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Die andere Seite des Monds

von

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Reise in die Vergangenheit

Das Gesicht im Spiegel wirkte krank und grau. Platt klebte hellbraunes, bereits von Silbersträhnen durchzogenes Haar auf der Stirn. Remus holte tief Luft, tauchte die Hände in die Waschschüssel und goss das eiskalte Wasser über seinen Kopf. Zwei Tage in England hatten schon genügt, um die leichte Bräune zu vertreiben, die seine Haut unter der afrikanischen Sonne angenommen hatte - wenn sie denn mal schien. Eine Hustensalve schüttelte ihn, als er sein Gesicht mit einem fadenscheinigen Handtuch abtrocknete und er fühlte sich als hätte er tausend Jahre nicht geschlafen. Die Tebo-Herde hatte ihnen auf die letzten Tage vollen Einsatz abverlangt. Zudem regnete es ununterbrochen. In Abessinien und hier in East Ham, das an diesem Morgen unter sinnflutartigen Strömen zu versinken drohte. Remus fühlte sich ausgelaugt. Nichtsdestotrotz wandte er sich dem schmalen Tisch in der Ecke zu und verschnürte den kleinen Koffer mit einem Schlenker seines Zaubertrabs. Ein Gähnen unterdrückend schlüpfte er in seinen flickenübersäten Umhang und steckte sich zwei große Schokoriegel in die Tasche, während ein dicht am Fenster vorbeifahrender Zug das Zimmer erbeben ließ. Staub rieselte von der Decke und begrub die Kisten und Koffer, die Ordner, das Aquarium und das Grammophon, die an der gegenüberliegenden Wand aufgereiht waren. Die schnell erstellten Lehrpläne; die Leihgaben des Magiezoologischen Museums; die Schallplatten, die Remus einst im Kramladen in der Winkelgasse gefunden hatte, ja sogar der Sicherheitsvorrat an Schokolade – sie alle versanken unter einer pudrigen Schicht. Leise stöhnend hob Remus erneut den Zauberstab, sprach einen Locomotor über das Gepäck und dirigierte alles die schmale Treppe hinab, die unter seinen Schritten bedrohlich knarzte.
 

In der großen Rangierhalle, die er nach einem kurzen Weg über den regennassen, betonierten Hof erreichte, stand die scharlachrote Lok und wartete darauf, aus dem Schlaf geweckt zu werden. Für einen ehrfurchtsvollen Moment musterte Remus sie gebannt, während sein Gepäck auf dem Boden aufschlug. So viele Erinnerung, ein gutes Stück seiner Jugend hingen an diesem roten Kollos. Noch stieg kein Rauchwölkchen aus dem Schornstein auf und vom Lokführer, über dessen Wohnung Remus die letzten zwei Tage Quartier bezogen hatte, war nichts zu sehen. Doch vom anderen Ende der Halle kam ein Geräusch auf ihn zu, das wie das Rollen eines Ziehkoffers auf Pflastersteinen klang. Einen Augenblick später tauchte ein vollbeladener Servierwagen aus dem Dämmerlicht der Halle und dahinter kam das verschlafene Gesicht einer Hexe zum Vorschein. Erst auf den zweiten Blick erkannte Remus, dass sie an einer langen Stange eine Zigarette in der Hand hielt und gelangweilt vor sich hin paffte, während der Wagen von selbst an den Gleisen entlang rollte.

„Sind Sie Professor Lupin?“, schnarrte sie griesgrämig, als sie Remus erreichte.

Remus räusperte sich, um zu verbergen, dass er sich wie vor den Kopf gestoßen fühlte. Er hatte nicht erwartet, so empfangen zu werden.  

„Ja, der bin ich. Dumbledore hat mich angewiesen-“

„-Jaja, ich weiß, was Dumbledore hat“, fiel die Frau ihm ins Wort, trat zur ersten Tür der dunklen Wagons und ließ sie mit einem Alohomora aufspringen, „Hat ‘ne Menge Ärger, unser Schulleiter, was? Merlin, ich hasse diesen Job!“

Ohne von ihrem Zauberstab Gebrauch zu machen, hievte sie den Servierwagen ins Innere des Zuges. Stirnrunzelnd sah Remus ihr zu.

„Mit wem hat Dumbledore denn Ärger?“

Doch es war nicht die Servierwagenhexe, die ihm antworte. Dicht neben ihm erhob sich eine tiefe, rauchige Stimme.

„Mit dem Zaubereiminister. Wollte erst nicht, dass die Dementoren Hogwarts bewachen oder den Zug begleiten. Bei uns konnte er sich durchsetzen, doch Fudge drohte ihm, dass er es bereuen würde, sollte ihm nochmal zu Ohren kommen, dass an der Schule die Regeln gebogen werden. Gab im letzten Jahr wohl etwas Ärger um einen gewissen Hackricht oder so. Am Ende war er doch damit einverstanden, dass sie sich um die Schule postieren. Naja, wir ham’s nur am Rande mitbekommen. Geht uns ja nichts an, solange es nicht den Zug betrifft.“

Es war Mr. Knob, der Lokführer, mit dem Remus zwei Abende zuvor bei der Schlüsselübergabe zu der kleinen Dachkammer die letzten Worte gewechselt hatte. Seine Schildmütze schaukelte auf dem wettergegerbten Gesicht und ehe Remus etwas erwidern konnte, hatte er bereits den Zauberstab gezogen und sein Gepäck abermals vom Boden aufbefohlen.

„Nun, dann packen wir es mal an. Die sind für Hogwarts, oder?“

„Ähm ja, Mr. Knob“, entgegnete Remus höflich, „Materialen für den Unterricht“

Der Mann lächelte herzlich, während unter dem ersten Wagon eine Klappe aufsprang und die Kisten, Koffer und Ordner sich einer nach dem anderen sorgfältig selbst in einem geheimen Gepäckfach verstauten.

„Nennen Sie mich einfach Jim. Und jetzt darf ich bitten, einzusteigen, Mr Lupin, wir müssen in spätestens einer Stunde in King‘s Cross sein.“

Schon die Stiege zum Führerhaus empor kletternd, gab er ein Zeichen, sich zu beeilen. Und Remus ließ sich nicht zwei Mal bitten. Er hatte gerade die letzte Stufe der ersten Wagontüre erreicht, als sich die Schildmütze noch einmal aus dem schmalen Fenster der Lok lehnte.

„Wenn etwas sein sollte, Sie wissen, wo sie mich finden“, rief Jim durch Rangierhalle. Remus nickte, auch wenn er sich nicht sicher war, ob der Lokführer ihn im Halbdunkel gesehen hatte, und schloss die Tür.
 

Fenster um Fenster der Abteiltüren flogen in einem Wechsel aus Schatten und Halbschatten an ihm vorüber als er mit seinem kleinen Koffer in der Hand auf den letzten Wagen zuhielt. Er wusste noch aus seiner eigenen Schulzeit, dass sich dort selten ein Schüler niederließ und er wollte sich nicht unbedingt mitten ins Gedränge mischen. Seine Gedanken begannen wieder zu kreisen, während er einen Wagon nach dem anderen hinter sich ließ. Dementoren – sie waren der Grund, warum Dumbledore gewollt hatte, dass er mit dem Schulzug anreiste. Denn die Hälfte von dem, was der Lokführer ihm erzählt hatte, kannte Remus bereits. Es ist nicht auszuschließen, dass sie auch den Hogwarts Express observieren werden. Bitte trage für die Sicherheit der Schüler Sorge, standen ihm die Zeilen des Schulleiters noch vor Augen. Wie gut konnte er Dumbledores Widerwillen gegen die Entscheidung des Zaubereiministeriums verstehen. Dementoren waren finstere Wesen, die zwischen Freund und Feind nicht unterschieden. Und sie waren die Ersten, die Voldemort unter seine Gewalt gebracht hatte. Die Wachen von Askaban, die nun die Todesser in ihren Zellen in Schach hielten, waren einst deren Verbündete gewesen. Oft genug hatten sie dem Orden des Phönix Schwierigkeiten bereitet! Wie viele Patroni waren wohl gewirkt worden? Mit Schauder erinnerte sich Remus noch daran, wie einer davon ihm sogar seinen Kuss aufdrücken wollte. Niemand, der noch bei klarem Verstand war, konnte solche Wesen in die Nähe hunderter unausgebildeter, junger Zauberer und Hexen lassen wollen.  Doch Dumbledore hatte in seinem Brief kein Wort davon erwähnt, dass er sich deswegen sogar fast mit Fudge überworfen hatte. Und was hatte Mr Knob mit seiner Anspielung auf Hagrid gemeint? Offensichtlich hatte sich in Hogwarts in den letzten Jahren einiges ereignet, das ihm entgangen war. Sollte ihm nochmal zu Ohren kommen, dass an der Schule die Regeln gebogen werden, klangen Remus die Worte des Lokführers in den Ohren. Und wieder regte sich das schlechte Gewissen. Dumbledore bog die Regeln bereits. Für ihn.
 

Geistesabwesend verstaute Remus seinen ausgebeulten Koffer auf der Ablage und ließ sich auf dem Sitz nieder. Allmählich kehrte die Mattigkeit in seine Glieder zurück und er spürte die Schwere seiner Lider. Tatsächlich hatte er in den letzten beiden Tagen kein Auge zugemacht, so sehr hatten ihn die Vorbereitungen in Beschlag genommen. Vor sich hin dösend bemerkte er nicht, dass der Zug anruckte. Erst als Regentropfen an der Scheibe hinab liefen wurde ihm gewahr, dass der Hogwarts Express fuhr. Schlaftrunken wollte er sich in seinen Sitz sinken lassen, als ihn auf einmal etwas an der Brust kratzte. Der Brief!  Remus hatte ihn nicht in den Koffer gepackt, sondern in der Brusttasche seines Hemds verstaut. Mit zittrigen Fingern holte er ihn wieder hervor und betrachtete die feine Handschrift des Absenders im grauen Morgenlicht, während der Regen langsam nachließ. Obwohl das Papier nur ein paar Gramm wiegen konnte, lag der Umschlag zentnerschwer in seiner Hand. Und wie schon seit bald zwei Wochen rang Remus mit sich, ob er ihn öffnen sollte oder nicht. Stille erfüllte die Abteile, unterbrochen vom Rattern der Wagenräder als der Zug eine Weiche nahm und der Regen plötzlich aufhörte. Tief atmete er aus und überflog noch einmal den Namen, der sein Herz schneller schlagen ließ. Ilaria Canobi…
 

Das letzte Mal hatte er sie in einem Krankenbett gesehen, umgeben von einer Schar Heilern. Zum Glück war alles glimpflich ausgegangen, ein paar Prellungen und einen Gedächtnisverlust, was die letzten Stunden betraf. Doch es hätte alles schlimmer kommen können, viel schlimmer. Zwei Wochen kannten sie sich, er und die Frau aus dem Dorf, die sich auch als Erntehelferin verdingte. Schon am ersten Tag als sie gemeinsam in der Gaststube saßen und den Feierabend genossen, spürte er, dass sich etwas Besonders zwischen ihnen abspielte. Schon lange hatte er sich mit keinem Menschen mehr so gut verstanden und es dauerte keine zwei weiteren Nächte bis sie Remus auch schon in seinen Träumen besuchte. Ilaria selbst schien es ähnlich zu gehen, denn sie suchte fortan in jeder freien Minute seine Nähe. Bald schon verbrachten sie ihre Abende nicht mehr in der Schenke, sondern auf ausgedehnten Spaziergängen durch die Hügel. Und endlich, am Ende ihrer zweiten Woche, kam es zu jenem einzigen, verstohlenen Kuss, während die Augustsonne hinter den Bergen versank. Hätte Remus am schicksalshaften Abend darauf doch bloß nicht seinen Umhang in der Schenke vergessen! Das Wetter hatte umgeschlagen und es war kühl und diesig gewesen, als er sich bei Tisch entschuldigt und mit der Ausrede auf den Weg gemacht hatte, er hätte noch eine Eule aufzugeben, ehe die kleine Poststation schließe.  Die Abendsonne war schon im Untergehen begriffen, als er sich immer tiefer in die Wildnis hinter der Elfenweinplantage schlug, um möglichst viel Abstand zwischen sich und jede Zivilisation zu bringen. Warum Ilaria ihm ausgerechnet bis zu diesem unwirtlichen Ort gefolgt war, nur um ihm seine Jacke zu bringen, wusste er nicht, noch was in dieser Nacht eigentlich geschehen war. Als er am nächsten Morgen wieder zu sich gekommen war, hatte er auf dem harten Boden einer Felsenhöhle  gelegen und die Schmerzen in seiner linken Seite hatten länger angehalten als es für die Rückverwandlung üblich war. Er war verletzt gewesen und als er sich im grauen Morgenlicht umgesehen hatte, hatte er zu seinem Entsetzen erkennen müssen, dass er damit nicht allein war. Auf der anderen Seite der Höhle hatte seltsam verkrümmt Ilarias leblose Gestalt, halb sitzend, halb liegend, über einem Felsbrocken gehangen und unter ihr seine Jacke. Trotz seiner quälenden Schmerzen hatte der Schock ihn sofort an ihre Seite getrieben. Zu seiner Erleichterung hatte er ihren leisen Atem gehört als er sich über sie gebeugt hatte. Nirgendwo auf ihrer Kleidung war ein dunkler Fleck auszumachen gewesen, der auf verkrustetes Blut hindeutete und ihre Haut war bis auf ein paar oberflächliche Kratzer, die nicht von einem Wolfsgebiss stammen konnten, unverletzt gewesen. Nur ihr Zauberstab, der hatte zerbrochen im Staub gelegen. Sie musste es irgendwie geschafft haben, ihn in einem harten Kampf außer Gefecht zu setzen. Wie Remus später erfuhr - er wusste bis zu diesem Tage nicht wie er es mit seinen Schmerzen ins Dorf zurück geschafft hatte – hatte sie dabei auch einen Teil ihres eigenen Gedächtnisses gelöscht. Und das war das Zeichen für ihn gewesen, zu gehen. Bei allem Unheil, das er beinahe über sie gebracht hätte, war es nicht besser, wenn Ilaria nicht wusste, was in dieser Nacht geschehen war? Noch ehe sie aus ihrer Ohnmacht erwacht war, hatte er das Krankenzimmer verlassen. Er hatte ihr nicht in die Augen sehen können. Diese Augen, deren Lebenslicht er um Haaresbreite zum Erlöschen gebracht hätte. Eine Erinnerung an einen kalten Morgen zwischen Winter und Frühling schob sich mit aller Grausamkeit wieder in sein Bewusstsein und ließ Remus taumeln, als er die Treppe zu den Gästezimmern der Schenke hinaufstieg. Innerhalb einer Stunde hatte er seine wenigen Habseligkeiten gepackt und dem Winzer gekündigt. Ihm brach das Herz bei dem Gedanken, Ilaria nie wieder zu sehen. Doch sie konnten nicht zusammen sein. Er war nicht gut für sie, für jeden. Das war ihm wieder zu Bewusstsein gekommen, auch wenn er versucht hatte, es zu vergessen.  Alles, was er für sie hinterließ, war ein knapper Brief voller Lügen.  Er hatte ihr nicht sagen können, wer er war, was er war. Der Gedanke, vor ihr die Wahrheit auszusprechen, schmerzte mehr als die augenscheinlichen Ausreden niederzuschreiben.
 

Und nun lag ihr Brief in seinen Händen. Ein Brief voller Fragen vermutlich. Und Remus wusste, dass er ihn nicht öffnen konnte. Die Wunde war zu frisch und er musste Ilaria vergessen, zu ihrem eigenen Besten. Warum musste es auch jedes Mal in einer solchen Tragödie enden, wenn er sich verliebte? Entweder spielte man mit seinen Gefühlen, wie David im vorletzten Herbst, den Remus mit einer dritten Werwölfin inflagranti erwischt hatte, kurz nachdem sie zusammengekommen waren oder das Biest in ihm selbst machte allem einen Strich durch die Rechnung. Er war kein Mann für eine Nacht, doch auch keiner für Tausende davon, wenn eine Beziehung bedeutete, die Liebsten in furchtbare Gefahr zu bringen.  Würde er je einen Menschen treffen, der nicht an seine tiefsten Ängste rührte? Eigentlich sehnte sich Remus nur nach jener kitschigen, altmodischen großen und unsterblichen Liebe, wie sie Dichter und Poeten in ihren Schriften beschrieben. Doch so viele Frauen und Männer ihm auch begegnet waren, die an sein Herz rührten, keiner war an seiner Seite geblieben. Entweder flohen sie vor ihm oder er vor sich selbst zu ihrem Schutz.
 

Müde verstaute er Ilarias Brief wieder in seiner Manteltasche, so dass dieser ihn nicht störte und sank matt in seinen Sitz zurück. Obwohl die Scheibe inzwischen getrocknet war, verschwamm die Welt vor seinen trägen Augen zu einem Meer aus Grautönen. Nur fern zeigte sich am Horizont ein kleiner Silberstreifen und mit einem Mal schlich sich im Halbschlaf doch noch ein fröhlicher Gedanke in seinen Kopf. Einen Menschen, den er lieben konnte, wenn auch auf ganz andere Weise als Ilaria oder David, würde er heute wiedersehen. Zwölf Jahre lang hatte er sich nicht nach Little Whinging gewagt, aus Angst davor, das Ministerium, das die Werwölfe streng überwachte, könnte wenig begeistert davon sein, dass er sich in einem Muggle-Wohngebiet herumtrieb. Eigentlich sollte auch das ihm ein schlechtes Gewissen bereiten. Doch im Moment überwog seine Neugierde. Wie sich James‘ Sohn wohl gemacht hatte? Nach Sirius‘ Verrat war ja nun er so etwas wie ein Pate für den Jungen. Und er konnte kaum erwarten, ihn nach all den Jahren wiederzusehen. Mit diesen Gedanken an Harry Potter fielen Remus endlich die Augen zu und er entglitt ins Land der Träume. Nichtsahnend, dass ihm noch ein böses Erwachen bevorstehen sollte.



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