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Liebe, Lüge, Wahrheit

von

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General de Jarjayes

Eine hellgraue Wolke und der Geruch nach Tabak verbreiteten sich im Kontor des Generals und Graf de Girodel musste in seine Faust hüsteln. Sofort ordnete er seine Stimmbänder und erzählte weiter. General de Jarjayes saß in seinem gepolsterten Stuhl und rauchte eine Pfeife. Aufmerksam hörte er Girodel über die Entwicklung des Jungen zu, der bei ihm in Paris schon seit einer knappen Woche lebte. Den Namen Jean trug er auch nicht mehr. Weil François bei seiner Geburt genauso genannt wurde, hatte Reynier dessen Zwillingsbruder kurzerhand unbenannt. Jetzt hieß er Augustin und gewöhnte sich an seinen neuen Namen genauso schnell wie an sein neues Leben. „Habt Ihr ihm auch gesagt, wer seine Eltern sind, Graf de Girodel?“, wollte Reynier wissen, als sein Gegenüber mit der Erzählung endete.

 

„Das mache ich jedes Mal, wenn ich bei ihm bin, General de Jarjayes.“ Victor dachte dabei an François und Lady Oscar. Wie würde er ihnen jemals ins Gesicht sehen können? Vor einer Woche, als er Augustin nach Paris brachte, hatte der General ihm die Schweigepflicht auferlegt. Er durfte niemanden etwas über den Jungen erzählen, sonst würde es Lady Oscar, dem kleinen François und André schlecht ergehen.

 

„Gut.“, sagte Reynier mit einem zufriedenen Lächeln. „So macht Ihr es weiter.“ Er hatte Girodel vor wenigen Tagen besucht und selbst gesehen, dass es dem Jungen gut ging. Augustin lernte schnell. Besonders im Umgang mit dem Holzschwert machte er Fortschritte. Obwohl er erst sechs Jahre alt war, erwies er sich als geschickt darin und erinnerte den General noch mehr an seine Mutter, als sie genauso alt war wie ihr Zweitgeborener. Oscar wusste nichts von ihm und würde es auch nie erfahren. Reynier hatte bereits Pläne geschmiedet und würde sie in naher Zukunft umsetzen. Dafür brauchte er Girodel und damit alles nach seinem Plan lief, hatte er ihm deshalb die Schweigepflicht vor einer Woche auferlegt. Er wollte damit seine Tochter mit den gleichen Waffen schlagen wie sie ihn. Das hieß, wenn sie die Menschen belügen und täuschen konnte, dann konnte er es noch besser. Also sollte Oscar weiterhin glauben, dass ihr Vater nichts von ihrem Geheimnis wusste und dafür würde er ein anderes Geheimnis hüten, von dessen Existenz sie wiederum keine Ahnung hatte.

 

Victor zerfraß sich mit Gewissensbissen. Der General mochte vielleicht gewissenlos das Spiel des Truges und der Lüge durchziehen zu können, aber für ihn, den treuen Untergebenen von Lady Oscar, war das eine Qual. Für sie zu schweigen und ihr Geheimnis zu bewahren, war es dagegen viel erträglicher. Aber was würde er schon dagegen tun können? Der General meinte es ernst mit seiner Drohung und er hatte keine andere Wahl, als mitzuspielen. Denn Lady Oscar, obwohl sie einen anderen Mann liebte und von ihm ein, nein zwei Kinder hatte, besaß sie noch immer Platz in seinem Herzen. „Verzeiht die Frage, General, aber wollt Ihr den Jungen wirklich vor dem Kommandanten verschweigen?“, fragte Girodel vorsichtig. Auch wenn er die Antwort kannte, wagte er es trotzdem hin und wieder, diese Frage zu stellen. Und wenn sie über Oscar und Augustin auf dem Anwesen der de Jarjayes miteinander sprachen, nannten sie keinen Namen.

 

General überlegte etwas. Der junge Graf schien Oscar sehr zu mögen, wenn er eine solche Frage öfters stellte. „Solange der besagte Kommandant selbst mit der Wahrheit nicht ausrückt.“, erwiderte Reynier trocken.

 

Victor seufzte. „Ich glaube nicht, dass es jemals dazu kommen wird.“

 

Daran glaubte der General auch – er kannte ja seine Tochter gut genug, aber... „Früher oder später kommt jede Wahrheit ans Licht.“ Der beste Beweis dafür befand sich gerade bei Girodel in der Wohnung in Paris.

 

An der Tür wurde in dem Moment kurz geklopft und sogleich aufgemacht. Oscar kam herein, ohne eine Erlaubnis zum Betreten des Zimmers abzuwarten. „Vater, wir sind gerade aus der Normandie zurück.“ Dann bemerkte sie Girodel. „Seid gegrüßt, Graf, welche eine Überraschung.“

 

Nun, mit ihrer Rückkehr hatte sie die zwei Männer so gesehen auch überrascht. Victor wagte nach der Begrüßung Oscar nicht mehr anzusehen und erhob sich von seinem Stuhl. „Ich wollte mich gerade verabschieden. Ihr wisst, die Pflichten warten nicht. Wir sehen uns in Versailles, Lady Oscar.“ Victor schaute lieber zum General. „Mit Eurer Erlaubnis.“

 

„Geht nur, Graf de Girodel, und vergisst nicht, was wir besprochen haben.“, verabschiedete ihn Reynier mit diesem hinterlistigen Lächeln, das seit einer Woche bei ihm oft zu sehen war.

 

Girodel senkte seinen Blick, als er an Oscar vorbei eilte und außerhalb des Kontors beschleunigte er seinen Schritt. Oscar schaute ihm ein wenig verwundert nach. „Was ist mit ihm los?“

 

„Womöglich braucht er auch einen längeren Urlaub.“ Reynier legte seine Pfeife auf den Tisch und inspizierte seine Tochter vom Kopf bis Fuß. Besonders ihren Bauch. Nicht dass er wieder wächst.

 

Oscar entriss ihren Blick von der geöffneten Tür, hinter der Girodel überstürzt verschwunden war und kam auf ihren Vater zu. „Ist etwas während meiner Abwesenheit in Versailles vorgefallen?“

 

„Nein, nicht das ich wüsste.“ Äußerlich bewahrte der General Ruhe und einen undurchschaubaren Gesichtsausdruck. Aber innerlich entstand der Drang, seine Tochter zu packen und aus ihr die Wahrheit herauszuprügeln. Aber dank seiner eisernen Disziplin, beherrschte er sich. Wenn er jetzt seinem Zorn freien Lauf lassen würde, dann konnte er alle seine Pläne und Vorhaben vergessen. Also erst einmal richtig durchatmen, seinen Ärger wie eine bittere Medizin herunterschlucken und einen Ahnungslosen vorgaukeln. „Wo ist François?“, wollte er wissen. „Hast du ihn in der Normandie etwa verloren?“

 

„Natürlich nicht, Vater. Er ist auf dem Heimweg eingeschlafen und Rosalie bringt ihn deshalb ins Bett. Aber wenn Ihr ihn so sehr sehen wollt...“

 

„Nicht nötig, Oscar, ich werde ihn später noch genug zu Gesicht bekommen.“ Oder besser gesagt, seinen Zwillingsbruder. Das Spiel hatte soeben begonnen. „Ich habe mir nur überlegt, schon bald einen Fechtpartner für den Jungen zu suchen.“ Reynier bemerkte mit gewisser Genugtuung, dass diese Idee seiner Tochter nicht gefallen hatte. Ihr Gesicht verzog sich missfällig und in ihren Augen glomm der Funke des Protestes auf.

 

Oscar war in der Tat nicht sonderlich angetan von dem Vorhaben ihres Vaters. „Einen Fechtpartner?“, fragte sie vorerst, um ihr Missfallen darüber zu verbergen.

 

„Ganz recht.“ Reynier zog seine Mundwinkel leicht nach oben. Er dachte dabei an Augustin, aber sprach über François. „Er wird mit ihm lernen, wie man einen Degen führt, Feuerwaffen einsetzt und kämpft.“

 

„Aber erst doch gerade mal sechs Jahre alt!“, platzte es fassungslos aus Oscar heraus. Das Vorhaben ihres Vaters behagte ihr nicht. Was fiel ihm ein, über ihr Kind zu bestimmen! In ihr brodelte das Blut heiß durch die Adern und sie mühte sich krampfhaft, ihr hitziges Temperament nicht ausbrechen zu lassen. Sonst könnte er ihr die Frage stellen, warum sie denn so sehr um ein Findelkind umsorgt war und sie würde in ihrer Rage womöglich die Wahrheit unbeabsichtigt offenbaren. Wenn das passieren würde, dann würde die Hölle auf Erden losbrechen und das war ganz und gar nicht in ihrem Sinne. Also ihre Wut wie eine der grässlich schmeckenden Heilmittel von Sophie herunterschlucken und ihrem Vater zuhören.

 

„Also, er ist schon alt genug, um ein Übungsschwert in der Hand zu halten.“, meinte Reynier von ihrem nahenden Ausbruch unbeeindruckt. „Wenn François sich gut macht, kommt er dann nach Versailles und wird unserem Königspaar und dem gesamten Hof vorgestellt. Wir wollen doch, dass aus ihm ein gut erzogener Soldat wird.“

 

„Ein Soldat?“ Nein, auf gar keinen Fall! Oscar ahnte, worauf ihr Vater hinaus wollte und er bestätigte das auch noch mit: „Ja, Oscar, ein Soldat für die Armee des Königs.“

 

Oscar formte angespannt ihre Hände zu Fäusten. Sie konnte nicht mehr ihre Gefühle im Griff halten. „Nein, Vater, ich entscheide, was aus ihm wird!“

 

Natürlich, du bist ja seine Mutter, dachte General bei sich, aber sagte stattdessen im befehlshaberischen Ton: „Und ich entscheide, was in diesem Haus passiert! Wer meine Regeln nicht befolgt, wird entweder hart bestraft oder vor die Tür gesetzt! Das gilt ganz besonders für dich, meine Tochter!“ Wenn es weiter so geht, überlegte Reynier für sich, dann würde Oscar unbewusst ihr Geheimnis verraten können und er würde das Spiel gewinnen. Aber dazu kam es nicht.

 

Oscar, obwohl sie in Rage war, achtete sorgsam darauf, kein falsches Wort zu sagen, welches die Liebe zu ihrem André und ihrem Sohn verraten konnte. „Aber François ist noch ein Kind!“

 

„Du warst zwei Jahre alt, als ich dir ein Holzschwert geschenkt habe und du warst sehr stolz auf das Geschenk.“, erinnerte Reynier sie an die Zeit ihrer Erziehung. „Mit vier Jahren hast du einen echten Dolch in der Hand gehalten, ohne dich dabei zu verletzen und mit sechs hast du schon mit einem echten Übungsschwert gekämpft.“

 

„Weil Ihr immer dabei wart, Vater!“

 

„In der Tat, das war ich und ich habe dich zu einem hervorragenden Kämpfer ausgebildet. Ohne mich und meiner Erziehung wärst du schon längst verheiratet und mit einem Haufen Kinder von einem unliebsamen Mann beschenkt! Vergiss nicht, wem du deine Freiheit verdankst, Oscar.“ Der General hatte schon genug von dem Gespräch. Seine Tochter war stur, aber er war ihr Vater und ob sie wollte oder nicht, würde sie seinem Befehl Folge leisten müssen. Er erhob sich von seinem Stuhl und kam näher an sie heran. „Ich überlasse die Erziehung von François erst einmal dir. Mach mit ihm, was du für richtig hältst, aber am Ende werde ich es entscheiden.“ Und gewinnen, fügte Reynier in seinen Gedanken hinzu. „Wir sehen uns in Versailles, meine Tochter.“

 

Der General verließ sein Kontor und Oscar schlug wütend gegen die Tischplatte mit der Faust. Niemand hatte das Recht über ihr Kind zu bestimmen außer ihr und André! Sie hatte François nicht hier auf dem elterlichen Anwesen großziehen lassen, damit ihn später jeder dieser intriganten Höflinge in Versailles zu Gesicht bekam!

 

„Oscar, ich habe Krach gehört.“ André tauchte besorgt im Kontor auf und in wenigen Schritten war er schon bei ihr. „Was ist passiert?“

 

„Vater will unseren François jetzt schon zu einem Soldaten ausbilden!“, zischte Oscar ohne jeglichen Versuch, ihre Wut zu verbergen. Aber vor ihrem Geliebten brauchte sie das nicht zu tun – er kannte sie schon in und auswendig. „Ich lasse das aber nicht zu!“, knurrte sie weiter gedämpft. „Ich will, dass er ein ganz normales Leben führt und aus ihm kein kaltherziger Unmensch wie ich wird!“

 

André verstand ihren Ausbruch und hätte sie gerne in seinen Armen getröstet, aber dafür war es ein falscher Ort und die Tür stand zusätzlich offen. „Ich denke, du machst dir unnötige Sorgen, Oscar.“

 

„Du weißt nicht, was er zu mir gesagt hat!“, schnaufte Oscar noch immer außer sich vor Wut.

 

„Nein, das weiß ich nicht.“ André senkte seine Stimme zum Flüstern und berührte sachte die Schulter von seiner Geliebten. „Aber ich weiß, dass aus François niemals ein schlechter Mensch wird, weil er unser Kleiner ist.“

 

Oscar ließ sich seine versteckte Botschaft durch den Kopf gehen. „Du hast recht, er ist mehr wie du als wie ich.“, sagte sie leise, aber verständlich und schaute zu ihrem Geliebten. „Egal, was mein Vater sagt, wir werden François so erziehen, wie wir es für richtig halten.“

 

„Ja, Oscar, so machen wir das.“ André verringerte doch noch die Distanz zwischen ihnen, aber nur um seine Geliebte zu necken. „Soll ich heute zu dir kommen?“

 

Oscar lächelte unwillkürlich bei dieser Frage. „Das wäre äußerst skandalös, André.“

 

„Wenn es so ist, dann besuchst du mich vielleicht?“ André tat zwar so, als meinte er das aus Spaß und nur um sie zum Lachen zu bringen, aber innerlich hätte er nichts dagegen, mit ihr eine Nacht zu verbringen. Sie müssten nicht gleich miteinander schlafen, es reichte auch aus, in den Armen des anderen einzuschlafen. Hauptsache, Oscar würde sich beruhigen und sich dann besser fühlen.

 

„Nein, du kannst in mein Zimmer kommen und mir dann ausführlicher berichten, was dich zu mir führt.“ Oscar würde sich ihrerseits jetzt schon gern in seinen Armen trösten lassen, aber das ging nicht und so blieb nur das Lächeln, welches ihre Lippen gerade formten.

 

„Das werde ich, Oscar, das und noch viel mehr.“, versprach André ihr verschwörerisch und ihre Laune besserte sich.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Tito
2020-04-09T12:59:17+00:00 09.04.2020 14:59
Víctor de Girodel wird das Geheimnis nicht lang für sich behalten können. Spätestens wenn die beiden brüder sich zum Fechten treffen. Und sich einer der beiden wehtun wird der andere das ja auch stüren .
Was den streng Opa angeht vermute ich das er dann die Eltern rausschmeiß und die Kinder bei sich behalte.
Antwort von:  Saph_ira
15.04.2020 16:28
Das werden wir sehen, ob deine Vermutungen wahr werden, aber es sind sehr schöne Theorien. Danke dir sehr. :-)


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