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Die andere Seite des Monds

von

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Vollmondnacht

Am nächsten Morgen konnte Severus sich im ersten Moment an nichts erinnern. Eine dumpfe, schwere Taubheit hatte ihn ergriffen als der Ohrenwecker den tastenden Händen entglitt und mit einem Scheppern auf dem Kerkerboden aufschlug. Stille. Dunkelgraues Dämmerlicht. Ein wenig Sonnenschein fiel durch die einzige, kleine Fensterscharte ein.  Zu wenig, um den Raum zu erhellen. Auf den Bildern der vergangenen Nacht lag der Schleier des Vergessens. Severus rieb sich die Stirn, die schmerzenden Schläfen. Lupin, der verlauste Werwolf, war bei ihm gewesen, das wusste er noch. Und Dumbledore. Um was war es gegangen? Irgendetwas von ‚die Vergangenheit vergessen‘ und ‚eine Chance geben‘. Severus bekam nur noch Bruchstücke zusammen. Aber es war auch egal. Es war nur ein weiterer gottverdammter Tag in seinem gottverdammten Leben und die Erinnerung würde schon früh genug zurückkehren. Lustlos schob er die Decke beiseite und rollte sich aus dem Bett.  Wie schon Stunden zuvor pressten sich die Fliesen hart gegen seine Fußsohlen und die Kälte trieb für einen Augenblick eine Gänsehaut über seinen Körper, als er sich seines Nachthemds entledigte. Er zog sich an ohne auch nur einen Blick in den gesprungenen Spiegel zu werfen, der mit Spinnweben  verhangen in der Nische mit der Waschschüssel hing.
 

Dunkelheit umfing Severus als er in den Flur hinaustrat. Das Schlafzimmer war der einzige Raum in seiner Kerkerwohnung, der ein wenig Tageslicht einließ. Wie jeden Morgen durchschritt er die Finsternis ohne auch nur eine Funzel zu entzünden und hielt auf den Durchgang zum Büro zu. Vor dem Labor aber, das er gestern nicht verriegelt hatte, blieb er plötzlich stehen. Die Luft war noch erfüllt von den Zaubertrankzutaten – Ingwer, Liebstöckl, Weinrautenessenz – die sich mit dem herben Rußgeruch der erloschenen Fackeln mischten und seine Nase kitzelten. Wehmut stieg mit einem Mal in ihm auf. Es war so still!
 

Manchmal, morgens eher selten, geschah es, dass ihm die selbstgesuchte Einsamkeit seiner Kerker zur drückenden Last wurde. Ein solcher Moment war gekommen. Schwer umnebelte ihn der Duft der Affodillblüten, die er gestern von den Wurzeln entfernt hatte und die noch auf einer Ablage nahe der Feuerstelle lagen. Die Erinnerung übermannte ihn mit unerwarteter Heftigkeit.
 

„Kannst du mir die Reibe reichen, Sev?“, wisperte sie, ein sanftes Lächeln auf ihren Lippen, „Slughorn schaut schon her. Ich glaube, er hat gemerkt, dass wir ein paar Sachen vergessen haben. Und ich hab meine Knolle noch nicht gerieben.“
 

Als er zurückdachte schlug sein Herz so heftig wie das seines vierzehnjährigen Selbst, damals als ihre Finger sanft die seinen streiften, benebelt vom Duft des Affodills. Doch heute es war nicht mehr das ungetrübte Trommeln jener frühen Liebe, die noch in der Hoffnung schwelgen konnte, ein liebes Wort, eine zarte Berührung, vielleicht sogar einen Kuss erhaschen zu können, sollte Amor noch Gnade kennen. Die Erinnerung war durchsetzt vom bitteren Geschmack des Verrats. Sie war nicht hier! Noch sonst irgendwo auf der Welt. Die süßen Lippen; der grüne Glanz der Augen; das duftende Haar, in das er sein Gesicht vergraben wollte, sie waren nicht mehr als geisterhafter Nebel. Nur ihre Gebeine vermoderten im Bauch der Erde und ihr Blut tropfte von seinen Händen.
 

Luftschnappend schlug Severus die Tür zum Labor zu, ehe die Erinnerung ihm noch gänzlich den Atem rauben konnte. Wenig später hatte er sich wieder im Griff und setzte seinen Weg fort, der ihn bald in die Hektik Hogwarts‘ hinausführte und ein neuer Tag, in dem ihm unbegabte Schüler den letzten Nerv raubten, begann. Doch die Sehnsucht nach Lily folgte ihm wie ein Schatten.
 

Der Tag verging und wie erwartet kehrte die Erinnerung zurück. Als der vorangegangene Abend Severus wieder in voller Klarheit vor Augen stand, war ihm jede Lust vergangen, Lupin über den Weg zu laufen, nicht einmal, um ihn mit einem abfälligen Blick oder höhnischen Spott zu bedenken. Lächerlich, dieser Aufzug, diese Farce von Reue! Oh ja, der feine Herr Kollege hatte solch ein schlechtes Gewissen, die Vergangenheit tat ihm ja so leid. Doch kein Wort über die kleine Einlage mit Longbottom. Warum wohl, wenn nicht, weil es seiner Worte Lügen strafte? Was hatte der Werwolf mit seinem Auftritt nur bezweckten wollen?! Severus konnte sich keinen Reim darauf machen. Es sei denn, Lupin war noch dümmer als er geglaubt hatte und dachte, er würde ihm diese Nummer tatsächlich abkaufen. Wie auch immer, es war gleichgültig. Remus Lupin war ihm gleichgültig. Und Dumbledore mit seinem gutmenschelnden Geschwätz konnte ihm ebenso gestohlen bleiben. Sollte der Schulleiter sich doch bei einer Tasse Tee von Lupins Lügen einlullen lassen. Was scherte ihn das? Schenkte Albus doch seit jeher immer nur denen Glauben, die auf Potters Seite standen und niemals ihm.
 

Mit einem Anflug von Bitterkeit kehrte Severus am Abend in seine Wohnung zurück. Er versuchte das Gefühl in Gleichmut und Wut zu ertränken und konnte doch nicht ganz leugnen, dass Dumbledores Verhalten ihn schmerzte. Warum hielt Albus nicht zu ihm? Warum wollte er nicht sehen, dass der neue Kollege kein Schaf im Wolfspelz war? Dass er und seine netten Freunde tiefere Wunden geschlagen hatten als ein Wolfgebiss es könnte? Immer dieser Glaube an das Gute im Menschen. Es war zum Kotzen!
 

Leise schloss Severus die Tür hinter sich und war allein. Die restlichen Stunden des Tages verbrachte er in seinem Labor über dem Kessel und so verfloss die Woche zwischen Wermut und Wolfswurz, zwischen Wasser, Dampf und dem leisen Brodeln der Tränke dahin.
 

Es war wieder unendlich still im Kerker als er am letzten Abend nachdem er Lupin seine Medizin gebracht hatte das Feuer unter einem Kupferkessel erhitzte und einen billigen Aufpäppeltrank ansetzte. Als der Sud seine glühend rote Farbe erreicht hatte, seihte Severus ihn ab und trug den fertigen Trank hinüber zur Ablage. Dort wartete in einer Holzschale ein Stück Kohle, zumindest sah es auf den ersten Blick so aus. In Wirklich aber war es ein sehr dunkler Bezoar - rußig, wie durch ein magisches Feuer gegangen. Severus nahm eine Zange zur Hand und hob den Stein auf. Seine Finger kribbelten vor Aufregung als er ihn vorsichtig über den noch heißen Trank hob. Was würde ihn erwarten? Zu welcher Reaktion würde es kommen? Würde alles nach Plan verlaufen sein? Ein Atemzug und Severus ließ los. Im Kessel blitzte und funkte es. Doch das war in diesem Fall kein schlechtes Zeichen. Nein, es war genau das, worauf er gehofft hatte. Als der Effekt nachließ und sich nichts mehr rührte, hob er den Stein mit einer Schöpfkelle wieder hervor und runzelte die Stirn. Was einmal ein Bezoar gewesen war, war nun eine gräulich schimmernde Masse. Gräulich, nicht weiß. Skeptisch musterte Severus den Stein, gab ihn aber doch in die Wasserkaraffe, die neben dem Kessel stand. Er musste es genau wissen! Für einen Moment schien das Wasser eine rötliche Tönung anzunehmen, ganz zart und ein leichter Pfeffergeruch entströmte ihr. Dann aber versiegte der rosa Schein und die Karaffe roch wieder nach klarem Quellwasser. Zähneknirschend sog Severus den Stein mit einem Accio aus dem Wasser und ließ den Rest mit einem Evanesco verschwinden. Dann warf er den grauen Klumpen achtlos in die Kiste, in der schon das alte Tagebuch mit der Kinderhandschrift lag und knallte ihren Deckel zu. Wieder ein Fehlversuch! Wieder eine Verschwendung wertvoller Zaubertrankzutaten! Und das, wo die Merlin Akademie Ende des Monats Ergebnisse erwartete. Ob sie ihm wohl noch einmal ein halbes Jahr Aufschub gewähren würden? Severus wusste es nicht. Er wusste nur, dass er nicht umhin kam, der Dekanin der Zaubertränkischen Fakultät zu schreiben und auf eine zweite Chance zu hoffen.
 

‚Jeder hat verdient, einen alten Fehler wieder gut zu machen. Geben Sie ihm eine Chance‘, tönten ihm Dumbledores Worte abermals in den Ohren und er konnte nicht sagen, warum er sich gerade jetzt an sie erinnerte. Vielleicht lag es daran, dass sein Blick gerade auf das Wolfwurzelexier gefallen war, das er vor Stunden versetzt mit Mondsteinpulver durch drei verschiedengroßporige Silbersiebe abgeseiht hatte wie in jeder dieser Nächte. Vollmondnächte. Severus hasste sie und das nicht erst seit diesem Schuljahr. Müde löschte er das Licht. Es war schon nach eins und er begab sich auf den Weg zum Bett. Das Labor, der Flur, das kleine Wohnzimmer, das Severus mit Bücherregalen vollgestopft hatte, das Bad - sie lagen still und stumm da als würden sie keinen Anteil an seinem Misserfolg nehmen noch an sonst etwas, das ihn bewegte. Längst kreisten seine Gedanken wieder um die Ereignisse der zurückliegenden Tage. Missverstanden zu werden von einem der wenigen Menschen, die ihm noch geblieben waren, kränkte ihn zutiefst. Die Welt hatte sich gegen ihn verschworen und er war allein.  
 

Mit diesem erdrückenden Gefühl sank er steinschwer auf sein Kissen nieder und fühlte eine vertraute Härte an seinem Hinterkopf. Doch es waren nicht die plattgedrückten Daumen, die ihre Zeit überlebt hatten, die da gegen seine Haare stießen. Einen Moment atmete Severus durch, schloss die Augen, dann rappelt er sich wieder auf, entzündete die Öllampe auf seinem Nachttisch und zog sie hervor: die kleine, wurmstichige Schatulle mit den Blütenornamenten. Mit heftigem Herzklopfen und dem Geschmack von Wermut auf der Zunge hob er den Deckel und kippte den Inhalt in seine Hand. Weich schmiegte sie sich um seine Finger, schimmernd im warmen Licht, unversehrt noch nach so vielen Jahren, die rote Strähne. Nur halb bewusst spürte Severus wie seine Augen sich feucht benetzten und durch den trüben Schleier die Erinnerung aus dem Nebel der Vergangenheit auferstand.
 

„Sev, Sev, du hattest recht! Stell dir vor, ich hab den Brief bekommen. Von Hogwarts. Tunia konnte nicht glauben, dass es das wirklich gibt“, rief sie lachend und stürmte am Klettergerüst vorbei auf ihn zu. Dann, als sie ihn erreichte, verdüsterte sich plötzlich ihr Gesicht. „Aber ich weiß nicht, ob meine Eltern mich lassen. Sie halten es für einen späten Aprilscherz und ich weiß nicht, was sie mit dem Mann machen, der heute Abend kommen will“, erklärte sie betrübt und sah zu Boden. Einen Augenblick Schweigen. Dann blickte sie wieder auf. Ihre grünen Augen leuchteten sanft und ein geheimnisvolles Lächeln huschte über ihre Lippen. „Aber ich hab dir was mitgebracht. Hier“, die Schatulle wechselte die Hände, „Damit du in Hogwarts immer an mich denkst und ja nicht vergisst mir zu schreiben, Sev“.
 

Immer an mich denkst, die Worte klangen in Severus nach und er spürte etwas Feuchtes seine Wange hinab rinnen. Nie, niemals hatte er dieses Versprechen gebrochen. Seit über zwanzig Jahren nicht. Fast unbemerkt glitt die Strähne wieder in die Schachtel und geistesabwesend verschloss er sie. Kinderhaar, geschenkt in einer besseren, einer unschuldigen Zeit. Er hasste Vollmondnächte! Er hasste seine Schuld. Noch immer klangen ihm Albus‘ Worte in den Ohren. Ihn hasste Severus nicht, konnte es nicht. Denn tief in sich wusste er, dass auch er selbst nur einer war, der eine zweite Chance bekommen hatte; dass er ohne Dumbledores Hilfe längst in Askaban verrottet wäre. Und doch bedrängte ihn die Einsamkeit. Der Gedanke, dass Albus sich mit einem seiner ärgsten Feinde verbündet hatte, brannte wie eine offene Wunde. Er sehnte sich so sehr nach ein wenig Wärme und konnte nichts als Kälte finden. Erschöpft löschte Severus das Licht und schloss die Augen. Es sollte nicht lange währen…
 

Die Kürbisgeister fletschen ihre flammenden Zähne zum hämischen Grinsen. Mörderrischer Geruch von Schutt und Blut liegt in Luft. Severus kann nicht atmen. Die Lungen wollen bersten. Nur rennen, rennen, rennen. Da, das eingestürzte Haus, Blut schießt in den Kopf, kalter Angstschweiß auf dem Rücken. Entsetzen, eine Ahnung. Keine Zeit. Er muss weiter. Durch die Trümmer, durch die Türe. Zu ihr, sie retten! Das Treppenhaus unter Staub begraben. Dazwischen plötzlich Potters Leiche. Weg! Weg damit und weiter. Panik peitscht den Herzschlag an. Wenn er tot ist, ist sie dann… nicht dran denken. Die Tür, das Schlafzimmer, offen. Das Herz trommelt bis zum Hals, jetzt… Stille. Die Welt dreht sich nicht mehr. Kein Atem, kein Sein. Schockstarre, unwirkliche Bilder. Das rote Haar wie Spinnenfäden über den Boden gebreitet. Ihr Gesicht bleich, keine Züge. Grüne Augen erloschen. Lily ist tot. Und hinter dem Loch in der Mauer, lacht bitterböse der volle Mond!
 

Schweißgebadet schlug Severus die Augen auf, schnappte nach Luft. Sein Blick fiel ins Leere, während sich sein Puls langsam wieder senkte und die tauben Glieder zu sich kamen. Ein Alptraum. Ein Alptraum so wirklich wie der Kerker. Verfluchte Vollmondnacht! Für einen Moment presste Severus die Lider zu, atmete tief durch und versuchte die Gedanken zu verscheuchen. Dann warf er die Decke beiseite und setzte sich auf. Sinnlos der Versuch, sich hinzulegen. Es war unmöglich für ihn, jetzt Schlaf zu finden. Severus kannte das Spiel bereits zu gut. Bis zu zwölf Mal im Jahr suchten ihn die Geister von Godric‘ Hollow auf diese Weise heim. Vor zwei Monaten, in den Sommerferien hätte er nun einfach eine Flasche Trunk des Friedens entkorkt und ein paar Minuten bis zum Einsetzen der Wirkung gewartet. Doch seine Vorräte waren aufgebraucht. Er war durch seine Studien und den Wolfsbanntrank nicht mehr zum Brauen gekommen und in der Nachttischschublade hausten nur noch Spinnen und Fliegen. Noch immer traumbenommen stand Severus auf und überlegte, was sonst ihn noch in den Zustand der nötigen Bettschwere zurückversetzen würde. Okklumentik, er hatte sie unter Voldemort gelernt, schied aus. Sie erforderte Konzentration und war dem Schlaf somit abträglich. Sein kleines Bibliothekszimmer kam ihn in den Sinn. Möglicherweise würde ein gutes Buch etwas ablenken. Ohne zögern schlich Severus durch den Flur in das Kabuff hinüber und entzündete die Petroleumlampe auf dem kleinen Beistelltisch. Die Regale, die sich an den Wänden des schmalen Raums aufreihten, quollen über und drohten die beiden alten Ledersessel unser sich zu begraben. Ein verhaltenes Lächeln stahl sich über Severus‘ Lippen als der Stapel Bücher auf dem Boden daneben betrachtete. Bücher, auf deren Rückseiten das Schulwappen prangte. Eine kleine Entleihung aus Hogwarts‘ Verbotener Abteilung. Sollte Lupin noch einmal versuchen, für seinen Unterricht in der Oberstufe etwas Lektüre der Schulbibliothek zu Rate zu ziehen, würde er ein kleines Problem haben. Nachdem Madame Pince in ihrem Zorn auf Siebtklässler, die die Verbotene Abteilung achtlos durcheinanderbrachten, ein wenig zu redselig gewesen war und Severus vom kleinen Handapparat seines Kollegen erzählt hatte, hatte er für unbestimmte Zeit Gebrauch von seinem Leihrecht gemacht.
 

Doch die Enzyklopädien und Fachbücher über die Finessen der schwarzen Magie interessierten ihn gerade nicht. Zunächst versuchte er sich mit einem dünnen Lyrikbändchen von Judith Harper Loneshift, einer seiner Lieblingsautorinnen, zu zerstreuen. Doch die melancholischen, düsteren Gedichte befeuerten seine inneren Qualen nur noch mehr. Als auch staubtrockene Lektüre eines Wälzers zum Magierecht, einem Erbstück seiner Mutter, nicht die gewünschte Ablenkung brachte, beschloss Severus das Lesen sein zu lassen. Eine Medizin gab es vielleicht noch, die ihm den Schlaf zurückbringen konnte, ehe der reparierte Ohrenwecker zu einem Höllenlärm ansetzen würde.
 

Hastig riss Severus seinen Reiseumhang vom Haken, belegte alle Türen mit Schwellenbannen und eilte die steile Wendeltreppe hinauf zum Portal. Wind durchfegte sein Haar und die Nacht im frühen Oktober empfing ihn mit einer kühlen, erdigen Brise. Tief sog er den Duft ein, der vom herben Klima des Herbstes kündete. Die Welt hüllte sich in Stille. Keine Menschenseele wandelte durch die sonst so übervollen Schlossgründe. Wie Scherenschnitte ragten die Bäume vor dem sonderbar hellen Nachthimmel auf und der See glich einem schwarzen Spiegel, in dem sich das Mondlicht brach. Severus senkte den Blick, um seine Augen den Spuren des Nachtgestirns zu entziehen. Tief atmete er ein und spürte wie die Weite der Natur langsam die Fesseln um seine Brust lösten. Mit den wirren Strähnen schwarzen Haars, die um seinen Kopf wirbelten und dem Rascheln der Blätter unter seinen Füßen zog er los für einen Spaziergang um den See.  
 

Etwa eine halbe Stunde war er unterwegs bis er endlich völlig zur Ruhe gekommen war. Mit schweren, matten Gliedern, wagte er zum ersten Mal seitdem er die Treppen hinter sich gelassen hatte, den Blick wieder zum Himmel zu heben. Der Mond schien direkt über dem See zu schweben, wie ein Grenzstein, der die Welt auf seiner Seite vom Schloss in der Ferne schied und sein fahles Licht tanzte über das Wasser. Als das Glitzern vor Severus‘ müden Augen verschwamm, kehrten wie dunkler Nebel ein paar seiner Gedanken zurück, doch längst nicht so drängend und bedrohlich wie der Alptraum.  Es war nur ein leichter Anflug, ein Hauch der Einsamkeit, des Abgeschnittenseins von der Welt.  Wer außer ihm, fragte Severus sich, schlug sich diese Vollmondnacht noch mit düsteren Gedanken um die Ohren? Wer konnte noch nicht in den Spiegel sehen, weil er ein Monster darin erblickte? Wer haderte schon so sehr mit einem dunklen Geheimnis wie er? Wenn es eine Antwort gäbe, wenn er nicht alleine war, sollte der verfluchte Himmel ihm doch ein Zeichen senden.    
 

Es war nur ein Gedankenspiel. Doch das Zeichen kam. Schnell und überraschend. Gerade als Severus sich vom See abwandte und festen Blicks auf das Schloss zuging, sah er es. In einem der Fenster brannte noch Licht.  Hinter den Scheiben meinte er schemenhaft einen Schatten wahrzunehmen: Den Schatten eines Wolfes.



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