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Die andere Seite des Monds

von

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Ein unverhoffter Brief

Sanft ging ein Prasseln über das Zelt und der Sommerwind trug den Duft feuchter, warmer Erde zum Eingang herein. Die Hochebene lag unter einem leichten Regen. Und mit einem Mal fühlte Remus etwas Feuchtes an seiner Wange. Sofort legte er das alte Buch beiseite und sah nach oben. In der Plane war ein kleiner Riss aufgesprungen. Ein leises Seufzen ging durch den Raum, dann zog Remus den Zauberstab. „Reparo!“, murmelte er und beobachtete, wie das Loch sich schloss. Lange würde es nicht halten. Das Zelt, ein Erbstück, hatte seine Zeit überlebt wie eigentlich alles, das er besaß. Still legte Remus den Zauberstab beiseite und warf einen Blick hinaus in die Nacht. Die Schrumpelfeigenbäume bildeten eine schwarze Schemenwand vor dem düsteren Horizont, der nur von den Lichtern des fernen Dorfs etwas erhellt wurde. Irgendwo in der Dunkelheit blökten die Schafe auf ihrer Weide als der Regen ihre Wolle durchnässte. Im Lager selbst war alles still.
 

Ein klammes Gefühl zog Remus‘ Brust zusammen, während Motten die Petroleumlampe neben ihm umschwirrten. Diese nächtliche Einsamkeit war ihm ebenso willkommen wie sie ihn mit Schwermut erfüllte. So fern der Heimat fühlte er sich stärker als in jenem abgelegenen Haus seiner Eltern gänzlich allein. Und doch war der Sommer eine gute Zeit. Die Kisten, die sich unsichtbar im Dunkeln am Zaun um das Areal stapelten, verrieten es: Es gab Arbeit für ihn. Legale Arbeit. Sicher, sie brachte nur einen Hungerlohn ein. Doch er hatte beschlossen, jeden einzelnen Knut zu sparen, um sich nicht noch einmal in krumme Geschäfte verwickeln zu lassen. Wer wusste schon, ob der Silberstreif, der sich am Horizont abzeichnete, tatsächlich Wirklichkeit werden würde? Der letzte Winter jedenfalls war hart gewesen. Überall war Remus auf verschlossene Türen gestoßen, wie schon so oft und keiner wollte ihn auch nur für die Arbeit eines Hauselfen entlohnen. Doch bei einem Erntehelfer scherte sich niemand um einen Eintrag im Werwolfsregister oder all jene namenlosen dunklen Geheimnisse, die ein Mensch mit sich herumtragen konnte. Dass die Schwägerin des Plantagenbesitzers immer nur nachts zu ihnen heraufkam, um nach dem Rechten zu sehen und außerdem ihre Schafe mit blutbildendem Trank fütterte, sprach Bände. Zudem war diese Gegend nur spärlich besiedelt. Wenige, vereinzelte Dörfer gab es hier und sonst nur unberührte Weiten. Weiten, die es erlaubten, eine Vollmondnacht auf der Hochebene umher zu streifen, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen.  Ein Stich ging Remus durchs Herz und zeitgleich durch die Seite, als er einen Blick zurück zum Tisch warf, wo eine der Motten gerade über einen Briefumschlag mit italienischem Absender krabbelte. Nicht überall war die Natur so weit und so verlassen wie hier in Abessinien…
 

Niedergeschlagen wollte Remus seine Gedanken schon wieder in seiner Lektüre zerstreuen, als ihn plötzlich etwas aufmerken ließ. Blitzschnell fasste er den Zauberstab erneut und schärfte den Blick. Doch noch ehe er etwas im Dunkeln erspähen konnte, hörte er es. Der Ruf einer Eule schallte durch die Nacht zu ihm herüber. Tief ausatmend ließ Remus den Zauberstab sinken und trat zum Zelteingang, um den Postboten zu begrüßen. In den letzten Tagen hatte es einige Zwischenfälle mit einer Tebo-Herde gegeben, die ganze Reihen der Feigenbäume niedergetrampelt hatten. Als nun ein Waldkauz dicht an seinem Gesicht vorbeirauschte und erschöpft auf seinem Lager landete, war er erleichtert. Erleichtert und aufgeregt zugleich.

„Aus Hogwarts?“, fragte Remus sanft, doch konnte ein Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken. Wie sehr hatte er diesen Brief erwartet und fürchtete doch ein wenig seinen Inhalt.  

Die Eule blickte aus müden Augen zu ihm auf, deutete mit dem Schnabel ein Nicken an und hob matt ihn Bein, an den der Umschlag gebunden war. Remus aber schüttelte sachte den Kopf als er sah, wie viel diese Bewegung ihr abverlangte.  

„Das hat Zeit. Du hast eine lange Reise hinter dir. Komm erst einmal wieder zu Kräften“, sprach er auf das Tier ein und bereitete zugleich eine Schale mit Körnern und eine mit Wasser vor, die er vor ihr abstellte. Er hatte Tage auf eine Nachricht aus Schottland gewartet, was machten da ein paar Minuten mehr schon aus? Als der Kauz sich wieder aufgerappelt hatte und Remus endlich das Siegel mit dem Schulwappen erbrach, stockte ihm für einen Augenblick der Atem. Nicht vor Angst, sondern vor Freude. Einer unwirklichen Freude, fast wie in einem Traum.

Der Brief umfasste nur wenige Zeilen, niedergeschrieben in der geschwungenen Schrift von Albus Dumbledore. Doch die Worte waren so viel größer als es ein Pergament fassen konnte.

„… Severus hat sich bereit erklärt, den Wolfsbanntrank zu brauen…“, überflogen Remus‘ Augen gerade noch die letzten Zeilen als er langsam auf seinem Stuhl niedersank.
 

Dann war es also wahr! Was er kaum zu hoffen gewagt hatte, war wahr. Er würde nach Hogwarts zurückkehren. Er würde wieder an seine alte Schule kommen und dort als Lehrer arbeiten. Er würde ein geregeltes Einkommen haben; er würde Madam Pomfrey wiedersehen und die Große Halle, Hogsmeade, den See und Harry.  Ja, er würde Harry sehen, den Sohn einer seiner besten Freunde, den er zuletzt als Baby auf dem Arm gehalten hatte. Remus hielt unmerklich die Luft an. Seine Gedanken überschlugen sich wie schon an jenem Abend, als ihn in der zweiten Nacht im Lager der erste Brief erreichte, zu seiner völligen Überraschung. Seitdem waren einige Eulen quer über das Mittelmeer geflogen. Nicht, dass er unwillig gewesen wäre, Dumbledores Ruf zu folgen. Für ihn hätte Remus weit Geringeres getan als ein Stellenangebot anzunehmen, das auch ihm zugutekam. So viel hatte er diesem Mann zu verdanken, der ihm ermöglicht hatte, Hogwarts zu besuchen. Doch ihn quälte die Sorge um sein pelziges Problem. Wäre er nicht eine fürchterliche Gefahr für Schüler? Es war schon damals riskant, wie könnte es jetzt weniger bedenklich sein?  Was wäre wenn jemand zu Schaden käme?
 

Abermals glitten Remus‘ Blicke über den Brief, blieben an der Zeile haften, die sich langsam in sein Gedächtnis einbrannte. Erinnerungen stiegen vor seinem geistigen Auge auf, begannen zu kreisen, wie der Schwarm Motten um das Licht. Oder waren es Fledermäuse im Schein des Vollmonds? Remus sah alles wieder vor sich, die Szenerie am Morgen nach einer ganz bestimmten Vollmondnacht: das zornige, blasse Gesicht am Slytherintisch; Dumbledores unverändert ruhige Miene hoch oben bei den Lehrern; McGonagalls strenger Blick, der über sie wanderte; das trotzige Grinsen auf Sirius‘ Lippen; Peters neugierig vorgereckter Kopf und James‘ ernste Stimme, die im Flüsterton erklärte, was geschehen war. Noch immer spürte Remus, wie ihm langsam das Blut aus dem Gesicht wich und seine Wangen kalt wurden, wie ihn ein Schauer vor dem Möglichen packte - der Erste von vielen, die noch folgen sollten - und wie er Sirius anstarrte und das Lächeln nicht begreifen konnte. Etwas in seiner Magengrube krampfte sich zusammen, sank in ihm wie ein Stein und zog seinen Blick nach unten.
 

Severus hat sich bereit erklärt, den Wolfsbanntrank zu brauen. Severus. Severus Snape. Der Name verschwamm mit den Erinnerungen. Ertrank in einem Meer aus Bildern, nicht nur von jener Nacht, bis Remus schließlich seufzte. Schuld traf nicht nur die Täter. Sie traf auch die, die sie stillschweigend gewähren ließen. Er hatte geschwiegen. Und nun war es ausgerechnet Severus Snape, der die Bestie in ihm bannen würde; der, ja, in gewisser Weise seine Rettung war, wo er selbst ihn einst beinahe in Lebensgefahr gebracht hätte, wenn auch ungewollt. Wie es wohl wäre, ihm wieder gegenüberzustehen? Es war eine weitere Überraschung gewesen, als Dumbledore in einem seiner Briefe fast beiläufig erwähnt hatte, dass auch Severus als Tränkemeister in Hogwarts arbeitete. Nie hätte Remus mit diesem Werdegang sein ehemaliger Mitschüler gerechnet. Sicher, in Zaubertränke konnte ihm keiner das Wasser reichen, außer Lily natürlich. Und so verwunderte es Remus auch nicht, dass Severus den Wolfsbanntrank beherrschte, von dem er bisher nur Gerüchte unter Seinesgleichen gehört hatte. Aber Lehrer? Das wollte so gar nicht zu dem zwielichtigen Slytherin passen, den Remus in Erinnerung hatte. Viel weniger hätte es ihn gewundert, wenn Severus Snape ein Geschäft in der Nokturngasse betrieben hätte und dort schwarzmagische Artefakte und gefährliche Mixturen an eine anrüchige Kundschaft verkaufte. Doch wer wusste schon, wie die Menschen sich änderten? Was sie veränderte?
 

Veränderung. Das Stichwort versetzte ihm abermals einen Stich im Herzen und diesmal brannte der Schmerz wie eine klaffende Wunde. So viel hatte sich in nur einem Monat verändert. Es war in seinem Pensionszimmer in jenem Dorf in Italien gewesen, als Remus den Tagespropheten aufschlug und glaubte, der Schlag hätte ihn getroffen. Von der Titelseite aus starrte ihn Sirius‘ Foto an mit wildem Blick. Ohne Vorwarnung wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sirius - für ihn würde er nie Black sein - war Askaban ausgebrochen, erklärte die Schlagzeile. Doch Remus war außerstande, die Worte zu fassen, in sich aufzunehmen, zu verstehen. Nur langsam, wie ausgegossenes Wasser, sickerten sie in sein Bewusstsein und wie Spiritus setzten sie alles in Brand. Sirius. Der Schmerz war überwältigend, wie damals. Denn eigentlich war diese Wundflamme nie erloschen, Remus hatte nur die Schutzmauer willentlichen Vergessens darum aufgezogen, als all die Fragen keine Antwort fanden. Und nachts vor dem Einschlafen, wenn er nicht aufpasste, stoben die Funken leicht zur anderen Seite seines Bewusstseins herüber. Sirius, ausgerechnet er! Sirius, der James verraten hat. Wie? Warum? Die beiden waren wie Brüder gewesen. Nie hatte es eine solche Freundschaft gegeben. Und dann auch noch Peter? Unbegreiflich, dass einer der anderen getötet hatte! Manche Dinge blieben ein Rätsel, auch nach mehr als einer Dekade noch. Zwölf Jahre lag nun alles zurück. Zwölf Jahre, in denen ein naives, nagendes Gefühl in Remus immerzu davon sprach, dass etwas an der Sache nicht stimmte. Dass eine solche Freundschaft nicht in solchem Verrat enden konnte. Ein Gefühl, das den harten Fakten unzugänglich war und in seiner Sturheit der Wahrheit trotzte, die Remus glauben musste. Gerade jetzt, wo Dumbledore ihn gebeten hatte, dazu beizutragen, die Schüler von Hogwarts und insbesondere Harry vor Sirius zu schützen.  
 

Sirius…Severus…Sirius…Severus
 

Die Worte tanzten durch Remus‘ Gedanken, bis er schließlich den Brief zusammenfaltete und beiseite legte. Genug! Die Vergangenheit war passé. Was nun zählte, war die Zukunft. In einer Woche würde er nach Hogwarts zurückkehren. Und bei Merlin, er hatte noch ja noch so viel vorzubereiten. So viel, das er aufgeschoben hatte, weil etwas in ihm gezweifelt hatte, dass Dumbledore eine Lösung finden würde. Welche Dummheit! Die Furcht vor der bevorstehenden Aufgabe hatte ihn wohl so geblendet, dass er vergessen hatte, dass für einen Albus Dumbledore nichts unmöglich war. Noch immer war Remus etwas flau bei dem Gedanken, die Vollmondnächte unter dem Dach der Schule zu verbringen, ein Paradies für Greyback. Doch nun war die Sache beschlossen und der Wolfsbanntrank erwartete ihn.  
 

Bereits seine Planungen durchgehend schritt Remus zu seinem Koffer, zog eine abgewetzte Ledermappe hervor, schlug sie auf und entnahm ein frisches Blatt und einen Briefumschlag. Tintenfass und Feder standen noch auf dem Tisch, denn er hatte die Angewohnheit, manchmal seine Gedanken zu guter Lektüre in einem Notizbuch festzuhalten. Hastig setzte er eine Antwort auf, dann wandte er sich um zum Waldkauz, der gerade das letzte Korn aus der Schale pickte.

„Bist du bereit für den Rückflug?“, fragte er vorsichtig.  

Die Eule richtete sich kerzengerade auf und plusterte das Gefieder, so dass es aussah als stände sie mit geschwellter Brust vor ihm.

Remus lächelte leise.

„Gut“, hauchte er und begann den Brief an ihrem Bein festzubinden, „Dann bring ihn zurück zu Dumbledore“.
 

Der Waldkauz nickte, breitete seine Schwingen aus und entflog flügelraschelnd in die Nacht. Ein Hauch von Wehmut ergriff Remus, als er dem Ruf des Tieres lauschte bis dieser verklungen war. Dort, wo die Eule hinflog, gab es neben dem letzten Feind aus Schultagen auch die letzten Menschen, die so etwas wie Freunde waren. Es gab einen trockenen Platz, einen festen Lohn und einen Zaubertrank, der die zerstörerische Kraft in ihm bändigen konnte. Wie gerne wäre Remus schon jetzt mit seinem Brief nachhause geflogen. Doch noch war sein Dienst in Abessinien nicht beendet. Müde wandte er sich wieder um zum Zelt, um das Licht zu löschen und zu Bett zu gehen.      
 

Auf dem Tisch lag noch immer der Brief aus Italien. Sein Umschlag war wie schon seit Tagen unversehrt.



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