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Rescue me

When a dragon saves a puppy - Seto x Joey
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Musikinspiration für dieses Kapitel:

Infinity - Jaymes Young

Spotify: https://open.spotify.com/track/1SOClUWhOi8vHZYMz3GluK?si=B5arg8ySQvyKZCCqUV_DhA
YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=PWqEPKduGm8

Baby, this love, I'll never let it die
Can't be touched by no one
I'd like to see 'em try
I'm a mad man for your touch, girl, I've lost control
I'm gonna make this last forever, don't tell me it's impossible

Oh, darling, my soul
You know it aches for yours
And you've been filling this hole, since you were born, oh
'Cause you're the reason I believe in fate
You're my paradise
And I'll do anything to be your love, or be your sacrifice

Meet me at the bottom of the ocean
Where the time is frozen
Where all the universe is open
Love isn't random, we are chosen
And we could wear the same crown
Keep slowing your heart down
We are the gods now

'Cause I love you for infinity
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Rescue me... and never let go

Während der nächsten Wochen fand Joey den Weg in seinen gewohnten Alltag zurück. Wie er schon vermutet hatte, hatte er sehr viel zu erklären gehabt, und jedes einzelne Gespräch davon konnte er nur als unangenehm beschreiben. Die Leiterin des Waisenhauses war tatsächlich noch am gnädigsten mit ihm gewesen – er hatte sich sehr viel rausgenommen, indem er einfach von jetzt auf gleich um unbefristeten, unbezahlten Urlaub gebeten hatte. Aber Mrs. Nakamura war eine herzensgute, empathische Frau, und statt viele Fragen darüber zu stellen, was passiert war, hatte sie ihn lächelnd wieder in Empfang genommen und ihm gesagt, wann immer er mal wen zum reden brauchen würde, wäre sie da. Joey wusste, dass er so viel Freundlichkeit vermutlich nicht verdient hatte, aber er war froh darum, dass es so war und er seine Arbeit im Waisenhaus, die er liebte, wieder aufnehmen konnte.

 

Bei seinen Freunden kam er nicht ganz so glimpflich davon, und Joey konnte es auch wirklich sehr gut verstehen, nach allem, was sie gemeinsam durchgemacht hatten. Oder anders: Nach allem, was er ihnen insbesondere im letzten Jahr zugemutet hatte. Kaum hatte er ihnen am Tag nach seiner Rückkehr eine Nachricht geschrieben, hatten sie ihn auch schon zu einer Krisensitzung ‚eingeladen‘, und Joey hatte nicht wirklich eine Wahl gehabt. 

 

Sie hatten sich bei Yugi getroffen, und das Erste, was er über sich hatte ergehen lassen müssen, war ein Schlag auf den Hinterkopf von Tristan, in Kombination mit diversesten Beschimpfungen. Er hatte schon sehr viel mit Tristan erlebt, sie hatten sich gemeinsam schon durch so einige Prügeleien gekämpft, aber so aufrichtig aufgebracht hatte er ihn wohl noch nie erlebt. Danach hatte er ihn in eine Umarmung gezogen, vor allem wohl aber deshalb, um die aufsteigenden Tränen zu verstecken, was ihm mehr schlecht als recht gelungen war.

 

Auch Téa hatte geweint, schon als er den ersten Schritt in Yugis Haus getan hatte. Sie hatte kaum ein Wort rausgebracht hinter dem Schluchzen, und nachdem Tristan ihn endlich hatte gehen lassen, hatte er sie sofort in eine feste Umarmung gezogen. Sie hatte ihm eigentlich keine Vorwürfe gemacht, nur gesagt, wie sehr sie ihn vermisst hätte und dass er es bereuen würde, würde er es noch einmal wagen, einfach so zu verschwinden. Joey hatte gelacht und gesagt, dass das nicht passieren würde, und er hatte es so gemeint. Das Versprechen hatten ihm schon Mokuba und Seto abgenommen, und er wollte daran festhalten.

 

Yugi hatte sich zunächst im Hintergrund gehalten. Er hatte mit verschränkten Armen und stirnrunzelnd in einiger Entfernung gestanden und vorerst die Szenerie beobachtet. Noch während Joey Téa umarmt hatte, hatten sich ihre Augenpaare getroffen, und Joey hatte erkennen können, wie viel Sorge sich in ihnen widergespiegelt hatte. Doch dazu hatte sich noch etwas anderes gemischt – Enttäuschung. Und das hatte Joey einen Stich ins Herz verpasst. Er konnte es seinem besten Freund nicht verübeln, insbesondere nach dem Gespräch, das sie noch kurz vor seinem Verschwinden geführt hatten. Schon damals war Yugi wütend geworden, als Joey ihn in seine Zweifel eingeweiht hatte. Aber am Ende hatte Joey still einen Entschluss gefasst, von dem Yugi ihn nicht hatte abbringen können – schon weil er gar nicht hätte wissen können, dass Joey so etwas geplant hatte. Und als Joey ihm bei ihrem erneuten Aufeinandertreffen richtig in die Augen gesehen hatte, da hatte er auch erkannt, dass Yugi sich dafür wohl teilweise die Schuld gegeben hatte.

 

Und genau das hatte Joey nicht gewollt. Es war allein seine Entscheidung gewesen, für die ausschließlich er und niemand anders die Verantwortung trug. Er hatte sich aus der Umarmung mit Téa gelöst und Yugi um ein Gespräch unter vier Augen gebeten. Er erinnerte sich, dass es emotional gewesen war, für beide. Joey hatte ihm seine Beweggründe erklärt und Yugi hatte traurig ausgesehen. Er hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er nicht hatte verstehen können, warum Joey so weit gegangen war. Dennoch – die Enttäuschung, die er vorher in Yugis Augen hatte aufblitzen sehen, war weniger die Enttäuschung über das, was Joey getan hatte und vielmehr darüber, dass Yugi es nicht geschafft hatte, ihn davon abzuhalten. Joey hatte das absurd gefunden, zum einen, weil er Yugi ja überhaupt nicht von seinem Plan erzählt hatte, den er mehr oder weniger spontan auf dem Rückweg ins Krankenhaus ausgeheckt hatte. Und zum anderen hätte ihn Yugi vermutlich sowieso nicht davon abhalten können, egal, was er gesagt hätte. 

 

Am Ende hatte die Aussprache zwischen den beiden auf jeden Fall geholfen. Auch Yugi gab Joey das Versprechen, nicht noch einmal zu so drastischen Mitteln zu greifen. Der Blonde musste einsehen, dass er mit dem, was er getan hatte, vielen anderen Menschen, inklusive sich selbst, Leid zugefügt hatte. Auch wenn es das Letzte gewesen war, was er hatte erreichen wollen, so war es passiert, und er nahm sich fest vor, in Zukunft nach anderen Lösungen zu suchen. Nun blieb ihm nur zu hoffen, dass er sich bei der nächsten schwierigen Situation, die unvermeidlich kommen würde, auch an dieses Versprechen, das er sich selbst und den Anderen gegeben hatte, erinnern würde.

 

Natürlich hatte er sich nach seiner Rückkehr auch bei Serenity und seiner Mum gemeldet. Auch sie hatten sich immens große Sorgen gemacht, und als er sie angerufen hatte, hatten sie beide geweint. Er hatte gemerkt, wie sehr er sie vermisste. Sie hatten sich jetzt schon sehr, sehr lange nicht gesehen, weil es immer irgendwie nicht gepasst hatte. Selbst zur Zeremonie seines Schulabschlusses hatten sie nicht kommen können, weil seine Mum nicht hatte frei nehmen können. 

 

Das letzte Mal, das sie sich gesehen hatten, war tatsächlich zu dem Zeitpunkt gewesen, an dem Joey ihnen von den Misshandlungen seines Vaters erzählt hatte. Es war ein Wendepunkt in seinem Leben gewesen, aus so vielen verschiedenen Gründen. Zum einen hatte es ihm enorm geholfen, dieses Wissen nicht mehr nur mit sich selbst rumzutragen. Natürlich hatte er Seto vorher schon einiges erzählt, aber lange nicht so in der Tiefe, wie er es dann bei diesem Treffen getan hatte. Auf der anderen Seite war das der Tag gewesen, an dem Seto ihm das erste Mal gesagt hatte, dass er ihn liebte. Schon allein deshalb würde er diesen Tag für immer in Erinnerung behalten.

 

Und weil es so lange her gewesen war, seit sie sich getroffen hatten, hatten sie ausgemacht, sich zumindest an Weihnachten wiederzusehen. Joey hatte natürlich mit Seto darüber gesprochen, und dieser hatte, ohne mit der Wimper zu zucken, alles in die Wege geleitet.

 

Und so waren die Wochen ins Land gezogen, und noch während Joey sich gerade erst wieder in seinem normalen Alltag zurechtfand, begann auch schon der Vorweihnachtsstress. Zumindest konnte sich Joey dieses Jahr besser darauf vorbereiten, dass seine Familie aus den USA ihn besuchen kommen würde – letztes Jahr war es ja eine komplette Überraschung gewesen. Er hatte in einem Shopping-Marathon mit seinen Freunden an einem einzigen Tag alle Geschenke besorgt und war danach halbtot ins Bett gefallen. Seto bekam er in diesen Tagen nicht so häufig zu Gesicht, weil die Weihnachtszeit für seine Firma eine der hektischsten Zeiten war und er alle Hände voll zu tun hatte. Und auch Joey war durch seine Vollzeittätigkeit im Waisenhaus sehr beschäftigt.

 

Dennoch, sie hatten verabredet, die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr gemeinsam zu verbringen. Joey hatte Urlaub genommen und Seto hatte die Wochen vorher quasi Tag und Nacht gearbeitet, um sich so viel Zeit wie möglich freizuschaufeln. Und am Ende hatte sich das ausgezahlt. Zwar würde Seto auch während der Feiertage ständig auf sein Telefon schauen müssen, falls er Entscheidungen würde treffen müssen – er war ja immerhin noch Firmenchef – aber er hatte sich wirklich ins Zeug gelegt, um mit Joey und seiner Familie ein paar schöne Tage verbringen zu können.

 

Und nun war es ein Tag vor Heiligabend. Joey stand gemeinsam mit Seto auf dem Rollfeld des Flugplatzes, auf dem gleich Setos Privatflieger in ihrem Sichtfeld erscheinen sollte, mit Serenity und seiner Mum an Bord. Joey hüpfte aufgeregt von einem Bein aufs andere und konnte es kaum abwarten, sie endlich wiederzusehen. Es war einfach schon viel zu lange her gewesen.

 

„Bist du sicher, dass du nicht lieber im Wagen warten willst? Es kann noch ein paar Minuten dauern“, fragte Seto neben ihm, vermutlich, weil Joey aufgrund der Kälte jämmerlich bibberte. Seine Zähne klapperten, als er den Mund öffnete, um eine Antwort zu geben, und kaum hatte er dies getan, verließ eine heiße Luftwolke seinen Mund.

 

„Ja, ich bin sicher. Ich könnte sowieso nicht still sitzen“, brachte Joey grinsend hervor und der Braunhaarige erwiderte kopfschüttelnd das Lächeln. Und tatsächlich - nur wenige Minuten danach konnten sie das Flugzeug aus einiger Entfernung landen sehen, und noch bevor es richtig angerollt kam und seine endgültige Parkposition eingenommen hatte, wollte Joey schon losrennen. Doch da hatte er die Rechnung ohne Seto gemacht, der ihn am Kragen festhielt und ihn davon abhielt, einfach loszupreschen. Vermutlich sah Joey gerade wirklich wie ein kleines, aufgeregtes Hündchen aus, und wenn Seto das dazu brächte, ihm noch mehr Hundekosenamen zu geben, dann sollte es eben so sein. Mittlerweile machte Joey das nichts mehr aus, ganz im Gegenteil – wenn Seto ihn ‚sein Hündchen‘ nannte, ging Joey das Herz auf.

 

Kaum wurde die Treppe aufgebaut und die Türen waren aufgegangen, gab es für den Blonden allerdings wirklich kein Halten mehr. Mit Freudentränen in den Augen rannte er auf seine Familie zu und fiel ihnen glücklich quietschend in die Arme, kaum dass sie die letzte Treppenstufe hinter sich gelassen hatten. Auch seine Mum und Serenity hielten ihre Tränen nicht zurück. Als sie sich voneinander lösten, strahlten sie sich an und hielten sich für einige Augenblicke einfach nur an den Händen, genossen, dass sie endlich wieder zusammen waren.

 

„Es ist so schön, dich endlich wiederzusehen, Joey“, sagte seine Mum und brach damit die Stille. Joey konnte nur nicken, weil er ansonsten Gefahr lief, in einem glücklichen Schluchzen zu versinken. Dasselbe Schicksal schien Serenity zu ereilen, die auch nur heftig den Kopf immer wieder hoch und runter bewegte.

 

Irgendwann spürte Joey eine Hand auf seiner Schulter, und als er sich umdrehte, war es die von Seto. „Wenn ihr so weit seid, die Limousine steht bereit.“ Er machte Anstalten, wieder zurück zum Wagen zu gehen, wo er die ganze Zeit über gewartet hatte, um der Familie ihren Moment zu lassen, doch Joey schnappte nach Setos Hand und hielt ihn davon ab. Er war auch Teil dieser Familie, und Joey wollte, dass er das wusste. Seto blickte Joey überrascht in die Augen, schien aber schnell zu verstehen, was er ihm sagen wollte. Nach all den Monaten, selbst nach der Zeit, in der sie getrennt oder er verschwunden gewesen war, hatten sie es nicht verlernt, mit ihren Blicken zu kommunizieren. Joey dachte sogar, dass es manchmal einfacher wäre, mit seinen Augen auszudrücken, was er sagen wollte. Noch immer hatte er das Gefühl, dass ihr Hauptproblem die Kommunikation mit Worten war. Witzigerweise hätte er am Anfang immer gedacht, dass vor allem Seto damit Probleme hätte, dabei war es genau andersherum. Joey war so oft in seinem eigenen Kopf gefangen, dass er Schwierigkeiten hatte, über die Dinge zu sprechen, die in ihm vorgingen. Oder er hatte das Gefühl, es würde nichts bringen, darüber zu sprechen. Er wusste das, aber diese Angewohnheit zu ändern, fiel ihm unheimlich schwer. Aber Stück für Stück, in Mini-Schritten, würde er es schaffen. Er erinnerte sich an das Versprechen, das er all den Menschen gegeben hatte, die ihm mehr als alles andere bedeuteten. Für diese Menschen musste er es versuchen, er musste es schaffen, auch wenn es ein Leben lang dauern würde, es zu erreichen.

 

Gemeinsam stiegen sie in die Limousine ein, und nachdem ihr Gepäck eingeladen worden war, machten sie sich auf den Weg in die Kaiba-Villa. Joey fühlte sich so glücklich wie schon lange nicht mehr. Serenity und seine Mum wiedersehen zu können, war noch immer etwas, das für Joey wahnsinnig surreal war, weil es im Prinzip ein Jahrzehnt lang mehr oder weniger unmöglich gewesen war. Er war unendlich dankbar dafür, und es führte ihm mal wieder vor Augen, dass er nicht einfach wieder weglaufen konnte, wenn es ein Problem gab. Es war schwer, seinem natürlichen Fluchtimpuls nicht einfach nachzugeben, den er schon bei den kleinsten Kleinigkeiten verspürte. Aber er hatte gesehen, wie viel Leid das seinen geliebten Menschen zugefügt hatte. Dieses Gefühl, der Grund dafür zu sein, wollte er auf gar keinen Fall noch einmal spüren. Nie wieder. Auch wenn das hieß, manchmal gegen sich selbst kämpfen zu müssen.

 

Den Abend verbrachten sie alle gemeinsam damit, den Weihnachtsbaum zu schmücken, der traditionellerweise, wie auch schon im letzten Jahr, im Festsaal stand. Mokuba war natürlich wieder ganz vorn mit dabei, und auch Joey hatte in diesem Jahr deutlich mehr Spaß daran, als es noch im letzten Jahr der Fall gewesen war. Aber dieses Jahr war eben alles anders. Jetzt, wo Serenity und seine Mum auch da waren, da war seine Familie komplett. Er fühlte sich vollständig, wie ein Puzzle, das nun durch das finale Puzzleteil komplettiert worden war.

 

Seto konnte noch immer nicht so richtig viel mit Weihnachten anfangen. Das Höchste der Gefühle war, Mokuba, Joey, Serenity und Joeys Mum dabei zuzusehen, wie sie den Baum schmückten und offensichtlich ihre helle Freude daran hatten. Doch Joey und Mokuba hatten andere Pläne. Sie standen noch immer nah beim Baum, zwinkerten sich kurz zu und setzten dann ihren Plan in die Tat um. Sie gingen mit den Armen hinter dem Rücken verschränkt, um zu verstecken, was sie vorhatten, auf Seto zu, der an der langen Festtafel saß und in Gedanken vertieft auf seinem Laptop rumtippte. Als er die beiden bemerkte, hob er kaum den Kopf an, bevor er fragte: „Braucht ihr irgendwas?“

 

Mokuba und Joey grinsten sich an, bevor sie gemeinsam runterzählten: „3... 2... 1... los!“ Und kaum hatten sie das gesagt, bewarfen sie Seto mit buntem Lametta, und als sie seinen verdutzten Gesichtsausdruck sahen, kamen sie aus dem Lachen gar nicht mehr raus. Irgendwann befreite sich Seto aus seiner Schockstarre, entfernte sich die bunten Streifen vom Kopf und stand auf, mit einem bedrohlichen Ausdruck im Gesicht. Er griff sich ein bisschen was von dem Lametta, und als er die beiden so anstarrte, wussten sie, das konnte nichts Gutes heißen. 

 

„Oh, oh“, sagten Mokuba und Joey gleichzeitig, als Seto in langsamen Schritten auf sie zukam, und kaum hatten sie das gesagt, rannten sie los, ohne ein vergnügtes Lachen unterdrücken zu können. Mokuba war zu langsam und wurde noch im Festsaal von Seto geschnappt und mit Massen von Lametta umwickelt, und als Setos Aufmerksamkeit langsam auf Joey überschwappte, ergriff auch er die Flucht. Er schaffte es gerade so aus dem Festsaal, bevor Seto auch ihn eingefangen bekam und gegen die Wand im Flur drückte. Joey japste noch immer vor Freude, er bekam kaum Luft und ihm taten schon sämtliche Bauchmuskeln weh. Auch Seto schien sich ein Grinsen nicht verkneifen zu können, bevor er ein wenig von dem Lametta an Joeys Nacken legte und ihn mit einem Ruck zu sich ranzog, sodass sich ihre Lippen zu einem Kuss vereinigten. Joey legte die Arme um Setos Taille und gab sich ganz dem Kuss hin, seufzte wohlig auf.

 

Als sie sich mit verklärtem Blick wieder voneinander lösten, musste Joey schon wieder lachen, weil Seto noch immer überall Lametta zu kleben hatte. Das Zeug war wirklich widerspenstig, konnte aufgrund der Farbenvielfalt aber jeden noch so großen Weihnachtshasser sanfter aussehen lassen. Seto ließ das Lametta in seinen Händen fallen, nahm Joeys Hände und führte sie an seine Lippen, hauchten auch auf sie einen sanften Kuss. Der Blonde lächelte ihn liebevoll an, und als sie Hand in Hand wieder in den Festsaal zurückgingen, wusste er, dass es nichts gab, das ihn noch glücklicher machen konnte, als Seto an seiner Seite zu wissen.

 

Als sie am nächsten Morgen den alljährlichen Weihnachtsbrunch beendeten, den sie in ausgelassener Stimmung verbracht hatten, zog sich Joey in ihr Apartment zurück, wohingegen es Seto für eine Weile ins Arbeitszimmer zog. Der Blonde fragte sich, ob Seto wirklich noch etwas arbeiten musste oder ob er einfach Weihnachten entfliehen wollte. Was immer es war, es kam ihm eigentlich ganz gelegen, so konnte er nämlich dafür sorgen, dass er nicht unterbrochen wurde, während er die Weihnachtsgeschenke einpackte.

 

Für seine Mum und Serenity hatte er einen Wellnessgutschein besorgt, damit sie es sich in den nächsten Tagen richtig gut gehen lassen konnten. Mokuba bekam einen dieser kitschigen Weihnachtspullover, auf die er so abfuhr. Für Seto hatte er Konzertkarten für klassische Musik besorgt. Er hatte sich vorher extra mit Mokuba abgestimmt, weil er wusste, dass er Seto ja letztes Jahr ein ziemlich ähnliches Geschenk gemacht hatte, aber glücklicherweise hatte sich Mokuba dieses Jahr für ein anderes Geschenk entschieden. Als Joey die Karten und einen kleinen, handgeschriebenen Brief in den Umschlag packte, holten ihn die Erinnerungen von dem Klavierkonzert am Anfang des Jahres ein. Wie sehr sie sich verändert hatten. Jeder von ihnen als Individuum, aber auch sie zusammen. Es kam ihm vor, als wäre das Jahrzehnte her, und das Jahr war ja auch ziemlich ereignisreich gewesen. Sicherlich hätte er auf die ein oder andere Erfahrung verzichten können – die Untertreibung des Jahrhunderts – aber am Ende hatte es ihm die Erkenntnis gebracht, dass er Seto brauchte, und Seto ihn.

 

Gerade rechtzeitig verpackte er das letzte Geschenk, als er die Tür hinter sich aufgehen hörte und Seto ins Apartment trat. Joey saß im Wohnzimmer auf dem Boden, um ihn herum ein unübersichtliches Chaos aus bunten Schnipseln des Geschenkpapiers, und Seto lachte belustigt auf. „Na, wer hat den Kampf gewonnen? Du oder das Geschenkpapier?“

 

Joey drehte sich grinsend zu ihm um. „Vermutlich beide, irgendwie.“ Nach einem erneuten Lachen stand Joey auf, ging auf seinen Drachen zu und ließ sich von ihm in eine Umarmung ziehen. Gegen seine Schulter gelehnt, fragte er: „Wie lange haben wir noch bis zum Dinner?“

 

„Noch so ungefähr eine Stunde“, antwortete Seto und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Haare, während er ihm liebevoll über den Rücken strich. „Sollen wir uns noch ein bisschen ins Bett kuscheln?“ Joey löste sich von ihm und nickte, und als sie sich in die weichen Federn des Bettes legten, hätte Joey friedlich wegschlummern können. Aber er schaffte es, wach zu bleiben – das Weihnachtsdinner war das Highlight, und das würde er ganz sicher nicht verpassen wollen.

 

Wie auch schon im letzten Jahr, gab es ein ausgedehntes Weihnachtsdinner, das sich über mehrere Gänge erstreckte. Es wurde begleitet von angeregten Unterhaltungen, die Stimmung war fröhlich und ausgelassen, und die unterschiedlichen Stimmen füllten den Festsaal mit viel Leben.

 

Joey freute sich tatsächlich darauf, dass das Jahr sich nach dem vielen Drama insbesondere in den letzten Monaten dem Ende neigte. Er wusste nicht, was die Zukunft bringen würde, aber in ihm regte sich die Hoffnung, dass das nächste Jahr vielleicht für ein wenig mehr Ruhe und Stabilität sorgen würde. Und auch wenn er in diesem Jahr immer mal wieder mit unangenehmen Überraschungen konfrontiert worden war, so versuchte er doch, mit einer gewissen Portion an Optimismus auf das nächste Jahr zu schauen.

 

Während des Dinners unterhielt er sich lebhaft mit seiner Mum und Serenity und sie besprachen ihre Pläne für die kommenden Tage. Sie würden auch in diesem Jahr erst nach Neujahr wieder abreisen und so die gesamten Weihnachtsferien mit ihm verbringen, was ihn in noch positivere Stimmung versetzte. Seto hielt sich, wie eigentlich immer bei jedweder Art von Feierlichkeit, stark im Hintergrund, wohingegen Mokuba ganz offenbar in bester Laune war und sich an vielen Gesprächen beteiligte. Es war ein rundum gelungener Abend, und das nicht nur wegen des wirklich ausgezeichneten Essens.

 

Kaum war das Dinner beendet und die leeren Teller abgeräumt, konnte Joey Seto, der direkt neben ihm saß, auf sein Handy blicken sehen und seufzen hören. Sofort drehte sich der Blonde leicht zu ihm um und fragte: „Ist alles in Ordnung?“ Seto fuhr sich sichtlich frustriert durch die Haare, bevor seine Augen die von Joey trafen und er antwortete: „Würdet ihr mich für eine Weile entschuldigen? Es gab einen kleinen Notfall in der Firma, um den ich mich kümmern muss.“

 

„Aber Seto, gleich ist doch Bescherung!“, rief Mokuba aus und zog seine Mundwinkel nach unten. Dass dem kleinen Kaiba das nicht gefallen würde, lag auf der Hand, war doch die Bescherung sein persönliches Highlight an Weihnachten.

 

Erneut seufzte Seto auf. „Ich weiß, Mokuba, aber es geht leider nicht anders.“ Joey legte seine Hand auf Setos Oberschenkel und bekam somit wieder seine Aufmerksamkeit. „Was glaubst du, wie lange du brauchen wirst?“

 

Seto sah erneut auf sein Handy und atmete tief durch. „Eine Stunde, maximal.“

 

Auf Joeys Lippen legte sich ein verschmitztes Lächeln, bevor er antwortete: „Gut, eine Stunde, und keine Sekunde länger. Schau mich nicht so an, Seto, es ist Weihnachten. Ich hol dich dann später ab.“

 

Seto schüttelte den Kopf, aber er konnte sich ganz offensichtlich nicht verkneifen, das Lächeln zu erwidern. Er sah erneut zu Joey auf und nahm dessen Hand, die noch immer auf seinem Oberschenkel lag, und drückte sie fest, streichelte sanft mit seinem Daumen darüber. Sein Gesichtsausdruck war irgendwie undurchdringlich. Er holte tief Luft und es sah fast so aus, als wollte er etwas sagen, öffnete seinen Mund nur einen winzigen Spalt, schien sich dann aber, aus welchen Gründen auch immer, dagegen zu entscheiden. Er schenkte Joey noch ein letztes Lächeln, dann stand er auf und verabschiedete sich noch einmal höflich. Und nur Sekunden später war er aus dem Festsaal verschwunden.

 

Was war Seto wohl gerade durch den Kopf gegangen? Hatte er tatsächlich etwas sagen wollen? Und wenn ja, was hatte ihn davon abgehalten? Vielleicht war es, weil noch andere Menschen hier waren? Möglich, aber Joey beschlich das Gefühl, dass noch mehr dahinter steckte. Gab es etwas, das er Joey nicht erzählt hatte?

 

Erst die Stimme seiner Mum, die seinen Namen rief, holte ihn wieder zurück in die Realität. Als er den Blick hob und ihr direkt ins Gesicht sah, fragte sie, die Stirn in Falten gelegt und in besorgtem Tonfall: „Ist alles in Ordnung, Joey?“

 

Joey setzte ein Lächeln auf, konnte aber die Gedanken doch nicht vollständig vertreiben. „Ja, alles okay.“ Er konnte sehen, dass sie ihm das nicht vollends abnahm, und wenn er ehrlich zu sich selbst war, glaubte er seinen Worten auch nicht. Na ja, vor ihr konnte er es vermutlich sowieso nicht verstecken. Sie war eben seine Mum und kannte ihn wirklich gut. Außerdem besaß sie einen sechsten Sinn wie niemand anderes.

 

Sie sah auf ihre Armbanduhr, dann fragte sie: „Hey, wo wir jetzt sowieso eine Stunde Zeit haben, wollen wir einen Spaziergang draußen im Schnee machen, nur wir zwei? Serenity scheint sich gerade prächtig mit Mokuba zu unterhalten und ich habe das Gefühl, seit Ewigkeiten nicht mehr so richtig mit dir gesprochen zu haben.“

 

Joey musste ihr recht geben, und vielleicht würde das auch helfen, um die verwirrenden Gedanken zu vertreiben. Lächelnd nickte er ihr zu, dann schnappten sie sich ihre Jacken und machten sich auf den Weg nach draußen, in den Kaiba-Park, aber nicht, ohne Mokuba und Serenity kurz Bescheid zu geben.

 

Als sie raus ins Dunkle traten, hatte es bereits aufgehört zu schneien, aber der Boden war von einer nicht unbeachtlichen Schneedecke bedeckt. Im Schein der Laternen glitzerte der Schnee etwas, und wenn morgen die Sonne scheinen würde – und laut Wetterbericht war das ziemlich wahrscheinlich – würde man das Glitzern noch stärker sehen können. Allerdings war es wirklich unheimlich kalt, also zog sich Joey seinen Schal noch enger um den Hals, während warme Atemwolken seinen Mund verließen.

 

Für wenige Minuten liefen sie einfach nur nebeneinander, keiner sagte ein Wort. Weil sie nicht wussten, wo sie anfangen sollten? Doch dann ergriff seine Mum das Wort und setzte das Gespräch in Gang: „Joey, ist irgendwas zwischen dir und Kaiba vorgefallen?“

 

Überrascht blickte er zu ihr auf. „Wie kommst du darauf? Spielst du auf etwas Bestimmtes an?“

 

Sie blickte in den klaren Nachthimmel hoch, der von hell leuchtenden Sternen durchzogen war, ohne ihre Schritte zu verlangsamen. „Nicht unbedingt. Es ist einfach nur so ein Gefühl. Intuition, wenn du so willst, insbesondere, weil Kaiba sich gerade, als er sich verabschiedet hat, irgendwie komisch verhalten hat. Hält sich Kaiba aus irgendeinem Grund zurück? Gestern kam er mir irgendwie ausgelassener vor.“

 

Joey konnte sich ein leichtes Lächeln um die Mundwinkel nicht verkneifen. Also hatte sie es auch bemerkt, aber wer, wenn nicht sie, würde so etwas feststellen können. Joey überlegte kurz, bevor er antwortete: „Hm, vielleicht einfach die Arbeit?“

 

Er hörte, wie seine Mum tief durchatmete, bevor sie erwiderte: „Vielleicht, aber mein Bauch sagt mir, dass da noch was anderes ist.“ Sie schien für einige Sekunden in Gedanken, bevor sie ihren Kopf in Joeys Richtung bewegte und mit einem Lächeln auf den Lippen sagte: „Aber vielleicht interpretiere ich auch zu viel hinein.“

 

Dennoch, Joey fragte sich, ob es tatsächlich etwas gab, das Seto beschäftigen könnte. Er ließ die letzten Wochen in seinem Kopf Revue passieren, aber es war nichts Aufregendes passiert. Zumindest, wenn man mal von dem Tag absah, an dem Joey zurückgekehrt war. Er stoppte in der Bewegung. Hatte es vielleicht etwas mit der Frage zu tun, die er ihm damals gestellt hatte? Möglicherweise, auch Joey hatte sich in der letzten Zeit einige Gedanken darüber gemacht.

 

„Joey, ist alles okay?“, fragte seine Mum, und ihr Gesichtsausdruck zeigte erneut die Besorgnis, die in ihr aufgekommen war. Er sah sie an, vielleicht mit etwas mehr Skepsis, als ihm eigentlich lieb war. Konnte er es wagen? Er hatte bislang niemandem davon erzählt, auch wenn er nicht so richtig sagen konnte, warum. Vielleicht, weil es so eine intime Frage gewesen war, dass er es bisher einfach für sich hatte behalten wollen? 

 

Als er seiner Mum jetzt so ins Gesicht sah, da wusste er, sie würde vermutlich nicht locker lassen, und er hatte auch nicht unbedingt etwas zu verlieren. Er wusste, er konnte ihr vertrauen, und dass sie es niemandem anders erzählen würde. Wer weiß, vielleicht konnte sie ihm ja sogar helfen, das in die richtige Perspektive zu rücken und seine Gedanken zu ordnen?

 

Also holte er tief Luft, dann gab er die Information preis, die er in den letzten Wochen gehütet hatte wie einen kostbaren Schatz: „Seto hat mich gefragt, ob ich ihn heiraten will.“

 

Seine Mum schien ganz offensichtlich überrascht – wer wäre das wohl nicht in dieser Situation? Für einen kurzen Augenblick schien ihr der Atem zu stocken und sie riss die Augen ganz weit auf. Dann schien sie sich wieder zu fangen, scheinbar spürte sie, dass mehr hinter der Geschichte steckte, als es dieser eine Satz vermuten ließ. Dann fragte sie: „Wie hast du reagiert?“

 

Joey schloss für eine Sekunde die Augen, atmete hörbar aus und fing dann wieder an zu laufen. Sein Blick war gerade nach vorn gerichtet, auf keinen bestimmten Punkt fokussiert, als er antwortete: „Ich habe abgelehnt.“

 

„Oh“, kam es erneut überrascht von seiner Mum. „Möchtest du mir erzählen, warum?“ 

 

„Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt gewesen. Ich habe dir ja von dem Tag erzählt, als Seto und ich uns wiedergesehen haben und ich wieder nach Hause zurückgekehrt bin. Es war an diesem Tag, draußen am Meer. Er hat die Frage gestellt, gerade als ich im Begriff war, wieder abzuhauen.“ Ein erneutes Seufzen unterbrach seinen Monolog, dann fuhr er fort. „Ich meine, ich war gerade monatelang weg gewesen. Es war einfach... ein bisschen zu viel auf einmal für mich. Ich hatte anfangs das Gefühl, er hat gar nicht verstanden, warum ich überhaupt gegangen bin. Aber wir haben das besprochen und ich glaube, am Ende konnte er nachvollziehen, warum ich reagiert habe, wie ich reagiert habe.“

 

„Verstehe. Und wie denkst du jetzt darüber?“

 

Erstaunt blickte Joey zu seiner Mum rüber. „Wie meinst du das?“

 

„Na ja“, erklärte sie, „wenn du dir vorstellst, er würde dich jetzt fragen, heute. Wie würdest du antworten?“

 

Das war eine sehr gute Frage. Wie würde er reagieren? Würde er ja sagen? Gäbe es noch einen Grund, abzulehnen? Warum nur wühlte ihn diese Frage jetzt so auf? Ihm schossen tausende Gedanken in den Kopf und es fiel ihm schwer, sich auf einen davon zu konzentrieren. Es war wie ein Meer aus unterschiedlichen Stimmen, unmöglich, eine davon auch nur für eine Sekunde zu fokussieren.

 

Seine Mum schien das schnell zu merken, und mit der nachfolgenden Frage schien sie das Gespräch so lenken zu wollen, dass Joey seine Gedanken und Gefühle ein bisschen besser würde ordnen können. „Was fühlst du für ihn?“

 

„Ich liebe ihn“, sagte er wie aus der Pistole geschossen. „Sehr. Er ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, auch nur noch für einen Tag von ihm getrennt zu sein. Als ich verschwunden war, war das die längste Zeit, die wir jemals getrennt gewesen waren, seit wir zusammen sind. Und das war die Hölle für mich, und wie es scheint, war es das auch für ihn.“

 

„Erzähl mir davon“, sagte seine Mum und regte ihn dazu an, noch mehr zu sprechen. Und sie hatte vermutlich gar nicht unrecht. Manchmal half es, die Dinge laut auszusprechen, um sie selbst einordnen und richtig verstehen zu können. „Wie hast du dich gefühlt, als du weg gewesen warst? Du hattest mir von deinen Beweggründen erzählt, und ich kann schon nachvollziehen, warum du dich dafür entschieden hattest. Das muss sehr schwer für dich gewesen sein. Ich kann mir nur vage vorstellen, wie viel Überwindung dich das gekostet haben mag.“

 

Das hatte es, das hatte es wirklich. Joey hatte es in den besten Intentionen gemacht, auch wenn das nicht jeder so sah. Er versuchte, sich wieder in die Zeit zurückzuversetzen, in der er mal hier und mal dort gewesen war, und probierte dann, das einigermaßen in Worte zu fassen. „Ich habe mich sehr allein gefühlt. Ich habe ihn unheimlich vermisst, so sehr, dass es mir oft die Luft zum Atmen geraubt hat. Ich habe mich immer gefragt, was er wohl gerade macht. Woran er denkt. Ob er sich noch an mich erinnert. Ob er vielleicht in seinem Leben schon weitergezogen ist und ich keine Rolle mehr spiele. Es war so schwer ohne ihn. Schon der Gedanke, nicht bei ihm sein zu können, auch wenn ich das ja freiwillig so entschieden hatte, tat so unendlich weh.“

 

Plötzlich wurde er von seinen eigenen Emotionen übermannt. Er blieb stehen und versuchte, die Tränen mit seinen Händen davon abzuhalten, in Bächen von seinen Wangen zu fließen, aber es war sinnlos. Sie bahnten sich ihren Weg wie automatisch nach unten und tropften zuhauf auf den Boden. Er konnte das Schluchzen nicht verhindern. Seine Unterlippe bebte, genauso wie seine Stimme, als er ergänzte: „Ich liebe ihn so sehr, Mum. Er bedeutet mir einfach alles. Alles.“

 

Er spürte die Arme seiner Mum um sich. Sie zog ihn in eine enge Umarmung und strich ihm sanft über den Rücken, und auch wenn er das durch die dicke Winterjacke kaum spürte, so war es doch eine beruhigende Geste. Ihr Tonfall war ruhig, als sie die folgenden Worte an ihn richtete: „Hör auf dein Herz, Joey. Was sagt es dir jetzt gerade?“

 

Er legte den Kopf auf ihrer Schulter ab und horchte in sich hinein, während er weiter eng umschlungen mit ihr dastand. Sein Herz schlug ganz regelmäßig, gab ihm einen Rhythmus, dem er folgen konnte, genau wie sein Atem, der nun auch wieder gleichmäßiger ging. Er schloss für einen Augenblick die Augen, und sofort erschien das Bild von seinem Drachen mit den eisblauen Augen vor ihm. Er sah ihn in allen möglichen Varianten – den starken Seto mit dem ernsten Gesichtsausdruck. Den sanften Seto, der ihm ein bezauberndes Lächeln schenkte. Den sexy Seto, der sich über die Lippen leckte, bevor er ihn küsste. All seine Gedanken wurden von ihm eingenommen.

 

Es war eindeutig. Er würde niemals ohne Seto leben wollen. Er könnte es nicht. Er brauchte ihn, wie er Luft zum Atmen brauchte. Und er wusste, Seto ging es ganz genauso. Sie brauchten sich. Und Joey war sich mehr als sicher – das würde sich niemals ändern.

 

Als er sich von seiner Mum löste, da fasste er einen Entschluss. Er hatte wieder etwas mehr an Selbstbewusstsein gewonnen und war ihr unheimlich dankbar, dass sie ihm dazu verholfen hatte, wieder Klarheit und Ordnung in seine Gedankenwelt zu bekommen. Und während er sie an den Händen hielt, sagte er: „Danke, Mum. Ich glaube, ich weiß jetzt, was ich will.“

 

Sie lächelte ihn liebevoll an und nickte. „Sollen wir ihn dann langsam holen gehen? Ich kann mir gut vorstellen, dass Mokuba schon wie auf heißen Kohlen sitzt, und vermutlich hat er Serenity mittlerweile damit angesteckt.“ Joey lachte auf, als er sich die Szene vorstellte. Auch er nickte und gemeinsam machten sie sich wieder auf den Weg zurück in die warme Villa. Und dass Joey jetzt plötzlich wieder so klar sah, gab ihm eine Zuversicht, die er hoffentlich auch die nächsten Tage beibehalten würde.

 

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Die Weihnachtsfeiertage waren schneller vergangen, als Seto es im Vorhinein vermutet hätte. Er hatte es gar nicht abwarten können, diesen elenden Weihnachtsbaum endlich aus der Villa zu entfernen. Er würde sich mit dem Weihnachtsfest wohl nie richtig anfreunden können, auch wenn es mit Joey an seiner Seite deutlich besser war. Er war wie ein leuchtendes Licht am Horizont, das jeden Tag seines Lebens ein bisschen heller machte.

 

Der Blonde war in den letzten Tagen viel mit seiner Familie unterwegs gewesen, und Seto hatte unglücklicherweise viel arbeiten müssen, weil so einiges schief gegangen war, aber einfach auch ein bisschen mehr Arbeit zu erledigen gewesen war. Mokuba war in der Zwischenzeit unablässig damit beschäftigt gewesen, die alljährliche Silvesterparty zu organisieren, zu der er Hinz und Kunz eingeladen hatte. Natürlich würde auch der ‚Kindergarten‘ wieder dabei sein, auch wenn Seto auf diese Gruppe noch immer durchaus gut verzichten könnte.

 

Und als er sich so durch die Excel-Tabelle auf seinem Monitor scrollte, schweiften seine Gedanken ab zu dem Tag vor exakt einem Jahr, der so viel verändert hatte. Am Silvesterabend des letzten Jahres hatten sie sich das allererste Mal geküsst, und dieser Kuss hatte auch in Seto ein riesiges Feuerwerk explodieren lassen. Seitdem war so viel passiert. Es hatte viele schöne, aber auch herausfordernde, zum Teil dramatische Momente in ihrem Leben gegeben. Seto hatte Fehler gemacht, genauso wie Joey, und auch wenn Seto sich wünschte, einiges davon rückgängig machen zu können – war es nicht auch natürlich, dass beide nicht gleich auf Anhieb alles richtig gemacht hatten? Immerhin hatten sie beide so etwas noch nie erlebt. Seine Beziehung zu Joey war so intensiv, und manchmal fragte er sich, ob dieses Gefühl für immer so bleiben würde.

 

Er dachte an den Moment zurück, an dem er Joey aus einem Impuls heraus gebeten hatte, ihn zu heiraten. Er konnte wirklich gut nachvollziehen, warum der Blonde es abgelehnt hatte. Es war wohl der denkbar schlechteste Zeitpunkt dafür gewesen, das sah Seto auch ein. Dennoch – es beschäftigte ihn noch immer. Hätte Joey ja gesagt, hätte er ihm die Frage zu einem besseren Zeitpunkt gestellt?

 

Manchmal, da erwischte er sich selbst dabei, wie er sich mit liebevollen Worten zurückhielt, auch wenn er gar nicht so richtig sagen konnte, warum eigentlich. Seit Joey damals gegangen war, hatte er Angst, er würde es wieder tun, auch wenn er versprochen hatte, es nicht zu tun. War es also die Angst, Joey mit seinen Worten am Ende doch wieder in die Flucht zu treiben? Fehlte Seto vielleicht einfach ein Stück weit Sicherheit? War das möglicherweise der Hauptgrund gewesen, warum er ihn damals überhaupt gefragt hatte, ihn zu heiraten? Selbstverständlich hatte er die Frage absolut ernst gemeint – mit so etwas Wichtigem würde er nie spaßen, schon mal gar nicht Joey gegenüber. Aber diese doch eher spontane und wenig durchdachte Aktion hatte sicherlich auch viel damit zu tun, was Joeys plötzliches Verschwinden mit ihm gemacht hatte. Wie sehr es ihn selbst bewegt und beschäftigt hatte. Es war schwer gewesen ohne ihn, und das war noch deutlich untertrieben. Seto wollte ihn nicht mehr verlieren, nie wieder, und er würde alles dafür tun, dass sich das nicht wiederholte. Was immer Joey dafür auch bräuchte, er würde es ihm geben.

 

Lange konnte er darüber nicht mehr nachdenken, als er auf die Uhr sah und bemerkte, dass es schon kurz vor 18 Uhr war. Die Silvesterparty würde bald losgehen und er musste noch eine ganze Armada an E-Mails beantworten. Seufzend machte er sich ans Werk und kratzte alles, was er noch an Konzentration hatte, zusammen, um so schnell wie möglich damit fertig zu werden.

 

Kurz vor 19 Uhr ging er in ihr Apartment, aber Joey war nirgendwo zu sehen. Vermutlich war er mittlerweile schon im Festsaal und begrüßte die Gäste, zusammen mit Mokuba. Seto beeilte sich, ging schnell in ihr Ankleidezimmer und zog sich das dunkelblaue Hemd über, von dem er wusste, dass es seinem Hündchen unheimlich gefiel, dazu eine dunkelblaue Jeans. Nach einem kurzen Check im Spiegel, wo er sich noch mal durch die Haare fuhr und sie so herrichtete, wie er sie haben wollte, machte auch er sich auf den Weg und verließ das Apartment.

 

Als er den Festsaal betrat, waren Himmel und Menschen anwesend, aber das Erste, was Seto feststellen musste, war, dass sein Hündchen alles und jeden überstrahlte. Sein Lachen breitete sich im gesamten Saal aus, hallte an den Wänden wider und wurde dadurch nur noch verstärkt. Und er war schön, wunderschön. Ihn jetzt so glücklich zu erleben, nach allem, was er, was sie gemeinsam hatten durchmachen müssen, war das befreiendste Gefühl überhaupt.

 

Ihr Blicke trafen sich und Seto wurde sofort von seinem Lächeln verzaubert und wie magnetisch von ihm angezogen. Joey stand inmitten seiner Freunde und unterhielt sich angeregt mit ihnen. Eigentlich hatte Seto keine große Lust, Zeit mit dem ‚Kindergarten‘ zu verbringen, auch wenn er wusste, dass Joey ihn noch immer sehr gern als Teil der Gruppe betrachten würde. Als er sich langsamen Schrittes auf die Gruppe zubewegte, schüttelte er den Kopf, in der Hoffnung, diese absurden Gedanken endlich und für alle Zeit vertreiben zu können, aber er hatte die vage Befürchtung, dass Joey es wohl niemals aufgeben würde.

 

Kaum hatte er zu der Gruppe aufgeschlossen und ihnen zur Begrüßung zugenickt, griff Joey seine Hand und schenkte ihm ein weiteres Lächeln. Seto wurde sofort von dem überwältigenden Wunsch ergriffen, Joeys Gesicht in beide Hände zu nehmen und ihn sanft zu küssen, doch bevor er das auch nur ansatzweise in die Tat umsetzen konnte, fragte der Blonde: „Alles okay mit der Arbeit? Du hattest ja auch heute wieder echt viel zu tun.“

 

Das war kein Vorwurf, nein, in Joeys Stimme schwang Sorge mit. Seto seufzte, und nachdem er ihre Finger noch enger ineinander verschränkt hatte, erwiderte er: „Mehr oder weniger. So schlimm wie dieses Jahr zum Jahresende war es allerdings selten, auch im Vergleich zu den letzten Jahren. Mal ganz abgesehen davon, dass die neuen Sicherheitsrichtlinien, die ich eingeführt habe, leider auch zu mehr Bürokratie beitragen.“ Er zog Joeys Hand an seine Lippen, gab ihr einen seichten Kuss, bevor er ergänzte, die Hand noch immer kurz vor seinem Mund, den Blick intensiv auf Joeys Augen gerichtet: „Aber das ist es allemal wert.“

 

Seto konnte beobachten, wie Joey unter seinen Worten leicht errötete und sogar Schwierigkeiten damit hatte, seinen Blick zu erwidern und ihm direkt in die Augen zu sehen. Seit wann war sein Hündchen denn so schüchtern? Klar, es waren viele Menschen um sie herum, aber das hatte Joey doch bisher auch nicht davon abgehalten, liebevolle Momente mit ihm zu teilen. War da was im Busch?

 

Doch noch bevor er weiter darüber grübeln konnte, richtete Gardner das Wort an Joey und zog so seine ganze Aufmerksamkeit auf sich, und ihre penetrante Stimme ging Seto jetzt schon auf den Geist. „Hey, Joey, lass uns noch etwas tanzen, bevor wir später zum Feuerwerk gehen! Ich nehme an, der Eisklotz da will nicht mit?“

 

Sie wartete überhaupt keine Reaktion von Seto ab. Stattdessen streckte sie ihm frech die Zunge raus, griff Joey am Arm und schleifte ihn, gemeinsam mit seinen anderen Freunden, auf die Tanzfläche. Joey drehte sich in der Bewegung noch mal halb zu ihm um, grinste ihn an und zuckte ein wenig mit den Schultern – selbst, wenn er es versucht hätte, zu entkommen, geschafft hätte er es vermutlich nicht.

 

Wie schon im letzten Jahr, nahm Seto an der Bar Platz und beobachtete sein Hündchen beim Tanzen. Er erinnerte sich erneut daran, wie viel sich seit damals verändert hat. Noch vor einem Jahr war er so verwirrt von seinen eigenen Gefühlen gewesen, hatte nicht verstanden, warum er wie magisch von Joey angezogen wurde. Erst mit ihrem Kuss hatte er verstanden, dass es genau das gewesen war, wonach er sich die ganze Zeit gesehnt hatte. Und er war sich sicher, dass er nie eine tiefere Liebe würde empfinden können, für niemanden. Zumindest, wenn man mal von Mokuba absah, aber das war auch eine ganz andere Art von Liebe.

 

Und während er Joey so beobachtete, wie er ausgelassen tanzte und Seto wie so oft den Atem raubte, da bemerkte er gar nicht, wie schnell die Zeiger auf der Uhr sich bewegten. Erst Mokubas Stimme durch das Mikrofon des DJs, der alle Gäste bat, sich langsam auf die Dachterrasse zu begeben, machte ihm bewusst, wie erstaunlich schnell die Zeit vergangen war. Er hätte Joey noch Stunden weiter zusehen können.

 

Nach Mokubas Ansprache kam der Blonde auf ihn zu und nahm seine Hand – und warum wirkte er eigentlich schon wieder so schüchtern? Was war denn heute nur los mit ihm? Joey wollte schon Anstalten machen, einfach loszugehen und ihn mitzuziehen, doch Seto hielt ihn auf. Sein Hündchen drehte sich zu ihm um, einen verdutzten Ausdruck auf dem Gesicht, bevor Seto fragte: „Ist alles okay, Joey?“

 

Mit seiner freien Hand kratzte sich Joey am Hinterkopf und lächelte verlegen. Seto konnte nicht anders, als zu glauben, dass Joey wie ausgewechselt war. Daran änderte auch sein halbherziger Versuch nichts, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, als er sagte: „Ja, alles okay, ich ähm... sollen wir zusammen hochgehen? Ich würde mir gern das Feuerwerk mit dir ansehen. Also, ähm... allein.“

 

Seto wunderte sich noch immer, was das alles wohl zu bedeuten hatte. Irgendwas verheimlichte Joey ihm, so viel war mal sicher, auch wenn er wirklich nicht wusste, was das sein könnte. Aber was auch immer es war, Joey würde es ihm schon sagen, wenn er bereit dazu oder es an der Zeit war. Außerdem kam ihm sein Plan gerade recht – mit ihm allein Zeit zu verbringen, war ihm deutlich lieber, als mit dem ‚Kindergarten‘ oder den Freunden seines Bruders rumzuhängen.

 

Joey nickte seinen Freunden, die in einer Runde mit Serenity und seiner Mum standen und sich gerade ihre Jacken anzogen, zu, und dann schnappten auch sie sich ihre Mäntel und gingen hinauf zur Dachterrasse. Joey schien genau zu wissen, wohin er gehen wollte. Zielgerichtet lotste er Seto an den Rand der Dachterrasse – es war dieselbe Stelle wie schon vor einem Jahr, das fiel ihm sofort auf, und die Erinnerungen an das, was genau an diesem Ort passiert war, schickten Wellen wohliger Wärme durch seinen ganzen Körper.

 

Für einige Minuten standen sie still nebeneinander, Hand in Hand, und beobachteten den Rest der Festgemeinschaft, der schon gebannt gen Himmel schaute, auch wenn das Feuerwerk noch einige Minuten auf sich warten lassen würde. Joey schien nervös, das konnte Seto spüren. Er bemerkte es schon allein deshalb, weil sich Schweiß in Joeys Handinnenfläche sammelte, und auch sein Atem hatte sich beschleunigt.

 

Er zog den Blonden so am Kinn, dass er ihm direkt ins Gesicht sehen musste. Seine Wangen waren leicht gerötet, und Seto war sich sicher, das kam nicht allein durch die Kälte hier draußen. Auch seine Augen zeigten ihm, dass ihn etwas beschäftigte, und langsam, aber sicher wurde Seto ungeduldig. „Joey, ich merke doch, dass was los ist.“

 

Joey nahm einen tiefen Atemzug, schloss für eine Sekunde die Augen, nur um sie dann wieder zu öffnen und ihn selig anzulächeln. Er schüttelte nur den Kopf, sagte aber nichts als Antwort auf Setos implizierte Frage. Dennoch, er schien sich ein wenig beruhigt zu haben.

 

Er drehte sich nun ganz zu Seto um und verlor sein Lächeln dabei nicht. Er nahm beide von Setos Händen in seine, und für einige Momente sahen sie sich nur in die Augen. Seto verlor sich im Gold von Joeys Iris, das so lebhaft war, dass er Mühe hatte, den verschiedenen Strömungen zu folgen. Daraufhin wurde Joeys Lächeln sogar noch etwas breiter, fast so, als hätte er wieder ein wenig von der Selbstsicherheit zurückgewonnen, die Seto die letzten Minuten schon bei ihm vermisst hatte. Dann fragte er: „Das hier war genau der Ort, wo wir uns vor einem Jahr das erste Mal geküsst haben, oder?“

 

Seto erwiderte das Lächeln bei dieser wunderschönen Erinnerung, die ihm auch direkt gekommen war, kaum dass sie sich hier hingestellt hatten, und nickte. Joeys Blick wurde unfokussiert, und er blickte ein wenig an Seto vorbei in Richtung Himmel, er stand ihm aber immer noch frontal gegenüber. Dann fuhr er fort: „Dieser Tag hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Danach war irgendwie alles anders, oder? Wir haben so unfassbar schöne Sachen erlebt. Ich erinnere mich noch an das Klavierkonzert, das so unheimlich emotional für mich gewesen war. An dem Abend habe ich auch das erste Bild von dir bekommen, und ich weiß noch genau, wie viele Schmetterlinge mir das beschert hat. Auch wenn ich es damals wohl noch nicht hatte richtig einordnen können, warum genau ich so gefühlt habe. Und dann mein Geburtstag, dein Brief, unsere erste, gemeinsame Nacht – wir haben schon damals so viele Höhen miteinander geteilt, so viel Positives erlebt, dass mir allein der Gedanke daran schon eine Gänsehaut verschafft.“

 

Setos Blick klebte an Joeys Lippen, die ganze Zeit über, während er so wunderschön die Anfänge ihrer gemeinsamen Reise beschrieb. Der Blonde sah ihn nun wieder direkt an und das Lächeln wurde ein wenig kleiner, umspielte nur noch dezent seine Lippen.

 

Er atmete tief durch, bevor er weiter erzählte: „Aber es hatte auch einige Tiefen gegeben, die wir hatten überwinden müssen. Kommunikationsfehler, Missverständnisse, all das gehört auch zu unserer Geschichte. Ich bin nicht perfekt, das war ich nie, und das werde ich auch nie sein. Auch wenn du mir da wahrscheinlich widersprechen würdest, so wie ich dich kenne.“

 

Seto grinste ihn nur schelmisch an – da hatte er verdammt recht. Aber er unterbrach ihn nicht. Er hatte das Gefühl, er arbeitete sich mit seinen Worten auf ein bestimmtes Ziel vor, auch wenn er noch nicht richtig begriff, wie das aussehen könnte. Also ließ er ihm den Freiraum, den er brauchte, um alles zu sagen, was er sagen wollte.

 

Joeys Gesichtsausdruck wurde noch ein bisschen ernster, fast ein wenig traurig, und Seto hatte plötzlich das Bedürfnis, ihn einfach in den Arm zu nehmen, ihn fest zu drücken und ihm zu sagen, dass alles gut werden würde. Doch bevor er diese Idee in die Tat umsetzen konnte, sprach Joey weiter.

 

„Ich weiß, ich habe Fehler gemacht. Viele. Ich bin weggerannt, obwohl du mich mehr als jemals sonst gebraucht hättest. Und dennoch bist du hier, neben mir, an meiner Seite. Hast nicht aufgehört, nach mir zu suchen, nie aufgehört, an mich zu glauben und das Positive in mir zu sehen. Du hast all diese Tiefen mit mir durchgestanden, egal, in welcher Dunkelheit ich auch gefangen war, und ich weiß, egal was kommt, ich werde immer auf dich zählen können.“

 

Joeys Monolog wurde nur kurzzeitig von Mokubas lauter Stimme unterbrochen, als dieser rief: „Noch eine Minute bis Mitternacht!“ Beide hatten ihre Köpfe in die Richtung gedreht, aus der die Stimme gekommen war, doch wandten nun ihre Köpfe wieder sich gegenseitig zu. Seto war glücklich zu sehen, dass sich Joeys Mundwinkel nun wieder etwas nach oben zogen, bevor er weiterredete.

 

„Ich liebe dich, Seto. Mehr, als Worte es jemals beschreiben könnten. Und ich habe es vielleicht vor einigen Monaten noch nicht so klar gesehen, wie ich es jetzt tue, auch wenn ich es innerlich schon gewusst habe. Ich weiß, dass ich keinen Tag mehr ohne dich verbringen will. Dass ich alles mit dir teilen will, die guten und die schlechten Tage und Erfahrungen, die uns noch bevorstehen werden. Bis an unser Lebensende und darüber hinaus. Du bist und wirst immer der wichtigste Mensch in meinem Leben sein. Du bist meine Familie, Seto.“

 

Seto merkte, wie Joey leicht anfing zu zittern und eine kurze Pause machte, um kurz durchzuatmen. Doch dann fuhr er fort. „Als wir uns wiedergefunden hatten, dort am Meer, da war ich vielleicht noch nicht so weit, das alles so deutlich zu sehen. Aber heute bin ich ganz sicher. Sicher, dass du der einzige Mann sein wirst, mit dem ich jemals zusammen sein möchte. Und deswegen möchte ich dir ein Versprechen geben. Eines, das uns für immer aneinander bindet, denn nichts anderes wünsche ich mir.“

 

Während die Festgemeinschaft begann, den Countdown zum neuen Jahr runterzuzählen, entzog Joey Seto seine Hände und fing an, in seiner Jackentasche herumzukramen. Er holte eine kleine Schatulle raus, und als er sie öffnete, erschienen zwei silbern glänzende Ringe. Mit weit aufgerissenen Augen erwiderte er Joeys Blick erneut, der krampfhaft versuchte, gegen die Tränen zu blinzeln, doch schon den Bruchteil einer Sekunde später, bahnte sich eine einsame Träne den Weg über seine Wange. Aber er lächelte, er war wie die Sonne in Person, wie er gerade so vor ihm stand, und Seto fragte sich, ob er ihn wohl jemals so glücklich gesehen hatte. 

 

Und als die ersten Feuerwerkskörper am Himmel explodierten und ein buntes Meer aus Farben preisgaben, stellte Joey die alles entscheidende Frage: „Willst du mich heiraten und den Rest deines Lebens mit mir verbringen?“

 

Im ersten Moment konnte er gar nicht reagieren. Er konnte sein Herz fühlen, wie es heftig und schnell gegen seine Brust schlug. Sein Atem ging abgehackt und ihm war plötzlich so warm. Seine Wangen glühten, als er den Blick erneut auf die Ringe in Joeys Hand legte.

 

Plötzlich ergab das alles einen Sinn. Warum Joey so nervös gewesen war. Warum er unbedingt mit ihm hatte allein sein wollen. Sein Monolog, alles, was er gerade gesagt hatte. Seto gingen eine Million Fragen durch den Kopf, während sein Puls noch immer raste. Er hob seinen Blick wieder an, sah Joey ins Gesicht, dem nun die Tränen in Rinnsalen über die Wangen strömten. Seto schluckte, auch wenn sein Mund aufgrund der Aufregung staubtrocken war, dann fragte er leise: „Bist du ganz sicher, Joey?“

 

Als er ihm diese Frage gestellt hatte, vor nicht einmal zwei Monaten, da hatte er noch abgelehnt. Aus nachvollziehbaren Gründen, ja, aber er hatte abgelehnt. Und jetzt stand er hier und hatte das offensichtlich sogar vorbereitet und geplant, viel besser als Seto damals, wenn er ehrlich zu sich selbst war. Bei ihm war es aus einem Impuls heraus geschehen und vermutlich aus den falschen Gründen, und er wollte einfach sichergehen, dass Joey nicht denselben Fehler machte.

 

Doch Joey nickte, dann trat er einen Schritt näher an Seto ran, sodass sich ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt befanden, und sagte: „Ja, Seto. Ich war mir in meinem ganzen Leben noch nie so sicher wie jetzt.“

 

Und dann, ganz plötzlich, wurde Seto von seinen Gefühlen übermannt. Er riss Joey in eine feste Umarmung, sodass diesem fast die Schatulle aus den Händen fiel, aber er schaffte es wohl gerade noch so, sie vor dem Fallen zu bewahren. Seto versuchte es erst gar nicht, gegen die Tränen anzukommen, denn er wusste, es wäre aussichtslos. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so positiv-emotional gewesen zu sein. Es war das pure Glück, das ihm in diesem Moment durch die Adern strömte und ihn am ganzen Körper zittern ließ.

 

Für einige Augenblicke standen sie eng umschlungen da, bis sich Seto wieder ein wenig von ihm löste. Er legte eine Hand sanft auf Joeys Wange, dessen Gesicht vom Feuerwerk bunt beleuchtet wurde, und die vielen verschiedenen Farben spiegelten sich in dessen Augen. Er strich ihm ein paar Tränen von den Wangen, war ihm so nah, dass er Joeys Atem schon auf seinen Lippen spüren konnte. Und dann sagte er das, was die Stimme in seinem Kopf schon schrie, seit Joey ihm diese Frage gestellt hatte: „Ja, natürlich heirate ich dich. Ich liebe dich, mein Hündchen, und ich werde versuchen, dir jeden Tag vom Rest unseres Lebens zu beweisen, wie sehr.“

 

Als sich ihre Lippen trafen, hatte Seto das Gefühl, das Feuerwerk wäre lauter, noch bunter, noch knalliger geworden, so als ob es ihnen zujubeln würde. Das, was er jetzt gerade fühlte, hatte er so noch nie gefühlt und war mit Worten gar nicht zu beschreiben. So oft im Leben hatte er sich gefragt, was Liebe ist, wie sich das anfühlen müsste. Ob so etwas wie Liebe überhaupt existierte oder ob es nur ein abstraktes Konzept war, das für ihn einfach nicht galt, auch wenn das, was er für Mokuba empfand, sicherlich auch mit dem Wort ‚Liebe‘ beschrieben werden konnte. Aber es war doch so anders als das, wonach er gesucht hatte und die Hoffnung schon verloren geglaubt hatte, es jemals zu finden.

 

Doch seine Suche endete hier. Denn jetzt wusste er es. Liebe war ein Gefühl, das so übermächtig war, dass man nicht dagegen ankam. Liebe war das Wissen, zuhause zu sein. Liebe war das Gefühl, dass es jemanden gab, der einen akzeptierte, wie man war, mit all seinen Stärken und Schwächen. Liebe war das Herzklopfen und die Schmetterlinge, die er so oft fühlte, dass er das Gefühl hatte zu platzen. Liebe war wie ein leiser Rhythmus, ein Ohrwurm, der ihn begleitete, in jeder Sekunde, ob er nun wach war oder schlief. 

 

Liebe war Joey. 

 

Und als sie sich gegenseitig die Ringe ansteckten, da wusste er, wo immer Joey auch sein würde – dort wäre er auch. Denn nirgendwo sonst würde er lieber sein wollen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Ryosae
2021-04-05T08:29:39+00:00 05.04.2021 10:29
Ich hab sooo eine Gänsehaut!
Evi du hast das so toll geschrieben! 😢

Joeys Mama hat ein richtig gutes Näschen und konnto somit endlich die Sturmwolken in seinem Kopf vertreiben. Wer hätre gedacht, dass der nächste Antrag von Joey kommt? 😄
Die Zwei sind füreinander bestimmt, jetzt hat es wirklich jeder begriffen!
Es war eine so romantische Idee, auf dem Dach, zu genau dem Zeitpunkt, wo sich sich das Jahr zuvor das erste Mal geküsst haben! Muss das Kapitel nochmal lesen 🥰

Das hier hätte auch als "runder" Happy End Abschluss zählen können. Freue mich darauf, wie du uns noch mehr bezaubern willst!!

LG
Ryo
Antwort von:  Evi1990
05.04.2021 13:18
Aaaaw vielen lieben Dank 😍😍😍 zwei Kapitel kommen noch, und für das letzte Kapitel hat eine Freundin von mir sogar ein Bild gemalt 😍 ich bin schon gespannt, was du sagst, bis Mittwoch 🥰❤️
Von:  empress_sissi
2021-04-02T20:46:04+00:00 02.04.2021 22:46
Das nenne ich mal eine gelungene Wende 😍 Nach dem ganzen Mist finden sie jetzt hoffentlich ihr großes Glück 💕 Joeys Worte waren so bewegend und romantisch!!! Gut gemacht Hündchen.
Antwort von:  Evi1990
02.04.2021 23:34
Ja, das Drama hat endlich ein Ende :D Auf geht's in Richtung Happy Ende <3
Von:  Onlyknow3
2021-03-31T17:06:01+00:00 31.03.2021 19:06
Was für eine Überraschung für Seto, und Joey hat das wunderbar geplant. Seto hat damit nicht gerechnet, toll wie Joey das gemacht hat. Was kommt nocht, ein Zeitsprung mit der Hochzeit am ende. Mehr von den beiden, mach weiter die Geschichte sollte noch lange nicht enden. Weiter so, freu mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Antwort von:  Evi1990
31.03.2021 19:40
Leider wird es nurnoch 2 Kapitel geben :( dann kommen nur noch ein Epilog und ein Nachwort. Ich habe super viele Ideen für eine Fortsetzung oder andere, auch längere Puppyshipping Geschichten. Dazu sage ich dann was in meinem Nachwort :) danke fürs Dranbleiben ❤️


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