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Die andere Seite des Monds

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Zaubertränke einmal anders

 

Wieder ein neuer Tag. Wieder ein Haufen ungezogener Kinder, die mehr Unheil anrichteten als ein Schwarm Kitzpurfel. Wieder vergorene Tränke, vergeudete Zutaten und grobschlächtiges Zerhacken von Rattenmilzen, dass einem die Haare zu Berge stehen wollten. Wieder Geschwätz, Gekicher, halbherzig bekritzelte Pergamentrollen und dumme Fragen anstatt einmal dem Unterricht gebührenden Respekt zu zollen. Severus beäugte den rußigen Fleck im Gewölbe, den ein explodierender Kessel am Vortag dort hinterlassen hatte und spürte wie sich bei diesem Anblick der Kaffee und sein Frühstücksei zu einem Gebräu der Abscheu vergoren. Nur noch fünf Minuten blieben ihm, um die Ruhe dieses frühen Freitagmorgens zu genießen ehe eine wilde Horde Zweitklässler sein schönes Klassenzimmer in ein Schlachtfeld verwandeln würde. Allmählich müsste draußen auf dem Flur Quasseln und Kichern zu hören sein, doch noch war alles ruhig. Sollte sich heute etwa die ganze Klasse verspätet haben? Na, noch schöner! Als ob es nicht reichte, dass in der letzten Stunde zwei Schülerinnen meinten der Unterricht beginne, wann sie Lust drauf hätten!
 

Wie fast jeden Tag hoffte Severus die Zeit nur schnell hinter sich bringen zu können. Würde seine Aufgabe an Hogwarts nur aus dem Brauen von Zaubertränken bestehen, würde er seinen Job viel lieber mögen. Sich mit den Ungezogenheiten Pubertierender rumschlagen zu müssen, war eine Seite des Lehrerberufs, die er hasste.
 

Als das Stundenglas ihm keine Gnade mehr gönnte, schritt Severus mit wachsendem Ärger zur Klassenzimmertüre, riss sie auf und hielt inne. Er hatte fast damit gerechnet, einen leeren Flur vorzufinden. Tatsächlich aber was das Gegenteil der Fall. Hufflepuff und Ravenclaw, die ganze Hälfte des zweiten Jahrgangs hatte sich restlos vor der Tür versammelt und dennoch herrschte im Korridor Grabesstille. Verdutzt ließ Severus seinen Blick über die Schülerschaft schweifen, die unter seinen Augen zwar ein wenig zu erzittern schien, jedoch noch immer keinen Ton von sich gab. Im nächsten Augenblick spürte er wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Irgendetwas stimmte hier doch nicht!

„Was ist los mit Ihnen? Hat Sie jemand mit einem Silencio belegt?“, raunte er in die Runde.

„Nein, Sir“, erklärte ein hochgewachsener, schlaksiger Junge. Es war Stephen Frydon, sonst der größte Schwätzer der Klasse, der nun kein weiteres Wort herausbrachte. Severus warf ihm einen scharfen, durchdringenden Blick zu, dann trat er beiseite. Mit einem Kopfnicken gab er der Klasse das Zeichen einzutreten, nicht ohne sich zu schwören, sie heute besonders gut im Auge zu behalten. Wer schwieg, heckte meist etwas aus!
 

Doch die ersten Minuten verliefen erstaunlich friedlich. Ebenso still wie schon auf dem Flur nahmen die Mädchen und Jungen Platz und als Severus sie anwies, ihr Buch zur Hand zu nehmen, landeten die Wälzer nahezu synchron auf den Tischen.

„Wie sie wahrscheinlich nicht wissen, da ich nicht davon ausgehe, dass auch nur einer von Ihnen den Stoffplan für dieses Jahr gelesen hat, lernen Sie noch in diesem Winter den Brauvorgang einer Schwellösung kennen“, erklärte Severus und baute sich vor der Klasse auf. Sechsundzwanzig Augenpaare verfolgten seine Rede neugierig und zutiefst gebannt. Nicht ein Schüler flüsterte mit seinem Nachbarn, kritzelte etwas auf Pergament oder las unter der Bank heimlich in einer Zeitschrift. Selbst Miss Lovegood, die sonderbarste und auf ihre Weise beängstigende Schülerin der Klasse sah zu ihm hinüber, wenn auch mit glasig verträumten Blick. Die Gänsehaut in Severus‘ Nacken wandelte sich zu einem kalten Schauer. Was bei Merlins Namen führte die Klasse im Schilde?! Warum nahm sie ihn so ins Visier? Ein leicht mulmiges Gefühl überkam ihn. Nichtsdestotrotz fuhr Severus fort und verbarg seinen Argwohn.  

„Da es in den letzten Jahrgängen bedauerlicherweise immer wieder zu schweren Unfällen während dieser Einheit kam und meine privaten Vorräte begrenzt sind, lernen Sie in diesem Jahr zunächst das Gegenmittel zu brauen, den Abschwelltrank. Zu Ihren eigenen Gunsten rate ich Ihnen zu höchster Sorgfalt bei der Herstellung, denn Sie werden im Zweifelsfall von Ihrem eigenen Gebräu Gebrauch machen müssen, sollte auch dieses Jahr jemand es für lustig befinden, seinen Kessel in die Luft zu sprengen.“

Severus lächelte leise und böse, doch die Klasse rührte sich nicht. Nichts als stoische Ruhe soweit das Auge reichte. Ein fast schon unheimlicher Anblick, statuengleich. Dann räusperte Severus sich kurz und nahm den Faden wieder auf.

„Kann mir jemand die Ingredienzen eines Abschwelltranks nennen?“

Plötzlich änderte sich das Bild. Mit der Kraft eines Ozeans ging eine Welle durch die Klasse und einundzwanzig Finger schossen nach oben. Überrumpelt riss Severus die Augen auf. Wann in seinem Lehrerleben hatten sich jemals so viele Schüler auf einmal gemeldet? Nachdem er sich wieder gefangen hatte, beschloss er ein Mädchen dranzunehmen, das sich bisher nie von selbst in seinen Unterricht eingebracht hatte. Wollten wir doch mal sehen, ob die kleine Finte sich nun offenbarte.

„Miss Jason!“

„Sieben Halme Flussgras, eine Unze Gänseblümchen, eine halbe Rattenmilz, eine Plagentinenknolle, zwei Dutzend Aalaugen und dreizehn Tropfen Bubotubler-Eiter, Professor“, kam es wie aus dem Zauberstab geschossen.

„Das ist korrekt!“, bestätigte Severus und runzelte die Stirn. Wenn dies alles auf einen schlechten Scherz hinauslaufen sollte, so gab die Klasse sich alle Mühe, es zu verbergen. In keiner Miene spiegelte sich auch nur der Hauch eines Lauerns, einer bösen List.  

„Und wer kann mir sagen, wie die Materialien behandelt werden müssen?“ Unter allen, die sich meldeten, fiel ihm ein Junge aus Hufflepuff als erstes auf.  

„Mister Odgen!“

„Die Flussgrashalme werden fein gehackt, Sir, die Gänseblümchen im Mörser zermalmt, die Rattenmilz gewürfelt, die Plagentinenknolle gerieben, die Aalaugen kreuzweise eingeritzt und in Lavendelessenz eingelegt und der Bubotubler-Eiter vorsichtig in den Sud geträufelt.“

„Auch das ist korrekt“, musste Severus zugeben und beäugte die Klasse einen Augenblick lang kritisch, „Haben Sie etwa alle das Zaubertrankbuch bereits gelesen?“ Ein einstimmiges Nicken. Dann Stille. Grübelnd legte Severus einen Finger an die Lippen. Noch blieb ein Funken der Skepsis, doch er begann bereits zu verglimmen. Was wenn dies alles gar kein Streich war? Wenn die Klasse nichts ausgeheckte sondern tatsächlich, was unglaublich schien, einfach nur gut mitarbeitete?!

„Schön“, ergriff Severus wieder das Wort. Im Klassenzimmer hätte man noch immer eine Stecknadel fallen hören können und alles hing an seinen Lippen, „Mr Husher, schreiben Sie das Rezept an die Tafel“. Der Schüler sprang sofort auf.

„Die Anderen schlagen Seite 67 im Buch auf. Wir werden heute mit der Vorbereitung der Lavendelessenz und der Aalaugen beginnen. Lesen Sie das Kapitel aufmerksam durch. Sie haben zehn Minuten Zeit. Ich werde derweil ihre Hausaufgaben einsammeln.“

Ohne einen Mucks versenkten sich die Schüler in ihrer Lektüre und nur das Quietschen der Kreide auf der Schultafel durchbrach die Stille.
 

Als Severus zum Ende der Stunde sechsundzwanzig doppelte Pergamentrollen überflog und sechsundzwanzig Mal eng beschriebene Zeile und akkurate Zeichnungen sah, bestand kein Zweifel mehr: Kein Trick, kein Lausbubenstück steckte hinter der Schweigsamkeit der Klasse. Die Schüler hatten sich, fast zu seinem Bedauern, schlicht tadellos zu verhalten. Selbst bei der Prozedur der Vorbereitung der Aalaugen hatte sich keiner einen der üblichen Fauxpas‘ geleistet -  nein, alle hatten ihre Arbeiten mit höchster Konzentration erledigt. Und das beunruhigte Severus alles in allem mehr als wäre doch noch irgendwo ein Filibusterknaller losgegangen oder eine Stinkbombe gezündet worden. Hufflepuff und Ravenclaw mochten zwar ein wenig braver sein als ihre Mitschüler aus Gryffindor, doch Engel waren auch sie weiß Gott nicht. Woher also dieser plötzliche Sinneswandel?
 

Er legte die Pergamente zur Seite und blickte auf, gerade noch rechtzeitig um die letzten beiden Schüler, ein Junge und Mädchen, im Korridor verschwinden zu sehen. Die beiden Ravenclaws hatten ihre Köpfe zusammengesteckt. Ihr Gemurmel brach sich im Gewölbe und an den kargen Kerkerwänden und Severus hätte seinen Kessel darauf verwettet, dass es um die zurückliegende Stunde ging. Misstrauisch geworden schlich er den Schülern hinterher, hoffend den Schlüssel zu diesem Rätsel zu finden. Zum Glück bemerkten sie nicht, dass ihr Zaubertränkelehrer ihnen folgte und als Severus die Schwelle erreichte, vernahm er ihre Stimmen klar und deutlich.

„Professor Lupin hatte Recht“, sprach das Mädchen, „Er hat heute nicht mal Hauspunkte abgezogen. Ich dachte, er würd’s trotzdem tun. Aber er hat’s nicht getan.“

„Ja“, stimmte der Junge ihr nachdenklich zu und ihre Schritte entfernten sich auf der Treppe.  
 

Severus spürte, wie ihm gleichzeitig heiß und kalt wurde. Mit einer jähen Bewegung machte er auf dem Absatz kehrt und schloss die Tür hinter sich, die Lippen aufeinandergepresst. Der Werwolf steckte also hinter dieser Sache. Er hatte alles eingefädelt! Doch warum?



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