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Cursed

von

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Leben und leben lassen

Kapitel 2 – Leben und leben lassen
 

Am darauffolgenden Wochenende schlenderten Aiden und Lukas durch die Stadt.

Sie gehörten zu den Internatsschülern, die auch am Wochenende nicht zu ihren Eltern fuhren. Stattdessen nutzten die beiden Jungs die Zeit gern um durch die Geschäfte stöbern und in die Arcade-Halle zu gehen.

Hier draußen zwischen all den Menschen und all dem Lärm vergaß Aiden sogar die schrecklichen Gefühle, die ihn seit Reels Erscheinen ständig begleiteten.

„Lass uns zum Abschluss noch 'ne Runde Beat-Saber spielen“, schlug Lukas vor. Sein bester Freund schielte auf seine Armbanduhr.

„Ich glaube daraus wird nichts mehr. Wenn wir uns nicht beeilen, verpassen wir unseren Bus“, gab Aiden bedrückt zurück.

„Ach Mann. Naja, da kann man nichts machen.“ Die beiden verabschiedeten sich mit einem Kicken vom Besitzer der Halle und traten raus auf den Gehweg. In schnellem Schritt liefen sie zur Haltestelle. Dort angekommen konnten sie eine Gruppe Schüler beobachten, die das gleiche Ziel wie sie verfolgten.

„Hey.“ Lukas stieß Aiden mit dem Ellenbogen an. „Guck mal, wer da kommt.“ Mit dem Kinn deutet er auf die sich nähernde Gruppe und Aiden konnte ein Mädchen mit blonder Flechtfrisur ausmachen. Mara.

Aiden war im ersten Jahr am Internat mit ihr in einer Projektgruppe gewesen und hatte sich seit dem in sie verguckt. Außer Lukas wusste niemand davon.

Die vier Mädchen liefen quatschend und lachend in ihre Richtung. Ein weiteres blondes Mädchen – Sophie – zog ihr Handy aus der Tasche und begann im Gehen auf dem Bildschirm herumzutippen. Als die Gruppe die Straße erreichte, blieben sie stehen um ein vorbeifahrendes Auto abzuwarten.

Die drei anderen waren allem Anschein nach in ein spannendes Gespräch vertieft, denn sie unterhielten sich angeregt und niemand von ihnen achtete auf Sophie, die auch an der Straße nicht von ihrem Handy aufsah und ungebremst auf die Fahrbahn lief.

Aiden reagierte instinktiv. Er sprintet auf sie zu, stieß sie mit aller Kraft zurück in die Richtung aus der sie kam und kniff die Augen zusammen in Erwartung eines Aufpralls.
 

Reifen quietschten. Umstehende Menschen schrien auf. Doch Aiden spüre keinen Schmerz.

Als er es wagte die Augen wieder zu öffnen, stellte er erleichtert fest, dass er unverletzt war. Allerdings stimmte etwas nicht. Er stand an der Bordsteinkante und nicht mitten auf der Fahrbahn, wo er eigentlich hätte sein sollen.

Aiden versuche einen Schritt nach vorne zu machen und musste mit Entsetzen feststellen, dass seine Beine ihm nicht gehorchen wollten.

Reel hatte im letzten Moment die Kontrolle über den Körper an sich gerissen und sich mit einer geschickten Bewegung vor dem anfahrenden Auto weg gerollt. Nur um Haaresbreite hatte es ihn verfehlt.

Nun stand er da. Unschlüssig was er tun sollte und mit Aidens steigender Panik im Hinterkopf. Reel konnte sie mehr als deutlich spüren, obwohl er seine eigenen und Aidens Emotionen von einander abgeschirmte.

Das blonde Mädchen saß erschrocken auf dem Bürgersteig und starrte ihn fassungslos an. In ihrer großen, silbernen Gürtelschnalle konnte Reel sein Spiegelbild sehen und es eröffnete ihm, dass die Körperübernahme alles andere als perfekt verlaufen war. Aus der Reflektion blickten ihn nicht Aidens braune, sondern seine eigenen roten Augen entgegen. Einer Eingebung folgend zog Reel sich sofort zurück und überließ Aiden diese unangenehme Situation.

Wieder an der Macht über seinen eigenen Körper wurden diesem sofort die Knie weich und er sackte in sich zusammen.

Der Fahrer des Wagens war inzwischen ausgestiegen und auch Lukas und die drei Mädchen waren zu ihnen geeilt.

„Ist alles in Ordnung?“

„Du kannst doch nicht einfach so auf die Straße rennen.“

„Brauchen wir einen Krankenwagen?“

Aiden versicherte allen Umstehenden immer wieder, dass ihm nichts fehlte. Er wollte unter keinen Umständen in ein Krankenhaus und da auch Sophie bis auf ein paar Schürfwunden und blaue Flecken vom Sturz unverletzt war, entschied man dass weder Krankenwagen noch Polizei nötig waren und jeder ging seiner Wege.
 

Wieder allein in seinem Zimmer fragte Aiden nach langem Hadern vorsichtig: „Reel? Reel, bist du da?“ Doch wie immer, wenn er versuchte von sich aus ein Gespräch mit dem Schatten – oder was auch immer er war – zu beginnen, erhielt er demonstrativ keine Antwort.

Aber auch ohne Reel verlief die Nacht für Aiden ohne Schlaf – zu wirr und rastlos waren seine Gedanken.
 

Als Aiden am nächsten Morgen nach dem Frühstück sein Zimmer betrat, konnte er beobachten wie sich schwarzer Nebel aus seinem Körper zu lösen begann und sich auf seiner Bettkante zu der mittlerweile recht bekannten Gestalt des jung-aussehenden Schattens formte.

Seine Körperhaltung wirkte weniger entspannt als zuvor und auch das spöttische Lächeln war verschwunden. Konzentriert lagen seine scharfen Augen auf dem Jungen ihm gegenüber. Betont ruhig bewegte sich dieser zu seinem Stuhl, auf dem er erneute rittlings Platz nahm ohne seinen Besucher aus den Augen zu lassen.

Mit der Rückenlehne zwischen sich und der Gestalt auf seinem Bett fühlte er sich ihm etwas weniger ausgeliefert. Natürlich würde Reel eine Stuhllehne nicht aufhalten – das hatte er bereits eindrucksvoll bewiesen, aber es half Aiden dennoch ruhig zu bleiben.

„Du hast meinen Körper übernommen“, begann er vorsichtig als Reel ihn weiter musterte, aber nicht sprach.

„Warum hast du sie gerettet?“, überging er Aidens Frage und ließ ihn überrascht die Augenbrauen hochziehen. Damit hat er nun wirklich nicht gerechnet.

„Also... naja... so ganz sicher bin ich mir da auch nicht. Ich wollte ihr halt helfen“, begann Aiden unsicher.

„Aber...WARUM?“ Reels brennender Blick verstärkte seine Nervosität.

„Ich schätze ich... naja... laut dir muss ich ja eh sterben und da wollte ich, dass mein Tod wenigstens noch jemandem hilft. Ich bin losgerannt bevor ich so richtig darüber nachgedacht habe. Außerdem dachte ich, das 'Warum' interessiert dich sowieso nicht.“ Reel schlug die Augen nieder und verzog den Mund zu einem bitterem Lächeln.

Als er wieder aufsah waren seine Augen weich und voller Schmerz, doch kehrte die Härte und Kälte so schnell zurück, dass Aiden fast glaubte es sich nur eingebildet zu haben. Der Schatten erhob sich und ging langsam aber zielsicher auf Aiden zu. Ungerührt legte er eine Hand unter dessen Kinn und zwang ihn so ihn anzusehen.

Aiden widerstand dem Drang seine Hand weg zu schlagen. Er hatte gelernt, dass es besser war, den Schatten nicht unnötig zu provozieren. Suchend und etwas unschlüssig blickte dieser ihn an.

„Du bist seltsam. Ich verstehe dich einfach nicht“, sagte er enttäuscht und löste sich in Rauch auf.

Den ganzen Sonntag über grübelte Aiden und versuchte sich einen Reim auf den Zwischenfall in der Stadt und das seltsame Gespräch zu machen. Reel blieb die ganze Zeit still. Er konnte ihn nicht einmal mehr fühlen. Sogar die Augen, die ihn ununterbrochen zu beobachten schienen, konnte er nicht mehr auf sich spüren. Reel hatte sich so sehr von ihm abgeschirmt, dass Aiden nichts mehr von ihm wahrnehmen konnte.
 

„Warum hast du mich eigentlich nicht einfach sterben lassen? Bin ich dir noch nicht langweilig genug?“ Aiden versuchte immer wieder mal Reel zu einem Gespräch zu bewegen. Natürlich funktioniert das nie, aber Aiden gab die Hoffnung nicht auf, dass Reel – wie schon zuvor – seine Frage verspätet bei seinem nächsten Besuch beantwortete.

Aiden fürchtete sich vor ihm, aber die Ungewissheit ängstigte ihn weitaus mehr. Er wollte endlich wissen, was hier los war.

Und tatsächlich erschien Reel in dem Moment in dem Aiden der Schlaf überkommen wollte an seinem gewohnten Platz auf der Bettkante.

„Ich lass mir doch nicht von irgendeinem Autofahrer mein neues Spielzeug kaputt machen. Du gehörst MIR und nur ich entscheide, wann und wie du stirbst.“ Die Art wie der Schatten die Worte aussprach und der hungrige Blick, der in seinen Augen lag ließen Aiden unwillkürlich erschaudern und die blitzenden Reißzähne, die ihm bösartig entgegen grinsten, verstärkten sein Unbehagen noch weiter. „So leicht mache ich dir das Sterben nicht“, säuselte Reel genießerisch ehe er nach der Hand des müden Jungen griff und wieder verschwand. Von nun an konnte Aiden seinen ungewollten Mitbewohner wieder spüren.
 

„Vielleicht doch lieber das Blaue.“ Aiden verzweifelte. Der Schulball rückte näher und er konnte sich nicht für ein Hemd entscheiden. Er wollte alles richtig machen, denn dieses Jahr hatte er sich fest vorgenommen Mara zu fragen, ob sie ihn begleiten würde. Vielleicht war es seine letzte Chance.

Unschlüssig stand er vor Lukas, der sich bereits für das waldgrüne Hemd entschieden hatte, welches die eifrige Verkäuferin für ihn herausgesucht hatte.

„Weißt du was?“, entgegnete Lukas resigniert, „Du nimmst einfach gar keins, fragst Mara, ob sie dir beim Aussuchen hilft und nutzt diese Gelegenheit dann um sie beim Shoppen zu fragen, ob sie deine Begleitung sein möchte.“ Aiden stutzte.

„Mit der Idee hättest du auch fünf Hemden eher rausrücken können.“ Lukas zuckte nur die Achseln, während Aiden bereits das Hemd aufknöpfte und es von seinen Schultern gleiten ließ noch ehe er den Vorhang der Umkleidekabine geschlossen hatte.

„Was zum? Alter, seit wann hast du denn bitte ein Tattoo?“ Lukas war aufgesprungen und zu ihm gelaufen. Verwirrt blickte Aiden seinen besten Freund an.

„Was?“ Lukas drehte ihn um und betrachtete interessiert seinen Rücken.

„Krass! Warum erzählst du mir so was nicht? Sieht echt cool aus. Viel zu tough für so 'nen Lauch wie dich“, witzelte er.

Irritiert drehte sich Aiden so, dass er seinen Rücken im Spiegel sehen konnte und betrachtete mit Entsetzen das schwarze Symbol, welches sein linkes Schulterblatt zierte. Es war etwa handgroß und bildete ein verschlungenes Ornament, dessen filigrane Ausläufer sich sogar ein kleines Stück weit über seine Schulter hinweg in Richtung seiner Brust zogen.

„Ich...ähm...“, begann Aiden. „Hab ich total vergessen dir zu erzählen. Das hab ich mir in den Ferien im Urlaub stechen lassen“, log er.

„Hat das ne tiefere Bedeutung?“

„Um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht. Ich fand es einfach cool und hab es spontan ausgewählt.“ Aiden hatte sich dazu entschieden, niemandem von Reel zu erzählen. Zum Einen würde ihm eh niemand glauben und zum Anderen wollte er niemanden in Gefahr bringen. Er konnte den Dämon einfach noch nicht einschätzen.
 

Wieder im Internat liefen die beiden Jungs Mara über den Weg.

„Hey Mara“, begann Lukas locker.

„Hi, wart ihr shoppen?“, fragte sie und deutete auf die Tüte in Lukas Hand.

„Ja“, erwiderte er mit einem nonchalanten Lächeln und zeigte subtil auf seinen besten Freund. „Aber Aiden ist ein hoffnungsloser Fall. Er hat den Modegeschmack eines Ziegelsteins. Vielleicht kannst du dich ja mal seiner annehmen. Du kennst dich mit so was bestimmt besser aus als ich.“ Prüfend begutachtete Mara Aiden.

„Ich denke, das dürfte kein Problem sein. Für dich finden wir schon was“, gab sie mit einem Lächeln zurück. „Wollen wir morgen nach dem Unterricht mal in der Stadt schauen?“

„Gerne“, meldete sich Aiden endlich zu Wort. „Danke, dass du das machst“, ergänzte er mit einem verlegenen Lächeln.

„Kein Problem. Dann treffen wir uns morgen am Haupttor – sagen wir so gegen 15 Uhr?“ „Gebongt“, freute sich Lukas und Aiden unterdrückte ein Jubeln. Sie verabschiedeten sich und Aiden ging grinsend in sein Zimmer.
 

Dort angekommen vernahm er sofort die vertraute Stimme seines Todesengels.

„Du stehst auf die Kleine.“ Ein resignierter Seufzer entfuhr ihm. Reel war nun wirklich der Letzte mit dem er über solche Dinge sprechen wollte.

„Ja und? Ich finde, ich sollte sie fragen. Vielleicht ist das meine letzte Chance mit ihr auf den Ball zu gehen bevor du mich umbringst.“

„Stimmt“, kam es unerwarteterweise von der Bettkante aus zurück. „Du solltest dein Leben nutzen solange du es noch hast.“ Verschmitzt blitzten ihn die feinen Reißzähne seines Gegenübers an und verpassten Aiden wie immer eine Gänsehaut.

„Was soll das mit dem Tattoo eigentlich?“, fragte Aiden leicht gereizt.

„Hm?“

„Das auf meinem Schulterblatt!“

„Das ist kein Tattoo.“ Aiden verdrehte die Augen.

„Sondern?“

„Mein Fluchmal“, antwortete Reel wie selbstverständlich.

„Toll. Und wie werde ich das wieder los?“ Der Dämon zeigte ihm wieder sein betont zuckersüßes Lächeln, als er entgegnete „Genauso wie mich – nämlich gar nicht.“ Aiden seufzte wieder.

„Großartig.“

„Nun beschwer' dich mal nicht. Ich hatte ein Opfer, die trug es mitten im Gesicht. Der Ort wird nämlich rein zufällig ausgewählt. Die Zeit, die ich bei ihr war, musste sie es jeden Tag überschminken.“ Kurz überlegte Aiden.

„Sag mal, Reel“, begann Aiden dann vorsichtig. „Wie viele hast du eigentlich schon getötet?“ Der Dämon machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Keine Ahnung. Weißt du noch wie viele Mücken du schon in deinem Leben erschlagen hast? Oder wie viele Spielzeuge du schon kaputtgemacht hast?“ Stille trat ein.

Reel erhob sich von seinem Stammplatz und wollte gerade nach seinem aktuellen Opfer greifen um zu verschwinden, als Aiden sich doch überwand noch einmal zu fragen.

„Reel?“ Der Angesprochene hielt in der Bewegung inne. „Warum lebe ich noch?“ Verständnislos blicken ihn die roten Augen des Schattens an.

„Bist du so scharf darauf von mir getötet zu werden?“

„Nein! Es ist nur... ich bin doch eigentlich langweilig. Was hält dich bei mir?“ Nun war es Reel, der seufzte und Aiden glaubt wieder ein trauriges Lächeln zu erkennen.

„Um ehrlich zu sein, bin ich irritiert. Normalerweise ist offensichtlich wieso jemand mit mir verflucht wurde, aber bei dir finde ich einfach keinen Grund. Mich wundert ganz einfach, warum sich jemand die Mühe macht, einen Rachedämon zu rufen um einen Schuljungen zu töten.“

„Mich hast du für die Frage ausgelacht“, stellte Aiden trocken fest.

„Jetzt werd bloß nicht frech!“, warnte ihn der Dämon. „Außerdem“, fügte er mit einem genussvollen Lächeln hinzu, „bist du viel unterhaltsamer als du glaubst.“ Ehe Aiden noch etwas sagen konnte, spürte er schon eine Hand an seiner Schulter und Reel löste sich auf.
 

Aiden war schon viertel vor Drei am Haupttor. Lukas war nicht mitgekommen.

„Sag einfach mir wäre was dazwischen gekommen. Denk dir was aus.“ hat er zu Aiden gemeint und hatte ihn dann allein in die Eingangshalle geschickt. Pünktlich um Punkt 15 Uhr erschien auch Mara.

„Hi. Wartest du schon lange?“

„Nein. Bin auch gerade erst gekommen“, log Aiden. Suchend blickte sich Mara um.

„Kommt Lukas gar nicht mit?“

„Der hat noch Training. Er meinte wir sollten ruhig alleine gehen. Er hat sein Hemd ja schon.“

„Ach so, na dann. Wollen wir?“ Fröhlich schritt Mara voran.

Sie ließ ihn ein Hemd nach dem anderen anprobieren und kombinierte sie im Geiste mit verschiedenen Krawatten und Fliegen. Schließlich entschied sie: „Weinrot! Weinrot ist einfach deine Farbe. Hast du eine schwarze Krawatte?“ Aiden nickte. „Dann also das weinrote.“

Auf dem Weg zur Kasse blieb Mara erneut stehen. „Hier!“ Aiden zog die Augenbrauen hoch. „Wirklich?“

„Vertrau mir. Das wird gut aussehen.“ Sie hielt ihm einen Gürtel in reinem Weiß hin.

„Also gut. Dann also auch noch den weißen Gürtel“, gab sich Aiden lachend geschlagen.

„Und mit wem wirst du zu dem Tanz gehen“, fragte Mara bemüht beiläufig, während sie mit gespieltem Interesse die Auswahl auf einer Auslage betrachtete.

„Also... ich...“, druckste Aiden herum. „Ich hatte gehofft, vielleicht würdest du mit mir hingehen.“ Verlegen sah er zu ihr rüber. Mara wirkte ein wenig überrascht, fing sich jedoch schnell wieder, lächelte ihn an und antwortete fröhlich: „Gerne.“

Auf dem Weg zurück zur Bushaltestelle hakte sie sich unauffällig bei ihm ein und Aiden musste sich zusammenreißen um nicht breit zu grinsen.
 

Am nächsten Morgen erwachte Aiden zu einem recht ungewohnten Bild.

Reel hatte sich auf seinem Schreibtisch breit gemacht und las in einem seiner Bücher. Einige weitere lagen überall im Zimmer verstreut.

„Morgen?“, begrüßte Aiden seinen Mitbewohner vorsichtig.

„Deine Auswahl an Büchern ist gelinde gesagt schrecklich“, überging der Dämon ihn und ließ das Buch achtlos aus der Hand auf den Boden fallen.

Tatsächlich besaß Aiden fast ausschließlich Lehr- und Fachliteratur. Er war nun wirklich keine Leseratte. Wortlos erhob sich Aiden aus dem Bett, sammelte die Bücher auf und stellte sie als Stapel neben seinen Schreibtisch, auf dem Reel nun im Schneidersitz saß. Ohne ihn weiter zu beachten ging Aiden zum Bad – oder vielmehr war das sein Plan gewesen. Denn noch ehe er einen Fuß über die Schwelle setzen konnte, spürte er wie eine Hand ihm von hinten unsanft an die Kehle griff.

„Ich mag es gar nicht“, hörte er den Dämon direkt an seinem Ohr, „wenn man mich ignoriert.“

Reels scharfe Fingernägel bohrten sich in seinen Hals, aber Aiden zwang sich ruhig zu bleiben.

„Ich kann mich immer noch dafür entscheiden, dich gleich zu töten oder dir zumindest weh zu tun.“ „Schon gut. Schon gut. Tut mir leid“, presste Aiden hervor und im nächsten Moment hatte Reel sich schon wieder aufgelöst.

„Du machst mich echt fertig, weißt du das?“ Natürlich wusste er das. Genau das war ja sein Ziel.

Mit noch immer pochendem Herzen machte Aiden sich fertig für den Unterricht.
 

„Morgen.“

„Wie lief's?“, überging nach Reel nun auch Lukas Aidens Begrüßung.

„Sie geht mit mir auf den Ball.“

„Na das ist doch perfekt. Ich hab dir gesagt das klappt. Glückwunsch, man.“

Der Schrecken des Morgens saß ihm noch etwas in den Knochen, als die beiden Jungen den Klassenraum betraten. Immer wenn er glaubte ein wenig besser mit Reel auszukommen, erinnerte ihn dieser daran, dass er doch nur ein Dämon und ein Arschloch war.

Doch selbst von einem Dämonen-Arschloch würde er sich die Freude auf den Ball nicht verderben lassen. Nun musste er bloß noch bis dahin am Leben bleiben.
 

Auf dem Weg zu seinem Zimmer machte Aiden kurzentschlossen noch einen Umweg in die Bibliothek.

Er entschied sich für einen Krimi, eine Science-Fiction Novelle und einen Historienroman. Die Fantasy und Mystery Abteilung überging er großzügig. Wieder in seinem Zimmer sortiert er seine Lehrbücher in den Schrank und legte seine drei Leihexemplare quer darüber. Er durfte nicht vergessen sie vor Ablauf der Leihfrist zurückzubringen.

Es war Aiden lieber, wenn Reel in der Nacht las, als wenn er auf dumme Gedanken käme. Mit dem Sehen und Lesen in der Dunkelheit schiene der Dämon ja anscheinend keinerlei Probleme zu haben.

Und tatsächlich saß Reel am nächsten Morgen mit der Sci-Fi Novelle auf dem Schreibtisch, während Krimi und Historienroman ordentlich neben ihm auf dem Tisch lagen.

„Morgen“, begrüßte ihn Aiden ein Lächeln unterdrückend.

„Morgen“, kann es etwas später von Reel zurück, ohne dass er jedoch von seinem Buch aufsah.

Während er sich fertig machte, schielte Aiden immer wieder zu dem Schatten rüber, doch dieser las konzentriert weiter und schien seine Blicke gar nicht zu bemerken. Er hatte das Buch bereits zu gut drei Vierteln durchgelesen.

Als Aiden in die Knie ging um seine Schuhe anzuziehen, legte Reel es dann doch zu den beiden anderen auf den Tisch und ging mit einer Berührung von Aidens Kopf in diesen über.

So brachte Aiden Reel alle paar Tage eine neue Auswahl an Büchern mit und Reel machte ihm zum Dank das Leben nicht ganz so schwer.
 

„Was passiert eigentlich mit dir, wenn du dein Opfer getötet hast?“, fragte Aiden irgendwann. Er machte gerade Hausaufgaben an seinem Schreibtisch, während Reel ausgestreckt auf dem Bett lag – den dritten Band von 'Das Lied von Eis und Feuer' in den Händen. (Zu Aidens Überraschung war der Dämon tatsächlich ein Enthusiast von Fantasy-Romanen.)

Der Angesprochene sah von seinem Buch auf. „Ich schlafe. Und das so lange, bis die nächste arme Seele mit mir verflucht wird.“

„Kling ziemlich langweilig.“

„Verstehst du jetzt, was ich mit 'du bist unterhaltsamer als du glaubst' meinte?“ Aiden nickte stumm. Das erklärte warum der Dämon so lange bei ihm blieb ohne ihn zu töten. Solange Aiden lebte war Reel ein gewisses Maß an Freiheit gegeben. Schweigend machte er sich wieder an seine Englischaufgaben.
 

Die Tage verliefen für Aiden selten so gut, wie in letzter Zeit. Und das, obwohl er mit einem Rachedämon verflucht worden war. Mit diesem kam er zunehmend besser zurecht.

Sie hatten einen unausgesprochenen Pakt – Reel würde Aiden am Leben lassen, um selbst etwas leben zu können und Aiden ermöglichte es ihm dafür, dieses bisschen Freiheit bestmöglich zu nutzen. Er würde nicht so weit gehen zu sagen, dass ihm sein Leben mit Reel besser gefiel, aber es war auf jeden Fall spannender und ganz und gar nicht mehr durchschnittlich.

Der Dämon musste sich immer innerhalb eines Radius von ca. 200 Metern um sein Opfer aufhalten. Andernfalls begann das Mal auf Aidens Schulter höllisch zu schmerzen und Reel spürte den selben Schmerz in seiner Brust.

Folglich konnte er sich nur in diesem kleines Radius frei bewegen, doch entgegen aller Befürchtungen, gewöhnten sich beide recht schnell an die dauerhafte Anwesenheit des anderen. Reel war es durch seiner früheren Opfer sowieso gewohnt und seine Lese-Affinität ließ ihn oft stundenlang still in einer Ecke sitzen, was Aiden seinen nötigen Freiraum brachte.

Doch was für den Jungen ein noch größerer Grund zur Freude war: Mara flirtete ihn immer wieder verhalten an und Aiden gab sein Bestes um es ihr möglichst charmant gleichzutun.
 

So verflogen die Tage und der Abend des Schulballs kam.



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