Zum Inhalt der Seite

Sana

tortured souls
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Das Gewölbe

Nach einer Stunde Fußmarsch, es wird schon wieder hell, erreichen wir die große Lichtung. Wir kommen am Welpenplatz vorbei. Ringsumher liegen Leichen verstreut, Alte, Frauen, Kinder, den Schwangeren haben sie sogar die Bäuche aufgeschlitzt. Überall kauern weinend, schreiend, bettelnd, flehend, die Krieger und Kriegerinnen unseres Stammes.

Ich sehe Antres und unseren Vater die neben einer der Schwangeren hocken. Ich möchte zu Ihnen, aber mein Körper bewegt sich nicht. Ich hänge immer noch im Arm desjenigen der mich hergetragen hat. Schlaff, als wäre ich einer der Toten um mich herum.

„Sana!“ -

Ich drehe den Kopf zur Seite, sehe wie mein Großvater gefolgt von dem Schamanen auf mich zu kommt. Sie bleiben vor uns stehen. Mein Opa streicht mir die wirren Haare aus dem Gesicht, schaut mir in die Augen.

„Häuptling! Sie steht unter Schock, soll ich sie zu den anderen Verletzten bringen?!“

Bestimmt schüttelt er den Kopf -

„Nein! Gib sie mir, ich werde mich um meine Enkelin kümmern.“

Vorsichtig übergibt mich der Krieger. Großvaters Gesicht ist ausdruckslos. Keine Trauer, keine Wut, eine undurchdringliche Maske.

Er bringt mich zum Kolosseum. Auf dem Weg durch die Bäume erinnere ich mich, wie ich glücklich und aufgeregt durch diesen Wald getrabt bin. Wir erreichen die obere Kante der Tribünen. Ich werde durch den Vorhang aus Lianen und Blättern getragen, welcher den Eingang nach unten versteckt.

Der Schamane geht voraus, führt uns durch Gänge die mir noch nie aufgefallenen waren. Wir kommen in ein Gewölbe deren Dach nur aus Ästen besteht. Fackeln gibt es hier keine, der gesamte Raum wird nur vom Schein des Mondes und der Sterne erhellt. In der Mitte liegt etwas. Wir gehen näher heran. Es ist ein Körper. Opa setzt mich auf den Boden, neben den Leichnam.

Ich sehe mir das Gesicht an, den leicht geöffneten Mund, mit dem Hauch eines Lächeln auf den Lippen, die schmale Nase, die große Narbe, welche sich über die gesamte linke Wange vom Kinn bis zum Auge zieht, die fahle Haut, die sonst kräftig Braun-Rot war. Und die geschlossenen Augen, die wirken als könnten sie jeden Moment wieder aufgeschlagen werden. Ich rutsche näher heran, Strecke die Hand aus. Vor mir liegt mein Bruder.

Meine Brust schnürt sich zu. So wie er da liegt hätte er auch nur schlafen können, wäre da nicht das Loch in seiner Brust.

Ich berühre seine Wange, Streiche zaghaft über die kleinen Lachfältchen an seinen Mundwinkeln, die Sorgenfalten zwischen seinen Augen.

Seine Haut ist eiskalt. Mein Blick fällt auf sein Ohr. Sein Schmuck und seine Armbänder sind weg. Der Stein, den ich ihm noch vor wenigen Stunden gegeben habe, damit er ihn beschützt, liegt zerbrochen neben seinem Kopf.

Ich will schreien, die ganze Welt soll meinen Schmerz hören, doch es kommt nur ein ersticktes Schluchzen aus meiner Kehle. Und plötzlich heule ich bitterlich wie ein kleines Kind. Werfe mich über ihn. Drücke ihn. Beschimpfe ihn. Flehe ihn an zu mir zurück zu kommen. Und natürlich antwortet er nicht.

Irgendwann, ich weiß nicht nach wie vielen Stunden, verstumme ich und lege mich neben ihn. Meine Hand liegt auf seiner, ich halte sie ganz fest. Die leichte Borke die sich auf meiner Handinnenfläche gebildet hatte geht wieder auf, doch es kümmert mich nicht. Ich werde ruhiger, mein Atem regelmäßiger und dann endlich gleite ich in einen alles betäubenden und traumlosen Schlaf.
 

Das erste was ich wahrnehme als ich die Augen aufschlage ist die Tatsache, dass ich allein bin.

Die Sonne scheint durch das Blätterdach, welches leicht im Wind wogt und tanzende Schatten auf die Erde zeichnet. Ich kann das zwitschern der Vögel hören, und sehe ein Fliegenpaar sich jagen und umspielen. Die Luft ist angenehm warm, sie riecht nach Gras und Wald.

Nartos Leichnam ist verschwunden. Der zerbrochene Stein ist ebenfalls weggeschafft worden. Ich richte mich auf, sehe mich um.

Es ist tatsächlich niemand außer mir da.  

Nun, da das Gewölbe lichtdurchflutet ist, kann ich die Zeichnungen an den Wänden erkennen. Ich gehe näher heran, betrachte sie. Sie scheinen gleiche Geschichten zu erzählen wie die, die wir gestern gehört haben. Doch diese hier gehen sehr viel weiter, zeigen Ereignisse welche über die anderen Zeichnungen auf dem Stein oben auf dem Berg hinaus gehen. Vielleicht sogar Jahrhunderte in die Zukunft?

Ich kann aber nichts genaues erkennen, die Wand gegenüber vom Eingang ist einfach zu verwittert und rissig. Vorsichtig streiche ich über die breiten Risse, fühle den unebenen Stein unter meinen Fingern. Angestrengt versuche ich etwas zu erkennen. Es sieht so aus, als würde es mal eine vierte oder sogar fünfte große Spezies geben, aber woher sie kommt kann ich nicht erkennen, denn dort sind sogar Teile aus der Wand heraus gebrochen.

Ich sehe mich auf dem Boden um, suche die fehlenden stellen, doch ich kann nichts finden. Ich drehe mich um -

„Nartos, was denkst du ist mit Ihnen...“ ich verstumme, mein Herz verkrampft sich und ein Riesen Klos schnürt mir die Kehle zu. Für einen Augenblick hatte ich vergessen, dass er mir nicht Antworten kann, mir nie wieder antworten würde.

Auf einmal will ich nur noch hier weg! Ich renne aus dem Raum, hasste durch die Gänge, und stehe wenige Sekunden später wieder auf dem großen Platz im Kolosseum.

In der Mitte sitzt Trashnah, er hat die Augen geschlossen. Um ihn herum sitzen die verschiedensten Vögel, von kleinen Spatzen, über Elstern, bis hin zu großen Raben. Alle sitzen andächtig und friedlich nebeneinander.

Ich spüre Zorn in mir aufbrodeln. Ich stapfe auf ihn zu, die Vögel in meinem Weg machen flügelschlagend Platz.

„Du hast gesagt wir können beide Leben...!“, schreie ich ihn an, „du hast gesagt wir sind anders, was Besonderes! Du meintest wir wären stärker als alle Anderen!“ Die Tränen laufen mir schon wieder die Wangen hinunter. Ich funkele den Mann auf dem Boden wütend an.

Bedächtig öffnet Trashnah die Augen. Er sieht zu mir herauf. Als er aufsteht schütteln die Vögel ihre Flügel und fliegen davon. Ein Sturm aus Staub und Federn erhebt sich um uns.

Er fängt eine von ihnen, eine pechschwarze Rabenfeder, und zeigt sie mir.

Ich sehe ihn verständnislos an.

„Federn sind stark, stabil und unverzichtbar für die Vögel. Sie tragen sie über die höchsten Berge und durch die heftigsten Stürme, und doch reicht ein einziger Flügelschlag, um sie davon zu wehen.“

„Und was willst du mir damit sagen?!“ Ich trete noch einen Schritt näher an ihn heran. Er reicht mir die Feder.

„Was glaubst du, wie viel der Rabe schon mit dieser Feder zusammen erlebt hat?“

Verwirrt gucke ich sie an. Ich zucke mit den Schultern -

„Keine Ahnung, wieso ist das wichtig?“ erwidere ich genervt.

„Sie haben eine unglaublich lange Zeit mit einander verbracht, waren unzertrennlich und doch hat der Rabe sie hier zurückgelassen.“

Ich mache eine wirsche „und weiter?“ Bewegung. Er seufzt bedauernd.

„Manchmal muss man etwas wichtiges opfern, um in seinem Leben weiter zu kommen, und wenn es einem auch noch so lieb und teuer war.“

Ich falle auf die Knie -

„aber warum er? Und warum so?“ Meine Tränen landen im feinen Staub auf den Boden.

„Ich wusste, dass nur einer von euch diese Nacht überleben würde, aber ich wusste nicht, wer. Und es war wichtig, dass ihr das ganz allein entscheidet.“

„Ich hab gar nichts entschieden!!“

Ich schlage auf den Boden ein. Die nasse Erde bleibt an meinen Fäusten kleben dort, wo sich der Dreck mit meinen Tränen vermischt hatte.

„Dir scheint vielleicht alles aussichtslos, doch es bietet dir auch Möglichkeiten.“ Er nimmt meine Hände und öffnet die, in welcher ich immer noch die schwarze Feder halte. Ein Windstoß erfasst sie, und im nächsten Moment, wirbelt sie schillernd davon. Es war mir nicht aufgefallen, wie schön sie in der Sonne aussah.

Trashnah zieht mich wieder auf die Beine.

„Es wird besser werden.“ -

Er lächelt sachte, der Wind fährt durch sein graues Haar und auf einmal wirkt er mindestens dreißig Jahre jünger, und zum ersten Mal fühle ich mich tatsächlich mit ihm verbunden.

Trashnah setzt sich wieder zurück auf die Erde, und schließt seine Augen. Unser Gespräch scheint beendet.

Ich verlasse das Gebäude unter der Erde und trete in das grün des Waldes. Auf dem Weg zur großen Lichtung begegnen mir viele Tiere, sogar ein paar Rehe, welche schnellen Schrittes an mir vorbei ziehen. Es ist sogar ein tollpatschiges Kitz dabei.

Als ich durch die Bäume trete sehe ich, dass bereits Tage vergangen sein müssen. Die Leichen sind weg und der Berg an Beute, den wir Jungen erlegt hatten, ist fast vollständig verschwunden.

Ich sehe mich um, entdecke hier und da ein paar aus meinem Clan. Aber weder mein Vater, noch Mutter, noch Antres oder mein Großvater kann ich finden. Zielstrebig steuere ich die Gruppe am Feuer an.

„Kann mir bitte einer von euch sagen, wo ich meinen Vater oder meine Mutter finde?“

Die Angesprochenen sehen zu mir auf.

„Dein Vater ist mit den anderen am Fluss des Abschieds...“, bedauernd sieht mich die kleine Runde an, dann fährt ein anderer fort -

„Guran erweist deinen Brüdern die letzte Ehre.“

Ich stocke -

meinen Brüdern?! Drehe mich einfach um, fühle mich wie vor den Kopf gestoßen. Ich hätte noch einen Bruder gehabt. Und Mutter... - weiter kann ich nicht denken. Mir geben die Beine nach.

„Sana!“

Jemand umarmt mich.

„Oh Sana, es tut mir so leid!“

Ich blicke zur Seite, langes hellrotes Haar wellt sich über den Rücken der Person. Leblos hänge ich in Askas Armen. Habe nicht die Kraft, ihre tröstende Wärme in mir aufzunehmen. 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück