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Dein rettendes Lachen

von

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Das Spiel

Als Jaden das Haus verließ, ruhte mein Blick noch eine Weile auf ihm, bevor er in eine Seitenstraße bog. Ich wusste nicht warum, aber plötzlich fühlte ich wieder diese Leere, die ich schon den ganzen Tag spürte. Zumindest bis er hier aufgetaucht war. Es war, als würde er sie ausfüllen. Ich konnte es mir einfach nicht erklären. Genauso wenig konnte ich mir dieses Herzklopfen erklären, als sich unsere Hände berührt hatten. Ich ging wieder ins Wohnzimmer und stellte den Fernseher an. Es lief noch immer das letzte Konzert meiner Mutter. Wie sehr ich ihre Musik liebte. Sie schenkte mir Trost und Wärme. Selbst jetzt. Eine ganze Weile saß ich noch so da, lauschte ihrer Musik und war wie in Trance.
 

Als das Video beendet war, stellte ich den Fernseher wieder aus und las endlich die Unterlagen, die mir mein Chef geschickt hatte. Dabei wanderte mein Blick immer wieder zu meinem Handy auf dem Tisch. Sollte ich ihm schreiben? Aber was? Und warum wurde ich so nervös bei diesem Gedanken? Könnte es sein… Nein. Das war absurd. Also las ich weiter und als ich fertig war, aß ich noch eine Kleinigkeit. Wieder wanderte mein Blick zu meinem Handy. Ich seufzte und nahm es an mich. Langsam tippte ich einige Worte und löschte sie wieder. Warum war das denn so schwer? Einige Male wiederholte ich es noch, ehe ich eine halbwegs sinnvolle Nachricht verfasst hatte und diese abschickte. Sofort bereute ich es und mein Herzschlag ging schneller. Mein Magen verkrampfte sich. Erneut las ich die Nachricht durch.
 

Hey Jaden, ich hoffe ich konnte dir weiterhelfen, und dass du gut Zuhause angekommen bist. Danke nochmal für deinen Besuch, ich habe mich wirklich gefreut.

Yusei
 

Keine Ahnung, warum mir das so peinlich war. Wollte er überhaupt, dass ich ihm schreibe? Immerhin erwartet er ja erst morgen eine Nachricht von mir. Ich wollte mich auch nicht aufdrängen. In meiner Grübelei bemerkte ich zuerst den SMS-Ton meines Handys nicht. Als ich auf den Absender sah, sackte mein Herz ein paar Etagen tiefer. Jaden.
 

Hey Yusei! Kein Problem, hab ich gern gemacht :) Ich glaub, ich hatte noch nie einen so guten Nachhilfelehrer wie dich! Ich hab heute zum ersten Mal verstanden, was Sensei Flannigan eigentlich von mir will. Und selbstverständlich bin ich gut Zuhause angekommen ;) Hast du das Zeug schon gelesen, dass dir dein Chef geschickt hat?
 

Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen und mein Bauch kribbelte angenehm. Ich antwortete ihm und wir schrieben noch recht lang an diesem Abend. Und fast die gesamte Zeit über bekam ich dieses Grinsen einfach nicht aus meinem Gesicht.
 

~*~
 

Mein erster Arbeitstag war wirklich angenehm. Ich hatte etwas eigensinnige, aber wirklich nette Kollegen. Wie erwartet, wurde ich bei den Ablagen eingeteilt und musste zum Großteil Rechnungen sortieren und abheften. Aber das störte mich nicht. Ich mochte diese Aufgaben, lenkten sie mich doch von meinen eigentlichen Problemen ab. Eine größere, durchaus angenehmere Ablenkung, war jedoch Jaden. Ich hatte das Gefühl, uns gingen die Themen einfach nicht aus. So verbrachte ich den Großteil des restlichen Tages damit, mit ihm zu schreiben. Bei jeder seiner Nachrichten spürte ich meinen Herzschlag etwas mehr. Solche Gefühle hatte ich nicht einmal damals, bei meiner ersten Freundin. Moment. Hatte ich Jaden eben mit meiner letzten Beziehung verglichen? Was ist nur mit mir los?
 

Um mich auf das morgige Spiel vorzubereiten, schaute ich mir noch ein paar Mitschnitte von Fußballspielen der Bei-Tan Oberschule an. Die Nummer 7 war wirklich gut, doch verließ er sich nicht auf sein Team und spielte oft im Alleingang. Vielleicht kann man sich das ja noch zunutze machen.
 

Am nächsten Tag wartete ich bereits in meinen Fußballklamotten vor meinem Haus auf Jaden. Er war ziemlich spät dran. Ich wollte ihn schon anrufen, da sah ich ihn mit dem Fahrrad aus der Seitenstraße biegen. Als er vor mir zum Stehen kam, war er völlig außer Atem. „Es… tut mir… verdammt leid!“ sagte er, wobei er zwischen den Worten aufatmen musste.
 

Ich lächelte ihn an. „Dir ist bewusst, dass wir uns verspäten, wenn wir jetzt laufen, oder?“

Da sah ich in schuldbewusste, kastanienbraune Augen. „Das ist alles meine Schuld, ich hoffe du bist nicht sauer!“ Wie sollte ich ihm bei diesem Blick böse sein?
 

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, aber wenn wir pünktlich sein wollen, müssen wir das Motorrad nehmen.“ Als ich seinen geschockten Blick sah, kostete es mich einiges an Selbstbeherrschung, nicht loszulachen. „Mach dir keine Sorgen, ich fahre vorsichtig und ich habe einen zweiten Helm. Du müsstest nur mein Navi spielen“ sagte ich mit einem leichten Grinsen.
 

Er schluckte, stimmte aber zu, also holte ich mein Fahrzeug aus der Garage und warf ihm meinen Ersatzhelm in die Arme. Als er hinter mir Platz genommen hatte, spürte ich wie er zitterte. „Keine Sorge, ich bin ein guter Fahrer, du musst dich nur gut festhalten.“ Er schlang seine Arme um meine Taille und mir wurde kurz anders, aber ich musste mich konzentrieren. „Bereit?“ fragte ich sanft. Ich spürte wie er nickte und fuhr los.
 

Er führte mich bis zum Park, wo ich bereits Jacks Motorrad sah. Wir kamen daneben zum Stehen und stiegen ab. Jaden stand ziemlich wackelig auf den Beinen. „Alles in Ordnung?“ fragte ich deshalb besorgt. Doch er winkte nur ab, sammelte sich und antwortete: „Sicher, aber das war verdammt schnell! Ich bin noch nie Motorrad gefahren.“ Entgegen seiner Aussage sah er etwas blass im Gesicht aus. „Dafür hast du dich ziemlich gut gehalten“ sagte ich lächelnd und sah auf die Uhr. Wir hatten noch genügend Zeit, um uns mit den Anderen zu treffen und alles abzusprechen. Nachdem ich die Helme verstaut hatte, liefen wir los und sahen kurz darauf auch den Rest der Mannschaft.
 

„Hey! Da seid ihr ja!“ rief Crow und winkte uns zu sich. „Ich hab eigentlich erwartet, dass du zu spät kommst, Jaden.“

„Echt jetzt?“ grummelte er.
 

Im Augenwinkel sah ich den Spieler mit der Nummer 7, den ich gestern in den Spielausschnitten gesehen hatte. Er kam auf uns zu und grinste hinterhältig, fast schon bösartig. „Sieh mal einer an, ihr habt euch wirklich getraut heute aufzutauchen!“ Dabei klatschte er in seine Hände und redete überheblich weiter. „Hätte ich euch wirklich nicht zugetraut. Wie hoch wollt ihr denn heute verlieren?“ Nie war mir ein Mensch von vornherein so unsympathisch wie dieser Kerl.
 

Jaden grinste ihm nur entschlossen entgegen. „Wir werden ja sehn wer heute vom Platz gefegt wird, Tanaka!“ Jack kämpfte anscheinend mit sich, um dem Typen nicht an die Gurgel zu gehen.
 

„Hm.“ Mehr bekam Jaden nicht als Antwort von dem Typen, dessen hochnäsiges Grinsen sich sogar noch verstärkte, ehe er zu seiner Mannschaft ging. Doch bei seinem Abgang fiel mir etwas Seltsames an seinem Gang auf. „Na schön, Jungs“ setzte Jaden an. „Heute werden wir diesem aufgeblasenen Idioten zeigen was wir können! Ihr müsst versuchen, Tanaka so gut wie möglich zu decken. Er ist ihr stärkster Spieler und darf so selten wie es geht an den Ball kommen!“
 

„Nein“ fiel ich ihm gedankenverloren ins Wort, während ich immer noch diesem Typen hinterher sah. Jack blitzte mich wütend an. „Was meinst du mit ‚Nein‘? Du kennst die Mannschaft nicht mal! Wie willst du da-“ Jaden hob eine Hand und bedeutete ihm so still zu sein. „Was denkst du?“
 

Ich sah dem Typen immer noch hinterher. „Seht ihr wie er läuft?“ fragte ich und die Blicke der anderen Spieler wanderten zu Tanaka. „Was soll denn an seinem Gang so besonders sein?“ fragte mich Crow verwirrt. Auch die anderen sahen mich neugierig an.
 

„Er zieht sein rechtes Bein ein wenig nach. Sieht aus, als wäre er vor kurzem verletzt gewesen“ sagte ich und sah meiner neuen Mannschaft entgegen. „Außerdem ist er ein Einzelgänger. Er ist zu stolz, um den Ball zu den anderen Spielern zu passen. Ich habe mir gestern ein paar ihrer vergangenen Spiele angesehen. Er ist das Zentrum der Mannschaft, aber das ist eine verdammt brüchige Strategie. Konzentriert eure Deckung nicht nur auf ihn, sondern auch auf die Anderen. Sollte er am Ball sein, nehmt ihn euch von Tanakas rechter Seite aus. Das ist sein schwaches Bein. Und wegen seines Stolzes wird er den Zweikampf nicht durch ein Passspiel beenden.“
 

Jack gefiel was er hörte, denn jetzt grinste er diabolisch. „Verstehe, wenn das so ist!“ Auch Jaden grinste mich an. „Na dann! Machen wir sie fertig!“ Zustimmende Rufe der anderen Spieler folgten und wir liefen auf den Platz. Ich ließ mich kurz zu Hiroshi zurückfallen, der mich nervös ansah. Ob ich zu streng mit ihm war? „Alles okay?“ fragte ich. Er musste schlucken, nickte jedoch. „Wenn dir der Ball zu schnell entgegenkommt, schlag ihn einfach mit der Faust weg und versuch nicht ihn zu halten. Aster und Ohara werden ihn schon annehmen.“ Kurz noch sah er mich verwundert an, stimmte aber zu.
 

Den Schiedsrichter spielte ein Junge aus dem ersten Jahrgang der Bei-Tan Oberschule. Punkt 12 Uhr standen alle in Position. Jaden hatte uns nach dem 4-4-2 System aufgestellt. Er und ich fungierten als Stürmer. Jack und Crow waren die Außenverteidiger, Daichi spielte als offensives Mittelfeld, Gendo als defensiver Mittelfeldspieler. Ohara und Aster waren die Innenverteidiger, Jim und Chumley die Außenverteidiger. Hiroshi stand im Tor. Wie zu erwarten war, spielte Tanaka als einziger Stürmer, mit zwei weiteren Offensivmittelspielern. Dafür hatten sie eine starke Verteidigung ausgebaut. Einfach wird das wohl nicht.
 

Der junge Schiedsrichter hob seine Stimme. „Na schön, das Spiel geht 60 Minuten, Halbzeit nach 30 Minuten. Die Regeln sind wie bei der Regionalmeisterschaft!“ Ein Pfiff ertönte und der Ball flog in die Luft.
 

Jaden hatte den Ball ziemlich schnell im Besitz. Leider wurde er von zu vielen Spielern abgehalten weiterzukommen. Die Mannschaften kannten sich schon, daher wurde er gut gedeckt. Er sah sich um, passte den Ball zu mir und ich konnte ihn problemlos weiter nach vorn spielen. Ein Schuss. Tor. Der gegnerische Keeper war vollkommen entsetzt, ebenso wie Tanaka. Keiner von denen hatte mich auf dem Schirm, aber das würde sich jetzt ändern. „Guter Schuss!“ lobte mich Crow plötzlich. Ich schmunzelte und spielte weiter.
 

Der Rest unserer Mannschaft versuchte auf Zeit zu spielen. Als Tanaka unserem Tor gefährlich nah kam, setzte er wieder ein überhebliches Grinsen auf. Scheinbar hatte Aster den Tipp mit der Verletzung aber ernst genommen und konnte den Ball wieder nach vorn spielen. Völlig entsetzt drehte sich die Nummer 7 um und man konnte langsam sehen, wie Wut in seinen stahlgrauen Augen blitzte.
 

Jetzt wurde natürlich auch ich gedeckt, weswegen Jaden es ziemlich schwer hatte, mir den Ball zuzuspielen. Er passte zu Jack, der nun Tanaka wieder gegenüberstand. Der Blondschopf wich ihm mit einer gekonnten Drehung aus, stand dann aber allein vor den beiden Innenverteidigern. Da die gegnerischen Verteidiger den Zweikampf verfolgten, konnte ich mich aus ihrer Deckung befreien und rannte. Ich stand frei. Warum spielt er den Ball nicht zu mir? Ich habe freies Schussfeld! Endlich schien er mich im Augenwinkel zu sehen, und spielte mir einen hohen und ungenauen Pass zu. Dummerweise sah das auch Tanaka, der jetzt auf mich zu rannte.
 

Bevor ich den Ball annehmen konnte, hatte ich seinen Ellenbogen in der Magengegend, sodass ich für einen kurzen Moment durch den Schmerz abgelenkt war. Er nutzte seine Chance und rannte mit dem Ball wieder nach vorn. Ich hielt mir den Magen und stand leicht gekrümmt da. Na warte, das zahle ich dir heim.
 

„Alles in Ordnung?“ fragte Jaden besorgt.

Ich riss mich zusammen. „Sicher, war nur ein kurzer Schmerz.“

Er funkelte dem gegnerischen Stürmer wütend hinterher. „Warum wurde das nicht gepfiffen?“

„Mach dir nichts draus. Der Schiedsrichter sieht aus, als hätte er nicht sonderlich viel Erfahrung.“
 

Leider konnte sich die Nummer 7 an den Verteidigern vorbeiwinden und schoss auf das Tor zu. Ich grinste entschlossen. Endlich hatte Hiroshi Fortschritte gezeigt und den Ball abgewehrt. Nicht gehalten, aber immerhin. Scheint, als würde er doch auf meine Tipps hören. Ohara nahm den Ball an, wie vorausgesagt, und spielte ihn Crow zu. Der war schneller als die anderen Spieler und ließ sie hinter sich. Gerade als er zu Jack passen wollte, hörten wir einen Pfiff. Halbzeit? Ernsthaft? Die Mannschaften sammelten sich am Spielfeldrand.
 

„Ach verdammt!“ stieß Crow aus. „Wir hätten eine größere Führung, wenn wir nur zwei Minuten länger Zeit gehabt hätten!“

„Ich wundere mich, dass wir überhaupt in Führung sind“ sagte Gendo, wofür er sich nur einige gereizte Blicke einfing.

„Ich würde mal behaupten, dass das an Yuseis Beobachtung lag.“ Ich sah Jim überrascht an, der mich daraufhin angrinste und mir anerkennend gegen die Schulter schlug. Seltsamer fand ich es, dass auch Jack ihm zustimmte und noch etwas einwarf. „Heute machen wir sie fertig! Die Blamage vom letzten Mal lass ich nicht auf mir sitzen.“
 

Nach einer kurzen Pause hörten wir wieder den schrillen Pfiff. Dieses Mal gingen sie aggressiver vor. Einige ihrer Verteidiger preschten nun ebenfalls nach vorn, was mir und Jaden aber den Weg frei räumte. Leider war ihr Torwart besser als gedacht und wir konnten unsere Chancen nicht nutzen. Der rechte Mittelstürmer des Gegnerteams hatte den Ball und sprang über die Grätsche von Ohara und Aster. Damit hatte er freie Bahn auf das Tor. Ausgleich. Hiroshi konnte den unmöglich halten. Der weitere Spielverlauf war sehr ausgeglichen.
 

Wir hatten nur noch wenige Minuten zu spielen, da hatte wieder Jaden den Ball und rannte auf das Tor zu, doch Tanaka reichte es. Er grätschte in Jadens Lauf und traf nicht nur den Ball, sondern auch das Sprunggelenk unseres Kapitäns mit voller Wucht. Jaden ging daraufhin mit einem Aufschrei zu Boden. Ein Pfiff. Das Spiel wurde unterbrochen. Tanaka hatte eine gelbe Karte, doch das interessierte mich im Moment wenig, denn Jaden lag immer noch am Boden. Ich kniete mich neben ihn und versuchte ihm aufzuhelfen. „Alles Okay? Kannst du aufstehen?“
 

Er biss die Zähne zusammen und setzte sich auf. Ein Auge kniff er zu, während er versuchte aufzustehen, aber er konnte mit dem linken Fuß nicht auftreten. Ich musste ihn stützen, damit er nicht umfiel. Währenddessen sammelten sich auch die anderen Spieler um uns herum. „Ich glaube, weiterspielen kann ich damit nicht. Schafft ihr den Rest allein?“ fragte er und sah den Rest der Mannschaft schon fast schuldbewusst an.
 

Jack hatte genug gesehen. Er ging auf Tanaka zu und packte ihn am Kragen. Die Selbstzufriedenheit wich aus dem Gesicht des Stürmers und er wurde blass. „Du mieser, kleiner-“ knurrte der Blonde. „Jack!“ unterbrach ich ihn. Verwirrt sah er zu mir und hatte sein Gegenüber noch immer in seinem Griff. Ich schüttelte leicht den Kopf, dabei sah ich diesen Bastard von einem Gegner wutentbrannt an. „Er ist es nicht wert, sich deswegen eine rote Karte einzuhandeln, auch wenn ich dich verstehen kann.“ Jack schnaubte und ließ unsanft von ihm ab. Währenddessen widmete ich mich wieder Jaden. „Wir haben nicht mehr lange zu spielen, wir schaffen das schon. Mach dir keine Sorgen. Aber den Knöchel solltest du kühlen.“
 

„Ich hab eine kleine Kühlbox mit, da ist noch ne Limo drin“ sagte Chumley. Hm, das wird erstmal gehen. Vorsichtig gingen wir zum Spielfeldrand, dabei wurde Jaden von Crow und mir abgestützt. Unser rundlicher Außenverteidiger hielt dem Verletzten das kühle Getränk hin, dieser lehnte es an seinen Knöchel und zuckte kurz zusammen. In mir baute sich eine unglaubliche Wut auf.
 

„Hey, jetzt schau nicht so!“ sagte Jaden und sah mich mit einem Grinsen an. „Ist wahrscheinlich einfach verstaucht, mach dir keinen Kopf.“ An alle anderen gewandt sprach er weiter. „Vermutlich bekommen wir einen Freistoß. Hat jemand Lust auf ein kleines Täuschungsmanöver? Die Typen erwarten sicher, dass Yusei schießt, stattdessen kann Jack ja endlich mal seine Rache bekommen, damit er uns nicht die ganze Zeit auf den Keks geht.“ Crow lachte laut auf, Jack gefiel die Idee.
 

Als wir wieder auf das Spielfeld liefen, sagte der Schiedsrichter einen Freistoß an. Jack und ich standen ein paar Schritte voneinander entfernt. In der Reihe von Gegenspielern stand auch Tanaka. Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu und hoffte, dass er dadurch den Köder schluckte. „Willst du die linke, oder die rechte Ecke?“ murmelte ich an Jack gerichtet, doch starrte ich noch immer diesen Idioten an. Aus Jacks Stimme konnte ich ein Grinsen raushören als er antwortete. „Ich nehm die Rechte, danke.“
 

Ein Pfiff und wir rannten zeitgleich los. Ich legte etwas an Geschwindigkeit zu, sodass ich ein wenig vor Jack rannte. Kurz bevor wir den Ball erreichten, schrie Tanaka: „Der Kleinere wird schießen!“ Ich grinste. Er hatte es also geschluckt. Ich täuschte einen Schuss in die linke Ecke an, wodurch die Verteidiger, sowie der Torwart in diese Richtung sprangen, doch dann drehte ich mich weg und Jack schoss.
 

Als unsere Gegner realisierten, dass sie uns auf den Leim gegangen waren, war es schon zu spät. Der Ball ging ins Netz und rollte wie in Zeitlupe über den Rasen. Die Stille wurde plötzlich durch die Jubelrufe unseres Teams unterbrochen. Tanaka starrte mich noch immer erschrocken an, doch ich schenkte ihm ein kurzes, triumphierendes Lächeln und ging zu meiner Mannschaft. Wir hatten es geschafft.
 

„Na, Jack, wie fühlst du dich jetzt?“ fragte Crow schelmisch. Als Antwort bekam er ein siegreiches Grinsen, dann sah der Blondschopf zu mir. „Gutes Spiel. Ich muss gestehen, du hast was drauf.“ „Wow, ein Lob vom großen Jack Altas. Darauf kannst du dir was einbilden!“ scherzte Jim. „Aber ernsthaft, gut gemacht!“ Warum? Ich hatte nicht mal das Siegtor geschossen. Ohne den Freistoß hätten wir vermutlich verloren.
 

„Sag mal, Jaden?“ setze Daichi an. „Wie kommst du denn jetzt nach Hause? Du bist doch sicher wieder mit dem Fahrrad hier, nicht?“ „Nein, wir sind auf meinem Motorrad hergekommen“ sagte ich und sah Jaden an, der noch immer am Boden saß. „Ich fahr ihn schon wieder nach Hause.“ Er sah mich etwas überfordert an und grinste dabei schief. „Danke, aber bitte nicht wieder so schnell!“
 

Ich lachte. „Nein, keine Sorge, dieses Mal haben wir ja Zeit.“
 

Die anderen verabschiedeten sich und Crow half mir wieder Jaden abzustützen, während wir zu dem kleinen Parkplatz liefen. Jack lief neben uns her, denn auch er war mit seinem Fahrzeug hier. „Ihr seid inzwischen echt dicke miteinander, nicht?“ fragte der Igelkopf. „Klar! Ich mochte ihn von Anfang an“ erwiderte Jaden grinsend. Ich senkte den Blick, denn mir schoss wieder diese Hitze in den Kopf. Stimmt, jetzt wo ich zurückdenke, war er vom ersten Tag an sehr nett zu mir. Wieder schlich sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen, als ich an unser erstes Aufeinandertreffen dachte. Ich hatte kaum mitbekommen, dass wir bereits neben meinem Motorrad standen. Als Jaden sich an dem Fahrzeug abgestützt hatte, verabschiedete sich auch Crow. Jack stieg auf seine Maschine und hatte das Visier seines Helmes noch oben. „Na dann, kommt heil an.“ Damit klappte er das Visier runter und fuhr los.
 

Ich gab Jaden den Helm und er nahm ihn freudig entgegen. „Was ist denn mit dir los? Ich dachte du kannst Motorrad fahren nicht leiden“ fragte ich belustigt.
 

Ein leichter Rotschimmer legte sich auf seine Wangen als er sprach. „Na ja, wahrscheinlich werde ich niemals allein auf so eine Höllenmaschine steigen, aber ich vertraue dir!“ Da war es wieder. Dieses Kribbeln in meinem Bauch. Er vertraut mir? Aber wir kennen uns doch noch gar nicht lang. „Na los, lass uns fahren!“ bestimmte er glücklich lächelnd. Ich konnte nicht anders als es ihm gleichzutun. Ich setzte ebenfalls meinen Helm auf, um dann auf meine Maschine zu steigen. Wieder schlang er seine zierlichen Arme um meine Taille und schmiegte sich an meinen Rücken. Zum Glück konnte er jetzt mein Gesicht nicht sehen, also fuhr ich los, dieses Mal aber etwas langsamer. Wir fuhren an meinem Haus vorbei und bogen in die Seitenstraße ein, aus der er heute Morgen rauskam. „Jetzt musst du mir aber sagen wo ich lang muss, ich kenne deine Adresse nicht.“ „Hm?“ bekam ich nur als Antwort. Anscheinend war er gerade in Gedanken. Ich schmunzelte und drehte meinen Kopf leicht über meine Schulter, damit er mich besser verstand. „Du musst mir sagen wo ich abbiegen soll.“
 

„Ach so! Ja! Da vorne an dem Café rechts, dann an der dritten Kreuzung links und wir sind fast da.“ Mit diesen Worten vergrub er sein Gesicht wieder in meiner Jacke und verstärkte seinen Griff ein wenig. Ob ihm doch etwas übel ist? Vorhin war er ja auch recht blass als er abgestiegen ist.
 

Ich folgte seiner Beschreibung und sah den quietschgelben Kleinwagen von Jadens Mutter am Fußweg stehen. Das ist dann vermutlich sein Haus. Ich hielt hinter dem Wagen an und stellte dann den Motor ab. „Wir sind da“ sagte ich, da er seinen Griff noch immer nicht gelöst hatte. Das schien ihn wieder aus seinen Gedanken zu reißen, denn er ließ mich schnell los und setzte den Helm ab. Ich stieg von meinem Fahrzeug und nahm ihn an mich. „So, jetzt müssen wir dich nur noch bis ins Haus bekommen“ sagte ich währenddessen. Er stand wieder auf einem Bein neben meinem Motorrad und hielt mir seine Hand hin. Ich lächelte und nahm sie entgegen, um ihn bis zur Tür abzustützen. Da dieses Unterfangen aber anscheinend ziemlich schmerzhaft für ihn war, blieb ich nach ein paar Schritten stehen. Wir standen immer noch auf dem Fußweg.
 

„Was ist denn los?“ fragte er. Ich schüttelte nur belustigt den Kopf. „Das kann man sich ja nicht mit ansehen“ sagte ich scherzhaft und nahm ihn kurzerhand auf meine Arme, um ihn bis zur Tür zu tragen. Ich hatte eigentlich mit Protest gerechnet, doch er lag ganz ruhig in meinen Armen und hatte sein Gesicht an meiner Schulter vergraben. Mein Herz schlug dabei schneller, ich hoffte er würde es nicht merken. An der Tür setzte ich ihn vorsichtig wieder ab, dabei hatte er den Blick noch immer gesenkt. „D-Danke“ stotterte er.
 

Ich sah ihn besorgt an. „Ich hoffe dir ist nicht wieder schlecht“ sagte ich und nahm sein Kinn etwas höher, damit er mich endlich ansah. Entgegen meiner Erwartung war er nicht blass, sondern knallrot. Ehe ich etwas darauf sagen oder reagieren konnte, öffnete sich die Tür des Hauses und ich zog meine Hand schnell wieder zurück.
 

Frau Yuki sah uns verwirrt an „Jaden? Ich habe dich gar nicht so früh wieder erwartet. Und was machst du hier, Yusei?“

„Entschuldigung, ich wollte nicht stören. Ich habe Jaden auf dem Motorrad mitgenommen, weil er sich den Knöchel verletzt hat. Ich wollte ihn nur zu Hause absetzen.“ Ich hatte das Gefühl mein Herz zerspringt jeden Moment in meiner Brust, seit ich in Jadens Gesicht gesehen habe. „Aber nein, du störst nicht“ sagte seine Mutter mit einem Lächeln im Gesicht. „Es war sehr freundlich, dass du meinen Sohn hergefahren hast. Ich danke dir.“
 

„Keine Ursache“ sagte ich geistesabwesend. In Gedanken war ich noch immer bei den erschrockenen Rehaugen, die mich aus dem knallroten Gesicht ansahen. Ich riss mich zusammen und sah seine Mutter an. „Ich muss wieder los, ich wollte meinen Vater heute besuchen, aber vorher muss ich noch schnell nach Hause.“
 

„Sag ihm liebe Grüße von mir“ sagte sie und wandte sich dann an Jaden. „So und jetzt sehe ich mir mal deinen Knöchel an. Komm rein, mein Spatz.“ Ohne ein weiteres Wort hüpfte er auf seinem gesunden Fuß ins Haus und stützte sich mit einer Hand an der Wand ab. Hatte ich ihn irgendwie verletzt? Jadens Mutter riss mich mit ihrer Stimme aus meinen Grübeleien. „Ist irgendwas passiert? So still habe ich ihn selten erlebt.“ Ich wusste auch nicht was mit ihm los ist. „Keine Ahnung“ murmelte ich wieder, verabschiedete mich und ging zu meinem Motorrad.
 

Zuhause angekommen stieg ich unter die Dusche, doch wirklich entspannen konnte ich mich nicht. Was war denn eben mit ihm los? Warum ist er so rot angelaufen, und warum ging er ins Haus, ohne sich zu verabschieden? Und die nicht weniger interessante Frage: Warum verletzte mich das so sehr?
 

Als ich fertig war, ging ich mit meinem Handtuch um der Hüfte ins Wohnzimmer, wo ich mein Handy abgelegt hatte. Ich brauche endlich Antworten, das macht mich noch wahnsinnig! Also setzte ich mich aufs Sofa und schrieb Jaden eine Nachricht.
 

Hey, ich hoffe deine Verletzung ist nicht so schlimm. Ist alles in Ordnung bei dir? Wenn ich etwas falsch gemacht haben sollte, sag es mir bitte.
 

Ich seufzte und legte das Handy neben mir ab. Da fiel mir der Brief von meinem Vater ins Auge. Stimmt, deswegen muss ich meinen Vater nachher auch noch ansprechen. Ich ließ mich in die Rückenlehne sinken und versuchte meine Gedanken zu ordnen.
 

* Die Sicht von Jaden *
 

Ich war gerade im Wohnzimmer angekommen und hörte meine Mutter, wie sie sich von Yusei verabschiedet hatte. Ungeschickt ließ ich mich auf das Sofa sinken, dabei vergaß ich völlig meinen verletzten Knöchel, der sich jetzt mit einem stechenden Schmerz meldete. Ich lehnte mich an und schloss die Augen.
 

In Gedanken war ich wieder in dem Augenblick, als Yusei mich plötzlich hochnahm. Ich spürte noch immer seine starken Arme an meinem Rücken und meinen Beinen. Spürte noch immer mein wild pochendes Herz, dass sich einfach nicht beruhigen wollte. Fühlte die Hitze in meinem Gesicht. Als ich mich an seine Schulter lehnte, spürte ich auch sein Herz, und es ging ihm wie mir. Ich war wie in einer Starre. Ich konnte mich weder bewegen, noch etwas sagen. So kenne ich mich gar nicht. Als er mich dann absetzte, brachte ich kaum ein Wort heraus. Es war mir so peinlich, als er meinen Kopf hob und mein Gesicht sah. Die Stelle, an der er mein Kinn berührte, kribbelte noch immer. Was ist nur los mit mir?
 

Als ich meine Augen wieder öffnete, erschreckte ich mich fast zu Tode, denn meine Mutter saß direkt neben mir und starrte mich an. Wie lange sitzt die denn da schon? „Wa-Was ist denn jetzt los?“ fragte ich völlig perplex.

„Geht’s dir gut?“

„Ja, mir tut nur der Knöchel weh…“ sagte ich nicht ganz so überzeugend.

Meine Mutter hob eine Augenbraue „Verstehe, und da ist nicht noch Etwas, dass mit Yusei zu tun haben könnte, oder?“

Wieder wurde ich rot und wandte den Blick schnell ab, ehe sie es bemerken konnte. „Warum? Nein, mir geht’s gut!“

„Und warum hast du ihn einfach ohne ein Wort stehen lassen? Er war deswegen ziemlich geknickt!“
 

Erschrocken sah ich sie nun doch wieder an. Ich wollte nicht, dass er sich jetzt schlecht fühlt. Wieder senkte ich den Blick. Mein Magen verkrampfte sich unangenehm. Ich bin echt ein Trottel. Sie sah wohl, dass ich traurig war und seufzte. Als ich aber aufsah, schaute sie mich nicht besorgt an, sondern glücklich. Was ist denn jetzt kaputt? „Warum guckst du mich so an?“ fragte ich skeptisch. „Nichts!“ trällerte sie und ging aus dem Raum. Was ist denn mit der jetzt los? Kurze Zeit später kam sie mit einer weißen, und einer blauen Mullbinde, sowie einer Schiene zurück ins Zimmer und grinste noch immer vor sich hin. Langsam wird’s gruselig. Sie verband meinen Knöchel und legte die Schiene an. Dabei schaute sie die ganze Zeit so selig. „Sag mal, Mama? Geht’s dir gut?“
 

Sie kicherte „Ja, sehr gut, mein Spatz. Du darfst deinen Fuß jetzt nicht belasten. Leg ihn am besten hoch und entspann dich etwas. Wie lief denn das Spiel, abgesehen von deiner Verletzung?“

„Ganz gut, wir haben 2:1 gewonnen“ antwortete ich etwas verwirrt.

„Freut mich, ich mach dir dein Mittagessen warm, willst du vorher lieber noch Duschen? Aber mach mir bloß den Verband nicht nass!“ Das war keine schlechte Idee. Ich fühlte mich total verschwitzt, und konnte eine Dusche vertragen. „Ja, ich geh ins Bad“ antwortete ich deshalb und humpelte drauf los. Durch den Verband und die Schiene tat es nicht mehr ganz so weh. Das Waschen gestaltete sich zwar als Herausforderung, weil das eine Bein ja nicht nass werden durfte, aber irgendwann hatte ich das auch geschafft, und ging, beziehungsweise humpelte, wieder in die Küche. Ich hatte einen Riesenhunger.
 

„Setz dich doch ins Wohnzimmer, ich bring dir dein Essen gleich. Und leg das Bein bitte hoch, sonst bessert sich nichts.“ Ich folgte ihrer Aufforderung und saß ganz brav auf dem Sofa. Und natürlich hatte ich mein Handy wieder wer weiß wo, sodass ich mich nicht beschäftigen konnte. Ich seufzte. Dabei wollte ich doch Yusei schreiben, und mich entschuldigen. „Dein Telefon hat übrigens geklingelt“ sagte meine Mutter und kam mit einem Teller ins Zimmer. „Echt? Wo denn? Ich hab keine Ahnung wo es liegt.“
 

Sie seufzte. „Typisch. Deswegen erreiche ich dich auch nie“ sagte sie und stellte den Teller vor mir ab. „Ich glaube es kam aus deiner Jacke.“ Wo hatte ich jetzt wieder die Jacke hingelegt? Ein Blick zur Seite: gefunden. Schnell fischte ich das Handy raus und mein Herz blieb für einen Moment stehen. Yusei kam mir schon zuvor. Als ich die SMS las, spürte ich einen Stich in meiner Brust. Er hatte Schuldgefühle. Da spürte ich eine Hand auf meinem Kopf und zuckte kurz zusammen. Meine Mutter sah mich mit einem warmen Lächeln an. „Iss erstmal was, mein Spatz. Mit leerem Magen schreibt man nur dummes Zeug.“ „Hör auf mich Spatz zu nennen“ grummelte ich. Aber im Prinzip hatte sie recht. Nach dem Essen nahm ich mir wieder mein Handy. Ich hatte etwa 100 Nachrichten im Kopf verfasst, aber wirklich zufrieden war ich nicht, also tippte ich einfach drauf los.
 

Entschuldige, dass ich dir jetzt erst antworte. Nein, die Verletzung ist nicht schlimm. Wie ich schon sagte: nur eine Verstauchung :) Bei mir ist alles in Ordnung, ich war nur müde, das hatte nichts mit dir zu tun! Du hast wirklich NICHTS falsch gemacht! Danke nochmal fürs Heim bringen, und sag deinem Vater liebe Grüße.
 

* Die Sicht von Hakase *
 

Ich war gerade fertig mit einer weiteren Therapiesitzung. Wie immer hatte ich nicht wirklich viel gesagt, und der Arzt war mittlerweile vermutlich unzufrieden. Ich verabscheute diesen Ort und wollte nur noch nach Hause, zu meinem Sohn. Ob es ihm wieder besser geht? Naomi sagte, er wäre krank und hätte vor ein paar Tagen sehr hohes Fieber gehabt. Ich machte mir schreckliche Sorgen um ihn, aber ich konnte ihn leider nicht anrufen oder besuchen. Der Kontakt zur Außenwelt war hier nur sehr beschränkt. Das ist alles meine Schuld! Was hat mich nur geritten dieses Skalpell anzusetzen? Hätte Naomi mich nicht im Lager gefunden, wäre ich vermutlich tot. Ich hatte ihr so viel zu verdanken. Sie kümmerte sich um Yusei und hielt mich immer auf dem Laufenden, wenn sie da war.
 

Ich wünschte nur, ich wäre nicht die ganze Zeit so müde. Der Tabletten-Cocktail, den ich jeden Tag bekam, hatte wirklich so seine Nebenwirkungen. Ich lag im Bett und starrte aus meinem Fenster in den weiten, blauen Himmel. Miako. Ich denke so oft an dich. Ich wünschte, du wärst hier. Ich wünschte, du könntest dich statt meiner um Yusei kümmern. Er ist ein guter Junge. Du bist sicher so stolz auf ihn, wie ich es bin. Ich spürte die warmen Tränen, die meine Wange hinabliefen, doch ich ignorierte sie. Warum bin ich noch hier? Wie gern wäre ich bei dir, mein Liebling.
 

Ein Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Schnell wischte ich die Tränen aus meinem Gesicht und setzte mich aufrecht hin. „Herein“ sagte ich. Wer würde mich schon besuchen? Naomi hatte heute einen freien Tag. Doch ich war freudig überrascht, als mein Sohn plötzlich durch die Tür kam und sie hinter sich schloss. “Wie geht’s dir?“ fragte er mich leise. Er macht sich wohl noch immer Sorgen um mich. Ich kann ihn verstehen, wäre es andersherum, würde ich platzen vor Sorge. Doch ich überging seine Frage, denn ich konnte nicht ehrlich darauf antworten, ohne dass er sich schlecht fühlen würde.
 

„Keine Sorge, wie geht es dir denn? Naomi sagte du wärst krank. Geht es dir wieder besser?“
 

Er nickte zaghaft und musterte mich. Vermutlich gab ich einen schrecklichen Anblick ab. Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben mich. „Sag mal, …“ setzte er an und spielte nervös mit seinen Fingern. Was hat er nur auf dem Herzen? „Dein Brief“ Mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. „Hast du das wirklich ernst gemeint?“
 

Ich richtete niedergeschlagen den Blick auf meine Hände in meinem Schoß und suchte nach den richtigen Worten. Ich bürde ihm so viel auf. Ich bin wirklich ein schrecklicher Vater. Er legte mir tröstend eine Hand auf den Unterarm und ich sah verblüfft auf. Noch immer wartete er geduldig auf eine Antwort. Er sah so traurig aus. Ich seufzte. „Ja leider, tut mir leid. Der Termin ist in drei Wochen, doch bis dahin bin ich hier noch nicht raus. Wenn aber keiner von uns geht, dann …“ Ich brach ab. Ich konnte es einfach nicht laut aussprechen.
 

„Schon gut“ sagte er und zog seine Hand wieder zurück. „Ich schaff das schon, du musst mir nur eine Entschuldigung für die Schule schreiben.“ Er will es wirklich machen? Ich spürte wieder aufkommende Tränen, doch ich hielt sie zurück. Stattdessen sagte ich einfach nur: „Danke, Yusei“ und versuchte mich an einem Lächeln. Auch er hob die Mundwinkel ein Stück, aber glücklich war er mit der Situation auch nicht. Wie auch? Schnell versuchte ich das Thema zu wechseln, ehe er mich noch trauriger ansehen konnte. „Wie läuft es eigentlich in der Schule? Gibt es irgendetwas Neues?“
 

„Hm, nein, in der Schule läuft es wie immer. Aber ich bin jetzt im Fußballteam und wir hatten heute unser erstes Spiel.“ Was hat er gerade gesagt? Und … lächelt er etwa? Es war nur ein kurzer Augenblick, aber es war kein gestelltes Lächeln. Ich versuchte meine Verwirrung nicht zu sehr zu zeigen. „Das freut mich, wie ist es denn ausgegangen? Nach deinem Blick zu urteilen, habt ihr gewonnen, nicht?“

„Ja, 2:1. Ach, und noch was. Ich habe endlich die Zusage von der Werkstatt bekommen. Gestern war mein erster Arbeitstag.“

„Ich freu mich für dich, Yusei. Wie lief es denn? Ich nehme an, du musstest wieder in der Buchhaltung anfangen, habe ich recht?“
 

Ehe er jedoch antworten konnte, klingelte sein Telefon. Er sah mich unschlüssig an, aber ich bedeutete ihm, dass es okay war. Also holte er es aus seiner Jackentasche und las anscheinend eine Textnachricht. Meine Augen wurden immer größer als ich ihn beobachtete. Plötzlich hatte er ein seliges Lächeln auf den Lippen und auf seinen Wangen erschien ein leichter Rotschimmer. Ist er etwa…? Ich grinste ihn an. „Du bist verliebt.“
 

Seine Reaktion war köstlich. Er schaute mich völlig erschrocken an und wurde knallrot im Gesicht. „W-Was? So ein Quatsch!“ Ich konnte nicht anders, und musste einfach kurz lachen. „So etwas kannst du nicht verheimlichen. Ich kann es doch sehen. So glücklich hast du nicht mal auf Nachrichten reagiert, als du damals mit Sherry zusammengekommen bist! Also, wer ist die Glückliche?“
 

„I-Ich weiß nicht, wovon du redest! Die Mädchen in der Schule sind sehr nett, aber ich habe mich nicht verliebt!“ Ich stutzte. Er war schon immer ein schlechter Lügner, meistens hatte ich ihn sofort durchschaut. Aber jetzt schien er die Wahrheit zu sagen, was seine Mitschülerinnen betrifft. Da hatte ich eine weitere Idee. „Ein junger Mann?“ Wenn es irgendwie möglich war, nahm sein Gesicht einen noch dunkleren Rotton an. Ich hatte also Recht und grinste ihm entgegen. „Hör auf so zu grinsen, ich bin nicht schwul!“ sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

Mit aller Kraft versuchte ich nicht zu lachen, aber ganz gelang es mir nicht. „Meinetwegen, vielleicht auch Bi, aber du hast dich in einen Mitschüler verliebt, nicht? Das muss dir doch nicht peinlich sein.“ Er warf mir einen vernichtenden Blick zu, aber das störte mich nicht. Mein Sohn war verliebt, und ich freute mich für ihn. Man sah ihm allerdings an, dass ihm das Gespräch mit mir sichtlich peinlich war. Ich schüttelte mitleidig den Kopf und seufzte. „Schon gut, du musst nicht mit mir darüber reden, aber tu mir den Gefallen und sag es ihm, ja? Das ist besser, als die Ungewissheit und die Frage ‚Was wäre, wenn?‘“
 

„Hm“ sagte er. Er schien wirklich zu überlegen. „Also, wie heißt er?“ bohrte ich weiter. Ich hatte eine wahre Freude daran, ihn so zu sehen. Er ist mir so ähnlich. Als ich Miako damals kennenlernte, war ich genauso. Langsam schien er jedoch die Geduld zu verlieren. „Ach, vergiss es! Ich komme am Dienstag nach der Arbeit nochmal vorbei, und wehe, du fragst mich weiter aus!“ Damit stand er auf und ging zur Tür.
 

„Warte, Yusei“ sagte ich ernst. Es war mir wichtig, dass er meine folgenden Worte hörte. Er drehte sich, mit der Hand an der Türklinke, noch einmal um. „Lass deine Chance nicht verstreichen, wenn du eine siehst. Versprichst du mir das?“ Er atmete geräuschvoll aus und schloss die Augen. „Na schön“ antwortete er nur. Doch damit war ich schon zufrieden. Ein letztes Mal noch sah er mich mit den meeresblauen Augen an, die mich so sehr an meine geliebte Frau erinnern, ehe er durch die Tür verschwand.
 

Ich ließ mich wieder in mein Kissen sinken und sah aus dem Fenster. Siehst du das Miako? Er wird erwachsen. Langsam braucht er mich nicht mehr. Wie gerne wäre ich jetzt bei dir…



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