätte ruhig ein paar mehr Worte darüber verlieren können!“

Ich setzte mich zu ihm, zog die Beine an und legte meine Arme auf den Knien ab. Mein Blick wanderte zu der Stelle, an der Yusei verschwand. Was könnte die Fähigkeit von Sternenstaubdrache sein? Er opfert sich selbst, um einen Zerstörungseffekt zu annullieren und am Ende des Zuges wird er wieder als Spezialbeschwörung gerufen. Aber was könnte dann Yuseis Fähigkeit sein? „Bis zum Ende des Zuges“ murmelte ich.

Jack warf mir einen Seitenblick zu. „Hm?“

„Naja, was könnte bis zum Ende des Zuges bedeuten? Dass er erst heute Abend wiederauftaucht?“ scherzte ich und sah ihn an.

Er zuckte mit den Schultern. „Wenn es überhaupt was zu bedeuten hat. Bei Luna ist das ja auch eher vage. Interessant wäre eher zu wissen WO er steckt.“
 

Wir saßen noch eine kleine Weile auf dem Dach nebeneinander und schwiegen. Sowohl ich als auch Jack waren noch erschöpft vom Austesten unserer Fähigkeiten. Es war ein seltsames Gefühl als ich diese Ranken erschuf. Es war, als hätte der schwarze Rosendrache zu mir gesprochen. Ich wusste in diesem Moment plötzlich, was ich zu tun hatte. Ich hatte das Gefühl, Jack erging es ähnlich. Unsere Fähigkeiten waren beide auf Zerstörung ausgelegt, aber ich wollte lieber eine wie Leo oder Luna haben. Ich wollte meine Freunde beschützen, und nicht jemandem Schaden. Auch, wenn es Dämonen waren, gegen die ich kämpfen würde.

Ich bin doch Ärztin geworden, weil ich den Menschen helfen wollte. Weil ich früher so viel Leid über die Menschen in meiner Umgebung gebracht hatte. Wäre Yusei damals nicht gewesen, ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre. Vermutlich wäre ich noch immer die schwarze Rose und würde Chaos, Schmerz und Leid verbreiten. Wie ich mein altes Ich hasste. Die Angst, dass die schwarze Rose durch diese Fähigkeit wieder die Oberhand gewinnen könnte, saß tief. Ich schlang meine Arme fester um meine Beine. Nein, das durfte nicht passieren. Nie wieder.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Unsere wichtigste Aufgabe war es jetzt, alle, die uns wichtig waren, zu schützen. Und wenn ich dabei wieder Zerstörung bringen musste, dann war das der Preis, den ich zahlen musste. Für meine Freunde. Für Yusei. Für das kleine Leben, das in mir heranwuchs. Mein Blick schweifte wieder über das Dach und ich sah die kleine Handtasche von Carly. Die Ärmste. Sie wusste über das ganze Chaos bescheid und konnte nichts ausrichten. Warum nur, hatte Jack sie in alles eingeweiht? Was hatte er sich dabei nur gedacht? Ich sah wieder zu ihm und er hatte die Augen geschlossen. Sein Gesicht war dem Himmel zugewandt.

„Jack?“

Ein fragender Laut, aber er blieb weiterhin in seiner Position und hatte die Augen geschlossen.

„Warum ist Carly hier?“

Für einen kurzen Moment sah er mich aus dem Augenwinkel heraus an und musterte mich, dann schloss er seine Augen wieder. „Hab ich doch gesagt. Die Leute vom Sicherheitsdienst sind alles Pfeifen. Ich traue ihnen nicht.“

„Warum glaube ich dir nicht?“

„Was weiß ich. Es ist mir egal, ob du mir glaubst oder nicht. Eine andere Erklärung hab ich nicht.“

Von wegen. Ich glaubte ihm keine Sekunde. Ich setzte ein breites Lächeln auf. „Du liebst sie, nicht wahr?“ Jack zog die Augenbrauen zusammen und warf mir einen bösen Blick zu, aber er konnte mich nicht einschüchtern. Mein Lächeln wurde breiter. Ich hatte wohl einen wunden Punkt getroffen.

„Grins nicht so blöd. Nur weil du bald heiratest denkst du jetzt, jeder wäre so verliebt wie du, aber da irrst du dich gewaltig.“ Sein Blick wanderte über die Hochhäuser der Stadt. „Ich will einfach nur nicht, dass sie wieder so etwas durchmachen muss. Ich will sie nie wieder so sehen müssen.“

Der Ausdruck in seinem Gesicht hatte sich verändert. Er versuchte es zu verstecken, aber er sah verletzt aus. Sein Blick hatte etwas Leidendes. Machte die ganze Sache ihn nach all den Jahren immer noch so fertig? Gedankenverloren betrachtete ich den Ring an meiner Hand und drehte ihn an meinem Finger. Er konnte nicht abstreiten, dass er etwas für sie empfand, das über gewöhnliche Freundschaft hinausging, aber warum wehrte er sich so dagegen? Mit seinem Handeln machte er Carly doch nur Hoffnungen, die sich nie erfüllen werden, wenn er so weitermacht. Unwillkürlich schmunzelte ich etwas. Waren Yusei und ich am Anfang auch so?
 

„Fertig!“ holte mich die freudige Stimme von Leo aus meinen Gedanken. Er balancierte gerade einige Teller und eine Schüssel Richtung Tisch und ich hatte die Befürchtung, dass das nicht lange gut gehen würde.

„Warte, ich helfe dir“ sagte ich während ich aufstand um ihm die Schüssel mit dem dampfenden Inhalt abzunehmen. Es roch köstlich. Nach einiger Zeit waren alle wieder auf der Terrasse versammelt und deckten den Tisch.

„Was gibt es denn, Crow?“ fragte ich und schielte in den Topf.

„Spaghetti Bolognese nach Marthas Rezept!“ antwortete er stolz.

Wir nahmen Platz, doch der leere Stuhl neben mir versetzte mir erneut einen Stich. Wo Yusei wohl steckt? Ich hoffe, es geht ihm gut!

„Guten Appetit!“ rief Leo und hob sein Glas. Ein Grinsen lag in seinem Gesicht. „Darauf, dass wir es geschafft haben!“

„Mensch, Leo“ sagte Luna und deutete mit einem Nicken auf den leeren Platz neben mir. Crow saß neben Luna und legte ihr, zuversichtlich lächelnd, die Hand auf die Schulter. „Ach was, der wird jeden Moment auftauchen! Bis dahin sollten wir erstmal anfangen.“
 

Alle begannen damit zu essen, aber ich stocherte nur missmutig auf meinem Teller herum. Ich hatte keinen Appetit, machte mir viel zu viele Sorgen. Er war jetzt schon eine ganze Weile lang weg. Plötzlich erschien ein heller Lichtblitz in meinem Augenwinkel. Ruckartig drehte ich den Kopf, in der Hoffnung, Yusei wäre wieder da. Und tatsächlich: Da stand er. Erleichterung machte sich in mir breit und ich stand auf um zu ihm zu eilen, doch entsetzt hielt ich in meiner Bewegung inne. Mein Herz setzte einen Schlag aus, ehe es mit beachtlicher Geschwindigkeit gegen meine Rippen pochte. Was ist mit ihm passiert?

Er stützte sich schwer atmend auf seinen Knien ab und war leichenblass. Seine Hände waren blutverschmiert. In seiner zitternden Hand hielt er die Karte seines Drachen. Seine Kleidung war verstaubt und zerschlissen, an seiner linken Schulter waren einige Kratzer und an seinem Oberschenkel war Blut unter einem provisorischen Verband. Auch an seiner restlichen Kleidung konnte ich die frischen, roten Tropfen erkennen. „Yusei!“ rief ich schockiert, nachdem ich meine Starre überwunden hatte und eilte an seine Seite.

„Schon gut“ sagte er müde. Langsam richtete er sich wieder auf und ging, wie ferngesteuert, zu einem der Stühle, die noch am Tisch standen, um sich zu setzen. Ich musste ihn etwas stützen, denn ich hatte das Gefühl, er würde sonst sein Gleichgewicht verlieren. Er ließ sich unbeholfen auf den Stuhl sinken und seufzte schwer. Ich setzte mich ihm Gegenüber und legte meine Hand auf seine Bein. Was ist nur passiert? „Woher kommt das ganze Blut?“ murmelte ich.

Irritiert sah er mich an, ehe sein Blick zu seinen Händen wanderte. Sie zitterten noch immer. „Das ist nicht mein eigenes“ flüsterte er.

Für einen Augenblick hatte ich ganz meine Freunde vergessen, die Yusei sorgenvoll musterten. Jack und Crow waren ebenfalls an seine Seite geeilt. Carly und die Zwillinge saßen völlig entsetzt an ihren Plätzen.

„Wo hast du dich denn rumgetrieben?“ fragte Jack.

Yusei schüttelte den Kopf und versuchte anscheinend seine Gedanken zu ordnen. „Ist nicht leicht zu beantworten“ setzte er mit kraftloser Stimme an. „Beim ersten Mal war ich plötzlich in Peru.“ Er schluckte, die Erinnerung war scheinbar schrecklich. Für einen Moment lag sein Blick in der Ferne. Aber wie zum Teufel kam er denn ans andere Ende der Welt? „Bevor ich den dreh raushatte, war ich aber noch an anderen Orten.“

Alle Anwesenden betrachteten ihn mit einer Mischung aus Angst um ihn, Neugier und Erstaunen. Crow war der Erste, der die aufgekommene Stille durchbrach. „Aber wie das denn? Kannst du dich ernsthaft teleportieren?“

Yusei richtete seinen Blick auf Crow und nickte zaghaft. „Sieht so aus.“

„Aber ich verstehe nicht ganz wie“ murmelte ich. Mit dieser Fähigkeit hatte ich ehrlich nicht gerechnet. Viel mehr Sorgen machte ich mir jedoch um seine Verletzungen. Sein Bein sollte dringend richtig versorgt werden. „Und wieso siehst du so ramponiert aus?“

Yusei sah mich überrascht an und blickte dann an sich herunter. Bis eben war es ihm anscheinend selbst nicht aufgefallen, welchen Anblick er eigentlich bot. Seufzend lehnte er sich zurück und gab uns einen groben Überblick über sein Erlebnis…
 

~ Flashback aus Sicht von Yusei ~
 

Um mich herum breitete sich ein gleißendes Licht aus. Erschrocken schrie ich auf und kniff die Augen zusammen. Versuchte mit den Armen, mein Gesicht vor der Helligkeit zu schützen. Dieses Licht war einfach zu hell.

So schnell, wie das Licht auftauchte, war es auch wieder verschwunden. Langsam ließ ich meine Arme sinken und öffnete meine Augen. Ich stand inmitten einer Wüstengegend, aber irgendwoher kannte ich diese Landschaft. Wie bin ich hierhergekommen? Ich war doch eben noch mit meinen Freunden auf dem Dach eines Wohnhauses in Neo Domino City. Wieso also, stand ich plötzlich in diesem Ödland? Ich sah auf die Karte in meiner Hand. Sternenstaubdrache. Wie hatte mich mein Drache hierhergeschickt? Und warum? Ich verstaute ihn wieder in meiner Deckbox und sah mich um. Der Boden war staubtrocken und übersäht mit einigen Rissen. In der Ferne sah ich eine gewaltige Schlucht. Moment. Ich kannte diesen Ort aus dem Video. Ich war definitiv an der Stelle, an der vor einigen Tagen dieser Riss erschien.

Langsam bewegten mich meine Beine auf die große Schlucht zu, die sich vor kurzem aus dem Nichts gebildet hatte. Jeder Schritt nach vorn wurde schwerer. Ich hatte das Gefühl, diese Umgebung würde alle Kraft aus mir ziehen aber ich konnte nicht stehen bleiben. Ohne nachzudenken lief ich weiter. Am Rand der Schlucht angekommen, zerrte diese dunkle Energie um mich herum weiter an meinen Kräften. Lange konnte ich hier nicht mehr bleiben. Dieser Riss schien unendlich tief und dieser lila-schwarze Nebel, der langsam am Rande der Schlucht hinaufkletterte, schien alles Glück aus mir ziehen zu wollen. Ich muss hier weg.

„Oye! Quién eres tú?” hörte ich eine Stimme, gefolgt von dem Geräusch einer sich schließenden Autotür, und fuhr erschrocken herum. Ich hatte nicht bemerkt, dass jemand hinter mir war. Drei Gestalten kamen aus einem SUV auf mich zu. Zum Glück hatte ich in meinem Auslandssemester vor einigen Jahren Spanisch lernen müssen. Irgendjemand hatte mich gefragt, wer ich bin.

Die Leute kamen näher und ich erkannte ihre Uniformen. Verdammt, die sind vom peruanischen Geheimdienst! Mein Herz raste und jeder Muskel meines Körpers war angespannt. Der große Kerl in der Mitte hatte mich am Flughafen zusammen mit den Chinesen befragt. „Nicht die schon wieder!“ platzte es aus mir heraus. Ich musste hier weg, ehe sie mich auch erkennen konnten. Aber wohin? Hinter mir war eine wer weiß wie tiefe Schlucht und vor mir drei Männer, die immer näherkamen. Sie dürfen mich nicht erkennen! Eine der Bedingungen, warum sie mich freigelassen hatten war die, dass ich Japan für einige Zeit nicht verlassen durfte und unter Beobachtung gestellt werden sollte. Wie sollte ich erklären, dass ich plötzlich in Peru war? Ich konnte es ja nicht einmal selbst.

„Habla!“ riss mich der Typ auf der linken Seite aus meinen Gedanken.

Ich sollte also reden. Ich erkannte, wie sie ihre Hände an die Waffen legten. „Shit!“ fluchte ich leise und sah zu meiner linken. Freies Feld, nichts wo man sich hätte verstecken können. Ich drehe den Kopf auf die andere Seite und entdeckte einen Felsen, am Fuße eines Abhangs. Letzterer war schätzungsweise 50 Meter entfernt. Besser als nichts, vielleicht kann ich mich dahinter verstecken und versuchen auf die gleiche Weise wieder nach Hause zu kommen, wie ich auch hergekommen bin.

Ein letzter Blick auf die Typen, die nur noch etwa 30 Meter entfernt waren, dann rannte ich los. Hinter mir nahm ich die Stimme eines Mannes wahr. „Estarse quieto!“ Natürlich würde ich nicht stehen bleiben. Plötzlich hörte ich einen lauten Knall. Schüsse. Vermutlich Warnschüsse, denn die Kerle vom Geheimdienst haben ein ausgezeichnetes Waffentraining. Noch 15 Meter bis zum Abhang. „Disparale!“ schrie einer. Scheiße, die haben mich zum Abschuss freigegeben. Neben mir bohrte sich eine Kugel in den Boden. Der Abhang war nur noch 10 Meter entfernt, das konnte ich schaffen. Ich versuchte die Schüsse hinter mir auszublenden. Ein Schmerz durchfuhr meinen Körper, doch ich blendete ihn aus. Irgendwas war mit meinem rechten Bein los. Ich rannte den Abhang hinunter und geriet aus dem Gleichgewicht. Taumelnd und rollend erreichte ich den Grund und war fürs erste aus der Schussbahn. Mein Blick war stur geradeaus gerichtet.

Noch 20 Meter bis zum Felsen. Ich rappelte mich auf und rannte weiter. Mit jedem Schritt brannte mein Bein wie die Hölle. Wieder Schüsse. Noch ein paar Schritte. Vor mir fraß sich eine Kugel in die Felswand. Die Typen waren also am Hang angekommen. Endlich Geschafft. Ich suchte hinter dem Felsen Schutz und holte meine Karte wieder hervor. Schnell schloss ich die Augen und lehnte mich erschöpft mit dem Rücken an die Felswand. Bring mich hier weg! Ich atmete tief durch, versuchte meinen Herzschlag zu beruhigen. Ich musste mich etwas entspannen, ehe die Kerle bei mir waren aber ich hörte sie kommen. Blende sie aus! Mein Herz schlug noch immer wie wild gegen meine Rippen. Ich biss die Zähne zusammen. Mein Körper war so voll Adrenalin, dass ich es nicht schaffte.

Plötzlich hörte ich schreie hinter mir. Erschrocken riss ich meine Augen wieder auf. Was war das? Die Schüsse hatten aufgehört, stattdessen hörte ich ein viel abscheulicheres Geräusch. Ein Knacken und Plätschern, begleitet von den fürchterlichen Schreien dieser Männer. Langsam ging ich mit dem Rücken an der Felswand entlang und sah über meine Schulter um die Felskante herum. Die Schreie hörten auf. Ich riss meine Augen auf, als könnte ich den Anblick so besser verstehen. Mir gefror das Blut in den Adern.

Zwischen Abhang und Felsen saß ein riesiges Ungetüm. Sein Körper war vergleichbar mit dem einer Eidechse, aber bei weitem größer und muskulöser. Sein Hinterteil hing am Abhang hinunter, sodass er sich nur mit seinem Bauch und den Vorderbeinen am Boden abstützen konnte. Die Zacken, die über seinem Rücken und den Gelenken verliefen, waren messerscharf und so lang wie mein Unterarm. Der gewaltige Kopf ähnelte dem eines Dinosauriers. Unter den Krallen seiner Vorderklaue lag einer der Männer. Zuckend. Anscheinend war er gerade noch so am Leben. Zwischen den gelben Zähnen dieses Ungetüms sah ich einen zweiten Kerl, zumindest das, was von ihm übrig war. Mir wurde übel. Wenn man von der Blutlache vor diesem Vieh ausging, hatte es alle drei erwischt.

Diese Riesenechse legte ihren Kopf in den Nacken und schien den Inhalt ihres Mauls herunter zu schlingen. Es war ein schreckliches Bild. Einen Augenblick später drehte es sich behäbig um und verschwand wieder im Abgrund. Ich konnte mich nicht bewegen. Was war das? Ein Husten holte mich zurück in die Realität. Der verbliebene Mann, der unter der Vorderklaue steckte, schien noch zu leben. So schnell ich konnte, rannte ich auf ihn zu und fiel neben ihm auf die Knie. In seiner Brust klafften zwei riesige Löcher, aus denen eine Unmenge Blut austrat. Verzweifelt versuchte ich es zurückzuhalten. Zwecklos, es war einfach zu viel. Ich konnte nichts mehr für ihn tun.
 

Ich sah ihm ins Gesicht, und er musterte mich mit nahezu leeren Augen. Das war der Kerl, der mich verhört hatte. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Wollte er mir etwas sagen? „Hey, was ist!? Kannst du sprechen?“ Ach Mist, der Kerl sprach nur spanisch. Vor Schreck fiel mir nichts mehr ein. Was konnte ich in diesem Moment nur tun?

„…do“ röchelte er.

„Was?“ sagte ich und verbesserte mich sogleich. „Qué?“

„D… Fu…do…“ Anscheinend hatte er mich erkannt. Mit zitternder Hand versuchte er, etwas aus der Innentasche seiner Jacke zu ziehen. Ich starrte ihn nur an, unfähig mich zu bewegen. Er hielt mir einen Stick hin und langsam griff ich mit der Hand danach. Ein Tropfen landete auf ihr. Kam der von mir?

Sein Kopf kippte zur Seite und in seinen Augen erlosch alles Leben. Ich kniete noch immer neben ihm und versuchte zu begreifen, was gerade vor sich ging. Mein Blick wanderte zu meiner Hand, die noch immer seine umschloss. Der Stick. Er hatte mir einen Stick überreichen wollen. Ich nahm seinem leblosen Körper das kleine Gerät ab und drehte es in meiner blutbeschmierten Hand. Der Anschluss wurde speziell für die Reaktoren gefertigt. Er konnte nur an einem Reaktorrechner ausgelesen werden.

Ein markerschütterndes Gebrüll aus der Schlucht ließ mich zusammenzucken. Ich musste hier weg, ehe es wiederkommen würde! Schnell stand ich wieder auf und ließ den Stick dabei in meine Hosentasche gleiten. Abermals durchzuckte mich ein Schmerz, von meinem Bein ausgehend, aber ich konnte darauf jetzt nicht achten. Ich suchte Schutz hinter dem Felsen, während ich Sternenstaubdrache wieder aus meiner Tasche zog.
 

Ich glitt mit dem Rücken an der Felswand auf den Boden und versuchte runterzukommen. Wieder und wieder redete ich mir ein, dass ich mich beruhigen musste. Allmählich normalisierte sich mein Herzschlag und ich atmete wieder gleichmäßig. Wie hatte ich es beim ersten Mal eigentlich geschafft, hier zu landen? Ich hatte mich auf Sternenstaubdrache konzentriert und es passierte eine Zeit lang nichts, ehe meine Gedanken zu den Nazca Linien abschweiften.

Natürlich! Ich hatte an einen Ort gedacht, und Sternenstaubdrache schickte mich dorthin. Ob es noch einmal so funktionieren würde? Wieder schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf meinen Drachen. Augenblicklich durchflutete mich diese unglaubliche Energie und ich dachte an den Reaktor, der einige Kilometer von hier entfernt stand. Um mich herum wurde wieder alles in ein weißes Licht getaucht.

Als dieses Licht wieder verschwand, öffnete ich meine Augen. Wieder wurde mir von diesem Anblick übel. Überall um mich herum waren Trümmer und unglaublich viel Blut klebte an den Wänden und Trümmerteilen. Ich sah mich um. Zu meiner Erleichterung war ich allein. Jetzt musste ich nur noch den Stick auslesen und dann würde ich schleunigst von diesem Ort verschwinden.

Langsam richtete ich mich auf, knickte aber schnell wieder ein und hielt mich haltsuchend an der Wand fest. Ich zog ruckartig die Luft ein und sah mit zusammengebissenen Zähnen auf die Ursache meines Schmerzes. An der Seite meines Oberschenkels war eine Wunde, aus welcher unaufhörlich Blut quoll. Ich riss den Stoff meiner Hose um die Wunde herum auf und versuchte dabei angestrengt meine Schmerzenslaute zu unterdrücken. Nicht, dass vielleicht doch jemand, oder etwas, in meiner Nähe war.

Ich besah mir die Verletzung, doch es sah nur nach einem Streifschuss aus. Um die Blutung zu stillen, riss ich einen Streifen meiner Jacke ab und band ihn mir fest um mein Bein. Ich seufzte erleichtert. Der Schmerz war nicht mehr so schlimm. Einen Moment noch atmete ich tief durch und versuchte erneut aufzustehen. Erfolgreich. Mein Bein pochte, aber ich konnte mich bewegen, auch wenn ich mein verletztes Bein dabei entlastete, indem ich mich an der Wand abstützte.

Kurz sah ich mich um. Der Aufbau der Reaktoranlagen war weltweit fast identisch, also wusste ich trotz der Trümmer, wo ich war. Kurz vor dem Kontrollraum. Hier hatte Aram die letzten Daten ausgelesen. Hinter mir hörte ich ein Geräusch, und drehte mich ruckartig um. Mein Herz pochte in meinen Ohren. Aber anscheinend war es nur Geröll. Ich ging weiter und öffnete die Tür zum Kontrollraum. Aram hatte das System abgestellt und gesichert, aber ich habe es entwickelt, also wusste ich was zu tun ist um an die Daten zu kommen, ohne einen Beweis meiner Anwesenheit zu hinterlassen. Ein paar Schalter umgelegt, ein Passwort eingegeben und der Hauptrechner fuhr hoch.

Ich holte den Stick aus meiner Hosentasche und betrachtete ihn erneut. „Mal sehen, was wir hier haben“ murmle ich und stecke das kleine Gerät in den Anschluss. Einige Zeit war nur das klicken der Tastatur zu hören, ehe der Stick geöffnet und auf dem Großbildschirm angezeigt werden konnte.
 

Meine Augen weiteten sich. Vor mir öffneten sich sie Aufnahmen der Sicherheitskameras vom Tag des Unglücks. Der Zeitstempel in der Ecke ließ keine Zweifel. Wie hatten die Kerle sie nur wiederherstellen können? Die Videos starteten und wirkten zunächst unauffällig. Plötzlich fielen einige der Kameras nacheinander aus, bis nur noch eine lief. Sie zeigte den Bereich der Eingangshalle, in der mehrere Menschen panisch versuchten, die Anlage zu verlassen. Dann trat eine schreckliche Gestalt ins Bild. Ein Mann mit hüftlangem, braunem Haar und Flügeln. Der Mann aus meinem Alptraum. Lucifer. Er kam durch den Haupteingang und stellte sich den Flüchtenden in den Weg.

In einer geschickten Bewegung zog er das Schwert aus seiner Scheide und metzelte eine Person nach der anderen nieder. Ich hielt mir die Hand vor den Mund. Ich weiß nicht, wie oft sich mir heute schon der Magen umgedreht hatte. Der Dämon ging weiter und verschwand aus dem Blickwinkel der Kamera. Mit Entsetzen musste ich ansehen, wie ihm weitere Monster wie das am Abgrund folgten. Kleiner, und ihre Gestalt unterschied sie voneinander, aber keines von ihnen sah einem Menschen ähnlich. Da sie ebenso das Bild verließen, spulte ich vor, doch das Video endete ohne einen weiteren Zwischenfall. Also war es doch ein Anschlag. Ich musste diese Informationen so schnell wie möglich an meine Freunde geben.

Ich lehnte mich nach rechts, um den Stick abzuziehen, da rauschte etwas an mir vorbei, streift meine linke Schulter und schlug in den Bildschirm vor mir ein. Einige Funken und Scherben flogen durch die Luft. Erschrocken machte ich einen Satz nach rechts, hob schützend meine Arme vor meinen Kopf und drehte mich um, um zu sehen woher der Angriff kam. Eine Gänsehaut überkam mich und jeder Muskel meines Körpers war zum Zerreißen angespannt. Vor mir stand eine Frau. Auch sie könnte ich nicht verwechseln, mit ihrem Schneewittchengesicht und den Drachenschwingen. „Lillith!“ wisperte ich.

Wo kam sie so plötzlich her? Und was wollte sie hier? Ich konnte mich nicht bewegen. Sie lachte leise und unheilvoll. Schritt dabei anmutig auf mich zu. „Interessant, woher kennst du meinen Namen, kleiner Auserwählter?“ Sie wusste wer ich war? Langsam griff ich hinter mich und zog den Stick ab. Ich musste sie irgendwie auf Abstand halten. Ich konnte gegen sie nicht gewinnen. Nicht allein. Ich versuchte mich zu sammeln und ruhig zu bleiben. „Wir haben dich schon Überall gesucht. Es ist an der Zeit mit uns zu kommen!“ Ein mörderisches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Moment, das war die Chance mehr zu erfahren.

„Was willst du?“ fragte ich und versuchte dabei das Zittern zu unterdrücken, das mich überkam.

Sie blieb stehen. „Warum sollte ich dir das verraten?“ In ihrem Blick lag eine arrogante Abneigung, als wäre ich ein lästiges Insekt.

Ich schluckte. Ich musste sie irgendwie hinhalten, Informationen sammeln. „Ich sitze doch sowieso in der Falle, nicht wahr? Welchen Nachteil hätte es für dich, wenn ich erfahren würde wohin ich dich begleiten soll, und warum.“

Sie legte den Kopf schief und zog die Augenbrauen zusammen. Der Ausdruck in ihrem Gesicht veränderte sich. Anscheinend überlegte sie, was sie mir antworten sollte. „Erstaunlich“ sagte sie nur und musterte mich.

„Hm?“ Ich sah sie überrascht an. Was war so erstaunlich? Hatte sie mich durchschaut? Wieder schlich sich dieses fiese Lächeln auf ihre dunklen Lippen.

„Komm mit mir in die Unterwelt.“

Meine Hand, in der ich noch immer den Stick hielt, ballte sich zur Faust. Wie kam sie darauf, dass ich dieses Angebot annehmen würde? Aber ich wollte mehr Informationen haben. „Was ist mit meinen Freunden?“

Ihr Lächeln wird zu einem gefährlichen Grinsen. „Die werden uns selbstverständlich Begleiten. Wenn der Zeitpunkt kommt, werden sie ihre Aufgabe erfüllen und sterben, aber keine Angst. Du gefällst mir. Ich glaube, dich lasse ich am Leben.“

Ich schluckte. Meine Freunde sollten sterben? „Welchen Zeitpunkt meinst du? Und was für eine Aufgabe sollen sie erfüllen?“ Stille trat ein und wieder schien sie zu überlegen. Unwillkürlich dachte ich an Akiza und unser ungeborenes Kind, das keine Chance haben würde, das Licht dieser Welt zu sehen.

Lilliths Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Meinen Bruder kennst du sicher auch, nehme ich an?“

Ich nicke kaum merklich. Worauf wollte sie hinaus? Hatte sie meine Fragen überhaupt gehört?

„Er hat mich hier zurückgelassen um den Eingang zu bewachen, während er mit unserer kleinen Armee nach China geflogen ist. Aber das war eine Finte von dir, habe ich Recht? Dort angekommen hat er die Energie des heiligen Drachen nicht mehr ausfindig machen können und vor Wut den nächsten Reaktor in die Luft gejagt.“

Der Kloß in meinem Hals wurde unerträglich. Mir war, als würde ich keine Luft mehr bekommen. Die vielen Menschen… sind alle meinetwegen gestorben? Weil ich den feuerroten Drachen um Hilfe bat und dann nach Japan zurückkehrte?

„Er hat eine neue Energie ausgemacht, östlich von Peking. Er ist in diesem Moment auf der Suche nach deinen kleinen Freunden. Sicher wird er stolz sein, wenn er erfährt, dass ich bereits einen Auserwählten in meiner Gewalt habe.“

Sie setzte sich wieder in Bewegung und der Klang ihrer Absätze hallte in dem Raum wider. Wurde von den Wänden zurückgeworfen und klang in diesem Moment unnatürlich laut. Für einen Moment war ich wegen ihrer Worte komplett erstarrt, doch ich riss mich wieder zusammen und sah sie entschlossen an. Ich würde mich nicht gefangen nehmen lassen. Meine Freunde brauchten mich. An mehr Informationen würde ich im Augenblick wohl nicht kommen. Ich musste hier weg. Einmal noch atmete ich tief durch und schloss meine Augen, während Lillith fast schon bei mir war. Ich dachte an Akiza und spürte wieder, wie die Kraft des Drachen mich durchflutete und alles um mich herum wieder hell wurde. Ich konnte noch ein sich entfernendes „NEIN!“ hören, doch ich hatte es geschafft zu entkommen.
 

Langsam spürte ich, wie meine Kraft nachließ. Das Licht um mich herum erlosch. Ich öffnete die Augen, doch zu meiner Überraschung war ich nicht bei Akiza auf dem Dach der Zwillinge, sondern im Rosengarten abseits der Innenstad. Langsam dämmerte es mir. Ich hatte bei den ersten beiden Sprüngen eine klare Umgebung vor Augen gehabt, doch beim letzten dachte ich nur an sie. Vermutlich hatte mich mein Drache deshalb an einen Ort gebracht, den ich mit ihr verband. Hier hatte ich ihr einen Heiratsantrag gemacht. Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen.
 

Ich betrachtete die Karte in meiner Hand. Meine Hände zitterten vor Anstrengung. Einen letzten Sprung konnte ich noch schaffen. Vor meinem inneren Auge sah ich die Dachterrasse der Zwillinge. Mein Mal begann zu leuchten, aber allmählich verließ mich meine Kraft. Ich konzentrierte mich weiter auf das Dach und um mich herum wurde es wieder hell, doch nur für einen Augenblick. Ich stütze mich auf meinen Knien ab und atmete schwer. Meine Augen waren zusammengekniffen. Ich war so müde. Da erklang eine Stimme, die mir Kraft schenkte. Sie klang besorgt. Warum hatte sie Angst? „Schon gut“ versuchte ich sie zu beruhigen und blickte in ihre wunderschönen Augen. Allmählich verschwamm meine Sicht. Lange konnte ich mich nicht mehr auf den Beinen halten. Ich wollte mich nur noch ausruhen, doch erst muss ich ihnen sagen, was ich herausgefunden hatte. Was ich gesehen hatte. Langsam nahm ich auch die anderen wieder wahr, die an meine Seite traten und mich besorgt musterten.

Hochzeitsglocken

//Erzähler//
 

Als er von seinem kleinen Abenteuer erzählte, schwiegen seine Freunde. Sie trauten sich nicht einen Laut von sich zu geben. Auch als er endete, war alles still. Nur die leichte Sommerbrise umspielte sie. Yusei war mit seinen Kräften am Ende. Er sah aus, als würde er jeden Moment einschlafen. Den Arm auf den Tisch gelegt, stützte er mit der Hand seinen Kopf ab. Er fühlte sich an, als würde er jeden Moment zerspringen, deswegen schloss er die Augen. Der Verband an seinem Bein verlor langsam seine Wirkung, denn sein Blut tropfte nach und nach auf den Boden. Es fiel ihm nicht auf.
 

Leo kümmerte sich um seine Verletzungen, doch die Wunde am Bein heilte nicht ganz aus, weswegen Akiza ihm noch einen Verband anlegte. Erschöpft, legte er sich auf das Sofa unten in der Wohnung und schlief augenblicklich ein. Die Anderen verbesserten in der Zwischenzeit ihre Fähigkeiten. Luna schaffte es, den Schild länger aufrecht zu erhalten und auch die Kraft, mit der die physischen Angriffe zurückgeschleudert werden konnten, steigerte sich signifikant. Crow verbesserte sich nur langsam. Die Dauer seines Schildes war in etwa die Gleiche, wie die von Lunas Schutzschild.
 

Mit der Kraft des Schwarzen Rosendrachen gelang es Akiza die Dornenranke nach ihrem Willen wachsen zu lassen. Dabei mussten weitere Töpfe dran glauben, außerdem ein Sicherungskasten, der anfing Feuer zu fangen. Dadurch bemerkte Jack zufällig, dass er das Feuer manipulieren und löschen konnte. Als es dämmerte, verabschiedeten sich die Freunde voneinander und beschlossen am nächsten Tag um die Gleiche Uhrzeit weiterzumachen. Yusei wurde von seiner Verlobten geweckt und beide fuhren langsam nach Hause.
 

~*~
 

Die Zwillinge blieben an diesem Abend, trotz ihrer Erschöpfung, noch eine Weile wach. Ihnen gingen die Aussagen von Antiker Feendrache und Lillith nicht aus dem Kopf, also saßen sie in der Küche und tranken einen Tee.

„Was waren die genauen Worte deines Drachen?“ fragte Leo.

Sie überlegte. „Ich weiß ihr vertraut eurem Freund, doch es wird die Zeit kommen, an dem ihr dem Auserwählten von Sternenstaubdrache nicht mehr vertrauen könnt.“ Dann sah sie ihren Bruder an. „Und etwas von ‚Er wird uns in Zukunft absichtlich schaden wollen‘.“

Leo schüttelte den Kopf und sah wütend aus. Er begriff nicht, wie Antiker Feendrache so etwas über seinen Freund sagen konnte. Aber dieser leise, kleine Zweifel, den Yuseis Worte ausgelöst hatten, ließ ihn einfach nicht mehr los. „Ich versteh das einfach nicht!“ brach es aus ihm heraus und er stand auf. „Warum hat diese Lillith ihm sowas vorgeschlagen?! Als ob er darauf eingehen würde! Das ist verrückt!“ Luna nickte. Eine Weile grübelten sie noch vor sich hin, bis sie schließlich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch schlafen gingen.
 

~*~
 

Am nächsten Tag trafen sich wieder alle bei den Zwillingen um an den erstaunlichen Erfolgen des Vortags anzuknüpfen. Akiza und Luna trainierten zusammen, da die Eine physische Angriffe nutzte, und die Andere einen dazugehörigen Schild hervorrufen konnte. Je öfter sie ihre Fähigkeiten einsetzten, desto stärker wurden sie. So erging es auch Jack und Crow. Die zweier Gespanne wechselten sich ab, um Pausen einzulegen. Nur Carly, Leo und Yusei standen am Rand und beobachteten das Geschehen. Während seine Freunde ihre Fähigkeiten verbesserten, dachte letzterer angestrengt nach, wie sie nicht nur gegen Lucifer standhalten konnten, sondern auch eine kleine Armee aus mindestens 15 weiteren Dämonen (Wenn er nur die im Video der Sicherheitskameras mitzählte). Die klare, schöne Stimme aus seiner Erinnerung sagte, er solle die Stärken seiner Freunde nutzen. Ihre neuen Fähigkeiten gehörten eindeutig dazu. Doch der ursprüngliche Gedanke, auch die Psi-Kräfte von Akiza und Crow zu nutzen, schien ihm eine gute Unterstützung, da sie eindeutig in der Unterzahl waren. Hinzu kam, dass sie den genauen Zeitpunkt des Angriffs nicht kannten, und ihre übrigen Freunde schützen mussten. Ganz besonders Carly, Kalin und Misty, damit der Alptraum nicht Wirklichkeit werden würde, in dem sie wieder zu finsteren Auserwählten wurden. Er sah auf die Uhr. Mittlerweile war es schon kurz nach drei.
 

In seine Gedanken vertieft, bemerkte er nicht, dass etwas bei der Übung von Jack und Crow schief ging. Jacks Angriff prallte im falschen Winkel gegen den Schild und flog direkt auf den Wissenschaftler zu. „Yusei, pass auf!“ schrie Crow. Er schreckte hoch, doch konnte dem Feuerball nicht ausweichen, da er kaum eine Sekunde zum Reagieren hatte. Seine Freunde sahen mit Schrecken, dass der Angriff mit einem Lichtblitz einschlug, doch da wo die Kugel aufkam, war nichts. Kein Ruß, kein bröckelnder Beton, kein Yusei.
 

~ Geschehnisse aus Sicht von Yusei ~
 

Crows Schrei riss mich aus meinen Gedanken. Ich blickte auf und sah Flammen, die mit einer unglaublichen Geschwindigkeit auf mich zukamen. Denen konnte ich nicht ausweichen, dafür waren sie viel zu schnell. Plötzlich aktivierte sich mein Drachenmal und ich wurde wieder in das Licht getaucht. Der feuerrote Drache hatte mich wieder gerettet. Ich öffnete meine Augen und ließ meinen Blick über die Umgebung schweifen. Wo war ich?
 

Ich stand in einem dicht bewachsenen Wald, vor mir war eine kleine Lichtung, dahinter konnte ich das Meer sehen. Die Wellen rauschten und ich schmeckte die salzige Luft. Ich war am Rande von Satellite. Hinter dem Meer konnte man die Skyline von Neo Domino City erkennen. Neben mir stand in einiger Entfernung ein kleines Haus. Eine große Uhr hing über der Doppeltür und zeigte die aktuelle Zeit. Es war 13 Uhr. Moment, 13 Uhr? Als ich eben noch mit meinen Freunden auf der Dachterrasse war, hatte ich auf die Uhr gesehen. Da war es erst kurz nach drei. Was war hier los?
 

Gelächter drang an meine Ohren. Ich sah mich um und erkannte eine kleine Menschenmenge auf der Lichtung. Sie saß in zwei Blöcken auf mit Blumen geschmückten Stühlen. Durch ihre Mitte ging ein langer, weißer Teppich, auf dem hunderte rote Rosenblüten verstreut lagen. Die Leute saßen mir abgewandt und bemerkten mich nicht. Sie beobachteten eine kleine Gruppe von acht Leuten auf einem niedrigen Podest. Zwei standen versetzt in der Mitte, die übrigen links und rechts in einer Reihe verteilt. Plötzlich erkannte ich ihre Gesichter, doch ich konnte es nicht glauben. Das war nicht möglich. Wie konnte das sein?
 

Jack, Crow und Leo auf der einen, und Luna, Misty und Carly auf der anderen Seite. Ich hätte meine alten Freunde in ihren Anzügen fast nicht erkannt. Auch die jungen Frauen sahen in ihren langen Kleidern sehr elegant aus. Doch das merkwürdigste an diesem Bild war dieser nervös aussehende Mann in der Mitte meiner Freunde. Er glich mir bis aufs Haar. War ich das? Langsam begriff ich die Situation. Der Kerl hinter meinem genauen Abbild war unser Priester.
 

Ich war auf meiner eigenen Hochzeit.
 

Der Drache hatte mich in die Zukunft geschickt, aber wie? Musik ertönte. Ich versteckte mich schnell hinter einem der Bäume in der Nähe, denn in diesem Moment stand die Menschenmenge auf und drehte sich um. In dem Häuschen neben mir ging die Tür auf. Mein Herz machte einen Satz und es verschlug mir fast den Atem. Aus dem kleinen Haus trat meine schöne Braut heraus. Sie trug ein ausgestelltes, langes, weißes Kleid, das mit Spitze verziert war. Am Rücken war es komplett frei und ihre Haare waren kunstvoll hochgesteckt. Zahllose kleiner Blumen schmückten sowohl den Saum des Kleides als auch ihre Haare, in denen ein langer Schleier befestigt wurde. An ihrer Seite stand ihr stolzer Vater und lächelte. Schnell sah ich weg. Wenn ich das Kleid meiner Frau zum ersten Mal sehen würde, sollte ich da unten bei meinem Abbild stehen. Er hatte ein warmes Lächeln im Gesicht.
 

Mit klopfenden Herzen drehte ich mich um in Richtung Wald. In meinem Traum kam der Angriff gleich nach unserer Vermählung. Wenn ich schon zu diesem Zeitpunkt hier war, konnte ich auch abwarten bis sie (oder wir?) sich das Ja-Wort geben würden. Dann könnte ich erfahren wie der Angriff ablaufen würde und so endlich einen Plan ausarbeiten. Mein Blick richtete sich gen Himmel, durch das dichte Laub der Bäume, das sich im Wind wog. Bald war es soweit. Die Musik verstummte. Vermutlich war Akiza bei meinem zukünftigen Ich angekommen.
 

Leise fielen Regentropfen zu Boden. Eben war der Himmel doch noch klar. Über mir zog aus dem Nichts ein Sturm auf. Jeder Muskel meines Körpers war angespannt. <Warum jetzt, die Hochzeit hat doch eben erst begonnen!> Es ging los. Ich drehte mich gerade noch rechtzeitig um, um zusehen zu müssen wie ein gewaltiger violetter Blitz mit einem lauten Knall auf dem Teppich zwischen den Menschenblöcken einschlug. Überall schweben die aufgewirbelten Rosenblätter und landen auf den toten und den verletzten Gästen. Die, die nicht durch den Einschlag betroffen waren, wurden durch die Wucht der Explosion nach hinten geschleudert. Mit Schrecken musste ich sehen, dass auch Kalin, der am Gang gesessen hatte, leblos am Boden lag. Der Regen wurde stärker, doch ich wurde durch das Blätterdach über mir geschützt.
 

Vom Himmel über der Menschenansammlung schwebte ein langhaariger Dämon herunter. Etwa einen Meter über dem Boden machte er Halt und sah meine Freunde an, die langsam wieder auf die Beine kamen und ihn wütend und entschlossen ansahen. Er lachte bedrohlich. „Meine Schwester sagte schon, dass ihr mich kennen würdet. Entweder ihr kommt freiwillig mit, oder“ er macht eine Pause und deutete auf die noch lebenden Gäste. Einige von ihnen hatten sich aufgerappelt und versuchten zu fliehen. Ringsherum brach der Boden auf und violette Flammen schossen in die Höhe. Aus ihnen traten die Dämonen, die ich von den Aufnahmen kannte. Die Monster kamen aus dem Nichts und bilden nun einen Kreis um die Hochzeitsgesellschaft. Ich zählte sie durch. 23 Dämonen und Lucifer. Gegen diese Gegner mussten meine Freunde bestehen. Unmöglich. Allein durch seine Ankunft hatte er bereits die Hälfte der Anwesenden getötet.
 

Lucifer sah nach rechts, um den zu seinen Füßen liegenden Kalin zu betrachten. Irgendetwas murmelt er, aber ich war zu weit entfernt, um es zu verstehen. Dann hob er den Arm und hielt seine Hand über meinen Freund, der sogleich in den Nebel aus der Schlucht eingehüllt wurde. <Oh nein, was passiert da nur?>
 

Nach wenigen Augenblicken stand Kalin auf und mustert seine Umgebung. Der Nebel war weg. Ich hörte das süffisante, wahnsinnige Lachen aus meinem ersten Duell gegen den finsteren Auserwählten. Verdammt. Jetzt war ein weiterer Gegner dazugekommen. Meine Freunde waren vor Angst wie gelähmt. <Tut doch etwas!> Luna und Crow stellten sich schützend vor die Anderen. Carly holte etwas aus einer kleinen Klappe auf dem Podest heraus. Drei Duell Disks. Eine davon übergab sie an Luna, die übrigen beiden warf sie Akiza und Crow zu. Stimmt, Luna besaß ebenfalls Psi-Kräfte, wenn auch nicht so starke wie die anderen Beiden. Sie platzierten jeweils fünf Monster auf der Disk.
 

Vor Crow erscheinen die Schwarzflügel Rüstungsmeister (ATK 2500 DEF 1500), Silberwind der Aszendent (ATK 2800 DEF 2000), Sirocco die Morgenröte (ATK 2000 DEF 900), Elphin der Rabe (ATK 2200 DEF 1200) und Blizzard der hohe Norden (ATK 1300 DEF 0).
 

Akiza beschwor Königin der Dornen (ATK 2200 DEF 1800), Famose Rose (ATK 2200 DEF 2000), Rose, Kriegerin der Rache (ATK 1600 DEF 600), Rosententakel (ATK 2200 DEF 1200) und Hexe der schwarzen Rose (ATK 1700 DEF 1200).
 

Schließlich rief Luna Regulus (ATK 1700 DEF 1000), Sonnenlichteinhorn (ATK 1800 DEF 1000), Feenbogenschütze (ATK 1400 DEF 600), Weiße Magierin Pikeru (ATK 1200 DEF 0) und Schwarze Magierin Curran (ATK 1200 DEF 0) zu sich.
 

Jetzt waren sie zahlenmäßig nicht mehr so stark unterlegen. Ein Blitz zuckte am Himmel und das Grollen des Donners ließ die ganze Szenerie noch gespenstischer wirken. Ich konnte Lucifers Gesicht nicht sehen, aber seiner Körpersprache nach zu urteilen war er wenig beeindruckt von der Gegenwehr meiner Freunde. Leise drang seine Stimme an mein Ohr. „Wie ihr wollt, mir soll es nur recht sein.“ Ein Grinsen lag in diesen letzten Worten. Auf sein Nicken hin griffen die Dämonen, die die restlichen Gäste eingekesselt hatten, an. Entgegen meiner Erwartung jedoch nicht meine Freunde, sondern die wehrlosen Menschen vor ihnen. Es passierte alles so schnell.
 

Curran und Pikeru schützten den am Boden liegenden Blister vor einem vogelartigen Dämon, während Feenbogenschütze ihm mit einem Pfeil den Rest gab. Einer der kleineren Echsendämonen stürzte sich auf Luna, Misty und Carly, doch Lunas Schild ließ ihn einige Meter durch die Luft fliegen. Regulus stürzte sich auf einen Zweiten, der das Gleiche vorhatte und zerfleischte das Biest. Die Kleider der Frauen waren mit schwarzem Blut besudelt. Akizas Dornenranken erwischten einen weiteren echsenartigen Dämon und zerquetschen ihn in der Luft. Währenddessen gab sie ihren Monstern Befehle. Famose Rose tötete eines der katzenartigen Monster, die sich ebenfalls auf einige Gäste stürzten. Rose, Kriegerin der Rache löschte das Vieh daneben aus und wurde von Hexe der schwarzen Rose unterstützt. Rosententakel griff einen der Vogeldämonen an, doch leider nicht bevor er den verletzten Trudge töten konnte. Blizzard der hohe Norden fegte einen Dämon, der einem Ghoul aus alten Geschichtenbüchern noch am ähnlichsten sah, mit seinem Eissturm weg und half Sonnenlichteinhorn einen weiteren dieser Viecher den Gar aus zu machen. Elphin und Sirocco griffen gemeinsam einen Dämon an, der dem aus der Schlucht hinsichtlich Größe und Gestalt glich. Sirocco wurde dabei schwer in Mitleidenschaft gezogen, was Crow etwas in die Knie zwang. Elphin gab ihm den Todesstoß. Währenddessen kämpfte Silberwind der Aszendent am Himmel gegen einen weiteren der Vogeldämonen und besiegte ihn. Schwarzflügel Rüstungsmeister stellte sich schützend vor Martha, die Gefahr lief, von einem Dämon angegriffen zu werden, der wie eine Mischung aus Bären und Mensch aussah. Mein Abbild rannte zu Martha, half ihr auf und sagte etwas, dass in den Geräuschen der Kämpfe unterging. Martha nickte und verschwand dann mit meinem zukünftigen Ich in einem kurzen Lichtblitz. Crow wurde von einem Dämon mit einer Art Schockwelle angegriffen, beschwor seinen Schild herauf und warf den Angriff zurück, sodass der Angreifer im Schlamm, der sich allmählich durch den Regen gebildet hatte, liegen blieb. Lucifer stand vollkommen unbeteiligt mit Kalin an seiner Seite in der Mitte des Geschehens. Die Königin der Rosen tauchte hinter ihm auf und griff an, doch er bewegte sich geschmeidig zur Seite, während er sein Schwert zog, und es ihr von hinten in den Rücken rammte. Akiza gab einen gequälten Laut von sich und atmete schwer. Im selben Moment schoss Jack eine Feuerkugel Richtung Lucifer, doch diese traf eine riesige, schwarze Hand, die aus dem Nichts aufgetaucht war. Diese Hand sah aus wie die vom Erdgebundenen Unsterblichen Ccapac Apu. Hatte Kalin die eben beschworen? Er hatte sich zumindest schützend vor den Dämon gestellt und verfiel wieder in ein wahnsinniges Lachen.
 

„Es reicht!“ schrie Lucifer.
 

Augenblicklich hielten alle, Dämonen wie Duelmonster, in ihrer Bewegung inne und starrten ihn an. Er reckte sein Kinn in die Höhe und betrachtete missbilligend die Szenerie vor ihm. „Genug gespielt.“ Mit einem einzigen Schnipsen beschwor er ein Blitzgewitter, dass alles in einem Umkreis von 20 Metern zu Boden gehen ließ. Auch Kalin lag zuckend zu seinen Füßen. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Irgendwas musste ich doch tun können! Crow konnte sich und seine Freunde noch rechtzeitig schützen. Ihnen war nichts passiert. Wann hatte er gelernt, den Schild so ausdehnen können?
 

Der langhaarige Dämon erhob wieder seine Stimme. „Langsam wird mir dieser Zeitvertreib zu langweilig. Ihr werdet nun mit mir kommen, verstanden?“

Jack schnaubte. „Nenn uns einen Grund, warum wir uns nicht wehren sollten! Glaubst du ernsthaft wir geben uns so einfach geschlagen?“

Lucifer sah ihn missbilligend an und antwortete mit einer Wut, die er nicht versteckt hielt. „Ich sagte, das Spiel ist vorbei.“ Er hob die Hand und beschwor einen weiteren Blitz wie den ersten, und dieses Mal konnte weder Lunas, noch Crows Schild dem standhalten. Entsetzt sah ich zu meinen am Boden liegenden Freunden. Sie rühren sich nicht mehr. Schnell versuchte ich mir in Erinnerung zu rufen, dass das nur eine mögliche Zukunft war. Ich konnte sie ändern. Ich musste mir nur überlegen wie.
 

Ich riss mich von diesem Anblick los. Ich konnte es nicht länger ertragen. Wie konnte ich das alles nur aufhalten? Im Hintergrund hörte ich Lucifers höhnisches Lachen. Wieder sah ich auf die Uhr. Es war halb zwei. Er hatte in nicht einmal 30 Minuten so viele Menschen getötet. Meine Freunde lagen reglos am Boden und ich konnte nichts, wirklich gar nichts dagegen tun! Die Minuten fühlten sich an wie nie enden wollende Stunden, in denen ich die erstickten Schreie hinter mir hörte. Einige gingen im Geräusch des prasselnden Regens unter. Ich sah nicht hin. Sah nur auf den Wald vor mir und versuchte sie auszublenden.
 

„Da bist du ja wieder“ sagte Lucifer plötzlich und ich drehte mich wieder zum Geschehen. Mein Abbild stand inmitten des Leichenmeers und rührte sich nicht. Er sah nur Lucifer vollkommen verstört an. Mein ursprünglicher Plan war es anscheinend, so viele der Gäste wie möglich in Sicherheit zu bringen. Aber zwischen den Sprüngen brauchte ich Zeit, um meine Energie wieder zu sammeln. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Meine Fähigkeit war im Kampf wirklich nutzlos. Ich konnte meine Freunde einfach nicht beschützen. Nicht so!
 

Jetzt aus dem Schatten der Bäume zu treten, wäre vermutlich auch unsinnig. Ich war nur stiller Beobachter und konnte nicht eingreifen. Es wäre wahrscheinlich keine gute Idee, wenn ich plötzlich zweimal vor meinen Feinden stehen würde. Kalin schritt auf mein Abbild zu und mein zukünftiges Ich versuchte anscheinend mit ihm zu reden. Ich verstand nicht was er sagte, die Geräusche des Regens waren zu laut, aber er hob beschwichtigend die Hände. Es war eine reine Verzweiflungstat. Kalin würde nicht mit sich reden lassen. Nicht ohne ein Duell. Und ich hatte die Befürchtung, Lucifer würde das gar nicht erst zulassen. Man sah ihm an, dass er mit seiner Geduld am Ende war.
 

Kalin ging auf mein Abbild los und griff ihn an. Mein Freund war schneller als vorher. Agiler. Ohne größere Mühe, hatte er seinen Gegner zu Fall gebracht. Wenn ich nicht einmal gegen Kalin bestehen konnte, wie sollte ich es dann mit Lucifer aufnehmen? Aus der Ferne war ein Lachen zu hören, aber ich konnte es nicht ausmachen. Ich sah mich um aber konnte niemanden entdecken. Wieder schweifte mein Blick zu der Uhr an dem kleinen Haus. Um mich herum wurde es plötzlich wieder hell, doch ich konnte die Zeit noch erkennen. Es war 13:45 Uhr. Vielleicht kann ich mit dieser Information noch etwas anfangen.
 

~ Auf dem Dach der Zwillinge ~
 

Die Auserwählten starrten auf die Stelle, an der der reflektierte Angriff von Jack einschlug, wenn man das denn so bezeichnen konnte, denn sie war komplett unbeschädigt. „Was ist denn jetzt passiert? Wo ist er hin?“ fragte Carly verwirrt.

Die Anderen wussten auch nicht weiter, machten aber ein ähnlich verdattertes Gesicht wie sie.

„Was seht ihr denn dort?“ ertönte eine Stimme plötzlich hinter Crow, der sich so erschreckte, dass er das Gleichgewicht fast verlor und einen schockierten Laut von sich gab.

Alle Augen waren nun auf den, eben noch verschwundenen, Yusei gerichtet. Dieser musterte neugierig seine Freunde.

Leo stellte seine Frage fast schreiend. „Wie- Wie bist du denn ohne einen Kratzer so plötzlich nach da hinten gekommen?“
 

„Plötzlich? Ich war fast eine Stunde lang weg.“ Er griff sich mit der Hand unters Kinn und fügt murmelnd, eher zu sich selbst, hinzu: „Ach so, verstehe. Ich bin wieder am Ausgangspunkt angekommen.“

„Ausgangspunkt?“ fragte Jack wütend und ging auf ihn zu. „Jetzt gib uns doch endlich mal eine klare Antwort!“

Carly stellte sich ihm in den Weg und versuchte ihn zu beruhigen. „Hey Jack, er wird schon gleich reden, komm runter!“

Zähneknirschend wehrte er sich nicht gegen Carlys Versuch ihn zurückzuhalten.
 

Yusei nickte ihm zu und erzählte von seinen Beobachtungen.
 

~*~
 

Crow seufzte. „Also kannst du dich jetzt nicht nur teleportieren, sondern auch in die Zukunft springen, ja?“

„Ich weiß es nicht. Sieht so aus, aber letzteres kann ich nicht kontrollieren, das war Zufall.“
 

„Naja“ setzte Akiza traurig an. „zumindest wissen wir jetzt wann und wo es passieren wird, nicht?“ Sie senkte den Blick.

Yusei ging auf sie zu, legte ihr eine Hand auf die Wange und sprach ihren eigenen Gedanken aus. „Wir müssen die geplante Hochzeit absagen. Wir können sie nicht alle beschützen!“
 

Auch die Anderen sahen betreten zu Boden.

Da fiel Luna etwas ein „Nicht unbedingt!“ Alle sahen sie verwundert an, doch sie sprach weiter. „Sagt die große Feier morgen ab, aber ihr könnt doch heute Abend heiraten, nur im engsten Kreis mit euch und eurer Familie!“

Yusei gefiel der Gedanke. Er wollte es ohnehin eher schlicht halten, doch wusste er, dass Akiza sich etwas Anderes wünschte. Er sah ihr in die Augen. „Wäre das Okay für dich?“ Sie schenkte ihm ein Lächeln und nickte.
 

Plötzlich klingelte ein Handy. Crow suchte hektisch seine Taschen ab und drückte dann auf den grünen Hörer. „Oh hey, du bist‘s, warum rufst du jetzt schon an? … Verstehe, ja das weiß ich schon … lange Geschichte aber es gibt ne Planänderung, ich komm zum Treffpunkt, ja? … Okay bis Gleich!“ damit legte er auf und drehte sich wieder zu seinen Freunden. „Das war Kalin. Er kam schon eher als geplant an. Allerdings war Greyger auffällig genug, damit er merkte, dass was nicht stimmt, also ist er gerade in Alarmbereitschaft.“ Beim letzten Satz konnte er sich ein leises Kichern nicht verkneifen. „Ich fahr schnell los und hol ihn ab.“ Mit diesen Worten rauschte er die Treppe runter.
 

„Ich ruf Mizuki an!“ sagte Akiza. „Vermutlich wird sie uns den Kopf abreißen.“ Fügte sie etwas belustigt an Yusei gewandt hinzu. Er nickte, konnte sich ein leichtes Grinsen aber auch nicht verkneifen. Sie verschwand ebenfalls in der Wohnung um zu telefonieren.
 

„Wie ist dein Plan?“ fragte Jack mit dem Gesicht zur Skyline der Stadt gewandt. Yusei dreht sich um und musterte ihn als er weitersprach. „Du überlegst doch schon die ganze Zeit. Also, was hast du dir überlegt?“

Yusei musste schmunzeln. Nach all den Jahren kannte er ihn noch immer wie früher. „Zuerst will ich etwas ausprobieren. Würdest du mir dabei helfen?“

Jack drehte sich nun um, um seinen Freund zu mustern. „Was hast du vor?“

„Ich will etwas ausprobieren“ sagte er, ging auf den langen blonden zu und blieb kurz vor ihm stehen. „Also?“

Er seufzte. „Na schön, was soll ich machen?“
 

„Bleib einfach dort stehen.“ Yusei legte ihm eine Hand auf die Schulter und schloss die Augen. Dann beobachteten die übrigen Anwesenden, wie die Beiden gleichzeitig in dem Licht verschwanden, um nach wenigen Minuten wieder an derselben Stelle aufzutauchen. Jack sah sich interessiert um. Yusei wirkte wieder, als wäre er einen Marathon gelaufen.
 

„Wo wart ihr denn?“ fragte Leo, erstaunt darüber, dass Yusei eine weitere Person transportieren konnte. Jack sah ihn an und antwortete knapp: „Ayers Rock.“

„Wo?“

Carly erklärte das für sie Selbstverständliche. „Das ist ein heiliger Berg in Australien. Vermutlich das bekannteste Wahrzeichen des Landes! Den würde ich auch gern mal real vor mir sehen, nicht nur auf Bildern.“ Bei ihren letzten Worten grinste sie verträumt in die Ferne.
 

Als Yuseis Atmung sich wieder normalisierte und er wieder aufrecht stand, stellte er fest, dass es um ein Vielfaches anstrengender und schwieriger war, eine weitere Person zu teleportieren. Aber es war möglich, und das war, was zählte. Die Absätze von Akizas Schuhen hallten aus dem Treppenaufgang, und sie trat wieder an die Gruppe heran. „Erledigt. Was habe ich verpasst?“
 

„Also“ begann Jack, sah seinen Freund durchdringend an und ignorierte damit die Frage der rothaarigen Frau. „Was genau wolltest du mit dem kleinen Trip eigentlich bezwecken?“

Er erwiderte seinen Blick. „Ich glaube ich weiß jetzt, wie wir die Dämonen besiegen, aber der Plan ist riskant.“ Die interessierten Augen der Anwesenden sahen ihn an, als er fortfuhr.
 

„Wir kennen Zeit und Ort des Angriffs und haben einen guten Eindruck ihrer Stärke. Lucifer ist eindeutig der Anführer der anderen Dämonen, aber sie handeln ausschließlich auf seinen Befehl hin. Sie scheinen nicht selbstständig zu agieren. Was also, wenn ihr Anführer plötzlich verschwindet und sie auf sich selbst gestellt sind?“

Er machte eine Pause, da dämmerte es Jack, was er sagen wollte. „Du willst diesen Lucifer zusammen mit dir nach Australien teleportieren? Und was dann? Allein hast du keine Chance gegen ihn!“

„Ich weiß!“ sagte Yusei und sah Jack eindringlich an. „Aber was, wenn ich es schaffe zu fliehen, ehe er begreift was passiert? Allem Anschein nach will er uns lebend, also wird er mich nicht töten, selbst wenn ich es nicht schaffe zu entkommen. Die übrigen Dämonen werdet ihr leicht los, wenn er nicht mehr da ist, um sie zu befehligen. Es würde uns zumindest Zeit verschaffen. Wir können den Kerl noch nicht besiegen. Nicht einmal, wenn wir gemeinsam angreifen. Er ist zu stark.“

„Feigling!“ platzt es aus Jack heraus und er packt Yusei am Kragen.

„Ich bin nicht feige, nur realistisch. Wir kümmern uns um ihn, wenn wir diese Kräfte wirklich beherrschen können. Du steigst doch auch nicht als kompletter Anfänger in einem Turnier ein oder? Er wird sich nach Peru, zum Eingang der Unterwelt, zurückziehen und dort werden wir ihn und Lillith stellen, wenn wir bereit sind.“
 

Jack presste die Zähne aufeinander und hielt Yusei noch immer mit Zorn in seinen violetten Augen fest. Er dachte nach, suchte nach Gegenargumenten. Aber er musste zugeben, dass ihm auch nichts Besseres einfiel. Ein schlechter Plan war wohl besser als keiner. Dann ließ er von ihm ab, drehte sich um und ging mit geballten Fäusten einige Schritte von der Gruppe weg. Er konnte nicht fassen, was sein Freund da gerade vorgeschlagen hatte.
 

Yusei sprach weiter. „Wenn wir diese Kräfte kontrollieren können, werden wir ihn besiegen, das weiß ich. Aber der Zeitpunkt ist nicht morgen. So wissen wir unsere Freunde wenigstens vorerst in Sicherheit.“ Bei diesem Satz warf Jack Carly einen kurzen Seitenblick zu, ehe ein missbilligendes Schnauben zu hören war. Er war nicht glücklich darüber, aber einverstanden.
 

Die Spannung zwischen den Beiden, konnten auch ihre Freunde spüren. Leo versuchte die Stimmung zu entspannen. „Hey Jack, wie wäre es mit einer kleinen Spritztour?“

Seine Schwester starrte ihn an „Wie kommst du denn jetzt darauf?“
 

Er grinste „Naja, wenn ich wütend bin, baue ich die angestaute Energie gern auf der Straße ab! Außerdem kann ich ein kleines Training vor dem Liga-Start gut gebrauchen!“ Seine Augen funkelten Jack erwartungsvoll an. Dieser überlegte, drehte sich zu ihm und sah, dass er es ernst meinte. „Na schön“ sagte er und ging an allen vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Leo folgte ihm glücklich.
 

Luna sah ihnen hinterher und seufzte. „Männer!“
 

„Das kannst du laut sagen“ bestätigte Carly wehmütig. Er war zwar seit kurzem ständig in ihrer Nähe, doch verhielt er sich, wenn das überhaupt möglich war, noch verschlossener als damals. Außerdem wurde er schneller wütend als sonst. Sie wusste einfach nicht, was sie davon halten sollte.
 

Akiza versuchte die Aufmerksamkeit der Damen auf ein anderes Thema zu lenken und schenkte ihnen ein Lächeln. „Sagt mal, ihr als meine Brautjungfern könntet mir bei einigen Vorbereitungen für heute Abend helfen, hättet ihr Lust? Ich rufe Misty an, sie müsste mit ihrem Shooting fertig sein.“
 

Das erhellte ihre Mienen etwas und sie machten sich auf den Weg, nachdem Akiza sich mit einem flüchtigen Kuss von Yusei verabschiedet hatte. Nun war er allein auf dem Dach. Er steckte die Hände in die Hosentaschen, ging zur Betonbrüstung und ließ seinen Blick über die Stadt schweifen. Er hatte die Zerstörungskraft dieses Dämons bereits mehrere Male mit ansehen müssen. Keinesfalls würde er zulassen, dass seine Freunde genauso enden würden.
 

~*~
 

Als die Frauen ihre Vorbereitungen abgeschlossen hatten, waren auch Leo und Jack fertig mit ihrem Duell und fuhren nach Hause um sich umzuziehen. Jack hatte sich allmählig wieder beruhigt. Leo hatte Recht. Das war genau das, was er brauchte. Crow und Kalin haben Martha eingesammelt und zusammen fuhren sie zu dem Rosengarten, in dem Yusei um Akizas Hand angehalten hatte. Mizuki war zwar verzweifelt, schaffte es aber alles zu canceln und die Hochzeit dorthin vorzuverlegen.
 

Die Hochzeit war genau das, was Yusei sich wünschte. Die einzigen Anwesenden waren, neben dem glücklichen Paar, der Priester, der sie trauen sollte, Carly, Misty und Luna als Brautjungfern, Crow als Trauzeuge, Jack, Kalin, Leo, Akizas Eltern Hideo und Setsuko und Yuseis Ziehmutter Martha. Letztere wirkten überrumpelt von der plötzlichen Verschiebung, und es machte die Sache nicht leichter zu verstehen, dass sie keinerlei plausible Erklärung erhalten hatten. Auch Misty und Kalin waren verwundert über den plötzlichen Sinneswandel ihrer Freunde.
 

Die Männer trugen einen schwarzen Anzug, darunter ein weißes Hemd und eine Krawatte. Die Damen hatten lange Kleider in verschiedenen Farben an. Yusei stand mit Crow an seiner Seite vor dem Priester und sein Herz begann zu rasen. Er hatte einen Kloß im Hals und war vollkommen nervös, versuchte es allerdings nicht zu zeigen. Ein paar Schritte neben ihnen standen Luna und Carly, die ebenfalls aufgeregt schienen. Misty hatte, wie von der Braut angefragt, ihre Violine dabei und befand sich etwas abseits schräg hinter dem Priester. Die restlichen Gäste hatten sich auf den, mit Bändern und weißen Rosen geschmückten, Stühlen hinter Yusei und den anderen gesetzt.
 

Langsam wurde alles ruhig und im Hintergrund konnte man die Glocken hören. Misty setzte den Bogen ihrer Violine an und stimmte ein sanftes Lied an. Yusei und die anderen blickten den, mit Rosenblühten geschmückten, Gang entlang und sahen Hideo an der Seite seiner Tochter. Yuseis Herz machte abermals einen Satz und pochte wie wahnsinnig gegen seine Rippen, seine Hände wurden schwitzig und es verschlug ihm den Atem. Er hatte sie bereits in diesem wunderschönen Kleid gesehen, doch jetzt vor dem Altar: Das war etwas völlig anderes. Er konnte nicht anders als bei ihrem Anblick zu lächeln. In diesem Lächeln steckte all seine Liebe zu dieser Frau. Langsam schritt sie mit ihrem Vater am Arm auf ihn zu und mit jedem ihrer Schritte, verflüchtigte sich auch seine Nervosität.
 

Als sie nur noch wenige Zentimeter vor ihm stand, ließ Hideo sie los und reichte dem Bräutigam ihre Hand, die er sanft entgegennahm. Dann stellte sie sich zu ihm und ihr Vater nahm Platz bei den anderen Gästen.
 

Als Misty ihr Lied beendete, fing der Priester an zu sprechen. Das Brautpaar war jedoch zu abgelenkt von diesem Moment, als dass sie ihm hätten folgen können. Etwas riss Yusei aus seinen Gedanken. Er wurde angesprochen, aber was war die Frage? Seine Wangen röteten sich ein wenig vor Scham als er die Augen von seiner Geliebten abwandte und nicht wusste, was er sagen sollte. Er hörte Martha im Hintergrund kichern. Der Priester räusperte sich: „Ich frage Sie noch einmal. Yusei Fudo, wollen Sie die hier anwesende Akiza Izinski zu Ihrer rechtmäßig angetrauten Frau nehmen, sie lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet?“ „J- Ja“ antwortete er. Der Blick des Priesters wanderte zu der schönen Braut vor ihm. „Und Akiza-“ doch noch ehe er den Satz richtig beginnen konnte, unterbrach sie ihn mit einem stürmischen „Ja!“ Im Hintergrund konnten sie wieder einige Gäste hören, die versuchten ein Lachen zu unterdrücken.
 

Der Mann vor dem Brautpaar lächelte sanft und schüttelte unmerklich den Kopf. Crow reichte Yusei eine kleine, schwarze Samtschachtel. Er nahm sie entgegen und öffnete sie. Darin befanden sich zwei schlichte, goldene Ringe mit einer Gravur auf der Innenseite. Akiza & Yusei, gefolgt vom Datum des darauffolgenden Tages. Er nahm den etwas schmaleren Ring aus dem Kästchen und steckte ihn der rothaarigen Schönheit vor ihm an. „Ich liebe dich“ flüsterte er so, dass nur sie ihn hören konnte. Als Antwort bekam er ein liebevolles Lächeln. Akiza nahm den verbliebenen Ring aus der Schachtel und steckte ihn Yusei an den Finger. Dabei hauchte auch sie ihm ein tonloses „Ich liebe dich auch!“ zu. Der Priester fuhr fort: „Mit der Kraft des mir verliehenen Amtes erkläre ich Sie hiermit zu Mann und Frau, Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“
 

Er legte seiner Frau die Hand unters Kinn und drückte sanft seine Lippen auf ihre. Sie erwiderte den Kuss und legte ihm dabei ihre Hände in den Nacken. Dumpf konnten sie den Applaus ihrer Freunde und ihrer Familie wahrnehmen, bevor sie den Kuss wieder lösten.
 

Endlich waren sie Mann und Frau. Das Glück, dass sie in diesem Moment empfanden, war kurz aber perfekt.

Der Angriff

//Erzähler//
 

Der gestrige Abend war eine willkommene Abwechslung zu all dem Chaos, das sie in letzter Zeit begleitete. Ihnen war Bewusst, dass dies für einige Zeit der letzte unbeschwerte Abend gewesen sein wird. Der Angriff würde kurz nach eins starten, also sammelten sie sich 12:30 Uhr an dem Ort, an dem die Hochzeit ursprünglich hätte stattfinden sollen. Yusei hatte Lazar gebeten die Umgebung weitläufig abzusperren, damit niemand sonst zu Schaden kam. Akiza, Crow und Luna hatten ihre Dueldisk angelegt. Angespannt sahen die Auserwählten in den Himmel.
 

„Meinst du, dein Plan klappt?“ fragte Jack in die Stille. Yusei schluckte. „Ist unsere einzige Chance, nicht? Also wird es auch klappen.“ Leise fielen die ersten Tropfen vom Himmel.
 

Die Uhr zeigte 13:00 Uhr.
 

Plötzlich zogen sich die Wolken zu einem Wirbel am Himmel zusammen und der Regen wurde stärker. Es zuckten violette Blitze am Himmel. „Es geht los!“ rief Yusei. Crow und Luna machten den Schild bereit. Keine Sekunde zu früh, denn im nächsten Moment schnellte ein gigantischer Blitz keine zehn Meter vor ihnen in den Boden und seine Ausläufer drohten die Auserwählten zu treffen, wäre da nicht der Schutz gewesen, den Crow und Luna ihnen boten.
 

Der Blitz verschwand und an seiner Stelle schwebte stattdessen ein furchterregender Dämon mit langem, dunkelblondem Haar. Er starrte die Auserwählten mit einem boshaften, fast schon teuflischen Grinsen an und begann süffisant zu lachen. Yuseis Muskeln spannten sich an. Seine Freunde erstarrten vor Angst und regten sich nicht mehr.
 

„Wie ich sehe, wurde ich schon erwartet. Sehr interessant! Anscheinend hatte meine Schwester recht.“ Er schnipste und um sie herum bildeten sich vereinzelte violette Flammen, aus denen die 23 niederen Dämonen traten. Sie waren umzingelt. Lucifer sprach weiter und in seinen roten Augen blitze die Vorfreude. „Es freut mich, dass ihr euch anscheinend dazu bereit erklärt, euch zu ergeben und mir in die Unterwelt zu folgen.“ Ein weiterer Blitz zuckte hinter ihm auf. Der Regen war unnachgiebig und preschte kalt gegen ihre zum Zerreißen angespannten Körper.
 

Yusei sah seine Chance, drehte sich ein letztes Mal zu seinen Freunden um. Sein Blick verweilte auf Akiza, die ihn aus sorgenvollen Augen betrachtete. Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und blickte wieder entschlossen zu seinem Gegner. Dann setzte er sich in Bewegung und ging langsam auf ihn zu.
 

Lucifer begann finster zu lachen. „Wie amüsant! Einer von euch hat wohl schon die Nerven verloren, was? Hat der Feigling auch einen Grund für seine Kapitulation?“ Yusei hatte bereits die Hälfte des Weges geschafft und war gerade an den niederen Dämonen vorbei, doch nun musste er sich eine Antwort überlegen, ehe der langhaarige Dämon stutzig wurde. Da hatte er eine Idee. „Wir werden sowieso verlieren, nicht?“ sagte er ruhig und schritt weiter auf ihn zu, während er die Hände zu Fäusten ballte. „Ich habe keine Lust, mich mit diesen Bestien anzulegen. Außerdem habe ich in meinem Leben nie einen Kampf verloren, warum sollte ich heute damit anfangen?“ Er verabscheute jedes Einzelne seiner Worte und biss sich auf die Unterlippe. Nur noch ein paar Meter, dann konnte er seinen Teil des Planes erfüllen.
 

Aus den Augenwinkeln sah er einen schwachen Lichtblitz, anders als seine violetten Vorgänger. Er suchte nach der Quelle der Erscheinung und sah sich selbst zwischen den Bäumen neben dem Haus. <Eine Zeitschleife?> dachte er. Ein gewaltiger, stechender Schmerz, der nicht verebbte breitete sich in seinem Kopf aus und ließ ihn in die Knie gehen. Yusei fühlte sich als würde sein Kopf langsam und qualvoll in tausend Stücke gesprengt werden. Er schrie und presste seine Hände an die Schläfen, in der Hoffnung der Schmerz würde vergehen, ehe er endgültig ein paar Schritte vor seinem, verwirrt dreinblickenden, Gegner zusammenbrach.
 

„Yusei!“ schrie Akiza auf und aktivierte ihr Drachenmal. Die anderen Auserwählten taten es ihr gleich. Sie, Luna und Crow legten ihre Monster auf die aktivierten Dueldisks und leiteten so den Kampf ein. „Haltet euch an den Plan und löscht zuerst die anderen aus, bevor wir Lucifer angreifen!“ rief Crow seinen Monstern und seinen Freunden zu. Jack nickte und schoss einen Feuerball in die Richtung eines kleineren Dämons, der einen qualvollen Schrei von sich gab, jedoch noch nicht besiegt war. Pikeru und Curran löschten ihn mit einem letzten Angriff endgültig aus. 22 Dämonen waren noch übrig. Doch die Viecher waren nun näher beisammen als in Yuseis Vision und auch nicht mehr durch die anderen Gäste abgelenkt. Sie konzentrierten ihre Angriffe auf die 15 Monster der Auserwählten. Crows Schwarzflügelmonster verwickelten vier der sechs Vogeldämonen in der Luft in einen Kampf.
 

Blizzard der Hohe Norden beschwor einen Eissturm herauf und verlangsamte so die Bewegungen der Höllenvögel. Schwarzflügelrüstungsmeister holte einen mit einem gewaltigen Angriff vom Himmel. Er landete direkt auf einem der Katzendämonen und begrub ihn unter sich. Doch noch immer zuckte der tote Vogelkörper, da der begrabene Dämon wieder an die Oberfläche wollte. Akizas Dornenranken gaben ihm schließlich den Rest. Einer der zwei außenstehenden Vogeldämonen stürzte sich auf Blizzard, der einen Moment abgelenkt war und riss ihm die Flügel aus. Crow hielt sich die Schultern und schrie, da er den Schmerz seines sterbenden Monsters fühlen konnte. Leo war an seiner Seite und versuchte ihm die Schmerzen zu nehmen, was teilweise gelang.
 

Rose, Kriegerin der Rache galoppierte auf Sonnenlichteinhorn in die Richtung eines katzenartigen Dämons, sprang von dem Rücken des gehörnten Pferdes und schlitzte dem Kätzchen den Rücken auf, bevor sie jedoch von einem der fünf großen Echsendämonen zerquetscht wurde. Akiza ging in die Knie. Famose Rose und Königin der Dornen rächten sogleich ihren Tod und schlitzten dem Echsendämon die Seite auf. Pikeru, Curran und Hexe der schwarzen Rose waren gerade mit zwei der kleinen, muskulösen Dämonen beschäftigt und bemerkten den Angriff des verbliebenen Höllenvogels nicht, der Curran in die Höhe Riss und sie in der Luft zerfetzte. Luna schrie auf und zitterte am ganzen Körper. Als Leo mit Akiza fertig war, eilte er sofort seiner Schwester zu Hilfe. Pikeru sprang auf Rosententakels Blatt und wurde von ihm in die Luft geschleudert um ihre getötete Schwester zu rächen. Sie schoss ihm einen Lichtball entgegen, der ihn vom Himmel holte. Ehe sie selbst zu Boden fiel, wurde sie von Elphin gerettet und abgesetzt, der einige Augenblicke zuvor selbst einen Vogel erwischt hat.
 

Akizas Dornen hielten einen der Ghouls auf, der sich gerade auf Pikeru stürzen wollte und Rosententakel gab dem Vieh den Rest. Leider wurde Akizas Monster von hinten von einem der Echsen gepackt und hin und her geschleudert. Diese Tortour machte er nicht lange mit und blieb reglos am Boden liegen. Mit letzter Kraft sprang Pikeru in das Maul der Bestie und schoss ihm einen Lichtblitz in sein Innerstes. Es explodierte förmlich und verstreute überall seine Leichenteile auf dem Boden. Von Pikeru war keine Spur zu sehen, doch Luna wusste, dass sie ihre Freundin verloren hatte.
 

Währenddessen betrachtete Lucifer interessiert das Schauspiel und Yusei lag noch immer bewusstlos auf dem vom Regen durchnässten Boden. Was man von außen jedoch nicht sehen konnte war, dass im Inneren des schwarzhaarigen Auserwählten ein immenser Kampf tobte. Es war wirklich, als wäre er in einer Zeitschleife gefangen. Ständig änderten sich im Bruchteil einer Sekunde seine Erinnerungen. Er sah hunderte mögliche Ausgänge des Kampfes und darüber hinaus. Eine Wand aus schwarzen Fäden, die für jeden dieser Ausgänge standen, baute sich vor ihm auf. Jede Zukunft, jeder Faden, endete mit dem Tod der Auserwählten. Wieder und wieder sah er sie in ferner Zukunft sterben. <Wir können nicht gewinnen!> dachte er für einen Augenblick. Sein Geist hielt diese Qual nicht lange aus. Doch dann sah er einen Ausweg. Eine Möglichkeit den Krieg zu gewinnen. Die Stimme aus seiner Vision sagte einst: „Es wird leider keine Möglichkeit geben, alle zu retten.“ Wenn er aber seine Freunde in Sicherheit wüsste, dann wäre ihm sein eigenes Schicksal egal. Es gab eine Möglichkeit sie zu retten. Er griff nach dem roten Garn zwischen all den schwarzen Alpträumen und klammerte sich mit aller Kraft an diesen einen Ausweg.
 

Als er aufwachte, lag er noch immer am Boden und die kalten Tropfen prasselten auf ihn nieder. Keuchend rappelte er sich auf, in seinen blauen Augen spiegelte sich wilde Entschlossenheit. Dieses Mal wusste er, wie er sie beschützen konnte. Lucifer grinste ihn höhnisch an. „Bleib liegen, kleiner Auserwählter, du kannst ihnen ja doch nicht helfen“ sagte er und beschwor eine kleine Kugel aus Blitzen hervor, die er gegen ihn schleuderte. Yusei machte sich nicht die Mühe auszuweichen und mit einem weißen Lichtblitz schlug der Angriff ein. Schockiert betrachtete Leo das Schauspiel, da seine Freunde mit den restlichen Dämonen beschäftigt waren. „Yusei!“ schrie er und sah verwundert, dass dieser wieder hinter seinem Kontrahenten erschien, jedoch mit einem schwarzen Schwert in der Hand. Wo kam das auf einmal her? Ein lauter Aufschrei Lucifers ließ die Dämonen für einen Moment innehalten. Diesen Moment nutzten Königin der Dornen, Regulus und Rüstungsmeister um einer weiteren gigantischen Echse den Gar aus zu machen. Leider riss die Echse das Schwarzflügelmonster mit sich.
 

Yusei hatte Lucifer am rechten Flügel erwischt und ein riesiger Riss klaffte zwischen der dünnen Membran seiner Schwinge. Rasend vor Zorn drehte er sich um, während er geschmeidig sein eigenes Schwert aus der Scheide zog und Yusei einen Hieb versetzte. Dem Ersten konnte er noch ausweichen, den Zweiten parieren, doch der Dritte traf ihn an der Schulter und schlitzte ihm, begleitet von einem markerschütternden Schmerzensschrei, die Kleidung und seine Haut mit einem großen Blutschwall bis zur Brust auf. In diesem Moment sah auch Jack zu seinem Freund und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Fast wäre er von einem der katzenartigen Dämonen getroffen worden, hätte Luna ihn nicht beschützt. Das Vieh flog in hohem Bogen in das Schwert von Silberwind der Aszendent. Der Luftkampf endete mit dem Tod der verbliebenen drei Höllenvögel, jedoch wurden auch Sirocco und Elphin stark in Mitleidenschaft gezogen und lagen bewusstlos am Boden.
 

Erneut beschwor Lucifer einen Kugelblitz und richtete ihn gegen den am Boden liegenden Yusei. Doch wie beim ersten Angriff schlug dieser mit einem kurzen Lichtblitz ein und sein Gegner verschwand, nur um im Bruchteil einer Sekunde wieder hinter ihm aufzutauchen. Yusei hob erneut das Schwert und schlitzte nun den zweiten Flügel des Dämons auf. Dieses Mal sprang er jedoch gleich nach hinten, ehe sich sein Gegenüber rächen konnte. Wo hatte er nur die Kraft her sich wieder zu bewegen? Jack erkannte, dass zwar die Kleidung seines Freundes zerrissen war, seine Verletzungen waren jedoch geheilt. „Hey Jack, konzentrier dich!“ schrie ihn Crow an. Der große Blonde wandte seinen Blick ab und widmete sich wieder einem der Dämonen. Er musste darauf vertrauen, dass Yusei wusste was er tat.
 

Lucifer betrachtete seinen Gegner mit einem hasserfüllten Blick, ehe seine Augen zu dem Schwert in seiner Hand schweiften. „Das ist doch…“ murmelte er. Dann riss er die Augen weit auf und schrie: „Wo hast du dieses Schwert her? Lillith ist die Einzige, die es führen darf!“ Yuseis Mundwinkel hoben sich zu einem herausfordernden Grinsen. „Anscheinend habe ich auch die Erlaubnis dazu.“ So schnell er konnte, rannte der Wissenschaftler den Weg Richtung Haus entlang. Mit jedem Schritt hörte er das Platschen der Pfützen unter ihm. Jetzt, da Lucifer seine Flügel nicht mehr benutzen konnte, war Yusei schneller. Kurz vor dem Haus wandte er seinen Kopf nach links und schrie: „Ich lenk ihn ab, hol dir eine Dueldisk!“ Dann verschwand er im Haus, gefolgt von dem blonden Dämon.
 

Mittlerweile waren nur noch acht Dämonen und sieben Monster übrig. Es war 13:35 Uhr. Crows verbliebenes Monster Silberwind der Aszendent kämpfte mit seinen letzten Kräften an der Seite von Famose Rose gegen einen großen Echsendämon. Er versetzte ihm einen Hieb mit seinem Schwert an der Seite seines Bauches entlang und tränkte die Erde neben dem Vieh in schwarzes Blut. Es schlug mit seinem Schwanz nach dem Schwarzflügelmonster und traf ihn, woraufhin er zu Boden ging und in der Blutlache liegen blieb. Famose Rose versenkte ihre Dornenranken in der Wunde, die Crows Monster hinterlassen hatte, dann ging es endgültig zu Boden und rührte sich nicht mehr. Der Schwarzflügelduellant war am Ende seiner Kräfte. Neben ihm ging einer der Ghoule in Flammen auf und einer der Katzendämonen schrie einige Meter daneben laut auf, als er von zwei gigantischen Dornenranken zerquetscht wurde. Die Blüten des Kleides von der leblosen Hexe der schwarzen Rose rauschten an ihnen vorbei. Nur noch fünf Dämonen und fünf Monster.
 

„Feenbogenschütze!“ schrie Luna und ihr Monster schoss einen blitzschnellen Pfeil auf den letzten verbliebenen Ghoul, der sich gerade auf Yusei stürzen wollte. Im Hintergrund hörten sie eine Explosion aus dem Haus. Endlich war er bei seinen Freunden angekommen. Außer Atem schweifte sein Blick über die Gesichter seiner Gefährten. Lange hielten sie auch nicht mehr durch. Jack sah ihn an.

„Hast du es geschafft? Ist dieser Lucifer endlich weg?“

Eine weitere Explosion aus violetten Blitzen beantwortete seine Frage. „Ist wohl noch in Arbeit“ sagte Yusei und wandte sich an Crow. „Ich brauche deine Dueldisk!“

Erst jetzt bemerkte Jack, dass Yuseis Kleidung wie neu aussah. Um genauer zu sein, trug er die Sachen, die er am Vortag anhatte. „Hast du dich da drin schnell umgezogen?“

Der Wissenschaftler sah in verwirrt an. Eine dritte Explosion ertönte. Er sah auf die Uhr über dem Haus. Es war 13: 43 Uhr. Eilig wandte er sich an Crow. „Schnell, deine Dueldisk!“

Der Angesprochene nickte und überreichte ihm das Gerät. Aus dem Augenwinkel konnten sie einen Lichtblitz aus dem Haus erkennen.

„Was geht da ab?“ fragte Leo. Yusei rannte wieder in Richtung des Hauses und wich einem der verbliebenen vier Dämonen aus. Sonnenlichteinhorn spießte die Höllenkatze auf.
 

„Was geht hier vor?“ ertönte eine weibliche Stimme von oben. Sie richteten ihre Blicke in den Himmel und sahen mit Schrecken eine geflügelte Frau mit gewelltem, schwarzem Haar und blutroten Lippen. Lillith. „A- Aber das ist nicht möglich, von ihr hat Yusei nichts erwähnt!“ sagte Luna mit zitternder Stimme. Das dämonische Schneewittchen warf ihren Blick auf den Wissenschaftler, der in die Richtung des Hauses rannte und folgte ihm. „Yusei, pass auf!“ schrie Akiza, doch in diesem Moment kam aus dem Haus eine weitere Person mit zerschlissener Jacke heraus und rannte auf sie zu, gefolgt von einem langhaarigen Dämon mit zerfetzten Flügeln. Moment. „Y- Yusei?!“ stotterte Leo. Crow sah ihn verständnislos an. „Aber wenn das Yusei ist, wem hab ich dann eben meine Dueldisk gegeben?“ Lillith raste mit unglaublicher Geschwindigkeit auf den schwarzhaarigen Duellanten mit der Dueldisk zu, da stellten sich ihr Famose Rose und Königin der Dornen in den Weg. Das verschaffte ihm genug Zeit um die Disk zu seinem Gegenüber zu werfen. Dann verschwand er in einem kurzen Lichtblitz.
 

Akizas Dornen töteten die letzte verbliebene Höllenkatze und die Ärztin sackte zu Boden. Auch sie war endgültig am Ende ihrer Kräfte. Leo übertrug ihr etwas von seiner übrigen Energie, aber auch er konnte langsam nicht mehr. Yusei schnappte sich die Disk, die ihm von seinem verschwundenen Ebenbild gegeben wurde und packte Lillith, die am Boden angekommen war um sich auf ihn zu stürzen, am Handgelenk. Dann verschwanden beide in ebenjenem Lichtblitz, der auch Jack einst mit seinem Freund teleportierte. Seine Freunde blickten verständnislos auf die Szenerie vor ihnen. Der ursprüngliche Plan war es doch, Lucifer von hier weg zu bringen. Doch dieser stand nur auf dem Fleck, an dem vor einem Augenblick noch seine Schwester war. „Was geht hier vor?“ presste er mit zusammengebissenen Zähnen vor. Sein Gesicht war dem Wahnsinn verfallen und seine Haare krausten sich unordentlich um seinen nassen Körper. Sein Atem ging rasch und seine Flügel hingen in Fetzen kraftlos an seinem Rücken herunter.
 

Dann starrte er die Auserwählten an. Zornesröte stand ihm in seinem fuchsteufelswilden Gesicht. Im Hintergrund zuckten die Blitze des Unwetters. Mit dem Donnergrollen begann er zu sprechen: „Ich habe keine Ahnung wohin euer Freund mit meiner Schwester verschwunden ist, aber ihr werdet für das büßen, was er mir angetan hat! Seht euch an! Ihr seid komplett am Ende!“ Dann entstellte wieder ein wahnsinniges Grinsen sein Gesicht und sie hörten sein süffisantes, triumphierendes Lachen. Langsam schritt er auf die fünf Freunde zu. Jack versuchte ihn aufzuhalten. Mit letzter Kraft formte er einen Feuerball und warf ihn dem Dämon entgegen, doch stürzte sich der letzte der kleineren Dämonen davor und starb. Lucifer stieg über die Leiche und ließ die erschöpften Auserwählten nicht aus den Augen. Lunas verbliebene drei Monster hielten gerade die letzte riesige Echse in Schach. Wieder ein Lichtblitz. Etwa 15 Meter hinter Lucifer erschien ihr schwarzhaariger Freund und atmete schwer. Er war allein. „Yusei“ murmelte Akiza, doch ihr Ausruf ging im Prasseln des Regens unter. Lucifer wandte seinen Blick ab und sah über seine Schulter. Er blickte Yusei in die Augen. Seine Eigenen waren nur noch Schlitze.
 

„Da bist du ja wieder“ sagte er und drehte sich um. „Du wirst der erste sein, der fällt!“ Yusei schloss die Augen und versuchte seine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Als er ruhiger wurde, aktivierte sich sein Drachenmal und zog die seiner Freunde an. Diese wussten, was er von ihnen verlangte und so übertrugen sie ihm ihre Kraft. Die Drachenmale verschwanden und das vollständige Mal des feuerroten Drachen erschien auf Yuseis Rücken. Er öffnete die Augen und wusste, was er gleich tun müsste, doch konnte er nicht gegen das Gefühl ankommen, dass es ihm das Herz zerreißen wird. Er atmete tief durch. Lucifer war fast bei ihm angekommen und sein Griff um das Schwert wurde fester. Der Dämon spürte durch seinen Zorn nicht einmal mehr, dass der Regen langsam nachließ.
 

Am Himmel über Yuseis Freunden brachen die Wolken auf und das so entstandene Loch ließ einen gleißenden Lichtstrahl über das Schlachtfeld fallen. Überall lagen die Leichen der Dämonen und Monster auf dem blutgetränkten Boden. Der Anblick war furchtbar und ein kalter Schauer fuhr durch die Körper der Auserwählten. Dort wo blauer Himmel hätte sein müssen, hatte sich eine Art Portal aufgetan. Mit Erstaunen betrachteten sie einen riesigen, feuerroten Drachen, der aus der Wolkendecke auf die Erde schwebte. Die Energie, die die Luft erfüllte, konnte auch der Dämon in seiner Wut spüren und so blieb er wenige Meter vor seinem Opfer stehen. Er betrachtete mit Schrecken den Drachen über ihm.
 

Yuseis Freunde wurden einzeln in eine blassrote Sphäre gehüllt und hoben langsam vom Boden in Richtung des Portals am Himmel ab. Sie hatten keine Ahnung, was in diesem Moment geschah. Der schwarzhaarige Duellant holte seine Karte hervor. Sternenstaubdrache. Er betrachtete sie und führte sie näher zu seinem Gesicht, dann schloss er seine Augen und murmelte ihr etwas zu. „Pass gut auf sie auf, mein Freund…“ Er öffnete seine tiefblauen Augen, in denen Trauer stand. Die Karte schleuderte er in die Richtung seiner Freunde, wo Jack sie in der Luft auffing.
 

Er betrachtete sie und seine Augen weiteten sich vor Schreck. „Nein! Tu das nicht!“ schrie Jack und blickte zu seinem Freund. Crow sah den blonden Duellanten nervös an. „Wieso, was hat er denn vor?“ Mit zusammengebissenen Zähnen antwortete ihm der Angesprochene, wobei er den am Boden Stehenden noch immer fixierte. „Er will sich opfern.“ Vor Schreck drehten sich die Köpfe der übrigen in Yuseis Richtung. Dieser schenkte ihnen ein letztes, sanftes Lächeln.
 

„Nein!“ schrie Lucifer, als er realisierte, dass ihm seine Beute entwischte. Sein Körper wurde von einer dunklen Aura umgeben. Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit rannte er plötzlich auf die nach oben schwebenden Sphären zu und setzte zu einem gewaltigen Sprung an, der die Erde unter ihm aufreißen ließ. Kurz bevor er Akiza erwischen konnte, schlang sich ein dünnes Seil um seinen Körper, zerrte ihn wieder zu Boden wo er im Schlamm liegen blieb. Yusei hatte die Klappe an Crows Dueldisk geöffnet und das dünne Drahtseil auf seinen Gegner geschleudert, als dieser seinen Freunden folgen wollte. Er hatte Mühe sein Gegenüber zu fixieren. Das Drachenmal auf seinem Rücken verschwand und er schenkte seinen Freunden wieder ihre Kraft. Dann tauchten sie mit Tränen in den Augen in das Portal ein, mit der Angst im Herzen Yusei nie wieder zu sehen.

Unbekanntes Territorium

//Luna//
 

Eine entfernte Stimme rief nach mir, doch ich konnte sie nicht verstehen. Mein Körper fühlte sich schwer an. Mein Kopf tat weh. Um mich herum war alles dunkel. Wo bin ich? „Luna!“ drang die ängstliche Stimme leise an mein Ohr. Leo? Brüderchen, wo bist du? Ich nahm eine Berührung an meiner Schulter wahr. Mein Körper bewegte sich ein wenig, aber ohne mein zutun. „Luna, wach auf!“ Was? Langsam nahm ich einen harten Untergrund wahr. Ich lag auf dem Boden. Um mich herum wahr eine bekannte Energie, aber ich konnte sie nicht einordnen. Wieder rüttelte mich jemand an meinen Schultern und ich schlug vorsichtig die Augen auf.
 

Die Sonne blendete mich und ich blinzelte ein paar Mal, ehe ich mich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Leo atmete hörbar aus. „Man, Luna! Ich hab mir schon Sorgen gemacht! Alles okay?“ Ich setzte mich mit zusammengekniffenen Augen auf und hielt mir den Kopf. Der Schmerz hämmerte unaufhörlich dagegen. „Alles okay“ antwortete ich leise, um meinen Bruder zu beruhigen.

„Ist sie wach?“ sagte eine andere Stimme. Ich sah wieder auf. Jack kam hinter einigen Bäumen auf uns zu.

„Ja, zum Glück! Sie ist eben aufgewacht!“

Jetzt nahm ich endlich auch den Rest meiner Umgebung wahr. Um uns herum ragten riesige Bäume in die Höhe, und mir unbekannte kleinere Büsche und andere Pflanzen bildeten einen dichten Teppich im Unterholz. In den Baumkronen hingen einige Lianen. Die Luft war ganz klar und sauber. Wir waren definitiv nicht mehr in Satellite. „Wo sind wir?“

Jack schüttelte den Kopf. „Zumindest nicht in der Nähe von Neo Domino City.“ Er deutete mit dem Daumen auf die Stelle, aus der er gerade aus dem Wald gekommen ist. „In der Richtung gibt’s nur noch mehr Bäume und Gestrüpp. Irgendwann wird der Weg aber von einer riesigen Felswand abgeschnitten.“

Leo seufzte. „Also wieder eine Sackgasse.“
 

Wie lange waren die beiden schon auf der Suche nach einem Weg aus dem Wald? Und wo sind wir? Was ist passiert? Mein Kopf fing wieder an zu schmerzen. Plötzlich fiel mir alles wieder ein. Diese Dämonen, der feuerrote Drache, das Loch im Himmel, in das wir plötzlich gehoben wurden. Yusei! Er ist zurückgeblieben, um dieses Monster aufzuhalten! Aber wo waren Akiza und Crow? Hektisch sah ich mich um, doch wir waren nur zu dritt auf der kleinen Lichtung.
 

„Luna, beruhige dich.“

Ich sah zu Leo. Er wollte mich beruhigen, aber er sah genauso aus als würde er sich Sorgen machen. „Wo sind die anderen?“

Jack verschränkte die Arme vor der Brust. „Keine Ahnung, aber ich habe euch beide in der Nähe gefunden, da werden die anderen auch nicht weit sein.“

„Jack hat zuerst mich gefunden und dann haben wir dich kurz darauf hier entdeckt.“

„Ja, aber dieser Wald ist riesig. Ich habe noch nichts anderes als Bäume gesehen.“
 

Plötzlich raschelte etwas im Unterholz.

„Hey, vielleicht sind das Akiza und Crow!“

Leo wollte gerade aufstehen und losrennen, aber ich bekam ihn gerade noch so am Handgelenk zu fassen. Verwirrt drehte er sich wieder zu mir. „Du kannst doch nicht einfach losrennen! Was, wenn es irgendein Tier ist? Denk doch mal nach!“ Er schluckte trocken und sah wieder auf die Stelle, an der es immer noch raschelte. Langsam richtete ich mich auf. Hein Herz raste, während wir gespannt darauf warteten, dass irgendetwas passierte. Im nächsten Moment sprang ein kleines, grünes Wesen mit einem blattartigen Schwanz aus dem Unterholz und beäugte uns neugierig mit großen Knopfaugen. Es kam mir bekannt vor. „Syl… vanischer Engelsspross?“ fragte ich ungläubig. Es legte seinen Kopf schief.

„Wie sylvanischer Engelsspross?“ fragte Leo.

„Bedeutet das, wir sind in der Geisterwelt?“

Ich drehte meinen Kopf zu Jack und nickte. Es sah ganz danach aus.

Leo grinste. „Cool! Dann kannst du uns wieder zurückbringen, nachdem wir die anderen gefunden haben!“

Ich senkte den Blick und sah traurig auf den mir unbekannten Boden. „Schon, aber diese Umgebung ist mir komplett neu. Ich weiß nicht wo wir sind.“ Ich spürte Leos Hand auf meiner Schulter.

„Hey, nicht traurig werden, Schwesterchen. Wir suchen erstmal Akiza und Crow und dann helfen wir Yusei.“
 

Langsam hopste der kleine, grüne Spross in mein Blickfeld und musterte mich neugierig. „Kannst du uns vielleicht helfen, mein kleiner? Wir suchen unsere Freunde.“

Es schlackerte mit den blattartigen Ohren und gab mit seiner hellen Stimme ein „Huuu“ von sich. Einmal mehr war ich froh darüber, dass ich die Duellmonster verstehen konnte. Ich wandte mich lächelnd an Jack und Leo. „Er hat sie nicht gesehen, aber er will uns helfen!“

Leo war, wie immer, ganz aus dem Häuschen. „Klasse! Auf geht’s!“
 

~*~
 

Wir kämpften uns schon eine Weile durch das dichte Unterholz, während sylvanischer Engelsspross voraushüpfte und hier und da einige kleine Naturia Monster ansprach. Doch niemand hatte unsere Freunde gesehen.
 

Der Wald wurde langsam lichter und wir hatten nicht mehr so große Probleme, uns durch die Büsche zu kämpfen. Die Sonne stand schon ziemlich niedrig und bald würden wir kaum mehr sehen können, wo wir hintreten. Auf einer kleinen Lichtung angekommen, drehte ich mich zu Jack und Leo. „Wir sollten hier für die Nacht ein Lager aufschlagen.“

„Aber Luna! Was ist mit Akiza und Crow? Wir haben sie noch nicht gefunden!“

„Luna hat recht“ pflichtete Jack mir bei. „Es hat keinen Sinn weiterzusuchen. Es ist bald stockdunkel.“

„Aber…“

Ich seufzte. „Leo, wie willst du die anderen suchen, wenn du nichts mehr siehst? Außerdem müssen wir uns ausruhen. Wir sind seit Stunden unterwegs!“

Mit einem lauten Magengrummeln setzte sich Leo schließlich doch hin. Ich legte mir eine Hand an den Bauch. Auch ich hatte wahnsinnigen Hunger, aber schlimmer war der Durst. Sylvanischer Engelsspross beäugte uns kurz und verschwand dann im Unterholz. Wo er wohl hinwill? Ich hoffe, er kommt zurück.
 

„Ihr beide bleibt hier. Ich suche etwas Holz“ meinte Jack plötzlich und verschwand ebenfalls. Ich setzte mich erschöpft neben Leo und winkelte meine Beine an. Langsam wurde mir kalt.

„Meinst du, wir finden sie bald?“

Das war eine gute Frage. Wir kannten weder die Umgebung, noch konnten wir sicher sagen, dass unsere Freunde wirklich in der Nähe waren. Ich wusste nicht einmal, wie groß die Geisterwelt eigentlich war. Ich kannte nur einen kleinen Teil. Warum waren wir überhaupt hier? Und warum ist Yusei einfach in der anderen Welt geblieben? Ob er in Sicherheit ist? Ob Akiza und Crow in Sicherheit sind? Ich schlang meine Arme fester um meine Beine. Ich wusste die Antworten auf diese Frage einfach nicht.
 

Nach einiger Zeit kam Jack mit einigen Ästen wieder zurück und ließ sie zu Boden fallen. Leo machte sich daran, sie zu einer Feuerstelle zu stapeln. Plötzlich raschelte wieder das Gebüsch und wir sahen auf die Stelle, aus der das Geräusch kam. Unser grüner Freund hüpfte mit einigen Früchten beladen auf uns zu, die Äpfeln stark ähnelten. Eine Naturia Libelle flatterte über ihm aufgeregt mit einem großen, stark gebogenen Stück Rinde herum und stellte es vor uns ab. Darin war frisches Wasser gesammelt. Augenblicklich erhellte sich mein Gesicht. „Habt ihr das für uns mitgebracht? Vielen lieben Dank!“ Die beiden freuten sich über meine Reaktion und auch Jack und Leo bedankten sich bei ihnen. Zumindest dieses Problem war gelöst.
 

Nachdem wir uns etwas gestärkt hatten, entzündete Jack unser kleines Lagerfeuer und legte die übrigen Äste daneben, damit wir es in der Nacht am Leben erhalten konnten. Schnell versuchte ich mich an dem kleinen Feuer zu wärmen. Mir war wirklich kalt. Das Knistern des Feuers war beruhigend für meine chaotischen Gedanken. „Ich hoffe, unseren Freunden geht es gut“ sagte Leo plötzlich nachdenklich.

Jack setzte sich zu uns ans Feuer und beobachtete es. „Ach was, die beiden sind hart im Nehmen. Denen geht es gut. Viel mehr Sorgen mache ich mir um die Stadt.“

Ich sah auf. „Was meinst du damit?“

„Als wir in diese Welt gezogen wurden, waren dieser Lucifer und seine Schwester noch in Neo Domino City. Zusammen mit diesem Sturkopf.“ Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Er war wohl sauer auf Yusei, weil dieser einfach bei Lucifer geblieben ist, um uns zu schützen. Aber jetzt wo er es sagt… Was wird mit Neo Domino City, wenn diese Dämonen in der Stadt sind? Jacks Stimme holte mich wieder aus meinen Grübeleien. „Naja, wenn wir Akiza und Crow gefunden haben, werden wir in die Stadt zurückkehren und Yusei dafür zurechtweisen. Bis dahin schlaft erstmal. Ich übernehme die erste Wache.“

Leo gähnte herzhaft und schlief anscheinend augenblicklich ein, nachdem er sich hingelegt hatte. Der konnte aber auch überall schlafen. Ich nahm meine Dueldisk ab, die ich immer noch am Arm hatte und legte sie neben mir ab. Sylvanischer Engelsspross kuschelte sich eng an mich und ich musste schmunzeln. Der kleine hatte uns heute wirklich geholfen. Es dauerte eine kleine Weile, ehe mich die Müdigkeit einholte und ich in einen traumlosen Schlaf glitt.
 

~*~
 

„Leo, Luna! Aufwachen!“

„Was?“ Augenblicklich saß ich aufrecht auf dem Boden. Neben mir prasselte noch immer das Feuer und war die einzige Lichtquelle in der Umgebung. Hektisch sah ich mich um und riss meine Augen auf. Wir waren von Monstern umzingelt. Raubpflanzen.

„Was ist los?“ Leo rieb sich verschlafen die Augen und realisierte erst dann die Situation. Sylvanischer Engelsspross verkroch sich in meinen Armen als ich aufstand.

„Was sollen wir tun?!“

„Jack, kannst du nicht einfach ein paar Feuerbälle auf die Viecher schießen?“

Jack drehte seinen Kopf gereizt zu meinem Bruder, während er sich noch immer schützend vor uns stellte. „Und den Wald abfackeln? Die Lichtung ist zu klein! Ich kann es nicht kontrollieren!“

Eine Lilienkobra kam auf uns zugesprungen. Ich aktivierte meinen Schild und das Monster flog in hohem Bogen in den Wald. „Versuch es bitte, Jack! Es sind zu viele!“

„Verdammt“ brachte er unter zusammengebissenen Zähnen hervor und ließ sein Mal aufleuchten. Das kleine Feuer hinter uns wurde größer. Sylvanischer Engelsspross fing in meinen Armen an zu zittern. Die Monster wichen allmählich etwas zurück. Jack machte sich bereit für einen Angriff, aber vielleicht war das gar nicht nötig. „Warte!“

„Was denn?“ sagte er gereizt und brach seine Konzentration ab. Dadurch verpuffte der Feuerball und kleine Flammen züngelten um uns herum. Ich deutete auf die Monster um uns herum. „Siehst du das?“ Sie zogen sich ins Unterholz zurück und wir hörten, wie sie sich entfernten.

Leo sah sich verwundert um. „Was war das denn?“

„Ich glaube, sie hatten einfach Angst vor Jacks Flammen. Schließlich sind das Pflanzenmonster.“

„Warum haben sie uns dann überhaupt angegriffen?“

Das war doch offensichtlich. „Wir sind in ihr Revier eingedrungen. Das hier ist nicht das Gleiche wie der Kampf gegen die Dämonen. Diese Duellmonster empfinden genauso Gefühle wie wir.“
 

Das kleine Monster in meinen Armen sah sich aufgeregt um.

„Keine Angst, sie sind weg.“

Es sah erleichtert aus.
 

~*~
 

Nachdem wir die Nacht überstanden hatten, machten wir uns am nächsten Tag ziemlich gerädert auf den Weg um Akiza und Crow zu suchen. Wir mussten sie schnell finden. Als die Sonne im Zenit stand, erreichten wir das Ende des Waldes. Vor uns erstreckte sich eine Atemberaubende Landschaft. Riesige Blumenfelder strahlten in den schönsten Farben und weiter entfernt konnte man einen See am Fuße eines riesigen Berges erkennen.
 

Einige Naturia Fruchtfliegen kamen auf uns zu und Jack stellte sich zwischen mich und die näherkommenden Monster. Sylvanischer Engelsspross hüpfte freudig auf unsere Neuankömmlinge zu. „Mach dir keine Sorgen, Jack. Sie werden uns nichts tun.“

„Woher willst du das wissen?“

„Vertrau mir einfach. Ich fühle es.“

Er musterte mich skeptisch, entspannte sich aber ein wenig. Die Duellmonster schienen sich zu unterhalten. Sylvanischer Engelsspross ließ traurig seine großen Ohren hängen und sah mich mit seinen großen Knopfaugen an. Oh nein…

„Was ist denn los?“ fragte Leo.

„Die Fliegen haben den ganzen Wald abgesucht, aber Akiza und Crow scheinen nicht hier zu sein.“

Leo sah mich erschrocken an. „Was? Aber wo könnten sie dann stecken?“

Mein kleiner, grüner Freund sah mich eindringlich an und umarmte mich kurz, ehe er Richtung Wald hüpfte. „Danke!“ rief ich ihm noch hinterher und er drehte sich einen Augenblick lang um, um dann wieder im Unterholz zu verschwinden.

„Wo geht er hin?“

„Der Wald ist sein Lebensraum. Er will ihn nicht verlassen, aber er hat uns viel Glück gewünscht.“

Leo seufzte verzweifelt. „Na toll. Was machen wir denn jetzt? Wir müssen die anderen suchen und dann schnell zurück nach Neo Domino City! Wer weiß, was diese Dämonen dort angestellt haben!“

„Da hinten ist eine Stadt.“

„Was?“ Leo und ich folgten Jacks Blick. Tatsächlich. Am Rande des Sees lag ein kleines Dorf.

„Klasse! Vielleicht sind Akiza und Crow dort!“

„Naja, zumindest haben wir keinen anderen Anhaltspunkt“ bemerkte Jack.
 

Während unseres Weges zu dem kleinen Dorf, begegneten wir zum Glück keinen angriffslustigen Monstern. Es war wirklich wunderschön hier. So friedlich. Ich war noch nie in diesem Teil der Geisterwelt, aber anscheinend war es hier überall so wundervoll. Wie weit wir wohl vom Geisterwald entfernt waren, in dem Antiker Feendrache, Regulus und all meine anderen Freunde leben? Wenn wir in diesem Dorf nicht fündig werden, sollten wir vielleicht nach ihnen Suchen. Sie könnten uns helfen. Zumindest ist ein Tempel einfacher zu finden als Akiza und Crow, die überall sein könnten.
 

„Was ist denn da los?“ fragte Leo plötzlich in die Stille.

„Was meinst du?“

Er deutete in Richtung des Dorfes, das nicht mehr weit entfernt lag. „Sieh doch mal! Irgendwas ist dort los!“

Ich folgte seinem Blick, und tatsächlich. Die Bewohner des Dorfes rannten panisch durch die Straßen, während sie von irgendwelchen Gestalten gejagt wurden. Warum wehrten sie sich nicht? „Wir müssen ihnen helfen!“
 

„Dann kommt schon!“ Jack rannte voraus und wir hatten Probleme damit bei seinem Tempo mitzuhalten. Im Dorf angekommen, kam ein Mann auf uns zu. „Lauft! Die Viecher sind aus der Chaoszone!“

„Was?“

Der Mann rannte weiter.

„Hey, was meinst du damit?“ rief Jack ihm hinterher, aber der Fremde war schon in ein kleines Waldstück geflohen. Genervt stöhnte Jack auf. „Was geht hier ab?“
 

„Vorsicht!“ Leo sprang auf mich zu und riss mich von den Füßen. Was soll das? Da schlug neben uns plötzlich etwas im Boden ein und zersprang in einer kleinen Explosion. „Das war knapp. Geht’s dir gut Luna?“

„Ja, danke.“ Ich sah in die Richtung aus der dieses Etwas auf und zugeflogen kam, sah aber nichts. Es kam aus einer dunklen Gasse. „Was war das?“

„Keine Ahnung, aber wir bekommen Besuch“ kam es plötzlich von Jack. Leo und ich rappelten uns wieder auf und folgten seinem Blick. Vor uns tauchte eine Hand voll Monster auf. Groß, braun, hässlich und mit stechend roten Augen und riesigen Krallen.

„Was sind das für Monster?“

Jack aktivierte sein Mal, aber er wirkte sichtlich erschöpft. Er hatte in der letzten Nacht kaum geschlafen und wir waren den ganzen Tag unterwegs. „Menschenfresserkäfer.“

„W-Was?“ Leo wirkte sichtlich überfordert.

Da fiel mir meine Dueldisk wieder ein. Ich aktivierte sie und suchte mein Deck nach der passenden Karte durch. „Ich rufe Sonnenlichteinhorn!“ Mein Monster tauchte vor mir auf und stapfte ungeduldig mit den Hufen auf dem Boden. „Als nächstes rüste ich mein Monster mit Horn des Einhorns aus!“ Meine Zauberkarte verstärkte die Angriffskraft meines Monsters. Ich hoffe nur, es reicht! „Los, Sonnenlichteinhorn! Greif sie an!“ Es bäumte sich auf und galoppierte auf unsere Gegner zu. Bitte! Bitte lass es funktionieren!

„Es klappt“ rief Leo glücklich, als mein Monster es mit mehreren Gegnern aufgenommen hatte und wieder in einem hellen Schleier verschwand, um sich in seine Karte zurückzuziehen. Jack kümmerte sich um die restlichen Beiden. Ich atmete erleichtert auf und nahm mein Monster von der Dueldisk. Gut gemacht, mein Freund.
 

Plötzlich überkam mich ein furchtbares Gefühl. Ich drehte mich zu der dunkeln Gasse und aktivierte mein Drachenmal, um den Schild zu erzeugen. Irgendetwas kam auf mich zu. Schützend hob ich die Arme vor mein Gesicht und wurde getroffen. Alles wurde plötzlich laut in meinem Kopf und ich landete unsanft auf dem Boden. „Luna!“ Leo kam zu mir geeilt. Mein linker Arm tat höllisch weh. „Du blutest!“ Was? Ich sah auf meinen Arm hinab. Die Dueldisk war zerstört, hat mich aber anscheinend vor dem Angriff gerettet. Unter der Disk schien eine Wunde zu sein, aber der Schmerz ließ sich aushalten.
 

„Scheiße!“ Ich sah auf. Jack hatte sich zwischen die Gasse und mich und meinen Bruder gestellt. „Warum hat dein Schild nicht funktioniert?“ fragte er ohne den Blick von der Gasse abzuwenden.

„Ich… ich glaube, das war kein physischer Angriff. Anscheinend wirkt mein Schild dagegen nicht!“ Ich richtete meinen Blick wieder auf die Gasse, aber ich konnte nichts Ungewöhnliches sehen. Was war das?

Jack aktivierte sein Mal. Er sah so aus, als würde er dafür wirklich all seine Kräfte brauchen. Er formte eine kleine Feuerkugel und schoss sie in die Dunkelheit. Ich riss meine Augen erschrocken auf. An den Wänden konnte man für einen kurzen Augenblick, als der Feuerball an ihnen vorbeiflog und sie ins Licht tauchte, zwei Monster sehen. Sie waren groß, grün und hatten riesige Krallen und überall auf ihrem Körper schimmerten rote Augen.

„Verdammt, sind die hässlich!“ war Leos einziger Kommentar.

„Wir müssen hier weg!“ rief ich und stand auf um mir Leos Handgelenk zu schnappen. Zumindest mussten wir aus deren Schussfeld raus. Ich lehnte mich mit Leo gegen eine Wand, die zu einem großen Platz zeigte. Jack lief weiter und warf uns seinen Seitenblick zu. „Nicht hier!“
 

Völlig verwirrt folgten wir Jack in die Mitte des großen Platzes. Er sah sich um und atmete schwer. Lange konnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten.

„Wonach suchst du?“

„Das sind Mauerschatten. Die Viecher trauen sich nicht ins Licht.“

„Woher weißt du das?“

Jack sah Leo erschöpft an. „Ich habe mal in einem Turnier gegen einen Gegner gekämpft, der diese Karte im Deck hatte. Sie können mit schattigen Wänden verschmelzen und greifen dann aus dem Hinterhalt an.“

Verstehe, deswegen hat er uns in die Mitte des Platzes geführt.

„Aber Luna hat er doch auch angegriffen, und sie stand nicht an der Wand!“

Jack seufzte schwer. „Keine Ahnung, vielleicht ein Ausrüstungszauber. Solange wir uns nicht im Schatten aufhalten, können uns diese Monster jedenfalls nichts anhaben.“
 

Leo und ich tauschten besorgte Blicke. Ich sah hinauf in den Himmel. „Die Sonne geht bald unter…“

Antworten

//Crow//
 

„Bist du wirklich sicher, dass wir in die richtige Richtung laufen?“ fragte ich zum wiederholten Mal, während ich mich durch das Dickicht kämpfte. „Du führst mich schon seit fast zwei Tagen durch diesen verdammten Wald.“ Als Antwort bekam ich natürlich nur wieder unverständliche Laute, während der braune Plüschball mit den grünen Augen aufgeregt vor mir herschwebte. Ich seufzte. Die Unterhaltung konnte ich mir eigentlich auch sparen. Wie gerne hätte ich jetzt Lunas Gabe, dann könnte ich die Fellkugel zumindest verstehen. Viel besser wäre natürlich, wenn meine Freunde endlich mal auftauchen würden. Wo stecken denn alle nur?! „Hey, Jack! Yusei! Wo steckt ihr?“ rief ich wieder in den Wald. „Aki! Leo, Luna!“ Wieder keine Antwort. „Ach verdammt, wo sind die abgeblieben?“ murmelte ich.
 

Nachdem ich mich durch einige Pflanzen gekämpft hatte, kamen wir auf einer kleinen Lichtung an, durch die ein Bach floss. „Hey, Kuribon!“ Der Plüschball drehte sich zu mir und schwebte auf mich zu. „Kuri?“ Was auch immer er mir damit sagen will. „Ich brauch langsam mal ne Pause, wir sind seit Stunden unterwegs. Das hier ist doch ein ganz guter Rastplatz, meinst du nicht?“ Er nickte energisch und schwebte zurück in den Wald. Hoffentlich hate er mich verstanden und kommt wieder zurück. Ohne die Fellkugel wäre ich in den letzten Tagen echt aufgeschmissen gewesen.
 

Langsam trottete ich zu dem kleinen Bach und spritzte mir das kalte Wasser ins Gesicht. Nach dem langen Fußmarsch tat das verdammt gut. Immerhin verdursten würde ich nicht. Ich plumpste ziemlich unelegant auf den Boden und legte mich hin. Verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Sah in den strahlend blauen Himmel, der von den seltsamen Baumkronen umrahmt wurde. Ob es den anderen gut geht? Hoffentlich sind wir nicht alle voneinander getrennt worden.
 

Die sanfte Brise ließ die Blätter tanzen und ich schloss meine Augen. Nur eine kleine Pause. Plötzlich hörte ich das knacken eines Zweiges und setzte mich schlagartig auf. Hecktisch sah ich mich um. Aber ich war allein. Ich schnaubte belustigt. Oh man, jetzt bekomme ich auch noch Verfolgungswahn. Da hörte ich es wieder. Das war keine Einbildung. Langsam stand ich auf und sah in die Richtung, aus der das Geräusch kam. „Kuribon?“ rief ich. Mein Körper war komplett angespannt. Hoffentlich sind das nicht wieder diese kleinen Unterweltmonster. Meine Disk hatte ich Yusei in Satellite überlassen. Ich konnte mich nicht wehren. Nur verteidigen. Wieder ein Rascheln. Schritte. Was immer das auch ist, Kuribon definitiv nicht. Was mach ich denn jetzt? Um mich zu verstecken ist es zu spät. Es kommt auf mich zu. Der Schatten im Wald nahm Gestalt an, und das Monster trat mit einem leisen Knurren aus dem Dickicht. Überrascht musterte ich mein Gegenüber. Ein weißer, gepanzerter Löwe. Ein Horn auf seinem Kopf wurde von der wilden, orangenen Mähne umrahmt. Seine goldenen Augen beobachteten jede meiner Bewegungen. Es dauerte einen Moment, ehe ich es erkannte. „Regulus?“ fragte ich zaghaft. Lunas Monster verengte seine Augen zu gefährlichen Schlitzen. Er sah angespannt aus. Verflixt, will der mir jetzt auch noch an die Gurgel?
 

„Was macht ein Mensch in der Geisterwelt? Und noch dazu einer der mich kennt“ hallte seine dunkle Stimme über die Lichtung.

„Keine Ahnung, wie ich hier gelandet bin. Aber meine Freunde sind auch hier und wir wurden getrennt. Hast du hier noch andere Menschen gesehen?“ Entspannt sah er durch meine Antwort nicht wirklich aus. „Luna ist auch in der Geisterwelt“ fügte ich hinzu.

„Woher kennst du Luna?“ fragte er skeptisch.

„Wie gesagt, wir sind Freunde“ sagte ich, bis mir etwas einfiel. Ich krempelte den Ärmel meiner Jacke nach oben, um mein Drachenmal freizulegen. Hoffentlich glaubt er mir dann.

Er schien sich zu entspannen und kam langsam auf mich zu. Zumindest sah er nicht mehr so aus, als wolle er mich in der Luft zerfetzen. „Ich dachte, der Feuerrote Drache hätte euch seine Male wieder entzogen“ sagte er schließlich und kam vor mir zum Stehen. Seinen gewaltigen Kopf beugte er zu mir herunter. „Eure Aufgabe war erfüllt. Wie kommt es dann, dass du sein Zeichen trägst?“

Ich schluckte und ging unwillkürlich einen halben Schritt zurück. „Keine Ahnung. Lange Geschichte. Im Moment bin ich einfach nur auf der Suche nach den anderen“ sagte ich mit einem schiefen Grinsen und hob beschwichtigend die Hände.

„Den anderen Auserwählten?“ fragte er. Ich nickte. „Verstehe“ sagte er und drehte mir seine Flanke zu. Dabei ließ er mich nicht aus den Augen. „Begleite mich bis zum Tempel, dann kannst du mir deine ‚lange Geschichte‘ erzählen.“

Einen Moment starrte ich ihn einfach nur an und nickte schließlich.

Aus dem Dickicht vor uns hörte ich wieder ein Rascheln und einen Augenblick später schwebte Kuribon auf uns zu. Auf seinem Kopf balancierte er einen Apfel. Als er Regulus sah, beschleunigte er freudig und machte wieder seine unverständlichen Geräusche. Dabei flog er auf und ab. Er schien sich mit Regulus zu unterhalten. „Was sagt er denn?“ fragte ich, als wir uns in Bewegung setzten. Kuribon ließ den Apfel in meinen Händen landen und ich bedankte mich bei ihm. Sofort fing mein Magen an zu knurren und die Fellkugel freute sich. Ich hatte echt Kohldampf.
 

Wir kamen an einem uralten Gebäude an. Einige Mauern waren bereits eingestürzt. Regulus hatte auf unserem Weg nicht ein Wort gesagt und schwieg auch weiterhin, als wir immer weiter in das Innere des Tempels liefen. Schließlich gelangten wir in einen riesigen Raum. Hier und da wuchsen kleinere Pflanzen aus den moosbewachsenen Steinblöcken und die Sonne warf vereinzelte Strahlen durch ein Loch in der Decke. „Na schön“ hörte ich seit einer gefühlten Ewigkeit wieder die Stimme des Löwen, der es sich auf einem kleinen Altar bequem gemacht hatte. Kuribon blieb an meiner Seite. „Wie kommt es, dass du hier in der Geisterwelt bist? Zusammen mit Luna und den anderen Auserwählten.“

Ich seufzte und versuchte meine Gedanken irgendwie zu ordnen. So ganz kapierte ich es ja auch nicht. „In den letzten Tagen gab es ein ziemliches Chaos bei uns. Also in unserer Welt.“ Wieder brach ich ab. Wie soll ich mich nur kurzfassen?

„Die Königskinder“ sagte Regulus plötzlich und ich sah ihn überrascht an. „Dann hatte Antiker Feendrache recht. Ich hatte gehofft, nur dieses eine Mal, dass sie sich irrt.“

Königskinder? Damit musste er die beiden Dämonen meinen, die uns angegriffen hatten. Stimmt, die Zwillinge sagten doch, dass Regulus auch dabei war, als sie in der Geisterwelt waren. Dann kennt er ja schon einen Teil der Geschichte. Ich nickte und fuhr weiter aus: „Ja, meinetwegen Königskinder. Jedenfalls haben sie uns angegriffen. Zuerst war nur der Typ da, zusammen mit einem Haufen anderer Dämonen. Wir konnten die Viecher zwar zurückschlagen, aber dieser Lucifer war zu stark. Dann kreuzte auch noch diese Lillith auf. Das war ein ziemliches Durcheinander. Yusei hat ihn irgendwie hingehalten und dann tauchte der Feuerrote Drache auf. Das nächste, an das ich mich erinnern kann ist, dass ich in diesem komischen Wald aufwache. Kuribon hat mich gefunden, aber meine Freunde waren nicht da. Und seitdem bin ich auf der Suche nach ihnen.“

Regulus schwieg einen Moment. Dann sah er hoch zu dem Loch in der Decke. Er schien zu überlegen. „Seit einigen Tagen ist es auch bei uns nicht mehr sicher“ erklang wieder die Stimme des Löwen und er neigte seinen Kopf zu mir. „Wir sollten deine Freunde so schnell wie möglich finden, ehe ihnen etwas zustößt.“

„Was?“

Er nickte. „Wir wissen nicht warum, aber einige Monster sind aus der Chaoszone entkommen. Sie wüten durch die gesamte Geisterwelt. Selbst sonst friedliche Monster werden langsam nervös und greifen an. Überall kommt es zu Ausschreitungen. Hier im Geisterwald ist es wieder friedlich, aber wer weiß wie lang. Deswegen treffen sich die Drachenwächter in der weißen Stadt.“

Ich sah ihn nur fragend an. Chaoszone? Drachenwächter? Weiße Stadt? Ich bin unfreiwilliger Tourist, verdammt! Wenn die anderen in Gefahr sind, dann muss ich sie so schnell wie möglich finden! Leichtfüßig stand er von dem kleinen Altar auf und ging. Ich stand noch immer wie angewurzelt da und er neigte wieder seinen Kopf zu mir. „Komm“ forderte er mich auf und ging weiter. Ich riss mich aus meiner Starre und folgte ihm in einen anderen Raum. Dieser war kleiner. Leer. Bis auf einen großen Tisch in der Mitte, auf dem einige große Papierrollen lagen. „Kuribon, hilf mir doch kurz.“ Angesprochener flog zum Tisch und versuchte eine Rolle auszubreiten. Er stellte sich ziemlich tollpatschig an und ich half ihm. Als ich die Rolle genauer betrachtete, erkannte ich eine Landkarte. „Vor dir liegt die Geisterwelt“ sagte Regulus.
 

Ich sah mir die Karte genauer an. Es war ein einziger Kontinent, umgeben von Meer. Vereinzelt gab es Inseln, nahe des Festlands. Es sah so aus, als ob die Geisterwelt eingeteilt war. „Siehst du das helle Gebiet im Westen? Südlich des großen Flusses?“ Ich folgte seiner Beschreibung und nickte. „Dieses Gebiet und die drei Inseln im westlichen Meer gehören zu Sogen. Im Herzen von Sogen befindet sich der Geisterwald. Hier befinden wir uns.“

„Warte mal“ unterbrach ich ihn. „Ich renne seit zwei Tagen durch diesen Wald.“ Auf der Karte sah es so aus, als wäre der Wald nur etwa ein Zehntel des Gebiets.

Regulus nickte. „Hast du gedacht die Geisterwelt bestünde nur aus diesem Wald? Sie ist aufgeteilt in 15 Länder. Über jedes dieser Länder wacht ein Drachenwächter.“

„Hm. Also ist Antiker Feendrache einer davon?“ Der Löwe nickte wieder. „Aber sie ist nicht hier“ schlussfolgerte ich.

„Richtig. Die Drachenwächter wurden wegen der Angriffe in die weiße Stadt einberufen. Antiker Feendrache hat mir solange die Verantwortung für dieses Land überlassen. Einige Länder im Osten hat es schlimmer getroffen als uns, also werden diese Wächter vermutlich nicht in der weißen Stadt auftauchen. Es ist diese Stadt im Herzen des Landes.“

Kuribon hüpfte in der Mitte der Karte herum. Ich vermute mal, dass da diese weiße Stadt ist. „Die ist ziemlich groß“ bemerkte ich. In der Größe glich sie in etwa der des Geisterwaldes. Und das soll eine einzige Stadt sein?

„Die einzige Stadt mit einem eigenen Wächter“ sagte Regulus. „Eigentlich liegt die Stadt im Reich des Lichts. Aber wegen ihrer Größe und der Bevölkerungszahl, braucht es zwei Wächter.“

„Was ist der fette dunkle Fleck rechts unten?“ fragte ich und zeigte auf eine ziemlich große, schwarze Insel. Sie lag im Südosten und war durch einen schmalen Strich mit dem Festland verbunden.

„Die Chaoszone“ war seine Antwort. „Dort leben die Ausgestoßenen. Monster, die nicht friedlich in unserer Welt leben können. Eigentlich ist sie versiegelt, aber die Wächter der Zone sind verschwunden. Also kommen die Monster über das Traumland in viele Teile dieser Welt.“

„Traumland?“ fragte ich verwirrt. Was ist das denn für ein Name?

Wieder nickte der Löwe. „Das Land, das mit der Chaoszone verbunden ist. Sternenstaubdrache schafft es nicht mehr, die Monster in der Zone zu halten. Anscheinend helfen ihm die Drachenwächter der beiden angrenzenden Länder. Wir können nur hoffen, dass sie es schaffen.“

„Sternenstaubdrache bewacht das Traumland?“ fragte ich belustigt. Regulus sah mich nur verständnislos an. Anscheinend konnte er mit der Ironie nichts anfangen. „Egal“ versuchte ich mich rauszureden und lenkte das Thema wieder um. „Hört sich an, als wäre die Sache mit den Monstern so gut wie geklärt, oder? Zumindest dort drüben. Eigentlich will ich nur schnell meine Freunde finden. So weit können sie ja nicht von hier weg sein, meinst du nicht?“

„Ich weiß es nicht“ gestand er. „Es ist noch nie vorgekommen, dass der Feuerrote Drache persönlich in dieser Welt erschienen ist. Noch dazu um Menschen in diese Welt zu bringen. Außerdem gab es keine Anzeichen, dass er hier war. Ein Drache seiner Größe sollte Aufsehen erregt haben, aber ich habe weder etwas gesehen, noch Gerüchte gehört.“
 

Ich ließ den Kopf hängen. „Schade“ war das Einzige, das ich herausbrachte. Wenn Regulus sie auch nicht gesehen hat, dann werden sie wohl nicht im Geisterwald sein. Und diese Welt ist größer als ich dachte. Wie soll ich sie nur finden?

„Heute Nacht kannst du dich hier ausruhen. Wir werden morgen nach einer Lösung suchen“ schlug Regulus vor.

„Was? Aber du hast doch gesagt, sie könnten in Gefahr sein! Was, wenn sie alle verstreut sind? Ich muss-“

„Was willst du tun?“ unterbrach er mich. „Blind in den Wald rennen und hoffen, dass du ihnen durch Zufall in die Arme läufst? Ich werde mich umhören. Du bleibst hier und sammelst deine Kräfte. Wir werden morgen entscheiden, wie wir als nächstes vorgehen.“

Ich wollte ja nur zu gern widersprechen, aber er hatte recht. Wo soll ich nur anfangen zu suchen? Außerdem kann ich mich immer noch nicht verteidigen. Diesen kleinen Unterweltlerviechern gestern bin ich nur knapp entkommen.
 

„Na schön.“

Verbündete

//Leo//
 

„Die Sonne geht bald unter“ murmelte Luna und sah besorgt in den Himmel, der sich allmählich orange färbte. Verdammt. Wenn Jack wirklich Recht hatte, und diese hässlichen Viecher auf die Dunkelheit warten, dann waren wir in Gefahr. Die Schatten der Umstehenden Häuser krochen langsam und unaufhörlich in die Mitte des großen Platzes, auf dem wir uns versteckt hatten. Wir saßen in der Falle.
 

„Hier rüber!“ erklang eine unbekannte Stimme und wir sahen uns nach der Quelle um. In einiger Entfernung stand ein Mann mit einer großen Fackel und winkte uns zu sich. Luna sah mich unschlüssig an und ich nickte ihr ermutigend zu. Ich griff nach ihrem Handgelenk und zog sie mit mir zu dem Dorfbewohner, der uns ungeduldig zu sich winkte. Jack folgte uns. Als wir näher kamen redete der Mann weiter. „Hier ist es bei Anbruch der Dunkelheit viel zu gefährlich ohne Lichtquelle. Kommt mit, in den Minen sind wir sicher.“

Mein Herz raste, als er uns in eine Seitengasse führte. Wir hörten ein Zischen, das vermutlich von diesen Viechern stammte. Anscheinend klappte der Trick mit dem Feuer.

„Aber sind Minen nicht immer dunkel?“ gab Luna zu bedenken.

Der Mann nickte. „Wir haben den Eingang so hell beleuchtet, dass uns diese Kreaturen nicht folgen. Fürs Erste sind wir sicher.“

Fürs erste. Aber die Bewohner dieses Dorfes können sich doch nicht bis an ihr Lebensende unter der Erde verkriechen. Allerdings war ich heilfroh über sie Aussicht eines sicheren Schlafplatzes für die Nacht. Ich drehte meinen Kopf zu Jack, der Mühe hatte, Schritt zu halten. „Geht’s?“ fragte ich knapp, während wir durch die engen Gassen liefen.

„Mir geht’s bestens“ antwortete er mürrisch.
 

Allmählich wurden die Straßen breiter und die Häuser versetzter. In einiger Entfernung entdeckte ich den Eingang zu einer Höhle. Um sie herum waren sicher gut zehn Fackeln aufgestellt. „Da vorne ist sie“ sagte der Mann und beschleunigte seinen Schritt.
 

Als wir entraten, schlug uns eine ungeheure Hitze entgegen. Selbst an den Wänden hingen unzählige Fackeln und beleuchteten den engen Eingang in die Erde. Der Mann zog am Kragen seines Hemdes und seufzte. „Im Inneren der Höhle ist es nicht mehr so heiß. Wir haben die Fackeln nur am Eingang aufgestellt, um die Mauerläufer aufzuhalten. Die Menschenfresserkäfer haben auch ein Problem mit dem Feuer, deswegen könnt ihr beruhigt sein.“

Luna seufzte erleichtert.

„Aber was ist euer langfristiger Plan?“ fragte Jack, während wir immer tiefer in die Höhle gingen. Der Mann hatte Recht. Hier war es bedeutend angenehmer als am Eingang.

Der Mann sah stur geradeaus, als er Jack seine Antwort gab. „Wir können leider nichts gegen diese Kreaturen ausrichten. Die meisten Dorfbewohner sind Bauern oder Kinder. Wir wissen nicht wie man kämpft.“ Seine Hand ballte sich zu einer Faust. Seine Stimme wurde leiser. Irgendwie gebrochen. „Unsere einzige Chance ist es auf Hilfe zu warten. Einige Bewohner des Dorfes haben es bis in den Wald geschafft um Hilfe zu holen. Mit etwas Glück erreicht unser Ruf unseren Drachenwächter.“

Drachenwächter?

„Meinst du vielleicht Antiker Feendrache?“ fragte Luna aufgeregt.

Der Mann warf einen flüchtigen Blick über seine Schulter. „Ihr seid wohl aus Sogen“ bemerkte er. „Hab mir gleich gedacht, dass ihr nicht von hier seid.“

„Sogen?“ fragte ich verwirrt.

Ich spürte Lunas Ellbogen in meiner Seite und sah sie an. Sie schüttelte mit ernstem Blick den Kopf.

„Ja, das war doch das Land, über das der Antike Feendrache herrscht, oder nicht?“

„Genau“ antwortete Luna freundlich. „Wir waren unterwegs zu ihrem Tempel, aber wir haben uns leider verlaufen.“
 

Vor einer Abzweigung blieben wir stehen und der Mann musterte uns überrascht. Ich schluckte. „Man, da habt ihr euch wirklich verirrt“ bemerkte er und führte uns durch einen Spalt. In einiger Entfernung hörten wir viele unterschiedliche Stimmen. Die anderen Dorfbewohner waren also wirklich alle hier unten. „Ihr seid nördlich des großen Flusses. Sogen ist südlich davon.“

Endlich! Zumindest wussten wir jetzt in welche Himmelsrichtung wir gehen müssen.

„Eine Frage“ kam es plötzlich von Jack. „Wir haben unsere Freunde auf dem Weg hier her verloren. Sind sie zufällig hier vorbeigekommen?“

„Gestern kam tatsächlich eine Reisende in unserem Dorf an“ bemerkte der Mann.

„Wirklich?“ fragte Luna. „Wie ist ihr Name?“

„Den habe ich leider vergessen“ sagte der Mann beschämt. „Im Namen merken bin ich wirklich furchtbar. Es ist eine junge Frau mit langen, roten Haaren.“

Luna und ich tauschten Blicke aus. Wenn sie gestern angekommen ist, dann könnte das Akiza sein! Die Beschreibung passt auch! Endlich erreichten wir einen großen Hohlraum, aus dem die vielen Stimmen zu uns drangen. Ich rannte hinein und blickte mich suchend nach Akiza um. „Da ist sie“ sagte der Mann und deutete auf eine Frau im hintersten Teil der Höhle. Sie hatte langes, rotes Haar, das zu einem hohen Zopf zusammengebunden war und einige Verbände, die teilweise von ihrer schwarzen Rüstung verdeckt wurden. Ihren langen, weißen Schal schlang sie um ihren Hals. Ich ließ meine Schultern hängen. Schade. Wäre auch zu schön gewesen, wenn wir zufällig auf Akiza getroffen wären.
 

Die Blicke der Dorfbewohner richteten sich auf uns, schlagartig wurde es unheimlich ruhig im Raum. „Wir haben Neuankömmlinge“ sagte der Mann in die Runde und stellte sich neben mich. „Entschuldige, aber ich habe noch nicht nach euren Namen gefragt.“

„Ich bin Leo und das ist meine Schwester Luna. Unser Freund hier ist Jack.“

Luna legte ein freundliches Lächeln auf und hob die Hand, Jack nickte lediglich.

„Wie seid ihr unverletzt an den Monstern vorbeigekommen?“ fragte eine ältere Frau.

„Luna hat Sonnenlichteinhorn zu Hilfe gerufen“ sagte ich stolz. „Und Jack hat diesen hässlichen Käfern mit ein paar Feuerbällen eingeheizt.“

Ein Raunen ging durch den Raum. „Besitzt ihr Magie?“ fragte ein kleiner Junge aufgeregt.

„Könnt ihr diese Kreaturen vertreiben?“ rief ein anderer.

„Bitte helft uns!“
 

Luna hob abwehrend die Hände. „Wir besitzen keine Magie. Naja, nicht so richtig“ sagte sie und blickte traurig auf ihre zerstörte Dueldisk. „Aber ich kann meine Duellmonster nicht mehr um Hilfe bitten.“

„Duellmonster?“ fragte ein älterer Mann. „Woher stammt ihr, wenn ich fragen darf?“

„Aus Sogen, oder?“ fragte der Mann, der uns hier her geführt hatte.

„Die drei kommen nicht aus dieser Welt“ bemerkte die rothaarige Frau mit der Rüstung und alle Blicke wanderten zu ihr. Sie zeigte auf Luna. „Diese Vorrichtung an deinem Arm. Sowas benutzen doch Menschen.“

Ich sah sie überrascht an. „Woher weißt du das?“

„Ich bin schon viel herumgekommen. Man schnappt zwangsläufig die wildesten Geschichten auf. Dieses Gerät verbindet die Menschenwelt mit unserer, habe ich nicht Recht?“

„Nicht so ganz“ sagte Luna unsicher. „Aber sie hilft uns mit den Duellmonstern der Geisterwelt zu kommunizieren. Und wenn ich eine Karte darauflege, projiziert es die jeweilige Karte als Hologramm. Manche Menschen können sie aber real werden lassen.“

„Also seid ihr Menschen“ bemerkte der Mann mit der Fackel erstaunt. „Aber ihr habt doch gesagt ihr wollt mit Antiker Feendrache sprechen. Habt ihr mich getäuscht?“

„Das war nicht gelogen“ sagte Jack. „Wir wollten wirklich zu ihr und sie fragen ob sie unsere Freunde gesehen hat.“

„Da werdet ihr schlechte Karten haben“ sagte die rothaarige Frau und betrachtete ein Schwert mit einem gewaltigen Riss an ihrer Seite. „Die Drachenwächter wurden in die weiße Stadt berufen. Antiker Feendrache ist sicher schon dort.“

„Genau wie unsere Wächterin?“ fragte ein kleines Mädchen.

„Wer ist denn der Wächter in diesem Land?“ wollte ich wissen.

Der alte Mann sah mich an. „Unsere heilige Wächterin ist der schwarze Rosendrache. Aber auch sie wird in die weiße Stadt aufgebrochen sein. Und ihre Viezen haben sicher keine Ahnung vom Schicksal unseres abgelegenen, kleinen Dörfchens.“

„Akizas Drache?“ murmelte Luna neben mir.

„Wer sind diese Viezen?“ fragte Jack.

„Die Viezen wachen über das Land, wenn die heiligen Drachen abkömmlich sind“ sagte die ältere Frau. „Das passiert sehr selten. Die Viezen des schwarzen Rosendrachen sind die Blumenprinzessinnen.“

„Antiker Feendraches Vieze ist sicher Regulus“ bemerkte Luna.

Die alte Frau nickte und betrachtete Jack. „Der junge Mann sagte doch, dass du auch gegen diese Kreaturen gekämpft hast, oder? Aber du hast keine solche Vorrichtung an deinem Arm. Wie hast du es dann geschafft, sie in die Flucht zu schlagen?“

„Mit Feuer“ antwortete Jack knapp und neigte seinen Kopf zur Seite. „Aber ich kann es noch nicht kontrollieren.“

„Soweit ich weiß, besitzen Menschen keine Magie“ bemerkte die rothaarige Frau. „Wer seid ihr wirklich?“

„Und wer bist du, dass du so viel über uns weißt?“ umging Jack ihre Frage.

Die Frau schmunzelte. „Mein Name ist Rose. Und dem Mal am Arm des Mädchens nach zu urteilen, seid ihr keine normalen Menschen. Also, wer seid ihr?“

Luna betrachtete ihren rechten Arm. Auch die anderen Dorfbewohner musterten sie interessiert. Das Mal von Jack und mir war durch unsere Kleidung verdeckt. „Warum ist mir das nicht schon eher aufgefallen?“ sagte der alte Mann erstaunt. „Du musst eine Auserwählte sein!“

Selbst in so einem kleinen Dorf wusste man, was die Auserwählten sind?

„Dann kannst du uns doch helfen!“ rief eine Stimme, die ich keinem zuordnen konnte.

„Ich kann sie nicht angreifen!“ sagte Luna schnell. „Ich kann nur mich und eine begrenzte Zahl an Menschen vor direkten Angriffen schützen. Aber auch nicht lange.“

„Und du?“ fragte Rose an Jack gewandt. „Wenn du Feuermagie beherrschst, bist du sicher auch ein Auserwählter.“

„Ja“ antwortete ich an Jacks Stelle. „Wir alle drei. Aber wie meine Schwester schon gesagt hat. Wir können diese Kräfte noch nicht richtig kontrollieren. Wir haben sie erst seit ein paar Tagen.“

„Was kannst du?“ fragte ein kleines Mädchen und beäugte mich neugierig.

Ich grinste sie an. „Ich kann Verletzungen heilen.“

Ihre Augen wurden größer. „Kannst du dann meinem Papa helfen?“

„Deinem Papa?“ fragte ich irritiert und sah mich noch einmal im Raum um. Für mich sah niemand schwer verletzt aus. Lediglich ein paar leichte Verletzungen, die mit Bandagen verarztet wurden konnte ich erahnen.
 

Das Mädchen nahm mich an die Hand und führte mich aus dem Raum. Ich blickte noch einmal zurück. Luna folgte mir und Jack wurde von Rose aufgehalten. „Mein Papa hat gegen diese Käfer gekämpft“ sagte die Kleine, während wir durch die schmalen Gänge liefen. „Aber er wurde ganz schlimm verletzt. Er und ein paar andere aus unserem Dorf sind in einem anderen Raum, damit sie sich ausruhen können. Da vorne!“ In einiger Entfernung sah ich einen weiteren Eingang, der wohl in einen Hohlraum führte. „Mama hat gesagt ich darf nicht weitergehen“ sagte sie traurig und sah mich mit großen Augen an. „Kannst du ihm helfen?“

Luna beugte sich zu dem Mädchen und legte eine Hand auf ihren Kopf. Strich behutsam darüber. „Mein Bruder kümmert sich um deinen Papa, okay?“

Mit einem traurigen Lächeln schniefte sie und nickte. Dann verschwand sie wieder in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
 

Luna sah mich besorgt an. „Wenn sie die Verletzten in einem extra Raum untergebracht haben, und die Kleine nicht mal zu ihrem Papa darf, müssen sie wohl wirklich schwer verletzt sein.“

„Deinen Arm habe ich auch wieder hinbekommen“ sagte ich mit einem Grinsen.

„Die Verletzung war auch nicht so schlimm“ gab Luna zu bedenken, während ich zu dem Raum lief. Am Eingang blieb ich stehen und riss die Augen auf. Mein Herz raste in einem wilden Tempo gegen meine Brust. Ich war wie erstarrt. Auf einigen Feldbetten lagen fünf Menschen mit dicken Verbänden. Bei drei Männern fehlte ein Arm oder ein Bein, ein anderer bestand nur noch aus Verbänden, lediglich der Mund war frei davon. Der letzte war so blass, dass ich mir nicht sicher war, ob er wirklich noch lebte. Mir drehte sich der Magen um. Das war noch übler als ich mir vorstellen konnte. „Warum bleibst du stehen?“ fragte Luna und trat neben mich. Sie hielt ihre Hände an den Mund und keuchte erschrocken. Ihre Augen waren weit aufgerissen.
 

„Leben die überhaupt noch?“ wisperte ich und ging langsam auf den blassen Mann zu. Ich versuchte mich an die Erste Hilfe Ausbildung, die ich wegen des D-Wheel Führerscheins machen musste, zu erinnern und legte Zeige- und Mittelfinger an seinen Hals, seitlich unter dem Kinn. Es dauerte etwas, aber dann spürte ich tatsächlich einen schwachen Puls. Mein Blick schweifte über die anderen Verletzten. Ob ich ihnen überhaupt helfen kann? Ich hatte noch nie so schwere Verletzungen gesehen. Hilfesuchend sah ich zu Luna, doch sie schien wie erstarrt. Tief durchatmen. Genau, Leo. Du schaffst das. Ich schlug die Decke des blassen Mannes zur Seite, um zu sehen wo er verletzt war. Schlagartig drehte sich mir der Magen um. Ich hatte Mühe nicht zu würgen. An seinem Bauch klaffte eine riesige Wunde, die so aussah, als hätte man versucht sie zu nähen. Ich schluckte gegen die Übelkeit und aktivierte mein Mal. Meine zitternden Hände führte ich zu der Verletzung. Das sieht übel aus. Richtig übel.

Ausbruch

//Yusei//
 

Dunkelheit. Egal wo ich hinsah, mich umfing nichts als tiefste Schwärze. Kälte. Ich schlang meine Arme um meinen Körper um mich zu wärmen, die Ketten an meinen Fesseln raschelten und hallten wie ein Echo von den kühlen Steinwänden meiner Zelle. Das Zeug, das sie mir eingeflößt hatten, vernebelte meine Gedanken, zwang meine gesamte Aufmerksamkeit auf die pochenden Schmerzen in meinem Körper. Egal wie sehr ich versuchte an etwas anderes zu denken, sie waren zu stark, als dass ich mich länger hätte konzentrieren können. Nicht einmal die kühle Wand in meinem Rücken brachte mir Linderung. Mir war, als würde ich von innen verbrennen, und doch war mir eiskalt. Seit Wochen dachten sie sich täglich etwas Neues aus um mich zum Reden zu bringen. Zahllose Schläge, Peitschenhiebe, Knochenbrüche. Damit ich unter ihrer Behandlung nicht draufgehe, heilte Lillith meine gröbsten Verletzungen, nur um mich am nächsten Tag weiter zu quälen.
 

„Scheiße“ stöhnte ich, presste meine Arme fester an meinen nackten Oberkörper. Bettete meinen Kopf auf meinen Knien ab. Versuchte gegen die Schmerzen zu atmen. Seit einer Ewigkeit war niemand mehr in meiner Zelle, wie lange genau, wusste ich nicht. Ein paar Tage? Mein Magen zog sich zusammen, meine Kehle brannte. Ich hatte schrecklichen Durst. Ob das ihre neue Strategie war? Nahrungsentzug? Ich lächelte bitter. Wenn sie mich damit umbringen, besteht zumindest nicht mehr die Gefahr, dass sie meine Freunde finden könnten. Mein einziger Lichtblick war, dass sie in der Geisterwelt in Sicherheit waren. Diese Dämonen durften mich nur nicht durch ihre Folter dazu bringen, ihren Aufenthaltsort zu verraten. Dann wäre alles umsonst gewesen.
 

Ich hörte einen Schlüssel im Schloss kratzen. Das Knarzen der Zellentür. Ein Lichtschein im Augenwinkel blendete mich. Ich verharrte in meiner Position, wollte gar nicht wissen wer mich heute zum Reden bringen wollte. Schritte. Die Tür fiel wieder ins Schloss, ein warmer Lichtschein bewegte sich durch den Raum. Eine Fackel? Was kommt jetzt? Absätze klackerten über den Boden. Lillith? Aber es klang anders als sonst. Eine warme Hand legte sich auf meine Schulter. „Yusei?“ hauchte eine vertraute Stimme. Mein Herz raste. Schlagartig riss ich die Augen auf und hob meinen Kopf. Das kann nicht… Ich blickte in bernsteinfarbene Augen, in denen sich Tränen sammelten. „Yusei“ widerholte sie erleichtert und schloss mich in ihre Arme. „Du lebst! Ich hab dich endlich gefunden!“

„Akiza?“ vergewisserte ich mich verständnislos. Meine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Krächzen. Ich versuchte den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken, die aufkommende Panik zu verdrängen. „Was machst du hier?“ Sie sollte doch bei den anderen sein. In Sicherheit. Nicht in dieser Hölle.

Sie löste sich von mir, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Ich wurde in dem Portal von den anderen getrennt und bin in dieser Welt aufgewacht. Als ich herausgefunden habe, dass das die Dämonenwelt ist, habe ich nach dir gesucht. Ich hatte angenommen, sie würden dich hier her bringen, weil du bei ihnen zurückgeblieben bist.“ Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Panik stieg in mir auf. Wenn sie Akiza erwischen sollten und sie gegen mich ausspielen, hätte ich keine Ahnung was ich machen sollte. „Wir müssen hier weg!“ drängte sie, versuchte mir auf die Beine zu helfen. In diesem Moment bemerkte sie die Fesseln an meinen Handgelenken, die durch lange Ketten in der Mitte des Zellenbodens verankert waren. Ängstlich sah sie zu mir, doch ich konnte mich nicht rühren. Warum wurde sie von den anderen getrennt? „Bekommst du sie auf?“ fragte sie und deutete auf die Fesseln. Ich blinzelte verwirrt, brauchte einen Augenblick, ehe ich realisiert hatte, was sie meinte. „Ja“ sagte ich konfus. Ich hatte es vor einigen Tagen geschafft die Dinger mit einem Splitter aus dem Griff einer Peitsche zu knacken, aber genau in diesem Moment betrat Lillith die Zelle. Seitdem achteten sie peinlich genau darauf, dass nichts in meiner Zelle zurückblieb, womit ich mich befreien könnte. „Geht es damit?“ riss mich ihre Stimme aus meinen Gedanken. Einige ihrer Strähnen hatten sich aus ihrem Haarknoten gelöst und fielen in ihr Gesicht. In ihrer Hand hielt sie eine Haarnadel. Wieder brauchte ich einige Augenblicke, ehe ich verstand, was sie meinte. Dieses verdammte Zeug vernebelte meine Gedanken mehr, als ich befürchtet hatte. Ich griff mir die Haarnadel und versuchte unbeholfen die Fesseln zu knacken. Meine Hände fühlten sich taub an, als würden sie nicht mir gehören. Schließlich hörte ich das erlösende Knacken der Schlösser und streifte die Fesseln von meinen Handgelenken. Einige Male rieb ich über die raue Haut, um das Brennen etwas zu lindern. Akiza ergriff meine Hände, zwang meinen Blick in ihr besorgtes Gesicht. „Wir müssen hier weg“ wiederholte sie. Ich nickte und ließ mir auf die Beine helfen. Zog scharf die Luft ein. Mein gesamter Körper schmerzte, mein Herzschlag pochte in meinen Ohren. Ob ich es so überhaupt hier rausschaffen könnte? Ich hatte von dieser Welt nie mehr als die vier Wände dieser Zelle gesehen.
 

„Wie hast du mich gefunden?“ war die erste Frage, die mir in den Kopf schoss.

Sie schüttelte nur den Kopf. „Darüber können wir reden, wenn wir in Sicherheit sind. Hier, zieh das über.“

Sie reichte mir einen Mantel, den einige der Wachen trugen. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie den gleichen Mantel anhatte. Woher… Ich schüttelte den Gedanken ab und nickte. Sie hatte Recht. Erstmal mussten wir einen Weg hier raus finden. Während ich den Mantel überzog, fischte sie einen Ring, an dem zwei alte Schlüssel befestigt waren aus ihrer Tasche. Damit schloss sie die Zellentür auf und griff sich die Fackel, die in der Halterung steckte. Irritiert beobachtete ich sie. Woher weiß sie, dass die Tür sich automatisch verriegelt, wenn sie geschlossen wird? Und woher hatte sie die Schlüssel? Ich behielt die Fragen für mich, schließlich mussten wir erst hier raus. Wir traten in den Gang, Akiza lief voraus, doch ich brauchte eine Weile um mich an das helle Licht zu gewöhnen. „Vom Gefängnistrakt bis zum Ausgang des Schlosses ist es nicht sehr weit“ erklärte sie leise. „Und die meisten Wachen wurden wegen Unruhen in den nähergelegenen Distrikten abgezogen, deswegen haben wir freie Bahn.“

„Distrikte?“ fragte ich verwirrt. Und welche Unruhen? Es war mir noch immer unbegreiflich, woher sie das alles wusste.

„Ich habe ein bisschen was über diesen Ort herausgefunden. Um ehrlich zu sein hatte ich Hilfe. Ich erkläre dir alles später, also komm!“ Hilfe? Von wem?
 

Wir nahmen einige verschlungene Pfade, ließen Zelle um Zelle hinter uns. Angestrengt versuchte ich mit ihr Schrittzuhalten. Von außen sahen alle absolut gleich aus. Woher wusste sie in welcher ich gefangen war? Plötzlich blieb sie stehen und zog erneut den Schlüsselring aus ihrer Tasche. Wir standen vor einer Tür, die exakt so aussah, wie die anderen. „Was machst du da?“

Ohne mich anzusehen, gab sie mir ihre Antwort, während sie den Schlüssel in das Schloss steckte. „Der Ausgang aus dem Gefängnistrakt sieht genauso aus wie die Zugänge zu den Zellen.“ Mit einem Knarzen öffnete sie die Tür und sah mich amüsiert an. „Eigentlich ziemlich schlau, meinst du nicht?“

„Mhm.“ Ich wurde nicht ganz schlau aus ihr. Vielleicht lang das aber auch an diesem verdammten Zeug, das noch immer in meinem Blut war. Oder an der Tatsache, dass ich eine gefühlte Ewigkeit nichts zu mir genommen hatte.
 

„Komm schon!“ riss mich ihre Stimme wieder aus meinen Gedanken. Ich muss mich besser konzentrieren. Zögerlich folgte ich ihr in einen dunklen Gang. Plötzlich hörte ich einen lauten Knall und drehte mich erschrocken um. Die Tür war hinter mir zugefallen. Einzig das Licht von Akizas Fackel warf tanzende Lichter an die Wände des schier endlos langen Weges. Unsere Schritte hallten wie ein Echo von den Wänden, wirkten unnatürlich laut. Ich hatte Mühe zu Akiza aufzuschließen. Als ich endlich bei ihr war, musterte ich sie von der Seite. Sie spürte meinen Blick und sah mich fragend an.

„Wie hast du mich gefunden?“ wollte ich erneut wissen.

Ihr Blick richtete sich wieder auf den Weg vor uns. „Wie gesagt, ich hatte Hilfe. Vor einigen Wochen bin ich in einem der Distrikte weit abseits des Schlosses aufgewacht. Glücklicherweise leben dort Menschen, die mir helfen konnten.“

„Menschen in der Dämonenwelt?“ fragte ich irritiert.

„Ja und nein. Sie waren mal Menschen. Jetzt sind sie nur noch Geister, die in dieser Welt umherirren. Es ist ein bisschen wie das Jenseits. Ganz verstanden habe ich es nicht. Jedenfalls habe ich ihnen erzählt, was in Satellite passiert ist, und, dass du dortgeblieben bist. Sie haben angenommen du wärst im Schloss.“
 

Damit endete sie ihre Erzählung und machte keinerlei Anstalten weiterzureden. Aber ihre Geschichte erklärte nicht ansatzweise, woher sie wusste, wo genau ich war. Allein die optisch identischen Zellentüren, oder woher sie den Schlüssel hatte. Ich wollte gerade nachhaken, da hörten wir ein Geräusch und blieben stehen. Schritte. Sie wurden stetig lauter. In einiger Entfernung kam jemand auf uns zu. Mein Herzschlag erhöhte sich, ich suchte die Wände nach Seitengängen ab, aber da war nichts. „Was machen wir jetzt?“ flüsterte sie. Ihre Augen waren angstgeweitet, sie starrte den Gang entlang. Verdammt. Bei einem Kampf in meinem Zustand malte ich mir keine Hoffnungen aus, schon gar nicht, wenn unser Gegner Waffen bei sich trug. Da kam mir eine Idee. „Deine Dueldisk“ flüsterte ich und sah zu Akiza. Sie erwiderte meinen Blick fragend. „Hast du sie noch bei dir?“ Soweit ich mich erinnerte, hatten Akiza und Luna noch ihre Disks bei sich, als sie in dem Portal verschwanden. Ihr Rosententakel könnte uns im schlimmsten Fall hier rausholen.

Sie schüttelte den Kopf. „Ist kaputt gegangen“ flüsterte sie ebenso leise.

Na toll. „Was ist mit den Dornenranken?“ fiel mir ein.

Wieder ein fragender Blick. Was ist nur los mit ihr?

„Die Kraft deines Drachen“ versuchte ich ihr auf die Sprünge zu helfen.

Sie senkte den Blick. „Das funktioniert in dieser Welt nicht.“
 

Ich seufzte lautlos. Na schön, dann müssen wir es darauf ankommen lassen. Ich stellte mich vor Akiza und zog die Kapuze ihres Mantels über ihren Kopf. Irritiert hob sie ihren Blick wieder. Die Fackel in ihrer Hand nahm ich an mich, meine andere Hand legte ich an ihre Wange und schenkte ihr ein Lächeln. „Bleib hinter mir“ flüsterte ich und legte meine Lippen sanft auf ihre. Es war nur eine flüchtige Berührung, aber irgendwas daran war… seltsam. Vermutlich wieder nur meine Einbildung. Als ich mich von ihr löste, zog auch ich meine Kapuze über den Kopf. Hoffentlich klappt es. Ich nahm ihre Hand und führte sie weiter den Gang entlang. Erst als ich einen Lichtschein sah, ließ ich sie los und lief unmittelbar vor ihr. Jemand kam aus einem Seiteneingang in unsere Richtung. Mein Herzschlag erhöhte sich vor Nervosität, ich musste trocken schlucken. Aber zumindest war ich das erste Mal seit Tagen wirklich fokussiert. Die Gestalt kam näher, es war eine einzelne Wache. In ihrer Hand trug sie eine Hellebarde*. Das hatte ich befürchtet. Die Reichweite von diesen Dingern könnte wirklich ein Problem werden, sollte der Kerl uns angreifen. Je näher wir der Wache kamen, umso deutlicher konnte ich Akizas Atem hören. Sie war nervös. So unauffällig wie irgend möglich reichte ich ihr meine Hand hinter meinem Rücken. Zögerlich ergriff sie sie. Ihre Hand war kalt und zitterte. Ich versuchte sie zu beruhigen und strich mit dem Daumen darüber. Ihr Atem beruhigte sich. Bevor die Wache etwas merken konnte, zog ich meine Hand unauffällig zurück. Als wir auf einer Höhe mit dem Kerl waren, hielt ich meinen Atem an. Mein Blut rauschte in meinen Ohren. Erst als wir an ihm vorbei waren, atmete ich wieder aus.
 

„Wartet mal“ erklang eine tiefe Stimme. Mein Herz setzte einen Schlag aus, ehe es in einem wilden Tempo gegen meine Brust hämmerte. Ich blieb stehen und drehte mich um, hatte den Kopf jedoch gesenkt, damit er mein Gesicht nicht sehen konnte. Akiza lief einige Schritte weiter und kam erst hinter mir zum Stehen, was mich beruhigte. „Warum verlasst ihr beide eure Posten? Ich soll nur einen ablösen.“ Verdammt! Lass dir was einfallen, schnell! Was hat Akiza vorhin erzählt?

„Wir… wurden von unseren Posten abgezogen und sollten die Truppen in den Distrikten verstärken.“

„Und wo sind eure Waffen?“

Mist, warum hätte er meine Lüge nicht einfach schlucken können? Der Griff um die Fackel in meiner Hand verstärkte sich. Je nachdem wie schnell der Typ rennen konnte und wie weit wir noch laufen mussten, könnten wir ihr kurz irritieren, indem ich ihm das Ding entgegenschleudere.

„In Kammer sieben“ erklang plötzlich Akis überraschend feste Stimme hinter mir. „Sie wurden beim letzten Einsatz beschädigt, also holen wir uns neue aus der Waffenkammer im Südturm.“

„Kammer sieben, hm?“ sinnierte er und bekam plötzlich ein diabolisches Grinsen. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. „Hoffentlich habt ihr was übrig gelassen.“

Ich presste meine Zähne aufeinander, ballte meine Hände zu Fäusten. Widerliche Aasgeier.

„An deiner Stelle würde ich noch etwas warten.“ Akizas Stimme war so… kalt. Berechnend. Ich drehte mich irritiert zu ihr, doch sie ging einfach weiter, als hätte dieses Gespräch nie stattgefunden. Hinter mir hörte ich ein Schnaufen. Die Wache drehte sich um und setzte ihren Weg fort.
 

Was zum? Ich schloss zu Akiza auf, sie atmete angestrengt aus, sah mich nervös an. „Ob er es geschluckt hat?“ flüsterte sie heiser.

Ich blinzelte irritiert, schließlich schmunzelte ich. „Ganz ehrlich, ich hätte dir fast selbst geglaubt.“

Auch sie schenkte mir ein kleines Lächeln. „Gute Lüge übrigens. Nur solltest du beim nächsten Mal überzeugender klingen.“

Jetzt musste ich doch etwas lachen. Die Anspannung fiel langsam von mir ab. „Ich werd‘s versuchen. Aber woher wusstest du eigentlich von den Räumen?“

„Ich habe mir den Plan des Schlosses gut eingeprägt.“

„Welchen Plan?“

„Die, die mir geholfen haben, haben mir einen exakten Plan des Schlosses gezeigt und ich sollte mir alles einprägen. Eine Weile habe ich mich als Wache ausgegeben. Deswegen wusste ich auch wo du steckst.“
 

Hm. Zumindest würde das einiges erklären. Aber warum hatte sie mir das nicht gleich erzählt? Und davon mal abgesehen, verhielt sie sich teilweise wirklich seltsam. Ich schüttelte den Gedanken ab. Erstmal mussten wir es hier raus schaffen. Und dann zu den anderen.

Feuerkraft

//Jack//
 

„Kannst du dann meinem Papa helfen?“ fragte das Kind.

„Deinem Papa?“ entgegnete Leo dem Mädchen irritiert, wurde aber im nächsten Moment von ihr aus dem Raum gezogen.

„Kann ich kurz mit dir reden?“ Ich neigte meinen Kopf zur Seite. Neben mir stand diese rothaarige Frau. Rose. Luna sah unschlüssig zu mir. Ich nickte ihr zu und sie folgte ihrem Bruder. Dann stellte sich diese Rose wieder in mein Blickfeld. „Was willst du?“ murrte ich. Mir dröhnte der Schädel und ich wollte mich einfach nur ausruhen. Ich hatte keinen Nerv für dieses Gespräch.

„Ich weiß, ihr sucht nach euren Freunden, aber könnt ihr zuerst diesem Dorf helfen? Von mir mal abgesehen, kann niemand hier kämpfen. Sie haben nicht mal anständige Waffen.“ Sie senkte die Stimme, sah flüchtig zu den anderen. „Allein haben sie keine Chance gegen diese Kreaturen und ewig verstecken können wir uns hier nicht. Ich gebe uns vielleicht ein oder zwei Nächte, dann gehen die letzten Ressourcen zur Neige.“

„Warum flüchtet ihr nicht einfach, wenn ihr nicht kämpfen könnt? Unmöglich kann es ja nicht sein. Als wir hier angekommen sind, ist uns ein Mann entgegengerannt.“

„Und die Verletzten?“ keifte sie aufgebracht, mäßigte aber ihre Stimme. „Mit ihnen sind wir zu langsam, und sie hier ihrem Schicksal zu überlassen kommt nicht in Frage!“
 

Ich atmete tief durch um diese verdammten Kopfschmerzen zu beruhigen. Wenn sie mit ihrer Bitte zu den Zwillingen geht, werden sie sicher sofort zustimmen. Zugegeben, ganz kalt lässt mich die Sache auch nicht. Aber wir müssen schnellstens die anderen finden und aus dieser verdammten Welt abhauen. Mit etwas Glück konnte Yusei noch etwas Zeit rausschlagen und fliehen, aber wenn sie ihn gefunden haben sollten, wer weiß, was sie dann mit ihm anstellen. Ich sah zu dem Deckhalfter an meinem Gürtel, hatte irgendwie das Gefühl ich könnte Sternenstaubdrache spüren, der sich darin befand. Dieser verdammte Dickschädel hatte nicht mal mehr seinen Drachen als Schutz. Ich sah wieder zu Rose. „Wie stellst du dir unsere Hilfe vor? Wir müssen dringend unsere Freunde finden und können diese Kräfte die wir haben noch nicht kontrollieren. Mit etwas Pech fackel ich vielleicht das halbe Dorf ab.“

„Häuser kann man wieder aufbauen“ sagte sie ernst. „Aber die Bewohner dieses Dorfes werden sterben, wenn niemand etwas unternimmt.“

Ich seufzte genervt, mied ihren Blick. Verdammte Idealisten. „Schön, aber unter einer Bedingung.“

„Und die wäre?“

„Du hast doch gesagt, du wärst viel rumgekommen. Wir helfen dir bei deinem Ungezieferproblem und du hilfst uns unsere Freunde zu finden. Wir haben absolut keine Ahnung wo sie stecken könnten.“

„Abgemacht. Wenn ihr mir helft dieses Dorf zu retten, liegt mein Schwert in eurer Hand, bis wir all eure Freunde gefunden haben.“
 

Wenig später führte mich einer der Dorfbewohner in einen benachbarten Raum, in dem etliche Feldbetten aufgestellt waren. Mit einem Schlag überfiel mich eine unglaubliche Müdigkeit. Aber ich konnte ihr noch nicht nachgeben. „Wo sind die Zwillinge?“ richtete ich mich an den alten Mann.

Er überlegte einen Augenblick. „Soviel ich weiß, sind sie noch im Lazarett. Entschuldigt mich, ich werde nach ihnen sehen. Ihr könnt euch etwas ausruhen, Ihr seht sehr erschöpft aus.“

Ohne meine Antwort abzuwarten, ging er gemächlich aus dem Raum raus. Ich sah mich um. In einigen der behelfsmäßigen Betten lagen Leute und schienen schon zu schlafen. Ich ging auf ein leeres Bett zu und betrachtete es genauer. Morsches Holz, die Matratze war vielleicht so breit wie mein Daumen und die Decke war nicht mehr als ein zerlumptes Tuch. Alles in allem sahen sogar die Betten in unserem Versteck in Sattelite damals komfortabler aus. Unter normalen Umständen würde ich den Teufel tun hier zu schlafen, aber es fehlte uns an Optionen. Zögerlich legte ich mich hin und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Ganz toll. Es war sogar ungemütlicher als es aussah, trotzdem döste ich ab und an weg. Eine Berührung an meiner Schulter ließ mich hochschrecken, ich sah mich um. Luna saß bei mir auf der Bettkante und sah mich traurig an. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken“ flüsterte sie. Hinter ihr erkannte ich Leo. Er lag mit dem Rücken zu uns auf dem benachbarten Bett und rührte sich nicht.

Ich seufzte und ließ mich erschöpft nach hinten kippen. „Hast du nicht. Was ist denn los?“

Sie zögerte. „Ich… Ich weiß, wir müssen Akiza und Crow finden, aber… Jack, diese Dorfbewohner brauchen unsere Hilfe!“

Ihre Stimme bebte. Sie schien geweint zu haben. Ich schloss meine Augen. „Schon klar, ich weiß. Wir helfen ihnen, aber zuerst sollten wir uns ausruhen.“ Sie rührte sich nicht, gab mir auch keine Antwort, also sah ich wieder zu ihr. Sie schien verwirrt. „Was denn?“ murrte ich.

Sie schüttelte den Kopf. „Nichts, ich…“ Ein kleines Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Danke.“

„Ihr hättet ja doch keine Ruhe gegeben.“ Mein Blick wanderte kurz zu Leo, ehe ich wieder zu seiner Schwester sah. „Was ist mit ihm?“ Ich hatte eher damit gerechnet, dass das Energiebündel mich überreden will, stattdessen lag er einfach da und schlief.

Auch Luna sah einen Augenblick zu ihm. „Er ist erschöpft, denke ich. All diese Verletzten…“ Sie schniefte, sah mich mit Tränen in den Augen an. „Das war ein schrecklicher Anblick. Leo hat versucht ihnen zu helfen. Keine Ahnung, ob es etwas gebracht hat. Ich habe es da drin nicht mehr ausgehalten.“ Wieder ein Schluchzen, sie mied meinen Blick, krallte ihre Finger in ihre Kleidung. „Ich war nicht für ihn da, dabei hätte er mich da drin bestimmt gebraucht. Als er wieder raus kam, war er leichenblass und hat kein Wort mehr gesagt.“ Schnell versuchte sie sich die Tränen wegzuwischen, aber es war zwecklos. Immer wieder kamen neue nach.

„Gib ihm Zeit“ war alles was ich erwidern konnte. Aber es schien sie einen Moment lang abzulenken. „Wir sehen morgen, was wir machen können. Jetzt versuch erstmal zu schlafen. Heute kannst du ihm nicht mehr helfen.“

Noch einmal wischte sie sich die Tränen von den Wangen, nickte aber.
 

~*~
 

Am Morgen darauf öffnete ich die Augen nur mühsam. Dass es hier bis auf das Licht einiger Fackeln nichts gab, kam mir zugute. Ich fühlte mich wie gerädert. Mein Schädel brummte nicht mehr ganz so sehr, aber meine Muskeln waren wegen dieses verdammten Betts komplett verspannt. Träge stand ich auf und sah mich um. Überaschenderweise entdeckte ich keine einzige Person mehr im Raum. Nicht mal die Zwillinge waren da. Ich streckte mich, um die Verspannungen loszuwerden und steuerte den Gemeinschaftssaal von gestern Abend an. Die Chance sie dort anzutreffen, war wohl am höchsten. Tatsächlich sah ich Luna, die abseits der anderen in eine Unterhaltung mit Rose vertieft schien. Von ihrem Bruder war allerdings keine Spur zu sehen. „Wo ist Leo?“ fragte ich.

Luna drehte sich überrascht zu mir. „Oh, Hallo Jack.“ Einen Moment lang mied sie meinen Blick, sah stur auf den Boden. „Leo ist im Lazarett.“

„Und du bist nicht bei ihm?“ fragte ich skeptisch. Gestern Abend hatte sie sich noch Vorwürfe deswegen gemacht.

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Er… hat mich weggeschickt. Er wollte allein sein.“

„Hm.“ Dass er mal seine Schwester ausschließen würde.

„Ich habe übrigens mit dem Dorfältesten gesprochen“ schaltete sich Rose ein. „Diese Viecher tasten sich wohl nach und nach an unser Versteck heran. Es wird nicht mehr lang dauern, bis sie herausfinden, wie man die Fackeln los wird und dann hier eindringen. Wenn das passiert, haben wir hier unten keine Chance. Wie auch immer wir vorgehen, wir sollten es schnell tun. Andernfalls werden dieses Dorf und seine Bewohner vollends ausgelöscht.“

Ich nickte. Dass dieser wahnwitzige Plan, sich unter der Erde zu verstecken, wo diese Monster im Vorteil wären, überhaupt so lang funktioniert hatte, grenzte an ein Wunder. „Was schlägst du vor?“

„Das kommt ganz darauf an, wie viele von euch kämpfen können.“

Luna senkte betrübt den Blick. Da ihre Dueldisk zerstört worden war, konnte sie nur noch in der Verteidigung helfen. Leo hingegen konnte während eines Angriffs nicht viel ausrichten. Wenn wir zumindest Akiza schon gefunden hätten. Während der Übungen auf dem Dach war sie nicht übel, auch ihre Kraft konnte sie weit schneller als wir kontrollieren. Mit ihr hätten wir eine reelle Chance. Ernst betrachtete ich Rose. „Das wäre nur ich.“

Ihre Stirn legte sich in Falten, der Blick glitt in die Ferne. „Dann wäre ein Frontalangriff sinnlos… Strategisch gute Positionen können wir zu zweit auch nicht abdecken… Und wenn wir… Nein…“ Gedankenverloren tigerte sie durch den Raum. Das machte mich fast wahnsinnig.

„Und wenn wir sie einfach von hier fortbringen?“ Überrascht sah ich zu Luna, deren Blick unsicher zwischen mir und Rose wanderte. „Irgendwo muss es doch einen sicheren Ort geben, wo wir sie hinbringen können.“

„Wie stellst du dir das vor?“

„Gegen diese Mauerschatten kann ich nichts ausrichten, aber vor den Menschenfresserkäfern kann ich uns eine Zeit lang sicher beschützen.“

„Die Menschen, die verletzt wurden, überstehen das nicht. Sie brauchen Ruhe.“

„Hast du einen anderen Plan?“ fragte ich, verschränkte meine Arme.

„Nein, aber den Transport überleben sie nicht. Da können wir sie gleich zum Sterben hierlassen!“

„Dann bleibt wohl doch nur das Dorf abzufackeln“ sagte ich zynisch. Sie schien ernsthaft darüber nachzudenken. „Das war ein Witz“ stellte ich klar.

Rose winkte ab. „Welche Reichweite haben die Flammen?“

„Keine Ahnung. Vielleicht fünf bis zehn Meter.“

„Hm… Und wenn wir-“
 

„Harashi!“
 

Erschrocken drehten wir uns zum Eingang der kleinen Halle. Der Mann, der uns hergeführt hatte, rannte kreidebleich zum Dorfältesten. Die Augen panisch aufgerissen. „Das Wetter! Die Monster! Sie kommen!“

„Was?!“

„Was ist passiert?“

Der Mann sah zu Rose, die die Frage gestellt hatte. „Ein Sturm ist aufgezogen! Der Himmel ist dunkel und die Fackeln werden nicht mehr lang brennen. Hier im Inneren der Höhle sind es zu wenige, um uns vor den Monstern zu schützen.“

Mir stockte der Atem. Wenn sie hier reinkommen, wars das. Für uns alle.

„Verbarrikadiert den Eingang!“ wies sie einigen Männern an, wandte sich dann an eine Gruppe Frauen. „Holt alle Fallen, die ihr auftreiben könnt, ein paar sollten im Lager sein.“ Sie nickten, verschwanden schnellstmöglich. „Der Rest schnappt sich irgendetwas, das ihr als Waffe benutzen könnt! Frauen und Kinder flüchten bis in den Vorratsraum und sperren sich dort ein. Wir geben nicht kampflos auf!“

Zurufe der Dorfbewohner, alle setzten sich in Bewegung. Besorgt sah Rose mich an. „Das verschafft uns vielleicht etwas Zeit. Wenn sie durchbrechen, kann das Mädchen uns Schutz geben, du versuchst diese Viecher zu verscheuchen, aber ohne die Höhle zu sprengen.“

So weit kommt es noch, dass ich mir von einer Fremden Befehle geben lasse! Doch ehe ich meiner Wut Luft machen konnte, mischte sich Luna ein und stimmte zu. Genervt seufzte ich und schritt aus dem Raum. „Wo willst du hin?“ rief Luna mir nach.

„Zu Leo“ brummte ich, ohne mich umzudrehen. „Wir werden ihn brauchen.“
 

Als ich im Lazarett angekommen war, entdeckte ich Leo schnell an einem der Betten, den Rücken zu mir gedreht. „Leo?“ versuchte ich ihn auf mich aufmerksam zu machen. Jedoch ohne Erfolg. Ich brummte in mich hinein und ging zu ihm, doch stockte. Jetzt erkannte ich den Mann, der auf der Matratze lag. Zumindest das, was noch von ihm übrig war. Zum Großteil war er verdeckt von blutigen Mullbinden. Sein Atem war flach. Flüchtig sah ich mich um. Die Menschen in den übrigen Betten sahen genauso schlimm aus, einer war gänzlich von einem weißen Laken verdeckt. Schnell riss ich mich von dem Anblick los und stellte mich direkt neben Leo. Seine Hände lagen auf dem Oberkörper des Mannes. Einige lange Schnitte zogen sich über seinen gesamten Brustkorb, die aussahen, als hätten sie sich entzündet. Seine Haut war aschfahl. Selbst ich sah, dass es aussichtslos war. „Hey“ versuchte ich es wieder, erntete aber die gleiche Reaktion. Ignoranz. Macht er das mit Absicht? Jetzt erst erkannte ich die Angst in seinen Augen. Blanke Panik. Als ich meine Hand auf seine Schulter legte, zuckte er furchtbar zusammen und sah mich entsetzt an.

„J-Jack?“ stammelte er, widmete sich aber wieder dem Todgeweihten. „Ich kann grad nicht.“

„Wir müssen zu den anderen.“

„Nein! Er stirbt, wenn ich ihm nicht helfe… Ich…“ Ein Schluchzen unterbrach ihn.

„Es ist zu spät. Das überlebt er nicht. Wir müssen los.“

„Nein!“ rief er, sah mich wütend an. „Ich muss ihm helfen. Ich kann ihn nicht einfach… Er wird nicht sterben!“

„Sieh ihn dir an! Da draußen gibt es Menschen, denen wir tatsächlich noch helfen können.“

Ungläubig schüttelte er den Kopf, widmete sich wieder dem Mann. „Wie soll ich schon helfen? Hier kann ich mehr ausrichten.“

Ein entfernter Schrei ließ mich zum Eingang zurücksehen. Verdammt, sind die Biester etwa schon durchgebrochen?

„Schön, dann verschwende hier deine Kräfte. Wir versuchen diese Viecher davon abzuhalten, uns alle abzuschlachten.“

Er biss sich auf die Unterlippe, ignorierte die Tränen, die seine Wangen hinabliefen. Ich schnaubte, verließ den Raum schnellen Schrittes. Dann eben nicht.
 

Kurz vor dem Eingang drängelte ich mich durch eine Menschentraube und sah einen Menschenfresserkäfer auf Luna zu rennen. Die Fackeln waren zum größten Teil erloschen. Sie beschwor ihren Schild und das Vieh schmetterte daran ab, zurück nach draußen, gab dabei einen markerschütternden Schrei von sich. „Scheiße“ fluchte ich, schloss zu Luna und Rose auf.

„Was ist mit dem Jungen?“

„Der kann nicht“ antwortete ich knapp, sah ein weiteres Monster auf uns zukommen. „Ich dachte, ihr wolltet eine Barrikade errichten.“

„Der Sturm war schneller.“

Wieder prallte eines der Viecher von Lunas Schild ab, flog in hohem Bogen aus der Höhle.

„Vorrücken!“ befahl Rose und schnellte voran, Luna folgte ihr. Ich sah zurück. Ein paar Männer standen hinter uns, einige waren mit Spitzhacken bewaffnet, andere mit Schaufeln. Doch in jedem ihrer Gesichter lag Angst. Auf die konnten wir uns nicht verlassen. Wieder ein Schrei, ich schloss zu den beiden auf. Luna atmete schnell. „Geht’s?“ fragte ich.

„Ja. Aber lange kann ich sie nicht aufhalten.“

Ich nickte. Wir hatten den Höhleneingang erreicht. Jetzt konnten wir das gesamte Ausmaß unseres Problems erkennen. Zwanzig, vielleicht dreißig Menschenfresserkäfer, doch von Mauerschatten war keine Spur zu sehen.

„Auf mein Zeichen lässt du den Schild fallen“ sagte Rose, überblickte ebenfalls das Feld. „Ein paar von ihnen schafft mein Schwert noch bevor es zerbricht. Aber bleibt zusammen. Wenn wir uns trennen, haben wir keine Chance. Das Beste ist, wenn du sie mit einem deiner Feuerbälle irritierst, bevor ich angreife.“

Ich nickte knapp, wartete auf ihr Zeichen. Wieder kamen zwei Käfer auf uns zu, fletschten die Zähne, ihre Klauen zum Angriff bereit. Doch kurz bevor sie uns erreichen konnten, prallten sie an dem Schild ab, flogen davon, und rissen dabei ihre Artgenossen zu Boden.

„Jetzt!“
 

Der Schild verschwand, ich materialisierte die Energie vor mir, schleuderte sie mit voller Kraft auf meine Gegner. Die Explosion war so gewaltig, dass der Feuerball drei von ihnen mitriss, und in ein Haus am Rande des Dorfes einschlug. Dabei fing es sofort Feuer. Die übrigen Monster kreischten, senkten ihren Blick, kniffen die Augen zusammen, um sich vor der Helligkeit zu schützen. Den Moment nutzte Rose und preschte voran, rammte ihr Schwert in den harten Panzer des Insekts. Sein Kreischen hallte in meinem Kopf wider. Schnell zog sie es heraus und kümmerte sich um den nächsten, doch die Viecher waren wieder bei Sinnen, also feuerte ich einen neuen Feuerball ab. Dieses Mal explodierte er direkt in der Masse Insekten, auch Rose wurde in Mittleidenschaft gezogen. Mist! Schnell rappelte sie sich wieder auf, rannte auf uns zu. „Schild hoch!“ befahl sie dabei, während sie von einem Duzend Monster verfolgt wurde. Gerade als sie wieder bei uns war, zog Luna den Schild hoch und die Monster prallten ab. „Was sollte das?!“ keifte sie. Erst jetzt bemerkte ich das Blut, das über ihr Gesicht lief.

„Nochmal: Ich habe es nicht unter Kontrolle!“

„Jack!“

Lunas panischer Ruf riss mich aus dem Gespräch. Sie war blass. Ich folgte ihrem Blick, riss die Augen auf. Finstere Schatten krochen über den Boden, genau auf uns zu. „Verdammt!“ zischte ich, sah noch einmal zu Rose. Sie hielt ihren Arm, der wohl ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden war. Die Käfer hatten aus den vorherigen Angriffen gelernt, lauerten auf ihre Chance, während die Schatten unaufhörlich voranschritten. Sollten sie den gleichen Angriff benutzen wie damals in der Gasse, konnte uns Lunas Schild nicht helfen. Einen kurzen Seitenblick warf ich zu ihr. Sie sah aus, als würde sie nicht mehr lang durchhalten. „Nimm den Schild runter“ murmelte ich, fixierte die Monster.

„Was?“

Ich konnte ihren Blick auf mir spüren, wollte jetzt aber nicht diskutieren, und ging einige Schritte nach vorn. „Mach es einfach!“

Im nächsten Moment verschwand der Schild, und ich materialisierte einen weiteren Feuerball, direkt auf die Schatten. Ein starker Wind zog auf, lenkte das kleine Inferno in eine andere Richtung und setzte ein weiteres Haus in Brand, riss allerdings einen Käfer mit sich. Der wind peitschte unablässig über das Feld, machte es mir schwer zu zielen, doch ich versuchte es ein weiteres Mal, beschwor noch mächtigere Flammen, die mehrere Gegner gleichzeitig in Brand setzten. Das Kreischen der Monster war ohrenbetäubend.

„Sie ziehen sich zurück“ bemerkte Luna. Tatsächlich bewegten sich die Schatten nicht mehr auf uns zu.

„Nicht lange“ meinte Rose. „Sie warten nur auf eine bessere Gelegenheit.“

Ich nutzte das Feuer, in dem unsere Gegner verbrannten und verstärkte die Flammen, um auch die anderen in Brand zu stecken, doch zu allem Überfluss gesellte sich zu dem starken Wind auch noch Regen. Der löschte zwar das Feuer, das sich langsam im Dorf ausbreitete, jedoch auch unsere Gegner. Ein weiteres Mal nahm ich all meine Energie zusammen, beschwor eine Flammenkugel, doch sie verpuffte augenblicklich. Ich sackte ab, ging erschöpft zu Boden, doch schaffte es, mich auf den Knien abzufangen.

„Jack!“ erklang Lunas besorgte Stimme. Keuchend überblickte ich das Feld. Die Flammen erloschen allmählig. Zwar hatten wir einige Käfer erledigen können, aber es waren für Rose allein noch immer zu viele. Dazu kamen die Schatten, die sich wieder auf uns zubewegten. Plötzlich erschien aus dem Schatten ein hässliches, grünes Monster, feuerte eine Energiekugel auf uns ab. Ich konnte nur zusehen, wie sie mit einer unglaublichen Geschwindigkeit auf uns zuflog. Ich schloss die Augen. Das wars.
 

Ein helles Kreischen ließ mich die Augen aufreißen. Die Energiekugel war verschwunden, stattdessen stand das grüne Vieh in Flammen und kreischte sich die schwarze Seele aus dem Leib. Der Schild war aktiviert. „Ich dachte das funktioniert nur bei physischen Angriffen“ sagte ich verwirrt, sah über die Schulter zu Luna.

Diese sah ebenso ratlos aus. „Das war ich nicht.“

Wieder ein Schrei, ich sah nach vorn. Drei weitere Käfer lagen auf der blutgetränkten Erde, rührten sich nicht mehr. Ein Geräusch ließ mich aufsehen. Aus dem Himmel schnellten Monster auf unsere Gegner zu. Sie kamen mir nur allzu bekannt vor. Das kann doch nicht…

„Hattest du vor aufzugeben?“ erklang eine bekannte Stimme spöttisch.

Ich schmunzelte, sah zur Seite, in die Richtung, aus der der dumme Spruch kam.

Crow grinste, reichte mir seine Hand. Ich ergriff sie und ließ mir aufhelfen.

„Crow!“ rief Luna erleichtert.

Sein Lächeln wurde nur noch breiter, als er zu Luna sah. „Ich habe jemanden mitgebracht, der sich freut dich zu sehen.“

„Die Wiedersehensfeier kann warten!“ donnerte eine weitere Stimme. Ein gepanzerter, weißer Löwe stürzte sich auf einen der Käfer, zerriss ihn förmlich in der Luft.

„Regulus!“

„Seid ihr verletzt?“ fragte er.

„Nein“ antwortete ich stellvertretend für den Rest.

„Dann kannst du die hier sicher brauchen.“ Crow zog aus einem Lederbeutel etwas hervor.

„Eine Dueldisk? Wo hast du die her?“ fragte Luna erstaunt.

„Erklär ich dir später. Lass uns erstmal dieses Ungeziefer loswerden.“

Luna griff sich die Disk, legte sie an. Der altbekannte Aktivierungssound erklang. „Sonnenlichteinhorn, erhelle die Dunkelheit mit deinem leuchtenden Horn. Feenbogenschütze, lass sie deinen Lichtpfeil zu spüren bekommen!“ rief sie, sogleich materialisierten sich ihre Monster vor uns, Feenbogenschütze zielte direkt auf einen der Schatten und ließ den Pfeil von der Sehne schnellen. Dann ging alles ganz schnell. Sonnenlichteinhorn erhellte die gesamte Umgebung und ließ die Viecher zurückschrecken. Diese Ablenkung nutzten Crows Schwarzflügelmonster Gale, Sirocco, und Rüstungsmeister und griffen weiter an. Regulus setzte einem Mauerschatten sein Ende. Es dauerte nicht lang, da lagen all unsere Gegner regungslos am Boden.
 

„Waren zwar viele, aber die Dämonen in Satellite waren zäher“ bemerkte Crow fast schon enttäuscht.

Ich warf ihm einen verständnislosen Blick zu.

Luna rannte zu Regulus und umarmte ihn. Auch er schmiegte seinen mächtigen Kopf an das Mädchen. „Zum Glück seid ihr aufgetaucht!“ wimmerte sie. „Ich dachte wirklich…“

„Hör auf zu weinen“ brummte er einfühlsam.

Ich wandte mich wieder an Crow. „Wie habt ihr uns eigentlich gefunden?“

„Danke, dass du mir den Arsch gerettet hast“ meinte er gespielt vorwurfsvoll, was mich nur mit den Augen rollen ließ.

„Schon gut, danke. Also?“

„Regulus hat Gerüchte gehört, dass in dem Wald da hinten Fremde aufgetaucht sind. Dann sind wir auf einen sylvanischen Engelsspross getroffen, der euch wohl begleitet hat. Tja, und dann haben wir die Lightshow gesehen.“

„Ist Akiza auch bei euch?“ fragte Luna.

Crow wurde wieder ernst. „Nein, ich hatte gehofft sie wäre bei euch. Wo ist eigentlich Leo?“

Lunas Blick senkte sich. „Der ist drinnen.“

„Ist er verletzt?“

„Nein“ sagte ich, sah in das innere der Höhle. „Der ist nur durch den Wind, das wird schon wieder.“

„Ich danke euch, Fremde“ schaltete sich Rose plötzlich ein. Sie hatte ich beinahe vergessen. „Ihr alle habt den Menschen dieses Dorfes einen großen Dienst erwiesen. Das werden wir euch nie vergessen.“

Crow hob den Daumen, grinste. „Kein Ding. Ich bin Crow, das ist Regulus.“

Rose verneigte sich. „Der Vize des Geisterwaldes. Es ist mir eine Ehre.“

„Vize?“ fragte ich.

Crow nickte. „Lange Geschichte, erzähle ich später.“

„Na schön“ bemerkte ich und verschränkte meine Arme. „Jetzt müssen wir nur noch Akiza finden. Dann können wir endlich aus dieser Welt verschwinden.“

„Ja, und dann müssen wir Yusei helfen. Hoffentlich hat er sich in Sicherheit bringen können.“

„Ich… gehe nach Leo sehen“ sagte Luna zögerlich und verschwand in das Tunnelsystem.

Fragend sah Crow ihr nach. „Was ist denn mit ihr?“

„Frag nicht.“

Wunden

//Crow//
 

„Das ist die Lage“ sagte ich, breitete die Karte auf dem Tisch aus, die ich von Regulus erhalten hatte. Durch die Fackeln an den Wänden war die Halle angenehm warm und hell erleuchtet, bildete damit einen krassen Kontrast zu dem Unwetter, das da draußen über das Land zog. Ich tippte auf einen Bereich im Westen des Landes. „Wir sind hier im Naturia Wald. Ich bin etwas weiter südlich aufgewacht, im Geisterwald.“

„Die Frage ist nur wo Akiza gelandet ist“ mischte sich Jack ein.

Ich nickte. „Sehr weit wird sie nicht von uns entfernt sein. Aber selbst, wenn wir wüssten, wo sie gelandet ist, haben wir immer noch keine Ahnung in welche Richtung sie gegangen ist, um uns zu suchen. Ist ja auch schon ein paar Tage her.“

Regulus sah ernst in die Runde. „Wäre sie im Geisterwald aufgetaucht, hätte man mich benachrichtigt. Wir können nur hoffen, dass sie irgendwo hier in diesem Land ist, und nicht weiter entfernt.“

„Aber selbst wenn sie hier ist, wie sollen wir das herausfinden?“ fragte Luna.

„Wir gehen zum schwarzen Garten“ schaltete sich Rose ein.

Ich überblickte die Karte. Das Gebiet war nicht sehr weit entfernt. Es lag westlich, vielleicht einen Tagesmarsch, wenn ich die Strecke von hier bis zum Geisterwald verglich. Meinen Blick richtete ich wieder auf Rose. „Wie kommst du darauf?“

„Der schwarze Garten ist das Herz dieses Landes. Dort lebt der schwarze Rosendrache. Wenn sich in diesem Land etwas Seltsames abspielt, wie etwa die Ankunft eines Menschen, dann weiß sie Bescheid.“

„Wenn Akizas Drache über alles Bescheid weiß, warum hat er dann nicht diesem Dorf geholfen?“ raunte Jack.

Rose sah ihn scharf an. „Vielleicht ist dieses Dorf nicht das einzige, das in Schwierigkeiten steckte! Hätte sie oder die Vizin davon gewusst, hätten sie uns nicht ignoriert!“

Ich versuchte mir ein Grinsen zu verkneifen. Wie Jack Paroli von dieser Frau bekam, war mir ein Fest.
 

„Genug!“
 

Nach der Ansage von Regulus war alles still, wie gebannt sahen wir zu dem weißen Löwen, der seinen Blick über jeden einzelnen von uns schweifen ließ. „Der Vorschlag dieser Kriegerin ist vernünftig. Auch wenn der schwarze Rosendrache nicht anwesend sein wird, ihre Vizin wird es sein.“

„Warum sollte sie nicht da sein?“ fragte Luna.

„Antiker Feendrache wurde in die weiße Stadt berufen, zusammen mit den anderen Drachen, die diese Welt beschützen. Auch der Schwarze Rosendrache wird dort sein.“

„Und wenn wir einfach dort hingehen?“ fragte Jack.

Wieder sah ich auf die Karte. „Das ist ewig weit weg. Der schwarze Garten ist viel näher.“

„Aber wenn dieser Vize nicht mal von diesem Dorf gewusst hat, bezweifle ich, dass wir etwas über Akiza rausfinden“ gab Luna zu bedenken.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ist immer noch besser als nichts zu tun.“

„Vielleicht hat eure Freundin auch selbst vom Schicksal dieses Dorfes erfahren, und ist auf dem Weg hier her“ sagte Rose. „So wie Regulus und Crow.“

Ich nickte. „Kann sein. Und was dann?“

„Wenn ich etwas sagen darf.“ Wir blickten zum Eingang des Raumes. Ein alter Mann schritt herein, verbeugte sich knapp in die Richtung von Regulus. „Ich wollte eure Unterhaltung keineswegs belauschen. Aber sollte eure Freundin den Weg hier herfinden, werden wir selbstverständlich einen Boten zum schwarzen Garten schicken.“

„Vielen Dank“ sagte Luna mit einem Lächeln. Auch ich nickte dankend. Wäre echt mies gewesen, wenn Akiza uns verpassen würde.

„Dann ist es beschlossen.“ Grinsend sah ich in die Runde. „Das Mistwetter würde ich abwarten und morgen brechen wir auf, finden Akiza und gehen endlich zurück nach Neo Domino.“
 

~*~
 

Später am Abend ging ich Richtung Schlafsaal, blieb aber im Eingang stehen und lehnte mich mit verschränkten Armen an die Wand. In einer Ecke hatte es sich Regulus bequem gemacht, Luna schlief an seine Flanke gekuschelt. Rose lag auf einem der Feldbetten, sowie einige wenige Dorfbewohner auch. Doch ich stutzte. „Die sind unbequemer als sie aussehen.“ Ich musste nicht hinsehen, um die leise Stimme hinter mir zu identifizieren. Trotzdem neigte ich meinen Kopf zu Jack.

„Wo steckt Leo?“ Den ganzen Tag schon hatte ich ihn nicht gesehen. Nicht mal als die anderen diesen Unterschlupf verteidigt hatten.

Er seufzte lautlos, bedeutete mir mit einem Kopfschwenk, ihm zu folgen. Wir sprachen kein Wort, während Jack mich durch die kahlen Gänge führte. Weit abseits des allgemeinen Trubels erreichten wir eine Tür. Jack hielt inne, sah mich durchdringend an. „Vielleicht wäschst du ihm mal den Kopf. Er hört nicht mal auf Luna, geschweige denn auf mich. Der hockt schon seit wir hier angekommen sind da drin.“

Seine Worte verwirrten mich nur noch mehr. Doch ohne weiter darüber nachzudenken, öffnete ich die Tür. Ein fauliger Geruch strömte mir entgegen. Ich hielt mir den Arm vor die Nase, doch es brachte nicht viel. Die wenigen Betten in diesem Raum waren mit weißen Laken abgedeckt, bis auf eines im hinteren Teil. Dort erkannte ich auch Leo und ging auf ihn zu. Er saß auf einem Stuhl, den Rücken zu mir gekehrt, neben einem Mann, der definitiv so aussah, als hätte er sich mit einem dieser Viecher angelegt. Er war übersäht mit Bandagen. „Leo?“ fragte ich behutsam. Keine Antwort. Ich beugte mich nach vorn, um einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen. Seine Augen waren geschlossen, seine Atmung ruhig. Der schläft wie ein Stein. Ich stemmte die Hände in die Hüften und seufzte. Früher hätte ich ihn ganz leicht ins Bett verfrachten können, aber heute war er einen Kopf größer als ich. Ich kniete mich zu ihm und schüttelte sanft seine Schulter. „Hey, Leo.“

Seine Augen zuckten, langsam bewegte er sich und sah verschlafen zu mir. Er sah völlig verpeilt aus. „Crow?“ nuschelte er. „Die Revanche kannst du nachher haben, ich muss an meinem Deck feilen.“

„Was?“ erwiderte ich amüsiert. Der war alles, aber nicht wach. „An deinem Deck kannst du morgen weiterarbeiten“ spielte ich mit. „Aber es ist spät, du willst doch morgen ausgeschlafen sein. Na komm, ab ins Bett mit dir.“

Er gähnte herzhaft, bettete seinen Kopf auf dem Bett neben dem Verletzten. „Später, erst müssen wir Crow und Akiza helfen.“ Nein, verdammt! Nicht, dass er hier wieder einschläft! Dass er bei dem Gestank überhaupt schlafen konnte, war vermutlich seiner Übermüdung geschuldet. Plötzlich riss er die Augen auf, setzte sich aufrecht hin. Immer noch neben der Spur, aber deutlich wacher starrte er mich an. „Crow?! Was machst du denn hier? Wie hast du uns gefunden? Und ist Akiza auch bei dir?“

Ich blinzelte verwirrt, schnaufte dann belustigt. „Nein, aber die finden wir auch noch. Den Rest erzähl ich dir später. Jetzt solltest du dich erstmal ausruhen, du siehst völlig fertig aus. Na komm.“ Ich stand auf und wandte mich um.

„Nein“ erklang es plötzlich hinter mir.

Verdutzt drehte ich mich zu ihm. „Wieso nicht? Ist echt spät, und wir wollen morgen früh los, um Akiza zu suchen.“

„Ich kann nicht“ erwiderte er betrübt, mied meinen Blick.

„Warum?“

Flüchtig sah er zu dem Mann neben ihm, dann zu den anderen Betten. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Ich muss ihm helfen. Ich kann nicht… Die anderen hier sind… Er darf nicht sterben.“ Die Hände zu Fäusten geballt, schluckte er ein Schluchzen runter.

Besorgt musterte ich ihn. Er sah völlig verzweifelt aus, schaffte es nicht, mir in die Augen zu sehen. Auch ich ließ den Blick kurz schweifen. Im ersten Moment wusste ich nicht was er meinte, schließlich waren wir bis auf den Mann neben ihm allein. Doch dann ahnte ich was los war. Die Laken, die über den Betten ausgebreitet worden waren, dieser widerliche Geruch. Ich schluckte. Wenn man genau hinsah, konnte man die Konturen von Menschen erkennen. „Ich muss ihm helfen“ wimmerte er leise. „Wenn er auch stirbt, dann… Alle können helfen, nur ich nicht.“

„Was meinst du?“

„Jack und Luna haben die Menschen in diesem Dorf beschützt. Aber ich… Ich kann gar nichts ausrichten.“

„Hör auf damit!“

Überrascht, mit tränenverschleierten Augen, sah er mich an.

„Glaubst du wirklich, du wärst keine Hilfe? Leo, deine Kraft ist unglaublich! Du hast Jack geholfen, als er von Luna quer durch die Wohnung geschleudert wurde. Und auch Yusei, als er so ramponiert auf dem Dach aufgetaucht ist. Wärst du nicht gewesen, hätten die beiden ganz schön alt ausgesehen, glaub mir.“

Das Leid in seinem Gesicht verschwand nicht, ganz im Gegenteil. „Das ist was anderes. Die beiden wären auch ohne meine Hilfe wieder gesund geworden. Den Menschen hier hätte ich tatsächlich helfen können, aber du siehst doch, dass ich versagt habe.“

„Du hast dein Bestes gegeben, mehr kann keiner verlangen.“

„Geh einfach.“ Er wandte den Blick ab, sah stur zu dem Verletzten.

Leise seufzte ich. Jetzt war klar, was Jack meinte. Wenn Luna nicht mal zu ihm durchdringen konnte, warum dann ich? „Leo…“

„Bis wir aufbrechen bleibe ich hier“ flüsterte er. „Ich lass ihn nicht allein.“

Einen Augenblick stand ich da, hin- und hergerissen, was ich tun sollte. Doch schließlich legte ich ihm behutsam eine Hand auf die Schulter. „Wenn das so ist, bleibe ich bei dir.“

Er erwiderte nichts, was ich als stilles Einverständnis nahm. Also schnappte ich mir einen Stuhl und setzte mich auf die gegenüberliegende Seite des Bettes. Lauschte dem ruhigen Atem des Mannes. Irgendwann nahm ich nicht mal mehr den Geruch wahr.
 

~*~
 

Ich schreckte hoch, sah mich verwirrt um. Irgendein Geräusch hatte mich aus dem Schlaf gerissen, und ich brauchte einige Sekunden, um wieder in der Realität anzukommen. Leo rannte aus dem Raum, ließ mich noch verwirrter zurück. Hab ich was verpasst? „Wo bin ich?“ krächzte eine Stimme.

Erschrocken sah ich zu dem Mann im Bett. Seine Augen wanderten unstet umher, blieben an mir hängen. „Wer bist du? Wo ist meine Familie?“ Als er Anstalten machte sich zu bewegen, stöhnte er schmerzerfüllt.

„Hey, ganz ruhig, man!“ sprach ich endlich, drückte ihn wieder sanft ins Kissen. „Du bist schwer verletzt, ich würde an deiner Stelle liegen bleiben.“

„Meine Familie…“

Oh Mann. „Ich glaub, Leo holt sie gerade“ reimte ich mir zusammen. Versuchte ihn so irgendwie zu beruhigen. Tatsächlich wehrte er sich nicht mehr gegen meine Hand, die ihn auf dem Bett hielt. Trotzdem ließ ich sie auf seiner Schulter liegen.

Es dauerte nicht lang, da stürmte Leo wieder ins Zimmer. Dicht gefolgt von einer jungen Frau und einem kleinen Mädchen. Um Platz zu schaffen, verkrümelte ich mich, als die beiden ans Bett traten. Die Frau weinte bitterlich, warf sich dem Mann in die Arme. Das Kind krabbelte auf das Bett, um in die Umarmung einzusteigen. Erst, als der Mann stöhnte, wich die Frau erschrocken zurück. Er versicherte ihr aber, dass er die Schmerzen gern in Kauf nahm. Ich schmunzelte und sah zu Leo rüber, der versteinert neben mir stand. Um ihn aus seiner Starre zu reißen, boxte ich ihm gegen die Schulter und grinste, als er mich erschrocken ansah. „Hast es geschafft! Du kannst echt stolz auf dich sein.“

Geräuschvoll atmete er aus, sagte aber nichts. Tränen sammelten sich in seinen Augen. Ganz leicht zuckten seine Mundwinkel nach oben.

Eine plötzliche Berührung an meinem Bein ließ mich nach unten sehen. Das kleine Mädchen sah mich mit großen, braunen Knopfaugen an und zupfte an meiner Hose. „Hast du gemacht, dass mein Papa wieder wach ist?“

Ich schüttelte den Kopf, grinste. „Das war mein Freund hier“ sagte ich, klopfte Leo auf die Schulter. „Du musst dich also bei ihm bedanken.“

Ihr Blick richtete sich auf Leo. Sie strahlte übers ganze Gesicht. „Danke, dass du ihn wieder gesund gemacht hast!“

Leo war sichtlich gerührt, traute sich aber augenscheinlich nicht, zu antworten. So nickte er lediglich und ließ sich von dem Mädchen zum Krankenbett führen. Während ich den Raum verließ, musste ich über die Szenerie schmunzeln, faltete die Hände hinter dem Kopf und ließ den vieren ihren Moment.
 

~*~
 

Die aufgehende Sonne tauchte den Horizont in sanfte Rottöne. Ich genoss das wohltuende Gefühl der warmen Strahlen auf meiner Haut und atmete tief durch, als ich aus der Höhle trat. Eigentlich ist es echt schön hier. Unter anderen Umständen hätte ich Spaß die Geisterwelt zu erkunden, aber wir mussten so schnell wie möglich Akiza finden und dann nach Satellite und Yusei helfen. Meine gute Stimmung sank. Hoffentlich geht es ihm gut. Jack wartete bereits, ebenso die Zwillinge, Rose und Regulus. „Du bist spät dran“ bemerkte Jack.

„Sonnenaufgang. Ich bin pünktlich“ erwiderte ich, zuckte mit den Schultern. „Musst du wirklich zurück?“ fragte ich an Regulus gerichtet.

Der Löwe schloss für einen Moment die Augen, dann musterte er jeden einzelnen von uns. „Unter anderen Umständen hätte ich euch begleitet, doch mein Platz ist im Geisterwald. Jetzt, da Antiker Feendrache nicht im Land ist, muss ich Sogen beschützen. Ich war schon viel zu lang fort. Aber ihr seid nicht mehr allein, und eure Kräfte sind stark. Ich weiß, dass ihr es unversehrt bis zum schwarzen Garten schaffen werdet.“

„Danke für deine Hilfe“ sagte Luna mit einem sanften Lächeln.

Regulus neigte seinen Kopf zu ihr. „Wenn du mich brauchst, bin ich nur einen Augenblick entfernt, vergiss das nicht.“

Sie nickte, umarmte ihn. Dabei versank ihr Kopf fast gänzlich in der wilden Mähne.

„Ihr brecht bereits auf?“

Wir sahen zurück zur Höhle. Das halbe Dorf wagte sich heraus, viele blinzelten ob der Helligkeit. „Ja. Aber ihr habt ja wieder alles im Griff“ sagte ich grinsend.

Tief verbeugte sich der alte Mann, der die Frage gestellt hatte. Die anderen taten es ihm gleich. „Vielen Dank für alles. Wir stehen tief in eurer Schuld. Das werden wir euch niemals vergessen.“

Luna winkte ab. „Das haben wir gern gemacht, wirklich.“

Jack zog eine Augenbraue in die Höhe, sagte aber nichts.
 

„Es wird Zeit“ schaltete sich Rose ein, wandte sich dann an Regulus und verbeugte sich. „Es war mir eine Ehre, an Eurer Seite zu kämpfen.“

Doch Regulus erwiderte nichts, er sah nur zum nahegelegenen Wald.

Irritiert folgte ich seinem Blick. Der Wald war keine hundert Meter entfernt. Geflügelte Monster stoben aus den Baumwipfeln in alle Richtungen, das Rascheln der Blätter konnte man bis zu uns hören. „Was denn jetzt?“ jammerte ich. Wir hatten doch diese hässlichen Käfer erst besiegt, was sollte jetzt wieder auf uns zukommen? Jack und die Zwillinge waren in Alarmbereitschaft, ebenso ich. Doch im nächsten Moment erkannte ich, dass wir damit die einzigen waren. Rose stand ganz ruhig neben Regulus, der noch immer Richtung Wald sah. Auch die Dorfbewohner wirkten nicht übermäßig beunruhigt, ganz im Gegenteil. Der alte Mann wirkte fast erleichtert.

Aus dem Schatten der Bäume traten Duelmonster, einige kannte ich nur zu gut. Zwielichtrosen-Ritterin, Rosen Bogenschütze, Hexe der Schwarzen Rose, ebenso wie Rosenhexe und Famose Rose. Alle angeführt von einem Monster, das mir unbekannt war. Es hatte Ähnlichkeit mit Akiza, auch die Maske, die das Gesicht verdeckte, sah aus wie die der Schwarzen Rose. Selbst die Klamotten hatten Ähnlichkeit zu Akizas Kleidung. Nur war das Monster größer, hatte einen Speer und dazu die Flügel des schwarzen Rosendrachen auf dem Rücken. „Königinengel der Rosen“ murmelte der alte Mann. Ich sah zu ihm, beobachtete wie er und die restlichen Bewohner des Dorfes auf die Knie gingen.

„Wer?“ kam es von Jack, dem das Monster wohl ebenso unbekannt vorkam.

„Die Vizin unseres Landes. Sie ist gekommen, um uns zu helfen.“

„Reichlich spät“ murmelte Jack, was der Mann jedoch geflissentlich ignorierte. Als die Monster fast bei uns waren, flog auch ein Rosenvogel aus dem Wald heraus. Regulus neigte seinen Kopf und begrüßte die Vizin. Diese sah sich einen Augenblick lang um, musterte die am Boden liegende Körper der Käfer. Einige verkohlt, andere zerfetzt. Aus einem Haus am Rande des Dorfes stiegen noch immer leichte Rauchschwaden auf. „Wie ich sehe, hast du das Problem bereits beseitigt, Regulus. Und das, wo es doch gar nicht in deinem Revier lag.“

„In Zeiten wie diesen sollten wir nicht nur auf unser eigenes Land schauen, meinst du nicht auch? Aber der eigentliche Grund meiner Anwesenheit sind diese Menschen.“

„Menschen?“ hakte sie nach. Erst jetzt schien sie uns eigentlich wahrzunehmen. Ihre ganze Art schüchterte mich dermaßen ein, dass ich kein Wort herausbrachte. Dazu kam noch, dass ich ihre Mimik unter der Maske nicht lesen konnte. „Dann stimmen die Gerüchte. Welch Erleichterung.“ Sie sah nach oben zu Rosenvogel und schien ihm ein Zeichen zu geben, denn in diesem Augenblick glitt er langsam Richtung Boden. „Ich habe euch bereits gesucht, Auserwählte.“

„Uns?“ Lunas Stimme war mehr ein Piepsen. Auch sie schien verunsichert.

Die Vizin nickte knapp. „Wir, um es genau auszudrücken. Ihr wurdet schmerzlich vermisst.“

„Hä?“ kam es nur geistreich aus mir heraus. Was will denn ein Monster wie sie von uns?“

„Freunde!“

Erschrocken suchte ich den Eigentümer der bekannten Stimme. Rosenvogel war am Boden angekommen. Eine Gestalt glitt an seinem Körper auf den Boden. Sie nahm ihre Kapuze ab, legte lange, rote Strähnen frei. Bernsteinfarbene Augen, die uns freudig anstrahlten. „Endlich hab ich euch gefunden!“ sagte sie erleichtert.

„Akiza?!“

Flucht

//Yusei//
 

„Hier lang“ sagte sie leise, während wir durch den menschenleeren Saal rannten. Das Klackern ihrer Absätze auf dem harten Steinboden wirkte durch das Echo noch lauter. Dass uns bisher noch niemand gehört hatte, war wirklich ein Wunder. „Durch diese Tür und dann sind wir bald draußen.“ Ich keuchte, versuchte das Brennen in meinen Beinen zu ignorieren und mit ihr Schritt zu halten. Bewegung war mein Körper einfach nicht mehr gewohnt. Plötzlich verschwamm meine Sicht. An einer Wand suchte ich halt, mir war schwindlig. „Warte“ keuchte ich. Kniff die Augen zusammen. Ihre Schritte verstummten, kamen langsam auf mich zu.

„Alles in Ordnung?“ fragte sie besorgt. „Wir sind fast da.“

Doch ich konnte nicht antworten, versuchte nur halt auf meinen zitternden Beinen zu finden. Mein Körper fühlte sich so schwer an.

„Yusei!“ Ihre Stimme war leise. Fern. „Hey, wach auf!“

Was? Nur mühsam gelang es mir meine Augen zu öffnen. Irritiert sah ich mich um. Ich saß auf dem Boden, die Wand in meinem Rücken. Akiza kniete vor mir und reichte mir eine Feldflasche. „Trink“ forderte sie mich auf.

„Was ist passiert?“ flüsterte ich. Kam ihrer Aufforderung aber zu gern nach. Mein Hals war trocken und brannte.

Sie schüttelte nur milde den Kopf. „Trink. Es tut mir so leid, ich hätte bemerken müssen, dass du dehydriert bist. Du bist eben zusammengeklappt und warst für ein paar Sekunden bewusstlos.“

Noch nie hatte einfaches Wasser so gut geschmeckt. Es war unendlich angenehm, wie das kühle Nass meine Kehle entlanglief. Ich vergaß fast zu atmen. „Danke“ keuchte ich.

„Kannst du weiterlaufen?“

Ich nickte, ließ mir von ihr auf die Beine helfen. Im Korridor passte sie sich meinem Schritt an. „Du bist sicher, dass diese Verkleidung funktioniert?“ fragte ich leise.

Wir hielten an. Akiza linste um die Ecke. „Keine Angst. Die Wachen sehen brutal aus, sind aber dumm wie Brot. Bisher hat bei mir noch niemand Verdacht geschöpft. Hier nach rechts, dann sind wir draußen.“

„Wie lang läufst du schon verkleidet durch das Schloss?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ein paar Tage. Davor war ich außerhalb des Schlosses. Wie gesagt, es wird alles gut gehen, mach dir keine Sorgen.“ Keine Sorgen war gut gesagt. Wir mussten jetzt nicht mehr nur auf uns selbst achten, sondern auch auf das Baby.

Akiza öffnete eine Tür, die zu einem hell erleuchteten Platz führte. Doch auch das warme Licht der Fackeln konnte die Kälte, die dieser Ort ausstrahlte, nicht verbannen. Selbst der Himmel schien jedes Licht zu schlucken. Ein Schauer lief über meinen Rücken. Sie lief weiter, während ich noch Ausschau nach Wachen hielt. Zumindest hier hätte ich welche erwartet, aber die Umgebung war wie ausgestorben. „Kommst du?“ Geistesabwesend nickte ich und lief ihr nach, doch mir kam das alles seltsam vor. Augenscheinlich war es ein Eingang zum Schloss. Unruhen hin oder her, hier sollten doch Wachen postiert sein.

„Ist hier immer so wenig los?“ fragte ich, dämpfte aber meine Stimme.

Kurz stockte sie, wurde langsamer um sich umzusehen. Doch nur für einen Moment. „Nein, eigentlich gibt es hier Wachen. Wir haben wohl Glück, dass sie alle abgezogen wurden.“

„Irgendwas stimmt hier nicht“ murmelte ich. Sah mich suchend um. Doch auch außerhalb des Geländes sah ich niemanden.

„Wie kommst du darauf?“ fragte sie gelassen.

„Findest du es nicht seltsam, dass es hier niemanden gibt, der die Eingänge bewacht? Selbst als wir durch das Schloss gelaufen sind, sind wir nur einer Wache begegnet.“

„Es ist alles in Ordnung, wirklich. Ich weiß, du hast Angst, aber wir sind bald in Sicherheit.“

„Das hat nichts damit zu tun. Es ist nur alles so seltsam.“

„Was genau? Dass wir Glück mit der Bewachung haben? Wirklich Yusei, es wird alles gut werden. Wir gehen zurück zu meinem Versteck, und von da aus zu unseren Freunden.“

„Und wie? Wir stecken in dieser Welt fest. Lucifer hat selbst gesagt, dass es aus dieser Welt kein Entkommen gibt, wenn er nicht selbst das Tor öffnet.“

„Und du glaubst ihm?“ fragte sie, lächelte keck dabei. „Klar will er, dass du das glaubst. Denk doch nach, so nimmt er dir die Hoffnung auf Flucht. Es gibt noch andere Portale in unsere Welt.“

„Selbst wenn, das nützt uns nichts“ sagte ich gedankenverloren. Selbst wenn wir es nach Neo Domino schaffen würden, konnten wir nicht ohne Luna in die Geisterwelt gelangen.

„Wie meinst du das?“ holte mich ihre Stimme in die Realität. Sie war stehen geblieben, sah mich gespannt an. „Wo sind sie?“
 

„Wo sind sie?!“ Ein Knall. Schmerz durchzog meinen Körper. Ich schrie auf. „Wo sind sie?“ keifte seine kalte Stimme.
 

„Yusei?“ Sanft strichen Finger über meine Wange. Akiza musterte mich besorgt. „Hey, atme ruhig.“ Was? Atmen. Ich atmete flach. Hektisch. Kalter Schweiß stand auf meiner Haut. Mir war kalt, ich zitterte am ganzen Leib. Tief versuchte ich zu atmen, das erstickende Gefühl runterzuschlucken. Ich muss mich zusammenreißen. Es dauerte einen Moment, ehe ich mich gesammelt hatte. „Geht’s wieder? Was war denn los?“

„Nichts“ sagte ich kraftlos. „Wir müssen weiter.“ Ich hatte selbst keine Ahnung, was das eben war, doch es war im Augenblick nicht von Bedeutung. Gerade wollte ich Akiza und unser ungeborenes Kind einfach so weit wie möglich von dieser Hölle wegbringen.
 

~*~
 

„Hier sind wir“ sagte sie, als wir nach einer Ewigkeit endlich unser Ziel erreicht hatten. Es war ein kleines Häuschen, inmitten eines Waldes. Nicht gerade gut versteckt, wenn man bedachte, dass wir vor vielleicht zehn Minuten erst den Wald betreten hatten.

„Das ist dein Versteck?“ fragte ich zweifelnd. Doch sie öffnete nur die Tür und trat ein. Das Innere war ein einziger großer Raum, spärlich möbliert, mit kleinen Schränken, einem Tisch und vier Stühlen. Hinter einer behelfsmäßigen Wand aus Holz konnte man ein Stück einer Matratze erahnen. „Wo sind die anderen?“

Fragend sah sie mich an, doch dann wanderten ihre Augenbrauen nach oben. „Ach so, du meinst Ethan und Claire. Die sind sicher bald hier, wir sind früh dran. Setz dich doch, du bist sicher erschöpft.“

„Bist du sicher, dass wir dafür Zeit haben?“

Eine Hand stemmte sie in die Hüfte, sah mich dabei tadelnd an. „Um zum Portal zu kommen, brauchen wir die anderen. Außerdem bist du sogar schon zusammengebrochen und solltest dich dringend ausruhen.“ Sie holte tief Luft, seufzte. Dann wurde ihr Blick ganz weich. Eine Hand legte sie auf meine Schulter und bugsierte mich mit sanfter Gewalt zu einem Stuhl. „Im Ernst, ruh dich aus, bis sie kommen. Und dann gehen wir endlich nach Hause.“

Ich gab nach und setzte mich. Zu meiner Überraschung nahm sie auf meinem Schoß Platz, was ich nur verwundert beäugte. Aber nach den Strapazen der letzten Zeit war mir ihre Nähe willkommen, wenn auch die Umstände besser sein konnten. Ich konnte es kaum realisieren, dass wir tatsächlich entkommen waren. Sie schmiegte sich an mich, legte ihren Kopf auf meiner Schulter ab. Ihr Atem war ruhig und entspannt, und auch ich konnte die Anspannung ein wenig abfallen lassen. Konzentrierte mich auf das einzig vertraute in dieser Welt. Doch selbst ihr Geruch war mir nach der schrecklichen Zeit hier fremd geworden. „Sie sind nicht in der Menschenwelt, oder?“ murmelte sie irgendwann.

Ich seufzte, strich durch ihr Haar. „Nein.“

„Wo dann?“

„In Sicherheit“ sagte ich automatisch, sowie auch die unzähligen Male vorher, wenn mir diese Frage gestellt wurde.

Sie hob ihren Kopf, um mich anzusehen. Zu meiner Überraschung wirkte sie genervt. „Ja, schon, aber wo genau? Es gibt zwölf Welten*. Wenn sie das Portal öffnen sollen, brauchen sie auch die Information wohin.“

In der Geisterwelt. Bei Antiker Feendrache. Dort, wo sie beschützt werden. Es lag mir auf der Zunge, doch ich brachte keinen Ton heraus. Starrte nur in die warmen, braunen Augen, nach denen ich mich so gesehnt hatte. „Bist du sicher, dass du ihnen vertrauen kannst?“ hörte ich mich plötzlich sagen.

„Ja“ erwiderte sie prompt. „Du kannst ihnen vertrauen, so wie du mir vertrauen kannst.“

Ich holte Luft, doch stockte. Das ungute Gefühl wurde nur stärker, und ich sah mich um, versuchte aus den Fenstern den Grund für diese Anspannung zu suchen, doch ich starrte nur auf dichtes Grün. „Nicht hier“ flüsterte ich.

Akiza sah mich fragend an und blickte ebenfalls nach draußen. „Aber wir sind allein. Da ist niemand.“

Ich reagierte nicht, sah weiterhin angespannt nach draußen. Suchte irgendwas, dass meine Anspannung erklärte, aber ich fand nichts. Plötzlich wurde mein Gesicht sanft umschlossen. Akiza zwang meinen Blick zu ihr und lächelte liebevoll. „Du kannst mir alles sagen, das weißt du. Wir sind hier in Sicherheit.“

„Wir werden nie in Sicherheit sein, wenn diese Dämonen hinter uns her sind“ sagte ich betrübt.

„Wieso nicht? Wir gehen zu unseren Freunden, du hast doch gesagt sie wären in Sicherheit.“

„Und für immer unsere Heimat verlassen?“ fragte ich zweifelnd. „Das ist doch keine Lösung.“ Ich seufzte lautlos und streichelte über ihren Bauch, legte meine andere Hand an ihre Wange. „Würdest du wirklich so eine Zukunft wollen? Ohne deine Eltern und Freunde? Und was ist mit unserem Kind?“

Ihre Augen weiteten sich überrascht. Sie ergriff meine Hand an ihrer Wange. „Und was dann? Wir können uns nicht ewig hier verstecken, irgendwann finden sie uns. Lass uns zuerst zu den anderen gehen, dann finden wir sicher eine Lösung.“

Langsam schüttelte ich den Kopf. Eine vage Idee begann Gestalt anzunehmen. „Auch wenn ich unsere Freunde gern wiedersehen würde, auch wenn wir zusammen stärker wären, sollten wir uns trennen.“

„Warum?“ fragte sie entsetzt.

„Was auch immer Lucifer und Lillith vorhaben, sie brauchen uns alle dafür. Vielleicht ist es besser, wenn wir getrennt sind, bis wir herausfinden, wie wir die beiden aufhalten können. Nach Neo Domino zu flüchten wäre sinnlos, sie holen uns nur wieder zurück. Lillith meinte damals in Peru sie würden die Drachenmale spüren können, also wäre verstecken sinnlos. Also flüchten wir in eine andere Welt.“

Sie schüttelte dezent den Kopf, starrte mich entgeistert an. „Aber… Was?“

„Akiza, bitte. Du hast selbst gesagt es gäbe zwölf Welten. Lass uns irgendwo hingehen, wo sie uns nicht finden können.“

„Und welche?“

„Vollkommen egal.“

„Und in welcher sind die anderen?“

Ich stockte. Geisterwelt. Ich brachte es einfach nicht über die Lippen. „Du weißt welche“ sagte ich stattdessen.

Sie schien ehrlich verwirrt.
 

Plötzlich gab es einen Knall, Glasscherben schossen durch die Luft. Blitzschnell stand Akiza auf und auch ich erhob mich. Durch die Fenster waren Wachen gedrungen. Wir waren umzingelt. Ich ergriff Akizas Hand, zerrte sie zur Tür, doch ehe wir sie erreicht hatten, flog auch sie krachend aus den Angeln. Mein Blut gefror. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Starrte in blutrote Augen, untermalt von einem gehässigen Grinsen. „Wen haben wir denn da?“ fragte er spöttisch.

„Ethan!“ kreischte Akiza hinter mir.

Perplex sah ich zu ihr, folgte ihrem Blick.

An Lucifers Seite war ein Mensch, blutüberströmt und auf den Knien. Er hustete, suchte Akizas Blick. „Tut mir leid“ keuchte er. „Es war eine Falle.“

Ehe wir reagieren konnten, spürte ich warme Tropfen auf meinem Gesicht. Ethans Blut spritzte durch den Raum, sein Kopf prallte dumpf auf den Boden und rollte auf mich zu. Blieb kurz vor mir liegen. Ich sah den Schrecken in seinem körperlosen Gesicht. Es war grotesk. Akizas Schrei holte mich aus meiner Trance. „Lass mich los!“ keifte sie. Doch ich hatte nicht die Chance nach ihr zu sehen, schon wurde ich von ihr weggezerrt. „Nein!“ schrie ich, versuchte mich loszureißen, aber es hatte keinen Zweck. Zwei Wachen hielten meine Arme, bugsierten mich zur Tür. Lucifer schritt an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich trat aus, doch die Wachen schienen meine Gegenwehr kaum wahrzunehmen. Neben der Leiche des Mannes drehten sie mich zum Raum, traten mir in die Kniekehlen und ich sackte zu Boden. Als ich aufsah, vergaß ich fast zu atmen. Lucifer sah mich gehässig an. In seiner Hand hielt er rote Strähnen. Er zerrte ihren Kopf in ihren Nacken, was sie wimmern ließ. Auch sie wurde zu beiden Seiten von Wachen festgehalten. „Akiza“ wisperte ich. Scheiße. Was jetzt? Ich muss sie retten. Ich wehrte mich weiter, doch es brachte nichts. „Lass sie los!“ brüllte ich. Sein Grinsen wuchs, während sein Griff in Akizas Haar sich verstärkte. Vor Schmerz zog sie scharf die Luft ein.. Verdammt, was soll ich tun?

„Hast du wirklich gedacht, du könntest mir entkommen?“ fragte er ruhig. „Hast du wirklich gedacht, du könntest sie vor mir verstecken?“ Er ließ ihr Haar los, stieß ihren Kopf nach vorn und kam langsam auf mich zu. „Zwei habe ich, fehlen noch vier.“ Vor mir angekommen beugte er sich über mich und packte meinen Kiefer, zwang mich zu ihm zu sehen. Hasserfüllt erwiderte ich seinen Blick. „Und du wirst mir jetzt brav sagen, wo du sie versteckt hast. Verstanden, kleiner Auserwählter?“

„Lieber… sterbe ich“ würgte ich hervor.

Seine Augen verdunkelten sich, jagten mir einen kalten Schauer über den Rücken. „Wenn du es lieber schmerzhaft haben willst, bitte.“ Ich stöhnte gequält, als er meinen Kiefer quetschte, brach den Blickkontakt aber nicht ab. Ich hatte schlimmeres durchgestanden, nie würde ich meine Freunde verraten. Wieder schlich sich das fiese Grinsen in sein Gesicht. „Nicht für dich, versteht sich.“

Abrupt ließ er von mir ab. Ich hatte mit Schlägen gerechnet, doch er drehte mir den Rücken zu und ging. In diesem Moment blieb mir das Herz stehen. Wenn es für mich nicht schmerzhaft werden wird, dann für… Ihr Schrei ging mir durch Mark und Bein. Ehe ich begriffen hatte, was vor sich ging, trat Lucifer erneut auf Akiza ein. „Lass sie in Ruhe!“ schrie ich. Versuchte verzweifelt mich von den Wachen loszureißen.

„Yusei!“ Ihr qualvoller Ruf hallte in mir wider.

Nein. Bitte nicht. Alles, nur das nicht. „Hör auf!“

„Dann sag mir, wo sie sind“ antwortete er seelenruhig. Tatsächlich ließ er von ihr ab und sah mich abwartend an.

Doch meine Aufmerksamkeit galt nicht ihm. Mir drehte sich der Magen um. Akizas Lippe war geplatzt, von ihrer Stirn floss Blut über ihr Gesicht, benetzte bereits den Boden. „Yusei“ wimmerte sie. „Bitte hilf mir.“

Verzweifelt schüttelte ich den Kopf. Wenn ich rede, ereilt meine Freunde das gleiche Schicksal. Rede ich nicht, quält er sie weiter. Was soll ich tun?

„Das dauert mir zu lange“ erklang seine kalte Stimme. Er holte aus, sein Fuß traf Akiza direkt in der Magengegend.

„Nein!“ brüllte ich. Wand mich im Griff der Wachen, die kein Stück nachzugeben schienen. Wieder erklang ihr Schrei, ich rief ihren Namen. Das ist ein Alptraum. Das darf nicht wahr sein! „Yusei!“ Meine Eingeweide schienen sich zusammenzukrümmen. Ich kniff die Augen zusammen, ließ den Kopf hängen. „Hör auf“ wimmerte ich. Spürte die warmen Tränen, die über mein Gesicht liefen. „Bitte… HÖR AUF!“ Kälte kroch in jede Faser meines Körpers, und doch schien ich zu verbrennen. Verzweiflung übermannte mich, blendete alles um mich herum aus. Ich kann sie nicht beschützen, ohne meine Freunde für sie zu opfern. Ich kann ihr nicht helfen, ohne anderen geliebten Menschen zu schaden. Ich habe versagt. Verzeih mir, Akiza. Bitte verzeih mir.

Für einen Augenblick sah ich sie. Jack und Crow, die sich ankeiften. Leo, der versuchte zu schlichten. Luna, die sie besorgt beobachtete. Und… Akiza. Ich machte meiner Verzweiflung Luft, schrie sie hinaus. Ließ meinen Tränen freien Lauf. Doch auch das half mir nicht aus dieser Situation. Ich hatte versagt, und konnte sie nicht retten. Plötzlich standen sie alle vor mir. Sie reichten mir ihre Hände. Dann verschwamm ihre Illusion. Mein Schluchzen war das einzige Geräusch, das ich noch wahrnahm. Das einzige Gefühl war der harte Boden, auf dem ich saß.

Moment… zögerlich öffnete ich die Augen. Ich blickte zu Boden, lauschte angestrengt. Ein seltsames Knistern erfüllte die Luft. Meine Arme waren um meinen Körper geschlungen. Wurde ich nicht eben noch festgehalten? Langsam blickte ich auf. Erschrak. Von der Holzhütte war nicht mehr übrig als die verkohlten Überreste des Fundaments. Überall lag Schutt, vieles war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt oder stand noch in Flammen. Hier und da glimmte der rußschwarze Boden. Selbst einige der Bäume im Umkreis hatten Feuer gefangen. Doch viel verstörender war der Anblick direkt vor mir. Eine junge Frau starrte mich fassungslos an, ihr rabenschwarzes Haar war durcheinander. In ihren Augen von flüssigem Karamell stand Angst. Nur langsam realisierte ich, wer sie war. Lilliths Flügel lagen schlaff an ihrem Körper, entgegen zu ihrer Umgebung war sie jedoch unverletzt. Was geht hier vor? Wo ist Lucifer? Wo ist Akiza? Was ist mit den Wachen geschehen, die uns eben noch festgehalten hatten? Plötzlich wurde mein Körper bleischwer. Meine Augen konnte ich kaum offenhalten. Das letzte, was ich sah, war Lillith, wie sie mich regungslos anstarrte. Der letzte Geruch der, von verbranntem Fleisch. Das letzte Geräusch das Knistern des Feuers. Aber mein letzter Gedanke galt Akiza. Vielleicht war das alles nicht mehr… als ein Alptraum.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So dramatisch *____*
Ihr könnt mir gern ein paar Kommentare da lassen, damit ich weiß ob euch der Plot gefällt :)

Eine Sache noch: Da ich hier offensichtlich ein wenig mit der Zeit spiele, wird es ab jetzt manchmal zu Situationen kommen, die erst einige Kapitel später aufgeklärt werden :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo, Hallöchen. Ich habe hier ewig nichts von mir hören lassen, und das tut mir echt leid. Ich hatte eine Schreibblockade des Todes! Zwischendurch habe ich auch noch eine neue Geschichte angefangen. Bei der habe ich jetzt nach 28 Kapiteln auch eine Blockade, dafür läuft es hier wieder xD

Ich hoffe sehr, bis zum nächsten Kapitel geht nicht wieder so viel Zeit ins Land^^'

Ich danke allen stillen Mitlesern sehr, dass ihr euch für diese Geschichte interessiert. Man merkt leider, dass es meine erste Geschichte ist. Die Story spukt zwar seit Ewigkeiten in meinem Kopf herum, aber ich bin super unzufrieden mit meinem Schreibstil hier :'D Ich verspreche aber, dass es besser wird^^

Eure Stardustrose! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
* eine Hellebarde ist eine Stabwaffe mit einer Klinge. Anders als ein Speer ist sie nicht nur zum Stechen, sondern auch zum Schlagen geeignet. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Mensch, ist ja erst ein Jahr her seit meinem letzten Kapitel... SORRY! Ich hatte sehr lange sehr große Schwierigkeiten mit dem Kapitel. Ich versuche wirklich ab jetzt regelmäßiger hochzuladen. Wenigstens ein Kapitel pro Monat, oder zumindest alle zwei Monate. Öfter schaffe ich leider derzeit nicht. Vielen Dank fürs dranbleiben, trotz der langen Pausen!

Eure Stardustrose Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
o.O

:D

Wen es interessiert: Ich habe auf Animexx eine Karte der Geisterwelt hochgeladen, so wie ich sie mir vorstelle :) Lage ohne Karte zu beschreiben ist kacke, deswegen könnt ihr es dann da nachschauen, wenn ich es blöd beschrieben habe ;)

Folgt einfach dem Link:
Karte Geisterwelt Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Die zwölf Welten beziehen sich auf die zwölf Dimensionstheorie aus Yugioh GX Komplett anzeigen

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