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Lokis Strafe

von

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Schmerz

Als Fandral weg war, stöhnte Loki leise auf. Die Worte waren wie Dolchstösse gewesen und brannten in seinem Herzen. Dieser Schmerz! Würde es denn nie besser werden? Würde er es nie schaffen, mit Gleichgültigkeit auf solche Sätze zu reagieren?
 

Doch noch während er sich das verzweifelt fragte, wusste er, dass es sinnlos war. Nein, es würde ihn weiterhin treffen – bis ans Ende seines elend langen Lebens... das er wohl in diesem Käfig verbringen würde.
 

Ihn fröstelte, und das lag nicht an der Kälte. Diese nahm er zwar durchaus wahr, aber nicht so quälend, wie es hätte sein können: dafür sorgte seine eigentliche Natur. Für einen Frostriesen wie ihn war der Winter im Grunde genommen die beste Jahreszeit, Kälte das ureigenste Element.
 

Dummerweise war er durch die jahrhundertelange, auf ihm liegende Magie, die ihn äusserlich in einen Asgardianer verwandelte, auch innerlich immer mehr zu einem geworden. Sprich: er war nur noch halb so unempfindlich gegenüber den frostigen Temperaturen wie einst.
 

Doch der Grund für sein Zittern lag momentan eindeutig nicht an den äusseren Umständen. Nein, was ihn erbeben liess, war die dunkle Schwärze der Verzweiflung, die in ihm tobte. Dies, und die noch viel grauenhaftere Erkenntnis, dass Fandral – wie vor ihm so viele andere! – durchaus die Wahrheit gesagt hatte: er bekam, was ihm zustand.
 

Doch obwohl das stimmte: gab es denn wirklich keinen, der wenigstens einen Hauch von Erbarmen verspürte? Seit rund einem halben Jahr sass er in diesem Käfig, öffentlich blossgestellt, vollkommen erniedrigt und entehrt, ohne Nahrung, ohne Wasser, ohne Schutz… Davor hatte man ihn gefoltert, hatte ihm mit der magischen Peitsche über zweitausend Hiebe versetzt. Einen Schlag für jedes Menschenleben, das er auf Midgard genommen hatte. Mit einer Peitsche, die ihn nicht verletzte, keine Spuren an seinem Körper hinterliess, die ihre Magie sowieso nur durch die Kleider hindurch entfaltete (weshalb man ihm das Hemd, das er immer noch trug, nicht ausgezogen hatte), ohne auch nur einen Kratzer auf dem Stoff zu hinterlassen, dabei aber doppelt so grausam schmerzte wie es eine normale Peitsche tat… Die Vorteile des grässlichen Instrumentes waren klar: es hinterliess ein Opfer, das unversehrt blieb, ganz gleich wie oft es gefoltert wurde, dem man nichts ansah, weshalb man theoretisch behaupten konnte, dass gar nichts geschehen war, und verursachte dennoch eine Pein, die alles überstieg, was man in Worte fassen konnte. Die perfekte Strafe also für ein Monster wie ihn!
 

Und natürlich hatte man ihn genauso öffentlich ausgepeitscht, wie man ihn jetzt zur Schau stellte. Ja, er hatte sogar jeden Tag das ‘Vergnügen’, den Ort seiner Bestrafung im Blickfeld zu haben: das halbhohe Gerüst, an das man ihn damals kniend angekettet hatte, stand nur wenige Meter von ihm entfernt. Die schweren eisernen Ketten baumelten noch immer herab und klirrten bei jedem Windhauch.
 

Mehr tot als lebendig hatte man ihn nach der Folter in diesen Käfig geworfen – und seitdem sass er hier drin. Tagaus, tagein. Ohne Hoffnung, ohne Aussicht auf eine Verbesserung der Umstände, sei sie noch so gering, Wind und Wetter ebenso schutzlos preisgegeben wie den Asgardianern, die zwar nicht mehr wie anfangs in Scharen kamen, um sich an seinem Elend zu weiden, aber trotzdem immer noch in genügend grosser Zahl auftauchten, dass es reichte, um jeden Tag mehrmals solche Begegnungen wie eben mit Fandral über sich ergehen lassen zu müssen. Und in all der Zeit hatte er ausser Verachtung, Zorn und Spott nichts zu hören bekommen. Kein einziges, auch nur halbwegs freundliches oder gar tröstliches Wort… Ja, er war ein Monster, ein Ungeheuer, und als solches wurde er behandelt.
 

Fandral war das erste Mal gekommen, sah man davon ab, dass er natürlich an vorderster Front gestanden hatte, als Loki ausgepeitscht worden war. Doch seitdem hatte er weder ihn noch einen anderen der ‘Grossen Drei’ zu Gesicht bekommen. Genauso wenig wie Lady Sif. Oder Thor. Von Odin ganz zu schweigen…
 

Nicht, dass er sich darüber beschwert hätte. Er konnte auf ihre ‘Besuche’ wahrlich verzichten. Es reichte schon, was die übrigen Asgardianer ihm so alles an den Kopf warfen – auf das, was er von einem von ihnen zu hören bekommen würde, war er wirklich nicht scharf. Nur eine einzige Person vermisste er schmerzlicher als er es sich eingestehen wollte, und die Tatsache, dass sie mit Sicherheit aus den gleichen Gründen nicht kam, aus denen wohl auch Thor und Odin fernblieben, zerriss ihn innerlich in tausend Stücke.
 

Ja, Frigga verachtete und verabscheute ihn genauso sehr wie alle anderen. So sehr, dass es offenbar unter ihrer Würde war, ihn in seinem jetzigen Zustand auch nur anschauen zu wollen.
 

Doch nachdem heute Fandral hier gewesen war, war Loki beinahe dankbar dafür. Er wusste, dass er alles irgendwie ertragen konnte, was über ihm ausgegossen wurde – von allen und jedem. Doch etwas Ähnliches von Frigga zu hören, das würde ihn umbringen… Wenn nicht buchstäblich, so doch innerlich. So wenig inzwischen auch von ihm übrig war: würde sie kommen und ihn verspotten oder ihm ihre Verachtung ins Gesicht schleudern, wäre auch der letzte kleine Rest von ihm weg. Dann wäre er wirklich nur noch das elende zitternde Wrack, zu dem er ohnehin immer mehr wurde…
 

Stöhnend vergrub er den Kopf in den Händen. ‘Sterben,’ zuckte es verzweifelt durch sein Gehirn, ‘wenn ich doch nur sterben könnte…’
 

Das hatte er auch gedacht, als sie ihn endlich von diesem Gerüst losgebunden und in den Käfig geworfen hatten. Die Schmerzen, die in ihm getobt hatten, hatten ihm fast die Luft zum Atmen genommen. Ganz am Anfang hatte er versucht, nicht zu schreien, bis er es nicht mehr ausgehalten und seine Qual hinausgebrüllt hatte. Bis heute wusste er nicht, was lauter in seinen Ohren gedröhnt hatte: seine verzweifelten Schreie oder das frenetische Gebrüll der Leute, die sich an seiner Qual weideten… Irgendwann hatte ihn dann die Kraft zum Schreien verlassen, und so ungefähr nach dem tausendsten Hieb hatte er nicht einmal mehr stöhnen können.
 

Als es vorbei gewesen war, hatte er gehofft, dass es zum Sterben reichen würde – im Wissen, dass es nicht so sein würde. Schliesslich hatte ihm Odin gesagt, dass er ihn nicht töten würde. Trotzdem: entgegen jeglicher Vernunft hatte er sich den Tod herbeigesehnt. Und dabei hatte er noch nicht mal ansatzweise geahnt, dass die entsetzlichen Qualen nicht das Schlimmste sein würden. Das kein körperlicher Schmerz jemals an den heranreichen konnte, den er jetzt in seiner tiefsten Seele empfand…



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