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Liebe, Lüge, Wahrheit

von

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Das Spiel des Schicksals

März - Juli 1782.

 

Wie konnte die Königin nur so etwas tun? Diese Frage beschäftigte viele Menschen in und außerhalb von Versailles. Wenige Wochen nach der Geburt des Thronfolgers zog sich Ihre Majestät mit ihren Kindern in das Lustschlösschen Trianon zurück und seitdem hörte fast niemand mehr etwas von ihr. Besuchen durfte sie auch niemand, bis auf die engsten Vertrauten und das waren sehr wenige. Sie vernachlässigte ihre Pflichten als Königin und das missfiel ihren Untertanen sehr.

 

„Seit einer Weile steigt die Zahl derjenigen, die schlecht von der Königin sprechen. Nachdem sie Tage unterwegs waren, um von Ihr zur Audienz empfangen zu werden, wird es ihnen nicht gestattet zu ihr zu gehen. Einige beschweren sich offen darüber, dass die Königin ihre Pflichten, die sie als Mitglied der königlichen Familien hat, vernachlässigt.“, berichtete André eines Abends, was Oscar eigentlich auch so schon wusste. Denn sie erlebte den Unmut der Höflinge in Versailles tagtäglich und musste schon den einen oder anderen des Schlosses verweisen. Aber sah denn niemand, wenn Marie Antoinette so ungezwungen mit ihren Kindern spielte? Schon seit langem hatte Oscar kein solch glückliches Lächeln bei ihr gesehen.

 

Oscar spielte auf dem elterlichen Anwesend auf dem Klavier und verglich die Muttergefühle von Marie Antoinette mit ihren eigenen und konnte sich deshalb in ihre Lage gut versetzen. Besonders in ihrem jetzigen Zustand… Anscheinend stellte das Schicksal sie gerne auf die Probe und ließ die Nacht im Jagdhaus vor fünf Monaten mit André nicht ohne Folgen – der wachsende Bauch bestätigte ihr das. Noch war er unter der kompakten Uniform unsichtbar, aber bald würde es nicht mehr so sein.

 

André stand hinter ihr und legte seine Arme um ihren gerundeten Leib. Er spürte die kleine Bauchwölbung und zerfraß sich mit Gewissensbissen. Warum nur hatte er damals nicht aufgepasst? Oscar war ihm zwar nicht böse, aber er fühlte sich trotzdem schuldig. Denn es war die Frucht von seinem Samen, der jetzt in Oscars Bauch wuchs. Wenn er und Oscar offiziell verheiratet wären und ihre Liebe nicht geheim halten müssten, dann hätte er nichts gegen einen weiteres Kind mit ihr. Jedoch die Umstände waren anders, gefährlicher und würden ihnen beiden das Leben kosten können. Und es gab noch François – der Unschuldigste von ihnen und dessen Leben auf gar keinen Fall aufs Spiel gesetzt werden durfte. André umarmte seine Oscar unbewusst fester an sich und hörte sogleich ihre Stimme, die ihn aus seinen Gedanken riss. „André, lass das sein.“, ermahnte sie ihn und erinnerte ihn daran, dass es für so eine Zweisamkeit noch nicht so spät am Abend war. Rosalie oder Sophie konnten jederzeit reinkommen und den Tisch zum Abendessen decken.

 

André entfernte sich zwar von ihr, aber ließ die Sache mit der Schwangerschaft nicht auf sich beruhen. „Ich mache mir trotzdem Sorgen. Wie soll es nur weitergehen?“

 

„Uns wird schon etwas einfallen.“ Oscar sprach das kaum aus, als die Tür im Salon geöffnet wurde. Gut dass André sich bereits zurückgezogen hatte und rechtzeitig am Klavier stand. Um weiterhin nicht aufzufallen, half er sogleich seiner Großmutter beim Tischdecken. Rosalie brachte hinterher François und zu viert speisten sie.

 

 

 

In der Nacht kam André wieder zu Oscar, aber nicht um in der Liebe mit ihr zu versinken, sondern um nach einer Lösung zu suchen. Er streichelte Oscars Bauchwölbung unter ihrem Nachthemd, fühlte die straffe Haut und stellte wieder die Frage, wie sie nun weiter fortfahren sollten.

 

„Ich werde Ihre Majestät um zwei oder drei Monate Urlaub bitten. Dann fahren wir in die Normandie und bleiben dort, bis das Kind da ist. Etwas anderes fällt mir nicht ein.“, gestand Oscar. Und natürlich, wenn die Königin diesem längeren Urlaub überhaupt zustimmen würde.

 

„Willst du es dann genauso machen wie bei François?“, fragte André und zog sie mehr an sich.

 

In seinen Armen fühlte sich Oscar sehr wohl und seine Hand auf ihren Bauch gab ihr die gleiche Sicherheit wie damals, als sie mit François schwanger war. Ihr kleiner Sonnenschein war jetzt sieben Jahre alt und ihn jedes Mal zu sehen, wie glücklich er hier, auf dem Anwesen der de Jarjayes, aufwuchs, erweichte ihr das Herz. Bald würde er einen Bruder oder eine Schwester bekommen, aber würde nichts davon erfahren. Ebenso durften ihre Eltern und Andrés Großmutter nichts von dem zweiten Kind wissen. Was war das für ein verlogenes Leben? Und das alles, um diejenigen zu schützen, die ihr lieb und teuer waren. Oscar schmiegte sich enger in die Arme von ihrem geliebten André und bezüglich seiner Frage entließ sie einen schweren Seufzer. „Ich weiß es noch nicht. Aber auf jeden Fall werden wir nur zu zweit in die Normandie fahren.“

 

 

 

Oscar war es im nächsten Monat tatsächlich gelungen, einen langen Urlaub von der Königin zu bekommen. Marie Antoinette hatte ihr nur wenige Fragen gestellt und sie bis zum ersten August beurlaubt. Ihre Majestät war ohnehin noch nicht bereit, an den Hof von Versailles zurückzukehren und wollte lieber weiter die Zeit mit ihren Kindern verbringen. Hier im Trianon brauchte sie keine großen Dienste von dem Kommandanten der königlichen Garde und aus diesem Grund gab sie Oscar den gewünschten Urlaub.

 

Graf de Girodel übernahm selbstverständlich das Kommando über das königliche Garderegiment, ohne Verdacht zu schöpfen – wie auch die Eltern von Oscar und die Großmutter von André. Einzig François hatte protestiert, weil er mitkommen wollte und nur die Ausrede, dass es ein gefährlicher Auftrag der Königin war, hatte ihn beruhigt. An ihren kleinen Sonnenschein dachte Oscar auch drei Monate später...

 

 

 

Normandie... Eine rundliche Frau in den mittleren Jahren saß bei der unerträglichen Sommerhitze zwischen Oscars Schenkeln und half mit ihrer Gehilfin dem Kind auf die Welt zu kommen. Ihre Gehilfin, eine etwas jüngere Frau, bereitete derweilen alles Nötige für die Ankunft des Neugeborenen vor. Niemand außer ihnen vier befand sich im Zimmer oder gar im gesamten Haus. Als sie und André in der Normandie vor etwa drei Monaten ankamen, hatten sie nach keinen weiteren Bediensteten gesucht. Nur nach der Hebamme hatten sie Ausschau gehalten und als André im benachbarten Dorf fündig wurde, war sie dann mit ihrer Gehilfin die einzige, die tagtäglich in das Haus kam und sich um die Wöchnerin kümmerte. Um den Haushalt kümmerte sich selbstverständlich André und auch die Gehilfin der Hebamme half ihm. Beide Frauen waren freundlich, nett und verschwiegen. Oscar hatte zu ihnen gleich Vertrauen gefasst und sie für ihre Dienste großzügig entlohnt.

 

„Noch ein Mal pressen, Madame, ich sehe schon den Kopf!“, sagte die ältere Frau laut und die werdende Mutter tat es. Dabei drückte Oscar die Hand von André. Ihr Geliebter war auch bei dieser Niederkunft dabei und gab ihr die nötige Stütze und Kraft, das alles gut zu überstehen. So ähnlich wie damals, als François auf die Welt kam. Nur diesmal war es kein verschneiter und kalter Januar, sondern ein heißer und sonniger Juli.

 

„Liebste, du hast es gleich geschafft!“, hörte Oscar die Stimme von André während sie presste und das beruhigte sie. Diese Geburt ging leichter und schneller als bei François.

 

„Es ist da!“, rief die Hebamme, beschaute das Geschlecht des Kindes und fügte hinzu: „Gratuliere, es ist ein gesundes Mädchen! Jetzt noch ein letztes Mal wegen der Nachgeburt pressen, Madame, und dann habt Ihr es geschafft!“ Sie gab das weinende Kind ihrer Gehilfin und kümmerte sich wieder um die junge Mutter.

 

Das kleine Mädchen wurde unter Argusaugen von André gesäubert, gewaschen und leicht in das weiche Tuch gewickelt, während Oscar das letzte Mal presste. Er hielt noch immer ihre Hand und beschrieb ihr, was die Gehilfin der Hebamme gerade mit ihrem zweiten Kind machte.

 

Ja, Oscar hatte es geschafft und ihrem Geliebten ein zweites Kind geschenkt – eine süße Tochter und eine kleine Schwester für François. Schade nur, dass auch dieses Geschöpf ein großes Geheimnis bleiben würde.

 

Oscar kamen beinahe die Tränen in den Augen, als sie an die Geburt ihres Sohnes und was danach passiert war, dachte. Mit ihrer Tochter würde sie allerdings anders verfahren müssen. Sie als Findelkind auszugeben konnte sie nicht, denn es würde ganz bestimmt auffallen und es bestünde noch mehr die Gefahr, dass die Liebe zwischen ihr und André auffliegen konnte. Wobei mit dieser Gefahr lebten sie schon seit sieben Jahren. Nur hatten sie großes Glück, dass ihnen damals geglaubt wurde. Vielleicht, weil Girodel mit dabei war und die Lüge über ein gefundenes Kind im Wald so glaubhaft überbracht hatte, dass es ihm geglaubt wurde. Jetzt jedoch weilte Girodel in Versailles als Vertretung seiner Vorgesetzten und ahnte nicht im Geringsten, was gerade in der Normandie geschah. Und das war auch gut so. Ihn noch einmal als Mitwisser zu haben, wollte weder Oscar noch André.

 

Die Gehilfin der Hebamme brachte das neugeborene Mädchen zu der Mutter. André half Oscar noch schnell sich aufzusetzen und dann durfte sie ihr Kind endlich in den Armen halten. Ihre Tochter weinte noch immer, aber verstummte sofort, als sie die mütterliche Brust bekam. Die Hebamme und ihre Gehilfin räumten die blutigen Spuren von der Geburt weg und kamen dann noch einmal an das Bett.

 

„Ich danke euch beiden von Herzen.“, sagte Oscar und deutete André, den Geldbeutel zu holen.

 

„Nichts zu danken, Madame.“ Die Hebamme lächelte freundlich. „Mir liegt das Wohl des Kindes und das der Mutter sehr am Herzen. Ihr habt die Geburt gut überstanden und auch Eure Tochter ist gesund und munter.“

 

André kam mit dem Geldbeutel und bezahlte großzügig die Hebamme und auch die Gehilfin. Die beiden bedankten sich herzlich und versprachen, abends noch einmal vorbei zu kommen. „Natürlich könnt Ihr auch so jederzeit nach mir rufen lassen.“, fügte die Hebamme hinzu und verabschiedete sich. André geleitete die zwei Frauen aus dem Haus und kehrte unverzüglich zu seiner Geliebten zurück. Oscar stillte noch immer ihre gemeinsame Tochter und lächelte ihn an, wobei in ihren Augen eine gewisse Traurigkeit lag. „Wir haben also noch zwei Wochen.“, sagte sie, während André sich zu ihr auf die Kante des Bettes vorsichtig hinsetzte.

 

André wusste was sie meinte. Noch zwei Wochen bis zum ersten August und dann würde Oscars Urlaub zu Ende sein. Dieser Gedanke schmerzte ihm genauso wie ihr, aber jetzt waren sie noch in der Normandie und sollten lieber die Zeit damit verbringen, das Familienglück zu genießen. André hob seine Hand und strich ganz sachte über den dunklen Flaum seiner Tochter. „Sie ist so schön.“ Obwohl ein schwerer Stein sich in seinem Herzen legte, war er trotzdem hingerissen von dem kleinen Engel in den Armen seiner Geliebten. „Wie wollen wir sie nennen?“, wollte er wissen.

 

Oscar zuckte mit den Schultern und überließ ihm die Wahl. „Suche du ihr einen Namen aus.“

 

André überlegte. „Marguerite, wie die Blumen.“

 

„In Ordnung.“ Oscar war einverstanden und schaute mit einem nachdenklichen Blick auf ihre Tochter. „Meine Milch wird bestimmt wie bei unserem François nicht lange ausreichen und wir werden noch frühzeitiger aufbrechen müssen. Aber ich lasse sie nicht zurück, niemals!“

 

André war der gleichen Meinung wie sie. Auch er würde sein Kind nicht zurücklassen wollen. Nur aber wie sollten sie diesmal ihr Geheimnis verbergen? Bei François hatten sie dank Graf de Girodel großes Glück gehabt, aber bei Marguerite würde das sicherlich nicht gut funktionieren. Aber was gab es noch für eine Alternative. „Willst du es wie bei unserem François machen?“, fragte er sie deshalb. Vielleicht würde seiner Oscar etwas anderes einfallen, das ihnen weiterhelfen könnte?

 

Oscar schüttelte verneinend den Kopf. „Nein, das wird auffallen.“ Dann überlegte sie und ihr kam eine Idee durch den Kopf geschossen. „Oder wir können…“ Sie verstummte und schüttelte erneut den Kopf. „Nein, das ist absurd und unmenschlich...“

 

„Was hast du, Liebes?“ André kam es so vor, als hätte Oscar eine Idee, die sie aber nicht sagen wollte. Was auch immer das war, er wollte es trotzdem hören.

 

„Mir kam gerade ein Gedanke, aber das können wir nicht machen.“, meinte Oscar und zog ihre Lippen zu einem schmalen Strich.

 

„Lass einmal hören und dann entscheiden wir, ob es absurd ist.“ Egal was das für eine Idee oder Gedanke war, André wollte es trotzdem hören.

 

Oscar schwieg noch etwas nachdenklich, aber dann entschied sie sich doch noch und bewegte ihre Lippen. „Also gut, Geliebter, hör zu...“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  selina-rose
2020-04-27T10:33:34+00:00 27.04.2020 12:33
Hallo,
erstmal ist es sehr schön für das die Kapitel so schnell kommen :)
Ich hab jetzt erst gemerkt das die drei Augenpaare auch dem Cover bestimmt die Kinder sind.
Ja wer könnte sich um das Baby Mädchen kümmern. Erst dachte ich Rosalie, aber das passt vom zeitlichem her nicht, da du ja immer dicht an original bist.
Dann fiel mir Griodel ein. Wegen der Aussage es wäre unmenschlich.
Ich bin gespannt.
LG Selina
Antwort von:  Saph_ira
14.05.2020 15:51
Hallo und Dankeschön für deinen Kommentar. :-)
Ja, das stimmt, die drei Augenpaare auf dem Cover gehören den Kindern von Oscar und André.
Wer sich um das Mädchen kümmern wird, lass dich überraschen, aber deine erste Gedanke an Rosalie ist schon gar nicht mal falsch. ;-)
Liebe Grüße zurück
Ira
Von:  Tito
2020-04-23T12:24:57+00:00 23.04.2020 14:24
ch kann mich nur anschließen die spannung wird immer größer. Ich bin neugierig wie es weiter geht. Und was währenddessen im de Jarjayes Anwesen passiert der General hatte ja drei Monate frei bahn.
Ob Augustin und François schon fecht kameraden sind?
Antwort von:  Tito
23.04.2020 15:09
Sorry das sollte ich am anfang heißen. Es fehlt das i
Antwort von:  Saph_ira
14.05.2020 15:48
Alles gut, ich konnte es verstehen, was du meinst. Francois und Augustin werden etwas später Kameraden sein, aber jetzt geht es erst einmal um das Mädchen. Und was der General machen wird, wenn er über sie erfährt, werden wir sehen. Dankeschön für deinen Kommentar. :-)
Von:  dreamfighter
2020-04-23T04:18:53+00:00 23.04.2020 06:18
Wieder einmal ein gelungenes Kapitel. Ich bin schon gespannt, was Oscar sich überlegt hat. Du machst es echt spannend.
Antwort von:  Saph_ira
14.05.2020 15:45
Dankeschön, heute kommt die Fortsetzung :-)


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