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Erinnerungen an ein Palastleben

von

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"Flucht"

„Benjiro,

vermutlich werden dich weder dieser Brief, noch meine Taten, die zu den jüngsten Ereignissen geführt haben, überraschen. Denn du bist der Einzige meiner Brüder, der weiß was es heißt jemanden so sehr zu lieben, dass man für diesen Jemand sterben würde. Die wahre Liebe. Du hattest sie gefunden. Genauso wie ich. Auch wenn ich mich nicht an alles erinnere. Aber ich spüre, dass ich sie besessen habe. Dass sie immer noch da draußen ist und ich sie retten kann. Allein dieser Gedanke hat mich zu meiner Tat verleitet. Und ich bereue nichts.

Außer mich nicht persönlich von euch verabschiedet zu haben.

Ich wünsche mir, dass ich noch einmal die Gelegenheit dazu bekomme. Wobei ich noch lieber den Rest meines Lebens an eurer Seite verbringen wollen würde. Wenn alles vorbei ist, dann will ich dieses Leben genießen. Zusammen mit euch!

Ich weiß du wirkst nach außen hin stark. Du hältst die Anderen aufrecht, egal was passiert. Aber ich bitte dich, lass nur einen Moment die Gefühle zu. Du weißt eine Wunde kann dann schneller heilen. Und wenn du noch ein Auge auf Keiji haben könntest, würde mir das die Welt bedeuten…“

 

 

Tage und Nächte waren zu einer einzigen Einheit verschmolzen. Sämtliches Zeitgefühl verloren, rannte Benjiro unaufhaltsam durch die Wälder. Über Felder, Berge und Flüsse. Wie sein Zeitgefühl, hatte er auch das Gespür für seine Umgebung verloren. Er hatte absolut keine Ahnung wo er sich befand und wie lange er schon unterwegs war.

Er sollte ein Auge auf Keiji haben… Doch wie sollte das gehen, wenn Keiji ihr Haus zerstört und dann nicht mehr zurückgekommen war? Benjiro hatte es versucht. Doch dann hatte er begriffen, dass er seinem Bruder nicht würde helfen können. Nicht, wenn er genau den gleichen Schmerz in seinem Herzen trug. Also hatte er getan, was Kasumi ihm noch aufgetragen hatte. Er hatte seine Gefühle zugelassen.

Wann er das letzte Mal in seiner Wolfsform durch die Natur gerannt war, konnte er nicht sagen. Doch so, wie es seine Seele langsam beruhigte, war es definitiv zu lange her gewesen. Immer nur vorzutäuschen ein Mensch zu sein, hatte seinem Nervenkostüm offenbar mehr zugesetzt, als er es angenommen oder wahrhaben wollte.

Nur dieses Stechen in seiner Brust. Dieses Gefühl ließ einfach nicht nach. Egal wie viel er lief und lief und lief. Immer weiter, bis er seine Füße nicht mehr spürte, seine Beine, seinen Kopf. Bis es nur noch ihn gab, die Welt und die Bewegung in der er sich befand. Er wusste, sobald er anhielt, würden ihn seine Gedanken wieder einholen und der Schmerz noch heftiger zurückkehren, also blieb er nicht stehen.

 

 

Benjiro erwachte am Rand eines Sees. In diesem spiegelten sich die Sterne des Himmels wie in einem perfekten Lackgemälde. Der Wald um ihn herum war Schwarz und vollkommen still. Ohne die Sterne und die fahle zunehmende Mondsichel hätte Benjiro auch blind sein können, so dunkel war dieser Ort. Da halfen nicht einmal seine geschärften Yōkai Augen.

Im ersten Moment nahm er an, dass er träumte, doch dann nahm er eine Bewegung in seinem Augenwinkel wahr und erhob sich. Jeder einzelne Muskel in seinem Körper stöhnte auf, bei der plötzlichen Belastung. Wie weite er wohl gelaufen war, bevor er hier zusammengebrochen war? Er konnte es nicht sagen.

Aufmerksam saugte er noch einmal seine Umgebung in sich auf. Jetzt, auf allen Vieren konnte er nicht sagen, ob er sich die Bewegung in seinem Augenwinkel nur eingebildet hatte, weshalb er alles ganz genau inspizierte. Und gerade als er seine Alarmbereitschaft wieder etwas herunter fahren wollte, sah er es erneut.

Eine Bewegung auf der anderen Seite des Sees erregte seine Aufmerksamkeit. Im Schatten der Bäume bewegte sich etwas und jetzt, da Benjiro es direkt ansah, schien es auf ihn zu, zu kommen. In all dieser Dunkelheit konnte er es nicht genau ausmachen und zum ersten Mal konnte er nachvollziehen, wie sich ein Mensch in der Nacht fühlen musste. Es war ein frustrierendes Gefühl.

Unwillkürlich sträubte Benjiro das Fell in seinem Nacken und fletschte seine Fänge zu einem warnenden Knurren. Was auch immer glaubte sich ihm einfach so nähern zu können, sollte wissen, dass es nicht gut für ihn enden würde. Bereit anzugreifen blieb Benjiro stehen. Er würde sich auf keinen Fall von diesem Etwas zurückdrängen lassen. Und dann trat es aus den Schatten der Bäume und ins schwache Mondlicht.

Benjiro konnte nicht glauben was er sah, und gab seine Angriffshaltung sofort auf. Hätte er sich in seiner Menschengestalt befunden, hätte er die Augen vor Überraschung aufgerissen. Doch so brachte ihn der Schreck nur dazu, dass er sich ungeschickt setzte. Denn was dort auf ihn zukam, konnte es eigentlich gar nicht geben. Bereits sein Großvater hatte ihm gesagt, dass sie lange vor ihm ausgestorben waren. Und doch bestand kein Zweifel.

Über das spiegelglatte Wasser des Sees schritt ein Wesen in Hirschgestalt. Nur war es für einen gewöhnlichen Hirsch etwas zu groß. Sein Geweih verzweigte sich in unzählige Enden und war komplett bewachsen von Bartflechten. Das fast weiße Fell am Hals und den pferdeartigen Hufen war lang und glich eher einer Mähne. Genauso wie sein löwenartiger Schwanz, dessen Ende ebenfalls in langes Fell getaucht war. Und dann waren da noch sein Rücken und seine Seiten, die komplett mit tannengrünen Schuppen überzogen waren. Wie die Haut eines Drachen. Jede einzelne Schuppe funkelte im Mondlicht wie ein Edelstein.

Unaufhaltsam kam der Kirin auf Benjiro zu und je näher er kam, umso deutlicher erkannte er das Gold seiner Augen, mit denen er ihn fixierte. Benjiro konnte sich nicht rühren und er glaubte auch, mit dem Atmen aufgehört zu haben, als der Hirsch vor ihm stehen blieb und sein Haupt auf seine Augenhöhe herab senkte.

Das ganze Universum schien in den goldenen Augen des Kirin zu leuchten. Das war das letzte, woran sich Benjiro erinnerte, bevor der Hirsch seine kühle Nase auf seine Stirn drückte und alles um ihn herum in Finsternis getaucht wurde.

 

 

Er wusste, dass er träumte, als er Kasumi vor sich sah. Diese kleine, zierliche Gestalt, die es irgendwie schaffte das Gewicht der ganzen Welt allein auf ihren Schultern zu tragen. Mit einer Stärke und einer Courage, die Benjiro dazu brachte niederknien zu wollen.

Das Gefühl, nichts ausrichten zu können, fraß ihn immer noch innerlich auf, wenn er daran dachte, wie Kasumi ihre Hand auf seine Schulter gelegt hatte. Wie eine Feder hatte sie sich angefühlt. So leicht und doch heiß wie ein Stück glühende Kohle. Er hatte sich nicht rühren können, als Kasumi sie vor den Truppen des Generals aufgehalten hatte. Konnte sie nur ansehen, wie sie versuchte Keiji zu beruhigen.

Es war dieser Moment gewesen, in dem er in Kasumi seine Frau wiedererkannt hatte. Wie ein Geist hatte Amaya über ihr geleuchtet. So als hätte sie selbst ihre Hand nach Benjiro ausgestreckt. Als hätte sie ihm sagen wollen, dass alles gut werden würde. Oder zumindest so werden würde, wie es sein sollte. Da hatte er begriffen, dass Kasumi, genau wie seine Frau, bis aufs äußerste Kämpfen würde und es seine Pflicht war, sie dabei zu unterstützen.

Nur deshalb hatte er sein Katana zurück gesteckt. Er würde ihr vertrauen. Mit seinem Leben, wenn es sein musste. Und er hatte ihr versprochen, an ihrer Stelle auf Kazuma acht zu geben. Und auf Keiji. Auch wenn er das nicht ausgesprochen hatte. Wenn Kasumi nicht mehr für Ordnung sorgen konnte, dann würde er diesen Job wieder übernehmen. Wie er es sonst immer getan hatte.

Natürlich protestierte Kazuma, als Benjiro ihn von Kasumis Seite wegzerrte. Er schrie und tobte, doch Benjiro ließ sich nicht beirren. Er würde stark sein. Für seine kleine Schwester und auch für seine Brüder, wenn es sein musste. So stark, wie sie war, als sie sich erhobenen Hauptes von den Soldaten festnehmen und abführen ließ.

Wäre er allein gewesen, er hätte selbst geschrien, wie Kazuma. Hätte gebettelt und gefleht wie Keiji. Hätte sich ihr vollständig unterworfen, um sie von ihrer Entscheidung abzubringen. Doch seine Brüder hatten ihm diesen Weg abgenommen und auch wenn er innerlich Tränen der Verzweiflung vergoss, konnte nichts seine Oberfläche trüben. Auch nicht, als er noch Stunden später die Wärme ihrer kleinen Hand auf seiner Schulter spürte.

 

 

„Kasumi!“

Sein eigener Schrei riss Benjiro aus seinem Traum.

Im ersten Moment wusste er nicht, wo er sich befand, oder was geschehen war. Doch die Erinnerung kehrte zurück als er eine Bewegung in seinem Augenwinkel ausmachte. Richtig. Er war in diesem finsteren Wald gewesen und war dem Unmöglichen begegnet. Einem Kirin. Dem Herrn über die Natur und der Wälder. Ein Wesen, das schon längst von dieser Welt verschwunden geglaubt wurde. Und gerade dieses sagenumwobene Wesen, das selbst über Leben und Tod entscheiden konnte, hatte ihn berührt. Woraufhin er das Bewusstsein verloren hatte.

Nachdem Benjiro das wieder eingefallen war, sah er sich schnell um. Er befand sich definitiv nicht mehr an diesem See. Nein. Er lag auf einer einfachen Strohmatte in einem Zelt. Etwas, was wirklich ungewöhnlich war. Denn Zelte wurden äußerst selten gebraucht. Meisten nur von den höheren Rängen des Militärs. Was bedeutete, dass er entweder von den Soldaten des Kaisers gefunden worden, oder einer feindlichen Armee in die Hände gefallen war.

Ein knurren unterdrückend biss Benjiro die Zähne zusammen. Wie hatte er nur so dumm sein können? Sich von jemandem gefangen nehmen zu lassen? Und das auch noch in seiner Wolfsgestalt. Wer auch immer ihn hier her gebracht hatte, wusste jetzt vielleicht zu viel über ihn und seine Herkunft.

„Ich hätte nicht erwartet, dass eure Loyalität derart gering ist.“

Die Stimme einer Frau ließ Benjiro hochschrecken. Die Person, die hier mit ihm im Zelt war hatte er vergessen, während er über seine eigene Dummheit geflucht hatte. Erneut ein Fehler, der ihm sonst nie passiert wäre.

Hätte man ihm etwas antun wollen, wäre er viel zu spät aufgesprungen um seine verteidigende Haltung einzunehmen. Eine, aus der er auch leicht angreifen konnte. Doch die Frau machte keine Anstalten ihn anzugreifen. Im Gegenteil. Sie trat aus dem Schatten der gegenüberliegenden Zeltwand ins Licht einer nahen Laterne. Eine weitere Gestalt hielt sich weiterhin im Hintergrund auf, aber als Benjiro die Frau vor sich erkannte, spielte das auch keine große Rolle mehr.

„Und ich hätte erwartet, dass ihr eure Taktik bezüglich der Verschleppung eurer Gefangenen etwas abwechslungsreicher gestaltet, Lady Isami.“

Benjiro konnte es nicht glauben. Er war so lange gelaufen, dass er wieder im Süd-Westen des Landes gelandet war. Wahrscheinlich hatte er sogar sein altes Territorium passiert, ohne es bemerkt zu haben. Und jetzt stand er hier vor Isami, die sie eigentlich wegen Rebellion gefangen nehmen und hätten hinrichten sollen. Die Frau, die am Ende ihrer Mission als Verbündete seiner Schwester hervorgegangen war.

Wie bei ihrer ersten Begegnung hatte sie die Chance seiner Bewusstlosigkeit genutzt, um ihn an einen fremden Ort zu bringen, um ihn hier erneut festzusetzen. Auch wenn er nicht gefesselt war, traute er ihr zu, dass sie ihn nicht so leicht gehen lassen würde.

Das kleine Lachen von Isami ließ ihn die Augen zusammenkneifen und sie scharf mustern.

„Ich wüsste nicht, dass ihr mein Gefangener seid. Es sei den eure Prioritäten haben sich geändert. Dann müsste ich darüber vielleicht noch einmal nachdenken.“

Zuerst zweifelte sie an seiner Loyalität und nun an seinen Prioritäten. Was war nur los mit dieser Frau? Doch noch während Benjiro das dachte, wurde es ihm klar. Wie diese ganze Situation auf Isami wirken musste.

Wütend verschränkte er die Arme vor der Brust und fletschte die Zähne in einem Knurren. Der Schatten im Hintergrund veränderte sofort seine Haltung, doch Isami brachte ihn mit einer Handbewegung dazu, sich wieder zu beruhigen.

„An meiner Loyalität hat sich nichts geändert und das wird es auch niemals!“, erklärte Benjiro entschlossen.

Isami zog skeptisch eine Augenbraue nach oben.

„Gut. Wie das Empfangskomitee wirkt ihr trotzdem nicht... Sagt nicht, ihr seid wie ein verprügelter Hund davongelaufen?“

Benjiro zuckte ob dieser Wahrheit zusammen. So hatte er es zwar nicht gesehen, doch wenn man sein Handeln rein nüchtern betrachtete, sah es genauso aus. Er war geflohen. Vor dem Schmerz und dem Leid. Anstatt sich den Konsequenzen zu stellen und etwas zu unternehmen.

Doch bevor er zu viel darüber nachdachte, fiel ihm ein, was Isami noch gesagt hatte.

„Wofür erwartet ihr ein Empfangskomitee?“, fragte er irritiert.

Isamis Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Eins das klar machte, dass sie sich wahnsinnig freute. So als hätte sie etwas ausgeheckt, dass sie jetzt auffliegen ließ. Sie freute sich so sehr, dass ihre braunen Augen zu leuchten begannen. Ein Leuchten, dass Benjiro an die Augen des Kirin erinnerte.

„Seht es euch selbst an und dann überlegt euch, ob ihr weiter davonlaufen wollt.“, war ihre einfache Antwort, bevor sie an den Eingang des Zeltes trat und diesen öffnete.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen,

soooooooooo nach dem riesen Cliffhanger im letzten Kapitel geht es diesmal ganz wo anders weiter ^^
Ich hoffe euch hat das Kapitel trotzdem gefallen.

Gruß
C-T-Black

PS: Ich wünsche euch allen einen schönen 1. Mai Feiertag :* Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kandy2015
2019-05-02T21:15:22+00:00 02.05.2019 23:15
Du bist schlimm...
Von den einen fragen zu den nächsten😜.

Tolles Kapitel. Schreib schnell weiter.
😁
Von:  Anitasan
2019-05-01T19:50:07+00:00 01.05.2019 21:50
Von einer Überraschung zur nächsten.
Du machst es wirklich spannend und der Showdown muss ja bombastisch werden.
Wenn das nur nicht soo lange dauern würde.
Na ja ich werde mich wohl oder übel gedulden müssen.
Also hau in die Tasten bevor ich vor wunderfitz noch platze.
LG Anitasan



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