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Stolen Dreams Ⅹ

von

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7. Kapitel

Als Tarek am Hotel ankam, war er völlig außer Atem. Keuchend und japsend kam er vor der Rezeption zum Stehen und wurde von der Frau, die dort saß, mit gerunzelter Stirn angeschaut.

„Ähm... kann ich dir irgendwie helfen, junger Mann?“

„Jakov“, brachte Tarek nach Luft schnappend hervor und hielt sich an der hölzernen Kante fest. „Sie wissen schon, der Typ im Penthouse, groß, blond, kräftig, schnieke Karre, eindeutig Ausländer... ist er noch hier?“

Sie blinzelte bloß.

„Komm schon, Sie wissen genau, wer gemeint ist. Ist er noch hier?“

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber er hat bereits ausgecheckt.“

„Und wann?“

„Kurz vor Sonnenaufgang, glaube ich.“
 

Tareks braune Augen huschten zur Uhr, die über der Rezeption hing und leise tickte. Es war fast halb elf. Jakov musste bereits über alle Berge sein.

„Scheiße...“

Ohne der Frau, die irritiert ihre rechte Augenbraue hob, eine Erklärung zu geben, wandte er sich von ihr ab und verließ das Hotel. Was zur Hölle sollte er jetzt tun? Ohne den Schutz einer Gang war er hilfloses Freiwild. Er brauchte jemanden, bei dem er unterkommen konnte, ansonsten würde er nicht mehr lange leben.

In der vagen Hoffnung, dass Jakov vielleicht doch noch nicht abgereist war, suchte Tarek den Parkplatz des Hotels und die nähere Umgebung ab, aber von dem Russen fehlte jede Spur. Tarek war übel vor Stress. Hätte er gewusst, dass die Dinge sich so entwickeln würden, wäre er auf Jakov eingegangen, aber woher hätte er denn ahnen sollen, dass Ledion so eine hinterlistige Schlange war?
 

Nach einer Weile blieb Tarek nichts anderes übrig als aufzugeben. Er setzte sich auf den Bürgersteig, zwang sich zur Ruhe und dachte darüber nach, was er jetzt tun sollte. Er hatte nichts – kein Essen, kein Wasser, kein Dach über dem Kopf, kein Heroin – und eine Idee, wie man wenigstens eines dieser Dinge beschaffen konnte, fehlte ebenfalls.

Tarek überlegte, ob er sich vielleicht in dem Haus seiner Eltern verstecken konnte – Wenn Dad tot und Mom im Gefängnis war, müsste es doch leerstehen, oder? – als sich plötzlich ein unerwarteter Schmerz in seinem Körper breitmachte. Er dachte für einen Moment, jemand hätte auf ihn geschossen.

Der Schmerz verschwand genauso schnell, wie er gekommen war, aber danach erschien er immer wieder in Wellen, gemeinsam mit Übelkeit und dem Bedürfnis, sich zusammengekrümmt auf den Boden zu legen. Man musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass das Entzugserscheinungen waren. Tarek fand sie unerträglich, nicht zuletzt weil jetzt einer der ungünstigen Zeitpunkte dafür war.
 

Der Junge wusste nicht, wie lange er auf dem Bürgersteig gesessen und seine Schmerzen verflucht hatte, aber irgendwann kam einer der Anwohner und scheuchte ihn hinfort. Tarek fragte den Typen, ob er ihm vielleicht helfen könnte, aber alles, was er damit erreichte, war, dass er mit einer leeren Bierflasche beworfen wurde, der er gerade noch rechtzeitig ausweichen konnte. Er sah zu, dass er Land gewann, und begab sich auf die Suche nach einem Unterschlupf, während sein Körper sich anfühlte, als würden Teile von ihm aus Sandpapier bestehen und an seinen Organen kratzen.

Es dauerte nicht lange, bis er beinahe einigen Mitgliedern von Luans Gang in die Arme lief, die ihn sofort erkannten und nicht lange zögerten, sondern sogleich die Jagd auf ihn eröffneten. Tarek machte so schnell Kehrt, dass er nicht einmal nachsehen konnte, wie viele Kerle ihn nun verfolgten, aber er würde auf vier oder fünf Jugendliche tippen, die alle größer, stärker und leider auch schneller als er waren.
 

Tarek wusste nicht, was man mit ihm anstellen würde, sobald man ihn gefangen hatte, und er konnte auch getrost darauf verzichten, das herauszufinden. Blindlinks sprintete er durch eine enge Gasse, überquerte die dahinter liegende Straße und--

Er verstand erst, dass das seltsame Licht, das ihn von der Seite anstrahlte, zu einem Auto gehörte, als er quer über die Motorhaube rollte, von der Windschutzscheibe rutschte und nicht gerade sanft auf dem Boden aufkam. Ohne einen Gedanken an den Autofahrer oder die Verletzungen, die er sich zugezogen haben könnte, zu verschwenden, rappelte er sich auf und rannte weiter. Alles tat ihm weh, aber eine Pause zu machen, kam nicht infrage.

Als Tarek schließlich doch seine Geschwindigkeit drosseln musste, weil ihn seine Kraft verließ, bemerkte er, dass die Schläger von Luans Gang ihn nicht mehr verfolgten. Zuerst war er erleichtert, doch dann erkannte er den Grund dafür.

Er war direkt in das tote Viertel gelaufen.
 

Das tote Viertel hieß nicht so, weil es als ausgestorben oder menschenleer galt – im Gegenteil, sobald es dunkel wurde, herrschte hier reges Treiben. Von außen sah es so aus, als würden die Leute sich bloß einen netten Abend in einer der zahlreichen Bars und Kneipen machen, aber was die Menschen in Wirklichkeit anlockte, waren die Bordelle und der Schwarzmarkt. Jeder in der Nähe wusste, dass man hier alles bekommen konnte, was man wollte, sei es Waffen, Drogen, vom Aussterben bedrohte Tiere, Organe oder sogar Menschen – die einzige Bedingung war, dass man genügend Geld besaß. Die erfolgreichsten und skrupellosesten Gangs der Stadt verkehrten hier und genau das war das Problem: In diesem Ort wimmelte es nur so von Menschen, die für Tarek eine Gefahr darstellten. Sobald sie herausfanden, dass der Junge zu niemandem gehörte und völlig hilflos war, würden sie wie wilde Tiere über ihn herfallen und ihm alles nehmen, aus dem sich Geld machen ließ. Tarek sah bereits, dass er plötzlich ohnmächtig werden und danach entweder mit frischen Operationswunden oder in einem dunklen Keller aufwachen würde. Ledion hatte ihn und die anderen Kinder fast täglich daran erinnert, diesen Teil der Stadt nicht zu betreten, und ihn das tote Viertel genannt.
 

Als Tarek erkannte, wo er hier gelandet war, blieb er sofort stehen und drehte um. Links, rechts und hinter ihm standen kleine Gruppen von Männern, die über Sport, Politik, Frauen und anderen Kram sprachen. Manche von ihnen hielten Zeitungen, Handys oder Flaschen in der Hand. Sie schienen zu sehr mit sich selbst und ihren Gesprächsthemen beschäftigt zu sein, um von Tarek Notiz zu nehmen, aber das änderte sich schnell. Als Tarek an zwei kräftig wirkenden Männern vorbeiging, sah er, dass der eine seinen Freund anstupste, etwas sagte und unauffällig in Tareks Richtung zeigte.

Verdammt.

Der Junge ließ sich seine langsam aufkommende Panik nicht anmerken, sondern reckte den Kopf nach oben und setzte eine gelassene, fast schon gelangweilte Miene auf. Er musste nur so tun, als wüsste er, wo und warum er hier war, dann würde man ihn vielleicht in Ruhe lassen. Offen zu zeigen, dass er sich verlaufen hatte und ohne Begleitung war, wäre das Dümmste, was er jetzt tun konnte. Er blieb ruhig, auch als die beiden Männer zu ihm aufholten und sich vor ihm aufbauten.

„Na, Kleiner, suchst du nach deinen Eltern?“, fragte einer von ihnen, während der andere grinste, als hätte er ein super günstiges Angebot im Supermarkt entdeckt.
 

„Wenn du mich anfasst, wird mein Boss dir den Arsch aufreißen“, erwiderte Tarek kühl und wünschte sich, er würde wenigstens einen Namen der hohen Tiere der Unterwelt kennen, denn die Männer schienen seine Lüge zu durchschauen.

„Ach ja? Für wen arbeitest du denn?“

„Für jemanden, der dich deine eigenen Eier fressen lassen wird, wenn ich mich wegen dir verspäte.“

Mit diesen Worten und einem arroganten Blick umrundete Tarek die beiden Kerle und ging auf die vor ihm liegende Kreuzung zu. Kaum war er hinter der nächsten Ecke verschwunden, nahm er die Beine in die Hand und betete zu Gott, dass die Typen ihn nicht verfolgen würden. Er rannte in die Richtung, in der Ledions Lager lag, und kam nach einer Weile an der Straße vorbei, wo die Mädchen normalerweise auf ihre Kunden warteten. Noch stand niemand hier; es war ja auch erst früher Nachmittag.
 

Tarek kam eine Idee. Wenn man von ein paar brenzligen Ausnahmen absah, hatte seine Vorgehensweise, seine Freier zu beklauen, immer funktioniert. Vielleicht konnte er einen Schritt weitergehen und sich ihre Wohnung unter den Nagel reißen. Natürlich war das ziemlich riskant und gefährlich, aber was blieb ihm anderes übrig? Zu Ledion zurück konnte er nicht und hier draußen zu bleiben, war auch keine Option.

Tarek ließ sich vor einer brüchigen Mauer nieder und dachte über seinen Plan nach, während seine Schmerzen und sein Unwohlsein immer schlimmer wurden. Das Verlangen nach der nächsten Dosis Heroin wurde mit jeder Minute stärker und drängte die wichtigen Sachen zur Seite. Als es dunkel wurde, war Tarek bereits so weit, dass er für eine Portion des hellen Pulvers wirklich seinen Körper aufgeben würde.

Nach einiger Zeit kamen ein paar Mädchen zur Straße und wenig später erschienen auch schon die ersten Freier. Tarek stellte sich an den Straßenrand und wünschte sich, hier gäbe es eine Sitzgelegenheit. Seine Beine und sein Unterleib schmerzten, als hätte er Nägel im Fleisch stecken.
 

Verschiedene Autos fuhren an Tarek vorbei, aber keines verlangsamte oder hielt sogar an. Tarek nahm es den Fahrern nicht übel, immerhin war wirklich nur ein kleiner Bruchteil dieser Leute an Jungen wie er interessiert, aber es wäre trotzdem echt nett, wenn endlich mal jema--

Tarek entwich ein erleichtertes Seufzen, als endlich ein Auto neben ihm hielt. Seine Schmerzen so gut es ging ignorierend schlenderte er auf den Fahrer zu, der das Fenster nach unten kurbelte und den Jungen dazu einlud, zu ihm ins Auto zu steigen.

Alles, woran Tarek denken konnte, war das Geld und das Heroin, das er sich damit kaufen konnte. Seine Sucht hatte seine Idee und seinen Plan völlig verdrängt und benebelte seine Sinne so sehr, dass Tarek nicht bemerkte, dass ihm der Kerl eigentlich bekannt vorkommen musste. Würde er nicht unter Entzug stehen, wäre er schon längst weggerannt, aber dank seiner Abhängigkeit, die ihn kontrollierte, als wäre er eine willenlose Marionette, stieg er ins Auto, was sich später noch als großer Fehler herausstellen würde.
 

Der Mann sagte etwas, aber Tarek hörte ihm nicht zu. Eine unsichtbare Hand umfasste seinen Magen und drückte darauf herum; er hätte sich am liebsten aus dem Fenster gebeugt und übergeben.

„So, wir sind da“, sagte der Mann plötzlich. Tarek hatte gar nicht mitbekommen, dass sie die etwa zwanzigminütige Fahrt schon hinter sich hatten.

„I-irgendwie... kommt mir ihre Stimme bekannt vor“, murmelte der Kleine benommen. „Haben wir... uns schon mal gesehen?“

Der Mann antwortete nicht, sondern sah Tarek ausdruckslos an, der fast eine ganze Minute brauchte, um zu erkennen, wer da neben ihm saß.

Es war einer der Männer, die er ausgeraubt hatte.

„Was ist los, Kleiner? Hast du dir das Hirn weggekifft oder bist du echt so vergesslich?“ Den Worten folgte ein harter Schlag ins Gesicht. Mit einem grellen Klingeln in den Ohren und tanzenden Sternen vor den Augen versuchte Tarek die Autotür aufzumachen, aber der Mann hatte sie natürlich abgeschlossen.
 

„Du kriegst jetzt das, was du verdient hast. Und glaub ja nicht, dass ich dich dafür bezahlen werde.“

Die Wörter klangen verzerrt und seltsam. Tarek spürte, wie er eine weitere Ohrfeige bekam, an den schwarzen Haaren gepackt und aus dem Auto gezerrt wurde. Unter normalen Umständen hätte er sich vielleicht wehren und aus dem festen Griff befreien können, aber der Zustand, in dem er sich momentan befand, machte das leider unmöglich.

Keine zwei Minuten später fand Tarek sich in einem renovierungsbedürftigen Badezimmer wieder. Ihm fehlte die Erinnerung, wie er ins Haus gebracht worden war, obwohl dieses Ereignis vor nur wenigen Sekunden stattgefunden hatte.

„So, du hinterlistiges Stück Scheiße“, fauchte der Mann und stieß ihn grob zu Boden. „Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du es dir zweimal überlegen, mich zu beklauen.“

Während er mit einer Hand seine Hose öffnete und etwas hervorholte, bei dessen Anblick Tareks Übelkeit sich verschlimmerte, griff er mit der anderen erneut nach den dunklen Haaren von Tarek, der sich daraufhin nach vorne beuge und dem Mann vor die Füße kotzte. Der Entzug, die jetzige Situation, das dreckige Schwein vor ihm – es war einfach zu viel.
 

Der Mann wich angewidert zurück und zog seine Hose wieder nach oben. An seinen vorher noch sauber glänzenden Schuhen haftete nun Erbrochenes. Er fluchte und trat nach Tarek, der immer noch damit beschäftigt war, sich die Seele aus dem Leib zu würgen.

„Gott, du widerst mich an“, fauchte der Mann. „Jetzt habe ich keine Lust mehr, aber glaub ja nicht, dass wir das hier nicht nachholen werden.“

„Haben Sie vielleicht ‘n bisschen Heroin?“

Diese Worte kamen aus Tareks Mund, aber er hatte sie nicht gesagt. Es war seine Sucht, die nur an das eine denken konnte, selbst in dieser Lage. Tarek selbst hingegen war zu hinüber, um auch nur ein vernünftiges Wort von sich zu geben.

„Vergiss es“, zischte der Mann und wandte sich zum Gehen ab. „Von mir hast du gar nichts zu erwarten. Sobald es dir besser geht, werde ich dich ficken, bis dir die Eingeweide aus dem Arsch rutschen, und danach verkaufe ich dich an einen Zuhälter. Irgendwie muss ich das Geld, das du mir geklaut hast, ja wiederkriegen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Micah25
2018-11-05T02:59:14+00:00 05.11.2018 03:59
Ich hoffe sehr, dass Tarek diesem Arsch entkommen kann. Und besonders hoffe ich, dass er bald auf erneut auf Jakov trifft, und dieser sich fortan um Tarek kümmert. Verdient hätte er es endlich glücklich und in Sicherheit zu sein.
Von:  Arya-Gendry
2018-11-04T18:39:28+00:00 04.11.2018 19:39
Das Jakov schon längst weg ist war klar, aber vielleicht hat Tarek ja Glück und Jakov kommt doch nochmal zurück.
Heroin macht einen einfach nur Kaputt. Ich hoffe für ihn das er schnell von denn Zeug los kommt, aber selbst wenn der Kerl in jetzt fest hält und Tarke dadruch wohl einen Kalten entzug machen wird. Wird er wohl sobald er es denn schafft frei zu kommen schnell wieder Abhängig sein.
Bin schon auf das nächste Kapitel gespannt.
LG.
Von:  Onlyknow3
2018-11-04T15:25:19+00:00 04.11.2018 16:25
Das wird noch übel enden, es sei denn er beruft sich auf Jakov.
Das könnte ihm vielleicht das Leben retten.
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3


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