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Herz über Kopf

von

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Pärchenbildung

Wir blieben noch eine ganze Weile im Bereich für Jugendarbeit. Hendrik, der Junge, der so leidenschaftlich von Liebe gesprochen hatte, gesellte sich zu uns. Er war nicht besonders groß, ein wenig pummelig und etwa in unserem Alter. Seine Haare waren etwas dunkler als Benedikts und sein Teint leicht olivfarben, was seine braunen Augen nur umso wärmer leuchten ließ. Er wirkte auf mich irgendwie … lieb, auch wenn ich nicht gedacht hätte, dass ich diesen Begriff mal für ein männliches Wesen verwenden würde. Vielleicht lag es daran, dass er fast immerzu lächelte oder lachte. Ich fühlte eine seltsame Vertrautheit, obwohl wir uns erst seit so kurzer Zeit kannten. Benedikt schien es ähnlich zu gehen und so saßen wir, wie ich zu meiner Verwunderung feststellen musste, schon über eine Stunde hier auf einer Bank und unterhielten uns. Größtenteils hatte Hendrik erzählt, von seiner Schule, seiner Familie mit Vater, Mutter und kleiner Schwester, seinem ersten großen Schwarm und so weiter und so fort. Jetzt jedoch fasste er uns scharf ins Auge und grinste.
 

„Also, nachdem ich euch ja nun fast meine ganze Lebensgeschichte erzählt habe, müsst ihr aber auch mal mit Details rausrücken. Woher kennt ihr euch?“
 

„Aus der Schule“, gab Benedikt zur Auskunft. Er hatte eine Cola vor sich, die er mittlerweile schon zum zweiten Mal geleert hatte. Ich war immer noch beim ersten Becher.
 

„Wir waren seit der siebten zusammen in einer Klasse“, ergänzte ich. Hendriks Augen begannen zu funkeln.
 

„Also war es Liebe auf den ersten Blick?“
 

„Äh“, machte ich und wusste nicht so recht, was ich darauf sagen sollte.
 

„Nein, eher nicht“, rettete mich Benedikt aus meinem Anfall von Sprachlosigkeit. „Ich fand ihn am Anfang ziemlich doof, während er mich ignoriert hat.“
 

„Stimmt doch gar nicht“, ereiferte ich mich. „Du warst nur so … still.“
 

„Das nennt sich reflektiert“, erklärte Benedikt mit gekrauster Nase. „Außerdem musstest du dir ja unbedingt den einzigen Kerl in der Klasse als besten Freund aussuchen, der mich nicht leiden kann. Also von daher …“
 

Der Gedanke an Jo ließ mich innerlich ein wenig zusammenzucken. Daran, was er wohl zu der ganzen Sache sagen würde, hatte ich noch gar nicht gedacht. Hendrik jedoch schien mehr an anderen Fakten interessiert zu sein.
 

„Und wie kam es dazu, dass ihr nun doch zusammen seid?“

„Also …“

„Äh …“
 

Benedikt und ich sahen uns an. Ich wusste genau, was ihm gerade durch den Kopf ging. Nämlich dass wir gar nicht geklärt hatten, ob wir nun eigentlich tatsächlich zusammen waren. Dafür hatte es einfach noch keine Veranlassung gegeben. Allerdings schien Hendrik auch das zu verstehen.
 

„Alles klar. Das mit euch ist noch ganz frisch.“

„Sozusagen.“

„Wie frisch?“

„Zwei Stunden?“

„WAS?“
 

Hendriks Mund formte sich zu einem großen O.
 

„Aber … warum? Ich meine, habt ihr denn nicht gemerkt, dass der andere interessiert ist? Das kriegt man doch mit.“
 

Ich rutschte ein wenig unruhig auf meinem Platz hin und her.
 

„Ich … also … ich hab ein bisschen gebraucht, bis ich soweit war.“
 

„Zwei Jahre“, warf Benedikt ein. Er grinste dabei und ich wusste, wie er es meinte. Trotzdem ließ es meinen Blick zu Boden wandern.
 

„Na ja. Ich war mir halt unsicher.“
 

„Ach, ist doch kein Problem“, winkte Hendrik ab. „Ich hatte zuerst zwei Freundinnen, bis ich gerafft habe, dass das nicht das ist, was alle unter diesem Verliebtsein verstehen. Ich hab immer gedacht, das muss so, aber als es mich dann erwischt hat … Pow!“
 

Er machte eine explodierende Geste neben seinem Kopf. Ich grinste. So in etwa konnte man das wohl beschreiben. Ich ließ meinen Blick zu Benedikt wandern. Er sah mich an und nickte kaum merklich. Meine Mundwinkel wanderten daraufhin wie von selbst nach oben. Ja, so war es gewesen. Jedes Mal, wenn wir uns trafen. Ich konnte wirklich nur den Kopf schütteln, dass ich mich dagegen so lange gewehrt hatte. Denn es fühlte sich absolut wunderbar an. Ich wollte dieses Gefühl nie wieder verlieren.
 

„Und was habt ihr heute noch vor? Wollt ihr hier Party machen und nachher noch auf die Reeperbahn oder wie?“
 

Benedikt zuckte die Achseln.
 

„Ich werd mir auf jeden Fall noch ein Armband besorgen und dann wollte ich mal abwarten, was Theo zu all dem hier zu sagen hat.“
 

Er warf mir einen Blick zu und ich lächelte kurz als Zeichen, dass ich die Geste verstanden hatte.
 

„Okay, klingt cool“, meinte Hendrik und runzelte die Stirn. „Ich bin ja totaler Domgänger sonst, aber heute bleib ich lieber hier. Die Atmosphäre ist einfach eine andere, auch wenn es hier so brechend voll ist. Es ist halt schon nice, wenn du dich einfach frei bewegen kannst oder mit deinem Freund Händchen halten, ohne dir überlegen zu müssen, ob du dich dafür gerade im richtigen Stadtteil aufhältst.“
 

Benedikt nickte dazu.
 

„Ja, ist nicht einfach. Ich meine, ich hab jetzt nicht so die Erfahrung damit, aber ich kann’s mir vorstellen.“
 

Der Gesichtsausdruck, den er dabei hatte, gefiel mir nicht. Ich kam jedoch nicht dazu, ihn danach zu fragen. Er und Hendrik hatten bereits das Thema gewechselt und unterhielten sich jetzt wieder über die verschiedenen Jahrmarktsattraktionen. Beiden hatten es Fahrgeschäfte besonders angetan, auch wenn ihre Geschmäcker dabei auseinandergingen. Während Hendrik eine Vorliebe für Sachen wie Geisterbahn und Spiegelkabinett hatte, konnte es für Benedikt anscheinend gar nicht schnell genug sein. Er schwärmte geradezu von Achterbahnen mit Loopings und freihängenden Gondeln, bei denen die Füße über dem Erdboden baumelten. Je höher, desto besser. Ich grinste ein wenig, als ich sah, wie seine Augen dabei leuchteten.
 

„Was?“, fragte er und wurde anstandshalber sogar ein wenig rosa um die Nase. „Ich fahr halt gerne Karussell. Äh … okay, das klang jetzt irgendwie uncool.“
 

„Quatsch“, sagte ich und grinste nur noch ein bisschen mehr. „Das war total stark und männlich.“
 

Er streckte mir die Zunge raus und ich erwiderte auf die gleiche Weise. Danach grinsten wir uns beide an, bis Hendrik sich überlaut räusperte, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass wir nicht allein waren. Unsere Köpfe ruckten gleichzeitig herum. Hendrik grinste jedoch fast so breit wie wir.
 

„Ihr habt echt Glück, dass ihr euch gefunden habt“, meinte er und schien aus mir unerfindlichen Gründen tatsächlich glücklich darüber. Eigentlich konnte es ihm ja egal sein. Er kannte uns nicht und wir ihn nicht. Vermutlich würden wir uns nach diesem Tag auch nie wieder sehen. Trotzdem lächelte er, als Benedikt mich mit dem Knie anstieß und ich auf die gleiche Weise antwortete.
 

„Darf ich mal ein Foto von euch machen? Zur Erinnerung?“, fragte Hendrik plötzlich. Noch bevor ich etwas dagegen einwenden konnte, hatte Benedikt bereits zugestimmt. Er rückte näher an mich ran und legte den Arm um mich. Ich hingegen sah Hendrik an und wusste nicht recht, wie ich es sagen sollte. Er hielt zunächst sein Handy hoch, ließ es dann aber sinken, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte.
 

„Ist das nicht okay? Ich veröffentliche die Fotos auch nicht. Ehrenwort.“
 

Ich gab mir Mühe, nicht allzu offensichtlich aufzuatmen.
 

„Okay. Klar machen wir ein Bild.“
 

Hendrik knipste ein paar Schnappschüsse von uns, bevor wir uns an einem Selfie versuchten. Es kam nur Blödsinn dabei heraus, sodass wir am Schluss jemand anderen baten, ein Foto von uns zu machen. Hendrik stand dabei zwischen uns und grinste wie ein Honigkuchenpferd.
 

Als das Bild im Kasten war, griff er sich an den Bauch.
 

„Mein Magen knurrt. Ich hab voll Hunger. Ihr auch?“
 

Wir bejahten und machten uns zusammen auf den Weg zu einem der Imbissstände. Vor dem Angebot blieb Hendrik stehen und studierte die Karte. Ein Lächeln zupfte an seinem Mundwinkel.
 

„Ein Vorteil davon, Single zu sein. Man kann essen, was man will, und man darf es auch noch alleine essen.“
 

Während ich noch überlegte, wie er das meinte, fing Benedikt an, übertrieben laut zu pfeifen. Hendrik grinste verstehend.
 

„Ah, du bist also auch so ein Schmarotzer.“

„Ey“, maulte Benedikt. „Ich kann mich einfach nur so schlecht entscheiden. Es ist alles so lecker. Und wenn man sein Essen teilt, kann man mehr von allem essen.“

„Es sei denn, man hat an dem Abend noch was vor.“
 

Während Hendrik sich vor Benedikts Schlägen in Sicherheit brachte, fühlte ich mich gerade, als hätte ich einen Witz verpasst. Als Benedikt das merkte, griff er nach meiner Hand.
 

„Keine Diskussion für vor dem Essen. Na los, was willst du. Ich lad dich ein.“
 

Einen Moment lang war ich versucht zu sagen, dass ich mein Essen eigentlich selber bezahlen konnte, aber … mir gefiel die Idee, mich von ihm einladen zu lassen, irgendwie.
 

„Das nächste Mal zahle ich aber“, deklarierte ich trotzdem, als ich meine Portion Currywurst mit Pommes gereicht kriegte. Benedikt grinste nur.
 

„Glaubst du wirklich, dass du die jetzt alleine essen darfst?“
 

Noch bevor ich reagieren konnte, hatte er sich doch tatsächlich ein Stück meiner Wurst zwischen die Zähne geschoben. Grinsend kaute er darauf herum. Ich lächelte und reichte ihm die Schale rüber.
 

„Hier, bedien dich.“

„Echt jetzt?“

„Ja klar, mit dir teile ich gerne.“
 

Ich erntete dafür einen ziemlich salzigen Kuss, bevor wir uns zusammen mit Hendrik weiter auf den Weg über das Straßenfest machten. An einer Bude, in der ein paar dieser Greifautomaten standen, bei denen man Plüschtiere mit großen Metallklauen aus einem Haufen ziehen musste, blieb Benedikt stehen.
 

„Die Dinger hab ich früher geliebt. Als Kind hab ich mal mit elf Euro neun Kuscheltiere da raus geholt.“

„Echt? Ich loose bei den Dingern immer voll ab.“
 

Hendrik sah Benedikt bewundernd an und zum ersten Mal fühlte ich einen leichten Stich der Eifersucht. Besonders als Benedikt ihm anbot, eines der Kuscheltiere für ihn aus den Automaten zu holen. Er hatte seine Rechnung allerdings ohne Hendrik gemacht.
 

„Nee, lass mal. Sonst erdolcht mich dein Freund noch mit seinen Blicken.“
 

Ich drehte schuldbewusst den Kopf weg. Eigentlich waren Benedikt und ich ja noch nicht mal ein Paar. Trotzdem gefiel mir der Gedanke nicht, dass Hendrik mit einem Plüschtier herumlief, das Benedikt ihm geschenkt hatte. Nicht dass ich eins gewollt hätte, aber …
 

„Wenn du willst, bringe ich dir bei, wie man das macht, dann kannst du beim nächsten Mal jemand damit beeindrucken“, bot Benedikt an und ich merkte, wie ich mich langsam wieder entspannte. Das war in Ordnung.
 

Benedikt fackelte auch gar nicht lange, sondern begann zu erklären.
 

„Man benötigt eigentlich nicht viel mehr als ein gutes Augenmaß und eine gewisse räumliche Vorstellungskraft. Und natürlich muss man erkennen, wenn die Kuscheltiere viel zu dicht gestopft wurden, dass man sie nicht einfach hochheben kann. Das machen die Betreiber auch gerne mal und dann kannst du keinen Blumentopf damit gewinnen.“
 

Wie sich herausstellte, war derjenige, der diesen Greifautomaten befüllt hatte, etwas großzügiger gewesen. Schon bald hatte Benedikt einen kleinen Hund ausgespäht, der ein spitzenumsäumtes Kissen mit der Aufschrift „I luv U“ in den Pfoten hielt. Das Ding war absolut scheußlich, aber laut Benedikt ein gutes Anfängerstück, weil es genau in die Zangen der Greifklaue passte. Dementsprechend hoffnungsbeflügelt steckte Hendrik ein Geldstück in den Automaten und startete seinen Versuch. Begleitet wurde er dabei von Benedikts höchstpräzisen Anweisungen.
 

„Mehr rechts, nein, das andere Rechts. Jetzt links. Noch ein Stück nach vorn und …“
 

In diesem Moment tutete es und der Greifarm senkte sich herab, ohne dass Hendrik den Auslöseknopf betätigt hatte. Die Metallklaue glitt zielsicher am Ohr des Hundes ab und landete vollkommen wirkungslos daneben auf einer lila Kuh. Die drei Klauen schnappten ins Leere und zogen sich ruckelnd und zottelnd wieder zurück. Über der Ausgabeöffnung klappten sie auseinander und hätten so ihre Fracht zugänglich gemacht, wenn sie denn eine gehabt hätten. Enttäuscht verzog Hendrik den Mund.
 

„Siehst du? Ich hab ja gesagt, ich kann das nicht. Aber wie heißt es so schön: Pech im Spiel, Glück in der Liebe. Vielleicht war es also für was gut, dass ich nichts gewonnen habe.“
 

Ich sah, dass es in Benedikts Fingern zuckte, den Hund doch noch aus dem Automaten zu holen, aber er hielt sich zurück. Ich knuffte ihn dafür in die Seite.
 

„Ich bin mir sicher, dass du ihn bekommen hättest.“
 

Als er nicht reagierte, versuchte ich es noch einmal. Ich hatte gesehen, dass er auf dem Hinweg einen langen Blick auf die Bude mit Schmalzgebäck geworfen hatte, die gleich neben den Greifautomaten stand. Ich fragte ihn, ob er eine Portion wollte.
 

„Nö.“

„Sicher?“

„Ja.“

„Und wenn ich mir welche kaufe, hilfst du mir dann beim Essen?“
 

Benedikt tat so, als müsste er überlegen. Schließlich gab er sich einen Ruck.
 

„Also wenn du unbedingt welche willst, würde ich mich ja opfern.“
 

„Ich bitte darum“, gab ich mit einem nur schlecht verborgenen Grinsen zurück und stellte mich in die Schlange der Bude. Sie war ziemlich lang und der Berg an Schmalzkuchen bereits beträchtlich geschrumpft, als wir endlich in greifbare Nähe rückten. Zu unserem Glück hatte der Bäcker offenbar trotz der Hitze alle Kessel in Betrieb, denn gerade, als wir bestellen wollten, schüttete er eine neue Fuhre goldbraun gebackener Teigstücke in die Auslage. Wir waren die zweiten, die eine Tüte der frischen Schmalzkuchen erwarben, und verbrannten uns beinahe die Finger, als wir gleichzeitig danach griffen. Grinsend ließ Benedikt mir den Vortritt. Ich pustete einmal auf das heiße Gebäck, bestäubte dabei meine Umgebung mit Puderzucker und biss hinein. Fett, Zucker und Röstaromen fluteten meine Geschmacksnerven. Es war wirklich zum Niederknien.
 

„Oh Gott, sind die gut“, proklamierte auch Benedikt, nachdem er den ersten probiert hatte. Eilig schob er gleich noch einen hinterher. „Ein Glück ist nicht so oft Jahrmarkt. Die wären echt mein Untergang.“
 

„Ach was“, meinte ich und hielt ihm noch einen hin. Er nahm ihn mit spitzen Zähnen und sah mich auffordernd an. Als ich nicht reagierte, wackelte er mit den Augenbrauen.
 

„Nicht dein Ernst?“
 

Er schmollte demonstrativ. Also ließ ich mich dazu herab, die Hälfte des Schmalzkuchens abzubeißen und dabei seine Lippen kurz in Ausdeutung eines Kusses zu streifen. Noch während ich kaute und schluckte, kam Benedikt noch einmal näher und küsste mich. Dieses Mal richtig. Er schmeckte nach Puderzucker und nach mehr.
 

Hinter uns klatschte jemand in die Hände. Es war Hendrik, der schon wieder strahlte.
 

„Ihr beide seid echt sweet zusammen“, rief er aus und fing sich dafür einen spöttischen Blick eines vorbeischlendernden Pärchens ein. Hendrik schnitt hinter ihren Rücken eine Grimasse.
 

„Blödmänner. Ich würd ja auch lieber meinen eigenen Freund anhimmeln, aber leider Gottes wachsen die ja nun mal nicht auf Bäumen.“
 

Er seufzte noch einmal abgrundtief. Benedikt und ich sahen uns an.
 

„Denkst du gerade, was ich denke?“ fragte Benedikt. Ich nickte grinsend. Wie ein Mann wandten wir uns wieder Hendrik zu. Als der unsere Gesichter sah, hob er abwehrend die Hände.
 

„Oh nein, vergesst es. Ich hasse solche Verkupplungsaktionen. Meine beste Freundin hat das mal probiert und es war katastrophal. Vor allem, weil der Typ hetero war.“
 

„Na, die Gefahr ist heute ja nicht besonders groß“, prustete Benedikt und ich fiel lachend mit ein. Ohne auf Hendriks Protest zu achten, schleppten wir ihn mit in Richtung einer der Partybühnen, wo bereits wieder jede Menge Partywillige zu groovigen Beats abrockten. Wäre doch gelacht gewesen, wenn sich da nicht ein passender Deckel zu Hendriks Topf gefunden hätte.
 

Zwei Stunden später befand sich Hendrik in einem höchst angeregten Gespräch mit einem großen Blonden mit Hut, Shorts und Tank-Top, während Benedikt und ich mit dessen zwei Begleiterinnen die „Tanzfläche“ unsicher machten. Die beiden Mädchen hatten sich uns gegenüber als „Allys“ vorgestellt und waren offenbar ziemlich glücklich darüber, dass ihr Freund endlich jemanden gefunden hatte, der ihm gefiel. Sabina, eine kleine Dunkelhaarige mit Pagenkopf, sah immer wieder lächelnd zu den beiden rüber.
 

„Ich hoffe ja, dass es was wird. Flori scheint auf jeden Fall nicht abgeneigt zu sein.“
 

„Ich freu mich voll für ihn“, meinte Sandra, ihr blondes Gegenstück. Sie hatte ihre Haare zu unzähligen, kleinen Rastazöpfen geflochten, die beim Tanzen unentwegt durch die Gegend wippten. „Es wird echt Zeit, dass er sich diesen Kerl aus dem Kopf schlägt, der ihn nach Strich und Faden betrogen hat. Echt schlimm so was.“
 

„Es sind eben trotzdem immer noch Männer“, bemerkte Sabina trocken.
 

Die beiden verdrehten unisono die Augen und fingen an zu lachen. Benedikt und ich sahen uns an. Anscheinend wussten wir beide nicht so recht, wie wir das finden sollten. Schließlich zuckte Benedikt mit den Schultern.
 

„Na ja, wo sie Recht hat, hat sie Recht.“
 

Damit war die Sache vom Tisch und wir widmeten uns wieder dem bunten Partytreiben.
 

Die Sonne war bereits untergegangen, die meisten Regenbogenfahnen im Dunkel versunken, aber auf der Meile am Alsteranleger herrschte immer noch angeheizte Stimmung. Unzählige Stände hatten farbige Lichterketten aufgehängt, von überall erklangen die verschiedensten Musikstücke und auf einer der Bühnen wurde sogar live gespielt. Ein Regenbogen aus Licht wurde von irgendwo in den nächtlichen Himmel geworfen und unter seiner Schirmherrschaft tanzten, tranken und feierten die Leute. Gerade schallte ein neuer Hit aus den Lautsprechern des Partyturms, an dem wir uns aufhielten. Sabina und Sandra kreischten los und fingen an, mit erhobenen Armen herumzuhüpfen. Die riesigen Scheinwerfer der Anlage flackerten im Takt dazu und alles um uns herum geriet in Aufruhr. Benedikt stieß mich an.
 

„Wollen wir eigentlich noch woanders hin, wenn die hier nachher dicht machen?“, rief er mir ins Ohr
 

„Keine Ahnung. Willst du?“
 

Er hob die Schultern.
 

„Weißt nicht. Aber um kurz vor zwölf fährt der letzte Zug nach Hause. Wenn wir den nicht erwischen, müssen wir bis Morgen bleiben.“
 

Er grinste dabei und sah nicht aus, als würde ihm das etwas ausmachen. Auf einmal hatte ich das Bedürfnis, ihn an mich zu ziehen. All die Menschen um uns herum zu vergessen und nur noch mit ihm zusammenzusein. Mein Mund zuckte.
 

„Hey, was ist los?“, fragte Benedikt leiser. Er trat zu mir und legte die Arme um mich.
 

„Weiß nicht“, gab ich zurück, obwohl ich genau wusste, was los war. Ich wusste nur nicht, ob das jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt dafür war.
 

„Wollen wir nach Hause?“

„Ja.“

„Okay.“
 

Wir verabschiedeten uns unter vielen Umarmungen von Hendrik und den anderen, die auf dem Kiez noch weiter feiern wollten, und machten uns dann auf den Weg zum Bahnhof, der zum Glück gleich um die Ecke lag. In den riesigen Hallen war es immer noch voll, aber es herrschte nicht mehr ganz so ein Gedränge wie bei unserer Ankunft. Wir fanden den richtigen Bahnsteig und stellten uns in Ermangelung eines Sitzplatzes neben eine Anzeigentafel, der zu entnehmen war, dass unser Zug in etwa 20 Minuten eintreffen würde. Seufzend schloss ich für einen Moment die Augen. Ich spürte, wie Benedikt näherkam und sich an mich lehnte.
 

„Kaputt?“

„Mhm, ein bisschen.“

„Bist du deswegen so einsilbig?“

„Ja, auch.“
 

Ich öffnete die Augen wieder und setzte an etwas zu sagen, als plötzlich eine Bierdose haarscharf an uns vorbeiflog. Klappernd landete sie auf dem Bahnsteig.
 

„Scheiße, daneben“, rief eine Stimme und wir sahen eine Gruppe junger Männer, die sich gegenseitig anrempelten. Die meisten von ihnen hatten ebenfalls geöffnete Bierdosen in der Hand. Als sie sahen, dass wir uns ihnen zugewandt hatten, grölte einer von ihnen:
 

„Hey, Schwuchteln. Gebt ma unsere Dose zurück. Die gehört uns.“
 

Ich machte den Mund auf, um ihnen zu sagen, wohin sie sich ihre Dose stecken konnten, aber Benedikt schüttelte nur den Kopf.
 

„Die sind doch auf Streit aus. Einfach nicht reagieren, dann verlieren sie bestimmt die Lust.“
 

Leider hielt Benedikts Zuversicht nicht das Versprochene. Wir versuchten zwar, die Pöbler nicht zu beachten, aber die Sprüche, die sie in unsere Richtung schleuderten, wurden zunehmend derber. Benedikt hatte ebenso wie ich die Hände zu Fäusten geballt und seine Kiefer mahlten unaufhörlich, aber wir blieben ansonsten ruhig und ließen uns nichts anmerken. Trotzdem atmeten wir beide auf, als die uniformierten Beamten des Sicherheitsdienstes am Ende des Bahnsteigs auftauchten, und die Bande sich endlich trollte. In diesem Moment lief auch der Zug ein und wir konnten endlich den plötzlich so ungastlich gewordenen Ort verlassen.
 

„Das war ganz schön knapp“, meinte ich drinnen, als wir uns nebeneinander auf eine Bank gesetzt hatten. Benedikt seufzte leise.
 

„Ja, Dummheit stirbt eben leider nicht aus.“

„Wie wahr.“
 

Kurz darauf setzte sich der Zug in Bewegung und ich wagte es, zwischen uns nach Benedikts Hand zu greifen. Gut zwei Stunden blieben uns jetzt noch, bis es am Bahnhof in unserer Heimatstadt wieder Abschied nehmen hieß. Mir graute jetzt schon vor diesem Moment, denn am liebsten hätte ich ihn nie wieder losgelassen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hey ihr Lieben!

Erstes Kapitel im neuen Jahr. :)

Ich hoffe, ihr seid alle gut reingekommen und außerdem alle gesund geblieben. An der Stelle mag ich mich (weil ich es beim letzten Mal vergessen habe) noch gleich mal für das Feedback und die Favoeinträge bedanken. Das gibt mir immer das Gefühl, dass das, was ich hier mache, doch irgendwem Freude bereitet.

Ganz zauberhafte Neujahrsgrüße an alle
Mag
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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ryosae
2021-01-02T19:03:07+00:00 02.01.2021 20:03
Hey Mag,
wünsche Dir auch ein schönes neues Jahr! Bist du gut reingerutscht?
Deine Story gehört eindeutig zu der Spitze meiner lieblings FF's! 😃
Aus diesem Grund lass ich auch schön jedes Mal meinen Senf da. 😉

Erstaunlich wie vertraut und verliebt die Zwei nach so kurzer Zeit schon waren. Leider ebbt der Zauber einer solchen Veranstaltung schnell ab und die harte Realität prallt auf einen ein. Das hast du gut mit diesen dummen Prollos verdeutlicht.
Ich frag mich bei solchen Aktionen immer, wie man so hirnverbrannt sein kann und andere Personen so behandeln kann.. Naja 😑

Was hatte Theo auf einmal?
Benedikt und Theo müssen sich ja nicht verabschieden 😏

Liebe Grüße
Ryo
Antwort von:  Maginisha
03.01.2021 10:27
Hey Ryosae!

Ja, wir sind gut (und ruhig) ins neue Jahr gekommen. Es war schon deutlich weniger Feuerwerk, aber man hatte auch nicht den Druck, irgendwas zu verpassen. Das fand ich ja schon immer kurios, wenn es um Einladungen zu Silvester geht.. Irgendwie wollte nie einer zusagen, weil sich ja noch DIE Party finden könnte. o_O

Theo und Benedikt sind im Schutz der Veranstaltung wirklich beide sehr aus sich rausgegangen. Wahrscheinlich mehr, als es anderswo passiert wäre. Aber wie du schon sagtest, holt einen die Realität eben auch schnell wieder ein. Zu einen wird es das sein, was Theo bewusst war, als er sagte, dass er nach Hause will, aber da ist noch etwas anderes, von dem wir sicher bald erfahren werden, um was es ging. ^_~

Vielen Dank fürs fleißige Kommentieren!

Zauberhafte Grüße
Mag



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