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Sana

tortured souls
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Und wie versprochen das Nächste Kapitel :) Komplett anzeigen

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Versprechen zwischen uns

Der Platz, den wir schon tausend mal gesehen haben mit den alten überwachsenen Steingemäuern, wirkt heute ganz anders - irgendwie kraftvoller, feierlicher.

Wir ziehen oberhalb der Tribüne entlang, um zu dem alten Eingang zu kommen, der leicht verwachsen versteckt vor uns liegt.

Ein paar von uns sind schon angekommen im Kreis, ein paar trotten hinter uns.

Wie viele wir wohl dieses Jahr sind?

Wir werden von den Älteren, schon erfahrene Jäger und Mitglieder, in Empfang genommen. Auf einem leicht erhöhten Podest stehen unsere drei Clan-Führer eingehüllt in ihre Tuniken. Die Abendsonne färbt alles rot.

Wir stellen uns in einer Art Halbkreis auf mit Blick zur Bühne. Die Älteren haben sich auf den erhöhten Plätzen, die an der Wand sind, niedergelassen. Am Anfang ist das Getuschel zwischen uns noch sehr laut und man hört viele kleine Fragen oder aufgeregtes Gekicher, doch sobald mein Großvater seine Arme hebt, wird alles ganz still. Ein Moment der stillen Feierlichkeit. Es hat begonnen.
 

Er tritt nach vorne, und als alle Augen auf ihn gerichtet sind beginnt er zu sprechen -

„Meine geliebten Frischlinge! Ein Jahr ist es nun her, dass wir uns hier getroffen haben, um die Einweihung und Eingliederung neuer Krieger in unserem Kreis zu vollziehen. Im vergangenen Jahr haben 18 von uns die Volljährigkeit erreicht; sie sind nun bereit, den Schritt ins Leben als vollwertiges Mitglied unserer Gemeinschaft zu tun. So möchte ich euch hier und heute herzlich begrüßen, um in diesem Jahr gemeinsam diesen Übergang zu zelebrieren.

Und somit wollen wir heute die heiligste der Nächte dafür nutzen, euch zu feiern und zu begleiten, euch zu führen in diesen euren nächsten Lebensabschnitt.

Wir werden beginnen mit unserem alljährlichen „Tanz des Tieres“, in dem ihr noch einmal in Kontakt gehen könnt mit ihnen und mit euch, der Erde und dem was ihr die letzten Tagen erlebt habt.

Wenn wir wahrnehmen, dass ihr an euren tiefsten Punkt gelangt seid, werden wir euch einzeln einladen, diese Erfahrungen mit uns zu teilen.

Der Tanz wird euch vielleicht an Grenzen führen, wo ihr denkt ihr könnt nicht mehr - lasst es zu und geht darüber hinaus, denn ihr werdet merken, da ist mehr als nur ihr allein.

Nachdem wir all eure Geschichten gehört haben, werden wir uns wieder hier versammeln und ich werde die anstehenden Zeremonien des ewigen Bundes verkünden. Eine wird es in diesem Jahr auf jeden Fall geben, und zwar die, die im Falle einer Zwillingsschaft notwendig ist.

Zu diesen Zeremonien möchte ich euch bitten, genau zu prüfen, ob ihr zu dieser Zeit bereit seid, diesem Moment beizuwohnen, es ist wichtig, auch als Zeuge ausschließlich in dem Moment zu sein. Also wenn ihr spürt, dass ihr noch so sehr mit euch selbst und euren gerade erlebten Erfahrungen beschäftigt seid, dann nehmt euch diese Zeit dafür und geht. In diesem Falle treffen wir uns wieder am großen Feuer.

Nun möchte ich euch bitten, in den Kreis zu treten und euch von uns und dem Rhythmus der Erde führen zu lassen.“
 

Mit diesen Worten schließt er seine kurze Rede, wir schultern unsere Tiere und bilden einen Kreis in der Mitte des Kolosseum. Die Energie des Raumes füllt sich merklich mit den verschiedensten Gedanken, Erwartungen und undefinierbarem Sphären-britzel.

Es legt sich wieder Stille über den Platz. In dieser Stille hört man das Stampfen eines einzelnen Paares Hufe aufsteigen. Die große Trommel donnert durch die Tiefen der Nacht, dringt in unsere Knochen, gleich dem Herzschlag der Erde. Das Beben lässt unsere Körper erzittern.

Zu dem einen Paar Hufstampfen gesellt sich ein zweites und dann noch eins und noch eins. Immer mehr der umstehenden steigen auf den Rhythmus ein. Nun wird erst ersichtlich wie viele Zeugen von Älteren uns umgeben.

Zu der großen Trommel gesellen sich viele Kleinere, manche leicht wie das Schlagen eines Vogelflügels, andere flink wie das Rauschen eines Wiesels. Die Mauer des Klangs und der Energie scheint uns beinahe zu erdrücken. Der Raum ist erfüllt von berstendem Rhythmus.

Wir spüren die Kraft in unseren Körpern und das dringende Gefühl, uns dieser Woge anzuschließen, doch keiner von uns rührt sich. Nach Minuten, in denen die Spannung in unserem Inneren wächst und wächst, stoppt die Musik und in dieser Leere erschallt der Ruf -

„TANZT!“

Wie ein Vulkanausbruch gerät alles um mich herum in Bewegung und ich spüre, wie es auch in mir brodelt und mich mitreißt.

Die Musik setzt jetzt wieder ein und die Stimmen unseres Stammes erscheinen über den Baumwipfeln. Unsere Kraft und Stärke scheint ins Unermessliche zu steigen. Wir wirbeln herum und der Hirsch auf meinen Schultern ist nur eine Feder schwer. Der Gesang und die Trommelschläge durchfluten meinen Körper. Ich wirbele herum und spüre die Verbundenheit und Dankbarkeit zu dem Tier, das ich vor Stunden getötet habe.

Wie eine warme Dusche erkenne ich eine Trommelmelodie, vertraut aus meiner Kindheit, meine Gedanken machen eine Reise in die Vergangenheit. Auch hier spüre ich meine Verbundenheit und Dankbarkeit.

Wie von Zauberhand kommen wir in langjährig geübter Kreisformation zusammen und beginnen, der klaren Melodie mit einem klaren Tanz zu folgen. Wir schwingen, wiegen, drehen uns, legen unsere Beute ab, nehmen sie wieder auf, klatschen mit den Händen auf die Erde, für den Rhythmus in unserem Zentrum. Wir bewegen uns wie ein Organismus, eine Gemeinschaft, wir sind eins.

Die Melodien ändern sich und unser Tanz folgt, von laut zu leise, von schnell zu langsam - und in all dem das Ganze.

Die Worte von meinem Großvater hallen in meinem Kopf wieder - „Da ist mehr als nur wir allein„ - und ja, ich spüre die Freude ins Unermessliche steigen. Unsere Zusammengehörigkeit, Einigkeit erfüllt mich und trägt mich ins Unendliche.

Die Trommeln entlassen uns wieder in unseren individuellen Tanz, ich drehe und schwebe und fühle den Boden unter meinen Füßen. Ich bin verbunden mit mir, meinem Bruder, meiner Familie, meinem Clan, den Tieren, den Pflanzen, der Erde selbst und Frieden durchrauscht mich.

Eine Hand nimmt die meine und gibt mir den Impuls, ihr zu folgen. Sie führt mich durch die Menge, die Leiber der Tanzenden.

Wir treten aus dem Kreis und ich stehe vor den drei Großen unseres Stammes.

Ich spüre die interessierten und gleichzeitig liebevollen Blicke der weisen alten Männer auf mir. Leicht und wie von selbst kreieren sich Worte in mir und noch von meinem Atem durchrauscht trete ich vor sie.

„Hallo Sana, wir freuen uns dich heute hier bei uns zu haben.“ Miclare, die Anführerin des östlichen Clans lächelt mich wohlwollend an, sie ist zwar die kleinste von ihnen, aber trotzdem nicht minder beeindruckend.

Ich hebe den Hirsch über meinen Kopf, lege ihn behutsam zwischen uns. Vorsichtig hebe ich den Kopf, habe ein bisschen Angst, in die Gesichter der drei zu blicken, ihre Reaktion zu sehen.

Der Ausdruck der Anführer ist freundlich, doch im Gesicht meines Großvaters kann ich eindeutig Zufriedenheit erkennen. Und seine Mundwinkel heben sich ein ganz kleines bisschen.

Lotwes, dessen Klan das Gebiet im Westen unseres Landes bevölkert, tritt vor und fragt mich -

„Möchtest du uns von deiner Jagd und dem, was du erlebt hast, berichten?“

Ich atme tief ein, und weiß gar nicht, wie ich anfangen soll.

„Also ich hab... aber auch... “ -

ich stocke und werde immer aufgeregter und faseriger in meinen Gedanken.

„Sana, lass dir Zeit.“

Ich blicke den alten Mann an und sein Gesicht, das von zwei breiten Narben gezeichnet ist, strahlt Weisheit, Stärke und Güte aus.

Mein Kopf leert sich. Ich wiege mich im Takt der fern klingenden Trommeln. Nach einem weiteren Atemzug beginne ich -
 

„Mein Bruder und ich sind vorgestern Morgen von zu Hause aufgebrochen. Wir liefen Richtung Norden, da wir wussten, dass die Jagdgründe dort sehr ertragreich sind.

Nach zwei Stunden nebeneinander hertraben trennten wir uns, das war so ein Kilometer vor dem Großwald. Und ich muss schon sagen, das war wirklich ein neues Gefühl so ganz allein auf weiter Flur.

Ich ging am östlichen Waldrand entlang. Ich suchte mir eine Stelle aus, in der das Unterholz nicht ganz so dicht war. Von dort aus betrat ich das Innere des Waldes.

Es dauert nicht lange und mir begegneten die ersten Rehe, doch sie schienen mir belanglos, und ich ließ sie weiterziehen.

Ich wusste direkt, dass ich nach einem anderen Tier suchte. Sie sprachen irgendwie nicht mit mir, so wie ich es kannte aus vorherigen Situation.

Tief in meinem Inneren wußte ich, dass es in diesem Wald nur ein Tier gab, das meine Beute sein könnte. Genau dieses Tier musste meine Beute sein. Und ich würde es finden, auch wenn es Stunden dauern würde.

Nach einer Stunde, in der ich leise durch den Wald gegangen war, spürte ich, dass ich beobachtet wurde. Ich spürte die wilde Präsenz eines Raubtieres, und es musste groß sein. Das Knacken eines Zweiges verriet mir, dass es rechts von mir sein musste, und weiteres leises Knirschen, dass es sich zum Sprung bereit machte.

Ich wappnete mich innerlich, und als der Panther aus dem Gebüsch auf mich zu sprang, schleuderte ich ihn über mich, so dass er links von mir auf den Boden schlug. Doch zu seinem Glück schaffte er es, sich mit seinen Füßen abzufangen.

Einen kurzen Augenblick lang trafen sich unsere Blicke, das Universum schien sich um uns aufgelöst zu haben, es schien nichts außer uns zu existieren.

Dann sprang die gehörnte Katze wieder die Böschung hoch und verschwand im Dickicht.

Ich brauchte einen kurzen Moment, um zu begreifen, was da passiert war, doch dann sprang ich los und folgte ihm.

Ein paar Minuten später entdeckte ich ihn am Rande einer Lichtung. Er hatte es auf eine Horde Rehe abgesehen, die dort friedlich grasten. Ich näherte mich ihm vorsichtig und war beinah nah genug, um ihn sicher erledigen zu können. Er war so beschäftigt mit den Rehen, dass ich es wagte, mich noch näher heran zu schleichen, um mehr Sicherheit für seinen Fall zu haben.

Und dann ging alles ganz schnell. Vor meinen Augen fiel er einfach um.

Ich verstand nicht, hatte ich doch noch überhaupt nicht geschossen.

Doch dann trat mein Bruder hinter den Büschen schräg vor mir auf die Lichtung. Da war mir augenblicklich klar - es war tatsächlich geschehen, dass mein Bruder und ich uns die gleiche Beute ausgesucht hatten.

Ich ließ meine Deckung fallen und trat ebenfalls auf die Lichtung. Mein Bruder hatte sich ziemlich darüber beömmelt, dass seine Beute offensichtlich eigentlich auch meine Beute sein sollte.

Ich war innerlich ziemlich sauer, weil das für mich bedeutete, dass ich mindestens einen halben Tag auf die Jagd eines Tieres verschwendet hatte, das ich nicht hatte erlegen können. Welches nun vor meinen Augen von meinem Bruder als Trophäe mitgebracht wurde.

Wir beratschlagten uns dann, was wir mit der Situation nun anfangen wollten.

Der erste Vorschlag meines Bruders war, dass wir uns die Beute ja quasi teilen könnten, da sie groß genug war.

Doch ich spürte in meinem Inneren, dass ich noch einmal auf die Jagd gehen wollte und, dass sein Vorschlag für mich keine Lösung sein konnte. Weniger wegen der Frage, wie das aussehen würde mit einem halben Tier, sondern mehr für mich, denn es ging ja schließlich darum etwas allein zu jagen.

Da klar war, dass ich in diesem Wald nicht mehr fündig werden würde, beschlossen wir schon mal, in Richtung der großen Lichtung zu gehen. Ich wollte im nächsten Wald noch mal mein Glück versuchen.

Den Rest des Tages gingen wir nur. Jedes Tier, das uns begegnete, oder jeder Wald durch den wir kamen, kam mir nicht richtig vor.

Unser Nachtlager schlugen wir am Rand der nördlichen Ebene auf. Es war ein sehr schöner Abend gewesen, mal wieder nur mit meinem Bruder allein zu sein, das hatten wir zuletzt gemacht als wir noch Kinder waren.

Doch ich spürte auch, dass sich in mir ein gewisser Druck aufbaute, da mein Bruder seine Beute bereits hatte und klar war, dass ich am nächsten Tag auf jeden Fall etwas finden musste.

Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, war die Sonne noch nicht aufgegangen. Dichter Nebel bedeckte die weite Graslandschaft. Mein Bruder schlummerte friedlich neben mir.

Ich beschloss, mir die Beine ein wenig zu vertreten und machte mich auf die Suche nach einem Fluss oder Teich. Ich musste ein gutes Stück gehen, bevor ich einen Bachlauf fand, der nicht vollkommen schlammig und verdreckt war. Aus einem Impuls heraus folgte ich ihm, und er führte mich in eine kleine Baumgruppe.

Und da stand er, groß, stark, prächtig. Natürlich er war keine Raubkatze, aber als ich ihn sah, war es klar. Er trank an dem Bach. Seine Ohren zuckten hektisch hin und her, um jedes noch so kleine Geräusch wahrnehmen zu können. Seine Muskeln waren gespannt, um augenblicklich die Flucht antreten zu können, falls dies notwendig sein sollte.

Ich pirschte mich an ihn heran, den Bogen bereits in meiner Hand. Er hob den Kopf, schaute sich um, lauschte.

Unsere Blicke trafen sich, verknoteten sich in einander. Er stand da, völlig ruhig. Er wußte es, spürte es. Er konnte nicht entkommen.

Ich zog einen Pfeil aus meinem Köcher, legte ihn an die Sehne an. Spannte. Kurz zögerte ich noch, doch dann lies ich los.

Der Pfeil verließ die Sehne und flog.

Traf.

Der Hirsch strauchelte noch kurz, dann knickten ihm die Hinterläufe ein und er stürzte zu Boden. Ich lief zu ihm, und als ich in seine Augen sah, konnte ich das Verlöschen des letzten Lebensfunkens erkennen. So klar wie noch nie zuvor.“
 

Damit schloss ich den Bericht meiner Erlebnisse. Der Rest des Weges schien mir für den Moment nicht wichtig.

Ich hänge meinen Gedanken nach, welche immer noch an diesem Bachlauf sind, bei diesem Tier, das nun vor mir liegt, als mich die Stimme meines Großvaters wieder ins Hier und Jetzt holt.

„Danke das du das alles mit uns geteilt hast. Wir schätzen sehr, dass deine Wahl ein Tier getroffen hat, das von der Größe dir ebenbürtig ist.“

Nach einem Augenblick des Schweigens wende ich mich zum Gehen, halte jedoch inne als Miclare das Wort noch einmal an mich richtet -

„Bewahre dir die Gabe, in diesen tiefen Kontakt gehen zu können, mit deiner Umwelt und dir selbst.“
 

Ich gehe wieder auf den großen Platz. Mein Blick wandert die Tribünen hinauf und ich sehe, dass mein Bruder bereits auf ihnen steht. Mit ein paar Sprüngen bin ich bei ihm und geselle mich dazu.

Wir sprechen nicht, lassen die Musik in uns fließen, hängen unseren Gedanken nach, während unsere Augen den Bewegungen der Tanzenden folgen.

Meine Gedanken schweifen ab, zu dem, was gleich noch geschehen wird, und ich spüre die unheimliche Dankbarkeit über die Tatsache, dass mein Bruder und ich noch viele Jahre miteinander teilen dürfen. Ein Geschenk, das den Zwillingen unserer Rasse noch nie zu Teil wurde.

Ich sehe jetzt zu Nartos, er wiegt sich leicht im Takt der Musik. Aus einem Gefühl heraus greife ich seine Hand. Er zuckt kurz überrascht, schaut jedoch nicht zu mir herüber. Leicht drückt er meine Hand, zieht sie sanft zu sich heran, und ich stolpere näher an seine Seite. Wir sprechen nicht, nehmen nur die Wärme des Anderen wahr.

Meine Gedanken tragen mich weiter. Wer von uns sich wohl opfern würde, wenn wir nicht dieses Glück hätten. Ein Gedanke, den ich schnell verwerfe, da er irrelevant ist, denn es muss sich keiner von uns opfern.

Der Platz in der Mitte leert sich langsam. Ich sehe Keirus, welcher wacker trotz des Hais seine Runden dreht. Wie schon gesagt, das Vieh ist ziemlich groß und demnach bestimmt auch ziemlich schwer.

Ich habe beim Tanzen mein Zeitgefühl komplett verloren, doch es müssen bestimmt schon Stunden vergangen sein, seit die Trommeln eingesetzt haben. Und trotz dessen sind alle auf dem Platz noch motiviert und energetisch. Die Musik und die Klänge des Waldes hüllen mich ein und tragen mich davon.
 

Nartos drückt meine Hand, und ich habe das Gefühl, durch einen dunklen mit Wasser gefluteten Tunnel an die Oberfläche gezogen zu werden. Mein Blick, der bis eben noch ins Nichts ging, richtet sich wieder auf den Platz in der Mitte, auf welchem nun keiner mehr ist, und auch die Musik, welche ich immer noch tief in mir spüre, ist verstummt.

Die drei Clansführer treten aus dem hinteren Teil des Kolosseum und begeben sich wieder auf das Podest, auf welchem sie uns empfangen haben. Nach einem Augenblick der vollkommenen Stille beginnt mein Großvater zu sprechen -

„Ihr Geliebten, ihr Lieben, wir bedanken uns noch mal für eure Offenheit und freuen uns, dass ihr ausnahmslos eure Abenteuer bewältigt habt.

Die Nacht schreitet voran und wir kommen jetzt zu unserer Zeremonie des ewigen Bundes, die die einzige an diesem Abend sein wird.

Ich möchte nun all diejenigen, die sich dem nicht gewachsen sehen, bitten, diesen Ort zu verlassen und schon einmal zu dem Feuer auf der Spitze des Berges zu gehen.

Alle anderen lade ich dazu ein, diesem besonderen Moment beizuwohnen.“
 

Nach und nach leeren sich die Ränge, etwa die Hälfte derer, welche heute eingegliedert wurden, machen sich bereits auf den Weg zum Feuer, der Rest der Krieger und Kriegerinnen sammelt sich im Inneren des Kolosseums.

Ich spüre, wie sich die Ruhe, welche in den letzten Stunden in mir eingekehrt war, wandelt. Meine Brust schnürt sich zu, ein Raunen geht durch die Menge, ich wende den Blick zum Eingang und sehe wie „Er“, katzig und bucklig, die Treppe herunter kommt, genau zur rechten Zeit, am rechten Ort, wie immer, ohne dass er gerufen wurde.

Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Nicht dass wir nicht alle ein wenig seltsam sind, doch Er übertrifft uns andere bei weitem. Gleich wird Er vor uns stehen, jener, der über unser Leben entschieden hat, der uns gerettet hat durch seine Weissagung.

Meine Nackenhaare stellen sich auf, und ich muss gegen den Impuls ankämpfen, die Flucht zu ergreifen. Der Mann vor uns ist gefährlich, und das ist eine Tatsache.

Er ist die Verbindung unseres Stammes mit dem Universum, er ist unser Schamane.

Er steht über den Clanoberhäuptern, und ist doch Ausgestoßener. Alle respektieren und verachten ihn zu gleich.

Und wie schon gesagt, er kann mit einem Wort das Leben retten oder es mit selbigem beenden. Denn nichts steht über seinem Wort, es ist unabänderlich, endgültig.

Er tritt vor das Podest, und als er den Kopf respektvoll senkt, klackern die vielen Knochen, die in Ketten um seinen Hals hängen.

Bedacht senken auch mein Großvater und die beiden anderen ihre Köpfe, der eine mehr, der andere weniger tief.

Kurz treffen sich die Blicke der östlichen Clanführerin und des Schamanen. Über das Gesicht von Miclare huscht ein hasserfüllter Ausdruck, diese Tatsache verwirrt mich, war der Schamane doch ihr Vater.

Ihre Blicke treffen sich, verhaken sich in einander, es scheint so, als wolle Trashnah etwas sagen, doch im nächsten Augenblick ist der Moment verflogen.

Er wendet sich von dem Podest ab. Seine Aufmerksamkeit richtet sich auf die Mitte des Kreises.

Ich will einen Schritt hinein machen, werde allerdings von meinem Vater aufgehalten der meine Schulter festhält.

„Warte noch“, flüstert er, „er wird auf euch zukommen.“

Ich sehe ihn ungläubig an, wie soll der Greis denn wissen, wer wir sind?

Auf einmal beginnt der hagere Mann zu schwanken, er strauchelt, stolpert ins Zentrum des Kolosseum. Plötzlich beginnt er wie am Spieß zu schreien und reißt seine Arme hoch, um sich den Kopf zu halten, seine Stimme überschlägt sich, er krümmt sich zusammen, brüllt.

Nach einigen Minuten erschlafft sein Körper, und Stille legt sich über den Wald.

Wie automatisch habe ich Nartos Hand gegriffen und merke jetzt erst, dass ich mich an ihm festklammere. Er klopft mir sacht auf die Hand und ich ziehe vorsichtig meine Klauen aus seinem Arm. Nachdem er seinen Arm nun wieder hat, legt er ihn beschützend über meine Schulter. Ich spüre wie ich mich augenblicklich ein wenig entspanne.

Der Mann auf dem Boden beginnt wieder, sich zu bewegen, stützt sich auf seine Arme und kommt wieder auf die Hufe. Er scheint noch ein wenig wackelig auf den Beinen zu sein. Auf einmal wirbelt er herum und ist in ein paar Sätzen vor uns.

Jetzt, wo er vor mir steht, merke ich erst, dass er trotz seiner dürren Statur ein gutes Stück größer ist als ich. Er sieht uns in die Augen. Auf einmal heben sich seine Mundwinkel.

„Sana, Nartos, süße Welpen“, mehr sagt er nicht, seine Stimme ist leise und kratzig. Er dreht sich um und geht zurück.

Trashnah macht eine forsche Handbewegung, worauf ich ihm vorsichtig und ein bisschen skeptisch in die Mitte des Kreises folge, dicht gefolgt von meinem Bruder.

Nartos schwingt nervös mit seinem Schweif. Nun wird es ernst, nach der heutigen Nacht wird unser Leben nie wieder dasselbe sein.

In der Mitte des Ritualplatzes bleibe ich stehen. Ich kann meinen kleinen Bruder leise neben mir atmen hören. Spüre die leichte Wärme, die sein Körper ausstrahlt.
 

Wir knien uns vor den alten Mann. Die Knochen seines Schmucks rasseln. Er umrundet uns langsam, scheint uns zu begutachten, wir halten die Köpfe gesenkt. Ich spüre eine knochige Hand, welche mir den Kopf schmerzhaft in den Nacken zieht, er schwenkt ihn hin und her.

Nach einigen Sekunden lässt Trashnah mich wieder los. Ich muss dem starken Drang widerstehen, meinen Kopf zu schütteln, um meinen Nacken wieder zu entspannen.

Ein leises Keuchen seitens meines Bruders, verrät mir, dass auch er gerade unsanft in Augenschein genommen wird.

Leicht amüsiert stelle ich fest, dass mich der Umstand, dass ich meine Überraschung besser unterdrücken konnte als mein Bruder, ein wenig freut.

Der Schamane beendet seine Runde.

„Erhebt euch! Die Götter des Himmels und der Erde sind sich einig.“ Er wartet, bis wir wieder stehen, bevor er weiterspricht. „Bei der Geburt der beiden habe ich prophezeit, dass sie besonders sind. Dass sie auch ohne die Opferung zu stattlichen Kriegern werden, und ihr Lebensweg hat sich nicht verändert.“

Er macht eine bedeutende Pause.

Ich spüre ein winziges bisschen Anspannung von mir abfallen.

Obwohl uns von jeher immer gesagt worden war, dass wir etwas Einzigartiges und durch eine glückliche Fügung von der Opferung ausgenommen seien, hatte ich bis heute immer noch die Befürchtung, dass sich unser Schicksal noch ändert. Dass ich meinen Bruder, mein Gegenstück, meine Mitte, mein Herz, doch auf ewig verliere.

Nartos schaut mir in die Augen. Ein leichtes Lächeln huscht über sein Gesicht. Wir wenden uns einander zu. Trashnah beginnt wieder zu sprechen -

„Sana, Tochter der Erde und des Feuers, schwörst du Nartos, deinem Bruder, deinem Zwilling, deinem Partner, ihn zu beschützen, ihn zu stützen sollte er straucheln, ihn zu feiern sollte er siegen und ihm wenn nötig deine Seele zu schenken sollte er zweifeln?“

Wortlos nicke ich, ich habe keine Ahnung ob ich eigentlich etwas sagen sollte, doch da der Schamane sich nun an Nartos wendet, schien meine Geste wohl ausgereicht zu haben.

„Nartos Sohn des Feuers und der Erde, schwörst du Sana, deiner Schwester, deinem Zwilling, deiner Partnerin, sie zu beschützen, sie zu stützen sollte sie straucheln, sie zu feiern sollte sie siegen und ihr wenn nötig deine Seele zu schenken sollte sie zweifeln?“

„Ja, das werde ich.“

Nartos dreht sich wieder zu mir -

„Sollte sie fallen werde ich sie auffangen, sollte sie zerbrechen werde ich sie wieder zusammensetzen, sollte sie scheitern werde ich ihren Pfeil für sie schießen und sollte sie vergehen werde ich ihr mein Herz opfern.“

Mein Bruder sieht mir tief in die Augen, ich habe das Gefühl, in sein Innerstes sehen zu können. Ich spüre, wie die Rührung in mir versucht, sich an die Oberfläche zu kämpfen. Er war von uns beiden schon immer derjenige gewesen, welcher besser mit Worten umgehen konnte. Meine Augen beginnen zu brennen. Er legt den Kopf schief und fügt flüsternd hinzu, so, dass es niemand außer mir versteht, „und sollten dir jemals die Worte fehlen, werde ich deine Stimme sein.“

Leicht schmunzelnd hebe ich den Blick, welchen ich gesenkt hatte.

„Dann soll euer Blut euch stärken, schützen und binden, aus dem Kreis seid ihr gekommen, zu diesem werdet ihr zurückkehren!“

Nartos und ich ziehen unsere Messer. Ich schließe meine rechte Hand um die Klinge zu einer Faust. Mit einem kräftigen Ruck ziehe ich es heraus.

Fuck das tut mehr weh als ich dachte.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Nartos keine Mine verzieht.

Trashnah streckt auffordernd seine Hände aus. Einen kurzen Augenblick verfalle ich in Panik, weil ich keinen blassen Schimmer habe, was er von mir möchte.

Doch Nartos rettet mich aus dem Debakel. „Deine Kette“, raunt er mir zu und nimmt seine eigene von seinem Hals.

Endlich verstehe ich und beeile mich es ihm nach zu tun.

Heute ist der Tag, an dem wir die Ketten welche wir zu unsere Geburt bekommen haben, tauschen werden. Der Stein des anderen soll uns Glück bringen, und manche sagen das man, wenn man ganz stark mit seinem Partner verbunden ist, über den Stein sogar spüren kann wie es dem anderen geht, doch das ist nur ein Mythos.

Ich lasse die Kette in Trashnahs Hand fallen, mir widerstrebt es, diesen mir wichtigen Gegenstand aus der Hand zu geben.

Im Schein der Fackeln schillern sie in einem tiefen Rot, was noch von dem Blut auf ihnen unterstützt wird. Einen Moment lasse ich das Spiel des Feuers in der Spiegelung auf mich wirken, ehe ich mir Nartos Kette nehme und die zerrissenen Enden des Bands in meinem Nacken zusammen knote.

Ich grinse ihm entgegen. Bedächtig nimmt er nun die Kette, welche ich die letzten achtzehn Jahre getragen hatte.

Er hält sie mir hin, aus einem Reflex heraus nehme ich sie. Er dreht sich mit dem Rücken zu mir. Ich gehe zwei Schritte, die uns noch trennen und raune ihm ins Ohr -„Was soll der Scheiß?“ Er dreht sich leicht zu mir um, „ich hätte gerne, dass du mir die Kette ummachst“.

Ich werde ein bisschen rot, keine Ahnung warum, aber irgendwie ist mir diese Situation gerade peinlich. Das ignorierend, komme ich Nartos' Aufforderung nach, und hänge ihm den Stein um den Hals.

Er dreht sich wieder zu mir. Und gibt mir einen flüchtigen Kuss auf die linke Wange. Ich bin ein bisschen aus dem Konzept gebracht.

Doch nun meldet sich unser Großvater wieder zu Wort -

„Damit ist der Ritus vollendet!“ Er hebt einladend die Arme. „Jetzt möchte ich alle bitten, sich auf den großen Berg zu begeben, dort wird der Abschluss dieses Abends stattfinden. Allen älteren Kriegern und Kriegerinnen steht es natürlich frei, auch schon zur großen Lichtung zurück zu kehren.“

Die Gruppe beginnt sich zu teilen, die meisten machen sich auf zur Spitze des Hügels. Einzelne gehen allerdings in Richtung Lichtung.

Unsere Mutter kommt auf uns zu. Drückt uns an sich. „Das habt ihr gut gemacht, ich bin sehr stolz auf euch!“ Ich grinse.

Wenn man sie gerade so betrachtet, dicker Bauch, ein wenig ungeschickt und schon wieder fast am Weinen, käme man nicht auf die Idee, dass sie eigentlich eine unserer besten Jägerinnen ist.

„Wir sehen uns morgen, ich muss ins Lager zurück, mich um Antres kümmern.“

Wir umarmen uns noch einmal, bevor sie sich den anderen anschließt, die nicht mehr mit uns kommen.

„Und wollen wir auch mal?“ fragt Keirus, der mit Aska im Schlepptau hinter Nartos und mir auftaucht.

Ich sehe an meinem Kumpel vorbei, finde den Blick von meerblauen Augen, welche mir entgegen strahlen. Im Schein der Fackeln wirken sie wie die aufgewühlte See, also nicht dass ich das Meer schon mal bei Sturm gesehen hätte, aber so stellte ich es mir vor, schön und alles verschlingend.

Ein Pfiff holt mich wieder in die Wirklichkeit.

„Ou shit Girls“. Meine eine Hand liegt in Askas Nacken, mit der anderen ziehe ich sie näher an mich heran. Ihre Hände vergraben sich in meinen kurzen roten Haaren. Und unsere Lippen liegen auf einander. Das fühlt sich unheimlich gut an. Ich rieche wieder den Regen und den Wald wie heute Mittag, nur das der Duft hundert mal stärker ist. Meine Finger fahren durch ihre langen Haare.

„Nee echt, wir müssen los“, Keirus grinst. „Ihr könnt ja später weiter machen“. Ohne hinzugucken gibt Aska ihm einen derben Stoß in die Rippen, der ihn sich keuchend zusammen krümmen lässt, bevor sie den Kuss langsam löst.

Als ich wieder klarer denken kann, sehe ich prüfend und unsicher zu Nartos. Dieser zuckt aber nur mit den Achseln. „Wurde aber mal Zeit, dass du den Arsch hoch kriegst!“

Ich knuffe ihn leicht in die Seite und wir machen uns auf den Weg. Also nachdem wir Keirus wieder aufgerichtet haben, der ja von Aska zu Fall gebracht wurde.

Auf der Hügelkuppe brannte bereits ein Feuer, und ein paar der von uns erlegten Tiere brutzeln bereits über den Flammen. Ich freue mich darauf, was jetzt kommt.

Aska und ich beschlagnahmen einen der Baumstämme, welche als Sitzgelegenheiten um das gesamte Feuer herum liegen. Die anderen beiden holen derweil was zu mampfen für uns und sich selbst.

Ich lehne den Kopf an die Schulter meiner Freundin, es ist schön das zu denken -„meine Freundin“. Ihre Finger kraulen ihn, was ich mit einem leisen Schnurren quittiere.

Dieser Tag war unglaublich anstrengend doch auch sehr schön, ein Tag, an den ich mich bestimmt immer erinnern werde.

Mein Blick wandert in die Flammen. Genau wie alle anderen unseres Stamms liebe ich das Feuer, es ist warm, beruhigend und unaufhaltsam.

Ohne darüber nachzudenken greife ich nach dem Stein um meinen Hals, kurz bin ich irritiert, bis mir einfällt das es ja jetzt der von Nartos ist. Seine Maserung ist ganz anders als die meines eigenen. Er ist auch ganz glatt, doch die Risse verlaufen auf der anderen Seite.

Endlich kommen Keirus und Nartos mit vier großen Keulen Fleisch zurück. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, es riecht köstlich und ich habe seit heute Morgen nichts mehr gegessen, also richtig heftig Kohldampf.

„Na endlich!“ meine ich gespielt genervt.

„Wir wollten euch nicht stören, und Nartos wollte den Klang deines Schnurrens noch genießen.“

Mir stieg die Schamesröte ins Gesicht. Schnurren war was für Weicheier.

Mein Bruder tätschelte mir den Kopf. „Ist doch schön!“

Ich gucke zerknirscht zur Seite. Alle drei fangen an zu lachen und ich funkele sie böse an. Nach ein paar Minuten haben sich diese Idioten wieder eingekriegt und ich bekomme endlich mein Fleisch.

Nartos setzt sich neben mich und unisono beißen wir das erste Stück aus unseren Keulen heraus. Keirus und Aska tun es uns gleich. Der Bratensaft tropft uns die Hände runter und landet auf der festgetretenen Erde. Allmählich sind auch die letzten Nachzügler eingetrudelt und die Stämme ums Feuer füllen sich zusehends.

Lotwes ergreift das Wort, er räuspert sich kurz -

„Nun, da alle neuen Mitglieder anwesend sind, kann es weiter gehen. Ich bitte euch jetzt, euch zum Feuer zu begeben.“

Es vergehen noch ein paar Minuten, bis die gesamten Anwesenden sich mit Essen bewaffnet hinsetzen.

Trashnah steht auf. Er schüttelt kurz die steifen Glieder, was seinen Schmuck leise klappern lässt. Augenblicklich senkt sich bedächtiges Schweigen über die Hügelkuppe.

Ich fühle wie sich Spannung in meinem Körper breit macht. Ich knuffe Nartos wieder in die Seite. Er verdreht genervt die Augen, ob meines Blickes, der freudig verkündet -

„jetzt gehts looos!“.

Mein Bruder wuschelt mir durchs Haar, und endlich beginnt unser Schamane zu erzählen.



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