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You know me too well

von

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Kapitel 2: Oktober
 

Mit etwas mehr Schwung als nötig landete das Bier vor ihm auf der Theke. Er rang sich ein dankbares Lächeln für den Barkeeper ab – verstehen konnte dieser ihn bei der Geräuschkulisse sowieso nicht. Darauf bedacht, nicht noch mehr zu verschütten, schlängelte Die sich durch die Menschenmenge zurück an seinen Tisch.

Seufzend ließ er sich auf die Bank fallen und genehmigte sich einen großen Schluck, wobei ihm sofort die Gesichtszüge entgleisten.

Bah!

Es schmeckte widerlich warm und abgestanden. Als hätte es jemand darauf angelegt, dass er sich hier noch unwohler fühlte als ohnehin. Der Geschmack würde ihm sicher den ganzen Abend auf der Zunge liegen.
 

Leicht frustriert stellte er das Glas zurück und sank gegen die Lehne. Sein gemütliches Bett wäre momentan sicher die bessere Alternative gewesen. Seufzend blickte er sich um.

Prinzipiell war das hier keine schlechte Location und im Normalfall hätte ihm die Atmosphäre sogar gut gefallen. Jeder Winkel wurde von einer gewissen Düsternis eingenommen. Die vereinzelten, bläulichen Strahlen der Scheinwerfer verstärkten diesen Eindruck noch, so wie sie über die tanzende Menge geisterten. Gleichzeitig hatten die langsamen, dumpfen Bässe, die vibrierend durch den Raum waberten, beinahe etwas Hypnotisierendes an sich. Theoretisch war alles, bis auf das Bier, nach seinem Geschmack und dennoch berührte ihn nichts davon. Er fühlte sich komplett fehl am Platz.

Resigniert strich sich Die die Haare aus der Stirn, während seine Augen einen bestimmten Punkt unter den Tanzenden fokussierten.

Was tat er hier eigentlich?
 

Toshiyas Nachricht folgen, wie so oft in letzter Zeit – was sonst. Innerlich verdrehte Die die Augen über sich selbst. Gleichzeitig schien das Handy in seiner Hosentasche zu glühen, als würde es ihn erneut an den kurzen Text erinnern wollen, der ihn vor wenigen Stunden aus dem Halbschlaf gerissen hatte.

Wieso sprang er eigentlich jedes Mal sofort, sobald der andere ihn rief? Und warum fühlte es sich so falsch an?

Ach Mann!

Die wusste gerade selbst nicht recht, was mit ihm los war. Das Gefühlswirrwarr aus Unruhe und einer ständigen Aufgekratztheit machte ihn echt fertig. Dennoch durchströmte ihn ein Hauch von Glück, was ihm ein minimales Lächeln auf die Lippen zauberte. Glück, weil der Jüngere ihm geschrieben hatte. Anscheinend als Einzigem seiner Freunde und Bekannten, denn bisher hatte Die kein anderes, bekanntes Gesicht entdecken können. Das hieß: Toshiya wollte ihn hier haben.

Trotzdem saß der Gitarrist, seit er im Club angekommen war, allein am Tisch, während derjenige, der ihn herbestellt hatte, unweit von ihm auf der Tanzfläche stand und sich langsam zur Musik bewegte.
 

Ein lautloses Seufzen entfloh Dies Lippen, während er Toshiya beobachtete, jede seiner Bewegungen verfolgte. Er schien so nah und doch so fern – so unnahbar. Dennoch hatte er manchmal, wie so oft in letzter Zeit, sogar das Gefühl, der andere würde allein seine Aufmerksamkeit genießen, nur für ihn tanzen und damit alles Unwichtige vergessen machen. Aber dann landete er jedes Mal unsanft in der Realität und dieses Gefühl entpuppte sich als reines Wunschdenken. Er sollte einfach nicht zu viel in jede Geste, jeden Blick hineininterpretieren. Dies hier war ein normaler Clubabend und sie waren umringt von unzähligen Menschen. Nichts besonderes. Allerdings wollte dieses seltsame und verwirrende Gefühl nicht aus ihm weichen. Die konnte es nicht in Worte fassen.

Dabei war es bei weitem nicht das erste Mal, dass er Toshiya auf solche Veranstaltungen begleitete, schließlich kannten sie sich seit Jahren. Doch etwas hatte sich verändert. Ganz langsam und stetig und jetzt konnte er sich der Wirkung des anderen gar nicht mehr entziehen, was gleichermaßen frustrierend wie faszinierend war. Er konnte nicht wegschauen. Seit Monaten schon nicht mehr.

Wie das Licht sanft über die schlanke Gestalt strich, das halb offene Hemd sich wie eine zweite Haut an ihn schmiegte und seinen Körper dadurch auf eine absolut anziehende Art betonte. Selbst wenn Die gewollt hätte, ihm gelang es einfach nicht, den Blick von dem Jüngeren zu lösen. Er fesselte ihn.
 

Wann es wirklich angefangen hatte, dass Toshiya diese Gefühle in ihm auslöste, konnte Die beim besten Willen nicht mehr sagen. Inzwischen begleiteten sie ihn permanent und wurden nicht weniger. Nicht, dass er überhaupt versucht hatte, dagegen anzukämpfen – obwohl es keine Zukunft für sie gab. Das wusste er.
 

Erschöpft schloss er für einen Moment die Augen, um die zuckenden Lichter auszublenden. Ein unangenehmes Pochen machte sich hinter seinen Schläfen bemerkbar. Er wollte nicht hier sein. Nicht sehen, wie immer wieder andere Leute der Anziehungskraft des Jüngeren zum Opfer fielen und ihn ansprachen, während er selbst nur am Rande des Geschehens saß. Er wollte nicht sehen, wie Toshiya ihnen sein unwiderstehliches Lächeln schenkte und ihn dafür warten ließ. Er könnte gehen, doch auch das wollte er nicht. Nicht, wenn Toshiya ihn doch hier haben wollte.
 

Dies Kopf sank langsam auf die Tischplatte. Ihm war es egal, was das für einen Eindruck machte. Das kühle Metall linderte das Pochen ein wenig und ließ ihn für einen Augenblick durchatmen. Toshiya machte ihn fertig und er fragte sich, ob jener das nicht sogar wusste. Und was wäre, wenn ja? Würde er es beenden?

Unwillig kniff Die die Augen stärker zusammen, versuchte den Kloß in seinem Hals herunterzuschlucken.

Nein, sie durften es nicht beenden. Lieber wartete er ständig auf ein Zeichen, dass der andere ihn sehen wollte oder stand Abende wie heute durch, in denen ihn die Eifersucht fest in ihren Krallen hatte. Dafür entschädigten ihn die gemeinsamen Nächte wieder – Nächte, in denen er das Gefühl bekam, dass er für Toshiya auf eine gewisse Weise wichtig und besonders war. Das konnte er nicht aufgeben.

Denn bevor es mit ihnen begonnen hatte, war zwar alles einfacher, aber sein Herz war kalt gewesen.
 

Warum sie damals überhaupt miteinander im Bett gelandet waren, konnte Die nicht mehr sagen. Vielleicht hatte es am Alkohol gelegen oder an der allgemeinen Aufgedrehtheit in Kombination mit der Post-Tour-Depression, die oftmals nach den Abschlusskonzerten auftrat. Oder vielleicht waren sie in diesem Moment auch beide einsam gewesen und hatten die kurzzeitige Nähe zueinander gesucht. Schlussendlich war es egal, denn passiert war passiert.

In dieser Nacht hatte die Luft um sie herum vibriert, sie zusammengebracht und Die an jenem Abend aufgefangen, die Sehnsucht gelindert. Leider hatte der Morgen die Magie der Nacht sofort wieder zerstört. Die Erinnerung an Toshiyas Reaktion, als Die im Bett neben ihm aufgewacht war, wollte auch nach Monaten nicht verschwinden, war allgegenwärtig.

Ein trauriges Lächeln huschte über das Gesicht des Gitarristen. Ja, es war alles andere als traumhaft gewesen.

Dieser erschrockene, beinahe entsetzte Gesichtsausdruck, die aufgerissenen dunklen Augen, die heisere Stimme, die ihn fragte, was er hier machte.

Definitiv ein Grund, das Ganze als große Dummheit und einmalige Sache abzuhaken und zu hoffen, dass die Freundschaft nicht zukünftig darunter leiden würde. Allerdings war es, warum auch immer, nicht bei diesem einen Mal geblieben. Mittlerweile konnte man ihnen sogar eine gewisse Regelmäßigkeit vorwerfen, unter dem Deckmantel der Geheimnistuerei. Am Tag waren sie nur Arbeitskollegen und Freunde, mehr nicht. In der Nacht fingen sie sich gegenseitig auf und vertrieben die Einsamkeit. Und es war gut so, wie es war, obwohl Dies Herz ihm etwas anderes sagte. Aus der anfänglichen Affäre war mehr geworden, doch noch hielt er es aus. Wieso sollte er diese Stunden, in denen er den Jüngeren für sich alleine haben konnte, ihn mit niemandem teilen musste, hergeben? Er war süchtig nach dem Gefühl, das Toshiya ihm gab. Als wäre er nicht einer von vielen, sondern der Einzige. Und solange Toshiya ihn nicht abwies, würde er bei ihm sein – jedenfalls bis in die Morgenstunden.
 

Ein hauchzartes Streichen über Dies Nacken holte ihn aus den wirren Gedanken und er zuckte leicht zusammen.

„Müde?“

Die raue Stimme an seinem Ohr schickte ihm einen angenehmen Schauer über den Rücken. Er hielt die Augen geschlossen, versuchte sein vor Schreck rasendes Herz zu ignorieren, während die kühlen Finger über seine Haut glitten. Eine wohlige Gänsehaut folgte ihnen.

Nach und nach wurde er ruhiger. Wenn er nicht aufpasste, würde er anfangen wie eine Katze zu schnurren, auch wenn er bezweifelte, dass der Schwarzhaarige es aus der lauten Musik heraushörte.

So könnte es bleiben. Das sanfte Kraulen im Nacken war wunderbar angenehm und ließ seinen Körper kribbeln. Alles andere wurde zur unwichtigen Nebensache, nur dieses Gefühl auf seiner Haut und Toshiyas Nähe zählten.
 

Obwohl die Versuchung groß war, das Ganze eine Weile weiter auszureizen, zwang er sich, diesen Moment kurz darauf zu beenden, um die Situation nicht noch seltsamer erscheinen zu lassen als so schon. Egal, wie sehr er sich eigentlich innerlich dagegen sträubte. Aber… Toshiya sollte nichts merken.

Die Hand verschwand aus seinem Nacken, dafür fanden ihn die dunklen Augen augenblicklich. Dies Magen machte einen Satz. Dieser Blick… Mit einem Mal fühlte er sich nackt und gleichzeitig leicht und befreit.

Mühsam räusperte er sich.

„Ich habe nur gewartet.“

Toshiyas Mundwinkel zuckten, während er sich näher zu Die beugte. Warmer Atem kitzelte an seinem Ohr.

„Dann komm.“
 

~*~
 

Mit einem Ruck kam der Zug zum Stehen. Unverzüglich drängten dutzende Passagiere hinaus, wenige Neue stiegen ein. Je weiter man sich von der Stadt entfernte, desto leerer wurde es und Die hatte endlich wieder das Gefühl, durchatmen zu können. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Anzeigetafel schräg über ihm. Noch drei Stationen, dann den Berg hinauf und er hatte es geschafft. Er konnte den frisch gebackenen Kuchen seiner Schwester, mit dem er zum Besuch genötigt worden war, schon förmlich riechen. Ein flüchtiges Grinsen huschte über das Gesicht des Gitarristen.

Manchmal fühlte sich die Fahrt zu seiner Familie wie eine reine Odyssee an, egal ob er mit dem Zug oder dem Auto fuhr. Was mussten sie auch immer alle so weit außerhalb wohnen?
 

Vielleicht hätte er heute zur Abwechslung lieber das Auto nehmen sollen. Ohne, dass Die es verhindern konnte, kehrten seine Augen auf das Geschehen ihm gegenüber zurück und er runzelte zum wiederholten Mal die Stirn. Ja, das Auto wäre wirklich die bessere Alternative gewesen, dann hätte er wenigstens nicht dieses Pärchen, das seit beinahe einer halben Stunde zusammenklebte, ertragen müssen.
 

Sofort schüttelte er leicht den Kopf – allerdings nicht wegen diesen beiden, sondern aufgrund der Gedanken, die in seinem Kopf herumspukten. Seit wann war er so ein Spießer? Obwohl es mehr als ungewöhnlich war, dass seine Landsleute ihre Zuneigung derart unverblümt zeigten, hatte ihn sowas bisher nie gestört. Da war „ertragen“ ein wirklich hartes Wort. Die musste über sich selbst schmunzeln, als er beobachtete, wie sich die beiden aneinander schmiegten und scheinbar völlig in ihrem eigenen kleinen Universum versanken, die pikierten Blicke der anderen ignorierend.

Sie waren jung und schwer verliebt. Und irgendwie gefiel es ihm, dass sie sich nicht darum scherten, was andere von ihnen dachten. Gut so. Gleichzeitig konnte er sich trotzdem nicht recht entscheiden, ob er wegschauen wollte und ihnen damit ihre öffentliche Zweisamkeit ließ oder ihre Liebe offen bewundern sollte.
 

Es zwickte ein wenig in seiner Brust, während er die Augen nicht abwenden konnte. Er kam sich schon wie ein Voyeur vor, aber zu stören schien es die beiden nicht. Sie nahmen nichts außer einander wahr. Irgendwie schön. Wenn da nicht der Neid wäre, der sich gerade ungehemmt in ihm breit machte. Er wollte sich gerne ebenso verlieren, in diesem Moment nur für den anderen existieren und alles andere vergessen.

Kurz kniff er die Augen zusammen, um diese Gedanken zu vertreiben, aber natürlich half es nur bedingt.

Eigentlich war sein Wunsch utopisch. Die wusste, dass sie sich niemals in der Öffentlichkeit so zeigen konnten, selbst wenn ihre Beziehung über die Affäre, die sie nun mal war, hinausgehen würde. Manchmal glaubte er, dass sogar „Affäre“ zu viel war. Vielmehr war es eine Freundschaft Plus. Also nichts, was in dieser Intensität wie bei diesen Beiden funktionieren könnte. Und dennoch blieb dieser Wunsch in ihm verankert und drängte sich immer mehr auf.

Vor wenigen Wochen hatte er gedacht, dass die nächtlichen Treffen reichen würden, die zeitweilige Aufmerksamkeit des Bassisten genügte, aber nun? Am liebsten wollte er Toshiya die ganze Zeit um sich haben und nicht nur als Kollege oder Freund.

Doch könnte er ihm von diesem Wunsch erzählen? Sicher nicht. Denn bisher hatte sich nichts zwischen ihnen geändert. Sie redeten nicht darüber. Das Dunkel der Nacht gab ihnen den Halt, den sie beide in dem Moment zu brauchen schienen, der Tag gaukelte ihnen dafür ein völlig anderes Bild vor. Ein Bild von Normalität und Zwanglosigkeit.

Für Die war es schon lange nicht mehr normal, er brauchte die gestohlenen Stunden wie die Luft zum Atmen. Deshalb würde er weiterhin nichts sagen, sondern einfach das genießen, was der Jüngere bereit war, ihm zu geben, und weiter träumen.
 

Ein erneuter Ruck ging durch den Wagon. Erschrocken schaute Die auf. Der rot gefärbte Wald, der hinter dem Bahnhof emporragte, kam ihm bekannt vor. Mist, seine Haltestelle!

Während er sich eilig seine Tasche schnappte und sich mit einem weiteren Mann Richtung Tür begab, warf er einen letzten, flüchtigen Blick auf das Liebespaar. Sie waren völlig in ihrer Welt versunken.
 

Wehmütig lächelnd verließ er den Zug.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  yamo-chan
2020-08-20T06:01:59+00:00 20.08.2020 08:01
Oooh Dai!
Da hat es ihn aber ganz schön erwischt.
Der arme. <3
Na dann hoffe ich, dass Toshiya nicht mit ihm spielt, sondern sich insgeheim vielleicht doch wünschen würde, dass Die mal bei ihm bleibt, nach einer ihrer aufregenden Nächte?
Bin gespannt, wie sich die Geschichte noch entwickelt. :)
Antwort von:  QueenLuna
20.08.2020 18:37
Hmmm Dai tat mir zwischendurch auch immer mal leid... Toshi macht es ihm auch nicht unbedingt einfach ^^;
Vielen lieben Dank für deinen Kommentar <3 hab mich sehr darüber gefreut ^^


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