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Liebe, Lüge, Wahrheit

von

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Versprochen?

Der Himmel wurde immer dunkler, nachdem die Sonne unterging. Die silbernen Sterne zeigten sich einer nach dem anderen und leuchteten wie kleine weiße Punkte auf einem nachtschwarzen Stoff. Auch der Mond war schon längst aufgegangen und warf kaum Licht auf die Erde. Oscars Augen waren jedoch an die Dunkelheit gewöhnt. Sie lag im Gras, unweit von dem Anwesen, hatte ihre Arme hinter dem Kopf geschoben und starrte reglos in den Himmel. Nur noch acht oder neun Stunden und dann würde sie sich mit dem Herzog de Germain duellieren. Dafür hatte sie heute auch im Schießen trainiert und ihr Können perfektioniert. Eigentlich sollte sie schlafen, um in Form zu sein und sich nicht von ihrem Gegner töten zu lassen. Aber das konnte sie nicht. Nachdem sie François dabei beobachtet hatte, wie er von der Amme ins Bett gebracht wurde, konnte sie kein Auge mehr zu drücken. Deshalb war sie in den Garten gegangen und hatte sich in das Gras gelegt. Die nächtliche Luft sollte ihr den klaren Kopf verschaffen und Müdigkeit bescheren.

 

Es war nicht so, dass sie sich keine Gedanken um ihren Sohn machte. Im Gegenteil. Die Gedanken an ihn und was aus ihm werden sollte, falls sie das morgige Duell mit dem Herzog verlor, kreisten schon den ganzen Tag in ihrem Kopf. Heute hatte François seine ersten Schritte gemacht und den ganzen Haushalt damit erfreut. Ihr kleiner Sonnenschein, ihre Freude, ihr Ein und Alles … Sein glockenhelles Lachen, als er fiel und wieder aufstand, seine leuchtenden Augen und sein unbeschwertes Wesen würde sie für immer in Erinnerung behalten. Ebenso die Liebe zu André würde sie in ihrem Herzen, bis zum letzten Moment, bis zum letzten Atemzug tragen. Aber was waren das für Gedanken? Sie musste morgen das Duell gewinnen – für die beiden und für den erschossenen Jungen in Paris! Es dürfte nicht sein, dass der Herzog einen Richter spielte und sich alles erlaubte, ohne für seine abscheulichen Taten bestraft zu werden! Egal wie mächtig er war, aber sie konnte ihn trotzdem nicht ungeschoren davonkommen lassen! Wo blieb dann Gerechtigkeit?

 

Oscar hörte raschelnde Schritte, aber bewegte sich nicht. Sie wusste wer das war. Nur ihr Geliebter suchte sie zu dieser späten Stunde immer auf. Die Schritte hörten direkt neben ihr auf. André blieb stehen und setzte sich dann auf die grasbewachsene Erde zu ihr. „Unser Kleiner schläft tief und fest.“, sagte er dabei. In seinem Kopf kreiste noch immer der kurze Wortwechsel zwischen ihm und Graf de Girodel. Die Vorstellung daran, seine über alles geliebte Oscar in dessen Armen zu sehen und wie sein Sohn den Grafen Vater nannte, zerschnitt ihm das Herz in kleine Stücke mit einem unsichtbaren Messer. Aber was konnte er tun, um das zu verhindern? Etwa mit ansehen, wie Oscar von der Kugel des Herzogs starb? Das würde er nicht aushalten. Eher würde er sich in den Tod stürzen und seiner Liebsten das Leben retten! Aber wenn er stirbt, dann würde genau das geschehen, was Graf de Girodel ihm gesagt hatte … Verdammt! Warum war das alles so kompliziert?

 

„Kein Wunder, er war ja so erschöpft, weil er die ganze Zeit versucht hatte seine ersten Schritte zu perfektionieren.“, hörte er Oscar flüstern und kehrte aus seinen trübsinnigen Gedanken in die Wirklichkeit zurück. Sie bezog das auf seine Aussage wegen François.

 

„Ja, das stimmt.“ André kam langsam auf das eigentliche Thema. Er musste etwas tun, damit weder Oscar noch er beim morgigen Duell ums Leben kamen. Leider fiel ihm nichts ein. „Und was ist mit dir? Kannst du etwa nicht schlafen?“

 

Das leichte Zittern seiner Stimme verriet ihn und obwohl Oscar nichts von seinen trübsinnigen Gedanken wusste, ahnte sie jedoch, was ihn beschäftigte. „Mach dir meinetwegen keine Sorgen.“

 

„Wieso Sorgen?“, konterte André nicht ganz ehrlich. „Ich bin sicher, dass du gewinnst. Schon alleine wegen unserem Kleinen.“ Und damit dich Graf de Girodel niemals bekommt, fügte er noch in Gedanken hinzu.

 

„Ich sehe da auch kein Problem.“ Oscar spürte, dass ihr Geliebter sich selbst etwas vorgaukelte, um seine eigentlichen Empfindungen vor ihr zu verbergen. Das konnte sie ihm nicht verbieten, aber gleichzeitig machte er es damit ihr selbst nicht leichter. Ach, André… Wie konnte sie ihn davon überzeugen, dass mit ihr nichts geschehen würde? Nun gut, bei so einem Duell war immer ein Risiko dabei und es gab nur einen Gewinner. Sie würde sich etwas einfallen lassen müssen, um am Leben zu bleiben und weder André unglücklich zu machen noch ihren Sohn ohne Mutter zu lassen. Zumal sie das strengste Geheimnis mit ins Grab nehmen würde und das wäre eine Sünde.

 

„Trotzdem wäre es besser, wenn du schlafen gehen würdest.“, meinte André, aber bekam keine Antwort von ihr. Leicht bedrückte Stille legte sich zwischen ihnen und zog sich in die Länge. Sekunden wurden zu einer unangenehmer Ewigkeit und wurden unerträglich. Oscar schien mit diesem Thema abgeschlossen zu haben und unterstrich das mit ihrer eisigen Schweigsamkeit. André hielt das nicht länger aus. Wenn sie nicht mehr darüber sprechen wollte, dann musste er ein anderes Thema finden! Aber welches? Seine Augen schauten in der von Mond und Sternen schwach beleuchteten Umgebung und hielten auf die schwarze Kontur eines Baumes an. Dabei musste André unwillkürlich schmunzeln, als ihm gleich Bilder aus seiner und Oscars Kindheit in den Sinn kamen. „Weißt du noch, als du sieben warst, hattest du unter der alten Eiche dort einen Schatz vergraben.“, begann er und zeigte dabei mit seinem Finger auf den genannten Baum. „Du warst ziemlich stolz auf das Versteck.“

 

Wieso sprach er auf einmal davon? „Nein, das weiß ich nicht mehr.“ Oscar schloss ihre Augen und sah ähnliche Bilder aus ihrer gemeinsamen Kindheit wie André.

 

„Es waren ein runder Kreisel aus Blei und ein rotes Messer.“ André senkte seinen Arm und schaute zu ihr. „Ob sie noch da sind?“

 

„Ich erinnere mich nicht.“ Eigentlich schon. Sie erinnerte sich klar und deutlich daran, wie sie mit André unter der Eiche eine kleine Holzkiste vergraben hatten. Und das waren nicht nur ein Kreisel aus Blei und ein rotes Messer, erinnerte sie sich. Es gab noch eine dritte Sache, die André aber selbst vergessen zu haben schien. Nun ja, sie waren jetzt zwanzig und einundzwanzig Jahre alt und da konnte man schon in der längst vergangenen Zeit das eine oder das andere vergessen. Aber wieso war sie selbst nicht ehrlich mit ihrem Geliebten? Um die Vergangenheit ruhen zu lassen und sich lieber auf das morgige Duell zu konzentrieren, kam ihr sogleich die Antwort durch den Kopf.

 

André seufzte schwer. Die Ablenkung nützte nichts. Die Sorgen um Oscar und dem morgigen Duell hingen wie ein schwerer Stein in seinem Herzen. Also kehrte er wieder auf das ursprüngliche Thema zurück. „Am besten, wir verschwinden morgen durch die Hintertür, damit meine Großmutter von alldem nichts mitkriegt.“

 

„Girodel ist morgen mein Sekundant, du musst also nicht mitkommen.“ Mit anderen Worten, er sollte bei François bleiben und sich um ihn kümmern, falls etwas bei dem Duell schief laufen sollte.

 

Girodel… Warum musste Oscar ihn an diesen Grafen erinnern? Und wie kam sie darauf, dass er nicht mitkommen musste? Sollte er etwa auf dem Anwesen bleiben und auf eine schlimme oder gute Nachricht warten? Das würde er doch nicht aushalten! „Ich werde dich trotzdem begleiten.“, beschloss André und in dem Moment saß Oscar auf. Sie drehte sich zu ihm und ihre Blicke trafen sich. „André...“, brachte sie tonlos von sich und legte ihm ihre kühle Hand auf der Wange.

 

Obwohl es dunkel war, glaubte er so etwas wie Furcht in ihren Augen zu lesen. „Hast du etwa doch Angst vor morgen?“, fragte André vorsichtig.

 

„Angst? Aber nein...“ Oscar entfernte ihre Hand von seiner Wange, drehte sich um und zog ihre Knie an sich. Sie schaute auf das Gebäude ihres Elternhauses und sprach mit etwas belegter Stimme weiter. „Doch, natürlich habe ich Angst, aber nicht so sehr vor meinem Gegner. Ich habe mehr Angst in eine Situation zu geraten, wo es um etwas sehr Wichtiges geht – nämlich die Würde des Menschen. Der Herzog ist ein bösartiger Mann, für ihn sind Schwache und Arme ohne Bedeutung. Er verachtet sie. Wenn wir so einem erlauben sich zu benehmen wie er will, schadet es allen Adligen und das wirft auch Schatten auf die königliche Familie. Deshalb muss ich etwas unternehmen. Doch es fällt mir nicht leicht, jemanden zu töten, auch wenn er ein schlechter Mensch ist.“ Oscar verstummte und wieder legte sich eine schwere Stille zwischen ihnen. André schluckte hart. Was sollte er denn sonst sagen? Sie hatte ihm gerade die Hintergründe des Duells offenbart und er konnte sie deshalb mehr verstehen. Jedoch leichter ums Herz wurde ihm dabei nicht. Er rückte sich zu ihr näher und zog sie in seine Arme. Oscar schmiegte sich an ihn und fühlte sich ein wenig getröstet. „Falls ich das Duell morgen nicht überleben sollte, kannst du den Schatz, der sich unter der alten Eiche befindet, behalten.“, murmelte sie in seine Weste. „Ich vererbe ihn dir und unserem Kleinen. Einen Kreisel aus Blei, ein rotes Messer und einen Zinnsoldaten.“

 

Was sollte das, fragte sich André. Das klang, als würde sie sich verabschieden wollen! Nein, das konnte sie ihm nicht antun! Nicht ihm und nicht François! André drückte den zartgliedrigen Körper seiner Geliebten noch fester an sich. „Du willst dich also auf diese Art von uns verabschieden? Wenn ja, dann tue das bitte nicht. Was wird dann aus François und mir? Oscar, Liebste, wir wollen dich nicht verlieren!“

 

Oscar biss sich auf die Unterlippe. Ihren Geliebten derart verzweifelt zu hören, tat ihr selbst weh. „Das werdet ihr nicht, versprochen.“, sagte sie so überzeugend wie möglich und schob sich von ihm, um in sein Gesicht zu sehen.

 

„Versprochen?“, formten seine Lippen und ein Hoffnungsschimmer glomm in seinen Augen. Auch wenn er noch Zweifel hatte, wollte er sich doch an ihrem Versprechen festhalten.

 

Oscar sah dieses Leuchten in der Dunkelheit der Nacht nicht, aber sie hörte an seiner Stimme, dass er nicht mehr so verzweifelt klang. „André, ich schwöre es dir sogar hoch und heilig!“, bekräftigte sie und stieg rittlings auf seinen Schoß. Ihre Arme legte sie ihm sogleich um den Nacken und sie schenkte ihm einen innigen Kuss, dem er nicht widerstehen konnte.

 

André hielt ihren Körper, streichelte ihren Rücken, spürte die Weichheit ihrer Haare und entfachte das Feuer der Leidenschaft. Der Kuss wurde wilder, hemmungsloser und die Sehnsucht nach Vereinigung stärker. Keuchend ließ er ihre Lippen frei und küsste sie am Hals, unter dem Ohr. „Ich will dich ...“, hauchte er an ihrer Haut. „Meine Liebe, lass uns ins Bett gehen ...“

 

Oscar warf ihren Kopf in den Nacken und genoss seine Küsse. „Ja, mein Geliebter, lass uns ins Bett gehen und uns lieben ...“ Damit sie morgen Kraft finden würde, das Duell zu überstehen und zu ihren Lieben wohlbehalten zurückzukehren.



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