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Broken Melody

Can't you hear my voice?
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
WARNING!!! SUICIDE MENTIONS !!! Komplett anzeigen

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Our Scars Part 3

Mein Handy reißt mich aus dem Schlaf und während ich gähnend nach dem mobilen Gerät greife, frage ich mich wer mich um die Uhrzeit anruft. Allerdings fällt mir der Name ins Auge, bevor ich die Uhrzeit erkennen kann und eine eiskalte Hand greift nach meinem Herzen und umschließt es, während ich den Anruf annehme. „Masa!“ Für einen kurzen Moment herrscht Stille am anderen Ende der Leitung, dann höre ich ein Knistern, gefolgt von einem Schniefen und einem leisen „Miyu.“ Mittlerweile habe ich mich aufgesetzt, streiche mir die wirren Haare aus dem Gesicht und versuche an etwas zu denken, dass mich von der wachsenden Panik in meinem Inneren ablenkt. „Was ist passiert? Wo bist du?“ Meine Gedanken rasen, überschlagen sich nahezu, während ich mich an mein Handy festklammere und versuche ruhig zu atmen. Woher kommt nur dieses grauenvolle Gefühl in meinem Inneren? „Ich hab dich wahnsinnig lieb, Miyu.“ Masas Stimme ist immer noch leise, aber ich kann auch keine typischen Hintergrundgeräusche ausmachen wie Autos oder Werbedurchsagen, was mich irritiert. Wenn er mich um so eine Uhrzeit anruft, dann meist nur weil er betrunken ist, aber er klingt völlig nüchtern. Keine Kumpels, die im Hintergrund grölen oder ihm feixend miese Sprüche zuwerfen. Aber da ist so ein seltsames Pfeifen. „Masa lass das. Du machst mir Angst.“ Ich runzle die Stirn, während ich vom Bett rutsche, um mir Klamotten aus dem Schrank zu ziehen. Nur in Shorts und einem Top sollte ich wohl nicht vor die Tür.
 

Vor allem nicht mitten in der Nacht, immerhin ist es dunkel draußen. „Es tut mir leid. Du weißt, dass du immer meine beste Freundin sein wirst, ja?“ Ich verdrehe die Augen, mittlerweile bin ich mir nicht sicher ob er nicht doch betrunken ist - oder schlimmer - auf irgendwelchen Drogen. „Masa…Natürlich. Und du wirst auch immer mein bester Freund sein. Und deswegen komm ich dich jetzt abholen, sag mir einfach, wo du bist, ja? Ich nahm ein Taxi und bring dich nachhause.“ Er lacht trocken, was mich erschaudern lässt - was ist an dieser Aussage denn so amüsant? „Oh Miyu…“ Für einen Moment herrscht Schweigen zwischen uns, welches ich nutze um den Lautsprecher anzumachen und das Handy kurz abzulegen, dass ich mich umziehen kann. Als ich das Telefon wieder in die Hand nehme, höre ich ihn schluchzen und erstarre. Ich habe Masa nicht mehr weinen sehen oder hören, seit wir Kinder waren. Seit damals, als er mir gestanden hat, dass er vermutlich schwul ist. Jetzt wo ich so darüber nachdenke, kommt es mir seltsam vor. Aber zu sagen, dass wir uns die letzten Jahre nicht voneinander entfernt haben wäre auch eine Lüge gewesen. Und zwischen dem Schulstress, meiner Beziehung mit Aya und dem Druck, mir vor meinen Eltern nichts anmerken zu lassen, dass ich nicht mehr das Mädchen bin, welches sie so gerne haben wollten, ist der Kontakt zu Masa etwas eingerostet.
 

Wenn man eben von den Anrufen absieht, wenn er betrunken war. „Bitte rede mit mir, Masa.“ Meine Stimme zittert, sie ist eigentlich nur noch ein Flüstern, während die eisige Hand mein Herz komplett umschließt und zuzudrücken beginnt. Ich muss schlucken, als keine Antwort kommt und wiederhole deswegen seinen Namen etwas lauter. „Masa, bitte.“ Allerdings reagiert er immer noch nicht und langsam beginnt sich der Raum um mich zu drehen, während ich innerlich bete dass das hier nur ein Alptraum ist. „MASA!“ Das Schluchzen setzt wieder ein, jedoch lauter als davor, als würde er sich das Handy wieder ans Ohr pressen und ich bin kurz davor selbst zu weinen. Was ist denn nur mit ihm los? „Ich hab dir eine Email geschickt…Lies sie bitte, ja?“ Ich runzle die Stirn, bevor ich das Handy vom Ohr nehmen will, jedoch zusammen zucke als er ein hektisches „Nicht jetzt!“ An seinen Satz hängt. Ich muss seufzen. Was auch immer es ist, es muss ihm ja wahnsinnig viel bedeuten. „Ok. Ich les sie später.“ Das scheint ihn zu beruhigen, denn das schluchzen stoppt. „Ich würde dich so wahnsinnig gerne nochmal sehen, weißt du.“ Ein neues Hintergrundgeräusch lenkt mich etwas von seinen Worten ab und ich verlasse mein Zimmer um mit wackligen Beinen nach unten zu gehen und meine Schuhe anziehen zu können. Waren das seine Schritte auf Kies? „Was redest du denn da? Wir treffen uns doch morgen.“
 

Kopfschüttelnd schlüpfe ich in meine Stiefel, lege das Handy zur Seite um mir einen Hoodie überziehen zu können. „Ich kann nicht mehr.“ Dieses Mal ist es, als würde er mir diese Worte nur noch zuflüstern und ich erstarre mitten in der Bewegung, das Handy ans Ohr gepresst, während mir abwechselnd heiß und kalt wird. „Mach keinen Scheiß.“, fauche ich ihn im nächsten Moment an, mein Herz rast so schnell, dass ich mein Blut in den Ohren rauschen höre, während ich meinen Schlüssel nehme und das Haus verlasse, mich panisch umsehend. Ich denke nicht mehr daran, dass ich Geld brauche um ein Taxi anzuhalten. Dass in der Nachbarschaft keine Taxen fahren um diese Uhrzeit. Oder dass die letzte Bahn vermutlich schon längst weg ist. Alles an dass ich denken kann in diesem Moment ist, dass ich mittlerweile weiß woher ich dieses Geräusch von Schuhen auf Kies kenne. „Masa…“ Ich renne die Straße entlang, in Richtung seines Zuhauses, aber ich weiß, er wird nicht dort sein. „Ich liebe dich, Miyu. Du bist das Beste was ich je hatte im Leben.“ Jetzt bin ich es, die schluchzen muss und automatisch renne ich schneller auch wenn ich immer noch keine Ahnung habe, wohin. Ich weiß doch nicht mal, wo Masa ist, er kann sich überall aufhalten. Überall wo sich ein Hochhaus befindet. „Ich komm dich abholen, Masa, bitte, warte auf mich, ja?“ Er lacht, leise, traurig, gefolgt von einem herzzerreißenden Schluchzen dass mir ins Herz schneidet und mir die Tränen in die Augen treibt.
 

Ein eisiger Wind erhebt sich plötzlich und lässt mich erschaudern als mir bewusst wird, dass ich ihn auch durchs Telefon pfeifen hören kann. „Masa?“ Fast zaghaft sage ich seinen Namen, traue mich kaum, ihn überhaupt auszusprechen, während ich an der Kreuzung angekommen bin, welche wir früher immer überquert haben um zu unserer Schule zu gelangen. Hektisch lasse ich den Blick schweifen, das Schulgebäude ist nicht hoch genug. Natürlich nicht. Verfluchte Scheiße. „Masa, ich liebe dich. Bitte…bitte warte auf mich!“ Langsam kommt die Bahnstation in Sicht und ich muss mir über die Augen wischen. Meine Lungen und meine Beine protestieren, aber irgendwo hier sollte ich doch ein Taxi finden können. Hoffentlich. „Masa…“ Dieses Mal ist es nicht mehr als ein Aufschluchzen, während ich einen Blick auf die große Uhr vor mir werfen kann. Drei Uhr morgens. Die nächste Bahn fährt erst um sechs Uhr. „Goodbye, Beautiful.“ Ich erstarre, als ich seine Stimme wieder höre. Dieses Mal ist sie ruhig, bar jeglicher Emotionen. Als hätte er mit allem abgeschlossen und ich weiß, dass ich zu spät bin. „Masa…“ Mehr bringe ich nicht über die Lippen, bevor die Verbindung plötzlich unterbrochen wird und für einige Sekunden starren ich auf mein Handy - es liegt nicht am Akku.
 

Also hat er wirklich aufgelegt. Meine Beine geben nach, während ich mit zitternden Fingern seine Nummer wähle. Es klingelt. Ein Mal. Zwei Mal. Drei Mal. Mittlerweile erkenne ich meine Umgebung gar nicht mehr, weil ich so heftig weinen muss. Nach dem zehnten Klingeln lege ich schließlich auf und rufe die Polizei. Es fällt mir schwer, mich überhaupt zu konzentrieren und die Beamten müssen unzählige Male nachfragen bis sie überhaupt eine vernünftige Information aus mir heraus bekommen, versprechen aber, meinem Verdacht nachzugehen. Danach lasse ich das Handy sinken und starre einfach nur vor mich hin ins Leere, während ich bete, dass nichts passiert ist. Dass Masa einfach nur betrunken und traurig war. Von mir aus auch vollgepumpt mit Drogen. Aber am Leben. Wie lange ich auf dem Boden sitze und nichts tue, weiß ich gar nicht, irgendwann werde ich angesprochen. Zuerst von einem Passanten, dann von einem Polizisten. Weil ich kaum reagiere, ruft der Polizist einen Notarzt, welcher schließlich aus mir heraus bekommt, was passiert ist. Ich bekomme ein Beruhigungsmittel gespritzt und der Polizist bringt mich nachhause. Dort angekommen verabschiedet er sich und ich gehe langsam ins Wohnzimmer wo ich mich aufs Sofa fallen lasse und an die Wand starre. Ich fühle mich immer noch wie betäubt. Vermutlich vergehen Stunden, die ich so sitze und darauf warte, dass etwas passiert. Als mein Handy klingelt, lasse ich es fallen und es dauert, bis ich es schaffe, es aufzuheben und den Anruf anzunehmen - es ist Masa.
 

Oder zumindest dachte ich es, bis die Stimme am anderen Ende der Leitung erklingt. Es ist nicht Masa, sondern ein Polizist der Masas Handy auf dem Dach eines Hochhauses gefunden hat. Ein Hochhaus dass schon vielen Menschen den Weg in ein besseres Leben gezeigt hat. Kein einziges Mal fällt das Wort Selbstmord während dem Telefonat, aber ich weiß dass es zu spät ist. Masa ist gesprungen und ich konnte ihn nicht aufhalten. Der Polizist stellt mir Fragen die ich kaum beantworten kann, irgendwann meint er, er wird eine Streife vorbei schicken, weil sie klären wollen ob Masa nicht doch vom Dach gestoßen wurde. So tröstlich der Gedanke für einen Moment auch ist, weiß ich genau, dass es Schwachsinn ist zu hoffen. Ich habe ihn gehört, mit ihm geredet. Wer verabschiedet sich denn, bevor er ermordet wird? Das ist vielleicht in Filmen so, aber nicht in der Realität. Nachdem auch dieses Telefonat beendet ist, beginnt alles vor meinen Augen zu verschwimmen, aber ich schaffe es, aufzustehen und mich nach draußen zu setzen, auf die Treppe vor dem Haus. Ich will nicht, dass meine Eltern irgendetwas davon mitbekommen. Vor allem will ich nicht, dass sie denken, ich hätte irgendetwas verbrochen, weil die Polizei bei uns klingelt. Der Rest der Nacht verschwimmt zu einem Strudel aus bunten Farben und Formen, während ich der Polizei erkläre, wieso ich der Hauptkontakt in Masas Handy bin und was er mir gesagt hat, bevor er gesprungen ist.
 

Ich lasse sie sogar die Email lesen, welche Masa mir geschickt hat. Es ist ein Abschiedsbrief, ausführlicher als das was er mir gesagt hat. Mit Erklärungen, die deutlich beweisen, dass er seinen Selbstmord seit langer Zeit geplant hat. Ich frage mich, wieso er mir nie etwas davon erzählt hat, während ich auf den braunen Schreibtisch vor mir starre. Aus seiner Email geht hervor, dass er von seinen Klassenkameraden massiv gemobbt und regelmäßig geschlagen wurde. Sogar von Vergewaltigung ist die Rede. Mir wird schlecht, je länger ich die Augen über die Zeilen gleiten lasse, die Masa geschrieben hat. Wie können Menschen nur so grausam sein? Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder zurück zuhause bin, kann ich immer noch nicht glauben, dass das alles passiert sein soll. Kopfschüttelnd lasse ich mich aufs Bett sinken und es dauert nicht lange, bis ich eingeschlafen bin. Als ich wieder aufwache ist es Nachmittag und ich sehe mich verwirrt in meinem Zimmer um, bevor ich kopfschüttelnd nach dem Handy greife um Masa zu schreiben. >Ich hatte einen echt bescheuerten Traum. Erzähl ich dir beim Kaffee, ist zu viel zum Tippen, bis gleich< Die Nachricht ist schneller abgeschickt, als ich nachdenken kann. Und erst als ich aus der Dusche komme, fällt mir auf, wie merkwürdig es ist, dass er die Nachricht nicht gelesen hat.
 

Die Woche vor der Beerdigung verbringe ich damit, meine Sachen zu packen und mir ein Flugticket zu kaufen. Ich halte es in diesem Land keine Sekunde länger als nötig aus und ich werde die Schule nicht beenden. Meine Eltern wissen noch nichts davon, aber um sicherzugehen, habe ich mir so viel Geld wie möglich bereits auf ein zweites Konto überweisen lassen, welches meine Eltern damals ebenfalls vor mich angelegt hatten. Es ist eigentlich nur dafür da, dass ich in Notfällen abgesichert bin, falls mein Ehemann sich in einer finanziellen Krise befinden sollte, aber im Moment ist es das Geld, welches mein Überleben sichern wird. Seit dem Tag, an dem Masa gesprungen ist, habe ich mit meinen Eltern kein Wort mehr gesprochen und auch die Beerdigung über, vermeide ich es, ihnen zu nahe zu kommen. Masas Mutter schaffe ich es ebenfalls auszuweichen, auch wenn ich weiß, dass es nicht fair ist. Aber es gibt nichts, was ich tun kann um ihr den Schmerz zu nehmen. Und ich will mit ihr nicht über das reden, was passiert ist. Ich will mit niemandem reden. Die Beerdigung über starre ich auf einen unbestimmten Punkt vor mir, blende einfach alles um mich herum aus. Irgendwann jedoch ist es vorbei und ich kann nicht anders, als erleichtert aufzuatmen. Ich kann hier nichts mehr für Masa tun. Und wenn ich will, dass er stolz auf mich ist, muss ich neu anfangen.
 

Der Weg zum Flughafen erscheint mir unwirklich, alles fühlt sich seltsam an, als wäre es in Watte gepackt. Als ich das Gate schließlich erreiche, wartet Aya bereits auf mich, welche mich wortlos in die Arme zieht. Ich bin ihr nichtmal böse, dass sie nicht auf der Beerdigung war. Hätte ich eine Wahl gehabt, wäre ich auch nicht da gewesen. Aber ich musste. „Bereit, Sayuri?“ Sie streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und ich nicke stumm. Das wird mein neuer Name sein. Sayuri Cooper. Sobald wir in Amerika angekommen sind, werde ich mir einen neuen Ausweis besorgen. Denn meinen alten Namen kann ich nicht mehr ertragen. Ich habe immer noch Masas Stimme im Ohr, die meinen Namen sagt und es schnürt mir jedes Mal die Kehle zusammen. „Keine Sorge, ich werde dich zur besten Sängerin machen die es gibt. Das verspreche ich dir!“ Sie grinst und ich nicke erneut, immerhin ist das genau der Plan. Zu singen. Ich will lernen, meine Stimme zu nutzen. Masa stolz zu machen. Und vor allem will ich das tun, was mir Spaß macht im Leben und damit mein Geld verdienen. In Japan werde ich das alles nie erreichen können. Egal wie lange es dauert, ich werde erst zurück kommen, wenn ich sicher bin, dass meine Stimme gehört werden wird. Es wird vermutlich schwer werden, immerhin kenne ich nicht viele Mädchen die davon träumen, Rocksängerin zu werden, aber ich habe Aya die mir den Rücken stärkt. Und die Erinnerung an Masa welche ich auf ewig in meinem Herzen bewahren werde.



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