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The Diary of Mrs Moriarty

von

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Labyrinth der Seelen

Heimlich schlich ein kleines Mädchen einen engen, dreckigen Hausflur entlang, in Begleitung eines zierlichen Kerzenleuchters in der Hand. Sie öffnete die Tür zu einem dunklen Raum, in dem lediglich ein klappriges Bett und eine große hölzerne Kommode stand. 'Die Luft ist rein!', dachte sie erfreut. Das Mädchen stellte sich auf Zehnspitzen und zog die oberste Schublade der Kommode heraus. Anschließend nahm sie sich ein Buch, mehrere Blätter und einen Stift. Dann packte sie alles unter einen Arm und verließ wieder schnell den Raum. Die Kerze erleuchtete ihr den Weg, während sie eine steile Treppe emporstieg und einen staubigen Dachboden betrat. Den Kerzenleuchter stellte sie auf einer niedrigen Holzkiste ab, klappte das Buch auf und legte die Papierblätter zusammen mit dem Stift daneben. Die vielen Spinnenweben um sich herum blendete sie aus. Da hörte sie plötzlich unheilverheißende Schritte auf der Treppe. 'Oh nein…man hat mich gehört…', dachte das Mädchen verängstigt und begann am ganzen Leib zu zittern.

„Hast du dich schon wieder hierher verkrochen? Du machst mir nichts als Ärger!“, schimpfte eine Frau, die wütend den Dachboden heraufkam. Sie hatte tiefe Augenringe und ihr gesamtes Erscheinungsbild sah sehr ungepflegt aus. In der linken Hand hielt sie eine Weinflasche und in der rechten einen dampfenden Teller.

„Von woher hast du das Buch hergeholt und wieso malst du? Was soll das werden, Miceyla?“, fragte die Frau erzürnt.

„Ich male nicht, ich bringe mir Lesen und Schreiben bei. Denn du willst es mir ja nicht beibringen, Mutter“, entgegnete Miceyla ohne ihr dabei in das Gesicht zu sehen. 'Du kannst es selbst nicht mal richtig…', fügte sie noch still in Gedanken hinzu.

„So ein Schwachsinn! Du wirst das eh nie lernen!“, blaffte ihre Mutter verächtlich, legte den Teller und die Flasche auf den Boden und zerriss Miceylas ganze Blätter.

„Nein!“, wimmerte sie und biss sich mit Tränen in den Augen auf die Lippe.

„Iss doch lieber etwas“, meinte ihre Mutter mit gespieltem Lächeln und zeigte auf den Teller.

„Lecker!“ Hungrig wollte Miceyla nach dem gekochten Reis greifen, doch ihre Mutter trat vorher mit dem Fuß auf ihre kleine Hand.

„Au! Bitte hör auf! Das tut weh!“, schrie Miceyla und sah die eigenen Tränen auf den Dachboden tropfen.

„Du bist der größte Fehler in meinem Leben gewesen! Und da soll ich dich auch noch durchfüttern? Pah! Wärst du nicht auf der Welt, hätte er mich niemals verlassen!“, brüllte ihre Mutter und warf die Flasche aggressiv in eine Ecke, woraufhin diese in unzählige Scherben zerbrach.

„Vielleicht sollte ich dich einfach hier zurücklassen. Mir ist es gleichgültig, was aus dir wird!“, sprach sie kaltherzig und entleerte den Teller direkt vor ihrer Tochter, ehe sie verschwand. Miceyla hielt weinend die schmerzende Hand an sich gedrückt. 'Gibt es denn niemand, der mir jemals helfen wird?', dachte sie verloren und verlassen.

„Komm mit mir! Ich teile mein Essen mit dir!“ Auf einmal erschien ein blondhaariger Junge vor ihr und blickte sie freudestrahlend mit rubinroten Augen an.

„W-wer bist du?“, fragte sie verwundert und ein wenig skeptisch.

„Ich heiße William, nenn mich einfach nur Will. Lass mich dein Freund sein, ich vertreibe all deinen Schmerz und deinen Kummer!“, versprach er beschützend. Die Hoffnung kehrte zu ihr zurück und nun schaffte sie es zu lächeln.

„Will! Dann bin ich von nun an deine Freundin!“ William rannte mit Miceyla Hand in Hand aus dem Haus und machte unter einem großen Baum auf einer Wiese halt. Sie setzten sich beide nebeneinander in das weiche Gras.

„Hier bitteschön!“ William holte ein belegtes Brötchen aus einem Korb hervor und hielt es Miceyla lächelnd hin.

„Aber du musst auch etwas essen!“, meinte sie besorgt über seinen zerbrechlich aussehenden Körper.

„Du sorgst dich um andere, obwohl es dir selber sehr schlecht geht? Dann hast du wirklich ein gutes Herz!“ Somit teilte er das Brötchen in zwei Hälften.

„Danke!“ Froh über etwas zu essen, biss sie mit weit geöffnetem Mund herzhaft hinein.

„Du Will… Warum leben auf dieser Welt so böse Menschen wie meine Mutter?“, fragte sie traurig und blickte hinauf in den klaren Sternenhimmel.

„Es gibt so viele Unterschiedliche Menschen, wie es auch Sterne gibt. Alle mögen sich äußerlich ähneln und doch sind sie in ihrem Kern grundverschieden. Würde jeder den anderen akzeptieren und anerkennen, bildete sich daraus eine starke Gemeinschaft“, erklärte er verträumt und folgte ihrem Blick.

„Ach Will, dass wäre wunderbar!“, stimmte sie begeistert zu und sah ihn freudig an.

„Du hast einzigartig schöne Augen… Dieses Smaragdgrün…es erinnert mich an ein kostbares Juwel, auf das Jagd gemacht wird und darauf wartet, von einem Retter beschützt zu werden“, sprach er fasziniert. Verlegen errötete Miceyla.

„Du bringst dir selbst das Schreiben bei? Das finde ich großartig!“, lobte William.

„Ja… Ich mag der Welt beweisen, dass auch ein einfaches kleines Mädchen, große Träume haben kann!“, antwortete sie euphorisch.

„Dann…lass uns doch einen gemeinsamen Traum haben. Vereinen wir unser Lebensziel. Denn was dieser Welt fehlt ist…“, begann er und hielt dabei ihre Hand gefühlvoll fest.

„…Liebe…“, sprachen beide gleichzeitig. Plötzlich erschien hinter William eine schwarze Gestalt und richtete eine Pistole auf ihn.

„Pass auf Will!“, schrie sie panisch. Es war jedoch zu spät, die finstere Gestalt drückte ab und es knallte fürchterlich. Kurz darauf wurde ihre Umgebung pechschwarz…
 

„Neiiiiiin!“ Miceyla erwachte schweißgebadet und richtete sich mit rasendem Herzen in dem Bett auf.

„Argh!“ Ein stechender Schmerz machte sich sogleich bei ihr, am ganzen Körper bemerkbar und sie ließ sich wieder jammernd zurückfallen. 'Was für ein Traum… Und… Autsch! Eine weite Wanderung, werde ich in den nächsten Tagen garantiert nicht planen. Ich befinde mich tatsächlich noch im Moriarty-Anwesen. Oh Gott! Wie spät ist es eigentlich?' Miceyla ließ unwissend wie lange sie geschlafen hatte, ihren Blick durch das Zimmer wandern. Helles Tageslicht fiel zwischen den samtblauen Vorhängen herein. Da entdeckte sie eine Wanduhr mit hübschen filigranen Mustern und einem römischen Ziffernblatt. 'Schon beinahe halb vier am Nachmittag! Mich scheint keiner geweckt zu haben…' Mühsam stand sie auf und zog die schweren Vorhänge an den Fenstern vor. 'Das ich mal in dem Haus eines Adeligen aufwachen würde…', dachte sie ohne dies richtig wahrhaben zu wollen und betrachtete die schöne Landschaft außerhalb des Anwesens. 'Wie es hier wohl im Sommer aussehen wird?' Sie lief in das geräumige Badezimmer und versuchte sich einigermaßen gewissenhaft zurechtzumachen. Jedoch gelang es Miceyla in ihrem abgekämpften Zustand nicht wirklich. 'Was solls, ich sehe immer noch besser aus als letzte Nacht… Daheim mache ich erst mal eine Wellnesskur', beschloss sie gleichgültig. Nun war es höchste Zeit, William und seine Brüder aufzusuchen. Und außerdem knurrte ihr vor Hunger unüberhörbar der Magen. Miceyla rief sich noch einmal ins Gewissen, dass ab heute ein neues Leben für sie begann. Jetzt gehörte sie einer Gruppe an, welche Verbrecher und den Adel für ihre schlimmen Untaten bestrafte. Oder besser gesagt diese auslöschte… Und der Anführer jener geheimen Organisation, war der König der Verbrechen höchstpersönlich. William Moriarty. 'Sherlocks Ziele sind doch ziemlich ähnlich. Wieso könnten die beiden sich nicht einfach verbünden?', überlegte sie verzagt. Aber sie wusste nur zu gut, dass bei deren unterschiedlichen Methoden, zwei gegensätzliche Parallelen aufeinanderprallten. Kurz machte sie noch das Bett ordentlich, dann ging sie auf die Suche nach einem der drei. Da sie nicht ungesittet in irgendwelche Räumlichkeiten reinplatzen wollte, sah sie zuerst in dem gemütlichen Wohnzimmer nach, in dem sie sich bei ihrem ersten Besuch unterhalten hatten. Doch niemand war dort. Also lief sie die Treppe hinunter, um unterhalb weiterzusuchen. Sobald sie unten ankam, trat Louis aus einem, sich auf der linken Seite befindenden Zimmer heraus.

„Ah, Miceyla. Schön das du wach bist. Ich hätte dir sagen müssen, wo sich der Speisesaal befindet. Hier entlang“, grüßte er sie freundlich und wies ihr an ihm zu folgen.

„Hallo Louis.“ An einem länglichen Esstisch saßen William und Albert nebeneinander und plauderten munter.

„Sieh an, da kommt unsere hinreißende Eisblume. Heute gibt es für dich drei Mahlzeiten in einem. Wir haben extra auf dich gewartet. Bediene dich“, machte Albert Miceyla auf den reichlich gedeckten Tisch aufmerksam und sie staunte nicht schlecht über das kleine Festmahl. Sogar hübsche Blumen standen darauf,

„Ich hoffe du konntest ausschlafen und dich etwas regenerieren“, sagte William aufrichtig, ihm schien ihr Wohlbefinden sehr am Herzen zu liegen. Louis und sie setzten sich den beiden gegenüber.

„Naja… Wenn man meinen intensiven Traum und die ganzen Prellungen und blauen Flecken weglässt, fühle ich mich wie neugeboren“, meinte sie daraufhin mit Ironie.

„All das geht vorbei. Du darfst nach dem Essen, jeder Zeit wieder nach Hause zurückkehren. Es sei dir einige Tage Ruhe vergönnt, um dich von den Strapazen zu erholen“, wies William sie rücksichtsvoll darauf hin.

„Dies ist sehr umsichtig“, erwiderte sie knapp und fiel begierig über das Essen her, als wäre sie kurz vor dem Verhungern. 'Mrs Green wird mir die Hölle heiß machen…', kam ihr plötzlich missmutig in den Sinn.

„Unter anderem wirst du einen kleinen Kurs erhalten, damit du die ganze Bannbreite unserer Arbeitsweisen und die verschiedenen Arten von Verbrechen in unserem Land kennenlernst. Louis wird sich deiner annehmen und dich darin unterrichten“, bekundete William geruhsam.

„Stelle dich darauf ein, dass einiges auf dich zukommt“, warnte Louis sie mit strenger Miene.

„Oje… Droht mir erneut ein Test?“, fragte sie belustigt.

„Ha, ha. Nicht doch. Nur ist es unabdingbar, dass du mit unserer präzisen Vorgehensweise mithalten kannst. Und um dich ein wenig an die Praxis heranzuführen, werde ich dich in die Arbeit des M16 miteinbeziehen“, erläuterte Albert ihr voller Tatendrang.

„M16?“, wiederholte Miceyla unwissend worum es sich dabei handelte.

„Das Handelshaus Universal, dient als Firma zur Tarnung des M16“, deckte Albert auf mit unschuldigem Grinsen.

„Gut, ha, ha. Dann weiß ich darüber jetzt auch Bescheid.“

„Stets halte ich dich auf dem aktuellen Stand, damit du unsere Pläne, von Sherlocks eigenen Fällen differenzieren kannst“, fügte William noch taktisch hinzu. 'Auweia… Worauf habe ich mich da nur eingelassen? Das verspricht hart zu werden. Eine menge Arbeit steht mir bevor. Na wenigstens kann ich der Langeweile Lebewohl sagen.'

„Also ich muss schon sagen, ihr seid noch so jung und stellt bereits alle bedeutenden Persönlichkeiten in den Schatten“, sprach sie ihre Bewunderung für die Brüder aus.

„Danke, bestärkende Worte. Du wirst im April dreiundzwanzig, nicht wahr? Dann bin ich ein Jahr älter als du. Louis und du seid gleichalt und Albert ist knappe zwei Jahre älter als ich“, verriet William ihr. 'Woher weiß er denn nun wieder mein Alter? Ah, richtig! Mein Geburtsdatum stand in meinem Notizbuch,' erinnerte sie sich rasch.

„Langsam bin ich satt. Ewigkeiten nicht mehr so viel gegessen. Dafür bedanke ich mich. Jetzt würde ich mich sehr gerne auf den Weg machen. Ausnahmsweise ziehe ich es mal vor, noch Zuhause anzukommen, ehe es dunkel wird. Und da wartet eine reizende Dame, auf eine entschuldigende Erklärung meinerseits…“, tat sie ihren Aufbruch kund und trank noch gemütlich ihre Tasse aus.

„Wenn dem so ist, werde ich dich nicht länger aufhalten. Ich begleite dich bis zur Kutsche“, meinte William und verließ mit ihr zusammen den Speisesaal.

„Auf ein baldiges Wiedersehen“, verabschiedete Albert sich winkend.

„Bis demnächst. Und schone lieber deine Ausdauer und Nerven. Du wirst dies brauchen“, neckte Louis sie lächelnd, doch war es nett gemeint.

„Bis bald ihr beiden. Und werde ich machen“, nahm sie Abschied von ihnen. Da fiel Miceyla vor der Eingangstür noch eine Kleinigkeit ein.

„Was ist mit diesem Kleid…?“, fragte sie und sah grübelnd an sich hinab.

„Behalte es. Als Ersatz für dein altes. Ich finde es steht dir ausgezeichnet“, schmeichelte William ihr.

„Vielen Dank. Das alte Kleid kann man sowieso entsorgen… Ist nicht weiter tragisch.“

Draußen stupste er sie plötzlich am Arm an.

„Komm, lass uns ein Stück laufen. Die Kutsche kann auch noch ein Weilchen länger warten“, sprach er heiter direkt neben ihr.

„In Ordnung… Wieso nicht, es scheint ja auch die Sonne“, willigte sie ein und war etwas überrascht. Aber insgeheim musste Miceyla eingestehen, dass sie sich unheimlich darüber freute. Die zwei bogen rechts am Anwesen ab und liefen einen breiten Weg entlang.

„Du hast mir immer noch nicht verziehen, gib es ruhig zu“, begann William mit einem zaghaften Lächeln.

„Wie soll ich es am besten ausdrücken… Nach dem Ball wurde ich einfach überrumpelt und erfuhr, dass du der sagenumwobene Meisterverbrecher bist, von dem mittlerweile beinahe ganz London spricht. Jedoch…in dir sehe ich keinen Menschen, dem ich ernsthaft länger böse sein könnte…“, murmelte sie verträumt. 'Dafür mag ich dich schon viel zu sehr… Unsere Begegnung war wie ein rettender Hoffnungsfunke für mich, auf den ich die ganze Zeit warten musste', dachte sie anmerkend.

„Das höre ich gern und macht mich wirklich glücklich. Ich weiß du trägst wie jeder von uns, deine eigenen seelischen Wunden mit dir durchs Leben. Zwar vermittelst du für manch einen noch, dass du ein sensibles und verletzbares Wesen bist. Doch schlummert in dir eine verborgene Stärke, eine ganz besondere Willenskraft. Du hast es bereits bewiesen. Und ich mag dir dazu verhelfen, diese Fähigkeit voll auszuschöpfen und zu lernen sie weise einzusetzen. Wir müssen unsere Vergangenheit hinter uns lassen, damit wir aufrichtig und erfolgreich unsere Zukunft gestalten können. Daher wünsche ich mir, dass du offen Veränderungen annimmst und dennoch deine individuelle Entschlossenheit beibehältst. Ich lege dir dies ganz persönlich ans Herz, unabhängig von den Meinungen anderer. Was mir des Weiteren wichtig erscheint… Ich bitte dich darum, an meiner Seite mich immer wieder daran zu erinnern, nicht vom Weg abzukommen und die Pläne bis zum Ende durchzuziehen. Niemand kann wissen, was der Morgen für einen bereithält. Es mag dich wundern, dass solche Worte von einem Menschen kommen, der alles stets mit Perfektion durchdenkt…“, sprach William ehrlich seine Gedanken aus. Nach einer Weile des Spazierens, hatten die beiden ein weitflächiges Feld erreicht. Miceyla sah ihn an, wie er neben ihr herlief. Mit Augen die zielstrebig geradeaus blickten und von der späten Nachmittagssonne geküssten, glänzend blonden Haaren. Eilig sah sie zu Boden, als sein Anblick ihr Herzklopfen einbrachte.

„Manche Aufgaben, warten vielleicht einfach nur noch auf die passende Lösung, stimmts? Du denkst sehr tiefgründig, genau wie ich. Das macht dich umso menschlicher“, sagte sie leise und lächelte. Auf einmal machte er Halt, sie tat es ihm gleich und blieb ebenfalls stehen. Kurz darauf lief er ein Stück um sie herum und lehnte sich etwas gegen ihren Rücken. Da standen sie nun, Rücken an Rücken. Miceyla riss überrascht von dieser plötzlichen Geste, die Augen weit auf.

„Ich werde dein schützendes Schwert sein, auch wenn du mich nicht immer sehen kannst. Ich werde den Pfad für dich ebnen, damit du ihn sicher und unbeirrt beschreiten kannst“, beteuerte William mit einfühlsamer Stimme.

„Ich werde dein begleitendes Licht sein, welches dir selbst in der finstersten Dunkelheit den Weg erhellt. Schreiben wir unsere eigene Geschichte. Ergreifen wir die Möglichkeiten, warten wir nicht auf sie…“, gab Miceyla ihm ihr Versprechen. Sie musste Acht geben, dass die Gefühle nicht vollends ihre Sinne vereinnahmten.

„Gut… Bald sehen wir uns ja wieder. Lass uns dann weiterreden. Dem Kutscher ist sicher bereits langweilig, ha, ha“, sagte er lachend und ließ so abrupt von ihr ab, dass sie beinahe nach hinten gefallen wäre.

„I-ich bin schon unterwegs!“
 

Einige Tage waren verstrichen. Endlich durfte man den Monat März begrüßen und sich darauf freuen, bald von den kalten Wintermonaten Abschied zu nehmen. Miceyla kam gerade von einem wöchentlichen Einkauf zurück und hatte wichtige Briefe, unter anderem von Mrs Green, zur Post gebracht. Gerade wollte sie ihre Wohnung betreten, da fiel ihr auf, dass die Tür geöffnet war. 'Seltsam… Ich habe noch nie vergessen abzuschließen. Sie war geschlossen, da bin ich mir ganz sicher.' Verwundert trat sie mit ein wenig Obacht hinein.

„Ich grüße dich, Miceyla. Verzeih mein Eindringen. Du hast einen sehr ausgefallenen Geschmack, was die Inneneinrichtung angeht. Das verrät mir so einiges über dich…“ 'Sherlock! Was macht er in meiner eigenen Wohnung? Darauf war ich jetzt wirklich nicht vorbereitet. Hat er schon etwas bemerkt? Nein, unwahrscheinlich… Ich muss irgendwie versuchen ich selbst zu bleiben. Es tut mir leid… Um Himmels willen! Er wird doch wohl nicht mein Tagebuch…?!', überkamen sie ungeheure Ängste.

„Sherlock, schämst du dich nicht, einfach in die Wohnung einer jungen Dame einzubrechen? Es war abgeschlossen. Und wer hat dich eigentlich ins Haus gelassen?“, tadelte sie ihn streng und stellte sich vor den Schreibtisch. 'Ein Glück, dass ich heute nicht das Kleid anhabe, welches mir William geschenkt hatte. Er ist unheimlich scharfsinnig…', dachte sie beruhigt.

„Ei, ei, ei. Da hat aber jemand einen schlechten Tag. Kein Grund gleich so aus der Haut zu fahren. Pass auf, sonst endest du wie Mrs Hudson, ha, ha! Keine Bange, ich habe nichts angerührt. Die freundliche Mrs Green hat mich hereingelassen, hat mir sogar einen Tee angeboten. Oh und deine Tür war nicht schwer zu öffnen. Du solltest über ein sichereres Türschloss nachdenken. Meine Neugierde ließ sich nicht bändigen, ich bin untröstlich“, meinte er breit grinsend und tat dabei so, als wäre er die Unschuld in Person.

„Hach… Du bist mir einer“, seufzte Miceyla schmunzelnd und verdrehte die Augen.

„Nanu? Plötzlich so nervös? Welches Geheimnis könnte ein Mädchen in deinem Alter, wohl in ihrer Schreibtischschublade verbergen? Sind es die hohen Rechnungen, welche noch nicht bezahlt wurden? Nein, dafür bist du zu gewissenhaft. Ein Liebesbrief? Das ist es auch nicht. Du trägst dein Herz eher auf der Zunge und drückst deine Gefühle viel lieber durch Gedichte aus. Was bleibt da noch übrig?... Ein Tagebuch!“, schlussfolgerte Sherlock mit felsenfester Überzeugung.

„Also ich muss doch sehr bitten! Man schnüffelt nicht in der Privatsphäre einer Lady herum. Du hast einmal davon gesprochen, dass ich meine Fähigkeiten verschwenden würde. Nun verschwendest `du` deine mit Unsinn“, meinte sie belustigt. 'Sherlock wäre ein beängstigend guter Verbrecher. Es ist beruhigend zu wissen, dass er sich dem Gesetz verpflichtet hat', dachte sie erleichtert.

„Wo wir schon einmal bei Talenten sind. Mir ist da glaube ich noch eines bei dir aufgefallen. Du hast eine sehr klare und hohe Stimme. Du kannst gut singen, liege ich da richtig?“, stellte er fest, woraufhin sie ihn nur verblüfft ansah.

„Wie dem auch sei… Ohne ein triftiges Anliegen, würdest du mir keinen Besuch abstatten. Denn du machst dir nicht viel aus dem weiblichen Geschlecht. Das habe `ich` an dir bereits analysiert“, sagte Miceyla scherzhaft, um das Thema zu wechseln.

„Ha, ha! Nun gut. Heute Morgen kam eine Klientin zu mir und bat um Unterstützung, in dem Mordfall ihrer jüngeren Schwester zu ermitteln. Sie war nervtötend hysterisch, da käme mir deine gesunde `weibliche` Intuition ganz gelegen. Der Fall verspricht recht interessant zu werden. Zumindest steht momentan sonst nichts auf meiner Liste. Die Details kann ich dir unterwegs erklären“, enthüllte er nun die Wahrheit über sein hereinplatzen etwas ernsthafter.

„Was ist mit John? Kommt er nicht mit? Ungewöhnlich…“, fiel ihr sogleich auf.

„Ich wusste du würdest nach dem guten Doktor fragen. Leider hat er momentan, einen etwas eingeschränkteren Alltag. Bei unserem letzten Auftrag…sagen wir es gab einen kleinen Unfall, wobei er sich den Knöchel leicht verstauchte. Jetzt nur kein bestürztes Gesicht machen! Er behandelte sich selbst und schont nun seinen Knöchel. Glaube mir, er erfreut sich bester Gesundheit und lässt sich von Mrs Hudson verwöhnen“, versuchte er feinfühlig zu vermeiden, dass Miceyla darüber aufgebracht wäre.

„Ach herrje, der arme John! Ich werde ihn mal besuchen kommen. Wollen wir dann los? Meine `weibliche Intuition` steht dir zur freien Verfügung. Und beim nächsten Mal, wartet der wehrte Herr bitte draußen vor der Tür!“, stellte sie amüsiert klar und streckte ihm spaßeshalber die Zunge raus.

„Der wehrte Herr wird schwer darum bemüht sein, dieser Bitte nachzugehen.“

Sherlock führte sie zu besagtem Treffpunkt, den er mit der Frau ausgemacht hatte.

„Es wird für uns beide ein etwas unschöner Aufenthaltsort sein. Aber da die Leiche ihrer Schwester noch unberührt dort liegt, wählte ich natürlich gerade diesen Ort aus, um mit der Recherche zu beginnen. In unserer kurzen Unterredung, gab die verzweifelte Dame mir nur wenige Hinweise. Sie wollte, dass wir uns unverzüglich an jenem Tatort treffen. Und da fängt es auch direkt an merkwürdig zu werden…“, erzählte er ihr nachdenklich.

„Ja das stimmt. Wer will schon zu der Stelle zurückkehren, wo ein geliebter Mensch gestorben ist. Und dann liegt die Leiche auch noch dort. Es wäre natürlicher, wenn man Abstand gewinnen wollte. Da es zu traumatisierten Verhaltensweisen kommt, kurz nach solch einem Vorfall“, grübelte Miceyla ob dies stimmen könnte.

„Bingo. Scheint mir, als wollte die gute Dame es rasch hinter sich bringen. Entweder einfach nur aus dem banalen Grund, den Täter schnellstmöglich hinter Gitter zu bringen. Oder es verbirgt sich dabei doch noch etwas Tiefgründigeres. Gleich werden wir uns ein genaueres Bild darüber machen können. Sieh nur, da wären wir!“ Die zwei machten vor einem extraordinären Gebäude, mit abgedunkelten Fenstern halt.

„Ein Bordell…aha. Hab gleich bei dieser Gegend bemerkt, dass es mir hier nicht gefällt.“ Da öffnete sich auch schon die Tür und eine Frau mit kritischem Blick lugte heraus. Sie war etwa Anfang dreißig, ihre dunkelblonden Haare waren streng nach hinten gekämmt und zusammengebunden. Ihr beiges Kleid sah ziemlich befleckt und mitgenommen aus.

„Mr Holmes, wie gut das Sie so schnell hier erscheinen konnten und…“, sprach die Frau heiser und ihre glasigen Augen fielen auf Miceyla.

„Das ist meine Kollegin, Miceyla Lucassen. Dürfen wir eintreten?“, stellte Sherlock sie der verbitterten Frau vor. 'Kollegin, ha, ha…', dachte Miceyla und freute sich ungemein, dass er ihre Hilfe anscheinend sehr zu schätzen wusste.

„Bitte kommen Sie herein. Miss Lucassen, ich bin Scarlett Stanford. Der Besitzer hat erlaubt früher zu öffnen, damit Sie ungestört ermitteln können, Mr Holmes“, sagte sie frei von jeglichen Emotionen.

„Es wurde nicht viel verändert schätze ich? Ihre Schwester…liegt dort wie ich sehe. Miss Stanford, dann fangen Sie einmal an zu erzählen, wie sich das ganze zugetragen hat. Bitte alles was Sie wissen, nichts dabei auslassen. Unterdessen werde ich die Leiche mal genauer unter die Lupe nehmen“, schilderte Sherlock und begann sogleich mit seiner routinierten Arbeitsweise.

„Wie lange liegt der Todeszeitpunkt in etwa zurück, na?“, fragte er an Miceyla gerichtet. Sie betrachtete die leblose, kreidebleiche junge Frau, welche auf dem Teppichboden lag. Beinahe so rein und lieblich ruhte diese da, als würde sie bloß tief und fest schlafen.

„Das kann ich nur schwer sagen, ich bin kein Arzt wie John. Aber ich vermute, der Äußerlichkeit nach zu urteilen, liegt der Zeitpunkt des Todes noch nicht all zu lange zurück. Meines Erachtens letzte Nacht. Was auch logisch ist, da man eine Leiche nicht in einem gut besuchten Bordell liegen lassen würde“, vermutete Miceyla und wahrte lieber einen größeren Sicherheitsabstand zu der toten Frau als Sherlock, der diese eifrig aus nächster Nähe untersuchte.

„Ja, gar nicht mal so schlecht. Tracy Stanford, achtundzwanzig Jahre, hat als Aushilfe in einer kleinen Bäckerei gearbeitet. Der Tod liegt wahrscheinlich zehn Stunden zurück. Ein makellos unverwundeter Körper. Sie wurde vergiftet. Die Wirkung des Giftes, mit hohem Nitritgehalt, hat schleichend eingesetzt. Nach einigen Minuten begann es mit leichter Atemnot. Die Blutzufuhr war nach kurzer Zeit blockiert und ihr Herz wurde nicht mehr mit ausreichend Sauerstoff versorgt. Folge, Herzstillstand“, erläuterte Sherlock ruhig und man meinte, er sei kurz in die Vergangenheit zurückgereist und hätte alles selbst miterlebt.

„Du bist ein wahrer Giftexperte“, lobte Miceyla ihn begeistert.

„Ich nenne das eher Allgemeinwissen. John reagiert stets ähnlich wie du“, meinte er und freute sich ganz offensichtlich über ihr Lob.

„Was für dich bloß Allgemeinwissen bedeutet, ist für andere ein komplettes Studium, ha, ha“, erwiderte Miceyla lachend, verstummte jedoch sofort, um auf die trauernde Miss Stanford Rücksicht zu nehmen.

„Meine kleine Schwester Tracy, stammte genau wie ich aus ärmlichen Verhältnissen. Sie hat das Klavierspiel sehr geliebt. Da ich unverheiratet bin, arbeitete ich bei meinem Vater auf einem Landhof um Geld zu verdienen, damit ich sie so gut es ging bei ihrem Traum unterstützen konnte, eine erfolgreiche Pianistin zu werden. Die Menschen lächelten, wann immer sie spielte. Vor vier Monaten lernte Tracy hier London einen Mann kennen, der meines Erachtens zu alt für sie war. Sein Name war Peter Robinson. Stets prahlte meine Schwester damit, wie wohlhabend und edelmütig er war. Ich sah ihn viel eher als einen verlogenen Betrüger, der nur seinen Spaß mit ihr haben wollte. Tracy machte ihm schöne Augen. Fast täglich spendierte er ihr gutes Essen und komfortable Lebensstandards. Ich habe sie ständig davor gewarnt, mich nicht auf sein durchtriebenes Spiel einzulassen. Doch sie war schrecklich naiv und meinte, ich sei ja nur eifersüchtig. Dann kam irgendwann der Tag, an dem Tracy völlig aufgelöst zu mir rannte. Unter Tränen erzählte sie mir, dass Robinson sagte, er hätte das Interesse an ihr verloren und das sie nun ihre Schulden bei ihm begleichen sollte. Er drohte damit, ihr ansonsten alles zu entreißen was sie besäße. Natürlich wollte ich ihr helfen, auch wenn ich von Anfang an ahnte, dass sie eine Dummheit begangen hatte. Mein ganzes Erspartes gab ich meiner Schwester und arbeitete unaufhörlich weiter. Unseren Eltern verschwiegen wir die missliche Lage. Jedoch wusste ich nur zu gut, dass wir das Geld niemals auf die Schnelle zusammenbekommen würden… Dann eines Tages, kehrte Tracy nach Hause zurück zu unserer Mutter und da erbot sich ihr ein schrecklicher Anblick. Alles lag in Trümmern und unser gesamtes Hab und Gut wurde beschlagnahmt. Unsere Mutter war schwer verletzt aber noch am Leben. Wir waren uns natürlich im Klaren darüber, wessen Werk das gewesen war und fanden eine Nachricht die besagte: Wenn du mir schon so wenig zu bieten hast, wirst du wohl als nächstes mit deinem Leben bezahlen müssen. Meine Schwester hielt es nicht länger aus und wollte sich Robinson endgültig stellen. Sie vereinbarte ein Treffen genau hier, wo sie sich immer zuvor getroffen hatten. Verzweifelt versuchte ich sie davon abzuhalten und wollte nach einer anderen Lösung suchen. Aber sie sagte, ich solle mich raushalten. Tracys Wunsch war es, für ihre eigene Einfältigkeit geradezustehen. Gestern Abend war es dann soweit. Ich folgte ihr heimlich hierher. Leider hat mich die überfüllte Gasse aufgehalten und ich bin zu spät hier eingetroffen. Das einzige was ich noch sah war, dass sie aus einem Glas getrunken hatte. Von Robinson fehlte jede Spur… Mehr ist dem ganzen nicht hinzuzufügen. Heute Morgen habe ich Sie gleich aufgesucht, Mr Holmes“, endete Miss Stanford die tragische Geschichte. Sherlock hatte die ganze Zeit über aufmerksam zugehört, währenddessen ließ er ab und an seinen Blick durch das Bordell schweifen.

„Hm… Danke Miss Stanford. Hatte ihre Schwester an dem gestrigen Abend, irgendwelche Privatgegenstände bei sich?“, fragte er bedächtig.

„Ja, eine Tasche mit den nötigsten Utensilien, welche eine Frau so bei sich trägt. Ich habe sie in meine Obhut genommen und in unsere Wohnung hier in London gebracht“, meinte sie daraufhin und wirkte auf einmal leicht nervös.

„Prima. Wären Sie so freundlich und bringen mir die Tasche? Soweit ich mich erinnere, wohnen Sie nicht weit von hier entfernt“, bat er sie um diesen Gefallen.

„A-aber ist das denn wirklich nötig? Wie soll das bei Ihren Ermittlungen helfen…?“, hob Miss Stanford zögerlich an.

„Vertrauen Sie mir, ich weiß was ich tue. Wollen Sie etwa Ihre Schwester nicht mit gutem Gewissen verabschieden?“, überredete Sherlock sie gelassen.

„Meinetwegen… Ich hole die Tasche kurz. In etwa einer halben Stunde bin ich zurück.“ Eilig verließ Miss Stanford das Bordell. Er spähte aus einem Fenster um sich davon zu vergewissern, ob sie auch wirklich fort war.

„Ihre ganze Anspannung verriet, dass sie sich unheimlich unter Druck gesetzt gefüllt hatte. Kein Zweifel, sie muss etwas zu verbergen haben“, sprach Miceyla als die beiden alleine waren.

„So sieht es aus. Die ausführliche Erzählung entsprach der Wahrheit, nur zum Ende hin wurde es etwas schwammig. Mit ihrer Anwesenheit wollte sie alles daransetzen, um mich davon abzuhalten, hier alles näher untersuchen zu können und das ich ja nichts entdecke, was ihr schaden würde“, bejahte er ihre Annahme.

„Also schicktest du sie unter dem Vorwand, dir die Tasche zu holen, für eine Weile weg“, folgerte sie.

„Genau. Die gute Dame hätte mir nicht widersprechen können, sonst wäre sie mit dem auffälligen Verhalten, nur noch verdächtiger geworden. Dann lass uns mal die Fakten durchgehen, ehe sie wieder herbeigerannt kommt. Und schau, all die benutzten Gläser, stehen noch ungespült von letzter Nacht auf der Theke. Was für ein Schlampenladen. Aber zu unserem Vorteil, he, he!“ Wie ein Spürhund schnüffelte er strebsam an jedem der Gläser, über seine genauen Absichten konnte Miceyla nur spekulieren.

„Das Miss Stanford mit jenem Robinson unter einer Decke steckt, ist ausgeschlossen. Sie liebte ihre Schwester sehr. Vielleicht hat er Scarlett ja auch erpresst?“, überlegte sie sich angestrengt eine passende Möglichkeit.

„Im Beobachten bist du schon mal gar nicht schlecht, doch im Schlussfolgern sollte ich dir noch etwas Nachhilfe geben“, sagte er und grinste sie an.

„Na da bin ich ja bei dem richtigen Fachmann, ha, ha.“

„Versuche es einfach einmal selbst. Wer ist nach aktuellen Gegebenheiten die hauptverdächtige Person und wer könnte in Mitleidenschaft gezogen worden sein? Unser Opfer wurde vergiftet, behalte dies im Hinterkopf“, regte er sie zum Nachdenken an und zündete sich genüsslich eine Zigarette an.

„Ganz offensichtlich Peter Robinson, welcher Tracy schamlos ausgenutzt hat. Nur vertuscht ihre große Schwester etwas… Mal angenommen sie wäre gestern Abend gar nicht zu spät gekommen und wäre dazwischen gefunkt… Könnte etwas schiefgelaufen sein? Oder… Jedoch, wenn er sie gesehen hätte… Moment mal! Du glaubst doch nicht etwa, Miss Stanford hat ihre eigene Schwester umgebracht?! Nie wäre sie dazu im Stande gewesen!“. sprach sie fassungslos. Die Sache verwirrte sie immer mehr.

„Sie hätte es nie gewollt und gekonnt. Und dennoch hat sie es getan“, murmelte Sherlock, während er das Bordell nach einem Hinterausgang absuchte.

„Das widerspricht sich“, kam es darauf von Miceyla und sie betrachtete nachdenklich seine Spurensuche.

„Noch ist es eine Hypothese. Gleich erhalten wir Beweise, die sie belegen. Und ich vermute, der triebsüchtige Robinson weilt schon gar nicht mehr unter uns.“ Miceyla öffnete den Mund um ihn mit Fragen zu bombardieren, doch da platzte Miss Stanford wieder herein und sie war gezwungen stumm zu bleiben.

„Mr Holmes, Tracys Handtasche…“ Sie überreichte ihm mit hektischen Atemzügen, eine kleine dunkelrote Handtasche.

„Herzlichen Dank für Ihre Mühen“, bedankte er sich lächelnd und schüttete kurz darauf den Inhalt etwas lieblos auf einem Tisch aus.

„Also Sherly! Ein wenig mehr Feingefühl, wenn ich bitten darf!“, flüsterte Miceyla scherzhaft und stieß ihm leicht mit dem Ellenbogen gegen die Seite. Er grinste nur wortlos vor sich hin. In der Tasche befanden sich keine besonderen Gegenstände. Bloß Schminkzubehör, ein Schlüssel und ein kupferfarbener Taschenspiegel. Doch dann fiel noch ein zerknitterter Zettel heraus.

„Steht etwas darauf? Lass mal sehen… Das kann ja kein Mensch lesen… Und was bedeuten diese Zahlen?“, fragte Miceyla sich neugierig und hielt Sherlock den Zettel hin.

„Interessant… Es handelt sich hierbei um ein Kryptogramm, eine verschlüsselte Nachricht. Normalerweise steht jeder Buchstabe für eine Ziffer. In diesem Fall ist es aber noch etwas komplexer und teilweise umgekehrt. Für was könnten die Zahlen, der Anzahl nach zu urteilen stehen, na?“ Er blickte Miceyla erwartungsvoll und mit einem herausfordernden Funkeln in den Augen an.

„Ähm… Mal überlegen… Fünfzehn verschiedene Zahlen. Wenn man noch den Abstand hier in der Mitte miteinbezieht, macht das auf einer Seite sieben und auf der anderen acht… Eventuell für einen Vor- und Nachnamen?“, spekulierte sie.

„Das ist anzunehmen. Großartiger Rückschluss. Miss Stanford, wissen Sie wo Ihre Schwester den Zettel herhatte?“, wandte er sich an die misstrauisch dreinschauende Frau, welche nervös mit den Fingern spielte.

„Oh, da fällt mir lediglich eine Möglichkeit ein. Er wurde ihr im Theater zugesteckt. Der dreiste Robinson spendierte Tracy einige Theaterbesuche. Ich konnte es zwar nie gutheißen, trotzdem hat es ihr unglaublich viel Freude bereitet. Ihr Lieblingsstück war `Das Labyrinth der tanzenden Seelen`. Der Hauptdarsteller soll sehr charismatisch sein. Aber von wem genau diese Nachricht ist, kann ich nicht sagen“, erzählte sie und schien sich verzagt an das glückliche Gesicht ihrer kleinen Schwester zu erinnern.

„So, so… Das hat mit diesem Fall nichts zu tun. Miceyla, behalte den Zettel ruhig in deiner Obhut. Bei dir kann ich mir sicher sein, dass er nicht verloren geht. Noch kann ich dazu nicht allzu viel sagen. Jedoch habe ich das verheißungsvolle Gefühl, dass dies der Hinweis zu etwas wesentlich Bedeutungsvollerem ist. Wenn die Zeit gekommen ist, werden wir uns damit intensiver beschäftigen…“, sagte er und bemühte sich angestrengt darum der Versuchung zu widerstehen, jenem Geheimnis jetzt schon nachzueifern. 'Ich werde die Geheimschrift gut aufbewahren. Bestimmt kann William sie entschlüsseln…', dachte Miceyla und steckte den Zettel behutsam ein.

„Nun gut… Wollen wir uns nicht langsam aber sicher, in Richtung Auflösung dieses Dilemmas begeben?“, kehrte er zu dem aktuellen Fall zurück und rieb sich ausgelassen die Hände. Anschließend nahm er zwei leere benutzte Gläser von der Theke und stellte sie parallel zueinander auf den Tisch, neben welchem die Leiche am Boden lag.

„Wir können die Szene gerne eins zu eins von gestern nachspielen. Falls es Ihnen dadurch leichter fällt, mit der ganzen Wahrheit rauszurücken, Scarlett Stanford. Ich habe auch nichts dagegen die Rollen zu tauschen oder eventuell doch lieber gleich die Gläser…“, fuhr er fort und durchlöcherte Miss Stanford beinahe mit seinem intensiven Blick.

„W-was hat das zu bedeuten? Die Hintergrundgeschichte kennen Sie doch bereits! Es kann unmöglich sein das… Sie bluffen nur!“, stotterte sie, ihr war das Unbehagen förmlich anzusehen.

„Ach kommen Sie. Ich verstehe ja, wie unangenehm Ihnen die ganze Lage ist. Sie dachten, wenn Sie gerade mich anheuern und sogar ich nicht Ihre Lüge aufdecken könnte, würden Sie somit Ihre Last auf ewig mit sich herumschleppen. Tja, da muss ich Sie bitter enttäuschen. Sie haben sich dabei selbst ins eigene Fleisch geschnitten. Dennoch werde nicht ich derjenige sein, der Sie dafür verurteilt. Ergreifen Sie die letzte Chance, um Ihre Sünden zu beichten“, war Sherlock darum bemüht, ihr die ganze Wahrheit zu entlocken. Die arme Frau schien weder ein noch aus zu wissen. Miceyla näherte sich ihr etwas, um ihr in dieser schweren Situation Beistand zu leisten. Nach Sherlocks Anspielungen, konnte auch sie mittlerweile die fehlenden Puzzleteile zusammensetzen.

„Sie sind ein guter Mensch, Scarlett. Sollten Sie wirklich etwas Falsches getan haben, dann könnte es nur unbeabsichtigt gewesen sein oder die Person hätte es verdient gehabt“, sprach sie ruhig auf die verunsicherte Miss Stanford ein.

„Ich sehe es gibt keinen Ausweg mehr für mich… Dieses Elend muss ein Ende nehmen. Ja…ja ich bin ein gewaltiger Feigling! Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als vor Ihrem scharfsinnigen Verstand kapitulieren zu müssen, Mr Holmes… Gestern traf ich unmittelbar nach Tracy hier ein und beschattete die zwei aus sicherer Entfernung. Meine Schwester flehte angestrengt darum, sie und unsere Familie in Frieden zu lassen. Sie schlug sogar vor, ein ganzes Leben lang für ihn zu arbeiten. Der Mann sorgte mit Absicht dafür, dass sie nach und nach betrunken wurde. Als Tracy unaufmerksam war, sah ich dann schockiert, wie Robinson ihr etwas ins Glas geschüttet hat. Seltsamerweise erhob er sich kurz darauf von seinem Platz und verschwand im hinteren Teil des Bordells. Sofort nutzte ich die Gelegenheit und eilte zu dem Tisch, an welchem meine Schwester saß und tauschte ihr Glas mit dem des Mannes aus. So viel Alkohol hatte sie getrunken, dass sie nichts davon mitbekam. Selbst mich bemerkte sie nicht. Hier ist es aber auch ziemlich überfüllt gewesen gestern. Und…und schließlich trank sie… Das Übel nahm seinen Lauf, was für mich unbegreiflich war… Tracy hustete stark und ihr ganzer Körper zuckte beängstigend. Sie kippte seitlich zu Boden und wälzte sich wild umher, als wäre sie am Ertrinken. Wie erstarrt blieb ich an ihrer Seite und konnte nichts weiter tun, als ihrem schmerzvollen Tod beizuwohnen. Ich begreife es einfach nicht! Wie konnten beide Gläser vergiftet sein?“, klagte Miss Stanford und erhaschte den Tränen nahe, einen flüchtigen Blick auf ihre leblose Schwester.

„Es befand sich auch nur in einem der Gläser Gift. Lassen Sie mich Ihnen etwas auf die Sprünge helfen. Robinson hat Sie frühzeitig bemerkt. Leider haben Sie sich nicht unauffällig genug verhalten. Er war doch cleverer als ich anfangs annahm. In Tracys Glas gab er das Gift, dann stand er auf und verdeckte kurz mit seinem Rücken Ihre Sicht auf den Tisch. So war es doch, oder? In diesem Augenblick vertauschte er die beiden Gläser und gab vor wegzugehen. Die Chance kam Ihnen wie gerufen und Sie taten genau das, was Robinson sich erhofft hatte. Sie tauschten die Gläser wieder zurück. Sie selbst malten sich dabei aus, dass wenn er wiederkäme, aus dem Glas mit dem Gift trinken würde und Sie beide den Kerl ein für alle Mal los wären. Bitter ist es, eine desaströse Handlung Ihrerseits. Es war ein Schuss in den Ofen. Folglich haben Sie, Scarlett Stanford, Ihre eigene Schwester indirekt ermordet. Zum Abschluss höre ich mir gerne noch an, was aus unserem netten Robinson geworden ist“, enthüllte Sherlock die Aufklärung für dieses traurige Rätsel und faltete zufrieden über seine Erschließung die Hände ineinander.

„N-nein…nein… Niemals! D-dann ist es mein eigener Fehler gewesen? Jetzt kommt jede Reue zu spät… Wenigstens habe ich Robinson dafür bezahlen lassen! Von Beginn an verdiente er den Tod! Die einzige gerechte Strafe. Nach Belieben vergnügte er sich mit Tracy und hat ihren eigenen Untergang heraufbeschworen… Im hinteren Bereich des Bordells, befindet sich eine Tür, dahinter geht es nach draußen zu einem Schuppen. Ich betrat diesen und sah wie Robinson dort eine steile Treppe hinaufmarschierte. Was auch immer er dort zu schaffen hatte… Meine Trauer und Wut verliehen mir ungeheure Kräfte. Schreiend stürzte ich auf ihn zu und stieß dieses Scheusal geradewegs die Treppe hinunter. Damit hätte der Mistkerl nie im Leben gerechnet! Er überschlug sich und brach sich das Genick… Da haben Sie es, Sherlock Holmes! D-dieser Idiot hat aus mir eine Mörderin gemacht! Ich tat das Richtige! Er hätte meine ganze Familie abgeschlachtet. I-ich konnte Tracy nicht retten… N-nein…! Nicht ich habe sie getötet! Robinson war es! Und ich rächte mich dafür!“, schrie Miss Stanford und stand kurz davor wahnsinnig zu werden. Miceyla blieb schweigsam am Rande stehen und packte sich ergriffen mit der Hand ans Herz. 'Wie grausam… Die Wahrheit muss für sie der allerschlimmste Albtraum bedeuten. Der Zorn hat sie so sehr vereinnahmt, dass sie die Kontrolle verlor und Robinson tötete. William hätte ihre Tat als gerecht angesehen und gutgeheißen, da er das eigentliche Übel war… Doch Scarlett kommt mit den Folgen nicht zurecht…', dachte sie und warf einen Blick auf Sherlock, der unbeeindruckt von ihrem emotionalen Ausbruch gelassen blieb.

„Ich halte es nicht länger aus! Wenn meine Tracy schon nicht mehr zu mir zurückkehrt, gehe ich eben zu ihr!“ Mit diesen energischen Worten, schlug Miss Stanford eines der Gläser auf dem Tisch kaputt, packte eine große scharfe Scherbe und hielt sie sich mit einer zitternden Hand an die Unterseite ihres Handgelenks. Sie machte Anstalten sich die Pulsader aufzuschneiden.

„Miss Stanford, bleiben Sie vernünftig! Ihr Vorhaben ist reinster Humbug und…“, versuchte Sherlock sie ruhig davon abzuhalten. 'Sherlock ist nicht gerade der einfühlsamste. Ich muss eingreifen!' Hastig schubste Miceyla ihn zur Seite und stellte sich vor sie. Etwas verwundert wich er zurück, jedoch formten sich seine Lippen zu einem leichten, begeisterten Grinsen.

„Scarlett… Wollen Sie das wirklich tun? Ich bitte Sie inständig, den tobenden Sturm in Ihnen etwas einzudämmen. Keiner kann Ihren aktuellen Schmerz nachempfinden. Sie glauben gerade, dass weder Sie noch Tracy so viel Trauer und Leid verdienten. Sich selbst geben Sie die Schuld dafür, dabei versagt zu haben, Ihre geliebte kleine Schwester zu retten. Ja, Ihre Schwester ist unglaublich leichtsinnig gewesen, sich auf einen Mann wie Robinson einzulassen. Doch begehen wir alle Fehler. Keiner kann erahnen, was sich hinter einer gespielten Fassade verbirgt. Jeder gibt sein Bestes und das haben auch Sie getan. Bis zum Ende waren Sie tapfer an Tracys Seite und haben sie nicht im Stich gelassen. Eine wundervolle große Schwester sind Sie. Und nun müssen Sie das tun, was Ihre Schwester sich am sehnlichsten gewünscht hätte, leben. Sie dürfen all die schönen Erinnerungen mit ihr und die gemeinsame Zeit nicht verschwinden lassen. Leben Sie für Tracy weiter und bewahren Sie sich Ihre friedvolle, gleichwohl auch schwere Vergangenheit im Herzen. Schreiben Sie Briefe an Tracy. Selbst wenn sie diese niemals lesen wird, bin ich mir sicher, dass Ihre Gefühle sie erreichen werden. Nun stempelt man Sie zwar als Mörderin ab, dennoch sind und bleiben Sie eine starke Frau, die für die Gerechtigkeit ihrer kleinen Schwester gekämpft hat…“, redete Miceyla betonend und ehrlich auf Miss Stanford ein und hoffte damit etwas erreicht zu haben. Und tatsächlich, Scarlett ließ die Scherbe fallen und warf sich weinend in ihre Arme.

„T-Tracy…“, schluchzte sie.

„Alles wird wieder gut…“, flüsterte Miceyla und streichelte ihr tröstend den Rücken.

„Gut gesprochen, hätte ich nicht besser gekonnt“, meinte Sherlock grinsend im Anschluss an die rührende Szene.

„Natürlich nicht…“, sagte sie leise belustigt. Plötzlich öffnete sich die Tür und mehrere Männer betraten das Bordell.

„Na sieh mal einer an! Der tugendhafte Lestrade, hat es ausnahmsweise einmal auf die Reihe bekommen, pünktlich zu sein! Das muss ich mir sofort feierlich im Kalender notieren! Ach und hinten im Schuppen wartet noch ein kleines Präsent auf Sie “, kam es von einem munteren Sherlock und er lachte amüsiert.

„Sparen Sie sich den Schabernack, Holmes! Aber wie ich sehe sind Sie mit Ihren Aufgaben hier am Ende. Dann übernehme ich jetzt. Männer führt Miss Stanford ab und tragt die Leiche raus! Anschließend sehen wir uns im Schuppen um“, befahl Lestrade mit verantwortungsbewusster Miene. 'Das ist also der berüchtigte Inspector Lestrade… Dessen knifflige Fälle in Wahrheit von Sherlock gelöst werden. Er sieht nach einem recht autoritären Mann mittleren Alters aus…', begutachtete Miceyla zum ersten Mal den Inspector aus nächster Nähe. Ein Polizist legte Miss Stanford, welche keinen Widerstand leistete und nur ausdruckslos dreinblickte, Handschellen an und führte sie hinaus. Zwei weitere Polizisten bedeckten die Leiche von Tracy mit einer Plane, legten sie danach auf eine Trage und brachten auch diese aus dem Bordell. Betrübt und ein klein wenig erleichtert, sah Miceyla ihnen hinterher.

„Gute Arbeit!“, lobte Sherlock sie lächelnd und klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. Ihre beiden Blicke trafen sich und sie erwiderte zaghaft sein Lächeln. Die zwei verließen die verworfene Gegend und schlenderten gemütlich durch London. An einer Bank nahe der Themse, machten sie Halt und setzten sich nebeneinander.

„Ich gestehe, es tut mir doch etwas weh zu wissen, dass Scarlett nun die Sünden von Robinson ausbaden muss…“, begann Miceyla und genoss dabei den erfrischend sanften Wind.

„Ein Mord bleibt ein Mord, egal mit welchen Hintergründen er begangen wurde“, erwiderte Sherlock sachlich und gönnte sich nach getaner Arbeit eine weitere Zigarette.

„Wird man Scarlett schwer bestrafen?“, fragte sie zögerlich.

„Willst du wirklich die Antwort darauf hören?“

„Nein, schon gut. Dein Blick sagt mehr als tausend Worte…“ Eine Weile schwiegen sie.

„Wo Licht ist, wird es auch immer Schatten geben. Solange Verbrecher in unserem Land existieren, wird es dir wohl nie an Arbeit mangeln. Aber ärgert es dich denn gar nicht, dass jemand wie Lestrade ständig deinen Ruhm erntet, der eigentlich dir zustehe?“, erkundigte sie sich neugierig und brach das Schweigen.

„Ha, ha! Du klingst beinahe wie John! Dank seinen abenteuerlichen Geschichten, bin ich schon genug Trubel ausgesetzt. Ich brauche keine Bestätigung von der Bevölkerung. Für mich ist es völlig ausreichend, wenn ich meine Fähigkeiten sinnvoll einsetzen und mich bei Problemen nützlich machen kann. Es geht mir schlicht und ergreifend um die Selbstverwirklichung und das Vergnügen, welches mir schwere Fälle bereiten“, offenbarte er ihr freundschaftlich.

„Du wirst noch sehr vielen Menschen in Not helfen und etliche Bösewichte ins Gefängnis befördern. Das macht dich zu einem unübertreffbaren Helden! Ein Held der für Gerechtigkeit sorgt und seinen eigenen vorherbestimmten Weg beschreitet!“ sprach sie euphorisch. Sherlock begann lauthals zu lachen.

„Hey! Mach dich nicht über meine Aussage lustig! Das war ernst gemeint!“, beschwerte Miceyla sich beleidigt.

„Ha, ha, ha, ha! Ich weiß, ich weiß! Und gerade deshalb freue ich mich ja darüber. Ich finde es nur irgendwie goldig, wie sehr du dich in etwas reinsteigern kannst. Du betrachtest die Gegebenheiten aus einem anderen Blickwinkel, wenn auch auf eine andere Art als ich. Doch gibt es nicht viel, dass uns voneinander unterscheidet. An ein Schicksal glaube ich zwar nicht wirklich, nichtsdestotrotz bin ich dem Zufall dankbar, dass er uns an jenem Tag zusammengeführt hat. Wie war das noch mal mit der Tat und dem Rat?“ Sherlock streckte ihr grinsend seine Faust entgegen, woraufhin Miceyla ihre eigene gegen sie drückte.

„He, he. Legen wir den Fieslingen auch zukünftig das Handwerk. Jeder von uns verfolgt ähnliche Ziele. Ich bin mir sicher, dass auch der Meisterverbrecher etwas Bestimmtes mit seinen Taten bezwecken will…“ 'Au Backe! Das hätte ich jetzt nicht sagen dürfen! Mist…', dachte sie verunsichert und sah wie sein Gesichtsausdruck sich verdüsterte.

„Kein Verbrecher kommt auf Dauer, mit seinen Missetaten ungeschoren davon. Auch unser ach so begnadetes helles Köpfchen, wird früher oder später einsehen müssen, dass die Natur des Gesetzes seine makellosen Pläne vereiteln wird. Es reizt mich ungemein, seinen Machenschaften auf die Schliche zu kommen. Und wenn ich mir dies zur Lebensaufgabe mache…“, brummte er mit zusammengekniffenen Augen vor sich hin. Ohne zu wissen was sie darauf erwidern sollte, schluckte sie nur angespannt. Doch auf einmal grinste er sie wieder heiter an.

„Aber sag mal, wie ist er denn so? Scheinst ihn ja gut zu kennen!“

„W-was?! Das ist kein bisschen komisch!“, blaffte Miceyla empört und sah ihn geschockt an.

„Ha, ha! Dein Gesicht müsstest du mal sehen! Einmalig! War doch nur ein Witz!“, beruhigte er sie lachend. 'Puh… Erschreck mich nicht so… Und du kennst ihn selbst nur zu gut…'

„Es ist mir durchaus klar, dass deine Arbeit stets mit der Gefahr einhergeht. Pass bitte dennoch immer auf dich auf…“, bat sie ihn leise.

„Miceyla… Das rührt mich sehr. Aber was soll mir schon passieren, wenn ich eine Heldin und Hüterin der Gerechtigkeit wie dich an meiner Seite habe? Ha, ha!“ Zwar scherzte Sherlock, jedoch spiegelte sich die Dankbarkeit in seinen Augen wider.

„Fang nicht wieder an rumzualbern! Und für einen Moment habe ich dich ernst genommen!“ 'Ich werde dafür sorgen, dass dir niemals etwas zustoßen wird… Das ist nun meine eigene Lebensaufgabe…', dachte sie und blickte entschlossen in die Ferne.
 

Ein Stück hinter den beiden, stand ein junger Mann an einem Baum angelehnt. Eindringlich beobachtete er Miceyla und Sherlock. 'Wie aufregend! Ich kann es kaum erwarten! Dir werde ich einen Ehrenplatz auf meiner Bühne reservieren, meine liebreizende Nachtigall. Singen wir ein Duett von süßen, sterbenden Herzen. Wer wird wem wohl als erstes ins Netz gehen? Meine verehrten Damen und Herren, ihr seid bloß meine tanzenden Puppen, die der Unterhaltung dienen! Der wahre Meister aller Verbrechen…bin ich!'
 

Liebes Tagebuch, 4.3.1880
 

der Fall mit Tracy und Scarlett Stanford war sehr erschütternd. Aus dieser gewonnenen Erfahrung, kann ich etwas Lehrreiches schließen: Das Böse entsteht nicht, wenn jemand eine grausame Tat begeht, es entsteht durch die Beweggründe, die denjenigen zu der Tat gebracht haben. Jedenfalls durfte ich ein weiteres Mal Sherlocks Kombinationsgabe bewundern. William hat recht, ich kann bei ihm einiges dazulernen. Und das angereicherte Wissen, werde ich letztendlich für ihn einsetzen… Man muss um Ungerechtigkeiten zu vertreiben, etwas härter durchgreifen, dass sehe ich ein. Auch ist mir mittlerweile bewusst, dass es nicht nur seine schier endlosen Talente sind, die mich faszinieren. Nein… Ich mag William einfach als Menschen unheimlich gern… Aber ob er in mir nichts weiter als eine würdige Assistentin sieht, kann ich noch nicht sagen. Dennoch… Ich erkenne die Gefühle meines Gegenübers und unterscheide mit Leichtigkeit, ob diese ehrlich sind oder gespielt. Diese Gabe hat sich dank der jüngsten Ereignisse, sogar noch mehr verschärft. Meine Einschätzungen haben mich beinahe noch nie belogen. Und William hat das selbst nur zu gut erkannt… Keiner von uns wäre dazu befähigt, den jeweils anderen anzulügen. Dadurch könnte eine unerschütterliche Vertrauensbasis entstehen. Ich gebe zu…dies bemerke ich erst jetzt… Wie auch immer, es wird turbulent, so viel ist sicher. Besser ich genieße die Idylle, ehe sich mir keine Gelegenheit mehr dafür bietet...
 

Labyrinth der Seelen
 

Verwirrungen gemacht aus etlichen Träumen,

unzählige Wege führen zu gefährlichen Räumen.

Ein Raum gefüllt von hinunterreißendem Schmerz,

einer mit Freude die wieder führt aufwärts.

Eine kleine Kerze die unendlich brennt

und Luft welche unaufhaltsam durch die Höhen rennt.

Der Verstand geformt aus den Erinnerungen,

die Wünsche und Ideen geben ihm Linderungen.

Höre wie das niemals vollendete Zentrum pulsiert,

mit der durchströmenden Wärme die nie gefriert.

Du wirst nicht entkommen aus diesem Irrgarten,

wo du dich befindest musst du wohl zuvor erraten.



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