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Green Rain

von

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Ankunft

Ohne zu zögern huschte ich durch die unscheinbare Seitentür, auf der in roten Buchstaben 'Kein Zutritt' stand. Mindestens so leise wie er sie geöffnet hatte, schloss Bakura sie wieder. Mein Herz schlug unruhig, als ich ihm dabei zuschaute. Er war mein bester Freund. Seit dem Tag, als ich an diese Schule gekommen war, hatten wir uns bestens verstanden und waren schnell unzertrennlich geworden. Dabei war der Junge eigentlich niemand, mit dem man allzu viel Zeit verbringen sollte. Er verleitete einen dazu, Schulstunden zu schwänzen und sich in Räume wie diesen hier zu schleichen. Schon seit einem Jahr, seitdem Bakura aufgefallen war, dass das Schloss der Seitentür zu diesem Geräteraum defekt war und sich anscheinend niemand um eine Reparatur bemühte, war dies unser geheimer Treffpunkt für wann immer wir eine Schulstunde schwänzten. Und manchmal auch für die Pausen. Ich war nicht unbedingt ein Musterschüler, doch eigentlich hielt ich mich an Regeln. Der einzige Grund, warum ich sie immer wieder brach stand gerade vor mir. Ohne es zu wollen hatte ich mich in meinen Kumpel verknallt. Natürlich wusste er nichts davon, doch immer öfter spielte ich mit dem Gedanken, es ihm zu sagen. Ich wollte und konnte dieses Geheimnis nicht länger mit mir herumtragen. Zu groß war aber die Angst, dass unsere Freundschaft damit enden würde. Bakura verhielt sich nie seltsam mir gegenüber und er war jemand, der sich sonst nahm, was er wollte. Etwas zu auffällig ließ ich meinen Blick über sein schneeweißes, langes Haar, seine schlanke Gestalt und die dunkelbraunen Augen schweifen.

„Was ist?“ Bakura grinste mich an, während er die Jacke seiner Schuluniform auszog und achtlos auf den Boden fallen ließ. Ohne meine Antwort abzuwarten ging er zu den Sportgeräten, die den halben Raum einnahmen und setzte sich wie immer auf den Turnbock. Durch die kleinen Fenster knapp unter der Decke kam nur wenig Licht in den staubigen Raum.

„Ich hab nur darüber nachgedacht, dass wir nicht ganz so oft schwänzen sollten“, log ich und folgte ihm.

„Wieso?“

„Das werden alles unentschuldigte Fehlstunden.“

„Seit wann interessiert dich das denn?“

„Du hast keine große Schwester, die dir die Hölle heiß macht, wenn sie dein Zeugnis sieht.“ Falls vorher nicht schon ein blauer Brief in ihre Hände gelangte. Bis jetzt war ich bei den Lehrern immer gut mit der Ausrede, dass ich mich schlecht gefühlt hatte, durchgekommen. Allerdings befürchtete ich wirklich, dass die Stunden dennoch auf meinem Zeugnis auftauchen würden.

„Warum kommst du dann immer mit hierher?“ Die Frage war mehr als berechtigt, immerhin zwang Bakura mich nicht. Vielmehr wollte ich einfach keine Gelegenheit, mit ihm alleine sein zu können, verpassen.

Bei mir zuhause waren meine Geschwister und Bakura lebte in einem Heim mit noch weniger Privatsphäre. Natürlich unternahmen wir oft etwas, doch in einer so großen Stadt war man nie wirklich alleine. Nicht dass wir dann irgendetwas anderes tun würden. Wieder einmal wurde mir meine Lage schmerzlich bewusst.

„Marik?“ Seine Frage riss mich aus meinen Gedanken

„Ähm...“ Innerhalb eines Wimpernschlags entschied ich mich dazu, diese Gelegenheit zu nutzen und ihm die Wahrheit zu sagen. Seit Tagen rang ich mit mir selbst, endlich diesen Schritt zu tun und schob es stattdessen nur vor mir her. Eine derart gute Vorlage würde ich so schnell vermutlich nicht mehr bekommen. „Weißt du, es ist so. Bakura, ich -“ Ich wurde jäh unterbrochen, als ein ohrenbetäubender Lärm losbrach. Der Feueralarm.

Sofort hatte ich vergessen, was ich gerade hatte sagen wollen. Mein bereits unruhig schlagendes Herz wechselte den Rhythmus. Nun war ich nicht einfach mehr nur aufgeregt, sondern vor allem ängstlich. Ohne darüber nachzudenken drehte ich mich zur Tür, durch die wir eben erst gekommen waren.

„Hey, wo willst du hin?“

„Wie, wo will ich hin? Hörst du das nicht? Wir sollten rausgehen.“ Ich hatte mich wieder meinem Kumpel zugedreht und konnte sehen, wie er die Augen verdrehte.

„Warum?“

„Weil es brennen könnte?“, entgegnete ich in sarkastischem Tonfall.

„Das ist doch eh nur Probe. Und selbst wenn, im Flur ist der nächste Notausgang.“ Er nickte zu der Tür, vor der ich gerade stand. Ich wusste, dass sich keine zehn Meter dahinter ein Notausgang befand. Trotz allem fühlte ich mich nicht wohl mit dem Gedanken, hier drinnen zu bleiben. Vor allem nicht, als ich auf einmal noch andere Sirenen hörte.

„Und wie erklärst du dir dieses Geräusch?“ Es waren nicht die Sirenen eines Feuerwehrwagens. Um ehrlich zu sein hatte ich so etwas noch nie gehört. Erneut steuerte ich die Tür an und wurde plötzlich am Arm festgehalten.

„Jetzt warte doch mal.“ Überraschend schnell war Bakura aufgestanden und zu mir gekommen. Obwohl ich mich hätte ärgern sollen, freute mich der plötzliche Körperkontakt.

„Ich hab keinen Bock, wegen so was Ärger zu bekommen“, ging ich ihn dennoch an.

„Wieso solltest du Ärger bekommen? Die kommen gleich eh wieder rein. Und wenn doch was ist, können wir immer noch raus.“

„Und was ist das für ein Alarm? Hast du den schon mal gehört?“ Wäre es bei dem schuleigenen Feueralarm geblieben, wäre ich vermutlich wirklich mit Bakura hier geblieben. So aber schien doch etwas ernstes zu sein.

„Lass uns do-“ Mehrere Schreie waren zu hören und brachten sogar den Weißhaarigen zum Stocken. „Komm mit.“ Für einen Schritt zog er mich hinter sich her, ehe er losließ und zu den Fenstern eilte. Schnell hatten wir einen Wagen mit Medizinbällen darunter geschoben und uns darauf gestellt. Bakura war nicht nur größer, sondern auch deutlich geschickter, so dass er vor mir einen Blick nach draußen erhaschte. „Was...?“ Sein verwirrtes Wort ließ mich nur noch nervöser werden, bis auch ich endlich durch das schmutzige Glas schauen konnte.
 

Ungläubig schaute ich durch das kleine Fenster. Der Himmel war grün und hüllte alles in einen ebenso grünen Schein. So etwas hatte ich noch nie gesehen.

„Was ist das?“

„Vermutlich der Grund für diesen ganzen Aufruhr.“ Auch wenn Bakura damit Recht haben mochte, war es nicht die Antwort, die ich erhofft hatte.

„Sind es Sturmsirenen?“ Ich hatte noch nie einen Sturm der eine Sirene benötigt hätte miterlebt. Allerdings hatte ich auch noch nie einen derart unheimlichen Himmel gesehen. Unmöglich konnte ich meinen Blick von diesem grünen Anblick losreißen.

„Gut möglich“, entgegnete mein Kumpel, der sich genauso den Kopf darüber zu zerbrechen schien.

„Warum dann der Feueralarm?“ Mir war klar, dass Bakura es genauso wenig wusste wie ich, trotzdem musste ich diese Frage einfach loswerden. Gerade wenn ein Sturm aufzog, sollte man doch drinnen bleiben. Und ich war mir sicher, dass die Schule mehr als nur einen Alarm hatte. Im Augenwinkel sah ich, wie Bakura mir einen Blick zuwarf.

„Was weiß ich. Aber ist doch super, dann brennt es zumindest nicht.“ Nun löste auch ich meinen Blick von der Scheibe.

„Sollten wir nicht doch rausgehen? Vielleicht sind wir hier nicht sicher.“ Ich wollte wirklich keine Heulsuse sein, doch das alles war mir nicht geheuer. Erst der Feueralarm und dann noch die Sirene der Stadt, während der Himmel so aussah, als würde die Welt untergehen. Ich wollte einfach nur wissen, was vor sich ging. Wenn wir hier aber alleine herumsaßen, würden wir nichts erfahren. Ich hatte unbestreitbar Angst und daran änderte auch Bakuras Anwesenheit nichts. Einige Sekunden schauten wir uns in die Augen, ehe der andere seufzte.

„Entspann dich doch mal. Was soll schon passieren?“

„Und was waren das für Schreie eben?“ Nun war ich wirklich verärgert. Natürlich hätte ich einfach gehen können, aber ich wollte dass Bakura mitkam. Dieser hob nur seinen Finger und deutete durch das Fenster auf den Parkplatz, der sich in etwas Entfernung hinter der Turnhalle befand.

„Schau. Alle sind da. Mach dir keinen Kopf.“ Auf der Fläche fanden sich langsam alle Schüler ein. Einerseits beruhigte mich dieser Anblick, andererseits heftete sich mein Blick wieder ans Fenster.
 

Letztendlich waren wir geblieben, hatten die Schüler- und Lehrerschaft dabei beobachtet, wie sie sich in ihren Gruppen zusammengefunden hatten. Dabei war mir nicht entgangen, wie immer wieder unruhige Blicke zum Himmel geworfen wurden. Mehr als verständlich, immerhin war ich mir sicher, dass noch nie jemand einen solchen Himmel gesehen hatte. Noch immer war ich nervös und der ohrenbetäubende Lärm des Alarms, der einfach nicht enden wollte, machte es nicht besser.

„Siehst du?“ Bakuras plötzliche Worte ließen mich leicht zusammenzucken. „Ob es nun ein Sturm ist oder nicht. Sie sind jetzt diejenigen, die nass werden.“ Es fing an zu regnen. Ich rechnete beinahe damit, dass auch die Tropfen grün wären und den Boden schnell mit einer farbigen Schicht bedecken würden. Jedoch konnte ich auch nach einigen Minuten keinen Unterschied ausmachen.

„Wieso kommen sie nicht rein?“, wollte ich schließlich nervös wissen.

„Wenn es dich so unruhig macht, solltest du nicht hinschauen.“ Mit diesen Worten zog mich Bakura neben sich auf die Bälle unter uns. Verärgert schaute ich ihn an, während ich mich vergeblich aus seinem Griff zu winden versuchte.

„Warum bist du so sorglos? Dass kann dir doch nicht egal sein?“ Für den Augenblick war es mir einerlei, dass wir nicht nur alleine, sondern uns auch derart nah waren.

„Ist es auch nicht. Ich hab es mir doch angeschaut.“ Endlich ließ er meinen Arm los und tippte mir stattdessen gegen die Stirn. „Marik, es ist ein Feueralarm. Du weißt doch wie es läuft. Wenn es keine Probe ist wird das Gebäude überprüft. Und wenn der Alarm ausgeschaltet ist dürfen sie wieder zurück. Bis dahin müssen sie im Regen stehen, während wir es hier schön trocken haben.“ Er warf mir ein schiefes Grinsen zu, was mich kaum beschwichtigte. „Ich wusste gar nicht, dass du so ein Angsthase bist“, begann er auf einmal zu scherzen.

„Bin ich nicht! Ich hab einfach nur etwas gesunden Menschenverstand.“

„Du meinst also ich bin ein Irrer?“ Sein Grinsen machte deutlich, dass er aus unserer Reiberei ein Spiel machen wollte. Mir wurde bewusst, dass ich ihn ziemlich angegangen hatte. Auch wenn mir sein Verhalten nicht gefiel, so war es trotzdem nicht in Ordnung von mir.

„Überrascht dich das?“, ging ich schließlich auf ihn ein. Kurz musterte mich der Junge, als müsse er über die Antwort nachdenken.

„Nein. Nicht wirklich.“ Ehe ich mich versah, hatte er mir durch die Haare gewuschelt.

„Bakura! Du weißt genau, dass du das nicht sollst.“ Sofort versuchte ich unter dem Lachen des anderen meine Frisur zu retten.

„Stimmt. Ich muss verrückt sein.“ Ich verdrehte die Augen ob seiner Antwort, musste letztendlich aber doch lächeln.

„Tut mir leid, dass ich etwas hysterisch geworden bin“, wurde ich wieder ernster. „Aber du musst mir zustimmen, dass das alles unheimlich ist.“ Zu meiner Überraschung nickte Bakura.

„Dieser Himmel ist wirklich untypisch. Ich frag mich, was es damit auf sich hat.“ Nachdem sich die Stimmung zwischen uns beruhigt hatte, stand der Junge wieder auf, um nach draußen zu schauen. Ich folgte seiner Bewegung wie von selbst.

„In den Nachrichten wurde nichts von Regen gesagt.“ Geschweige denn, von einem giftgrünen Himmel, der alles einzufärben schien. Als ich ihn dieses Mal anschaute, glaubte ich kurz ein dunkles Objekt erkennen zu können. Doch so sehr ich mich auch darauf konzentrierte, konnte ich nichts ungewöhnliches ausmachen.

Als der Alarm endlich stoppte, summten meine Ohren. Das Geräusch hatte mich wahnsinnig gemacht, doch mit seinem Ende fiel auch eine gewisse Unruhe von mir ab. Wie erwartet kehrten die Lehrer und Schüler zurück in das Gebäude. Die Sirenen der Stadt waren längst verstummt. Mit Ausnahme des ungewöhnlichen Himmels und des starken Regens, der den Tag plötzlich zur Nacht gemacht hatte, wirkte alles wieder normal.

„Na siehst du. Jetzt müssen sie nass Unterricht machen, während wir immer noch hier im Trockenen sitzen.“ Bakura grinste mich vielsagend an.

„Ja ja, ich hab's verstanden. Sorry, dass ich deine Worte angezweifelt hab.“ Der Junge lachte kurz und sprang dann von dem Wagen. Die Sache hatte sich damit für ihn erledigt, während ich wieder nach draußen blickte. Ich konnte einfach nicht anders, als mir den Kopf darüber zu zerbrechen. Irgendetwas musste es damit auf sich haben.
 

Nach dem Ende der Stunde waren wir zurück in unsere Klasse gegangen. Bakura wirkte gelassen wie immer, während es mir unmöglich war, mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Ich hatte gehofft, etwas von unseren Mitschülern in Erfahrung bringen zu können. So aufgeregt sie das Thema aber auch besprachen, so wenig wussten sie. Was auch immer da draußen vor sich gegangen war, sie hatten keine weiteren Informationen erhalten.

Es war die letzte Stunde, als die Dinge plötzlich merkwürdig zu werden begannen. Mitten im Unterricht, verstummte unsere Lehrerin auf einmal. Da ich nicht richtig zugehört hatte, bemerkte ich es erst nicht. Die Stille, die mit einem Mal herrschte, ließ mich letztendlich aber aufschauen. Die Frau stand einfach nur da und auch unsere Mitschüler regten sich nicht mehr. Bakura und ich blickten uns fragend an. Selbst wenn ich geflüstert hätte, hätte man mich bei der herrschenden Stille vermutlich gehört, weswegen ich meine Frage für mich behielt. Nach allem was heute passiert war, war diese Situation mehr als unheimlich. Bakuras Blick nach zu urteilen, hatte er ähnlich Gedanken.

Als sich unsere Lehrerin zu bewegen begann, schauten wir wieder nach vorne. Sie sprach noch immer nicht, drehte sich der Tür zu und verließ den Klassenraum. Als wäre dies ein geheimes Zeichen gewesen, standen plötzlich all unsere Mitschüler auf und folgten ihr aus dem Raum. Ich wagte es nicht mich zu rühren, auch wenn ich gerne wüsste, wo sie auf einmal alle hingingen.

„Was zur Hölle geht hier vor sich?“ Obwohl sich neben uns niemand mehr in dem Zimmer befand, flüsterte ich.

„Lass es uns rausfinden“, schlug Bakura vor und stand nun ebenfalls auf.

„Das hat bestimmt etwas mit dem Alarm zu tun“, mutmaßte ich laut.

„Werd nicht albern.“ Mir war klar, dass es dumm klang. Trotzdem hatte der Tag mit diesem Zwischenfall begonnen, seltsam zu werden. „Sie gehen wieder raus“, teilte Bakura mit, der sich gegen das Fenster gelehnt hatte. Nun stand auch ich auf, um es mir ebenfalls anzuschauen.

Noch immer war alles in grün getaucht. Der Regen hatte erst vor wenigen Minuten nachgelassen, so dass noch alles nass war. Auch die Pfützen wirkten grün, doch ob sie es wirklich waren konnte ich auf die Entfernung nicht sagen. Etwas anderes war jedoch deutlich spannender. Nicht nur unsere Klasse war wieder nach draußen gegangen. Wie heute morgen schon versammelte sich auch dieses Mal die gesamte Schule auf dem Hof. Allesamt bewegten sie sich einheitlich, bis sie zum Stehen kamen. Sie wirkten beinahe wie hypnotisiert. Ich konnte eine Gänsehaut auf meinen Armen nicht vermeiden.

„Bakura?“ Ohne meine Augen von dem Schauspiel zu lösen, sprach ich den anderen an. Ich wollte einfach, dass er etwas machte. Egal was. Doch er gab nur ein Brummen von sich. „Was machen die da?“

„Sieht so aus, als ständen sie neben sich.“ Bakura wandte seinen Blick nicht von der Masse ab, während ich mich neben ihn gesellte. Einerseits war ich froh, dass er bei mir war. Andererseits fragte ich mich, ob es uns genauso ergehen würde, wenn wir nicht geschwänzt hätten und ebenfalls mit raus gegangen wären. „Heute Mittag muss irgendwas passiert sein.“

„Ach, jetzt auf einmal?“ Nun schaute er doch zu mir.

„Ich habe nie was anderes behauptet. Du wolltest doch raus rennen.“

„Also wusstest du es?“

„Was? Dass so was passiert? Sicher nicht. Aber das ist doch jetzt auch egal. Wir sollten schnellstmöglich herausfinden, was hier vor sich geht. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.“ Ich nickte nur zustimmend.

„Es hat bestimmt etwas mit diesem Himmel zu tun“, versuchte ich eine Erklärung zu finden. Er war mir bereits heute Mittag unheimlich gewesen.

„Mit großer Wahrscheinlichkeit“, stimmte Bakura mir zu.

„Kann es etwas im Regen gewesen sein?“ Schließlich war das das einzige, was uns entgangen war. An der Luft selbst konnte es nicht liegen. Bakura musterte mich kurz nachdenklich.

„Wenn wir nur wüssten, was diese Sirenen bedeutet haben.“ Dies konnte ich ihm genauso wenig beantworten. Stattdessen bemerkte ich etwas hinter der Scheibe.

„Bakura...“ Ich traute meinen Augen nicht, als ich etwas dunkles am Himmel sah. Es war mir heute Mittag schon einmal aufgefallen, doch jetzt war ich mir sicher. Zwischen den grünen Wolken schwebte etwas, was nun näher kam. Es war ein rundes Objekt, dessen Farbe ich nicht einmal benennen konnte. Es war eindeutig dunkel, schien das Licht um sich herum geradezu einzusaugen und dennoch hatte ich den Eindruck, dass es leuchtete. Würde ich an Aliens und dergleichen glauben, wäre das vermutlich der Augenblick gewesen, wo ich mich bestätigt gesehen hätte. So aber versuchte ich eine logische Erklärung für das alles zu finden.

„Ich sehe es auch“, versicherte mir der Junge. „Anscheinend haben wir die Ursache gerade gefunden.“ Tatsächlich schauten all die Schüler und Lehrer auf dem Schulhof wie hypnotisiert zu dem Objekt auf. Sie reagierten in keinster Weise darauf, was die gesamte Situation nur noch unheimlicher machte.

„Aber was ist es?“ Mittlerweile flüsterte ich, wohl aus Angst, entdeckt werden zu können.

„Marik?“

„Ja?“

„Halt die Klappe.“ Wir warfen uns einen kurzen Blick zu. Es war mehr als deutlich, dass ich ihn mit meinen Fragen nervte.

Tatsächlich sagte ich nichts weiter und schaute stattdessen schweigend dabei zu, wie sich plötzlich kleinere Ovale von der Kugel lösten und zur Erde schwebten. Je näher sie den Menschen dort kamen, desto länger wurden die mechanisch aussehenden Seile, die mit einem Mal aus ihnen zu wachsen begannen. Jedes von ihnen bohrte sich in einen Mensch und zog ihn zu dem gut drei Meter großen Oval. Gerade als ich meinen Blick in Schrecken abwenden wollte, packte mich Bakura am Arm und zog mich nach unten. Alarmiert schaute ich ihn an, er war mindestens so verwirrt und geschockt wie ich.

„Egal was da vor sich geht, wir sollten uns nicht erwischen lassen. Vielleicht haben wir Glück, weil wir nicht beeinflusst wurden.“ Ich nickte nur. Mir war selbst die Lust am Fragestellen vergangen. „Wir müssen jetzt ruhig bleiben, okay? Wenn das hier ein Angriff ist, dann müssen wir alles daran setzen zu überleben.“ Seine ruhige Stimme zusammen mit dem ernsten Blick sorgten tatsächlich dafür, dass ich mich etwas fasste.

„Aber wir wissen ja nicht einmal, womit wir es zu tun haben oder was es von uns will.“ Meine Stimme war überraschend ruhig. Vermutlich weil ich das gerade Gesehene nicht so recht glauben konnte.

„Anscheinend sammelt es Menschen ein.“ Bakura hatte sich wieder etwas aufgesetzt, so dass er nach draußen schauen konnte. Auch ich wagte es, mir erneut diesen Horror anzuschauen. Ich konnte unmöglich etwas verpassen, was uns möglicherweise wichtige Informationen brachte.

Sobald ein Oval mit all seinen Armen jeweils einen Menschen gepackt und an sich gerissen hatte, kehrte es zu der riesigen Kugel oben im Himmel zurück. Als wären sie nur kleine Schiffe, die ihre Beute ans Ziel brachten. Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass sie vermutlich genau das waren. Diese Dinger waren garantiert nicht von Menschenhand gebaut und auch nichts irdisches. So wenig mir der Gedanke auch gefiel, so wurde das Wort Aliens in meinem Kopf immer größer.

Verbündete

Es war ein Angriff.

Wir hatten lange dabei zugeschaut, wie die Menschen wie Blumen vom Boden gepflückt worden waren. Obwohl sie sahen, was mit den anderen geschah, startete niemand den Versuch zu fliehen. Sie mussten wirklich hypnotisiert worden sein. Doch dabei blieb es nicht. Nachdem noch kaum jemand übrig war, blieben die fliegenden Ovale plötzlich fern. Die wenigen Menschen setzten sich wieder in Bewegung. Mit einem Mal sahen sie vollkommen normal aus und doch wussten wir, dass sie es unmöglich sein konnten. Nach allem, was sie gerade miterlebt hatten, zeigten sie keinerlei Reaktion darauf. Stattdessen näherten sie sich den umliegenden Gebäuden.

„Schnell!“ Bakura sprang plötzlich auf und rannte los. Ich brauchte einen Moment, nach all der Zeit schnell aufzustehen und folgte ihm nur mit Mühe.

„Wo rennen wir hin?“, wollte ich wissen, während ich meinen Kumpel einholte.

„Denkst du ernsthaft die kommen hier rein, um weiter Unterricht zu machen? Alle die draußen waren sind in den Gebäuden verschwunden. Wenn es stattdessen diese fliegenden Dinger wären, bin ich mir sicher, dass sie nach weiteren Menschen suchen würden. Ich glaube, dass sie die Leute kontrollieren und sie womöglich diese Aufgabe erledigen lassen.“ Das klang durchaus logisch und ließ mir einen eisigen Schauer über den Rücken laufen. Konnten wir tatsächlich jeden Augenblick einen von denen über den Weg laufen? Und was würde dann passieren? Im nächsten Moment rannten wir um eine Ecke und ich erkannte wo wir waren. Ohne zu zögern, verschwanden wir hinter die Tür in den Geräteraum.

„Ist es hier sicher? Wenn sie nach Menschen suchen, dann werden sie sich kaum von einem Schild abhalten lassen“, brachte ich nach Luft schnappend hervor. Nicht nur befand sich die Sporthalle in einem anderen Teil des Gebäudes, so dass wir gerade eine ordentliche Strecke zurückgelegt hatten, auch lag sie im Erdgeschoss. Die Wahrscheinlichkeit, dass uns hier jemand über den Weg gelaufen wäre war deutlich größer. Obwohl noch nichts passiert war, stand ich bereits unter Adrenalin.

„Das nicht. Aber hier gibt es schwere Geräte, mit denen wir die Tür blockieren können.“ Und genau das taten wir auch.

Lange saßen wir auf dem Boden ohne etwas zu sagen und lauschten nach Geräuschen. Tatsächlich hatten wir hier und da Schritte gehört. Einmal ein Rütteln an der Tür, dass bei mir für Schweißausbrüche gesorgt hatte, letztendlich aber verstummt war. Von draußen jedoch war deutlich mehr zu hören. Selbst in dem Raum konnten wir immer wieder Schreie, Alarme und anderen Lärm vernehmen. Nachdem nach einer Weile endlich Ruhe eingekehrt war, wagte ich es, die Stille mit einem Flüstern zu durchbrechen.

„Ich frag mich, was da draußen vor sich geht. Ob nur unsere Stadt betroffen ist?“ Bakura schaute mich an, entgegnete aber nichts. „Wie es wohl meinen Geschwistern geht?“ Ich konnte nur hoffen, dass sie nicht nach draußen gegangen waren. Dass sie sich nun ebenfalls versteckten und wohlauf waren. Ich konnte und wollte mir gar nicht erst vorstellen, dass sie von diesen Dingern eingesammelt worden waren.

„Es wird schon dunkel“, merkte Bakura an. „Wir sollten uns überlegen, was wir jetzt machen.“ Die Hoffnung, dass das alles nur ein Missverständnis war, hatte ich längst aufgegeben. Nichts und niemand hätte mir weismachen können, dass diese menscheneinsammelnden Flugobjekte etwas unbedenkliches waren. Mir war längst klar, dass wir hier eingesperrt waren und heute nicht nach Hause gehen würden. Es vielleicht nie mehr tun würden. Kurz kam mir der Gedanke, dass das Leben, wie ich es kannte, wie wir alle es kannten, vorhin ein Ende gefunden hatte.

„Ich hab hunger“, brachte ich schließlich hervor, während ich mein Gesicht an meinen Knien vergrub. Nicht nur hatte ich hunger, auch war ich müde. Obwohl ich heute nicht viel gemacht hatte, war das alles sehr nervenaufreibend und anstrengend gewesen. Mit einer schnellen Bewegung stand Bakura auf und ging zum Fenster. Ich schaute ihm nur hinterher. Hatte er ernsthaft vor nach draußen zu gehen?

„Ist ja seltsam.“

„Was ist los?“, wollte ich sofort wissen und stand nun ebenfalls auf.

„Die stehen alle draußen rum.“

„Wie die stehen alle draußen rum?“

„So wie ich es sage. Schau's dir doch selbst an.“ Bakura trat einen Schritt zur Seite, um mir auf dem Wagen Platz zu machen. Ohne zu zögern kletterte ich neben ihn und warf einen Blick nach draußen. Es war dunkel und doch schien alles in einen grünlichen Schein gehüllt zu sein. Es dauerte einen Augenblick, ehe ich die dunklen Silhouetten ausmachen konnte, die reglos da draußen standen.

„Wie eigenartig“, merkte ich an. Das würde einerseits erklären, warum es seit einer Weile so ruhig war. Andererseits fragte ich mich, was sie da draußen taten. Es waren auch keine Flugobjekte zu sehen, die wieder irgendwelche Menschen einsammelten.

„Vielleicht schlafen sie“, vermutete Bakura. Das klang nicht wirklich sinnig, nach allem, was heute geschehen war. Doch es könnte uns einiges erleichtern.

„Was sollen wir jetzt machen?“ Fragend richtete ich meinen Blick auf Bakura. Dieser schaute zurück und mir wurde klar, wie dankbar ich für seine Anwesenheit war. Alleine könnte ich das alles mit Sicherheit nicht durchstehen. Kurz dachte ich daran, wie mein größtes Problem heute morgen noch gewesen war, diesem Jungen meine Liebe zu gestehen, während es nun um unser Überleben zu gehen schien.

„Vorräte sammeln.“ Entschlossen sprang Bakura zurück auf den Boden und schaute mich dann fragend an. „Kommst du mit?“ Es bereitete mir ein unwohles Gefühl, unsere Barrikade aufzulösen und diese Tür zu öffnen, ohne zu wissen, was uns dahinter erwartete. Trotzdem nickte ich.

Es dauerte nicht lange, ehe Bakura die Tür vorsichtig öffnete. Wir hatten uns jeweils mit einem Hockeyschläger bewaffnet. Möglichst ohne ein Geräusch zu verursachen schlüpften wir nach draußen und fanden uns auf einem dunklen Flur wieder. Ich war noch nie bei Nacht in der Schule gewesen und selbst ohne die gegebenen Umstände würde ich es unheimlich finden.

Ohne zu sprechen schlichen wir durch die düsteren Gänge, auf dem Weg zur Kantine, wo wir hoffentlich etwas essbares finden würden. Dabei achteten wir auf jedes noch so leise Geräusch. Gerade als wir im zweiten Stockwerk ankamen, hörte ich etwas. Augenblicklich ergriff ich Bakuras Arm, um ihn zurückzuhalten. Ich wagte es nicht, auch nur ein Wort über meine Lippen zu bringen und konnte nur hoffen, dass er es ebenfalls hörte. Er blieb neben mir stehen. Für einige Sekunden schien er zu lauschen. Es war eindeutig ein Geräusch, das nicht von dem Gebäude kam. Doch es war so gedämpft, dass ich es nicht so recht zuordnen konnte.

Bakura nahm meine Hand, mit der ich ihn noch immer festgehalten hatte, und zog mich mit sich. Anscheinend hatte er die Quelle des Geräusches ausfindig gemacht, zumindest wurde es immer lauter, je weiter wir gingen. Es machte mich nervös, dass wir es ansteuerten und ihm nicht einfach aus dem Weg gingen. Was sollten wir machen, wenn wir plötzlich einem anderen Menschen gegenüberstanden? Wer wusste schon, was diese manipulierten Leute taten, wenn sie einen in die Finger bekamen. Ich drückte leicht Bakuras Hand, als wir vor den Toiletten stehen blieben. Der schwache Schein der Laternen, der von draußen durch die Fenster fiel, ließ mich das Symbol auf der Tür erkennen. Wir standen vor der Mädchentoilette. Bakura lehnte sich zu mir, sein Mund keinen Zentimeter von meinem Ohr entfernt.

„Da weint jemand“, hauchte er geradezu, so dass es ganz gewiss niemand neben mir hören konnte. Dass sich darin jemand befinden musste, der gerade weinte war mir längst auch klar geworden. Die Frage war nur, wer es war und ob diese Person harmlos war.

„Und?“, entgegnete ich ebenso leise. Ich spürte, wie mich diese Nähe nervös zu machen begann und versuchte mich augenblicklich wieder zu beruhigen. Gerade hatten wir wirklich ganz andere Probleme, als meine Verknalltheit.

„Du hältst die Tür auf, ich geh rein“, teilte er mir seinen Plan mit. Also wollte er wirklich nachschauen gehen. Ich schüttelte nur den Kopf.

„Ich komm mit.“ Ich konnte ihn unmöglich alleine lassen. Wenn ihm etwas zustieß, dann wäre ich vollkommen alleine. Zu meiner Verwunderung nickte er nur und löste endlich unsere Hände voneinander. Dann öffnete er die Toilettentür möglichst leise.

Im Inneren des Raumes war es stockdunkel. Hier drinnen gab es keine Fenster. Nur Lampen, die wir unmöglich einschalten konnten. Dummerweise verursachte die Tür beim Öffnen ein Quietschen, was das Schluchzen augenblicklich verstummen ließ. Wir erstarrten in unseren Bewegungen. Die nächsten Sekunden war es totenstill. Derart still, dass meine Ohren zu dröhnen begannen. Wir tauschten einen kurzen Blick aus, auch wenn wir diesen in der Dunkelheit nicht deuten konnten.

„Ey!“ Bakuras laute Stimme ließ mich zusammenzucken. Seit Stunden war es das lauteste Geräusch, dass ich gehört hatte, so dass es beinahe schmerzhaft war. Was hatte dieser Wahnsinnige vor? „Wer ist hier?“ Er sprach laut, deutlich und mit einem drohenden Unterton. Ich konnte sehen, wie er seinen Schläger hob, während er auf die Toilettenkabinen zutrat, aus denen das Geräusch gekommen sein musste.

Noch immer stand ich in der Tür und hielt diese offen, damit zumindest etwas Licht in den Raum fiel. Unruhig schaute ich mich um, doch weder konnte ich eine Bewegung noch ein ungewöhnliches Geräusch ausmachen. Wer auch immer hier war, er versteckte sich vor uns. Versteckte sich möglicherweise noch jemand neben uns in der Schule? Kurz kam die Hoffnung in mir auf, dass wir doch nicht die einzigen normal gebliebenen waren. Mit einem gezielten Tritt traf Bakura die erste Kabinentür, die schwungvoll aufflog und dabei ordentlich Krach verursachte. Mehr als nervös schaute ich auf den Flur, da ich befürchtete, dass so welche von diesen manipulierten Leuten zu uns finden würden. Bakura richtete seinen Schläger in die Kabine, doch sie schien leer zu sein. Von meiner Position aus konnte ich nicht wirklich etwas erkennen.

„Verschwinde!“, schrie auf einmal eine Stimme, die eindeutig weiblich war. Sofort wandte sich Bakura der Kabinentür zu, aus der sie gekommen war. Bevor wir noch mehr Lärm verursachten, schloss ich die Tür und betätigte den Lichtschalter. Ob des plötzlichen Lichts, das den Raum flutete, kniff ich meine Augen zusammen. „Was willst du von mir? Ich hab dir nichts getan. Geh einfach weg!“ Das Mädchen war eindeutig hysterisch und klang keineswegs so, als wäre sie eine Gefahr. Mein Kumpel schaute mich kurz an, ehe er erneut sprach.

„Warum soll ich gehen? Was machst du hier?“ Noch immer hielt er den Hockeyschläger bereit.

„Ich fall nicht auf dich rein!“ Sie war derart aufgeregt, dass sie wieder zu schluchzen begann. Irritiert schaute ich Bakura an, ehe ich neben ihn trat. Mit einem Mal war ich mir ziemlich sicher, dass sie sich in einer ähnlichen Lage wie wir befand.

„Hey, bist du auch von dieser Schule?“, versuchte ich es vorsichtig, nachdem sie wieder etwas ruhiger geworden war. Ich bekam keine Antwort, weswegen ich weitersprach. „Warst du heute Mittag bei dem Alarm draußen?“

„Wer seid ihr? Was wollt ihr von mir?“ Noch immer schrie sie, obwohl ihre Stimme eindeutig zitterte. Ich fühlte mich mehr als schlecht, dafür verantwortlich zu sein, aber irgendwie mussten wir ihr doch helfen.

„Ähm, ich heiße Marik und mein Kumpel hier Bakura.“

„Marik“, unterbrach mich Bakura und warf mir einen fragenden Blick zu.

„Was denn? Denkst du sie ist eine Gefahr?“, flüsterte ich ihm zu, auch wenn ich mir sicher war, dass meine Worte deutlich zu hören waren. „Wir hatten den Alarm irgendwie verpasst und auf einmal waren alle weg. Wir haben uns hier in der Schule versteckt und wollten jetzt etwas zu essen suchen, als wir dich gehört haben“, erklärte ich dem Mädchen ruhig, in der Hoffnung, so sein Vertrauen zu erlangen.

„Ihr habt euch versteckt?“ Endlich sprach sie ruhig.

„Irgendwas komisches geht hier vor sich“, erwiderte ich.

„Wie wärs, wenn du rauskommst und wir normal reden?“, mischte sich Bakura ein.

„Woher soll ich wissen, ob ich euch vertrauen kann?“ Das Mädchen war definitiv misstrauisch. Ich fragte mich, was sie erlebt hatte.

„Wenn wir es wollten, dann hätten wir dich längst da rausgeholt.“

„Bakura“, beschwerte ich mich. Mit seinem Verhalten wirkte er mit Sicherheit nicht vertrauenswürdig auf das Mädchen.

„Was denn? Früher oder später muss sie eh rauskommen, außer sie will hier verhungern.“ Während ich ihn tadelnd anschaute, war auf einmal ein Klacken zu hören. Wir beide schauten zur Kabinentür, als diese sich zögerlich öffnete.

Zum Vorschein kam ein Mädchen mit zum Zopf gebundenem, violettem Haar. Ihre blauen Augen sahen verheult aus. Generell wirkte sie sehr verängstigt. Augenblicklich hatte ich Mitleid mit ihr, während ich meine Furcht und Vorsicht längst vergessen hatte. Bakura legte seinen Hockeyschläger über seinen Schultern ab. Anscheinend schätzte er die Situation ähnlich wie ich ein.

„Na geht doch.“ Einen Moment musterten wir uns gegenseitig. Während das Mädchen eine abwehrende Körperhaltung einnahm, dachte ich über angemessene Worte nach.

„Also, wie heißt du?“, fragte ich sie schließlich erst einmal nach ihrem Namen.

„Miho.“ Ich nickte knapp.

„Es ist schön, hier noch jemand normalen zu treffen.“ Das war es wirklich. Auch wenn es letztendlich nichts an der Gesamtsituation änderte. „Kannst du uns sagen, was heute Mittag passiert ist?“

„Bei dem Alarm?“, fragte sie nach, sprach dann aber weiter, ehe ich antworten konnte. „Wir sind alle rausgegangen. Die Lehrer wussten auch von nichts und wir dachten es würde wirklich brennen. Der Himmel war auch so komisch und dann gingen diese Sirenen los. Wir hatten gerade darüber geredet, was es damit auf sich haben könnte, als ich etwas am Himmel sah. Irgendwas großes und ich... ich weiß nicht, ich bin zurück zur Schule gerannt.“ Während sie sprach, wurde ihre Stimme immer ruhiger. Ich dachte sofort an die fliegenden Objekte, die bereits heute Mittag dagewesen sein mussten.

„Du hattest Schiss“, merkte Bakura wenig taktvoll an.

„Na und?“, ging Miho ihn an und wandte sich dann wieder mir zu. „Anzu ist mir hinterhergelaufen, um mich zurückzuholen. Während sie mich beruhigt hat, hat es angefangen zu regnen. Es war alles so seltsam, dass wir in der Eingangshalle gewartet haben, bis die anderen zurückkamen.“ Miho klang, als wäre es ihr unangenehm darüber zu reden, doch mich interessierte etwas ganz anderes.

„Wo ist diese Anzu jetzt?“ Wenn es wirklich am Regen gelegen hatte, dann musste sie auch noch normal sein. Zumindest wenn unsere Vermutung stimmte. Mihos betroffener Blick sprach Bände. Es war eindeutig, dass etwas geschehen war, was auch den momentanen Zustand des Mädchens erklärte. Sie senkte ihren Blick, während sie mit leiser Stimme weitersprach.

„Als alle wieder rausgegangen sind, wussten wir nicht was los ist und sind mitgegangen. Die anderen haben uns vollkommen ignoriert, als würden sie von jemand Fremden gesteuert werden. Wir sind nicht mit rausgegangen, weil wir ein schlechtes Gefühl hatten. Als dann diese Dinger kamen... Sie hatten einen nach dem anderen geschnappt. Unsere Freunde waren da und Anzu ist... sie ist...“ Miho brach in Tränen aus und ich musste an mich halten, sie nicht zu trösten. Ich war mir unsicher, ob es ihr recht wäre.

„Sie haben sie geschnappt?“, vermutete Bakura, als sie nicht weitersprach. Zu unserer Verwunderung schüttelte sie den Kopf. Kurz wischte sie sich über die Augen, ehe sie mit zitternder Stimme weiter erzählte.

„Anzu hatte einen Freund. Sie wollte ihn und auch die anderen von dort wegzerren, doch sie haben nicht reagiert. Ich... ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber sie hat ihn schließlich geküsst.“ Sie klang eindeutig schuldbewusst. Ich konnte mir denken, dass sie zu große Angst gehabt hatte, als dass sie ihrer Freundin geholfen hätte, sprach es aber nicht an. Glücklicherweise hielt auch Bakura seine Klappe. „Sie ist bei ihm geblieben und er wurde auch... verschont. Es waren nicht viele übrig, doch sie schienen auf einmal aus ihrer Trance erwacht. Sie reagierten auf einen, sprachen auch mit einem, aber es war unheimlich. Selbst Anzu war es zu viel. Wir sind abgehauen und haben uns versteckt.“ Mein fragender Blick bohrte sich geradezu in Miho. Meine Frage nach Anzus Verbleib war noch immer nicht beantwortet. „Wir hatten uns in einem Klassenzimmer eingesperrt, als Anzu... als sie...“ Erneut brach das Mädchen in Tränen aus und ich konnte in Bakuras Gesicht deutlich ablesen, dass er genervt war. Nun trat ich doch an das Mädchen heran und legte ihm eine Hand auf den Kopf. Augenblicklich stoppten ihre Tränen, während sie mich überrascht anschauten.

„Ist okay“, versuchte ich sie zu beruhigen. Sie schüttelte nur knapp den Kopf.

„Sie hat sich plötzlich verändert“, brachte sie schließlich hervor. „Sie wurde so wie die anderen und wollte mich angreifen. Sie hat davon gesprochen, dass sie mir helfen wollte, doch sie klang nicht wie sie selbst. Ich bin weggerannt und habe mich hier versteckt.“ Miho atmete hörbar aus und machte damit deutlich, dass sie fertig war. Fragend schaute ich zu Bakura, der nachdenklich aussah.

„Wie seltsam. Sie war nicht im Regen. Sie hat sich auch erst später verändert“, fasste er mehr an sich gewandt zusammen.

„Sie hatte Kontakt mit ihnen“, merkte ich an, während ich meine Hand wieder zurückzog.

„Was soll das heißen?“, wollte Miho wissen, die sich nur langsam wieder beruhigte.

„Irgendwas muss es ausgelöst haben. Am Himmel fliegen irgendwelche Objekte rum und er ist unnatürlich grün. Der Regen heute Mittag kam so plötzlich, dass es möglicherweise etwas damit zu tun hat. Vielleicht war etwas darin, was dieses Verhalten ausgelöst hat.“ Ich nickte auf Bakuras Worte zustimmend.

„Aber danach war doch ganz normal Unterricht.“

„Vielleicht musste es erst wirken, oder so?“, schlug ich vor.

„Und... Anzu?“

„Wir wissen nicht, was es ist. Wenn sie ihren Freund geküsst hat, hat sie es sich vielleicht auch eingefangen. Wollte deine Freundin dich vielleicht beißen oder so als sie dich angegriffen hat?“, wandte sich Bakura an das Mädchen, welches nach kurzem Überlegen leicht nickte.

„Zombies?“, rutschte es mir heraus, ehe ich darüber nachdenken konnte.

„Aus dem All?“ Bakura schüttelte den Kopf. „Aber vielleicht etwas ähnliches.“

„Also sollten wir vorerst Regen und Bisse vermeiden.“ Meine Worte klangen dämlich, doch ich wollte irgendetwas sagen, um irgendwie mit all dem umgehen zu können. Es war alles so unwirklich.

„Klingt gut.“
 

Nachdem wir noch etwas in der Räumlichkeit geblieben waren, uns gesammelt und unsere natürlichen Bedürfnisse erfüllt hatten, hatten wir uns zusammen mit Miho wieder auf den Weg zu unserem eigentlichen Ziel gemacht. An der Kantine angekommen mussten wir feststellen, dass die Tür sperrangelweit offen stand. Wir schauten uns an, auch wenn wir unsere Blicke in der Dunkelheit nicht deuten konnten. Mit den Hockeyschlägern in der Hand gingen Bakura und ich schließlich vor. Miho schloss die Tür hinter uns, doch hier gab es keinen Lichtschalter, den man einfach betätigen konnte. Durch die großen Fenster fiel zwar etwas Licht von draußen, doch es reichte bei weitem nicht, um sehen zu können, was sich in den Ecken des großen Raumes verbarg. Auch wenn neben unseren Schritten kein Geräusch zu hören war, so war ich doch mehr als angespannt. Bakura ging voran, anscheinend genau wissend, wo er hinwollte. Zu gerne hätte ich ihn gefragt, was er vorhatte.

Die Küchentür stand genauso weit offen. Kaum hatten wir sie betreten, wurden wir plötzlich von gleißendem Licht geblendet.

„Bakura, verdammt!“, fluchte ich, während ich den Arm vor meine Augen hob, um zumindest etwas sehen zu können.

„Das Gebäude ist leer“, merkte er an und steuerte einen großen Kühlschrank an.

„Wie kommst du darauf?“ Wie angewurzelt blieb ich in der Tür stehen, während ich den Schläger noch immer fest umklammerte.

„Wir haben doch gesehen, dass sie alle draußen stehen und nichts tun. Wenn hier drinnen welche wären, hätten wir ihnen längst begegnen müssen.“

„Wieso sollten sie das tun?“, fragte Miho, nachdem sie zu meiner Erleichterung auch die Küchentür hinter uns geschlossen hatte.

„Wieso sollten sie wie Zombies durch die Gegend laufen und Leute angreifen?“, stellte Bakura eine Gegenfrage, um deutlich zu machen, dass nichts davon Sinn machte. „Vielleicht ist es eine Art Ruhezustand oder sowas.“

„Oder es ist schon vorbei“, wagte ich es optimistisch zu sein.

„Das werden wir morgen früh dann sehen.“ Bakura hatte seinen Schläger neben dem Kühlschrank an die Wand gelehnt und damit begonnen, das Gerät zu durchwühlen. Auch ich machte mich sogleich daran, in den Schränke nach was brauchbarem zu suchen.

Wir waren eine Weile zu Gange und sammelten alles Essbare in einem großen Topf. Da wir uns einig waren, dass das Chaos, das wir dabei verursachten niemanden mehr stören würde, gaben wir uns erst gar keine Mühe, die Küche ordentlich zu hinterlassen. Als Miho plötzlich einen Wasserhahn aufdrehte, schauten wir sie beide an.

„Was hast du vor?“ Bakuras Frage ließ das Mädchen innehalten und fragend aufschauen.

„Ich hab Durst“, erklärte sie. Nachdem sie es sagte, spürte auch ich, wie trocken mein Mund bereits war. Den halben Tag hatten wir in dem Geräteraum gesessen, ohne eine Möglichkeit zu haben, etwas zu trinken.

„Und du denkst, das ist eine gute Idee?“ Nun schaute auch ich fragend zu meinem Kumpel.

„Sollen wir verdursten, oder was?“

„Weißt du, wo das Wasser herkommt?“, wandte er sich nun an mich. Doch ich konnte nur mit den Schultern zucken. Seit wann hatte Bakura Probleme damit, Leitungswasser zu trinken? „Ich auch nicht. Ich weiß aber sehr wohl, dass Regen in die Erde einsickert und letztendlich auch in den Wasserkreislauf kommt. Vermutlich wird nichts passieren, aber ich würde es an deiner Stelle nicht trinken.“ Er schaute wieder Miho an, die den Hahn augenblicklich abdrehte.

„Dann hoffen wir mal, dass die hier irgendwo noch Getränke rumstehen haben.“ Seine Worte hatten genügt, dass auch ich es nicht mehr trinken wollte. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit gegen null ging, so würde ich dieses Risiko gewiss nicht eingehen.

„Wenn nicht plündern wir die Getränkeautomaten.“
 

Mit unserer reichen Beute hatten wir uns auf de Rückweg gemacht. Miho und ich trugen einen der großen Töpfe gefüllt mit Lebensmitteln, während Bakura einen Kasten mit Getränken schleppten. Unsere Schläger hatten wir unter die Arme geklemmt und ich konnte nur hoffen, dass Bakuras Annahme stimmte und sich in der Schule wirklich niemand befand. Nach wie vor versuchten wir jegliche Geräusche zu vermeiden, dennoch waren wir nicht ansatzweise so leise unterwegs, wie vorhin. Mit jedem Meter wurde ich nervöser, während sich der Weg wie Kaugummi zu ziehen schien. Wäre ich nicht schon so oft durch diese Gänge gelaufen, dass ich sie bereits blind kannte, hätte ich gedacht, dass wir uns verlaufen hatten.

Gerade als wir in den Gang zur Turnhalle einbogen, fiel plötzlich irgendwo im Gebäude eine Tür zu. Sofort erstarrten wir und lauschten in die folgende Stille.

„Meintest du nicht, die Schule wäre leer?“, wagte ich zu hauchen, um so das Dröhnen in meinen Ohren zu lindern. Was auch immer das Geräusch verursacht hatte, es folgten keine Schritte. Zumindest nicht in unserer Nähe.

„Bestimmt nur der Wind.“ Ich war mir nicht sicher, ob Bakuras Antwort ernst gemeint war, doch er ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen. „Lasst uns schnell von hier verschwinden. Wir sind gleich da.“

Ohne uns weiterhin Mühe zu geben, möglichst leise zu sein, rannten wir die letzten Meter. In unserem Versteck angekommen verbarrikadierten wir die Tür wieder hinter uns, während ich mit dem Gedanken spielte, das Licht einzuschalten. Dank der kleinen Fenster war es hier drinnen noch dunkler, als im restlichen Gebäude. Ein große Unruhe machte sich in mir breit bei dem Gedanken, dass das Geräusch von eben von dieser Tür gekommen war und sich noch jemand hier drinnen befand.

„Sollen wir das Licht anmachen“, fragte ich schließlich flüsternd.

„Nein“, entgegnete Bakura entschieden, während er sich eine der Flaschen aufmachte und trank.

„Dann wissen sie, dass wir hier sind.“ Mihos Worte mochten stimmen, doch ich fragte mich, ob das noch einen großen Unterschied machte.

„Hast du plötzlich Angst im Dunkeln?“, zog mich Bakura auf, während er mir die Flasche entgegenstreckte. Ich nahm sie an und fragte mich, wie er nach allem noch so gelassen sein konnte.

„Ich würde mich einfach wohler fühlen“, entgegnete ich, ehe ich ebenfalls trank.

Die Fremden

Die Nacht hatte ich kaum geschlafen. Es hatte keine nennenswerten Zwischenfälle gegeben, dennoch war ich nicht zur Ruhe gekommen. Als die ersten Sonnenstrahlen durch die kleinen Fenster fielen, blinzelte ich verschlafen zu ihnen. Ich musste eingenickt sein und stellte im nächsten Moment fest, dass ich neben Bakura saß und mein Kopf auf seiner Schulter lag, während ihm seiner auf die Brust gefallen war. Ich erinnerte mich daran, dass ich mich irgendwann zu ihm gesetzt hatte, einfach um mich wohler zu fühlen. Dass ich letztendlich so eingeschlafen war, ließ mein Herz etwas schneller schlagen. Ich wagte es nicht, mich auch nur einen Millimeter zu rühren, während ich die Gelegenheit nutzte, um Bakuras Geruch einzuatmen. Wieder einmal wurde mir schmerzlich bewusst, wie hoffnungslos verknallt ich war, während ich mich gleichzeitig in der momentanen Situation wiederfand. Als wäre mein Leben nicht bereits kompliziert genug gewesen. Doch war das alles überhaupt noch relevant? Spielte nicht unser Überleben eine weitaus wichtigere Rolle, als meine dummen Gefühle, die ich überhaupt nicht haben sollte? In Gedanken schmiegte ich mich näher an meinen Kumpel, was diesen anscheinend aufwachen ließ. Mit einem Murren begann er sich zu regen.

„Tsch... Verdammt“, brachte er hervor, als er seinen Kopf hob. Ich konnte mir nur vorstellen, wie steif sein Hals nach dieser Schlafposition sein musste. Während Bakura langsam wach wurde, startete ich gar nicht erst den Versuch, mich zurückzuziehen. Es würde die Situation vermutlich nur noch seltsamer machen. Außerdem hatte ich ihm sowieso meine Gefühle gestehen wollen. Selbst jetzt noch wollte ich mich nicht weiter verstecken müssen.

„Morgen“, begrüßte ich ihn, nachdem er endlich seinen Blick auf mich richtete. Die Müdigkeit in seinen braunen Augen war deutlich zu sehen und ließ mich lächeln.

„Hey.“ Er klang mindestens so erschöpft, wie ich mich fühlte. „Wir hätten noch ein Bett aus dem Krankenzimmer holen sollen.“ Auch wenn ich wusste, dass er scherzte, konnte ich nur seufzen. Nun löste ich mich doch von ihm und streckte mich ausgiebig. Gestern war alles so plötzlich gekommen und unwirklich gewesen. Nachdem nun aber eine, wenn auch nicht sonderlich erholsame Nacht vergangen war, begann die Realität langsam in meinem Kopf anzukommen. So surreal sie auch wirken mochte. „Warst du schon schaun?“, fragte Bakura mit einem kurzen Nicken zum Fenster nach, worauf ich mit dem Kopf schüttelte.

„Ich bin auch gerade erst wach geworden, aber -“

Ein mehr als lautes Hämmern gegen die Tür unterbrach mich nicht nur, sondern ließ uns auch aufspringen. Miho, die sich in einer Ecke des Raumes auf dem Boden eingerollt hatte, wachte mit erschrockenem Blick auf. Keiner von uns wagte es etwas zu sagen, oder sich zu regen, während das Klopfen und das Rütteln immer energischer wurde.

„Wir wissen, dass ihr da drin seid.“ Mit einem Schlag hatte der Lärm geendet und die Stimme eines Mannes war zu hören. Sie klang normal und doch jagte sie mir einen Schauer über den Rücken. Uns allen durfte klar sein, dass die Person hinter dieser Tür nichts Gutes im Sinn hatte. Dass sie aber wirklich normal sprechen konnten, schockierte mich. „Der Zutritt zu diesem Raum ist verboten. Kommt raus, bevor ihr wirklich Ärger bekommt.“

Miho presste sich die Hände auf die Ohren, während ich auf einmal zu zweifeln begann. Ich war drauf und dran etwas zu erwidern, als Bakura mich an der Schulter griff. Sein Blick sagte alles. Er kannte mich gut genug, um meine Absichten zu erkennen. Und ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er mich mit seinem Blick warnte. Wir blieben stumm und der Lärm begann wieder. Spätestens als die vor der Tür gestapelten Schränke, Wägen und Sportgeräte einen Ruck taten, setzten wir uns in Bewegung. Zu Zweit übten wir Gegendruck aus, um zu verhindern, dass die Tür geöffnet wurde. Mein Herz raste, während ich sämtliche Szenarien durchging, die uns erwarten könnten, wenn dieses Wesen dieses Hindernis überwand.

Ich wusste nicht, wie lange wir gegen die Tür gestemmt dagestanden hatten, doch es hatte sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Eine furchtbar angsteinflößende Ewigkeit. Als der Lärm mit einem Mal stoppte, schaute ich fragend zu Bakura. Wir beide pressten uns weiterhin gegen unseren einzigen Schutz gegen diese Gefahr, ungewillt nachzugeben. Erst nachdem es eine Weile ruhig blieb konnte ich glauben, dass es tatsächlich aufgehört hatte. So recht entspannen wollte und konnte ich mich dennoch nicht. Mein Körper war voller Adrenalin.

„Es wird wiederkommen“, schluchzte Miho aus ihrer Ecke, die sie die ganze Zeit über nicht verlassen hatte. Sie war keine große Hilfe, doch ich war froh, dass es mir nicht so erging. Nach dem ersten Schock gestern hatte ich mich nun auf die Situation eingestellt, oder glaubte dies zumindest. Auf jeden Fall würde ich nicht kampflos aufgeben. Umso tadelnder schaute ich nun Miho an, die sich keinerlei Mühe gab, leise zu sein. Endlich hatte, wer auch immer da draußen war, aufgehört hier rein zu wollen. Mit solchen Geräuschen würde er möglicherweise wieder anfangen.

„Sie wissen, dass wir hier sind“, merkte Bakura an und ging damit ungewollt auf meine Gedanken ein.

„Aber woher?“ Bis eben hatten wir geschlafen und keinerlei Geräusche von uns gegeben. Bakura und ich hatten uns unterhalten, aber nicht so laut und lang, dass es großartig jemanden anlocken konnte. Diese Person hätte sich bereits vor der Tür befinden müssen, um uns zu hören. Warum sollten sie ein Gebäude durchsuchen, das bereits gestern vermeintlich leer gewesen war.

„Ich befürchte, dass es eine ganze Menge an Dingen gibt, die wir nicht in Erfahrung bringen werden“, entgegnete Bakura und hatte damit leider Recht. Im Endeffekt wussten wir gar nichts und stellten nur Vermutungen an. „Wichtiger ist, dass wir überleben. Sie scheinen nicht hier reinzukommen und das ist die Hauptsache.“

„Vorerst“, ergänzte ich. Wir konnten nicht ewig hierbleiben. Vor allem nicht, wenn sie begannen, uns zu belagern. Spätestens wenn unsere Vorräte aufgebraucht waren, mussten wir gehen.

„Ist nur die Frage, wie klug sie sind“, brachte Miho mit zitternder Stimme hervor. Fragend schauten wir zu ihr und sie deutete nur auf die großen Rolltore, die zur Sporthalle führten. Unweigerlich musste ich schlucken. So sicher ich mich eben noch gefühlt hatte, so ungeschützt wirkte dieser Raum auf einmal. Niemand sagte mehr etwas dazu, doch wir konnten nur hoffen, dass sich niemand mit einem Schlüssel zur Sporthalle in diesem Gebäude befand.
 

Wir hatten den Tag über nicht viel gemacht. Hier und da waren Schritte vor der Tür zu hören gewesen. Es war beinahe so, als würden wir kontrolliert werden. Obwohl wir alle Hunger hatten, aßen wir nicht viel, um möglichst lange etwas davon zu haben. Die Nahrungsmittel, die wir in der Nacht gesammelt hatten, würden für ein paar Tage reichen, doch was war dann? Die meisten Sachen in der Küche waren zum Kochen gewesen, so dass es für uns keine Möglichkeit gab, diese zuzubereiten. Der Gedanke, die Schule letztendlich verlassen zu müssen, war mehr als beunruhigend.

Draußen hatte den ganzen Tag über die Sonne in einem grünen Licht geschienen. Das ein oder andere Mal hatten wir durch die Fenster einen Blick raus geworfen. Die Menschen dort standen nicht mehr reglos herum, sondern durchsuchten wie schon am Vortag sämtliche Gebäude. Mittlerweile waren es jedoch keine Schüler oder Lehrer mehr, sondern andere Personen, die aus der Umgebung sein mussten. Was auch immer sie beeinflusste oder vorantrieb, es schien keine Verbindung zwischen ihnen allen herzustellen. Sonst würden sie wohl kaum immer wieder Häuser durchsuchen, wo schon dutzende vor ihnen drin gewesen waren. Über den Tag hinweg hatten wir dies bei den Wohnhäusern hinter dem Parkplatz mehr als gut beobachten können. Gleichzeitig gab es mir aber Hoffnung, dass diese Person von heute morgen von hier verschwinden und wir wieder sicherer sein würden.

„Wir müssen doch irgendwas machen können“, murmelte ich irgendwann. Ich saß gegen die Wand gelehnt und hatte meinen Kopf auf meinen Knien abgelegt. Es war nur logisch, dass ich keine Lust hatte, hier einfach nur herumzusitzen. Wir wussten weder, wie es weiterging, noch was uns da draußen erwartete.

„Was willst du machen? Rausgehen?“ Bakura, der mitten im Raum saß, schaute mich zweifelnd an.

„Ich will zu meinen Geschwistern“, gestand ich ihm. Ich musste wissen, ob es ihnen gut ging. Genauso wenig wollte ich, dass sie sich Sorgen um mich machten.

„Wozu? Du wirst ihnen nicht helfen können.“ Ich warf Bakura einen bösen Blick zu.

„Ich würde auch gerne wissen, wie es meinen Eltern geht“, schloss sich Miho mir an. „Und ich will einfach bei ihnen sein.“ Ihr war deutlich anzusehen, wie sie das alles mitnahm. Generell wirkte das Mädchen sehr labil. Einerseits war es überaus nervig in unserer Situation, andererseits tat sie mir leid. Bakura musterte Miho nur ausdruckslos.

Im Gegensatz zu uns hatte er niemand, zu dem er konnte. Aber auch niemand, um den er sich sorgen musste. Mit Sicherheit hatte er aber genauso mit dieser Situation zu kämpfen, wie wir auch.

„Wenn wir hier rausmüssen, können wir immer noch zu ihnen“, wandte er sich schließlich an mich. Sein Blick machte dabei deutlich, dass ihm ein 'wenn sie noch da sind' auf der Zunge lag. Ich war ihm dankbar dafür, dass er es nicht aussprach.

„Wann müssen wir hier weg?“, fragte Miho nach. Den ganzen Tag über hatte sie sich nicht aus ihrer Ecke wegbewegt.

„Hoffentlich nicht allzu bald. Ich bin mir nicht sicher, wie weit wir draußen kommen.“ Kaum hatte er seinen Satz beendet, war ein Grollen von draußen zu hören. Wir alle schauten zum Fenster. Es war deutlich dunkler geworden.

„Regen?“ Nervös schaute ich den grünen Himmel an, den ich aus meiner Position sehen konnte. Ob es der gleiche Regen wie gestern war? Ob auch er diese Verhaltensänderung auslöste?

„Es ist die selbe Zeit“, stellte Bakura nach einigen Sekunden fest. Wir hatten hier keine Uhr, um es zu überprüfen und ehrlich gesagt hatte ich gedacht, dass es bereits später war. Aber genauso gut hätten mir die vergangenen Stunden nur wie solche vorkommen können.

„Machen die das?“ Miho schaute unsicher nach oben, auch wenn dort nur die Decke zu sehen war. Wir wussten, was sie damit meinte.

„Wahrscheinlich. Genauso wie den grünen Himmel.“ Bakura nickte knapp.

„Aber wozu? Alle die draußen sind, sind doch schon... befallen.“ Wir wussten noch immer nicht, wie wir es nennen sollten.

„Wer weiß, vielleicht hält diese Wirkung nur eine gewisse Zeit an.“ Miho klang hoffnungsvoll und auch auf mich übertrug sich dieses Gefühl.

„Oder es ist nur ein Nebeneffekt“, zerstörte Bakura diesen Optimismus sofort. „Vielleicht wollen sie auch sichergehen. Sie haben nicht alle eingesammelt, sondern lassen noch die Gebäude durchsuchen. Mit Sicherheit haben noch mehr überlebt und schlagen sich durch. Falls dieser Regen die gleiche Wirkung hat, haben sie jetzt ein Problem.“ Bei dem Gedanken lief mir ein Schauer über den Rücken. In der Hoffnung, Bakuras Theorie zu widerlegen und Mihos zu bestätigen, stand ich auf und ging zu dem Fenster.

„Draußen steht niemand“, stellte ich schließlich ernüchtert fest. Natürlich hatten wir kein großes Sichtfeld, doch die wenigen die ich herumlaufen sah, waren alle in Bewegung. Niemand stand im Regen, um diese unheimliche Wirkung zu verlängern.

„Lasst uns bis zur Nacht warten“, schlug Bakura vor, nachdem ich mich wieder umgedreht hatte. „Wenn sie nachts wirklich ruhen, dann haben wir gute Chancen uns durchzuschlagen. Wir müssen nur einige Vorkehrungen treffen.“ Ich wusste nicht, von welchen Vorkehrungen mein Kumpel sprach, doch wieder einmal war ich froh, dass ich bei ihm war. Er schien einen Plan zu haben und das beruhigte mich ungemein.

Wagnis

Die zweite Nacht hatte unsere Vermutung bestätigt. Wie gestern schon hatten sich mit Einbruch der Dunkelheit unzählige Gestalten draußen versammelt, wo sie reglos gestanden hatten. Zwar fragten wir uns, warum sie dieses Verhalten zeigten, doch wir beschwerten uns nicht. Ganz im Gegenteil hatten wir die Gelegenheit genutzt, uns etwas zu erweitern. Erneut hatten wir uns aus unserem Versteck gewagt. Dieses Mal hatte mein Herz noch wilder geschlagen, bei dem Gedanken an die Person, die Tagsüber auf den Gängen ihr Unwesen getrieben hatte. Doch die Gänge waren leer und das Gebäude still gewesen. Möglichst leise und schnell hatten wir uns daran gemacht, die Türen des Ganges mit allerlei Gegenständen aus den umliegenden Klassenräumen abzuriegeln, so dass wir uns auch am Tag sicher darin bewegen können sollten. Am wichtigsten aber war, dass wir nun eine Toilette zur Verfügung hatten.

Wir waren fast die ganze Nacht wach gewesen, immerhin hatten wir am Tag zur Genüge geruht. Dementsprechend müde war ich, als die Sonne schließlich aufging. Das grüne Licht drang durch die kleinen Fenster. Langsam aber sicher machte mich diese Farbe wahnsinnig. Ich saß an der Wand, hatte meinen Kopf an diese gelehnt und meine Augen geschlossen. Gerne hätte ich geschlafen, doch mit jeder Minute die verging, stieg die Nervosität in mir.

„Marik, steh auf“, forderte mich Bakura schließlich auf. Ich warf ihm nur einen ungnädigen Blick zu. Der Junge stand mitten im Geräteraum, während sich Miho an der Tür befand, die nicht verbarrikadiert war. „Wir müssen schauen, ob wir wirklich sicher sind. Falls sie reinkommen, müssen wir schnell handeln.“ Natürlich wusste ich, dass er Recht hatte und dass sie auch mich dafür benötigten, trotzdem dauerte es einige Sekunden, ehe ich wirklich aufstand.

Wir befanden uns im Erdgeschoss, doch der Teil des Flures, den wir abgesichert hatten, besaß keine Fenster, so dass es düster war. Gleichzeitig waren wir so aber vor Blicken von draußen geschützt. Anders sah es in den anliegenden Klassenräumen aus. Wir hatten die Türen offen gelassen, um zumindest etwas Tageslicht sehen zu können. Dummerweise waren die Zwischentüren, die wir für unsere Blockaden genutzt hatten, aus Glas. Wer auch immer davorstehen würde, würde uns sehen können. Wir waren uns nicht sicher, was dann geschah. Gestern war bereits deutlich geworden, dass sie eindeutig in der Lage dazu waren, gewalttätig zu werden. Sicherheitshalber platzierten wir uns so, dass wir die beiden Türen, die die einzigen Zugänge darstellten, zwar im Blick hatten, selbst aber nicht sofort entdeckt wurden. Miho war im Geräteraum geblieben, während Bakura die vordere Tür überwachte und ich die hintere. Ich saß in der Tür des anliegenden Klassenraums, so dass ich möglichst nicht sichtbar war. Hinter mir hatte ich zwei Tische umgelegt und aufeinander gestapelt, die mich vor möglichen Blicken von draußen verbargen. Für den Fall, dass sich tatsächlich jemand die Mühe machen sollte, einen Blick in die höherliegenden Fenster zu werfen. Nach wir vor wussten wir nicht, wie intelligent diese Menschen noch waren. Oder wie viel von ihrem menschlichen Dasein überhaupt noch in ihnen steckte.

Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis ich die ersten Bewegungen hinter dem Glas ausmachen konnte. Es waren zwei Frauen, die definitiv nicht zu dieser Schule gehörten. Sie verhielten sich vollkommen normal. Der einzige Grund, aus dem ich nicht anzweifelte, dass diese beiden hier waren um uns zu schaden war, dass sie nicht hierher gehörten. Vorsichtig um die Ecke schauend beobachtete ich sie dabei, wie sie versuchten die Tür zu öffnen. Kurz beschleunigte sich mein Herzschlag, doch unsere Konstruktion aus Tischen und Stühlen hielt stand und hinderte die ungebetenen Gäste daran, diesen Abschnitt des Flures zu betreten. Kurz standen sie einfach nur da, ehe sie zurückgingen. Erleichtert atmete ich aus. Auch wenn es unheimlich war, dabei zuzuschauen, wie sie versuchten hier reinzukommen, ohne zu wissen, was sie genau vorhatten, so fühlte ich mich deutlich wohler damit, sehen zu können was vor sich ging.

Irgendwann kam Bakura zu mir ins Zimmer.

„Es scheint zu funktionieren“, stellte er zufrieden fest, was mich nicken ließ.

„Zumindest wenn sie nicht wissen, dass wir hier sind.“

„Wir sollten vermeiden, dass sie uns sehen. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob sie es nicht doch wissen.“ Bakura musste anscheinend genauso wie ich an den Mann von gestern denken, der eindeutig mit uns gesprochen hatte. „Den Gang sollten wir eh nur im Notfall nutzen.“ Erneut nickte ich. Ich wusste, dass er mit dem Notfall einen Toilettengang meinte. Daneben hatten wir diese Flur in erster Linie abgesperrt, damit niemand mehr direkt vor unserer Tür stand und wir in der Falle saßen. So würden wir zumindest noch die Möglichkeit zur Flucht bekommen, auch wenn ich daran erst gar nicht denken wollte.

„Danke, Bakura.“ Sofort richteten sich seine braunen Augen mit einem fragenden Ausdruck auf mich, was mich weitersprechen ließ. „Hätten wir nicht zusammen geschwänzt und hättest du mich nicht dazu überredet trotz des Alarms in der Schule zu bleiben, dann... dann wärn wir jetzt wohl nicht mehr da. Die Situation ist zwar alles andere als toll und...“ Ich sprach nicht weiter, als mein Kumpel mir seine Hand auf den Kopf legte und meine Frisur durcheinander brachte. Eigentlich etwas, wofür ich ihn lautstark anmaulen würde, gerade wagte ich es aber, meinen Kopf leicht gegen seine Hand zu drücken. Noch immer hatte ich eine Heidenangst, wussten wir schließlich weder was genau vor sich ging, noch was aus uns werden würde. Doch alles war mir lieber, als so fremdgesteuert durch die Gegend zu rennen oder noch schlimmer von diesen Ovalen durchbohrt und zu diesen riesigen Schiffen gebracht zu werden.

„Mach dir nicht so viele Gedanken, wir schaffen das schon.“ Ich konnte nicht anders, als ihm einen zweifelnden Blick zuzuwerfen. Die Frage war doch nicht, ob wir es schafften, sondern für wie lang. Gerade hatte ich das Gefühl, dass es keine Zukunft für uns gab. Spätestens wenn unsere Vorräte aufgebraucht waren, mussten wir weg von hier. Doch wohin? Die einzige Hoffnung war, dass dieser Angriff lediglich hier erfolgte und woanders noch alles in Ordnung war. Oder dass vielleicht bereits etwas dagegen unternommen wurde. Möglicherweise vom Militär? Letztendlich war es nicht viel mehr als nur eine Hoffnung, die meine Zweifel nicht ansatzweise erreichte.

„Ich bin wirklich froh, dass du bei mir bist.“ Ich musste es ihm einfach sagen, auch wenn ich ihm dabei nicht in die Augen schauen konnte. Zu sehr fürchtete ich, dass er mehr in meinem Blick sehen könnte. Bakura zog seine Hand zurück.

„Jetzt werd nicht sentimental.“ Ich musste ob seiner Worte lächeln. War ja klar, dass er nicht viel damit anfangen konnte.

„Es stimmt aber.“ Nun schaute ich doch zu ihm auf. Als sich unsere Blicke trafen musste ich erschrocken feststellen, Zweifel in seinem Blick zu erkennen. Bisher war Bakura so souverän gewesen, dass ich ganz vergessen hatte, dass er auch nur ein einfacher Junge war, den das alles hier genauso mitnehmen musste. Mit einem Mal schien der Halt, den er mir bisher gegeben hatte, zu bröckeln. Wir waren nicht mehr als drei Jugendliche, die hier festsaßen, während um uns herum die Welt unterzugehen schien. Was konnten wir da schon ausrichten? Wie sollten wir gegen diese Übermacht überleben?

Ich konnte nicht anders, als Bakura in eine Umarmung zu schließen. Zwar hatten wir uns beide nie vor Körperkontakt gescheut, dies war aber nichts, was wir üblicherweise taten. In diesem Moment musste ich aber einfach spüren, dass er da war und wollte ihm genauso dieses Gefühl zurückgeben. Außerdem konnte ich nicht wissen, wie lange wir noch hatten. Ich wollte nicht die letzten Tage damit verschwenden, meine dummen Gefühle unter Kontrolle zu halten. Zu meiner Erleichterung erwiderte Bakura die Umarmung mit leichtem Druck. Für einige Augenblicke vergaß ich alles um mich herum. Sämtliche Sorgen und Ängste, die die ganze Zeit über in meinem Kopf kreisten, rückten in den Hintergrund. Ich genoss einfach nur das Gefühl, das diese Nähe mit sich brachte. So oft hatte ich es mir vorgestellt. Es war eine Schande, dass es erst unter diesen Umständen dazu kam. Gerade als ich mein Gesicht tiefer an Bakuras Schulter vergrub, schob mich dieser leicht von sich.

„Seit wann bist du denn so kuschelig?“ Seine Stimme hatte einen merkwürdigen Unterton, den ich jedoch nicht so recht zuordnen konnte. Ich schaute kurz zu ihm auf, ehe ich mit den Schultern zuckte.

„Seit jetzt.“ Es wäre die Gelegenheit gewesen, endlich mein Geständnis zu machen. Doch wie zu oft verließ mich in letzter Sekunde der Mut. „Ich hab das einfach gebraucht. Sorry, wenn ich dich damit überfallen hab.“ Während ich ihn schwach anlächelte, musterte mich Bakura einige Sekunden lang. Zu gerne wüsste ich, was in seinem Kopf vor sich ging. Gerade mehr denn je. Doch in seinen warmen, braunen Augen konnte ich nichts lesen.

„Ist okay. Du musst nur damit rechnen, dass du dann ebenfalls überfallen wirst.“ Während ich noch versuchte, diese Worte zu verstehen, hatte Bakura mich bereits wieder an seine Brust gezogen. Seine Arme lagen um mich und drückten beinahe etwas zu stark zu. Mein Herz begann wild in meiner Brust zu schlagen. Die Tatsache, dass Bakura mich von sich aus umarmte und dann auch noch so bestimmt, ließ mich mindestens so nervös werden, wie die Anwesenheit dieser manipulierenden Objekte am Himmel. Mit der Ausnahme, dass es sich hierbei um eine angenehme Nervosität handelte.

Rückschlag

Mit den neuen Barrikaden hatten wir uns sicher gefühlt. Es war die erste Nacht gewesen, in der ich einigermaßen gut geschlafen hatte. Generell fühlte ich mich nachts sehr wohl, da die verbliebenen Menschen dann nur regungslos dastanden und es keinerlei Zwischenfälle gab. Am nächsten Tag wurde uns verdeutlicht, dass wir die Situation mehr als nur unterschätzt hatten. Ich war noch am Dösen, während Bakura neben mir saß, als ein Schrei uns aufschrecken ließ. Vom einen auf den nächsten Augenblick stand ich auf meinen Beinen und folgte Bakura zur Tür. Von der schnellen und plötzlichen Bewegung war mir schwindelig, so dass ich einen Augenblick brauchte, um die Situation zu realisieren. Es war bereits hell und der Schrei war eindeutig von Miho gekommen. Das Mädchen, das sonst so ruhig war schrie nun und lockte damit möglicherweise diese Leute an. Es musste etwas Schlimmes passiert sein.

„Warte hier!“, hielt mich Bakura zurück, als ich gerade drauf und dran war, auf den Flur zu rennen. Irritiert schaute ich ihn an.

„Sie muss auf der Toilette sein.“

„Schon klar, aber schau.“ Der Junge deutete zu den Durchgängen, die noch immer versperrt waren. Hinter dem Glas waren zu beiden Seiten mehrere Personen zu sehen. Mein Herzschlag setzte kurz aus, nur um dann stark hämmernd das Adrenalin durch meine Adern zu pumpen.

„Wie?“, war alles, was ich hervorbrachte.

„Komm!“, forderte er mich auf, nachdem er überprüft hatte, dass tatsächlich niemand auf den Flur kam. Er griff nach dem Hockeyschläger, der neben der Tür stand und lief über den Flur. Der Gedanke, dass sie uns nun deutlich sehen konnte, ließ die Angst in mir nur stärker werden, auch wenn sie allem Anschein nach genau wussten, dass wir hier waren. Ebenfalls bewaffnet folgte ich Bakura.

Obwohl wir geradezu über den Flur stürmten, so waren wir beim Betreten der Toilette doch vorsichtig. Bereit, sich zu verteidigen, betrat Bakura die Räumlichkeit, um eine zusammengekauerte, aber anscheinend unverletzte Miho vorzufinden.

„Was ist passiert?“, fragte ich sogleich und ging neben ihr in die Hocke, während Bakura die Kabinen kontrollierte. Hier drinnen war niemand neben uns. Wie auch?

„Es... es sind so viele“, brachte sie völlig am Ende hervor.

„Und deswegen kreichst du so?“, ging Bakura sie auf einmal an. Ich warf ihm einen flehenden Blick zu, doch er ignorierte ihn. Zwar konnte ich seinen Ärger verstehen, trotzdem war Mihos Reaktion nicht grundlos gewesen.

„Eben waren die Flure noch leer. Ich war keine Minute hier“, begann sie sich schluchzend zu rechtfertigen.

„Das ist nicht gut.“ Immer noch schaute ich zu Bakura, der nun nachzudenken schien.

„Egal was sie bisher hierhergelockt hat. Nun wissen sie auf jeden Fall, dass wir hier sind. Ich bin mir nicht sicher, ob wir sicher sind.“

„Was bleibt uns anderes übrig, als zu warten?“ Meine Worte gefielen mir selbst nicht. Wir könnten natürlich versuchen durch den Notausgang zu fliehen. Die Frage war, ob wir das sollten. Weder konnte ich diese Gedanken äußern, noch bekam ich eine Antwort auf meine Frage. Ein lautes Klirren ließ uns herumwirbeln. Augenblicklich gefror mir das Blut in den Adern. Im Geräteraum festzusitzen war eine Sache. Würden wir hier eingesperrt werden, wären wir verloren. Es gab nicht einmal die Möglichkeit, die Tür zu verriegeln. Bakura hatte den gleichen Gedanken.

„Sofort raus hier!“ Und schon stürmte er zur Tür. Ich packte Miho am Arm und zerrte sie mit mir.

Auf dem Flur hatte ich keine Zeit mich groß umzuschauen. Wir rannten auf den Geräteraum zu, in der Hoffnung nicht erwischt zu werden. Dennoch bemerkte ich, dass die Glasscheiben der Zwischentüren noch Intakt waren. Etwas anderes musste zu Bruch gegangen sein. Ich sah nur noch aus dem Augenwinkel, wie etwas aus einem Klassenraum auf uns zugeschossen kam. Es erschreckte mich so sehr, dass ich Miho losließ. Sie rannte bereits selbstständig, doch sie war nicht ansatzweise so schnell wie ich. Ihr Aufschrei machte deutlich, dass sie erwischt worden war. Sofort drehte ich mich um und riss meinen Schläger hoch, bereit für einen Kampf. Doch ich war nicht darauf vorbereitet gewesen zu sehen, was ich sah.

Eine junge Frau hatte sie ergriffen und mit dem Schwung ihrer Geschwindigkeit gegen die Wand gepresst. Ihre Zähne hatte sie in Mihos Schulter vergraben. Trotz ihrer Kleidung schien das Mädchen dadurch verletzt worden zu sein. Ich konnte eindeutig Blut sehen.

„Lass sie los!“, schrie ich. Ehe ich darüber nachdenken konnte, rannte ich auf die beiden zu und schlug mit voller Kraft zu. Tatsächlich ließ die Frau von ihr ab und taumelte einige Schritte zurück. Ohne zu zögern griff ich erneut nach Mihos Arm und zerrte sie wieder mit mir.

Erst jetzt bemerkte ich, dass noch weitere Leute aus dem Klassenraum gekommen waren. Bakura hielt sie mit seinem Schläger zurück, auch wenn es nicht allzu viel Wirkung zu haben schien. Gerade als ich mich wieder in Bewegung setzte, gab sein Hockeyschläger mit einem lauten Knacken unter der Wucht eines weiteren Schlages nach und zerbrach.

„Kommt schnell!“, rief er uns zu, während er sich in den Geräteraum zurückzog.

Dieses Mal ließ ich Miho nicht los. Wir hatten nur noch ein kurzes Stück vor uns, so dass wir es schafften. Sofort verbarrikadierten Bakura und ich die Tür und stemmten uns mit aller Kraft gegen sie und die folgenden Schläge. Vom Flur folgten weitere Geräusche zerbrechenden Glases. Keiner von uns wagte es, etwas zu sagen, während sich die nächsten Minuten wie Stunden anfühlten.
 

Nachdem es auf dem Flur ruhig geworden war, konnten wir zumindest etwas aufatmen. Meine Glieder schmerzten geradezu von der Anspannung, mit der ich mich gegen unsere notdürftige Barrikade gestemmt hatte. Ich traute der Stille nicht, zumal es noch mitten am Tag war. Doch da keinerlei Geräusche mehr zu hören waren, erlaubte ich es mir von der Tür zurückzutreten. Ehe ich mich versah, hatte Bakura meinen Schläger gegriffen und richtete ihn auf Miho, die allem Anschein nach unter Schock stand.

„Bakura!“, gab ich erschrocken von mir. Ich gab mir gar nicht erst die Mühe leise zu sprechen, schließlich wussten sie ohnehin, dass wir hier waren.

„Was? Sie hat es doch selbst gesagt. Sie wurde gebissen und wird genauso werden.“ Mein Blick huschte zu Mihos Schulter, wo sich der Stoff rot gefärbt hatte. Sie war wirklich gebissen worden. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken während ich versuchte nicht an Zombies zu denken. Es waren eindeutig keine. Seine harschen Worte schienen Miho endgültig aus ihrer Starre zu holen. Sie begann zu schluchzen.

„Das können wir nicht wissen.“ Bakura warf mir einen ungläubigen Blick zu, der mich augenblicklich verstummen ließ. Ich wusste, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit Recht hatte, dennoch konnte ich es einfach nicht glauben, dass wir Miho nicht mehr helfen konnten. Ich kannte sie erst seit zwei Tagen und trotzdem wollte ich nicht, dass ihr etwas zustieß. Wollte nicht, dass sie so wurde, wie die anderen. Neben Bakura war sie die einzige Normalität, die mich umgab.

„Du hast Recht“, brachte Miho auf einmal hervor. Ihr Schluchzen hatte abrupt gestoppt. „Sie werden es nicht ohne Grund machen... Wenn sie krank sind, dann wollen sie vermutlich auch die letzten Gesunden anstecken. Warum sonst wurden sie nicht alle geholt? Ich... ich bin mir sicher, dass es passieren wird.“ Ich konnte weder fassen, dass sie sich so schnell ihrem Schicksal fügte, noch dass sie derart ruhig dabei blieb.

„Was hast du vor?“, wollte ich wissen, als sie aufstand. Bakura richtete den Schläger nach wie vor wie eine Waffe auf sie.

„Ab jetzt bin ich eine Gefahr für euch. Ich...“ So entschlossen sie eben noch gewirkt hatte, mit einem Schlag war wieder die pure Angst in ihrem Gesicht zu sehen.

„Wie lange dauert es?“, fragte Bakura auf einmal. Wir beide schauten ihn irritiert an.

„Weiß nicht“, entgegnete Miho unsicher. „Ein paar Stunden vielleicht?“

„Vermutlich so lange, wie nach dem Regen“, fügte ich hinzu. Wollte Bakura sie ernsthaft hier drinnen lassen und warten, bis es soweit war? Bisher hatte ich das Gefühl gehabt, dass er eher genervt von Mihos Anwesenheit war.

Und so wenig ich wollte, dass Miho auf sich alleine gestellt da raus musste, nur um ihr Selbst zu verlieren. Falls sie sich dadurch wirklich veränderte, dann wollte ich sie genauso wenig bei uns haben. Natürlich wären wir zwei gegen eine, doch auf dem Flur vorhin hatten wir deutlich gesehen, dass sie sich durch Schläge zwar zurückhalten, aber nicht aufhalten ließen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich gegen Miho keine Gewalt anwenden wollte, ob sie nun sie selbst war oder nicht.
 

Schließlich hatte sich Miho wieder hingesetzt. Bakura und ich saßen an der gegenüberliegenden Wand des Raumes. Wir waren zu keinem rechten Entschluss gekommen, weswegen wir allesamt angespannt waren. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und lehnte mich zu Bakura rüber.

„Was machen wir jetzt?“ Ich flüsterte. Nicht, weil ich nicht wollte, dass Miho mithörte, sondern einfach weil die ganze Situation viel zu bedrückend war, als dass ich lauter sprechen wollte.

„Entweder geht sie oder wir.“ Seine Worte waren deutlich. Es war offensichtlich, auf wen die Wahl letztendlich fallen würde. Wenn wir in unseren Annahmen Recht hatten, dann stellte Miho nicht nur eine Gefahr für uns dar, die anderen würden ihr auch nichts mehr antun. Aber was, wenn wir uns irrten? Wenn wir sie dadurch in den Tod schickten? Dieser Gedanke schnürte mir die Kehle zu.

„Ich will so nicht werden.“ Miho schaute mit tränengefüllten Augen zu uns. Mein Herz wurde nur noch schwerer. Obwohl ich ihre Angst verstand, konnte ich ihr doch keine tröstenden Worte zukommen lassen. Ich befand mich nicht in ihrer Situation, die so unausweichlich und endgültig war. Nicht nur würde sie fremdgesteuert durch die Gegend laufen und andere Menschen beißen, auch würde sie früher oder später von diesen Ovalen geholt werden. Jeden Tag kamen sie nach dem Regen zur Erde und sammelten neue Opfer ein, um sie wegzubringen. Es musste noch viele Menschen in den Häusern geben. Miho hatte mit ihren Worten, dass die Zurückgelassenen nur noch hier waren, um die überlebenden einzusammeln, möglicherweise Recht gehabt. Wer auch immer die da oben waren, sie machten sich nicht selbst die Finger schmutzig.

„Ich weiß“, brachte ich schließlich hervor, nachdem niemand etwas gesagt hatte. Meine Worte waren nichtssagend und brachten dem Mädchen nichts. Doch wir waren alle gleichermaßen hilflos. „Miho, es tut mir wirklich leid, dass ich es nicht verhindern konnte.“ Nicht nur hatte ich sie nicht beschützen können, auch konnte ich ihr nun nicht helfen. Es fühlte sich furchtbar an, derart machtlos zu sein und nur zuschauen zu können.

„Es ist nicht deine Schuld“, widersprach das Mädchen. „Es war klar, dass es so enden würde. Niemand wird diesem Schicksal entkommen. Sie werden uns alle holen.“ Sie schien nicht nur sich, sondern die gesamte Menschheit aufgegeben zu haben. Ihre Worte ließen meine Hoffnungslosigkeit nur noch stärker werden.

„Miho.“ Bakura neben mir stand auf einmal auf. „Wir wollen dir nicht weh tun.“ Er wirkte beunruhigt. Ich war froh, dass zumindest einer einen klaren Kopf zu behalten schien. Auch Miho stand auf. Ihre Augen waren gerötete, doch zumindest hatte sie aufgehört zu weinen.

„Ich euch auch nicht. Ich werde gehn, bevor was passiert.“ Trotz ihrer Worte war ihr Blick voller Angst. Für einen kurzen Moment glaubte ich einen Hauch von Wahnsinn darin zu erkennen. Bakura ging zur Tür, so dass auch ich aufstand. War es nun also so weit?

Ich wusste nicht, ob das was wir taten richtig war und ich wollte erst recht nicht wissen, wie sich Miho dabei fühlte. Am liebsten hätte ich Augen und Ohren verschlossen und gar nichts mehr mitbekommen. Stattdessen folgte ich den beiden zu unserer Barrikade. Nachdem wir einige Blicke ausgetauscht hatten begannen wir möglichst leise die Tür freizuräumen. Noch immer wussten wir nicht, was sich dahinter befand. Wenn sie dort still auf uns lauerten, dann würde diese Aktion möglicherweise unser Ende sein. Doch was blieb uns anderes übrig? Würde Miho sich verändern, dann wären wir hier drinnen genauso gefährdet. Bakura öffnete die Tür schließlich einen Spalt, um einen Blick nach draußen zu werfen. Dann schloss er sie wieder. Fragend schauten wir ihn an.

„Ich seh niemand. Sie haben alles zerstört, aber anscheinend sind sie jetzt weg“, teilte er uns flüsternd mit.

„Vielleicht weil sie wissen, dass Miho...“ Ich beendete meinen Satz nicht, als ich zu dem Mädchen schaute.

„Gut möglich“, war alles, was Bakura dazu sagte.

„Miho, bleib in der Nähe. Wenn wir uns irren, falls dir doch nichts passiert, dann -“

„Nein“, unterbrach sie mich energisch. „Ich weiß wie Anzu war. Sie hat mich glauben lassen, dass sie sie war. Beinah hätte ich ihr geglaubt und nachgegeben. Ich werde mit Sicherheit versuchen, zu euch zu kommen.“

„Sie hat doch irgendwann aufgegeben, oder?“ Bakura wandte sich mit ruhiger Stimme an sie. „Wenn du nach einer Weile immer noch da bist, dann wissen wir Bescheid. Außerdem können wir einfach die Nacht abwarten. Sie gehen alle raus.“ Damit hatte der Junge natürlich Recht. Ich nickte zustimmend, während Miho nicht überzeugt wirkte. Es war offensichtlich, dass sie keine Hoffnung mehr hatte. Umso grausamer kam es mir vor, als wir sie im nächsten Augenblick vor die Tür setzten. Ich hatte sie umarmen wollen, ihr etwas Kraft mitgeben wollen, doch Bakura hatte mich aufgehalten. Kaum war die Tür wieder zu, schob er die Sportgeräte davor.

Flucht

„Was sollte das denn jetzt?“, ging ich ihn verärgert aber dennoch mit leiser Stimme an.

„Hilf mir lieber.“ Bakura schenkte mir nur einen kurzen Blick. Er schien es plötzlich mehr als eilig zu haben.

„Was ist los? Hast du gelogen?“ Nun schaute er doch fragend zu mir. „Was ist da draußen los? Sind sie noch da? Hast du sie...“ Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was passierte, wenn wir uns irrten. Wenn Miho nichts hatte. Und wenn die anderen noch da draußen waren. Wir hatten sie ausgesperrt, sie ihnen geradezu zum Fraß vorgeworfen. Der Ärger, der gerade in mir aufstieg, wurde augenblicklich von Bakura zerschlagen.

„Hast du es nicht bemerkt?“ Seine dunklen Augen hielten mich für einen Moment fest, während er in seinem Tun innehielt. „Sie war bereits dabei, sich zu verändern. Was auch immer hier vor sich geht, es ist hochansteckend. Wir müssen vorsichtig sein. Ich wollte nicht, dass du ein Risiko eingehst.“ Mir wurde bewusst, dass ich für Bakura der letzte andere Mensch war, genauso wie er für mich. Noch mehr, er hatte nicht einmal eine Familie, zu der er versuchen könnte zu gehen, wenn mir etwas zustieß. Natürlich war er da vorsichtig, wenn es um meine Sicherheit ging.

Die entstandene Stille wurde von einem wilden Klopfen gegen die Tür unterbrochen, das uns beide zusammenfahren ließ. Dieses Mal half ich ihm, den letzten Wagen vor die Tür zu schieben.

„Marik. Bakura. Lasst mich rein. Bitte!“ Es war nicht nur Mihos Stimme, sie klang auch mehr als flehend. Mein Herz zog sich zusammen, auch wenn uns das Mädchen genau vor einem solchen Verhalten gewarnt hatte. Trotzdem zweifelte ich.

„Was meinst du damit, dass sie sich verändert hat?“, fragte ich unsicher nach, während wir uns sicherheitshalber gegen die Barrikade stemmten.

„Sie hatte die ganze Zeit Angst und war am weinen. Eben hat sich das geändert und sie hat komisch zu sprechen begonnen.“ Da es mir nicht aufgefallen war, wusste ich nicht, ob Bakuras Beobachtung korrekt war. Ich vermied es jedoch darauf einzugehen, dass ihre Tränen aus anderem Grund gestoppt haben könnten.

„Lasst mich doch bitte rein. Sonst sterb ich hier draußen. Ich sterbe!“ Drang Mihos Stimme wieder durch die Tür. Ich wusste nicht, was ich getan hätte, wenn Bakura nicht dagewesen wäre. Dieser zog mich im nächsten Augenblick von der Tür weg, an die gegenüberliegende Wand.

„Bakura.“ Ich schaute ihn gequält und verzweifelt an. Es war nur logisch, dass sie so versuchte zu uns zu kommen, wenn sie sich nun wirklich verändert hatte. Andererseits konnte sie noch sie selbst sein und ihr Flehen war echt. Was, wenn wir sie im Stich ließen?

„Hör nicht hin.“ Bakura zog mich zu sich und schaute mir geradewegs in die Augen. „Genau das ist ihr Plan. Sie ist ein kluges Mädchen. Wenn sie in Gefahr wäre, könnte sie sich wieder bis heute Nacht auf die Toilette zurückziehen. Da draußen war niemand mehr und so schnell kommen sie auch nicht.“ Seine Worte beruhigten mich tatsächlich, auch wenn mich die gesamte Situation noch immer belastete.

„Ich will das nicht mehr“, brachte ich schließlich hervor. Nicht nur hatte er mich längst von meiner schwachen Seite kennengelernt, auch kannten wir uns lange und gut genug, dass ich mich meinem Kumpel gegenüber so zeigen konnte. Ich lehnte mich gegen ihn und vergrub mein Gesicht an seiner Schulter. Wie gestern schon schloss mich Bakura in seine Arme.

„Wenn du jetzt anfängst dauernd rumzuheulen, dann schmeiß ich dich raus.“ Seine Worte waren weder sensibel, noch als Scherz gemeint, doch sie waren genau das, was ich brauchte. Ich hob meinen Kopf leicht, um ihn anzuschauen.

„Ich heule nicht.“ Auch wenn ich das gerne würde. „Aber du kannst mir nicht erzählen, dass dich das alles nicht belastet.“

„Natürlich tut es das. Gerade deswegen muss ich es nicht noch schlimmer machen.“ Ich schüttelte den Kopf leicht über seine Worte. Bakura war oft so anders als andere Menschen, die ich kannte. Manchmal verstand ich wirklich nicht, was in seinem Kopf vor sich ging. Vielleicht war gerade das der Grund, warum ich mich in diesen komplizierten Menschen verliebt hatte. Bei dem Gedanken wurde mir flau im Magen. Wäre vor der Tür nicht immer noch Mihos Flehen zu hören gewesen, wäre dieser Moment, in dem wir uns derart nah waren und anschauten möglicherweise anders ausgegangen. So aber legte ich meinen Kopf wieder auf seiner Schulter ab.

„Wir werden nicht ewig hier drinnen bleiben können“, nuschelte ich, in der Hoffnung so den Lärm von der Tür etwas ausblenden zu können. Nicht nur würden unsere Vorräte früher oder später aufgebraucht sein, auch hatten wir vorhin erlebt, wozu diese Leute in der Lage waren. Sie hatten die Fensterscheiben zerbrochen, waren hineingeklettert, hatten dem Lärm nach zu urteilen auch die beiden Blockaden zerstört. Sie waren schnell und unsere Schläge hatten sie nicht aufhalten können. Mit jedem Tag schienen sie wilder und gefährlicher zu werden. Morgen würden sie uns vielleicht schon die Tür des Geräteraums einrennen. Was sollten wir dann tun? Was konnten wir dann überhaupt noch tun?

„Wir sollten aber so lange hierbleiben, wie wir können. Schließlich wissen wir nicht, was passiert, wenn wir rausgehen.“ Ich nickte leicht. Letztendlich würde uns aber nichts anderes übrigbleiben. Die Frage war nur, ob wir uns nachts draußen genauso sicher bewegen konnten, wie in der Schule. Ich versuchte fest daran zu glauben.
 

Letztendlich war mein Glaube alles, was wir hatten. Wir mussten uns dieser Situation früher stellen, als uns lieb war.

Mihos Rufen und Klopfen wollte nicht stoppen. Mittlerweile war selbst ich davon überzeugt, dass wir das Mädchen verloren hatten. Der Horror, den diese ganze Situation in mir auslöste war jedoch längst in den Hintergrund gerückt. Ein neues Problem hatte sich ergeben. Durch den Lärm, den Miho verursachte, wurden die anderen angelockt. Schon bald konnten wir weitere Schritte, Stimmen und andere Geräusche hören. Bis sie nicht mehr die einzige war, die gegen die Tür hämmerte. Mein Herz begann wild zu schlagen. Irgendwann hatten wir es uns auf dem Boden gemütlich gemacht, nun standen wir aber auf und schauten unschlüssig zur Tür.

„Sie werden reinkommen“, sprach Bakura schließlich das aus, was ich nicht hören wollte.

„Dann müssen wir das verhindern“, forderte ich ihn etwas hysterisch auf. Wir stemmten uns wieder gegen unsere Barriere, die unter den Schlägen bereits bebte. Mir entging nicht Bakuras besorgter Blick, der sich zu den kleinen Fenstern richtete. Wie jeden Tag um diese Zeit regnete es. „Was ist?“ Gerade hatten wir ganz andere Probleme, dennoch musste ich einfach sprechen. Ich musste etwas anderes als das lauten Pochen gegen die Tür hören. Mihos Stimme war verstummt.

„Es ist gerade erst Mittag“, merkte Bakura das offensichtliche an. Es dauerte einige Sekunden, bis ich verstand, was er damit meinte.

„Sie werden sicher wieder aufgeben. Das haben sie immer.“ In erster Linie versuchte ich mit diesen Worten mich selbst zu beruhigen. Wenn es so weiterging, dann würden sie die Tür noch aufbrechen. Wenn wir aufhörten, mit all unserer Kraft dagegen zu halten, dann würden sie hineinkommen.

„Mehr als das zu hoffen können wir nicht. Bis Sonnenuntergang können wir kaum durchhalten.“ Seine Worte schnürten meine Brust zu.

Wir mussten nicht bis zum Abend warten. Unsere Kräfte waren bereits am Ende, als der Regen gerade nachließ. Nicht nur einmal wurde die Tür aufgestoßen, so dass wir sie wieder zudrücken mussten. So nützlich sie Sportgeräte auch waren, wenn es darum ging ein Gewicht vor der Tür zu haben. Wir mussten genauso stark drücken, wie die anderen, um sie wieder gegen die Tür zu schieben und diese damit zu schließen. Mittlerweile waren wir an einem Punkt, wo sie sich gar nicht mehr schließen ließ, etwas musste sie blockieren. Sie stand nur einen Spalt offen und war nach wie vor nicht einfach so aufzudrücken. Dennoch sorgte dieser Umstand dafür, dass mein Herz noch wilder schlug und mir der Schweiß auf der Stirn stand. Immer wieder schaute ich zu Bakura, der sich mit seinem ganzen Körper gegen die Blockade stemmte, dabei aber erschöpft aussah. Wie lange konnten wir das noch aushalten? Ein hölzernes Knacken kündigte neue Probleme an.

„Die Tür“, keuchte ich geschockt. Wenn sie brach, wie lange würde unser Turm aus Sportgeräten die anderen dann davon abhalten, zu uns hereinzukommen? „Wir sitzen in der Falle“, merkte ich panisch an. Mein Blick huschte zu den Toren, die zur Sporthalle führten. Ich wusste, dass sie abgeschlossen waren, doch vielleicht ließen sie sich von innen öffnen. An unserer Lage würde es jedoch nichts ändern, schließlich würden wir anschließend genauso wenig aus der Halle entkommen. Aber irgendeine Möglichkeit mussten wir doch haben.

„Die Fenster“, riss mich Bakura plötzlich aus meinen Gedanken. Zweifelnd schaute ich zu den kleinen Scheiben. Sie waren nicht zum Öffnen gedacht. Nichts, was mich in einer solchen Situation aufhalten würde. Ganz im Gegenteil zu der Größe. Ich war nicht dick, ich war nicht einmal sonderlich muskulös. Dennoch zweifelte ich daran, dass sie groß genug waren.

„Passen wir da durch?“

„Bleibt uns viel mehr, als es zu probieren?“ Bakura war eindeutig entschlossen, es zu versuchen. Trotzdem durfte ihm genauso bewusst sein wie mir auch, dass unser aufgebautes Hindernis die anderen nicht lange abhalten würde, wenn wir uns erst einmal von der Tür entfernten. Der Gedanke ließ mich nur noch unruhiger werden und brachte mich so in eine Position, in der ich unmöglich eine Entscheidung treffen konnte. „Marik, hör zu“, forderte Bakura wieder meine Aufmerksamkeit ein. „Kannst du die Tür kurz alleine halten?“ Sofort kam Panik in mir auf.

„Was hast du vor?“

„Ich bin größer als du. Wenn ich durchpasse, dann könnte es funktionieren.“ Es war logisch, dass es nur so Sinn machte. Selbst wenn nur ich mich durchzwängen könnte, würde ich Bakura mit Sicherheit nicht zurücklassen. Dennoch verursachte dieser Gedanke ein unwohles Gefühl. „Keine Angst, ich werd dich nicht im Stich lassen.“

„Das hab ich nicht angenommen“, entgegnete ich schnell. In diesem Augenblick wurde die Tür ein weiteres Stück aufgestoßen. Unser Gespräch kam zum Erliegen, als wir all unsere Kraft aufbrachten, um die schweren Gegenstände wieder zurückzuschieben. „Geh schon, ich schaff das“, forderte ich Bakura schließlich auf.

Es waren zu viele und sie waren zu hartnäckig. So wenig ich auch nach draußen wollte, noch weniger wollte ich hier drinnen mein Ende finden. Bakura rannte zu dem Fenster, durch das wir immer geschaut hatten und kletterte auf den Wagen. Er warf einen kurzen Blick nach draußen und schaute sich dann in dem Raum um. Während ich mir alle Mühe gab, die anderen nicht reinzulassen, hoffte ich, dass er sich beeilen würde. Tatsächlich kletterte Bakura wieder herunter, jedoch nur, um seine Jacke vom Boden aufzuheben. Im nächsten Moment war das Splittern von Glas zu hören, als er die Scheibe mit seinem gut eingewickeltem Ellenbogen einschlug. In einer schnellen Bewegung entfernte er die verbliebenen Glasstücke, die klirrend zu Boden fielen. Mit Bakura, der vor dem nun offenen Fenster stand, sah dieses noch kleiner aus. Trotzdem startete er sogleich den Versuch, sich durch dieses zu quetschen. Sein Kopf passte hindurch, genauso wie seine Schultern. Das schien ihm zu reichen. Nach keiner Minute, die mir wie eine gefühlte Ewigkeit vorgekommen war, kam Bakura endlich zurück zu mir. Gemeinsam schoben wir die Barrikade zurück, soweit es noch ging.

„Es ist eng, aber es passt“, teilte er mir schließlich mit, was mich etwas aufatmen ließ. Wir hatten eine Chance. „Geh du vor. Ich halt sie zurück und komm nach, wenn du raus bist.“

„Was? Warum?“ Ich wollte Bakura nicht zurücklassen, auch nicht für so kurz. Was, wenn ihm etwas zustieß?

„Ich weiß, dass ich durchpass. Wenn du aber Schwierigkeiten hast, dann wird niemand die Tür zuhalten können, wenn ich schon draußen bin. Keine Angst, so schnell kommen sie hier nicht rein. Schließlich müssen sie immer noch alles wegschieben, um auch mehr als einen Arm durchzustecken.“ Auf seine Worte schluckte ich nur, entgegnete jedoch nichts mehr. „Wir haben nur diese Möglichkeit. Sollen wir sie ergreifen?“ Seine Frage verblüffte mich. Würde er tatsächlich hier auf sein Ende warten, wenn ich verneinte? Natürlich nickte ich.

„Ja, lass es uns versuchen.“ Und damit besiegelte ich eine Entscheidung, die unser Leben entweder verlängerte, oder ebenfalls beendete. Doch alles war besser, als hier auf diese Weise zu sterben.

Dieses Mal war ich es, der zu dem Fenster eilte und auf den Wagen kletterte. Auch ich schaute kurz nach draußen. Der Boden war noch nass vom Regen, was ein unwohles Gefühl verursachte. Doch zumindest konnte ich in der direkten Umgebung niemanden sehen. Wir wussten nicht, was sie konnten und wie sie uns fanden. Wir konnten nur hoffen, dass sie sich nicht sofort auf uns stürzen würden. Mit einem letzten Blick zurück auf Bakura, der sichtlich Mühe hatte gegen die Wucht der wütenden Meute vor der Tür anzukommen, nahm ich all meinen Mut zusammen und zwängte mich durch die kleine Öffnung.

Verhängnis

Meine Landung war nicht sonderlich elegant. Wie auch, wenn ich kopfüber aus einem Fenster hing. Doch das einzige, das mich interessierte war, dass ich mit meiner Haut nicht den nassen Boden berührte. Hoffentlich hatten wir uns mit dieser Aktion nicht selbst ins Aus geschossen. Und hoffentlich würde es nicht unerwarteterweise noch einmal anfangen zu regnen. Anstatt mir aber weiter darüber Gedanken zu machen, richtete ich meinen Blick sofort auf das Fenster. Am liebsten hätte ich nach Bakura gerufen, doch ich wollte keine unnötige Aufmerksamkeit auf mich ziehen. So blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten und zu hoffen, dass er schnell nachkam. Ich lauschte auf jedes Geräusch. Mein Herz sackte ab, als das Verrücken schwerer Gegenstände zu hören war. Bakura musste sich von der Tür entfernt haben. Es vergingen quälend lange Sekunden, bis ich endlich das weiße Haar des anderen sehen konnte. Zwar hatte Bakura deutlich mehr Mühe, durch die kleine Öffnung zu kommen, schließlich landete er zu meiner Erleichterung aber neben mir auf dem Boden. Sofort packte er mich am Handgelenk und zog mich mit sich. Wir rannten um zwei Ecken und blieben schließlich hinter einem Teil des Gebäudes stehen, das uns einen guten Sichtschutz bot. Auch wenn ich bezweifelte, dass sie uns sehen mussten, um uns zu finden.

„Du blutest“, stellte ich erschrocken fest, als ich die Hand betrachtete, mit der er mich noch immer festhielt.

„Nur halb so schlimm. Hab mich geschnitten“, entgegnete Bakura, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen. Stattdessen schaute er um die Ecke. Das Adrenalin in seinem Körper war ihm deutlich anzusehen. Mir ging es nicht anders. Am liebsten wäre ich weiter gerannt ohne stehen zu bleiben. Jeden Augenblick könnten sie aus allen Richtungen zu uns kommen.

„Wir sind hier nicht sicher“, merkte ich flüstern an.

„Das denk ich auch, aber wir sollten nicht kopflos losstürmen.“ Wieder einmal überließ ich Bakura die Führung und schaute mich stattdessen aufmerksam um.

Seit Tagen waren wir nicht draußen gewesen. Nach wie vor war alles in einen grünen Schein gehüllt. Die Luft roch nach Regen, ohne einen unbekannten Nebengeruch zu haben. Alles wirkte vollkommen normal, mit Ausnahme des Lichtes. Dieses steuerte geradewegs auf den Horizont zu. Die Sonne würde sich bald hinter die Gebäude der Stadt senken und von der Nacht abgelöst werden. Wenn wir nur lange genug unentdeckt bleiben würden, hätten wir eine Chance.

„Sie kommen.“ Bakuras Worte rissen mich nicht nur aus meinen Gedanken, auch jagten sie mir einen kalten Schauer über den Rücken.

„Woher wissen sie, dass wir hier sind?“ Ich konnte das Zittern in meiner Stimme nicht vermeiden. Unmöglich konnten sie uns sehen. Hatten sie in der Schule auch nicht gekonnt.

„Es ist egal. Wir können uns nicht verstecken.“ Bakura gab sich gar nicht mehr die Mühe, zu flüstern. „Wir müssen weiter.“ Noch immer hielt er mein Handgelenk fest, das unter dem Druck mittlerweile schmerzte. Es war mir egal. Wieder setzten wir uns in Bewegung.

Wir verließen das Schulgelände und flohen in die schmalen Straßen zwischen den umstehenden Gebäuden. Meinen Kopf etwas drehend, erhaschte ich einen Blick auf die Gruppe an Leuten, die uns folgte. Waren sie eben noch gegangen, so wurden sie nun auch schneller. Trotz der Aufregung und des Adrenalins, das meinen Körper mit Energie flutete und der schieren Angst um mein Leben, die mir unendlich Antrieb verschaffte, wusste ich, dass meine Kräfte zur Neige gingen. Irgendwann würden wir langsamer werden. Irgendwann würden sie uns einholen. Nun war es ein Spiel gegen die Zeit. Wir brauchten die Nacht. Und vor allem mussten wir hoffen, dass sie sich auch dieses Mal so verhalten würden, wie die letzten Nächte.

Wir wechselten kein Wort. Sparten uns unsere Energie fürs Rennen. Es war wie ein Spießrutenlauf. Mit jeder Abbiegung die wir nahmen, bestand die Gefahr, einem dieser Leute direkt in die Arme zu laufen. Wir änderten oft die Richtung, mussten das ein oder andere Mal auch ausweichen. Unsere Verfolger wurden wir nicht los. Ganz im Gegenteil wurden es nur mehr. Die Hoffnung, aus dieser Situation lebend herauszukommen, nahm mit jeder Sekunde ab. Ohne Bakura, der mich immer weiter zerrte, hätte ich möglicherweise schon aufgegeben. Es war nicht so, dass ich nicht leben wollte, doch die letzten Tage waren wir nur in der Schule gewesen. Sich nun in der Stadt zu befinden und die Trostlosigkeit und Zerstörung zu sehen, war mehr als entmutigend. Es gab kaum eine Tür, die nicht offenstand, kaum eine Scheibe, die nicht eingeschlagen war. Hier und da schien es gebrannt zu haben. Es sah beinahe so aus, als hätte es einen Krieg gegeben. Und genau das war es auch. Doch gab es auch überlebende? Wie stand es um die Menschheit? Hatten diese unbekannten Wesen im Himmel tatsächlich gesiegt? Wie hoch standen die Chancen, dass ich meine Geschwister jemals wiedersehen würde?

Wir bogen gerade in eine weitere Straße ein, die sich als nicht viel mehr als eine Gasse entpuppte, als ein lauter Aufschrei zu hören war. Er kam nicht von unseren Verfolgern, sondern aus einem der Gebäude. Etwas zerbrach, etwas wurde mit einem lauten Knall zugeschlagen. Dann waren hektische Schritte zu hören, die sich von der Gasse entfernten, in die wir gerade eingebogen waren. Wir blickten beide zurück und sahen mehrere Personen, die mindestens genauso eilig wie wir das Weite suchten. Die Tatsache, dass die Leute, die eben noch hinter uns hergewesen waren nun ihnen folgten, machte deutlich, dass es sich dabei um normale Menschen handelte. Einerseits erleichterte mich der Gedanke, dass es noch andere Überlebende gab, andererseits hatten wir gerade unsere Verfolger an sie abgegeben. Ein schlechtes Gewissen kam jedoch nicht auf, als wir stehen blieben und schwer keuchend nach Luft schnappten.

Ich konnte nicht sagen, wie lange wir gerannt waren, doch jeder Muskel meiner Beine schmerzte. Meine Lunge brannte und mein Herz pochte so wild unter meiner Brust, dass ich beinahe befürchtete, dass es jeden Augenblick seinen Dienst verweigern würde. Bakura neben mir ließ endlich mein Handgelenk los, das längst rot war. Während wir wieder zu Atem kamen, schauten wir uns aufmerksam um. Es war eindeutig unser Glück, dass diese Leute scheinbar nicht allzu hartnäckig waren, wie angenommen. Schließlich hatten sie alle einfach ihr Ziel geändert. Trotzdem waren wir keineswegs sicher.

Wir verweilten so lange in der Gasse, wie keine Geräusche zu hören waren, die von der Anwesenheit einer anderen Person zeugten. Keiner von uns sprach ein Wort. Stattdessen hing ich meinen Gedanken nach.

Wir befanden uns mitten in der Stadt. Ohne entsprechende Transportmittel würde es zu lange dauern die Stadt zu verlassen. Selbst zu mir nach Hause wäre es zu weit zu Fuß. Obwohl wir nun draußen waren, waren wir noch immer gefangen. In einer Stadt voller Menschen, die uns an den Hals wollten. Wir mussten uns irgendwo verstecken, wo wir einigermaßen sicher waren. Zumindest bis die Sonne untergegangen war. Doch ich kannte mich hier nicht aus und auch Bakura machte keinerlei Anstalten weiterzugehen. Wir konnten wohl nur hoffen, dass uns hier vorerst niemand entdecken würde. Wenn wir nur wüssten, wie sie noch gesunde Menschen aufspüren konnten. Vielleicht könnten wir dann entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen.

Leider wurde meine Hoffnung nicht erfüllt. Das Geräusch klarer Schritte kam langsam näher. Bakura sprang sofort wieder auf und auch ich war bereit für eine erneute Flucht. Obwohl wir eine kurze Pause hatten einlegen können, war ich doch nicht recht zur Ruhe gekommen. Wir zogen uns weiter in die Gasse zurück, doch die Schritte folgten uns eindeutig. Nochmals nahmen wir die Beine in die Hand und rannten.

Schnell waren wir wieder auf einer der breiten Straßen, der wir sogleich folgten. Wir blieben nie lange auf einer. Bakura nahm jede Abbiegung, an der wir vorbeikamen. Trotzdem konnte ich bei einem Blick zurück unseren Verfolger erkennen. Es war nur einer. Bis jetzt. Wie wir aber an all den Häusern vorbeirannten, liefen wir noch weiteren über den Weg. Hier und da kamen sie aus den Gebäuden und ich warf einen Blick zum Himmel. Ab wann es wohl dunkel genug war? Für einen kurzen Augenblick hatte ich keine Sicht auf den Boden und stolperte jäh über etwas. Mit Mühe versuchte ich wieder meinen Takt zu finden, stattdessen knickte ich mir aber den Fuß um und stürzte zu Boden. Ich hatte keine Zeit für die Schmerzen in meinem Knöchel. Oder für die blutigen Schrammen an meinen Händen. Kaum hatte mein Körper den Boden berührt, stand ich auch schon wieder. Meine Bewegung stoppte nicht, schließlich konnte ich mich unmöglich von unseren Verfolgern schnappen lassen. Bakura hatte sich zu mir umgedrehte und packte mich nun wieder am Handgelenk, um mich mit sich zu ziehen. So sehr ich auch wollte, mit einem Mal konnte ich nicht mehr Schritt mit meinem Kumpel halten. Wir waren nicht weit gekommen, als Bakura meine plötzliche Schwäche zu spüren schien. Er steuerte die nächstbeste offenstehende Tür an. Ich wollte ihn anschreien, dass es zu gefährlich wäre, sich dort hineinzuflüchten, doch die anderen hatten bereits aufgeholt. Ich war zu langsam. In dem Haus gab es zumindest die Option, dass sich die Tür verschließen ließ und sich gerade niemand darin befand. Würden wir hingegen weiterhin wegrennen, würden sie uns, beziehungsweise mich schon bald erwischen. Zusammen mit uns erreichte ein Mann die Tür, die wir ansteuerten.

Bakura ließ mich los und trat ihm aus dem Lauf heraus gegen die Kniescheibe. Unter einem lauten Knacken gab sie nach und ermöglichte es uns, in das Gebäude zu fliehen. Ich stolperte hinein und drehte mich sofort um, um nach Bakura zu schauen. Er wollte mir gerade folgen, als der zu Boden gegangene Mann, nach ihm griff.

„Bakura!“, versuchte ich meinen Kumpel noch zu warnen, doch er wurde bereits am Bein festgehalten. Panik stieg in mir auf, als ich mich daran erinnerte, wie Miho sofort gebissen worden war. Ich wollte wieder nach draußen stürmen, um das zu verhindern, doch Bakura reagierte schneller. Erneut trat er aus und traf dieses Mal den Kopf des Angreifers. Zwar zeigte dies die gewünschte Wirkung, jedoch verlor Bakura bei der Landung sein Gleichgewicht. Würde er nun stürzen, würde er möglicherweise nicht mehr schnell genug auf die Beine kommen. Das musste ihm ebenso klar sein, wie mir. Mit vollem Körpereinsatz griff er um sich und schien tatsächlich Halt an etwas zu finden, was sich außerhalb meines Sichtfeldes befand. Im nächsten Augenblick jedoch, ergoss sich ein Schwall Wasser auf den Boden, der zum Teil auch Bakura traf. Mit einem schnellen Sprung folgte er mir endlich in das Haus und schlug die Tür hinter sich zu. Sofort stand ich neben ihm, so dass wir sie gemeinsam zudrücken konnten. Zu unserem Glück hatte sie einen Riegel, den Bakura vorschob. Tatsächlich folgte ein wildes Klopfen und Hämmern, doch die Tür blieb zu. Vorerst. In kalten Schweiß gebadet starrte ich den nassen Bakura neben mir an.

Verzweiflung

„Verdammte Scheiße“, fluchte Bakura, nachdem wir uns sicher waren, dass der Riegel an der Tür halten würde. Er zog seine nasse Jacke aus, während er weiter in das dunkle Haus ging. Ich tastete die Wand nach einem Lichtschalter ab und wurde tatsächlich fündig. Zumindest dieser Raum schien leer zu sein. Wirklich interessieren tat es mich aber nicht, zu sehr stand ich unter Schock. Unschlüssig folgte ich Bakura und blieb mit wenigen Schritten Entfernung vor ihm stehen.

„Es tut mir leid“, entschuldigte ich mich schließlich. Wäre ich nicht gestolpert, wäre das alles nicht passiert. Bakura schaute mich fragend an.

„Was tut dir leid? Wir hätten nicht ewig wegrennen können.“ Dafür, dass er sich gerade vermutlich mit was auch immer infiziert hatte, wirkte Bakura erstaunlich gefasst. Vermutlich konnte er es genauso wenig fassen, wie ich.

„Aber das Wasser“, brachte ich schließlich hervor. In erster Linie war seine Kleidung nass geworden, trotzdem wussten wir nicht, was für eine Wirkung es haben würde. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte es sich dabei um Regenwasser gehandelt. Bakura seufzte und ließ sich auf einen Stuhl in der Ecke fallen.

„Ist jetzt auch egal.“ Das er so schnell aufgab sah ihm nicht ähnlich. Andererseits konnte er, falls es nun so war, nichts mehr daran ändern. Genauso wenig wie ich. Wir hatten gesehen, was mit Miho geschehen war. Pure Verzweiflung stieg in mir auf.

„Vielleicht hast du nicht genug abbekommen. Schließlich ist fast nur deine Jacke nass geworden“, begann ich zu reden, während ich meine blutigen Hände beiläufig an meiner Hose abrieb. Sie brannten leicht, was nichts im Vergleich zu den Schmerzen in meinem Fuß war. Doch gerade waren mir diese ebenso egal. Bakura hob seine Hand mit dem immer noch blutenden Schnitt von vorhin. Sie war eindeutig nass. Das Wasser war in seine Wunde gekommen. Seine braunen Augen lagen beunruhigend gelassen auf mir.

„Marik, wir können so viele Vermutungen anstellen, wie wir wollen. Letztendlich wird es geschehen oder nicht. Wir sollten uns überlegen, wie es jetzt weiter geht. In ein paar Stunden musst du sicher sein.“

„Ich lass dich bestimmt nicht alleine!“, unterbrach ich ihn, ehe er mir seinen Plan offenlegen konnte. Nicht nur wollte ich nicht, dass er alleine darauf warten musste, genauso wenig wollte ich alleine sein. Erst recht nicht, wenn er sich wirklich veränderte. So wenig ich sterben oder noch schlimmer zu so einem Zombie werden wollte, alleine würde ich es unmöglich schaffen.

„Red keinen Blödsinn. Ich werd nicht zulassen, dass dir etwas zustößt. Und wenn von mir Gefahr ausgeht, dann werde ich dafür sorgen, dass ich dir nichts tun kann.“ Bakura klang so entschlossen, dass die Angst in mir aufkam, nichts an seiner Entscheidung ändern zu können.

„Das ist mir egal.“ Nicht nur waren mir die Argumente ausgegangen, meine Worte klangen mehr als dumm.

„Und was ist mit deinen Geschwistern? Wolltest du sie nicht wiedersehen?“ Wenn ich wüsste, dass sie noch lebten, hätte ich vielleicht anders reagiert, doch wie groß war die Wahrscheinlichkeit? Entschieden schüttelte ich den Kopf.

„Du bist mir wichtiger.“ Erst als Bakura mich mit hochgezogener Augenbraue anschaute, wurde ich mir meiner Worte bewusst. Mein Herzschlag beschleunigte und mir wurde klar, dass dies möglicherweise die letzte Chance war. „Ich... ich bin ein ziemlicher Idiot schätze ich.“ Bakuras Blick verriet mir, dass er mir am liebsten zugestimmt hätte. Die Tatsache, dass er aber schwieg und stattdessen auf meine Erklärung wartete, ließ mich schließlich all meinen Mut zusammennehmen. „Immer wieder hab ich gekniffen und es aufgeschoben. Jedes Mal dachte ich, ich könne es dir später sagen. Aber jetzt gibt es vielleicht kein später mehr.“ Und eigentlich war es auch schon zu spät. Selbst wenn ich ihm nun meine Zuneigung gestand, würde es nichts ändern. Entweder würde er mich ablehnen und ich würde ihn in diesem Wissen verlieren, oder vielleicht...

„Marik.“ Bakura holte mich aus meine Gedanken zurück. Er schaute mich eindeutig drängend an. Verständlich, immerhin mussten meine Worte für ihn vollkommen wirr klingen. „Was willst du mir sagen?“ Seine dunklen Augen lagen so ruhig auf mir, dass mein Herz nur noch wilder zu pochen begann.

„Du bist weitaus mehr für mich, als nur ein Freund.“ So lange hatte ich diese Worte mit mir herumgetragen und nun waren sie endlich draußen. Sie brachten ein Gefühl der Erleichterung mit sich. Gleichzeitig schaute ich den anderen nervös an. Dieser seufzte schließlich.

„Da hast du dir ja einen mehr als passenden Moment ausgesucht.“ Einerseits war ich froh, dass er mir keine Ablehnung entgegenbrachte, andererseits ärgerten mich seine Worte. Es war mir mehr als schwer gefallen und das war alles, was er dazu zu sagen hatte? Hatte er mich möglicherweise nicht richtig verstanden?

„Wer hätte damit rechnen können, dass das hier passiert?“ Machte ich meinem Ärger etwas Luft. „Ich wollte nur, dass du es weißt.“

„Ich weiß es.“ Bakuras Worte ließen mich sogleich verstummen. Wie meinte er das. „Marik, du bist wie ein offenes Buch.“ Geschockt schaute ich ihn an. Er wusste es schon die ganze Zeit? Seit wann? Und warum hatte er nichts gesagt? Mir kamen so viele Fragen in den Sinn, dass ich nicht wusste, wo ich anfangen sollte.

„Und trotzdem hast du mit mir abgehangen?“ Wir beide wussten, wie es um mich stand. Doch was war mit Bakura? Nicht dass es noch groß von Bedeutung war. Wollte ich es überhaupt wissen? Bakura schüttelte unmerklich den Kopf.

„Ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, dass du dir selbst darüber im Klaren bist. Mit wie vielen Mädchen hattest du etwas über die letzten Jahre am laufen? Du bist nicht schwul.“

„Aber ich steh auf dich“, platzte es mir heraus. Augenblicklich schoss mir das Blut in den Kopf. Was machte ich hier gerade eigentlich? Ein Lächeln erschien auf Bakuras Lippen. Nichts in seiner Gestik und Mimik schrie nach Abscheu, so dass ich wie von selbst einen Schritt auf ihn zutat. Er hatte es gewusst und war trotzdem so innig mit mir umgegangen. Und nun reagierte er so. Konnte es wirklich sein, dass er mich auf eine ähnliche Weise mochte?

„Komm nicht näher“, ermahnte mich Bakura und rammte damit eine Klinge in mein Herz. Wie hatte ich gerade noch so alberne Gedanken haben können?

„Tut mir leid. Du findest mich jetzt sicher eklig.“

„Red keinen Müll.“ Sein scharfer Tonfall ließ mich erschrecken. „Marik, du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Deswegen musst du dich von mir fernhalten. Ich will nicht, dass dir etwas passiert.“ Der Schmerz, der eben noch mein Herz erfüllt hatte, wich mit einem Mal einer kribbelnden Wärme, während ich mich fragte, was ich nun glauben konnte. Doch ich bohrte nicht weiter nach. Wir waren wieder bei dem Thema angelangt, mit dem dieses Gespräch überhaupt entstanden war.

„Wie schon gesagt, es ist mir egal. Ich habe zu lange gewartet, so dass ich es nun bereue. Selbst wenn ich überleben sollte, würde ich es für immer bereuen, diese eine Chance nicht genutzt zu haben.“

„Und so würdest du ebenfalls sterben und die Erinnerung nie genießen können. Du bist verknallt, das geht vorbei.“ Seine Worte waren wie so oft hart und direkt. Eine Eigenschaft die ich meist an ihm schätzte. Nun aber verletzte sie mich schlichtweg. Es war beinahe so, als würde er mich nicht ernst nehmen.

„Und was ist mit dir?“ Ungewollt wurde meine Stimme lauter.

„Du bist mir wichtiger. Natürlich hab ich dich gerne um mich, aber ich kann es nicht verantworten, dass dir was passiert.“

„Wenn ich dir wichtig bin, dann quäl mich nicht so. Ich sag das nicht, weil ich verknallt bin, sondern weil ich dich wirklich brauche. Wenn ich jetzt plötzlich alleine bin, wie weit werde ich dann kommen, ehe ich wahnsinnig werde? Niemals werd ich mich alleine durchschlagen können.“ Und selbst wenn ich es doch könnte, weil mein Überlebenstrieb stärker wäre als gedacht, so wollte ich es einfach nicht. Vielleicht hatte Bakura ja doch Recht und es lag an meinen Gefühlen. Für einige Sekunden schauten wir uns einfach nur an, bis Bakura das Schweigen brach.

„Und was willst du von mir? Soll ich dich beißen?“ Seine Frage klang wie ein Vorwurf. Ich wusste nicht, mit was für einen Blick ich ihn angeschaut hatte, doch er brachte ihn zum weitersprechen. „Genau das wird passieren, wenn du dir nicht einen sicheren Platz suchst.“ Schwach schüttelte ich den Kopf.

„Nicht, wenn uns das selbe passiert.“

„Du spinnst doch.“

„Ja“, stimmte ich ihm zu. „Ich will nicht alleine überlebe müssen und ich will nicht alleine mein Ende finden, wenn sie mich doch erwischen. Aber vor allem will ich dich nicht auf diese Weise verlieren. Kannst du das nicht verstehen?“ In meinem Kopf zumindest klang es sinnig. Ich war noch nie sonderlich mutig gewesen, so dass ich lieber jetzt aufgab, anstatt mich in einen scheinbar hoffnungslosen Kampf zu werfen. Erneut schwiegen wir. Das Klopfen an der Tür ließ langsam aber sicher nach, was vermutlich an der Sonne lag, die nun am Horizont versunken sein musste.

„Du willst dir das freiwillig antun?“ Seine Frage klang ungläubig und ließ mich leicht den Kopf schütteln.

„Nicht freiwillig.“ Immerhin war die Vorstellung sich derart zu verändern und irgendwann eingesammelt zu werden genauso furchteinflößend. „Ich will einfach nur bei dir sein.“ Bakura sah tatsächlich so aus, als würde er nachdenken. Als würde er möglicherweise meinem Wunsch nachgeben. Ich wagte es, einen weiteren Schritt auf ihn zuzutun und bekam meinen Knöchel zu spüren. Ein stechender Schmerz schoss von meinem Fuß ausgehend durch mein gesamtes Bein, was mich einknicken ließ. In einer schnellen Bewegung sprang Bakura von seinem Stuhl auf und fing mich auf. Ich wäre nicht gefallen, trotzdem war ich froh, dass er mich etwas stützte. Nachdem wir nun in vermeintlicher Sicherheit waren und das Adrenalin langsam aber sicher aus meinem Körper verschwunden war, fluteten Schmerz und Schwäche ihn.

„Hast du dich verletzt?“ Während Bakura mich auf den Stuhl setzte, schaute er besorgt zu meinen Füßen.

„Ich bin nur umgeknickt“, spielte ich es herunter. „Deine Hand sieht viel schlimmer aus.“ Dieses Mal konnte ich mir die Schnittwunde in Ruhe beschauen. Sie war tiefer als gedacht und blutete stark.

„Das spielt keine Rolle mehr.“ Seine Worte verursachten ein Stechen in meiner Brust. Ich griff nach seinem Arm, als er sich wieder zurückziehen wollte.

„Bitte lass uns weiterhin zusammenbleiben“, flehte ich ihn geradezu an.

„Was soll ich machen?“, ging er mich unerwartet gereizt an. „Dich beißen?“ Ich war mir nicht sicher, ob er genervt oder doch eher verzweifelt war. Selten hatte ich Bakura derart aufgewühlt erlebt. Vor allem nicht mir gegenüber. Leicht schüttelte ich den Kopf. Ich entgegnete nichts, musste jedoch an Mihos Freundin Anzu denken. Sie hatte sich verändert, weil ihr Freund sie geküsst hatte. Bei dem Gedanken schoss mir unweigerlich das Blut in den Kopf. Bakuras Blick nach zu urteilen verstand er, was in meinem Kopf vor sich ging. „Du spinnst“, wiederholte er sich.

„Willst du etwa nicht?“, fragte ich vorsichtig nach. Mein Blick suchte weiterhin seine Augen, auch wenn es mein Herz unruhig schlagen ließ.

„Darum geht es nicht.“

„Worum denn dann?“

„Darum, dass du weiterlebst.“ Trotz allem hielt Bakura an seiner Entscheidung fest. Ich hatte nicht die Kraft, weiter zu diskutieren. Ich wollte auch nicht, dass das die letzten Erinnerungen an meinen Freund waren. Meinen Blick senkend versuchte ich mit der Welle der Verzweiflung klar zu kommen, die mich mit einem Mal überrollte. Mein Griff um seinen Arm löste sich, während es still wurde.

Zuneigung

„Was meinst du, Bakura. Sieht es gerade überall auf der Welt so aus?“ Es war eine lange Zeit des Schweigens vergangen. Wir hatten einfach nur in dem Raum gesessen und unseren Gedanken nachgehangen. Draußen war es längst dunkel geworden. Sämtliche Geräusche waren verstummt.

„Schwer zu sagen“, entgegnete Bakura, nachdem er kurz nachgedacht hatte.

„Wenn ja, wird überhaupt jemand überleben?“ Mir war bewusst, dass meine Einstellung mehr als negativ war, doch was sollte ich machen? Ich war gerade dabei Bakura zu verlieren. Nicht nur war er mein bester Freund, er war auch der einzig andere Mensch, den ich gerade um mich hatte. Die Vorstellung alleine unter diesen Zombies zu sein, ließ mich langsam aber sicher wahnsinnig werden.

„Natürlich. So einfach lässt sich der Mensch nicht ausrotten. Ich bin mir sicher, dass die Reichen irgendwo in ihren privaten Bunkern sitzen und einfach warten, bis alles vorbei ist. Und wenn nur unsere Stadt betroffen ist, dann wird sicher bald das Militär hier eintreffen. Es kam unerwartet, vielleicht müssen sie sich erst sortieren.“ Bakura klang so ruhig, als würde er sich mit mir über das Wetter unterhalten.

„Dann beeilen sie sich besser und kommen nicht auf die Idee eine Bombe abzuschmeißen. Mit meinem Fuß wird mir nichts anderes übrigbleiben, als hier zu warten.“ Selbst ohne Verletzung würde es mehrere Nächte dauern, die Stadt zu Fuß zu verlassen. So wie mein Knöchel schmerzte würde ich es nicht einmal versuchen.

„Was du dir für Gedanken machst.“

„Was soll ich denn machen? Wenn du nicht mehr bei mir bist, dann muss ich alleine zurecht kommen.“ Nachdem ich etwas zur Ruhe gekommen war, hatte ich nun wieder Kraft, mich aufzuregen. Bakura suchte meinen Blickkontakt, was mich sofort verstummen ließ.

„Ich weiß, dass du bestens dazu in der Lage bist.“ Es war schön, dass er an mich glaubte, leider brachte mir das im Augenblick wenig.

„Hoffentlich hast du Recht“, murrte ich. „Ich will nicht das gleiche Ende finden müssen, dann aber alleine sein“, gestand ich ihm. „Sie werden immer aggressiver. Was meinst du, wie lange ich hier drin sicher bin?“

„Marik, hör doch endlich auf. Du bist wirklich schlimm.“ Bakura, der die ganze Zeit über neben mir auf dem Boden gesessen hatte, stand plötzlich auf. Ich war mir nicht sicher, ob er verärgert war, weswegen ich ihn einfach nur schuldbewusst anschaute. Vermutlich wäre mir mein Gejammer in seiner Situation ebenfalls auf die Nerven gegangen. Anstatt mich aber zu schelten, legte er seine Arme um mich und drückte sanft. „Du tust so, als würde die Welt untergehen.“ Von einem auf den anderen Moment, raste mein Herz.

„Und du tust so, als würde sie es nicht tun“, entgegnete ich schließlich mit schwacher Stimme. Glaubte Bakura ernsthaft immer noch, dass es nicht so schlimm war? Hatte er noch nicht realisiert, was um uns herum geschah? Miho war vor seinen Augen gebissen worden und hatte sich verändert. Wir waren nicht nur einmal gejagt worden. Diese Leute hatten Glasscheiben und unsere Blockaden zerschlagen. Es hatte sie nicht einmal gerührt, dass wir sie mit Hockeyschlägern zurückgehalten hatten. Und diese Menschen waren nun überall und jagten all jene, die noch nicht ihren Willen verloren hatten. Erneut überkam mich eine Welle der Verzweiflung. Ich nutzte den Moment und drückte mich an Bakura. Spürte seine Wärme und nahm seinen angenehmen und vertrauten Geruch war. Wie hatte das alles nur passieren können?

„Tut mir leid, dass ich nicht besser auf mich aufgepasst habe“, entschuldigte er sich auf einmal an meinem Ohr. Seine Stimme derart nah zu hören, ließ mich das Gesagte nur halb wahrnehmen.

„Es war nicht deine Schuld.“ Meine Stimme klang immer noch schwach, weswegen ich es bei diesen Worten beließ. Vorsichtig schob Bakura mich wieder ein Stück von sich, um mich anschauen zu können.

„Ich muss mit der Konsequenz leben. Es wäre nicht richtig, dich da mit reinzuziehen.“ Dachte er etwa ernsthaft darüber nach, mich doch zu küssen? Oder wollte er sich nur weiterhin rechtfertigen in der Hoffnung, dass ich ihm doch noch zustimmte?

„Egal wie du dich entscheidest, es wird mich beeinflussen.“ Denn so war es auch. Entweder wurden wir gemeinsam zu willenlosen Zombies, oder ich musste mich alleine weiter durchschlagen. Beides würde letztendlich mein Ende bedeuten, dessen war ich mir sicher.

„Das meine ich nicht. Ich würde dich umbringen, obwohl du vielleicht eine Chance hättest.“

„Warum denkst du dann überhaupt darüber nach, wenn du dich eh schon entschieden hast?“ Nun wurde ich doch wieder etwas übellaunig. Dieses ständige hin und her war eigentlich nicht Bakuras Art und es machte mich fertig.

„Ich hab nachgedacht.“

„Und?“

„Du hast Recht. Wäre es anders herum, würde ich dich vermutlich auch darum bitten.“ Ungläubig schaute ich Bakura an. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn gerade richtig verstanden hatte. „In den letzten Jahren hab ich viel Mist durchgemacht. Du warst der einzige, der immer an meiner Seite war und etwas Licht in meine Welt geworfen hat. Du bist mir so unglaublich wichtig, dass ich dich immer beschützen wollte. Jetzt hab ich aber versagt und wollte zumindest, dass du weiter überleben kannst.“ Sprachlos schaute ich ihn an. Natürlich wusste ich, was meinem Kumpel in den vergangenen Jahre widerfahren war. Das er aber so von mir dachte, überraschte und schmeichelte mich gleichermaßen.

„Du hast nicht versagt“, widersprach ich ihm. „Es ist einfach scheiße gelaufen. Gib dir nicht die Schuld für etwas, was du nicht beeinflussen kannst. Außerdem hättest du dir nicht so viel Mühe um mich machen müssen.“ Ich war ihm keineswegs böse deswegen, viel mehr war es mir unangenehm. Ich hatte das Gefühl, dass er mich auf ein Podest hob, das ich nicht verdiente.

„Doch.“ Ich war mir nicht sicher, worauf sich dieses Wort bezog, aber Bakura schaute mich derart entschlossen an, dass ich ihm nicht weiter widersprach. Stattdessen griff ich nach seiner Hand und drückte sie leicht. „Bist du dir sicher?“ Seine Frage ließ mich noch unruhiger werden, als unsere Nähe. Während ich mich fragte, ob mich die Vorstellung eines Kusses, oder aber dessen Folgen nervöser machte, nickte ich einfach nur. Für einige Sekunden schauten wir uns an, ehe Bakura sich mir tatsächlich näherte. Ich schloss meine Augen, ehe sich unsere Lippen berührten.
 

So oft hatte ich mir vorgestellt, wie es wäre, Bakura zu küssen. Wie es wäre, wenn er tatsächlich meine Gefühle erwidern würde. Nun war es soweit. Ich genoss es unbestreitbar. Mein Herz pochte wild in meiner Brust. Und dennoch war es nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte, es hatte einen faden Beigeschmack. Endlich war das geschehen, was ich die letzten Jahre so sehr ersehnt hatte, doch ich könnte es lange nicht genießen. In nur wenigen Stunden würde es enden. Die Gedanken daran rückten in den Hintergrund, als Bakura sich breitbeinig auf meinen Schoß setzte, ohne den Kuss dabei zu unterbrechen. Ganz im Gegenteil leckte er mit seiner Zunge über meine Lippen, was sie kribbeln ließ. Ohne zu zögern öffnete ich sie und erwiderte so den Kuss. Bakuras Begierde war ihm deutlich anzumerken, umso mehr ließ er nun mein Herz rasen. Es war beinahe so, als hätte der andere nur auf diesen Moment gewartet.

Ohne mein Zutun strichen meine Hände über seinen Rücken. Am Saum seines Shirts angekommen, glitten sie unter dieses. Wenn das hier schon das Ende war, dann sollte es zumindest schön werden. Ich hatte keine Zeit für Zweifel und Unsicherheiten, schließlich blieb uns nur dieses eine Mal. Bakuras Hände gingen ebenfalls auf Wanderschaft. Während die eine nach wie vor in meinem Nacken lag und mich nur stärker in den stürmischen Zungenkuss zog, folgte die andere meinem Beispiel. Zärtlich strich sie meine Seite entlang, hinterließ dabei eine kribbelnde Spur, bis sie ebenfalls unter meinem Shirt verschwand. Seine Hand war heiß und strich schnell höher, als würde er mich meiner Kleidung entledigen wollen. Stattdessen hielt sie aber plötzlich inne und auch unser Kuss endete. Irritiert öffnete ich meine Augen. Erst jetzt bemerkte ich, wie berauscht ich von diesen Berührungen war.

„Nicht gerade die beste Situation für so was.“ Es dauerte einige Augenblicke, bis die Bedeutung seiner Worte in meinen Verstand durchgesickert war. Ungläubig schaute ich ihn an.

„Wird es eine bessere geben?“ Auf Bakuras Lippen legte sich ein schwaches Lächeln.

„Willst du mehr?“

„Ich...“ Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss.

„Du bist süß“, unterbrach Bakura meine Gedanken und sorgte dafür, dass ich mein Gesicht verzog. Süß war nun nichts, was ich aus seinem Mund hören wollte. Vor allem nicht im Bezug auf mich. Bevor ich mich aber beschweren konnte, beugte er sich zu meinem Ohr. „Lass uns schauen, ob wir etwas besseres als diesen Stuhl hier finden und gemeinsam die letzten Stunden genießen.“ So wir er es sagte, klang es so endgültig. Und obwohl es das auch war, so konnte ich es nicht so recht glauben. In erster Linie mochte dies aber daran liegen, dass meine Gedanken gerade woanders waren.

Bakura war von mir aufgestanden und hatte noch in der selben Bewegung unter meine Arme und Beine gegriffen, um mich hochzuheben.

„Ey!“, beschwerte ich mich lautstark, doch Bakura grinste nur, nun eindeutig amüsiert.

„Mit deiner Verletzung solltest du nicht herumlaufen.“

„Und du solltest nicht andere Leute durch die Gegend tragen“, entgegnete ich. Er war an seiner Hand mindestens so sehr verletzt, wie ich an meinem Fuß.

„Halt die Klappe.“ Und schon drückte er mir erneut seine Lippen auf. Zu gerne kam ich seiner Aufforderung nach.

Nachdem er mich zum Schweigen gebracht hatte, wechselte Bakura den Raum, in dem wir ein Sofa vorfanden. Es war nicht allzu groß, das hielt Bakura aber nicht davon ab, mich auf diesem abzulegen. Sogleich setzte ich mich auf, oder versuchte es zumindest. Ich hatte mich gerade einmal mit meinem Arm abgestützt, als Bakura sich bereits über mich schob und wieder zurück in das weiche Polster drückte.

„Wo willst du denn hin? Eben konntest du doch gar nicht genug bekommen.“

„Kannst du aufhören, so zu reden?“, regte ich mich auf und versuchte so meine Verlegenheit zu überspielen, die mit großer Wahrscheinlichkeit deutlich in meinem Gesicht stand.

„Na gut.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schob er mein Shirt nach oben und begann meine empfindliche Haut zu küssen. Es genießend vergrub ich meine Hände in seinem langen Haar.

Ich hielt ihn nicht davon ab, als er mir mein Shirt schließlich ganz auszog. Stattdessen nutzte ich die Chance, ihn ebenfalls von seinem Oberteil zu befreien. Ich fasste ihn überall an, wollte seinen gesamten Körper erkunden. Er hatte sich über meine Brust bis hin zu meinem Gesicht geküsst, so dass wir uns wieder in die Augen schauten. In den braunen Iriden konnte ich neben ungehemmter Lust noch etwas anderes sehen, was mich schwach werden ließ. Bakura schaute mich derart sanft an, dass sich mein Herz so anfühlte, als würde es schmelzen. Ich konnte nicht anders, als meine Arme um seinen Nacken zu schlingen und ihn an mich zu drücken.

„Danke“, hauchte ich ihm ins Ohr. Ich wusste nicht, wie ich meine Gefühle in Worte packen sollte. Ich wusste lediglich, dass ich jede folgende Minute genießen würde, schließlich waren sie unsere letzten. Erneut fanden unsere Lippen zusammen, während wir uns gegenseitig zu erforschen begannen.

Zusammen

Irritiert schlug ich die Augen auf. Das Licht der Glühbirne war kaum mehr zu sehen, immerhin fiel von draußen Sonnenlicht herein. Mein Gehirn brauchte einige Augenblicke um zu verstehen, wo ich mich befand und was geschehen war. Geradezu panisch drehte ich mich zur Seite, nur um in Bakuras braune Augen zu schauen, die mich ruhig musterten, auch wenn meine plötzliche Bewegung ihn zusammenzucken ließ. Nach der gestrigen Nacht waren wir gemeinsam eingeschlafen in dem Glauben nicht mehr zu erwachen. Zumindest nicht als wir selbst. Doch genau das war nun der Fall. Wir waren wach und ich fühlte mich mehr als normal. Zumindest verspürte ich nicht das Bedürfnis rauszugehen und andere Menschen zu jagen oder mich von seltsamen Flugobjekten aufspießen zu lassen.

„Guten Morgen“, begrüßte mich Bakura nach einigen Sekunden mit einem mehr als sanften Lächeln. Die Erinnerungen an vergangene Nacht kamen zurück und sorgten nun doch dafür, dass mein Herz etwas schneller Blut in meinen Kopf pumpte.

Nicht nur einmal hatte ich mir vorgestellt, wie es mit Bakura wäre. Nun war es nicht nur geschehen, es war auch absolut unerwartet gekommen und der Tatsache geschuldet gewesen, dass wir angenommen hatten zu sterben. Nicht, dass ich es nun, da ich doch noch ich war, bereute. Ganz im Gegenteil. Es war schöner als jegliche Vorstellung gewesen. Dennoch war ich nicht darauf vorbereitet gewesen, mich noch mit irgendetwas auseinandersetzen zu müssen. Ich hatte Bakura eine Seite von mir gezeigt, die noch nie jemand zuvor gesehen hatte.

Anstatt ihm nun zu antworten, starrte ich ihn einfach nur wie ein Trottel an, während ich vermutlich knallrot wurde. Ein kurzer Kuss seinerseits löste schließlich diese unangenehme Stille.

„Wie kann das sein? Was ist passiert?“ Trotz meines Gefühlschaos, nahm mich die Gesamtsituation doch mehr mit.

Bakura setzte sich auf, wobei mein Blick unweigerlich an seiner nackten Brust hängen blieb. Ich konnte noch immer nicht glauben, was in den vergangenen Stunden geschehen war. Bakura war vermeintlich mit dem Regenwasser infiziert worden, ich hatte ihm meine Liebe gestanden und sie war erwidert worden. Wir hatten miteinander geschlafen. Bei dem Gedanken breitete sich ein angenehmes Kribbeln in meinem Körper aus.

„Es sind mehr als genug Stunden vergangen. Es ist auch schon lange genug hell, so dass es nicht an der Nacht gelegen haben kann“, riss mich Bakura erneut aus meinen Gedanken, als er auf meine Frage antwortete.

„Vielleicht war es ja gar kein Regenwasser. Oder es war einfach nicht genug“, dachte ich laut nach.

„Doch. Aber vielleicht war es zu alt.“ Verwirrt schaute ich ihn ob dieser Worte an.

„Zu alt?“ Was meinte er damit? Als wir geflohen waren hatte es gerade aufgehört zu regnen. Doch warum sollte das überhaupt irgendeinen Effekt haben?

„Bei Schnecken gibt es einen Parasiten, der sie steuert und dafür sorgt, dass sie sich fressen lassen.“

„Schnecken?“ Ich konnte Bakura nicht so recht folgen. Allerdings war ich auch ziemlich durcheinander und zudem gerade erst aufgewacht.

„Der Parasit sorgt dafür, dass die Schnecken willenlos werden. Er steuert sie, damit er in seinen Endwirt gelangen kann.“ Ich schaute ihn auffordernd an, damit er es mir einfach erklärte. Ich war noch viel zu müde, um selbst nachzudenken. „Sagen wir, es handelt sich hierbei um Parasiten, die möglicherweise von diesen fliegenden Dingern mit dem Regen verteilt werden. Die Menschen infizieren sich, verlieren ihren Willen und begeben sich in Gefahr. Sie lassen sich ohne Widerstand einsammeln und ein paar werden so kontrolliert, dass sie die Ausbeute noch erhöhen, indem sie diejenigen Anstecken, die sich dem Regen entziehen.“ Ich nickte zögerlich. So wie er es sagte, klang es durchaus logisch, auch wenn es nicht viel mehr als eine Vermutung war. Wie alles andere, was wir bisher angenommen hatten.

„Und wie kann das Wasser dann zu alt sein?“

„Manche Parasiten sind auf ihre Wirte angewiesen. Befinden sie sich zu lange außerhalb solcher, dann sterben sie.“ Erneut nickte ich. Dafür, dass Bakura in der Schule nur selten aufpasste, schien er sich mit diesem Thema ziemlich gut auszukennen.

„Das heißt, dass nur der Regen nicht aber Wasser an sich gefährlich ist?“, schlussfolgerte ich.

„Es ist nur eine Theorie. Vielleicht hatte ich auch einfach nur Glück.“ So überzeugt Bakura eben noch geklungen hatte, so schnell tat er es nun wieder ab. „Wir sollten kein unnötiges Risiko eingehen.“ Da konnte ich ihm nur zustimmen. Es war, als wäre uns eine zweite Chance gegeben worden. Ich wollte sie ergreifen und jede weiter Minute, die ich mit ihm verbringen konnte, auch genießen.

„Ich hab trotzdem ziemlich Durst“, kam ich schließlich auf meine Bedürfnisse zu sprechen. Und es war nicht nur das, auch Hunger plagte mich. Gestern hatten wir den ganzen Tag über nicht allzu viel zu uns genommen.

„Lass uns schauen, was wir hier finden können.“
 

Wir erkundigten die restliche Wohnung und bemerkten schnell, dass wir hier nicht sonderlich sicher waren. Neben der verschlossenen Tür gab es reichlich Fenster im Erdgeschoss. Bakura musste heute morgen bereits aufgestanden sein und die Scheiben notdürftig verstellt haben. Gemeinsam besserten wir die Barrikaden etwas aus, ehe wir in der Küche nach Essen suchten. Wir hatten Glück und fanden einen vollen Kühlschrank vor. Mit reichlich Essen und einigen Getränken zogen wir uns in die erste Etage zurück, die wir ebenfalls nach unten versperrten.

„Wir müssen nur einen Tag hier aushalten, dann können wir heute Nacht weiter.“ Bakuras Worte ließen mich nicken und gleichzeitig zweifeln. Ich dachte an die Gruppe von Leuten, die uns auf unserer Flucht unsere Verfolger abgenommen hatten. Sie waren mit Sicherheit nicht freiwillig aus ihrem Versteck gekommen.

„Lass uns erst etwas essen. Danach können wir nach weiteren Eingängen schauen.“ Vermutlich war es reines Glück gewesen, dass bisher niemand in diese Wohnung eingedrungen war und uns im Schlaf überrascht hatte. „Und wir brauchen Waffen.“ Bakura lächelte mich auf einmal an, als er sich auf das Bett in diesem Raum setzte. Fragend schaute ich ihn an.

„Du bist auf einmal so entschlossen“, erklärte er.

„Natürlich. Ich hab nicht vor zu sterben.“

„Das klang gestern aber noch anders“, wurde er sofort ernst.

„Natürlich, das war ja auch eine andere Situation. Wir sind aber noch zusammen und ich werd alles daran setzen, dass es auch so bleibt.“ Die Entschlossenheit in meiner Stimme überraschte mich selbst etwas. Nachdem ich aber so lange auf den Moment gewartet hatte, an dem Bakura und ich tatsächlich so etwas wie ein Paar waren, würde ich diesen nun nicht einfach wieder so hergeben. Vor allem nicht nach dem Schock gestern, den anderen für immer zu verlieren. „Oder wolltest du hierbleiben?“

„Ganz sicher nicht. Es freut mich, dass ich den alten Marik zurück habe.“ Während ich mich noch fragte, was er damit meinte und ob ich mich unüblich verhalten hatte, zog er mich zu sich auf die Matratze. Überrascht von dieser plötzlichen Aktion konnte ich mein Gleichgewicht nicht halten und stürzte geradezu neben ihn, anstatt zu sitzen. Bevor ich mich aufrichten konnte, beugte sich Bakura über mich und küsste mich auf die Wange, was meinen Herzschlag augenblicklich in die Höhe schnellen ließ. „Die werden uns niemals bekommen.“

Unsicher darüber, was als nächstes passieren würde, schaute ich Bakura einfach nur mit großen Augen an. All die Sicherheit, die ich gestern noch bei meinem Handeln empfunden hatte war geschwunden. Meine Verknalltheit war stärker denn je und benebelte meinen Kopf. Nachdem ich aber bemerkte, dass mein Freund nicht weitergehen wollte, nickte ich.

„Niemals“, wiederholte ich. Für einige Sekunden schauten wir uns entschlossen an.
 

Als die Nacht hereinbrach verließen wir wie geplant diese Wohnung. Wir würden uns nicht länger verstecken und abwarten. Unser Ziel war es diese Stadt zu verlassen, in der Hoffnung, dass es anderswo anders war. Oder dass wir zumindest einen sicheren Ort fanden.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Tales_
2020-11-20T13:48:11+00:00 20.11.2020 14:48
Hi,

Vielen Dank für deine Einsendung. Ich fand deine Auswahl sehr gut gewählt und auch gut in die Geschichte eingearbeitet. Von der Rechtschreibung her, sind mir nur ein paar Kleinigkeiten aufgefallen. Aber das war nicht weiter störend.

Die Geschichte selbst war sehr spannend und ich habe immer wieder mitgefiebert. An manchen Stellen musste ich wirklich die Luft anhalten und ich habe sie auch wirklich auf einmal durchgelesen, da ich nicht aufhören konnte.

Was für ein Glück, dass Bakura nicht von dem Wasser infiziert wurde!
Das Ende war sehr süß.

Schön das die beiden noch zusammen sind.
Sie werden es zwar nicht leicht haben, aber immerhin ist keiner allein.

Herzlichen Glückwunsch zum ersten Platz!

Gruß Tales
Von:  Cloudlesssky
2020-10-16T12:45:50+00:00 16.10.2020 14:45
Hey lass dir mal ein Kommentar da finde deine Geschichte bis jetzt Interessant hat was ein bisschen von Zombie Apokalypse und The Walking Dead 👍


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