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Force of Nature

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich liebe Halloween. Abgöttisch, könnte man sagen. Für mich ist das nach Weihnachten der beste Tag, den man feiern kann. Daher müssen die armen Trojans dran glauben. Sorry. :D Viel Spaß beim Lesen (der aus dem Ruder geratenen 18 Seiten) und wenn es so weit ist: Happy Halloween! ^_^ Komplett anzeigen

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Halloween

Seit einer Stunde war Laila nicht mehr Single, was primär daran lag, dass Jean und Alvarez mit Hochdruck und unter gegenseitigen Beleidigungen an der Reinigung der Küche gearbeitet hatten und den gesamten Raum wieder in einen annehmbaren Zustand gebracht hatten. Penibel hatten sie jeden einzelnen Flecken Kürbis von den Oberflächen getilgt und Ordnung geschaffen, um diese dann Lailas kritischem Auge zu präsentieren, mit dem sie jeden Zentimeter der Küche durchforstet hatte.
 

Auch wenn Alvarez ganz zu ihrem Missfallen heute trotzdem in ihrem eigenen Bett schlafen würde, so war es ihr wieder erlaubt, sich Laila zu nähern. Jean zog sie wie der Rest des Teams damit auf, das anscheinend schon vor ihrem Eintreffen bereits wussten, was passiert war. So sehr, wie sie über Alvarez spotteten, so nachdenklicher beäugten sie ihn, was dazu führte, dass Jean in diesem Moment Ajeet angrollte, der ihn wiederholt verstohlen musterte.
 

„Was?“, fragte er unerfreut und ertappt zuckte der Torhüter zusammen.

„Nichts“, beeilte Ajeet sich zu sagen und Jean glaubte ihm keinen einzigen Buchstaben. Dieses Mal ließ er ihn nicht entkommen und richtete sich von seiner momentanen Arbeit, schwarze Stoffbahnen zu entrollen, die sie im ganzen Haus verteilen würden, auf. Danach würde er die Ehre haben – als Neuzugang – mit seinem viel zu begeisterten Kapitän, Fahima, Ellie und Logan Spinnenweben aufzuhängen.
 

Auch wenn Jean mit Halloween nichts anfangen konnte, so hatte er durch die Begeisterung seines Teams doch heraushören können, dass er zwar nicht zur Mitarbeit gezwungen war, dass sie ihn aber gerne dabei hatten. Weil es so ein Mannschaftsding war.

Wenn er ehrlich war, hätte Jean sich auch komisch damit gefühlt, sich aus den Vorbereitungen herauszuhalten, obwohl alle anderen Spieler seines Teams bis zum Hals in Arbeit steckten.
 

„Nichts“, echote er entsprechend kritisch und starrte ausnahmsweise auf Ajeet hinunter. Der Junge war um einiges größer als er, wenn sie standen. Nun aber konnte er seinen Größenvorteil gleich dazu nutzen, streng auf den Torhüter hinunter zu starren. Knox war an guten Tagen für eine halbe Minute resistent dagegen, an schlechten nur ein paar Sekunden. Ajeet unterbot ihren Kapitän dabei immer.

„Ihr habt eine Essensschlacht gemacht! Eine Essensschlacht! Ich meine…was?!“, schoss es aus Ajeet heraus und Jean wartete geduldig, ob da noch etwas kam. „Mit Kürbissen! Und Laila hat Alvarez defriended…also gefriendzoned…also noch nicht einmal das! Und du…du…!“
 

So wirklich befriedigend war die Erklärung nicht, aber Jean beließ es dabei. Anscheinend war das, was er getan hatte, etwas Besonderes für ihn. Er würde Knox fragen müssen, warum sein Team so dachte. Wobei… Jean runzelte die Stirn.

„Warum ist das bei mir etwas Besonderes und bei Alvarez nicht?“, fragte er nachdenklich und Ajeets Augen weiteten sich. Er war mit der jetzigen Frage genauso überfordert wie mit der zuvor und Jean seufzte.

„Du bist halt du, Jean. Groß, böse, Ex-Raven, immer kontrolliert und immer im Vollbesitz deiner geistigen Fähigkeiten. Du machst so etwas halt einfach nicht.“
 

Irritiert runzelte Jean die Stirn. So wirkte er auf Ajeet? Immer kontrolliert und im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten? Letzteres war zu hoffen und irgendwie fühlte sich Jean alleine dadurch leicht beleidigt, dass das noch extra erwähnt wurde. Ersteres jedoch…selbstkritisch schürzte er die Lippen. Noch vor Monaten war es um sein Überleben gegangen. Die Frage, wie er auf andere wirkte, war unerheblich, es sei denn, sie hatte Riko betroffen. Natürlich waren die Trojans anders und Jean grollte innerlich. Äußerlich gab er einen Laut der unbestimmten Zustimmung von sich.
 

„Es bot sich an“, gab er als Erklärung für sein Verhalten und Ajeet lächelte viel zu vielsagend und versöhnend, als dass Jean das Thema weiterverfolgen wollte. Zu seiner eigenen, geistigen Gesundheit, beschloss er.
 

„Wie soll das hier eigentlich befestigt werden?“, fragte er anstelle dessen und deutete auf den schwarzen Stoff. Ajeet zeigte auf die schwarze Kiste voller Bastelutensilien und Jean warf einen Blick hinein.

„Zuerst verdunkelst du die Flurfenster mit Alufolie, sodass kein Licht mehr hineinkommt und dann hängst du den schwarzen Stoff an die Wände. Aber hol dir dabei Hilfe von Ellie. Ich komm‘ auch gleich, wenn ich mit den Grabsteinen fertig bin.“
 

Jean starrte und dieses Mal war es nicht, um Ajeet zum Weitersprechen zu bewegen. Erst jetzt wurde ihm wirklich bewusst, was sein Team plante. Abrupt und ruckartig überkam ihn die Angst im Angesicht der Dunkelheit, die irrationale Furcht, dass die Trojans in der Abwesenheit von Licht zu den Ravens werden würden, die wie Hyänen durch die dunklen Gänge sprinteten und sich gegenseitig zerfleischten.

Er erinnerte sich mit grausamer Klarheit an das, was sein Team eigentlich schon seit Tagen andeutete und was er bisher mitnichten begriffen hatte.
 

Sie würden Dunkelheit über das Licht bringen.
 

Jean schluckte. Das hier war nur ein Spiel, es war kein Ernst. Er war nicht mehr in Evermore und übermorgen würde dieser Spuk wieder vorbei sein. Er würde das schon durchstehen. Es waren doch nur alltägliche Gegenstände. Alufolie und schwarzer Stoff, kein Gestein. Es war warm, was ebenso diametral der Kälte entgegenstand, die ihm jahrelang in die Knochen gekrochen war und die er auch jetzt noch in Träumen spürte.
 

Schweigend griff Jean zur Alufolie und ging zum äußersten Fenster. Das erste, große Stück, was er abrollte, war ein wenig zu groß, doch es passte mit etwas Stopfen auf das Fenster. Das zweite Stück schloss die Sonne komplett aus und Jean verharrte mit den Fingern auf dem noch kühlen Stück dünngepresstem Metall. Noch war der Gang hell genug, dass er seine irrationale Angst in Schach halten konnte. Er trat zum nächsten Fenster und wiederholte sein Tun, dann wieder zum Nächsten, bis der Gang in ein schummriges Dämmerlicht getaucht war, das nur erhellt wurde durch die Deckenfluter und das immer noch helle Treppenhaus.
 

Es war nicht wie in Evermore. Keine schwarzen Steinwände, keine roten Lampen, keine Flure ewiger Nacht.
 

Das war seiner Angst vollkommen egal. Sie ließ seine Rationalität nicht zu Wort kommen. Mitnichten, auch wenn Jean minutenlang stumm für sie kämpfte und mit sich rang. Dass es am Ende so etwas Simples wie das Aufhängen eines Stück schwarzen Stoffes war, das ihn den Kampf verlieren ließ, war bitter. Als die erste, schwarze Stoffbahn aufgehängt wurde und sein Denken mit Evermore überflutete, lösten sich die letzten Ketten um seine Kontrolle, die ihn im Hier und Jetzt hielten.
 

Er war dort und die Ravens waren ihm zu nahe. Es waren zu viele in einem Gang, als dass es ungefährlich sein würde. Sie waren zu laut und lautes Geschrei bedeutete nie etwas Gutes.

Jean wich zurück, er versuchte, ohne, dass sie ihn bemerkten, aus ihrer Reichweite zu kommen. Er musste nur aus dem Gang heraus und nicht Riko in die Arme laufen. Sie durften seine Angst nicht sehen.

Kaum hatte Jean die Treppe erreicht, strauchelte er sie hinunter, weil er wusste, dass er weiter unten in Sicherheit war. Er wusste auch genau, wo sie ihn nicht finden würden.
 

Die plötzliche Hand um sein Handgelenk sagte ihm, dass sie ihn trotzdem gefunden hatten und er war versucht, sich loszureißen und weiterzulaufen. Jahrelange Indoktrinierung stand dem entgegen und er fror ein, fuhr herum und verharrte dann ängstlich ob des Schlages, der sicherlich kommen würde.
 

„Jean.“
 

Das war sein Name und doch war es nicht Riko, der vor ihm stand. Ein Kapitän, aber nicht der, den er erwartet hatte. Wilde, blonde Haare, blaue Augen, Sommersprossen. Knox. Das war Jeremy Knox, doch was machte dieser in Evermore? Er war nie dort gewesen und hatte nie die Dunkelheit ertragen müssen. Wieso war er jetzt hier? Riko würde ihn auch quälen, da war Jean sich sicher. Er wusste es.
 

„Jean.“
 

Wieder sein Name, als wäre er eine Selbstverständlichkeit und Jean schluckte schwer, unfähig, etwas zu sagen.
 

„Möchtest du an die frische Luft?“, fragte der Kapitän der Trojans und die Frage machte so wenig Sinn wie sie Sehnsucht in Jean erweckte. An die frische Luft durfte er ohne Rikos Zustimmung nicht, aber er würde so gerne. Vielleicht nickte er deswegen auch. Genau wusste es Jean nicht, doch plötzlich wurde er mitgezogen, noch eine Treppe hinunter und dann öffneten sich Türen vor ihm. Ein paar Schritte, dann brannte ihm Sonne ins Gesicht, die ihn verwirrte und auch verstörte.
 

Sonne. In Evermore?
 

„Du bist in Los Angeles, Jean. An der USC. Du bist ein Trojan, kein Raven mehr. Seit Monaten schon nicht mehr. Riko ist tot und du bist der Starting Backliner der Trojans. Ich bin dein Kapitän und mein Name ist Jeremy Knox. Wenn du mit mir schimpfst, sprichst du Französisch mit mir. Das klingt ungefähr so.“
 

Jean folgte den Worten, die er zwar verstand, die aber zunächst keinen Sinn ergaben. Das war jedoch nicht so verwirrend, wie die Worte, die er weder verstand und die noch viel weniger Sinn ergaben. Was tat der blonde Junge da? Jean strengte sich an, folgte der Bewegung der Lippen wie auch den Lauten, die seiner Sprache ähnlich waren und doch vollkommen unverständlich.
 

Er blinzelte, einmal, zweimal, dreimal, bis diese Laute ihm etwas verdeutlichten, was er bisher nicht erkannt hatte.

Die schlichte Wahrheit.

Sie waren nicht in Evermore, er war kein Raven mehr und vor ihm stand sein Kapitän, der versuchte, Französisch zu sprechen und seine Sprache so verunstaltete, dass es Jean gruselte. Das Gruseln zog ihn mehr aus dem Flashback, als es die Erkenntnis jemals gekonnt hätte und reflexartig hielt er dem Jungen den Mund zu, auch wenn ihm nicht wohl bei dieser Geste war. Er würde es hassen, doch Knox schien kein Problem damit zu haben. Nicht bei Alvarez, nicht bei Laila oder Valentine, den Trojanmädchen. Knox, sein Kapitän, dessen Lippen warm und unbewegt waren unter seinen vorsichtigen Fingern.
 

Jean hatte keine Kraft für Worte und sein schnell schlagendes, panisches Herz ließ ihn nicht, aber er krallte sich mit aller Macht an das Wissen, was er gerade erlangt hatte, aus Angst, dass er noch einmal die Erinnerung an das Hier und Jetzt verlieren würde.

Brian hatte gesagt, dass so etwas möglich wäre. Flashbacks hatte er diese Phasen genannt, in denen Jean nicht mehr wissen würde, wo und in welcher Zeit er sich befand, gefangen in der Vergangenheit. Er würde dann Dinge sehen, die real nicht mehr da waren und der Vergangenheit angehörten.
 

Rein logisch hatte Jean gewusst, dass es kommen könnte, das nahm ihm jetzt aber weder das Zittern, noch die Angst noch die Verzweiflung.
 

„Jean?“
 

Gedämpft drang sein Name von den Lippen seines Kapitäns und Jean löste seine zittrigen Finger von eben diesen. Er starrte auf sein Handgelenk, das sich immer noch im eisernen Griff des anderen Jungen befand und ihm ein Anker war. Mit dem furchtbaren Pseudofranzösisch, das diese unverschämten Lippen verlassen hatte.
 

„Ich bin hier“, krächzte Jean und meinte soviel mehr damit, als seine Worte es auszudrücken vermochten. Er war geistig anwesend. Im Hier und Jetzt. Er wusste, wer er war und wo er war, auch wenn es noch nicht so gut war in ihm. Noch etwas unsicher und wund von seinen Erinnerungen an Evermore.

„Was ist passiert?“, fragte Knox sanft ohne ihn loszulassen und Jean war dankbar darum.

„Der Flur wurde dunkel, als ich die Aluminiumfolie vor die Fenster geklebt habe. Ich dachte…ich wäre in Evermore“, krächzte Jean in der Hoffnung, dass seine ungelenken Worte auch verstanden wurden.

Knox nickte, aber Jean sah, dass sein Kapitän eben nicht verstand. Jean räusperte sich. Sein Hals war trocken, aber nicht so ausgedörrt wie oftmals in Evermore. „Dort sind die Schlaf- und Aufenthaltsräume der Spieler unter dem Stadion im Keller, tief unter der Erde. Die Wände sind schwarz mit roten Lampen und es gibt keine Fenster, kein Tageslicht, keine Sonne. Ich…habe die Sonne in saisonfreien Zeiten monatelang nicht gesehen“, schloss er und sah zur Seite, weil es wieder Entsetzen war, das die blauen Augen dominierte und das kratzte momentan viel zu sehr an seiner Selbstbeherrschung, als dass er es bis in sein Innerstes vordringen lassen konnte.
 

„Wie abartig ist das denn?“, fragte Jeremy schließlich leise und Jean hörte Wut in den Worten. „Wie widerlich ist dieser Kult, der dich ohne Tageslicht einsperrt, ohne die Möglichkeit, die Sonne zu sehen?“

Jeans Antwort darauf war obsolet, denn die zornigen Fragen waren rein rhetorisch. Sie beide wussten, dass Evermore noch zu viel Abartigerem und Widerlicherem fähig war. So schwieg Jean und beobachtete Knox aus dem Augenwinkel heraus, der seine Unterlippe zwischen seinen Zähnen malträtierte.
 

„Dass wir unser Gebäude verdunkeln, erinnert dich daran“, sagte er schließlich und sah hoch, in seinen Augen vollständiges Verständnis und die, wie Jean nun erschrocken erkannte, sofortige Bereitschaft, dieses Problem zu beheben. Zu Lasten des morgigen Abends.

„Das ist nicht schlimm, wirklich nicht. Es war nur der erste Moment“, beeilte Jean sich zu sagen, bevor Knox auf dumme Ideen kam.

„Es wird sicherlich gleich wieder gehen“, fuhr er fort, um seinen Standpunkt zu bekräftigen.
 

Die aufkommende Entschlossenheit im Gesicht seines Kapitäns verhieß nichts Gutes, wahrlich nicht. „Nein, Jean, wir werden nichts tun, was schlimm für dich ist. Wenn du dich in deinem eigenen Haus nicht wohlfühlst, dann…“

„Ich kann nicht ewig davor weglaufen“, grollte Jean und zog Knox an seinem Handgelenk zu sich. Er war wütend, nicht auf seinen Kapitän, sondern auf den reinen Gedanken, dass all die Vorbereitungen und Freuden seines Teams wegen ihm umsonst sein würden. Das wollte er nicht. Er wollte diese Sonderbehandlung nicht und anderen den Spaß nehmen.
 

„Es geht doch nicht ums Weglaufen. Es geht darum, dass du ein Trojan bist und dich mit etwas nicht wohlfühlst. Kein Trojan soll sich mit etwas unwohl fühlen oder Angst vor etwas haben, dass das Team zusammen macht. Das ist unsere Prämisse“, hielt Knox dagegen und Jean schüttelte den Kopf.

„Ajeet, Fahima, Laila und Alvarez macht das Dekorieren Spaß. Warum sollten sie weniger Anrecht darauf haben?“, stellte er die zugegebenermaßen unfaire Frage und überrascht weiteten sich Knox‘ Augen. Jean nutzte die überraschte Stille seines Kapitäns, um fortzufahren.

„Ich bin einer von 28, Knox. Ich bekomme das schon hin. Ich möchte nicht, dass wegen mir andere keinen Spaß haben werden.“

„Aber nicht auf Kosten deiner Angst!“, platzte es aus dem anderen Jungen heraus und Jean seufzte. Er brauchte etwas, um die Worte zu finden, die roh und zum Teil auch verletzend in seinem Inneren schlummerten.
 

„Wenn ich immer vor dieser Angst weglaufe, dann kann sie nie besser werden. Dann wird sie auch für immer in mir sein, so wie sie jetzt ist“, erwiderte Jean schließlich mit mühevoller Ruhe und sah so etwas wie Erkennen in Knox‘ Augen. Verständnis. Endlich Zustimmung.

„Trotzdem sollst du dich nicht unwohl fühlen in deinem eigenen Zuhause!“, negierte er es schließlich wieder und Jean grollte.

„Das verhinderst du schon.“
 

Eigentlich hatte er das nicht so direkt und ehrlich sagen wollen, befand Jean. Eigentlich hatte er es anders formulieren wollen. Irgendwie…weniger auf den Punkt und auch weniger als eine Mischung aus Kompliment und Vorwurf, mit dem Knox nicht viel anfangen konnte außer Jean mit weiten Augen anzustarren. Jean räusperte sich.

„Was ich meine ist, dass du dafür verantwortlich bist, dass ich mich wohlfühle in diesem Apartment und besser als vorher“, machte Jean es auch mit seiner Erklärung keinen Deut besser, wie er jetzt erkannte und seufzte.
 

„Ich möchte, dass es dir gut geht“, murmelte Knox und sah auf seine Finger, die er nun langsam von Jeans Handgelenk löste. Sacht strich er mit seinen Fingern über die leicht geröteten Stellen kurz über den Narben, die die Handschellen hinterlassen hatten.

„Entschuldigung“, murmelte Knox, doch Jean war viel zu beschäftigt, der Gänsehaut nachzulauschen, die sich auf seinem Arm ausbreitete. Das fühlte sich anders an als bei Laila, ganz anders und Jean befand, dass es nicht schlimmer war, eher im Gegenteil. Es kribbelte und ließ Jean sich wünschen, dass Knox auch das andere Handgelenk anfasste. Über sich überrascht zog er den Arm zu sich und außerhalb der Reichweite seines Kapitäns, der schier zusammenzuckte.
 

Bevor jedoch eine weitere Entschuldigung über die Lippen des blonden Jungen huschen konnte, schüttelte Jean unwirsch den Kopf.

„Nein“, hob er den ermahnenden Zeigefinger, den er so oft bei Alvarez gesehen hatte und überrascht hielt Knox inne, den Mund beinahe schon komisch offenstehend.

„Es ist okay, Knox, wirklich. Was aber nicht okay ist, ist dein Versuch, französisch klingende Worte aneinander zu reihen. Das war grauenvoll. Fürchterlich. Schamlos. Vollkommen falsch“, urteilte er, wie er über den Spielstil seiner Mannschaft urteilte, und aus dem offenen Mund wurde ein breites Lächeln.

„Siehst du, das kommt davon, wenn du mir deine Sprache nicht beibringst und ich nur aus dem Gedächtnis heraus Laute formen muss.“
 

Jean grollte ob so einer infamen Dreistigkeit.

„Gut, dann hast du ab übermorgen Nachhilfe in richtigem Französisch“, beschloss er und sah, dass das nicht ganz zu eben jener Geknicktheit führte, die er erhofft hatte. Ganz im Gegenteil.

„Es ist hoffnungslos mit dir“, sagte er auf Französisch und schüttelte den Kopf.

„Was heißt das?“

„Das wirst du selbst herausfinden. Schließlich wirst du diesen Satz noch sehr oft hören“, wechselte Jean auf das verständlichere Äquivalent und schnaubte. „Und jetzt gehen wir wieder hinein. Dein Team gafft anstelle zu arbeiten.“ Mit einem knappen Nicken seines Kinns deutete er nach oben und Knox folgte seiner Blickrichtung. Er lachte und winkte. Wenn Jean sich nicht irrte, war es Ellie, die zurückwinkte.
 

„Unser Team“, berichtigte ihn sein Kapitän und Jean rollte mit den Augen.

„Die Trojans.“

„Na los, sag’s.“

„Trojans.“

„Das Andere.“

„Team.“

„Wessen?“

Jean gab sich geschlagen, damit dieser unwürdige Austausch englischer Wörter ein Ende hatte. „Unseres.“
 

~~**~~
 

Jeremy lauschte der gruseligen, leisen Musik, die durch den dunklen Gang hallte, in dem er momentan stand. Die Wände waren mit Steinhöhlenwänden aus Schaumstoff verkleidet, der echtem Stein zum Verwechseln ähnlich sah. Zumindest unter dem Licht der mit orangener und dunkelgrüner Folie abgeklebten Lampen. Zwischen den Steinen pulsierte rotes Licht im Takt eines Herzschlages, der sich über die Musik legte. Spinnenweben schmückten den Gang, gespickt mit Spinnen und Knochen. Jeremy folgte dem Fingerzeig der Skelette und trat in den obersten Treppenflur, wo der erste Friedhof zu finden war mit seinen beleuchteten Gräbern und den Zombies, die sich versuchten, aus ihnen herauszudrücken. Die Trojans hatten sie damals einem Filmstudio gegen ein geringes Entgelt abgekauft und hatten so das Glück, dass sie täuschend echt aussahen und eine gute, motorische Mechanik hatten.
 

Ebenso wie die sich bewegenden Skelette im Flur darunter, die eingebettet waren in einem Gang voller Schleim, Spinnenweben und Knochen auf dem Boden, die so wunderbar knirschten, wenn man auf sie trat. Nicht zu vergessen die Flüssigkeitsbeutel unter dem schwarzen Stoff auf dem Boden. Der Gang wurde von verschiedenfarbigen Strahlen angeleuchtet und ließ durch das Schattenspiel und die Musik eine gruselige Stimmung aufkommen, die Jeremy wohlig schaudern ließ.
 

Beide Gänge waren mit sachtem Nebel aus drei Nebelmaschinen versehen und hier und da erfüllte das Aufheulen eines Werwolfs und das Zischen eines Vampirs das Gebäude. Die Menschenschreie hatte Jeremy aus den Sounddateien gelöscht, weil er nicht wollte, dass Jean sich dadurch an Evermore erinnert fühlte.
 

Langsam lief er die Treppe hinunter in das Erdgeschoss und grinste im Angesicht der kleinen und großen leuchtenden Pilze, blutigen, schwebenden Kerzen und Hexen, die mitten im Flur standen. In den mit schwarzen Stoff verkleideten Regalen standen leuchtende Einmachgläser mit Organen und am Ende des Flures befand sich ein blutiges Schafott mit einem manisch lachenden Zombie.

Das Gemeinschaftsklo, das sie morgen Abend zur freien Verfügung stellten, war übersäht mit blutigen und schleimigen Handabdrücken. Sie hatten den Raum vor Jean geheim gehalten, nicht jedoch alles andere, das dieser sich vorsichtig angesehen hatte.
 

Jeremy lugte nach unten, wo sich das Team bereits versammelt hatte. Sie saßen alle im Kreis, sich gemütlich auf mitgebrachte Kissen gekuschelt. Jean war auch schon da, nachdem Alvarez und Laila ihn unter dem Vorwand, dass er einen Blick auf das Essen werfen musste, aus dem Apartment gelockt hatten, hinein in ihre Vorhalle voller Kürbisse. Bis Jean begriffen hatte, dass es das übliche Vorabend-Halloween-Teambuilding-Horrorgeschichtenerzählen war, war es zu spät gewesen.
 

Alvarez hatte ihrem Mitbackliner eine einzige Chance gegeben, nein zu sagen und Jean hatte lange gebraucht, um zähneknirschend zuzustimmen. Mit naserümpfender Verachtung hatte er sich in ihrer Pseudohorrorkulisse umgesehen und sich dann auf den für ihn vorgesehenen Platz gesetzt, die Augen auf das Skelett neben ihm gerichtet, dessen leuchtende Augen und weit geöffneter Kiefer Hilfe zu schreien schienen.
 

Val verteilte währenddessen Zombiehirnblutung, ein ekelhaft anmutendes Gemisch aus Grenadinensirup, Pfirsichschnaps und Irish Cream. Selbst Jean nahm sich ein Glas und drehte es in seinen Fingern, während Jeremy ebenfalls in den Kreis trat und sich mit einem strahlenden Lächeln neben Jean niederließ.

„Hey, Halloweenmuffel, wie geht’s dir?“, fragte er grinsend und dunkel musterte Jean ihn. Er hatte den Nachmittag in ihrem Apartment verbracht, weitab von der möglichen Dunkelheit ihres Gebäudes. Es hatte ihm Ruhe verschafft, die auch jetzt noch anhielt, denn Jeremy sah keine Anzeichen von Angst in Jeans Gesicht oder Haltung.
 

Nur die übliche Anspannung, die von Monat zu Monat weniger wurde. Und natürlich Genervtheit. Viel davon.
 

Dass er sich erlaubte, seinem Team diese Emotion zu zeigen, war ein Fortschritt, der es Jeremy warm ums Herz werden ließ.
 

„Was machen sie jetzt?“, deutete Jean auf den Kreis der Trojans. Sie alle trugen bequeme Klamotten oder Pyjamas.

„Zunächst einmal stoßen wir auf den besten Tag des Jahres an“, erwiderte Jeremy. „Dann werden wir uns gegenseitig in der Dunkelheit mit Kerzenschein zwei-Satz-Horrorgeschichten vortragen.“

Jean atmete aus – nicht ganz ein Seufzen. „Warum...“, begann er, verstummte dann jedoch, als Val sich räusperte. Nach und nach wurden auch die anderen Trojans ruhig und sie lächelte.
 

„Cap, Vizecap, Trojans…ich heiße euch willkommen zur alljährlichen Tradition von Halloween, dem Tag, an dem die Schleier zwischen den Welten dünner werden und die Geister, die uns umgeben, einen Blick zurück in unsere Welt werfen und übertreten. Es ist die Zeit der Monster, Unholde, die Zeit des Gruselns und des Horrors. Heute Abend bis übermorgen Früh wird aus den strahlenden Trojans eine Horde an Gruselgestalten. An Vampiren, Werwölfen, Monstern, Zombies… die in der Dunkelheit arme Unschuldige erschrecken und sie mit Essen füttern.“
 

Sie hob das Glas und begeistert tat es Jeremy ihr gleich. Jean folgte da weitaus langsamer und zögerlicher.

„Da ist Alkohol drin…nur als Vorwarnung“, murmelte Jeremy und Jean nickte unmerklich.
 

„Heben wir die Gläser auf uns und auf die gute, alte Tradition, den Kids einen schönen, gruseligen Abend zu schenken, über den sie noch Monate später sprechen können!“

Jeremy jubelte, wie der Rest seines Teams auch und sie hoben die Gläser.

„Auf die Kids!“, rief Jeremy.

„Auf die Kids!“, echote sein Team und gemeinsam tranken sie. Verstohlen warf Jeremy einen Blick auf Jean, der zunächst am Glas roch, bevor er dann einen minimalen Schluck nahm und das Gesicht vor Ekel verzog. Vorsichtig setzte er es ab, sich nicht Jeremys brennendem Blick bewusst.
 

Jean fühlte sich sicher genug um in Anwesenheit seines Teams Alkohol zu trinken. Er bereute es zwar, das sah Jeremy, doch nicht wegen des Teams, sondern wegen des Geschmacks.

„Du kannst es auch mir geben, wenn es dir nicht schmeckt“, schmunzelte Jeremy und Jean warf ihm einen Seitenblick zu. Wortlos reichte er ihm das Glas, den abfälligen Blick auf die grün-rote Mischung gerichtet.
 

Jeremy starrte auf dieses fleischgewordene Bildnis eines Leinwandbösewichtes mit gutem Kern und toller Frisur. Verlegen lächelte er und schnaufte. Er rieb sich über seinen Nacken und wandte seinen Blick wieder zurück in die Kreismitte, wo Ajeet nach großen LED-Rednerkerze. Der Sicherheit halber hatten sie alle Echtkerzen durch flackerende LED-Echtwachskerzen ausgetauscht.
 

Ajeet räusperte sich und Stille kehrte ein.

„Ich komme nach einem langen Arbeitstag müde nach Hause und will nur noch schlafen. Im dunklen Zimmer habe ich den Lichtschalter endlich gefunden, aber eine andere Hand ist bereits drauf.“

Ein Raunen ging durch die Anwesenden und Ajeet ließ es sacken, bevor er feierlich die Kerze weitergab.
 

Logan nahm die Kerze an und ließ sie von unten sein Gesicht bescheinen, was ihm, wie allen anderen auch etwas Gruseliges verlieh. Er holte tief Luft. „Das Letzte was ich sah, war, dass mein Wecker auf 12:07 Uhr sprang, als sie ihre langen verrotteten Nägel durch meine Brust fuhr und mich aufschlitze. Ich saß kerzengerade da, erleichtert das es nur ein Traum war, aber als ich sah, dass mein Wecker auf 12:06 stand, hörte ich wie meine Schranktüre knarrte.“
 

Jeremy machte ein ängstliches Geräusch und schauderte. Das war…uff. Oh je. Er zog die Schultern hoch und spürte Jeans nachdenkliche Augen auf sich. Logan gab die Kerze weiter an Fahima und Jeremy sah nun aus seinem Augenwinkel heraus, wie aufmerksam Jean wurde. Aufmerksamer als er es bei Logan gewesen war.

Er nahm noch einen Schluck von ihrem Zombiehirndrink und ließ den bitterfruchtigsahnigen Geschmack auf seiner Zunge das Gefühl der latenten Eifersucht wegwaschen. Er gönnte Jean jedes Glück und wenn er es bei Fahima fand, dann würde er sich sicherlich darüber freuen. Fahima war ein guter Mensch und nachdem, was Jean durchgemacht hatte, wollte er sicherlich keine Männer in seiner Nähe.
 

Schon gar keine, die auf ihn standen.
 

„Endlich bin ich mit meinen Hausaufgaben fertig, denke ich. Voller Schrecken stelle ich beim Umdrehen fest, dass das Blatt zweiseitig bedruckt ist.“
 

Jean schnaubte kurz, doch für Jeremy dehnte sich dieser Laut auf eine Ewigkeit. Fahima schaffte es, Jean zu amüsieren. Das als solches sollte ihn nicht wundern, weil die Beiden viel miteinander machten. Dass er exakt darüber amüsiert war, war ebenfalls vollkommen normal. Auch das sollte Jeremy nicht weiter verwundern, denn das gesamte Team lachte und gruselte sich vor dieser Horrorgeschichte. Er selbst fand es ja auch witzig. Aber da war etwas zwischen Fahima und Jean, das vermeinte Jeremy ganz deutlich zu spüren.
 

Sie gab die Kerze weiter an Ellie, die bedeutungsschwanger die Augenbrauen hob. Sie beugte sich nach vorne und wartete, bis wieder Stille eingekehrt war.

„Ich fing gerade an, ihn zuzudecken, als er zu mir sagte: „Papa, schau ob Monster unter meinem Bett sind!”. Um ihn zu amüsieren, blickte ich unter das Bett und sehe ihn, einen anderen ihn, darunter, mich anstarrend, zitternd und flüsternd: „Papa, da ist jemand in meinem Bett!”“, sagte sie bedeutungsschwanger und Jeremy schauderte. Das war gruselig. Kinder waren gruselig, insbesondere in Horrorgeschichten. Er rieb sich über die Arme und versuchte, seine Gänsehaut loszuwerden, während er seinen Kopf einzog. Dass Jeans Augen erneut auf ihm ruhten, beunruhigte Jeremy mehr als dass er wirklich Ruhe dadurch fand.
 

Wie gut, dass noch ein paar Trojans zwischen ihm und der Kerze waren und er sich soweit beruhigen konnte, dass er in der Lage dazu war, seine zwei Sätze zu sagen. Ruhig nahm er die Kerze an und wartete. Er sah in die Runde, gewichtig und mit ernstem Blick.

„Da ich mit Hunden und Katzen aufgewachsen bin, hatte ich mich an die Geräusche, dass jemand an meiner Tür kratzt während ich schlafe, gewöhnt. Jetzt, da ich allein lebe, ist es viel beunruhigender!“, sagte er mit grabesschwerer Stimme und sein Team raunte. Jeremy nickte und sah fragend nach links zu Jean. Er wollte ihm nicht die Kerze anbieten und ihn dann unter Zwang setzen, eine Geschichte erzählen zu müssen, insbesondere, wenn der andere Junge nichts mit Halloween zu tun hatte und selbst viel zu viel Horror erlebt hatte.
 

Doch Jean griff nach der Kerze und überrascht ließ Jeremy sie gehen. Er wurde sich bewusst, dass er starrte und dass ihm das Herz bis zum Hals schlug. Er fragte sich, was Jean sagen würde. Er zitterte vor dem ersten Wort, das die Lippen des anderen Jungen verlassen würde.

Als dieser seinen Blick auf die Kerze senkte und gedankenverloren hineinstarrte, gruselte es Jeremy mehr als bei den kurzen Sätzen zuvor.
 

„Ich entschloss mich dazu, einige Charaktere in dem Buch, das ich gerade schreibe, sterben zu lassen. Es macht meine Autobiographie sicher ein bisschen würziger.“
 

Kaum hatte das letzte Wort Jeans Lippen verlassen, sah er ohne den Kopf zu heben hoch und musterte die Trojans schweigend. Das war… so wahr wie es gruselig war.

Das war nicht einfach nur eine Geschichte, sondern Wunschdenken, nachvollziehbares Wunschdenken, dessen Tragweite Jeremy vollkommen bewusst war. Unbewegt und stumm wohnte er diesem dunklen Wunsch bei und wurde sich bewusst, dass es das erste Mal war, dass Jean mit soviel subtilem Hass und soviel Zorn über die Täter sprach, die ihm all das angetan hatten.
 

Es war heilsam und fürchterlich zugleich.
 

Jeremy blinzelte, als Alvarez die Kerze hochhielt. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass Jean sie weitergegeben hatte. Übertrieben räusperte sie sich und gab ihm so die Möglichkeit, wieder zu sich selbst zu finden. Jeremy nutzte es und straffte seine Schultern, kurz nachdem er Jean versichernd über den Oberarm gestrichen hatte.
 

„Endlich hatte ich eine warme und gemütliche Position unter der Decke gefunden. Dann musste ich pinkeln.“
 

Das ganze Team lachte und schauderte voller Verständnis über Alvarez‘ zwei-Satz-Horrorgeschichte und Jeremy lachte am Lautesten…und am Nervösesten. Er war froh um das Ventil für seine Vielzahl an widerstreitenden Emotionen.
 

~~**~~
 

„Ist es auch wirklich okay?“
 

Jean überlegte, nicht auf die Frage zu antworten. Seine jahrelange Indoktrinierung hielt ihn davon ab und zog an seinem Widerstand, zerrte an seinem Vorsatz, seinem Kapitän keine Antwort zu geben.

Wobei das falsch war. Sein Kapitän hatte schon eine Antwort erhalten. Viermal um genau zu sein. Vier gleiche, um noch genauer zu sein. Viermal hatte Jean ihm erklärt, dass es okay war, wenn Knox ihn am heutigen Abend alleine ließ. Viermal hatte er seine immer gleiche Frage beantwortet.
 

Er sah von seinen Lernunterlagen hoch und hielt den besorgten Blick des Vampirs, der vor ihm stand. Nicht, dass Jean gewusst hätte, was ein Vampir ist, bis Knox es ihm erklärt hatte. Blutsaugende, spitzzahnige nachtaktive, lichtscheue Monster, die sich an Menschen labten und schwarze Umhänge mit Stehkapuzen trugen. Zumindest sah Knox so aus. Die mit schwarzem Gel zurückgestrichenen Haare sahen zwar komisch aus, aber wer war Jean, andere Frisuren zu kritisieren?
 

Wenn er einen Blick in die Flure werfen würde, dann würde er auch Drachen, Zombies, Werwölfe, kleine Mädchen mit Messern, Orks und generelle Monster sehen. Seit heute Morgen hatte sein komplettes Team ihm Nachhilfe in Monsterkunde gegeben und ihren gemeinsamen Chat und Instagram mit Bildern zugespammt. Das setzte sich nun fort, als sie alle Fotos von sich selbst schickten. Ganz zu schweigen von den Buffetbildern, die ebenfalls bereits ihren Weg auf Instagram gefunden hatten.
 

Jean würde es zwar nicht zugeben, zumindest nicht laut, aber er mochte das Essen von allem am Liebsten. Die Champignons in Totenkopfform waren zwar kitschig, aber schön anzusehen in ihren Einmachgläsern. Lailas Idee mit den Eiswürfeln in Handform in der roten Bowle war eine gute Idee, ebenso wie die Tomatensuppe, in der Mandelsplitter schwammen, die aussahen wie Fingernägel.
 

Jean würde sie zwar genauso wenig essen wie die mit weißer Schokolade überzogenen Erdbeeren, die aussagen wie Geister, oder die schwarz glasierten Grannyäpfel, bei deren Herstellung er alleine schon Zahnschmerzen bekommen hatte vor lauter Zucker. Und ja, natürlich hatte er mitgeholfen, unter Anleitung seines verrückten Teams und hatte Alvarez bei ihrem Browniefriedhofspudding und den Mumiencupcakes geholfen ebenso wie er Ajeet dabei beobachtet hatte, wie dieser Mumienhotdogs, –fleischbällchen und -kürbiskäsekuchen gewickelt und gebacken hatte. Seine steifen Finger waren zwar nicht so filigran wie Fahimas, dennoch hatte er es irgendwie geschafft, zusammen mit ihr Spinnen auf Erdnussbuttercookies zu formen.
 

Knox hatte währenddessen mit Logan Donuts mit essbaren Augen beklebt und Grinch Pancakes gebacken. Die giftgrün-schwarzen Hexencupcakes waren Ellies Aufgabe gewesen, ebenso wie die milchigen Geistermilchshakes mit anscheinend gruseligen Gesichtern.

Dazu gab es rot eingefärbten Kürbiskuchen in Gedärmform und das, was Jean am Meisten irritierte, Äpfel mit Erdnussbutter und Marshmellows in Kinderzahnform. Das war…wirklich gruselig.
 

Die Bilder hatten bereits tausende Likes und Jean konnte nur den Kopf darüber schütteln. Natürlich hatten die Foxes eben jene schon ausgemacht und nun ging es auch noch in dem Chat um nichts Anderes.
 

Wenn Jean noch öfter mit den Augen rollte, dann würde er irgendwann nicht mehr damit aufhören können.
 

Ein verlegenes Räuspern holte ihn aus seinen Gedanken und Jean merkte, dass er seinen Vampirkapitän die ganze Zeit über angestarrt hatte. Er blinzelte und ließ seinen Stift sinken. Er atmete betont langsam aus und nickte dann. Der blonde Junge machte sich nur Sorgen. Um ihn. Das sollte Jean würdigen.

„Es ist okay, Knox. Ich komme klar. Ich habe genug zu lernen.“ Vielleicht würde er auch versuchen, diesen Film zu schauen, den sein Team so oft gesehen hatte. Doch da war er sich noch nicht so sicher. Jean wusste, dass es dumm war, wenn er es vor Knox verheimlichte, der ihm nichts getan hatte, aber er wollte keine Aufmerksamkeit auf sich und einen Film lenken.
 

„Wenn etwas sein sollte…“

„…dann hast du dein Handy dabei und ich kann dich jederzeit anrufen“, vollendete Jean den Satz des anderen Jungen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Es hatte Zeiten gegeben, da war alleine der Gedanke, dass sein Kapitän stand während er saß, unerträglich gewesen, weil er Angst gehabt hätte, dass ihm etwas passieren würde. Diese Zeiten waren noch nicht einmal ein Jahr her.
 

Manchmal war es wie ein Traum. Und manchmal wachte Jean schweißgebadet auf, voller Angst, dass er nicht in Los Angeles wach wurde, sondern in West Virginia, in der brachialen Angst, dass alles nur ein Traum gewesen war.
 

„Es kann zu Schreien kommen“, erläuterte Knox – und auch das hörte er nicht zum ersten Mal. Fahima hatte ihm davon erzählt, dass es laut werden würde. Die Kinder und Jugendlichen würden quietschen und schreien, doch das wäre keine Angst. Sie hatte ihm dabei über den Arm gestrichen, in ihren Augen Wissen um das, was er auf seinem Körper trug.

Jean hatte schweigend genickt. Er wusste nicht, ob es ihn beeinflussen würde. Er wusste aber, dass er hier in Sicherheit sein würde.

„Wenn es dir damit nicht gut geht, dann melde dich bitte.“

Auch das bejahte Jean schweigend. Was sollte er denn auch anderes tun?
 

„Und im Kühlschrank…“

„Knox?“

„Ja?“

„Geh. Ich kenne mich hier aus.“
 

Knox seufzte und drehte sich schließlich um. Mit wehendem Umhang und einem letzten Winken verließ er tatsächlich die Wohnung und Jean lehnte sich mit einem Aufstöhnen zurück. An Lernen war nicht mehr zu denken, ganz und gar nicht, dafür waren seine Gedanken zu unstet, zu fluide zwischen Vergangenheit und Zukunft.
 

Jean stand auf und ging zum Kühlschrank, wo eine gesunde Portion des Fingerfoods auf ihn wartete. Er nahm sich einen der Hotdogs und starrte aus dem Fenster hinein in die untergehende Sonne, die immer wieder faszinierend war. Jeden einzelnen Tag ließ er sich von den kräftigen Farben einfangen.
 

Jean wusste nicht, wie lange er dort stand und sein Gesicht von der untergehenden Sonne wärmen ließ, als die ersten Schreie durch das Haus tönten, begleitetet von Quietschen und Rumpeln. Er zuckte zusammen, bei jedem einzelnen Laut. Er analysierte jeden einzelnen Ton und versuchte zu begreifen, dass es kein Leid war, das ihm hier entgegenschlug, sondern freiwillig gewählter Grusel.
 

Weitab von dem, was in Evermore passiert war.
 

Jean sah sich keinen Film an, er kehrte auch nicht zurück zu seinem Schreibtisch. Er verbrachte Stunden hier an dem kleinen Fenster, den Blick nach draußen gerichtet. Er erlebte, wie die Sonne unterging und die Welt in ein blaues Zwielicht tauchte, das schlussendlich zu der laternendurchbrochenen Dunkelheit wurde. Der Himmel war voller Sterne, aber er sah sie nicht. Lichtverschmutzung nannte man das. Draußen, in der völligen Dunkelheit, würden sie besser zu sehen sein.
 

Jean bettete die Schläfe an das kühle Glas und ließ seine Gedanken schweifen und in sich rumoren. Er akzeptierte seine Gefühle, die Ruhe ebenso wie die Angst, die schlechten, negativen Emotionen ebenso wie die positiven, die in der vergangenen Zeit vermehrt hinzukamen.

Wo würde es noch hingehen? Wie würde es weitergehen, wenn die Trojans nicht mehr waren? Wenn er nicht mehr Teil von ihnen sein würde, auf sich alleine gestellt als Profi-Exy-Spieler? Der Gedanke erschreckte Jean mehr als dass es die Schreie von außerhalb seiner Tür taten. Er konnte nicht alleine sein und bei allem unnötigen Chichi um Feiertage, die mit Sicherheit keine waren, bei allen Teambuildingmaßnahmen und chaotischen Trainingseinheiten, so waren sie doch nie gewalttätig zu ihm und Jean…
 

…er würde sie vermissen.
 

Der Gedanke war erschreckend wie er beängstigend war und Jean pflückte ihn auseinander, auch dann noch, als die Schreie verstummten und schließlich zu einer wummernden, dumpfen Musik wurden, die das ganze Haus durchdrang.
 

Jean kam erst zu sich, als es an der Tür hämmerte und er derart abrupt aufsprang, dass er sich sein Knie an der Anrichte stieß, auf der er bis jetzt gesessen hatte. Vielleicht war das auch der Grund, warum sein Hintern mit seinem rechten Knie um die Wette schmerzte und Jean grollte. Sein Herz schlug wie wild und er warf einen Blick auf die Uhr. Drei Uhr nachts war es schon. Vermutlich waren es irgendwelche betrunkenen Partygäste, die nach einer Möglichkeit suchten, sich zu erleichtern. Aber nicht hier.
 

Er schnaubte und wandte sich zum Durchgang ihres Schlafzimmers, als es nochmal an der Tür donnerte.

„Moreau, mach auf! Ich habe hier eine Lieferung für dich!“, rief Alvarez von der anderen Seite des Holzes und er hob die Augenbraue. Lieferung?

Für einen kurzen Moment war Jean wirklich versucht, sie einfach davor stehen zu lassen, doch dann erbarmte er sich und schloss die Tür auf.
 

Was er beinahe in dem Moment bereute, als er seines Kapitäns ansichtig wurde, der wie ein nasser Sack halb an, halb auf seiner Vize hing, augenscheinlich hochgradig betrunken. Jean hob die Augenbraue und spürte, wie Unsicherheit in ihm aufkeimte. Er hatte Knox noch nie betrunken erlebt und er wusste nicht, wie sich der derangierte Dracula verhalten würde, der bei seinem Anblick selig grinste und Alvarez den Finger in die Seite trieb.
 

„Bin da“, griente er undeutlich und Jean sah fragend zu Alvarez, die auch nicht mehr ganz nüchtern schien der Farbe ihrer Wangen nach.

„Zuviel Tequila und zuviel Bowle mit Schuss“, zuckte sie mit den Schultern und schob Knox in Jeans Reichweite. Der blonde Junge taumelte überrascht und beschwerte sich undeutlich über die grobe Behandlung.

„Und jetzt?“, fragte Jean kühl. Alvarez grinste.

„Nun ist er dein Problem, Zimmernachbar. Sieh zu, dass er brav duscht und sich dann noch viel braver ins Bett legt.“
 

Jean blinzelte verständnislos und zum Teil auch ratlos. Er wusste nicht, ob er der Richtige war, um sich um seinen Kapitän zu kümmern, der ihn schweigend, aber glücklich anstrahlte und wie eine dieser Aufblasfiguren im Wind wankte.

„Jeee~eeean.“

Ja, in diesem Moment hätte Jean wirklich gern die Tür zugemacht und Knox seinem Schicksal überlassen, wenn der andere Junge nicht halb im Rahmen gestanden und sich unsicher in das Apartment gezogen hätte.

„Alvarez“, knurrte er wenig erfreut über die plötzliche Verantwortung und sie zwinkerte ihm übertrieben zu.

„Dein Mitbewohner, dein Problem. Keine Sorge, er ist nur hilflos, sonst nichts! Eigentlich ganz süß, wenn man es von einem Standpunkt außerhalb betrachtet.“
 

Sprachs und war verschwunden, ganz im Gegensatz zu Knox, der sich an der anderen Seite der Wand versuchte, an ihm vorbei zu schleichen. Kichernd und polternd. Nur Jeans wirklich ausgezeichneten Reflexen war es zu verdanken, dass der Umhang nicht alles abräumte, was in ihrem Flur stand und mit dunklem Blick hielt Jean das Stück schwarzen Stoffes hoch.

Sein Kapitän bemerkte das und sah mit großen, glasigen Augen zu ihm hoch.

„Du trägst mir die Schleppe“, strahlte er. „Meine Hochzeitsvampirschleppe.“

„Die du jetzt abnehmen wirst, damit du nicht alles zerstörst“, sagte Jean augenrollend und gehorsam aber ungeschickt fummelte Knox an der Schließe des Mantels. Er brauchte so lange, dass Jean ihm beinahe dabei half um nicht die ganze Nacht hier zu stehen.
 

„Meine Schuhe!“, verkündete Knox daraufhin stolz und Jean schwante Übles. Er verfluchte Alvarez, die ihn mit einer Situation zurückließ, die ihn mit Sicherheit überfordern würde. Der einzige Mensch, den er bisher betrunken erlebt hatte, war Day gewesen und diesen hatte er ganz anders anpacken können als Knox gerade jetzt.

Der sich nun hinunterbeugte, schwankte, zur Seite kippte und sich auf den Boden fallen ließ um sich dort mit seitlich ausgestreckten Beinen die Schuhe auszuziehen.
 

Jean schloss betont laut die Tür.
 

Als Knox fertig war, kroch der andere Junge kichernd und mit sich selbst redend in Richtung Schlafzimmer, so unsicher, dass Jean Sorge hatte, dass er auf der Hälfte der Strecke einfach liegen bleiben würde.

„Duschen“, gab sein Kapitän aber eine vage Vorstellung davon, was er zu tun gedachte und Jean hob erneut die Augenbrauen.

„Ohne Kleidung“, sagte er aus einem Impuls heraus und Knox hielt auf seinem Weg inne. Nachdenklich sah er hoch, nur um dann an sich hinunter zu schauen.

„Ohne Kleidung“, echote er dann unsicher und grinste. „Ohne Kleidung!“, wiederholte er stolz, als wäre es der Einfall des Jahrhunderts gewesen.
 

Jean beobachtete das mit Grauen und ging an Knox vorbei zu dessem Bett. Die Überzeugung, mit der sein Kapitän gesagt hatte, dass er ohne Kleidung unter die Dusche gehen würde, sprach davon, dass er auch ohne wieder herauskommen würde. Und das…nein. Alleine schon um Knox‘ Willen nein.
 

Er wurde sich bewusst, wie verletzlich der blonde Junge gerade war, wie hilflos auch. So wie er torkelte und sich nicht unter Kontrolle hatte, wäre Knox ein leichtes Opfer für jeden, der etwas Böses im Schilde führte. Das würde Jean verhindern und vielleicht hatte Alvarez genau damit gerechnet. Knox aus der potenziellen Schusslinie von Collegevergewaltigern zu nehmen, wenn sie nicht auf ihn aufpassen konnte.
 

Vermutlich war dieser Gedanke für ein College wie die USC weit hergeholt. Dennoch.
 

Seufzend griff Jean sich Knox‘ Schlafanzug und legte ihn auf die Anrichte im Bad, während der andere Junge versuchte, sich an der Dusche hochzuziehen und erst im dritten Anlauf damit Erfolg hatte.

Kritisch beäugte Jean das Ganze. „Kommst du klar?“

Knox lächelte glücksselig und gluckste. Er strich sich über seine aus der Form gebrachten, aber immer noch gegelten Haare. „Klar wie Kloßbrühe!“

„Wohl eher klar wie ein schlammiger See im Nebel“, erwiderte Jean ironisch und deutete in ihr Schlafzimmer. „Ich warte draußen. Wenn etwas sein sollte, dann rufst du.“

Schon als er die Worte ausgesprochen hatte, wusste Jean, dass er sie bereuen würde. Er wusste es. Irgendetwas würde passieren und wenn er Pech hatte, dann würde Knox sich den Schädel an der Dusche aufschlagen. Oder Schlimmeres.
 

Das Beste wäre, wenn er dabei bliebe, doch das wollte Jean nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Knox wollen würde, wenn er ihn nackt sah. Und jetzt, wo er nicht Herr seiner Sinne war, schonmal gar nicht. Niemals würde Jean so etwas tun. Lieber stand er dann Wache vor der Tür und wartete auf die Katastrophe.
 

Er tat genau das und hörte den Selbstgesprächen zu, die hinter der geschlossenen Tür geführt wurden. Wobei es technisch gesehen keine Selbstgespräche waren, denn der duschende Junge sprach mit seinem Duschgel. Und das Duschgel auch mit ihm – zumindest wenn Jean Knox‘ verstellter Stimme Glauben schenkte. Thema der Diskussion war anscheinend die Menge des Duschgels und wie es schien, war das Duschgel der Sieger.
 

Zumindest verstummte Knox und Jean hörte, wie sich der andere Junge ohne Zwischenfall wusch und auch – glücklicherweise – ohne Zwischenfall aus der Dusche begab um sich abzutrocknen und die Diskussion mit der Zahnpasta weiter zu führen.
 

Jean beschloss, dass der Mord an Alvarez seiner Karriere zwar schaden, aber seinem Seelenfrieden unheimlich helfen würde. Er war doch kein Kindergärtner.

„Zähne putzen!“, rief er durch die geschlossene Tür und es rumpelte. Kurz darauf wurde sie aufgerissen und Knox stand vor ihm, das Kinn voller Zahnpasta mit der Zahnbürste im Mundwinkel hängend. Stolz deutete er auf das Chaos und Jean sah zweifelnd auf ihn hinunter. Knox trug seine Boxershorts und damit konnte Jean vorerst leben.

„Du weißt noch, wie man das macht?“, fragte er zweifelnd und sein Kapitän nickte enthusiastisch. So engagiert, dass er dabei schwankte.
 

Es wäre nur ein Mord.
 

Knox fing sich, bevor Jean ihn stützen konnte und putzte sich die Zähne. Und das Kinn. Und die Wangen. Zum Schluss war alles irgendwie sauber und Jean atmete erleichtert auf. Zumindest solange, bis Knox nach ihm rief wie ein Vogelkind seine Mutter rufen würde. Laut und schier panisch.
 

Jean wandte sich erneut zur Tür und sah, wie sein koordinierter und überhaupt nicht bewegungslegasthenischer Kapitän mit seinem Shirt kämpfte und nun ein ganz eigenes Monster war, das sich in den Fängen seines T-Shirts befand.

„Jeeaa~aan, Hilfe!“, wimmerte der blonde Junge und versuchte, seinen Kopf durch eines der Armlöcher zu stecken.
 

Er könnte Andrew anrufen und fragen, wie man mit einem Mord davon kam. Nur um sicher zu gehen. Allerdings warf das auch die Problematik der dann weniger erfolgreichen Saison auf.
 

Mit knirschenden Zähnen trat Jean an Knox heran und befreite den sich windenden Jungen vorsichtig von dem T-Shirt.

„Arme hoch“, sagte er streng und begeistert riss Knox eben jene nach oben. „Yeah!“, quietschte er dabei vergnügt und Jean drehte das Shirt erst einmal auf rechts, bevor er es seinem Kapitän über den Kopf stülpte und resolut zurecht zog.

„Du kannst deine Arme jetzt herunternehmen“, setzte er hinterher, als klar wurde, dass Knox nicht beabsichtigte, das von alleine zu tun. Jean seufzte und deutete hinter sich.
 

„Ins Bett“, versuchte er sich an einem weiteren Befehl, der sich komisch in seinem Mund anfühlte und trat zurück, als Knox sich seinen Weg in das Schlafzimmer bahnte. Kichernd, während er in Richtung Bett taumelte.

In Richtung seines Bettes, erkannte Jean mit Schrecken und noch bevor er etwas sagen konnte, ließ Knox sich darauf fallen.

„Knox“, grollte Jean. „Das ist mein Bett.“

„Hmmmh. Das rieche ich“, entgegnete sein angeduselter Mitbewohner und rieb seine Nase wohlig in seinem Kissen. Perplex beobachtete Jean ihn dabei und war nach dem ersten Schock wirklich versucht, es ihm wegzuziehen. Nicht, dass das großartigen Erfolg haben würde, so wie Knox es gerade mit seinen Armen umschlang und wie einen Schatz an sich barg.
 

Die völlige Selbstverständlichkeit, mit der der blonde Junge sich in sein Bett gelegt hatte und auch anscheinend überhaupt nicht plante, wieder von dort aufzustehen, irritierte Jean. Knox wusste, dass das sein Bett war. Das hatte er ihm gerade mit Worten deutlich gemacht und das machte er ihm nun gleich nochmal deutlicher, als er umständlich und ungelenk die Decke über sich zog.
 

Jean verschränkte die Arme und besah sich das Schauspiel, gefangen zwischen Missfallen, Belustigung und einer Wärme, die sich in seiner Brust ausbreitete, von der er nicht wirklich wusste, was sie war.

Knox lag auf seinem Bett und blockierte es, wodurch er vergessen konnte, diese Nacht zu schlafen. Er würde den Teufel tun und sich anstelle in Knox‘ Bett zu legen. Also hieß es Couch für ihn. Und für den Bettbesetzer eine Extrarunde am Strand am morgigen Tag.
 

„Jean?“

„Hmh?“

„Was heißt Eifersucht in deiner schönen Sprache?“

Jean hob die Augenbraue. „Jalousie“, erwiderte er und Knox nickte gewichtig in sein Kissen hinein, die Augen unstet und nur kurz zu ihm huschend. „Warum fragst du das?“

Knox überlegte und seufzte dann tief.

Je suis jalousie“, sagte er dann und Jean schauderte.

„Zum Einen ist das grammatikalisch so falsch, dass es gruseliger ist als jeder Horrorabend es sein könnte. Zum Anderen glaube ich kaum, dass du die Eifersucht bist“, erwiderte er mit erhobener Augenbraue und ging in die Küche um Knox ein Glas Wasser zu holen und sein Handy von seinem Nachttisch zu retten, bevor es ertränkt werden würde.

„Doch“, sagte Knox passend zu seiner Rückkehr. Er schürzte die Lippen.

„Du meinst „Je suis jaloux“, also dass du eifersüchtig bist.“

Knox gab einen undefinierbaren Laut der Zustimmung von sich. „Fahima.“

„Fahima?“, echote Jean, nicht sicher, auf was der andere Junge hinauswollte.

„Ja, auf Fahima.“

„Warum auf Fahima?“

„Weil. Fahima.“
 

Mehr bekam er aus seinem Kapitän nicht heraus und sah hilflos zu, wie dieser sich umdrehte und sich seine Decke über den Kopf stülpte, immer wieder etwas murmelnd, das „Je suis jaloux.“ zum Verwechseln ähnlich klang.
 

Jean barg sein Gesicht in der linken Hand und rieb sich über die Augen. Er war wirklich müde. Sehr sehr müde.

Seufzend sah er hoch und hob sein Handy. Er musste das für die Nachwelt festhalten und für sein Seelenheil, dass Knox sein Bett besetzte. Er musste das für Alvarez festhalten, um sie mit ihrer immerwährenden Schuld ihm gegenüber zu erpressen.

„Gute Nacht, Bettwanze“, murmelte er, nachdem er das Foto geschossen hatte und nahm sich Knox‘ Bettdecke. Die Couch wartete auf ihn, nachdem er erfolgreich versucht hatte, im Chaos des Badezimmers seine Zähne zu putzen.
 

Warum Knox ausgerechnet eifersüchtig auf Fahima war, erschloss sich Jean nicht, egal, wie lange er auch darüber nachdachte.
 

~~**~~
 

Jeremy wachte von dem Gefühl auf, dass jemand ihm mit dem Presslufthammer den Schädel spalten wollte und stöhnte schmerzerfüllt auf, als er den Fehler beging, seine Augen zu öffnen. Zu grell, zu spät, zu sonnig, zu…
 

Oh Gott.
 

Jeremy stülpte sich die Decke über den Kopf und zog die Beine an, grub seinen Kopf zurück in das weiche Kissen, das seine unmissverständliche Sabberfeuchtigkeit enthielt. Vermutlich fühlte sich seine Kehle auch deswegen so an, als wäre sie ausgetrocknet. Und erstmal dieser Geschmack in seinem Mund. Igitt.
 

Er hatte zuviel getrunken, nachdem sie die Kids entlassen hatten. Viel zu viel und was passiert war, nachdem er sich von Alvarez die Treppe hatte hochziehen lassen, konnte er auch nicht sagen. Ein Filmriss, wie wunderbar. Er konnte nur hoffen, dass er Jean nicht aufgeweckt hatte mit seinem betrunkenen Herumpoltern, doch viel Hoffnungen hatte er nicht darauf. Jean schlief viel zu leicht dafür.
 

Ein bedeutungsschwangeres Räuspern holte ihn aus seiner Blase der Unschuld und vorsichtig zog Jeremy die Decke von seinem Kopf. Er starrte auf die Wand und drehte sich eingedenk seines riesigen Schmerzschädels langsam zu eben jenem Laut herum.

Jean saß auf dem Rand seines Bettes, in der Hand eine Tasse dampfender Flüssigkeit. Kaffee, vermutete Jeremy und runzelte dann die Stirn, als er feststellte, dass Jean sich ebenfalls Trojanfahnen über sein Bett gehängt hatte und das, obwohl er eigentlich keine Dekoration hatte. Grundsätzlich sah Jeans Seite seiner verdächtig ähnlich…viel zu ähnlich, wie Jeremy begriff.
 

Mit einem hochgradig unguten Gefühl sah er sich um und sah das, was er gestern noch auf Jeans Seite gesehen hatte. Einschließlich Jeans Bettwäsche. Einschließlich Jeans – nunmehr durch ihn vollgesabbertes – Kissen. Er…war auf der falschen Seite des Raumes. Also auf der anderen. Auf Jeans. Und Jean war auf seiner und musterte ihn in eben jener Art, die Jeremy deutlich machte, dass er schleunigst begreifen sollte, was hier vor sich ging.
 

„Guten Morgen?“, fragte er krächzend und räusperte sich. Jean erwiderte nichts und nur die hoch erhobene Augenbraue deutete an, dass er überhaupt mit einer Reaktion bedacht wurde.

„Das ist...ähm…dein Bett.“ Ein kluger Anfang…nicht, befand Jeremy nach näherem Hinsehen und wimmerte innerlich, als ihm die Tragweite der Situation bewusst wurde, die sich so eben vor ihm entfaltete. Was hatte er getan?

„So ist es“, bestätigte Jean schlicht. „Wie ich hörte, riecht man das auch.“

Die Art, wie Jean den letzten Satz betonte, sagte Jeremy, dass in seinem Filmriss irgendetwas passiert sein musste, das hierzu geführt hatte. Auch zu dem Satz.

„Ich habe mich nicht zu dir gelegt, oder?“, fragte er mit wachsender Angst und Jean schnaubte.

„Alvarez hat dich hergebracht. Du hast geduscht, Zähne geputzt, bist an mir vorbeigegangen und hast dich in mein Bett gelegt“, korrigierte dieser und Jeremy schluckte.
 

„Das tut mir leid.“

„Muss es nicht.“

„Wirklich nicht?“

„Nein. Dafür gehen wir heute am Strand laufen.“

„Was?!“
 

Jean hatte diesen speziellen Blick, diesen Ausdruck in seinen Augen, wenn er etwas absolut ernst meinte und dabei stur war wie eine Eisenbahnschiene. Genau den sah Jeremy jetzt und wimmerte. Abrupt vergrub er sich erneut unter der Decke, die so sehr nach Jean roch.
 

„Und während wir laufen, erklärst du mir, warum du eifersüchtig auf Fahima bist“, drang es gedämpft, aber wie ein Donnerschlag zu ihm und Jeremy jaulte gepeinigt auf. Oh Gott. Oh nein.
 

Oh nein nein nein.
 

~~~~~~~~~~~~

Wird fortgesetzt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich muss gestehen, ich bin nicht kreativ genug. Ja, haha, ich weiß...ich bin nicht kreativ in Horrorgeschichten. Daher habe ich die kursiv markierten Passagen auch alle schamlos entliehen und zwar aus genau diesen Quellen:

https://www.stern.de/neon/feierabend/zwei-saetze---eine-horrorstory--diese-mini-geschichten-schocken​-richtig-8811904.html
https://www.paraportal.org/thread/20678-gruselgeschichten-in-zwei-s%C3%A4tzen/
https://www.diboo.de/gruselgeschichten-in-zwei-saetzen/ Komplett anzeigen

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