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Last verse of dawn

von

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Es war der Zufall, der Kanda in dieses Dorf führte. Gemeinsam mit einem Finder und auf dem Rückweg von einer Mission im Norden des Landes. Vielleicht wären es nur wenige Schritte gewesen, die ihn mit diesem Ort in Verbindung gebracht hätten, doch der zweifelhafte Wille des Schicksals führte zu einer Begegnung. So traf er auf den Finder, nur wenige Momente, nachdem dieser das Hauptquartier über seinen Standort und sein Vorhaben in Kenntnis setzte.

Möglicherweise hätte Kanda dem Mann seinen Absichten überlassen, da simple Recherchen nicht sein Interesse weckten. Möglicherweise wäre er weitergezogen, wäre das Gesicht des Finders nicht sterbensbleich gewesen und seine Haltung nicht zermürbt von Schmerz und Schwäche.

„Er wurde vergiftet“, murmelt Kanda, absent das Gras mit den Fingern durchstreifend. Die Sonne steht bereits am Zenit, als wir am Fuße des Hügels sitzen und er mir die bittere Wahrheit offenbart. Sein Gesicht erhielt einen Teil seiner gesunden Farbe zurück. Auch seine Bewegungen wirken gestärkter nach all den Stunden des Schlafes.

„Sein Zustand verschlechterte sich rapide und nur wenige Stunden später starb er unter Krämpfen.“

Wie schwer fiel es ihm vor seinem Tod, von den Vorkommnissen im Dorf zu berichten. Er würgte hervor so viel er konnte, sprach von dem Verhalten der Menschen, dem Friedhof und nicht zuletzt von einem grausamen Ritus, den er beobachtete. Binnen kurzer Zeit sah er viel und wie düster mussten die Bilder sein, die ihn in den Tod begleiteten.

So endeten Kandas Schritte in diesem Dorf, so verfluchte er es mit seiner Anwesenheit und natürlich traf auch er von Beginn an auf Widerstand und schweigende Münder.

Die Ablehnung und die Dicke der Mauern beeinflussten ihn wenig bei seinem Handeln und so drang er rasch vor, unerbittlich und seiner Weise treu bleibend. Er stellte Fragen, fixierte sich auf Schwachpunkte und setzte den Hebel dort an, wo es wehtat. Genau wie ich kauerte auch er im Schutz des Waldes, als es wenig später zu einer weiteren Opferung kam.

„Zuerst ging ich davon aus, der Priester wäre ein Broker“, fährt er fort. „Er fragte nicht nach meiner Identität und ich dachte, es wäre nicht nötig, da er meine Uniform erkannte. Aber es war ein Trugschluss, denn keiner in diesem Dorf besitzt ausreichend Gefühl, um für die Rückkehr eines Angehörigen oder Freundes zu beten. Es gibt keine Bindungen und somit keinen fruchtbaren Boden für den Grafen.“ Er schürzt die Lippen und als er mich ansieht, da kenne ich seine nächsten Worte bereits. „Nichts in diesem Dorf hat eine Verbindung zum Grafen. Das Problem ist der Priester.“

Während des Aufenthaltes rationierten Kanda und der Finder ihren Proviant. Sie mieden das Essen in jeder möglichen Vorsicht und so blieb der Finder auch stets an seiner Seite. Er war die Schwachstelle, leicht zu erreichen im Gegensatz zu meinem Kameraden.

Aufmerksam höre ich ihm zu, teilweise mit stockendem Atem und nie den Blick von ihm lösend.

„Nach dem Ritual auf dem Friedhof konzentrierte ich mich auf die Kirche und die allabendlichen Messen. Der rote Gott nennt sich Aman und lässt sich nur besänftigen durch Blutopfer. Ein solches zu sein, gilt als Privileg. Jeder in diesem Dorf gibt sein Leben aus freien Stücken, um die Gunst Amans für das Dorf zu sichern. Nach Aussage des Priesters droht der Welt ein unaussprechliches Unheil und nur dieser eine Gott besitzt die Macht, das Dorf vor diesem zu bewahren. Dieser Glaube zerfrisst die Menschen, doch um zu diesem Ziel zu gelangen, brauchte es nicht nur Worte und Überzeugung.“ Kanda atmet tief durch. „Bei jeder Messe wird in der Kirche ein Halluzinogen verströmt, das die Wirkung aufrechterhält.“

„Der Geruch“, flüstere ich. „Er ist mir aufgefallen.“

„Bei meinem Finder führte es zu Benommenheit, nur in der Nähe der Kirche zu sein. Bei mir zeigte es keine Wirkung. Trotzdem wollten wir uns vorerst fernhalten. Nur ein Tag nachdem der Finder starb, standen wir kurz vor der Lösung des Rätsels.“

Auch er begriff, dass der Feind in diesem Fall der Mensch war und ganz sicher hätte auch er es in Betracht gezogen, das Dorf sich selbst zu überlassen, wäre nicht der Mord an dem Finder geschehen. So hielt derselbe Grund ihn hier, der auch mich zum Bleiben bewegte, doch die Unerbittlichkeit des Priesters und die Ergebenheit der Dorfbewohner führten nur durch geringe Unterschätzung zu einem weiteren Drama.

„Wir waren nur zwei Tage im Dorf, als mein Finder ermordet wurde.“ Seine Stimme senkt sich zu einem Flüstern. „Wir standen voreinander, als man ihm hinterrücks in den Kopf schoss und die Kugel erfasste auch mich. Er war wohl sofort tot und auch ich machte diesen Eindruck.“

Meine Lippen sind trocken, als ich sie aufeinanderpresse. Kurz spreizen sich meine Finger, doch letztlich falte ich sie ineinander und suche mit einem tiefen Luftholen nach Entspannung und Ruhe. Meinen Beinen steht der Sinn danach, mich sofort zurückzutragen zu jenem Dorf, doch die Dinge sind nicht so simpel wie sie erscheinen.

„Während ich besinnungslos war, begruben sie mich im Wald und ich erstickte, sobald ich wieder zu mir kam. Mich an die Oberfläche zu kämpfen, kostete mich fast ein weiteres Mal das Leben und danach brauchte es Stunden, bevor ich mich wieder bewegen konnte. Der Priester nahm mein Schwert, doch ich fand es in der Kirche, nachdem die Dorfbewohner zum Friedhof strömten.“

Unter einem tiefen Ausatmen senke ich den Kopf und fahre mir durch das Haar. Auf meinem Schoß schlägt Tim mit den Flügeln und mehrere Momente geben wir uns dem alten Schweigen hin.

Die Begebenheiten, auf die wir an diesem Ort stoßen, durchbrechen die Grenze all dessen, was wir als Routine bezeichnen. Die Situation ist fremd, zwiegespalten und nicht zu lösen durch gewohnheitsmäßige Herangehensweisen. Sie ist wie Säure, auch auf immensem Abstand ätzend und selbst jeder Gedanke, den man ihr opfert, gelingt nur stockend und fordert Überwindung.

„Wenn wir uns mit diesem Priester befassen“, ergreife ich bald darauf das Wort, „werden wir weder dem Grafen schaden noch ein Innocence finden. Es wäre nicht unsere Angelegenheit, wäre es nicht persönlich geworden.“

Was uns den Rückzug unmöglich macht, sind nicht nur die Morde an den beiden Findern. Vielleicht sieht Kanda keinen vollendeten Anlass darin, doch mir genügt der Fakt, dass man Hand an ihn legte und am Rande dieses rechtfertigenden Konstrukts schimmert sogar ein weiterer Beweggrund.

„Wenn der Priester tatsächlich die Wurzel allen Übels ist“, fahre ich fort, „wäre es nicht nur Gerechtigkeit, die wir erreichen. Wir könnten Menschen retten und das Dorf zu dem machen, was es einst war. Die älteren Grabsteine auf dem Friedhof beweisen, dass die Toten damals gewürdigt wurden und auch die Kirche wurde gebaut, um das Christentum zu predigen. Du sagst, das Halluzinogen wird jeden Abend bei der Messe verströmt. Die kurzen Abstände wären unnötig, würde die Wirkung nicht rasch verfliegen. Entfernen wir dieses Gift, entfernen wir es auch aus den Köpfen.“

Als ich mich aufrichte, treffen sich unsere Blicke. Hier sitzen wir und sprechen und tun somit, was überflüssig ist. Wir kennen die Tatsachen, kennen unsere Gedanken und so ließen wir uns dazu verleiten, das Zentrum zu umkreisen. Worte bringen Zeit und Abstand und wie lange sehen wir uns an, grundlos und in stiller Einigung gegenüber dieser Tatsache.

„Ich habe mich entschieden, nachdem ich mich aus meinem Grab befreite.“

Es ist Kanda, der sich zuerst und erbarmungslos dem Zentrum widmet. Unweigerlich finden seine Augen zum hochkonzentrierten Kern unserer Gegenwart und ich schöpfe tiefen Atem, bevor er den letzten dünnen Schutzfilm zerreißt.

„Ich werde den Priester töten.“

„Ich weiß.“

„Er ist selten alleine. Vermutlich werden viele bereit sein, ihr Leben seinem Schutz zu opfern.“

„Vermutlich.“

Stellen wir uns gegen den Priester, so stellen wir uns gegen das Dorf und weder Hinterlist noch Schnelligkeit könnten verhindern, dass wir mehr Schaden verursachen als beabsichtigt, denn Wahnsinn ist eine widerliche, annähernd unbesiegbare Waffe.

Das folgende, wiederholte Schweigen, das zwischen uns einen Raum bildet, ist weder leer noch eine lose Überbrückung. Es beinhaltet eine Frage, die zwar angemessen wäre, jedoch nicht ausgesprochen werden muss.

Natürlich könnte Kanda mich darauf aufmerksam machen, dass ich nicht verpflichtet bin, ihm über diese Grenze zu folgen. Was er zu tun gedenkt, in jeder Hinsicht dreckig, fragwürdig und wohl teilweise auch unmoralisch, täte er auch allein und kein Moment meiner Zukunft wäre belastet durch die Tatsache, dass auch ich die Verantwortung trage. Meine Hände wären nicht viel schmutziger als zu diesem Zeitpunkt und mein Gewissen nicht viel schwerer. Die Bilder wären kein Teil meiner Erinnerung, wenn ich Kanda alleine ziehen lasse und in der Verborgenheit des Waldes darauf warte, dass die Dinge erledigt werden.

Er traf die Entscheidung und akzeptierte somit die Last, das Leben unschuldiger, fehlgeleiteter Menschen zu Gunsten eines hohen Zieles zu beschädigen oder gar zu beenden.

Diese Worte könnte er aussprechen und ich könnte reagieren, doch wir schweigen, denn Frage und Antwort sind überflüssig, da er mich kennt.

Meine Schultern heben und senken sich unter einem tiefen Durchatmen und gleichzeitig richte ich mich auf, meinen Körper straffend durch Endgültigkeit und Entschluss. Er deutet das Nicken nur an, als sich unsere Blicke abermals begegnen.

„Wir tun es nach der Messe“, sagt er dann. „Wenn die Kirche leer ist und die Bevölkerung in ihren Häusern. Die Mauer um den Priester wird dünn sein und niemand schnell genug, wenn wir den richtigen Moment abpassen.“
 

Als wir am frühen Abend durch den Wald ziehen, umgibt uns das Dickicht annähernd friedlich. Fernab des Dorfes ist die Natur geprägt von Farben und Schönheit und wie sarkastisch wirkt jedes Zwitschern der Vögel oder das Rauschen der Baumkronen. Selbst die Luft lässt sich angenehm atmen und wir tun es überwiegend schweigend. Meinen letzten Proviant aßen wir, um uns zu stärken. Wir ruhten, während die Stunden an uns vorbeizogen und uns unweigerlich zu diesem frühen Abend führten und zu jenem Vorhaben.

Bisweilen blicke ich zu ihm, als wäre es anhaltende Sorge, die meine Augen lenkt, doch er wirkt gekräftigt und fest in seiner Entschlossenheit. Seine Schritte sind zielstrebig und offenbaren kein Zögern und ich weiß, dass er auch in den kommenden Stunden nicht innehalten wird, denn er hält in jeder Hinsicht sein Wort.

Seine Hand ruht regungslos auf Mugens Knauf.

Tief schöpfe ich Atem, während ich mich wieder auf den Weg konzentriere. Die Gebüsche ziehen an uns vorbei, auch die eine oder andere Wiese lassen wir hinter uns und es braucht keine Orientierung, um uns wissen zu lassen, dass wir bald darauf in der Nähe sind. Die vertraute, elendige Atmosphäre saugt uns ein. Wir scheinen in eine unsichtbare, stickige Wolke einzudringen, die den Blättern die Farbe nimmt und die Vögel verstummen lässt.

Meine Atemzüge werden tiefer, denn der Sauerstoff scheint zu fehlen und dann kauern wir im Dickicht, verborgen hinter Ästen und Blattwerk und belauern die unselige Pfütze aus grauen Gebäuden und Wegen.

Wieder sehe ich die gebeugten Gestalten der Menschen und ihre phlegmatischen Bewegungen. Wie Tiere, die ihren Instinkt verloren, driften sie durch diesen Pfuhl und wie lange betrachte ich mir auch das große, steinerne Monument, das den widerlichen Kern des Dramas bildet.

Die Worte fielen uns leicht in der Distanz, doch mit einem Mal kommen wir wieder in Berührung. Es mag seltsam sein, doch diese Konfrontation nähme mir die letzte Unsicherheit, würde es so etwas in mir geben.

Wir tun das Richtige, sage ich mir überzeugt und spreize die Finger. Wie schön wäre dieses Dorf mit grünen Wiesen und fruchtbaren Feldern. Wenn sich die graue Substanz aus der Luft verflüchtigt und der Himmel wieder blau über den Häusern läge. Die Kinder würden lachen und die Eltern sie lieben.

Langsam lasse ich mich zu Boden sinken und suche nach Bequemlichkeit. Nicht mehr lange, bis die geisterhaften Gestalten zur Kirche strömen werden. Die Zeit vergeht, der Moment nähert sich und als die Menschen dann wie graue Rinnsale zu jenem Gebäude sickern und verschlungen werden von seiner schwarzen Pforte, da schöpfen wir tiefen Atem.

„Konzentrier dich auf den Priester“, beende ich die Stille daraufhin und begegne Kandas schwarzen Augen. „Ich kümmere mich um das Umfeld und darum, dass du tun kannst, was nötig ist.“

„Ich brauche nicht lange“, erwidert er nur und nickend vertiefe ich mich in die Betrachtung seines Gesichts.

Was täten andere in dieser Lage, frage ich mich in dem Moment.

Würden unsere Freunde handeln wie wir oder bestünde ihre Vergeltung im besten Fall aus emotionalem, unkontrollierbarem Affekt? Natürlich wären sie zornig und auch das Gefühl, durch den Tod der Finder persönlich involviert und verpflichtet zu sein, würde in ihnen erwachen, doch ich zweifle daran, dass sie in sicherer Distanz zusammenkauern und einen Mord besprechen würden. Das Bild bietet sich meinen Augen einfach nicht, doch es gibt keine Vergleiche, die ihr Verhalten in einem solchen Moment voraussagen würden.

Möglicherweise täten sie etwas anderes. Oder genau dasselbe.

Ich fühle, wie sich meine Hand hebt. Ohne mein Zutun findet sie zu Kandas Gesicht und bettet sich auf seiner Wange. Sie fühlt sich kalt an, doch es ist in Ordnung in einem Umfeld wie diesem. Hier gibt es keine Wärme und wie sehne ich mich danach, mit ihm zurückzukehren in die Mauern des Hauptquartiers. Auch dort ist es kalt, doch es ist die Heimat und kein Ort könnte schöner sein, wenn er bei mir ist und mit ihm all die anderen Menschen, die ich liebe.

Absent streife ich eine Strähne aus seiner Stirn, finde so großen Gefallen daran, ihn zu berühren, doch lasse mich nicht locken von dieser falschen Fixierung meiner Gedanken. Gebündelt haben sie sich auf das zu richten, das vor uns liegt und wir schweigen, während das Dorf verlassen vor uns liegt und die schweren Pforte der Kirche verschlossen bleiben. Hinter ihrem dicken Holz wird abermals freigesetzt, das den Geist der Menschen vernebelt. Halluzinogen und giftige Worte. Eine knappe halbe Stunde, mehr trennt uns nicht von Bewegung und Tat, doch die Zeit streckt sich, schleppt sich an uns vorüber und ich schöpfe tiefen Atem, als sich die Pforte nach einer gefühlten Ewigkeit wieder öffnet und die traurige Masse der Willenlosen ausspeit.

So benommen, wie sie zu diesem Ort sickerten, so benommen ergießen sich die Massen zurück in ihre Häuser und wir kommen auf die Beine, als ihr Strom sich verdünnt.

Im Schutz des Dickichts gelangen wir hinter die Kirche, verlassen das Blattwerk im geschützten Winkel kleiner Schuppen und erreichen die kalte steinerne Wand des Objektes. Wir bewegen uns simultan und einträglich, vertraut wie zwei Fragmente eines einzigen Willens. Es braucht stets wenig Absprache, wenn wir nach demselben Ziel streben. Eine versteckte offen stehende Hintertür bietet dem Priester nicht nur einen Fluchtweg, sondern möglichen Verteidigern die Gelegenheit, sich zwischen uns zu stellen und kaum dränge ich sie von außen zurück in ihr Schloss, da reicht mir Kanda einen dicken hölzernen Keil, den ich unter das Türblatt dränge. Mit einem vorsichtigen Schlag auch tief in den Boden, auf das sich die Pforte verklemmt und in Eile nicht zu öffnen ist.

Mit arglistiger Besonnenheit ebnen wir unserem Attentat den Weg, neutralisieren jedes offensichtliche Risiko und wie leise führen uns unsere Schritte anschließend zur großen Pforte. Es ist der letzte Pfad zum Kern unseres Vorhabens und nicht nur einmal denke ich mir in diesen Momenten, dass das Schicksal es gut mit uns zu meinen scheint. Als besäße es unseren Willen und die Einsicht, dass die Mittel den Zweck heiligen.

Als wir durch das farblose Gras ziehen, uns voranpirschend an der steinernen Fassade, da gibt es keine Augen, die uns erfassen könnten. Die Häuser verschluckten die Menschen und das Dorf wirkt wie eine Geisterstadt, blind gegenüber jenen, die Übles planen.

Nur noch wenige Meter trennen uns, nur noch eine steinerne Ecke und wie gefasst mustere ich noch immer die Umgebung, während sich Kanda flüchtig ins Freie neigt, die letzte Etappe des Weges absichernd. Annähernd lautlos erreichen uns die Fetzen einer unverständlichen Unterhaltung. Mehrere Stimmen hallen in dem steinernen Saal wider und kurz versuche ich sie voneinander zu trennen. Die Anzahl der Anwesenden stellt keine Bedrohung dar, nur das Ausmaß des möglichen Kollateralschadens.

Das an Lautstärke gewinnende Schallen vereinzelter Schritte lässt uns weiterhin warten und wie zufrieden verfolge ich kurz darauf, wie zwei weitere Dorfbewohner die Kirche verlassen. Als würde eine ihnen zugetane Macht sie hinauslocken in sichere Distanz. Wir sehen ihnen nach, lassen ihnen die Zeit für jeden möglichen Schritt und kaum erreichen sie genügenden Abstand, da erwachen wir zum Leben.

Kein Zögern lässt unsere Bewegungen stocken und wie rasch und leise ist der letzte Weg überwunden. Zum zweiten Mal steige ich die wenigen steinernen Stufen empor, trete neben Kanda über die Schwelle und wie besonnen greife ich nach der Klinke und schließe die schwere Pforte hinter uns. Annähernd lautlos bewegt sie sich über den Boden, doch trifft dumpf auf den anderen Flügel und nur beiläufig nehme ich wahr, wie die Stimmen in meinem Rücken verstummen.

Mit einem Mal wird es still an diesem verpesteten Ort. Der bekannte Geruch sticht in meiner Nase, als ich eine der langen, hölzernen Sitzbänke von ihrem Fleck reiße. Ein Ächzen dringt an meine Ohren, doch wird erstickt im lauten Dröhnen, mit dem die Bank auf die Pforte trifft. Der letzte Pfad schließt sich, der letzte Ausweg für uns alle und flüchtig fahre ich mir mit dem Handrücken über den Mund, bevor ich mich dem Schauplatz zuwende, an dem ein Ende findet, was niemals einen Anfang hätte haben dürfen.
 

Regungslos suche ich nach meinem Spiegelbild in den schwarzen Pupillen der Augen, die auf mich gerichtet sind. Kaum ein Blinzeln, kaum ein Zucken und wie argwöhnend überzeuge ich mich von der Starre der beiden Kinder, die auf den Stufen des Altars kauern, am Fuße der widerlichen Statue. Rote Gewänder offenbaren sie als Messdiener und vereinen sie auf bizarre Weise mit dem Trauerspiel, das binnen weniger Momente eingeleitet, durchgeführt und beendet wurde.

Ich befürchtete, auch sie würden uns angreifen, kopflos und blind, sich einen Dreck scherend um ihr Leben oder die Konsequenzen. Sie setzten sich in Bewegung, doch zögerten und noch immer pressen sie sich in keine Rolle, gegen die ich anzugehen hätte. Schweigend stehe ich so zwischen ihnen und den bewusstlosen Körpern vierer Männer, die unsere Erwartungen erfüllten. Natürlich waren sie bereit, sich zu opfern und natürlich wurde ich zur Mauer zwischen ihnen und Kanda. Unüberwindbar, doch achtsam mit meinen Kräften und ich rang sie zu Boden, damit sie in geraumer Zeit wieder aufstehen können.

Noch immer harren die beiden Kinder aus wie weiße Statuen und so wende ich mich zur Seite und vertiefe mich in die leblose Mimik des Priesters. Entsetzen begleitete ihn in den Tod, als er den wahrhaftigen Teufel zu sehen glaubte, auferstanden aus dem Grab und auf verhasster Mission. So erhob sich seine schallende Stimme, so hetzte er jeden auf uns, der ihm hörig war und als Kanda jegliche Hürden überwand und ihn erreichte, den fragilen Kern der Sache, da zog er selbst ein Messer. Wie menschlich wirkte er mit einem Mal und im Angesicht des Unabwendbaren. Als hätte er es nicht erwartet. Als wäre seine Seele so finster und verpestet, dass sie die Umsicht verlor und sich nicht ein einziges Mal die Frage stellte, ob sie sich nicht die Falschen zum Feind machte.

Er stach nach Kanda und es blieb bei einem flüchtigen Kontakt, bevor das Messer klirrend über den Boden schlitterte. Seine Finger verloren die Waffe so leichtfertig, seinen Beinen blieb keine Möglichkeit zur Flucht und er begriff es vermutlich nicht, so schnell geschah es, dass Kanda ihn hinterrücks packte, sein Kinn umfasste und sein Genick brach.

Nur eine Bewegung, rasch, annähernd beiläufig, gefolgt von einem leisen, fast friedlichen Knacken und so sank der Priester zu Boden, ohne Spannung wie eine Marionette, deren Fäden rissen.

Kanda hatte nicht gezögert.

Es ist still um uns herum. Die Schreie des Priesters scheinen die schwere Pforte nicht durchdrungen zu haben. Sie erreichten niemanden, denn es gibt keine Laute auf der anderen Seite des Holzes. Niemanden, der herbeieilte, um den Prediger zu retten. Beiläufig taste ich nach meinen Handschuhen und sichere ihren Halt. Es ist getan, doch noch immer fühlt es sich nicht falsch an und auch Kanda offenbart die Fassung, die mir vertraut ist. Er schenkt dem Toten keine Beachtung, ebnet keinen Weg in ein Gebiet, in dem Zweifel existieren könnten. Sein Schwert verließ die Scheide nicht. Er tötete mit bloßen Händen und abermals überzeuge ich mich von der Reglosigkeit der Kinder, als er sich in Bewegung setzt. Zügig lässt er die beiden Stufen zum Altar hinter sich.

„Wir verbrennen es.“ Die ruhige Besonnenheit seiner Stimme legt sich über die Situation wie ein falscher, unpassender Himmel. „Das Halluzinogen, die Schriften. Alles.“

Die Kinder bleiben kauern, als wir über den steinernen Boden ziehen, Türen öffnen, die Räume hinter dem Altar auskundschaften und fündig werden. Ein Zimmer scheint das des Priesters zu sein und verbirgt nicht nur unzählige Schriftrollen, sondern auch kleine Pakete aus Papier, die den vertrauten, unangenehmen Geruch entsenden. Es gibt kein Fenster an diesem Ort, auch die Tür ist stark und dicht genug, um dem spontanen Höhepunkt zu dienen und so durchforste ich Schubfächer und Schränke und finde schnell, was wir benötigen. Raschelnd verteile ich die Schriftrollen auf dem Boden und nahe der Schränke, während Kanda den toten Körper des Priesters durch den Türrahmen schleift. Er zieht ihn bis zur Mitte des Raumes, bettet ihn im Meer des geschriebenen Übels und ein letztes Mal überzeugen wir uns, dass alles, was zerstört werden muss, umgeben ist von diesen steinernen vier Mauern. Hier in diesem Kern soll es brennen und wie ruhig sind meine Finger, als ich das erste Streichholz entfache und die Flamme auf das trockene Papier übergehen lasse.

Rasch breitet sich das Feuer aus. So zerstörerisch, als wäre es unser Verbündeter, als besäße es ebenso den Willen, dieses Fragment aus der Welt zu tilgen. Wir verfolgen, wie die Flammen höhersteigen, hungrig bald auch das Gewand des Priesters verschlingend, und dann schließen wir die Tür. Die Kirche soll bestehen bleiben, als Spross einer gesunden Entwicklung und so hoffen wir, dass die widerliche Götterstatue zu schwach sein wird, um die Verblendung aufrechtzuerhalten. Sie wird an Bedeutung verlieren und vielleicht, so hoffe ich, in absehbarer Zeit gestürzt und aus dem christlichen Haus verbannt.

Schweigend ziehen wir an den beiden Kindern vorbei, entfernen die Blockade vor der Pforte und noch immer umgibt uns das Dorf verlassen und grau, als wir die Stufen hinabsteigen und unsere Schritte endlich hinausführen aus diesem verpesteten, widerlichen Pfuhl.

Wir verlassen diesen Ort und blicken nicht zurück.
 

-tbc-



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