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Lokis Strafe

von

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Der Besuch

Loki sass einfach nur da. Die Augen leer und trostlos, der Blick ohne Hoffnung. Sein Atem ging schwer, aber ansonsten bewegte er sich nicht. Die Hände lagen in seinem Schoss, die langen schlanken Finger zitterten leicht. Er war abgemagert und noch blasser als sonst, die schulterlangen Haare nicht wie in früheren Tagen ordentlich zurückgekämmt, sondern wirr und ungepflegt.
 

Er trug ein grünes Baumwollhemd, dessen oberste zwei Knöpfe offenstanden, und lange Hosen in derselben Farbe. Die Füsse steckten nicht wie einst in eleganten Lederstiefeln sondern in einfachen halbhohen Schuhen, die unter dem Hosensaum verschwanden. Sie waren dünn, genauso dünn wie die Kleidung. Es war inzwischen tiefster Winter und der Käfig stand noch immer an der gleichen Stelle, an der er sich seit Mitte dieses Jahres, seit man Loki hineingeworfen hatte, befand: auf der Seite des grossen Richtplatzes in der Mitte der Stadt. Da, wo jeden Tag unzählige Asgardianer vorbei gingen und er ihren verächtlichen Blicken, ihrem offenen Hohn, ihren spitzen Bemerkungen voller Genugtuung und ihrem Zorn schutzlos preisgegeben war. Genauso schutzlos wie dem Wetter...
 

Fandral trat ganz nahe an den Käfig heran und blickte auf Loki hinunter. Das Gefängnis war gerade lang genug, dass sich der Eingesperrte einigermassen hinlegen konnte, doch nur so hoch, dass es zum Sitzen reichte – stehen konnte er darin nicht. Alle vier Seiten sowie das Dach waren vergittert, sodass er in Kauf nehmen musste, die eiskalten Metallstäbe im Rücken zu spüren, wenn er sich irgendwo anlehnen wollte. Eine zusätzlich zur Kälte auch noch äusserst unbequeme Position. Trotzdem sass Loki genauso da: Kopf und Rücken resigniert an die Gitterstäbe gelehnt, fast so, als habe er gar nicht mehr die Kraft, eine andere Stellung einzunehmen.
 

Als Fandral zu sprechen begann, schlossen sich Lokis Augen flüchtig, ehe er sie wieder öffnete und seinen ehemaligen Waffengefährten und Thors besten Freund trostlos anschaute. Er hörte zu, ohne eine Antwort zu geben, und reagierte nicht auf die grausamen Worte.
 

«Na Loki, wie fühlt man sich so als Liebling des Volkes?» spottete Fandral. «Was ist das für ein Gefühl, wenn man jeden Tag hundertmal zu hören bekommt, was für ein toller Prinz man doch ist?»
 

Loki erwiderte nichts, seine müden Augen richteten sich weiterhin auf Fandral. Dieser war ein wenig verunsichert und versuchte, es hinter gespielter Härte zu verbergen: «Weisst du nicht, dass du zu antworten hast, wenn du etwas gefragt wirst? Ich dachte, du hättest deine Lektion gelernt und inzwischen begriffen, wie sich ein Stück Dreck wie du zu benehmen hat!»
 

Der Gefangene schluckte. Ganz flüchtig schlossen sich seine Augen wieder, ehe er langsam sagte: «Entschuldige, Fandral. Ich wusste nicht, dass du... eine Antwort erwartest. Ich dachte, du spottest nur.»
 

Diese Stimme! Fandral trat unwillkürlich einen Schritt zurück, von Lokis Tonfall mehr geschockt als von seinem Äusseren. Die Silberzunge, deren Stimme immer alles und jeden in ihren Bann gezogen und damit um den Finger gewickelt hatte, klang nun derart tonlos und alt, als würde sie aus einem Grab kommen. Doch was ihn am meisten entsetzte war die absolute Hoffnungslosigkeit und der furchtbare Schmerz darin. Fandral musste seine ganze Kraft zusammen nehmen, um seine jäh aufflammende Betroffenheit zu verbergen.

«Nein, ich erwarte eine Antwort.» entgegnete er schroff– schroffer, als ihm zumute war. «Und eine ehrliche, wenn ich bitten darf!»
 

«Was willst du denn von mir hören?» gab Loki wiederum tonlos zurück. «Es braucht doch sicher nicht besonders viel Fantasie, um sich in etwa auszumalen, wie man sich fühlt, wenn man jeden Tag solche Sprüche wie die von dir eben an den Kopf geworfen bekommt, oder?»
 

Die Antwort hätte man als pure Frechheit abtun können, wenn sie nicht so völlig durchtränkt gewesen wäre von Erschöpfung, Resignation und Trostlosigkeit.
 

Fandral straffte sich – und dann erinnerte er sich plötzlich daran, dass Loki ein meisterhafter Schauspieler war. Spielte er ihm etwa gerade den völlig Resignierten vor, um sein Mitleid zu erwecken? Seine Betroffenheit wandelte sich in Wut und Verachtung. «Du bekommst, was du verdienst!» schnappte er und spuckte Loki vor die Füsse. «Ich wollte nur sichergehen, dass dir das mal jemand sagt.»
 

Loki stiess ein Lachen aus – kurz und freudlos. «Ich kann dich beruhigen, Fandral: du bist nicht der erste, der mir das sagt. Genau genommen...» Das Lachen verschwand, «...hat es noch fast keiner versäumt, mir das zu versichern.»
 

«Erwartest du jetzt etwa Mitleid von mir?» Fandrals Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn. Zumindest war er überzeugt davon, dass es Wut war, die in ihm tobte.

Loki fuhr sich mit einer müden Geste über die Augen und erwiderte leise: «Keine Angst, das tue ich bestimmt nicht.»
 

«Gut! Denn Mitleid ist so ungefähr das letzte Gefühl, das ich jetzt empfinde.» Sprach’s und machte auf dem Absatz kehrt.
 

Doch noch während er eilig davonschritt, wusste Fandral, dass er sich eben selbst belogen hatte. Mitleid war durchaus eines der Gefühle, die in ihm tobten... nebst Betroffenheit, Entsetzen und Verwunderung.
 

Verwunderung darüber, dass Loki so ruhig dasitzen und seine verbalen Attacken über sich hatte ergehen lassen können - ohne zu schreien, ihn zu verwünschen oder...
 

...um Erbarmen zu betteln.



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