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Shadow of Darkness

Buch 01: Lunar Eclipse
von

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Die Sorgen und Nöte einer Prinzessin

Im Schloss Bech herrschte seit den frühen Morgenstunden bereits ein reges Treiben. Das Personal, aber auch die im Schloss wohnhafte Dienerschaft, fegte wie ein einziger Wirbel durch die große Halle des Thronsaals. Die Aufregung war groß, die Hektik unbeschreiblich. Denn es waren die Vorbereitungen für ein großes Fest getroffen. Fahnen, die verschiedene Wappen trugen und bunte Stoffe, die zur Verzierung der Wände und der hoch gelegenen Decken angedacht waren, wurden, wie von einer unwissenden Hand geleitet, durch den ganzen Saal verfrachtet. Kisten über Kisten stapelten sich in dem Raume und lagerten weit verstreut voneinander, was es den Männern, die sich der großen und schweren Tische angenommen hatten, dazu nötigte, den Vorraum des Thronsaals zu belagern, was dann irgendwann in einer Durchgangssperre mündete.

Inmitten dieses ganzen Chaos’ stand Fraeuns Kronjuwel Eriqua. Die Prinzessin, die von ihren Aufgaben, Ordnung in dem Chaos zu wahren, sichtlich überfordert war, fuhr sich mehrfach mit einem frustrierten Ausdruck auf ihren dicken roten Lippen, durchs dichte schwarze Haar. Die schönen grünen Augen, die vom Ärger und der schlaflosen Nacht leicht gerötet waren, gaben ihr im Zustand des Verdrusses, einen gar wahnsinnigen Anblick. Der Versuch, sich immer wieder neu zu sammeln und in die innere Ruhe einer Königin zu finden, misslang ihr aufs Neue, sobald sie von einem ihrer Bediensteten angesprochen wurde.

„Der Eingang ist komplett zugestellt“, schrie da der eine.

„Bitte werft einen Blick hier drauf“, forderte der andere und hielt ihr eine Liste vor die Augen.

„Junge Herrin, uns fehlt es an Material für die Herstellung weiterer Wappen auf Schilden und Fahnen“, rief da eine Frau.

„Prinzessin, was sollen wir mit dem Inhalt der Kisten machen?“, fragte da ein Mann.

Eriqua wirbelte auf jeden Aufruf von einer Seite zur anderen und suchte sich zu ordnen. Es war das erste Mal, dass ihre Mutter ihr eine solche Verantwortung at zukommen lassen. Die Organisation einer großen Feier für hohe Gäste war eine außerordentliche Ehre. Für jemanden, der sich diese Ehre auch wünschte. Eriqua hatte kein Händchen für die organisatorische Ausrichtung solcher Feiern, wie sich spätestens ab da herausstellte. Ihr fehlte die Vorstellung, die Kreativität, die Kraft eine Idee in etwas Wirkliches umzusetzen. Ein Künstler mochte unter hundert Versuchen einmal Glück haben, ein Kunstwerk durch einfaches drauf los malen zu erstellen. Doch wie ein Schmied nicht ohne eine klare Vision vor Augen ein Schwert oder eine Rüstung anfertigen konnte, konnte auch kein Maler ohne ein klares Bild vor Augen, ein farbliches Meisterwerk erschaffen. Und so verhielt es sich auch mit der Ausrichtung des Saals. Obwohl doch schon an vielen Banketts und Feierlichkeiten teilgenommen, gab es für sie keine Inspiration, nach der sie sich richten konnte. Und das machte sie rasch verzweifelnd.

„Sagt allen, sie sollen eine kurze Pause einlegen“, befahl sie der Dame, die als eigentliche Ratgeberin der Königin, an Eriquas Seite verpflichtet wurde.

Diese rückte sich die Brille zurecht und blickte mit großen Augen auf ihr Notizbrett, welches eine große Anzahl an beschrifteten Seiten trug. „Ja, aber Hoheit – junge Herrin –, wir haben gerade erst angefangen, und –“

„Ich muss mich erst mal sammeln und dafür brauche ich Ruhe“, wehrte Eriqua die Einwände ab und eilte in Richtung Ausgang. Sie stieg über die Tische, die vor dem großen Tor abgestellt wurden, stürmte an dem dort wartenden Schlosspersonal vorbei, die sich zur Seite drängten, um ihr Platz zu machen und fing sich dabei deren aufmerksamen Blicke ein, die entweder als Entrüstung oder Verdruss gedeutet werden konnte. Denn es war als eine anmaßende Geste gewertet, wenn auf solch feinen Tischen, auf denen Speisen und Getränke serviert wurden, ein jemand einfach mit Fuß oder Schuh kletterte. Ganz besonders galt dies für die Königsfamilie, die ein solches Benehmen nicht unterstützen sollte. Eriqua aber sah sich nicht in einer solch absurden Verantwortung. Die Tische wurden ohnehin vor dem großen Bankett penibel gesäubert. Und dann ließ man die gesäuberten Platten unter einem großen dicken Tischtuch verschwinden, ganz in Weiß und unberührt von Schmutz. Genauso wie die Tatsache, dass jeder am Hofe den Königsaal schon dutzende Male für diverse Festivitäten eingerichtet hatten, niemand aber ohne den Entscheid der Königin oder des ernannten Stellvertreters, sich aufführten, als wäre es ihr erster Dekorationseinsatz.

Ein lethargisches Seufzen hallte durch den leeren Korridor, durch den sie sich wie ein träges Häufchen Elend bewegte. Die Schultern schlaff, der Kopf in den Nacken und sie irgendwann gegen eine Wand gelehnt. „Ich hasse das …“, flüsterte sie und blickte aus dem Fenster, der einen direkten Einblick in den Garten des Schlosses ermöglichte. Die Strahlen der erwachenden Sonne trugen sich nur sehr langsam über das immergrüne Feld, durch den ein schmaler Weg entlangführte.

„Du wirkst niedergeschlagen.“

Eriqua wandte sich der Stimme zu. Sie blinzelte in Überraschung, als sie, am anderen Ende des Flures stehend, Eran erblickte. Er stand da, wie er immer und überall auch stand. Eine Hand gegen die Hüfte gestemmt, die andere unter seinem weißen Umhang versteckt und er selbst mit einem Ausdruck permanenter Unzufriedenheit. Ja, so und nicht anders kannte sie ihn. Und das ließ sie mit einem schwachen Lächeln wieder neue Kraft finden. Denn zu wissen, dass er sie nicht anders grüßte, als er jeden anderen auch grüßte, verschaffte ihr einen kurzen Moment tiefer Zufriedenheit. Keine tiefe Verbeugung, keine ehrenvollen Titel, keine förmliche Anrede, als wäre sie die Bessergestellte.

„Die Leiden einer Prinzessin“, gab sie mit einem spöttischen Ton wieder. Wie sie sich auf ihn zu bewegte, sprach und gestikulierte sie, als stünde sie auf der Bühne eines großen Theaterdramas: „Diese Verantwortung, diese Schufterei, der Undank meiner Untertanen. Ich schwöre dir, wärst du es nicht, der du mir jeden Tag eine Blume an mein Grabe trügest, täte ich keine Ruhe mehr finden. Denn alles in und um mir herum verwelkt im Zuge eines ganzen Tages. Du bringst mir Schönheit und Frieden, in dieses Leben, das mein Tod so ist, oh du mein Held, meine Sonne, mein ganzes Universum.“

Sogleich sie endete, warf sie sich in einer Drehung, wie von einer plötzlichen Erschöpfung überfallen, rücklings gegen ihn und tat, spielte die Ohnmächtige, dabei sie aber ihre Beine noch trugen, denn er hielt sie nicht fest. Damit rechnete sie auch nicht. Eher verwunderte sie, dass er nicht zurückgewichen ist, um sie auf den Boden schlagen zu lassen, wie einen faulen Apfel.

„Haben wir es denn jetzt?“, fragte Eran, allein am Klang der Stimme schon zu erkennen, dass ihn diese kleine Aufführung nicht erfreut hatte.

„Alter Spielverderber.“ Die Prinzessin stieß sich von seiner Brust los und grinste frech. „Deine Prinzessin hat dir gerade eine kostenlose Aufführung spendiert. Los, verbeuge dich und bekunde, wie sehr es dich erfreut hat oder ich lasse Mutter ausrichten, dass dein Kopf sich besser auf einem Spieß an der Stadtmauer machen würde.“ Sie klatschte zweimal in die Hände, um ihrem Befehl Nachdruck zu verleihen. Eran aber rührte sich nicht. Er lächelte auch nicht. Er stand einfach da, ruhig und mit verengten Augen, die bitter in ihre Richtung blitzten. Und langsam, aber allmählich, verging der jungen Prinzessin das feiste Grinsen und sie erkannte seine Verdrießlichkeit.

„Bist du also fertig mit deiner Vorführung?“, wiederholte er seine Frage. „Können wir also nun zum Anliegen meines Besuches kommen?“

„Ach, zeternde Götter“, seufzte sie und machte eine Geste mit der Hand, die ihm sagte, dass er fortfahren solle, „dann sprich schon. Wälze deinen Kummer auf mich ab und fühl dich erleichtert. Nur versuch dabei mal ein anderes Gesicht, sonst befürchte ich, muss ich mit meiner Hand nachhelfen.“ Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust und hatte nun selbst ein gar giftiges Erscheinungsbild. „Also, gezanktes Kind, wer hat dich ohne Abendessen ins Bett gebracht?“

Eran machte keine Anstalten, sich auf ein Wortgefecht mit ihr einzulassen, das gar nichts zum Thema seiner Anliegen beitrug. Er blieb fokussiert und erzählte von der Begegnung mit Leonie, Prinzessin Eriquas höfische Magd. Viele Sätze waren es nicht, da die Begegnung auch nur recht kurz ausgefallen und der Inhalt auf das Wesentliche zusammengekürzt war. So stand Eriqua da, wartete und wartete, bis die Stille sie verwundernd begreifen machte, dass von seiner Seite aus nichts mehr kam.

„Und das war es?“, fragte sie; er nickte. „Und wo genau … Oh! Oh, ach ich verstehe, daher die Frustration gegen meine Person. Du blöder dummer Mistkerl!“

Hinter Eriqua traten zwei Mägde heran, die frisch gewaschenes Bettzeug und Kleidung in Körben trugen und diese Bemerkung mit einem schockierten Gesicht vernommen hatten und still und mit gesenktem Kopf, an den beiden vorbeischritten.

„Na toll“, fauchte sie den ältesten Sohn der Kaims an, „darüber zerreißen sie sich jetzt wieder die Mäuler. ‚Oh, Prinzessin Eriqua hat solch ein Schlimmes Wort benutzt, erzählen wir das der Königin, weil eine Prinzessin darf solche Worte nicht in den Mund nehmen‘, du Arsch!“

„Lass deine Frustration nicht an mir aus, nur weil du dich nicht zusammenreißen kannst“, entgegnete Eran. „Und vor allen Dingen nicht an Leonie.“

„Ach halt dein blödes Mundwerk, du Ochse, ich hab Leonie weder angeschrien, noch etwas Schlimmes getan. Ich behandle sie, wie meine eigene kleine Schwester, also …“

„Und deshalb schickst du sie Sachen holen, die ihr bereits vorrätig hier zur Verfügung habt? Brot, Wein und Papier? Und zu dieser Stunde auch noch? Du weißt, dass wenige Wachen zum Aufgang der Sonne durch die Straßen patrouillieren.“

„Ja, und?“, fuhr die Prinzessin auf und erwartete gespannt, welches Problem das für ihn darstellte.

„Was heißt denn hier ‚ja, und‘? In ihrer Uniform schickst du sie durch wenig bewachte Straßen für unnotwendiges Zeug.“

„Wenig bewacht, ja, richtig. Weißt du warum die Straßen wenig bewacht sind, mhm? Nichts? Oh Wonne, dann lass es mich dir mal erklären: Die größte Verbrechensrate findet zu einer Zeit statt, in der die Stadt nur von Laternen erhellt wird. Da werden Diebstähle und Morde gerne und häufig verübt. Der frühe Morgen ist die Zeit, wo sich dieses Gesindel nach getaner Arbeit wieder in die Löcher zurückzieht, aus denen sie gekrochen kommen. Die wenigen Wachen, die wir zu dieser Zeit auf Patrouillengänge schicken, werden auch nur die Problemviertel im Stadtwesten im Auge behalten. Und – oh weh, da schau mal einer – wir sind verdammt noch mal Zentral. Es hat hier noch kein einziges Verbrechen in den frühen Morgenstunden gegeben, es sei denn du zählst eine Keilerei zwischen zwei Vollgetrunkenen als solches.“

Eran schien einen Einwand zu haben, merkte jedoch, dass Prinzessin Eriqua noch lange nicht das Ende ihrer Schimpftirade gefunden hatte und war auch nicht gewillt, mehr Kohle in den brennenden Ofen zu schmeißen.

„Und außerdem“, fuhr Eriqua unbeirrt und mit einer höheren Stimme als vorher fort, „ist der Weg zum Markt nicht weit. Die Hauptstraße, auf der sie geht, ist groß und breit und überhaupt die Sicherste. Und, oh Wunder großer Stern, sie ist eine gerade Verbindung zwischen Palast, Marktplatz und Haupttor. Beinahe, als hätte ich mir was dabei gedacht, als ich sie von dem ganzen Irrsinn, der hier zurzeit sein neues Heim findet, befreit hatte. Ein Luxus, den ich mich nicht gönnen kann, weil du mieses Schwein dich noch hier hinstellst, und mir Vorhaltungen machst. Weißt du, warum sie mir diese drei Sachen bringen soll? Weißt du, wofür das Brot, der Wein und ein Bogen Papier sind? – Für mich! Ja, ich habe meine Hofmagd dazu beauftragt, mir etwas zu bringen, ich mieses Stück, nicht wahr? Soll ich dir noch was sagen? Ich hänge seit gestern Mittag bis gerade ununterbrochen an den Vorbereitungen für das Fest in einer Woche! Ich habe Hunger, denn ich hatte keine Zeit zu essen. Ich habe kein Papier mehr, weil alles binnen des gestrigen Tages für Namenslisten, Essensbestellungen und lauter Zahlen für alles, was du dir vorzustellen vermagst, aufgebraucht wurde. Die Zahl der Stühle, die der Festtische, die der Fenster und der Vorhänge. Dem folgt, was steht noch in der Besorgungsnot und wie schnell kann es geliefert werden? Wo muss was hin? Weißt du, ich hab heute so viele stupide Fragen von Menschen gehört, die den Saal dutzende um dutzende Male eingerichtet hatten, dass ich mich arg wundere, ob die überhaupt alleine auf den Abort finden oder sich doch lieber in die Hosen machen. Und den Wein!? Ja, ich sehe dir direkt an, was du dir dabei gedacht hast. Sei versichert, den brauche ich, weil ich sonst Gefahr laufe, mir mein Schwert zu greifen um damit in wilder Erregung durch das Schloss zu laufen. Soweit bin ich schon! Denn neben meinen ganzen anderen Pflichten als Prinzessin, den Saal für eine Feier herzurichten, die dann in nur einer Woche stattfindet, ist gerade wirklich ein enormer Druck auf meinen Schultern und dann möchte ich nicht hören, dass ich noch eine schlechte Freundin wäre, du dummer Hund!“

Stille. Nach dem langen Gezeter und Geschrei, der wilden Gestikulation und wüsten Beschimpfungen, endete sie endlich. Sie seufzte und atmete schwer. Die Kraft für ein weiteres Aufbegehren gegen Eran schien nicht mehr gegeben. Stattdessen eine vereinzelte Träne, die sich aus den Schluchten ihres Lids, die Wange hinabzustürzen versuchte, jedoch rechtzeitig von ihrem Finger aufgefangen und in einer raschen Bewegung an der schönen Seide ihres grünen Kleides abgewaschen wurde. Eriqua stand, den Blick des Stolzes einer Königin erhoben, aber der Rest des Körpers von einer erschlafften Haltung geformt.

„Ist gut“, sprach Eriqua in einem nun viel sanfterem Tone. Eine resignierte Handbewegung in Erans Richtung gab ihm zu verstehen, dass das Siegel des Schweigens nun nicht mehr auf ihn wirkte. „Du darfst nun sprechen. Ich habe geendigt.“

Eran wusste jedoch nichts zu sagen. Sein Gesicht blieb über die gesamte Zeit dieser eskalierten Unterhaltung gleich. Ein Außenstehender würde sagen: Unnachgiebig, unherzlich, oder dergleichen. Nur wer ihn schon so lange kannte, wie es die Prinzessin tat, wusste sein Schweigen zu deuten. Er schämte sich. Schämte sich, so vorschnell geurteilt zu haben. Schämte sich, sie direkt mit bösen Bezichtigungen konfrontiert zu haben. Er schämte sich in allen gängigen Regel der Kunst und das so sehr, dass es ihm die Worte im Halse staute.

 „Wie wäre es“, räumte Eriqua ein, während sie sich auf eine der schrägen Fensterbänke niederließ, „mal zur Abwechslung des Tages, dass du dich mal danach erkundigst, wie es mir geht, mhm?“ Sie blickte hoffnungsvoll in seine Richtung. „Ich könnte gerade mal einen echt guten Freund gebrauchen, der sich auch ein bisschen um mich kümmert.“

„Verzeih …“, räumte Eran reumütig ein. „Ich war zu voreilig und … du hast recht, Leonie ist kein kleines Kind und ich bin einfach nur zu …“

„Ja.“ Die Prinzessin nickte seine Worte ab. Mehr gab es dazu nicht weiter zu sagen. Sie verzieh ihm, denn wie konnte sie auch nicht? Leonie war ihr Herz und ihr Blut. Ein treues, liebes Mädchen, eine Schwester im Geiste. Wie könnte sie einen Mann hassen, der sie genauso sehr in sein Herz geschlossen hatte, wie Eriqua es getan hatte?

Eran näherte sich ihr an. Er lehnte gegen die Mauer, die zwischen einer leeren und der, von der Prinzessin besetzten, Fensterbank stand wandte seinen Blick nicht von ihr ab. „Wie geht es dir, Eriqua?“

„Danke das du fragst“, lächelte sie. Sie schlug die Hände über den Kopf und reckte und streckte sich, wie frisch aus einem Traum erwacht. „Ich muss sagen, so gerade, jetzt im Augenblick, fühle ich mich etwas besser. Dich anzuschreien hat mir wirklich geholfen“, witzelte sie und, immerhin, erhielt von ihm ein kurzes, sehr leises Lachen. So waren die Wogen zwischen den beiden wieder geglättet. Wie die vielen anderen Male zuvor auch.

„Sag, wieso darfst du dich denn nicht der Vorräte bedienen?“, fragte Eran.

„Wie?“, entgegnete die Prinzessin verwirrt.

„Na ja, ich dachte, da ihr doch hier alles vorrätig habt und du Leonie nun einmal ausgesendet hast, um …“

„Ach Eran“, stöhnte Eriqua und senkte erschöpft den Kopf. „Verzeih mir, mein guter Freund, du bist bei weitem kein Trottel aber manchmal fürchte ich, dass deine Intelligenz nur von der Masse deiner Muskeln bestimmt wird.“ Sie hob das Haupt wieder, strich sich einige der schwarzen Strähnen aus ihrem Gesicht und sah ihm direkt in das seine. „Was habe ich gerade eben noch gesagt? Ich habe Leonie diese Sachen holen geschickt, um sie von dem ganzen Unsinn hier zu entlasten. Sie war eben schon völlig überfordert und wusste nicht, wo sie hätte anpacken sollen oder was sie hätte noch bringen sollen. Du weißt ja, wie zerbrechlich sie unter Stress ist. Ich habe ihr eine einfache Aufgabe gegeben, damit sie sich nicht unwichtig fühlt. Die Sachen, die sie trägt, sind leicht in einen Korb unterzubringen und nicht schwer zu tragen.“

„Sie sollte also bei der Ausrichtung des Saals mithelfen?“

„Durchaus. Sie ist zwar meine Schlossmagd, das heißt aber nicht, dass nur ich alleine sie befehligen kann. Natürlich nimmt jeder hier im Schloss Rücksicht auf sie und versucht sie mit einfachen Aufgaben in den Alltag zu integrieren. Sie erfährt auch viel Verständnis und das belastet sie auch scheinbar. Sie weiß ja, dass sie keine besondere Hilfe in großen Planungen ist. Kleine Aufgaben, wie mir das Haar am Morgen zu bürsten oder meine Wäsche zu säubern oder mein Zimmer zu reinigen; das alles kriegt sie wunderbar hin. Sobald es aber um mehr als nur ein Anliegen geht, wird sie schnell chaotisch. Sie hat einmal die Kleider meiner Mutter und mir gewaschen und dann beide vertauscht. Das meiner Mutter hing schlaff an mir herab, während meine Mutter kurzzeitig dachte, sie hätte zugenommen, weil sie nicht in meins passte. Das war wirklich sehr komisch.“ Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und zwang sich gegen das Lachen, welches sich hier mit aller Macht aufdrängte. Doch sobald sich Eran nicht mehr zu halten wusste und in ein lautes Lachen verirrte, da war es auch um sie geschehen.

Die beiden lachten, lachten aus vollen Herzen und über diese wahrhaft komischen Bilder eine stolzen Frau, wie die Königin Mutter, die sich nicht in die Tracht ihrer kleineren und dünneren Tochter zu zwängen vermochte. Es war ein herrliches Bild in ihrer beider Köpfen.

„Na ja“, mäßigte sich die junge Frau allmählich und wusch sich die freudigen Tränen aus beiden Augen, „auf jeden Fall weißt du jetzt, dass ich keine schreckliche Tyrannin bin.“

„Ja“, klang auch bei Eran das Lachen ab. „Wie gesagt, ich bitte vielmals um Verzeihung.“

Sie winkte ab. „Sei’s geschehen. Dafür sind wir ja Freunde, nicht wahr? Wir reden, wir lachen, wir streiten und am Ende sind wir wieder, wo wir am Anfang standen.“

„So ist es.“

Diese Worte erfreuten sie. Ein ehrliches Lächeln, das voll Dankbarkeit und Zuneigung war, schmiegte sich an ihr rotes Lippenpaar. Doch dann die schlagartige Erkenntnis, die sie ereilte. Die Sonne hatte endlich den Berg passiert. Sie war schon eine ganze Weile weg und hatte immer noch eine Menge Arbeit vor sich.

„Entschuldige, Eran“, sagte sie und stützte sich von der angeschrägten Fensterbank ab. „Ich sollte wieder zurück in den Saal, und …“

„Ich begleite dich.“

„Wirklich? Warum?“

„Ich war ohnehin wegen dir hier.“

Eriqua erschrak. Auf den purpurnen Wangen wuchs mit einem Male ein rosiges Feld, dass sich auf der so weißen Haut sehr deutlich abzeichnete. „Du bist wegen mir hier?“, fragte sie ungläubig.

Eran nickte und schenkte der plötzlichen Unruhe und den erröteten Wangen keinerlei Beachtung. „Es geht um den Auftrag, den wir in Kürze beginnen werden. Ich wollte noch einige Einzelheiten mit dir durchgegangen sein.“

„Oh, ach so. Ach, darum geht es.“ Ein verlegenes Grinsen zeichnete ihr Gesicht. Die Wangen kühlten wieder rasch ab. Idiot, schimpfte sie sich in Gedanken. „Könnte dies nicht noch warten, bis ich, du weißt schon …“ Sie suchte die richtigen Worte in einer sagenhaften Kombination aus Handzeichen und Kopfbewegungen zu gestikulieren, da sie ihr tatsächlich gerade, durch den kurzen Zwischenfall der Verlegenheit, nicht einfallen wollten.

„Wegen den Vorbereitungen?“, half er ihr auf die Sprünge und Eriqua nickte hastig.

„Ja, genau. Wegen der Vorbereitungen für den Saal. Ich bin einfach mittendrin verschwunden und länger weggeblieben, als eigentlich vorgehabt. Wenn du willst, kannst du natürlich rasch mitkommen. Solange du nur niemandem im Wege stehst, versteht sich.“

„Sicher“, sagte sich Eran und hob unbekümmert die Schultern. „Die Zeit harre ich gerne aus, da es mir ohnehin an einem Gesprächspartner mangelt. Dann will ich mir einmal ein Urteil über deine Entweihungsversuche am Saal machen.“

„Sehr witzig, du alter Stinksack.“

Nun war es sein Gesicht, welches Grinsen einer feisten Grimasse glich. Und während sie sich gemeinsam auf dem Weg zurück in den noch gänzlich leeren Saal machten, arbeitete der schöne Kopf der Prinzessin bereits an einer Lösung für das terminliche Dekorierungsproblem. Zeitgleich auch, denn eine Frau vom Hofe konnte sich mit mehr als nur einer Sache beschäftigen, ruhten ihre Sorgen auf denen Erans. Der Auftrag, der von der Königin höchstselbst an Eriquas frisch gegründeten Kleintrupp vergeben wurde, war in der Sache ein einfacher. Doch …

„Du kamst also wegen unserer Mission?“, fragte sie ihm noch einer kurzen Zeit der Stille, die für beide zur Andacht genutzt wurde. Denn auch Eran führte, wenn er sich in Stille hüllte, einen geistigen Monolog.

„So ist es. Die Aufgabe scheint klar und einfach, aber …“

„Ich weiß, was du meinst. Mich plagt auch der gleiche Gedanke.“

„Rei und Graeyn“, brummte Eran und Eriqua nickte. „Also glaubst du es auch.“

„Nun, es ist nicht gerade so, als gäbe es Beweise. Die Zusammenhänge allerdings sind äußerst besorgniserregend.“

„Mein Gedanke. Zwei der fünf Helden der neuen Zeit verschwinden auf mysteriöse Weise.“

„Und nur drei Tage später“, führte die Prinzessin seine Überlegungen fort, „kappt die komplette Verbindung zur Ostbresche ab. Dieselbe Mauer, die dein Vater einst durchbrochen hat.“

„Und damit der Krieg gegen den alten König begann, ja. Die Verbindung ist nicht von der Hand zu weisen. Schön dass du genauso denkst.“

„Zerreiben tut mich allein die Frage, wieso du so früh schon zum Palast auf bist?“

„Ich wollte“, erklärte sich Eran, „erst mit dir und dann mit deiner Mutter darüber reden. Sie ist vom frühen Mittag bis in den späten Abenden ständig verhindert und ich erhoffte mir sie zu dieser Stunde abfangen zu können.“

„Verstehe.“ Die Prinzessin schaute bitterlich drein.

„Was hast du?“

„Nichts. Ich bin mit meinen Gedanken nur gerade bei Mutter. Der Frieden, weißt du, er zermürbt sie.“

„Ach, wirklich?“, sprach Eran mit echtem Erstaunen.

„Ja. Die Menschen haben, durch die Taten des alten Königs, einen schlechten Ruf, für den wir noch bis zum heutigen Tage getadelt werden. Der Kampf für Frieden und Ansehen ist zwar verhandelbar, aber auslaugend. Nach beinahe drei Jahrzenten ihres Amtes als Königin, sind die Ergebnisse ihrer Mühen wirklich sehr mickrig. Und die verstummten Wenigen, die sie damals noch eine Usurpatorin schimpften, scheinen langsam ihre Stimme wiederzufinden und Anklang zu finden. Die versprochene Veränderung, die besseren Zeiten, Eran, sie kommen nur sehr träge.“

„Mhm.“ Das brachte den jungen Mann ins Grübeln. „Ich ahnte nicht, dass es so schlimm um das Königshaus steht.“

„Tut es auch nicht“, seufzte Eriqua. „Noch nicht, zumindest. Aber es nimmt langsam Form an. Das sich schon Echsenmenschen und Harpyien unter uns befinden, macht den Leuten Angst. Nicht wirklich verwunderlich, bedenkt man, dass alles, was eine physische Überlegenheit ausstrahlt, einschüchternd wirkt.“

„Sieht man ja an Brouck.“

Eriqua lachte lautstark auf. „Ja, der ist wirklich einschüchternd, mit seinen weiß-glänzenden Schuppen und den dürren Ärmchen. Bei dem schreit der erste Anblick direkt ‚Gefahr!‘“

„Ja, wenn man nur von seiner Statur ausgehen würde … oh, was ist denn da los?“

Die beiden hatten den großen Eingang des Saals erreicht. Mit Verblüffung bestaunte die Prinzessin, dass sich die Tische, die noch vorher den Durchgang blockiert hatten, nun nicht länger unorganisiert vor den Saaltoren standen. Weiter noch werkelten die Bediensteten emsig an der Dekoration. Zwei pro Vorhänge, zwei pro Tische, einer stand auf einer Leiter und schlug einen Nagel in die Wand, ein anderer hielt eine Vase und huschte so rasant mit dieser an Eran und Eriqua vorbei, dass er sie, wären sie nicht zur Seite gewichen, in seiner Eile umgerannt hätte.

„Sieh an, anscheinend klappt es doch ganz gut“, meinte Eran, doch erhielt keinen Zuspruch von der Prinzessin. Denn die wusste ganz genau, wo der plötzliche Wandel her ruhte. Er folgte ihren gebannten Blick und verstand. Die Dame, die zur Beratung und zur Hilfe an Eriquas Seite gestellt war, beriet sich, mit hochgehaltenen Notizen, mit jemandem. Königin Justine.

 

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Regina_Regenbogen
2020-08-02T14:28:28+00:00 02.08.2020 16:28
Ich liebe Prinzessin Eriqua! 🤣
Ihr Charakter ist wirklich erfrischend und lockert alles wunderbar auf. Ich finde es schön, dass sie und Eran so gute Freunde sind. :)

Bin gespannt, mehr über die Geschichte zu erfahren, wie es dazu kam, dass die Königin nun herrscht.

Antwort von:  WrightGerman
02.08.2020 17:17
Ja, Eriqua hat schon sehr viel Spaß gemacht zu schreiben. Ich denke, sie und Eran werden noch einige hervorragende Dialoge haben. Warte mal ab wie herrlich ihre Interaktionen mit Kia sind. xD
Hach, ich hab noch so viel vor mit dem Trio. <3
Es freut mich auf jeden Fall, dass du Eriqua ebenso unterhaltsam findest, wie ich. Sie ist einfach wirklich Wahnsinn und Genialität in einem. <3

Wie immer danke ich dir für dein nettes Feedback. Würde mich sehr freuen, dich auch in Kapitel 4 begrüßen zu dürfen. :)
Antwort von:  Regina_Regenbogen
02.08.2020 19:37
Ich habe deine Geschichte abonniert und werde informiert, wenn das nächste Kapitel kommt. :)
Ich freue mich auch schon, mehr von Eriqua, Eran und Kia zu lesen. :D


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