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Wolkenwächter

Die Chronik eines Ausgestoßenen - Teil 1
von

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Ratz eilte mit dem seltsamen Bruchstück, das Vance aus dem soliden Fels geschlagen hatte, auf schnellstem Weg in den hinteren Bereich des Höhlensystems, in dem sich Fjedor für gewöhnlich aufhielt. Als Oberaufseher war darüber informiert worden, dass Brynne, der mysteriöse Verbündete des Schmugglerkönigs, in den Tiefen des Berges nach etwas suchte und Ratz‘ Instinkt verriet ihm, dass er nun in den Händen hielt, was Brynne begehrte. „Fjedor!“, rief er schon von Weitem, als der Gang breiter wurde und die Wohnhöhle seines Anführers vor seinen Augen auftauchte. „Das musst du dir unbedingt ansehen!“

Fjedor saß auf seinem behelfsmäßigen Thron und sein Leibwächter Nironil befand sich wie immer an seiner Seite. Der Waldelf war früher einmal ein Kopfgeldjäger gewesen, der sich auf das Aufspüren abtrünniger Magier spezialisiert hatte. Bei einem seiner Aufträge war er schwer verwundet worden und hatte sich halb verhungert und verdurstet in der Düstermarsch wiedergefunden. Fjedor hatte ihm das Leben gerettet und seitdem war Nironil dem Schmugglerkönig treu ergeben. Ratz wusste, dass keiner der anderen Banditen, nicht einmal Fjedor selbst, dem Waldelfen in einem Zweikampf gewachsen war, und der Oberaufseher hatte einen Heidenrespekt vor dem Leibwächter seines Anführers.

Ratz selbst gehörte schon lange zu Fjedors Bande, doch er hatte dort nie eine große Rolle gespielt. Umso stolzer war er gewesen, als der Schmugglerkönig ihn zum Oberaufseher ernannt hatte. Ratz genoss seinen neuen Rang und ließ die Sklaven oft genug auf grausame Weise spüren, dass er in der Mine das Sagen hatte. Vor Fjedor und Nironil buckelte er aber wie ein unterwürfiger Bittsteller.

Der Waldelf beäugte ihn misstrauisch, trat Ratz aber nicht entgegen, als dieser atemlos in die Thronhöhle stolperte. Er wusste genau, dass der Oberaufseher ein oberflächlicher Wichtigtuer, aber im Grunde seines Herzens ein Feigling war. Von ihm ging keine Gefahr für Fjedor aus.

Der Schmugglerkönig lehnte sich nach vorn und stützte seine Wange auf die Hand. „Was muss ich mir unbedingt ansehen?“ fragte er genervt und beäugte Ratz‘ Gesicht, das noch immer die deutlichen Spuren von Wuleens Angriff trug. „Etwa deine hässliche Visage? Was hast du wieder angestellt?“

Ratz blieb stehen und kratzte sich verlegen an der geschwollenen Wange. „Das war ein kleiner, unerfreulicher Zwischenfall“, versicherte er hastig. „Nicht der Rede wert.“

„So“, brummte Fjedor. „Und weshalb störst du mich dann?“

„Einer der Arbeiter hat etwas Seltsames gefunden“, berichtete Ratz und Fjedor das merkwürdige Bruchstück entgegen. „Vielleicht ist es das, wonach Brynne sucht.“

Fjedor nahm den Stein entgegen und betrachtete ihn nachdenklich. Der scharfkantige Splitter sah auf den ersten Blick aus, wie ein unreines Stück Sturmerz, doch die bläulichen Adern, die den schwarzen Stein durchzogen, waren viel feiner und verzweigter. Sie erinnerten Fjedor an einen Blitz am dunklen Nachthimmel.

„Das fühlt sich gut an!“

Ratz erstarrte beim hungrigen Klang der Stimme, die aus einer dunklen Ecke der Höhle erklang. Der Oberaufseher hatte Brynnes Anwesenheit gar nicht bemerkt. Zitternd drehte er sich um und starrte in den unbeleuchteten Teil der Thronhöhle.

Brynne hatte nur einen seiner Leibwächter an seiner Seite, aber allein Brothains Anwesenheit reichte aus, um den eindeutigen Eindruck zu vermitteln, dass sein Herr unantastbar war. Der schwarzgekleidete Dunkelelf starrte Ratz mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck an und auf der Stirn des Oberaufsehers bildeten sich augenblicklich Schweißtropfen. Brynne selbst war in der Dunkelheit verborgen, doch Ratz konnte spüren, wie er seinen Blick gierig auf das Bruchstück in Fjedors Händen richtete.

Auch der Schmugglerkönig fühlte sich in seiner Haut sichtlich unwohl, doch es gelang ihm, Ruhe zu bewahren. „Ist das ein Blitzstein?“, fragte er und Ratz war erstaunt, dass die Stimme seines Anführers nicht zitterte. Der Oberaufseher konnte erkennen, wie Brynne in der Dunkelheit seinen Arm hob und mit einem mageren Finger auf den Splitter deutete.

„Bring ihn mir!“, befahl er Brothain mit einer Stimmlage, die keinen Widerspruch zuließ. Der Dunkelelf setzte sich mechanisch in Bewegung und schritt auf Fjedor zu.

Nironil sah darin eine potentielle Bedrohung für seinen Herrn. Er trat augenblicklich nach vorn und in seiner Hand flammte magisches Feuer auf. Als Brothain das sah, verlangsamte er seine Schritte und griff nach seinem Dolch. Ratz verlor fast die Nerven, als sich die beiden Leibwächter Auge in Auge gegenüberstanden.

Fjedor gab Nironil einen missmutigen Wink. „Schon gut“, brummte er gereizt. „Lass ihn durch.“

Der Flammenzauber erlosch und Brothain trat vor Fjedor, ohne den Waldelfen aus den Augen zu lassen. Der Schmugglerkönig drückte dem Dunkelelfen den Splitter in die Hand. „Bitteschön“, rief er und schien froh zu sein, das seltsame Bruchstück loszuwerden. „Bring es deinem Meister.“

Brothains Faust umschloss den kleinen Gesteinsbrocken und er kehrte in die dunkle Ecke zurück, in der Brynne ungeduldig auf ihn wartete. Hastig griff er nach dem Splitter, den sein Leibwächter ihm überreichte. Andächtig drehte und wendete er den Stein zwischen seinen Händen und betrachtete ihn, als sei er aus purem Gold. „Endlich! Ich habe gespürt, dass er hier ist!“

Fjedor rutschte unruhig auf seinem Thron hin und her. Brynnes gierige Stimme machte ihn nervös. „Also ist das tatsächlich das, wonach du gesucht hast“, stellte er fest. In seiner Stimme schwang Unsicherheit mit und er gab sich Mühe, seine nächsten Worte möglichst forsch auszusprechen. „Dürfte ich jetzt endlich erfahren, was es mit diesen Blitzsteinen auf sich hat? Ich finde, dass du mir diese Erklärung schuldig bist, immerhin haben die Sklaven unter der Aufsicht meiner Leute den halben Berg umgegraben, damit du diesen Splitter in Händen halten kannst.“

Ratz sog erschrocken die Luft ein und wartete ängstlich auf Brynnes Reaktion. Für eine Weile herrschte eine angespannte Stille und der Oberaufseher konnte sein eigenes Herz in seiner Brust hämmern hören. Dann verlagerte Brynne sein Gewicht und die Vorratskisten, auf denen er thronte, gaben ein knarrendes Geräusch von sich. „Selbstverständlich. Du sollst deine Antworten bekommen.“ Seine Stimme klang überraschend sanft und friedlich. „Weißt du, wie Sturmerz entsteht?“

Fjedor konnte nur erahnen, welchen Ausdruck Brynnes Gesicht angenommen hatte, doch er spürte, wie sein Verbündeter ihn aus der Dunkelheit heraus abschätzend anstarrte. „Ich habe keine Ahnung“, antwortete der Schmugglerkönig.

„Man sagt, dass es entsteht, wenn ein mächtiger Blitz in einen Berg einschlägt, dessen Inneres von schnödem Eisenerz durchzogen ist“, erklärte Brynne. „Reine Elementarenergie zieht sich durch den Berg. Das einfache Eisen wird durch diese Urkräfte verändert und es verwandelt sich in wertvolles Sturmerz. An der Stelle, an der der Blitz ins Erdreich fährt, versteinert seine Energie und bildet das Zentrum einer Sturmerzader, einen Ausgangspunkt, von dem aus sie sich durch den Fels zieht. Dieses Zentrum versprüht die Elementarmagie des Blitzes und pumpt sie wie ein schlagendes Herz durch die weit verzweigten Erzadern. Diese Magiequelle ist flüchtig und verliert über die Jahrtausende im Inneren des Berges langsam seine Kraft, aber sie birgt noch immer die Macht, die Energie eines Blitzes zu absorbieren. So ein Zentrum ist ein Blitzstein.“

„Dann hast du jetzt, was du wolltest“, entgegnete Fjedor und bemühte sich, seine Stimme möglichst souverän und ungerührt klingen zu lassen. „Das bedeutet wohl, dass sich unsere Wege trennen werden.“

„Nicht ganz, mein Freund. Ich brauche dich und deine Leute noch. Fragst du dich nicht, was ich mit diesem Blitzstein vorhabe?“

„Nein, das ist mir vollkommen egal!“, rief Fjedor schrill. „Was willst du denn noch von mir? Du hast nur gesagt, dass du in diesem Berg nach einem Blitzstein suchst. Mehr will ich gar nicht wissen!“

„Ich habe dir diese Sturmerzader gezeigt“, knurrte Brynne drohend. „Ich habe nichts außer diesen Blitzstein als Gegenleistung verlangt, während du mit dem Schmuggel Reichtümer anhäufst. Und jetzt willst du mir einen weiteren Gefallen verweigern?“

Ratz zitterte vor Angst. „Bitte!“, flehte er Fjedor an. „Reiz ihn nicht unnötig! Das endet nicht gut.“

Fjedor hatte selbst damit zu kämpfen, nicht die Nerven zu verlieren, doch er konnte sich beherrschen. „Also schön“, brummte er verbittert. „Ich kann mir ja wenigstens anhören, was du noch von mir verlangst. Also erzähl schon, was hast du mit diesem Blitzstein vor?“

Brynne beugte sich weiter nach vorn und der Schein der Fackeln fiel auf sein vernarbtes Gesicht. Auf seinen blassen Lippen lag ein irres Grinsen. „Ich werde den Wolkentempel angreifen“, verkündete er gierig.

Fjedor schob argwöhnisch die Augenbrauen zusammen. „Den Wolkentempel?“, fragte er verwundert. „Was willst du denn von diesen Einsiedlern?“

„Ich habe mit ihrem Ordensführer noch eine alte Rechnung offen“, gab Brynne zurück. „Ich gehörte selbst einmal zu diesen Mönchen und habe mich in der Kunst der Blitzmagie unterweisen lassen, bis mich Hochmagier Ascor verbannt hat. Lass dich von ihrem ärmlichen Aussehen nicht täuschen, die Priester horten dort oben Massen an Reichtümern.“

Fjedor wurde hellhörig. „Verstehe!“, rief er und seine Augen leuchteten gierig. „Du willst dir ihre Schätze unter den Nagel reißen. Da kann man schonmal auf den Schmuggel mit Sturmerz verzichten. Aber mit deinem eigenen kleinen Haufen von Totschlägern kommst du da wohl nicht weit.“

Brynne lehnte sich wieder zurück und sein Gesicht verschwand in der Dunkelheit. „Die Schätze interessieren mich nicht“, erwiderte er gelangweilt. „Wenn du mir hilfst, darfst du den Tempel nach Herzenslust plündern. Ich habe es einzig und allein auf Ascor abgesehen.“

Fjedor grinste verschlagen. „Das hört sich in meinen Ohren doch schon viel besser an!“, lachte er voller Vorfreude. „Unter diesen Umständen kannst du selbstverständlich auf mich zählen! Aber warum genau brauchst du dafür so einen Blitzstein?“

Der Schmugglerkönig konnte erahnen, dass Brynne die Hände faltete. „Ich habe dir doch eben gesagt, dass die Mönche dort oben in der Kunst der Blitzmagie unterwiesen werden“, erklärte er ruhig. „Ihre Kraft ist nicht der Rede wert, damit sollte dein Lumpenpack bestens zurechtkommen. Aber Ascor ist ein meisterhafter Sturmmagier. Er beherrscht nicht einfach nur die grundlegenden Zauber, sondern ist dazu in der Lage, vernichtende Blitze direkt aus dem Himmel zu holen. Gegen so eine Macht sind wir alle wehrlos. Deshalb der Blitzstein. Wenn Ascor auf die Idee kommen sollte, mich zu rösten, wird dieser kleine Splitter die Energie seines Angriffs einfach absorbieren. Solange ich ihn bei mir trage, kann mir Ascor nichts anhaben. Und sobald seine Attacken verpufft sind, wird er sterben.“

Fjedor nickte anerkennend. „Ich bin beeindruckt. Das hast du dir wirklich fein überlegt. Aber da stellt sich mir die Frage, wie du herausgefunden hast, dass dieser Berg von Sturmerz durchzogen ist und du an diesem Ort einen Blitzstein finden kannst.“

„Wie gesagt, ich war ein Schüler Ascors“, erwiderte Brynne gelassen. „Und vermutlich der beste, den er je unterrichten durfte. Ich kann die Elementarmagie der Blitze nicht nur nutzen, ich kann sie auch aufspüren. Du weißt ja, dass ich an dieser unsäglichen Krankheit leide, die mich dazu zwingt, mein Leben fernab des Sonnenlichts zu fristen. Und als ich mich in dieser Grotte versteckte, habe ich sofort erkannt, dass irgendwo in ihrem Inneren ein Blitzstein schlummert und nur darauf wartet, dass ich ihn mir hole.“

„Warum hat Ascor dich denn verbannt, wenn du so ein guter Schüler warst?“, fragte Fjedor neugierig.

„Das braucht dich wirklich nicht zu interessieren“, gab Brynne gereizt zurück. „Das ist eine persönliche Angelegenheit zwischen mir und ihm.“

„Schon gut, ich hab ja nur gefragt“, brummte Fjedor und hob entwaffnend die Hände. „Aber du hast mich überzeugt. Allmählich zeigt sich, dass es wirklich eine gute Idee war, mich mit dir zu verbünden. Ich helfe dir, den Wolkentempel anzugreifen!“

„Wunderbar. Ich wusste, du würdest vernünftig werden. Sobald Veit mit dem Schiff zurück ist, brechen wir auf.“

„Du willst mit dem Schiff nach Norden reisen?“, wunderte sich Fjedor und kratzte sich an seiner narbigen Wange.

„Natürlich. Wir kommen deutlich schneller an unser Ziel, wenn wir den Maldocan hinauffahren. Außerdem kann ich mich mit meiner Krankheit nicht dem Sonnenlicht aussetzen. Es würde unnötig viel Zeit kosten, wenn wir nur bei Dunkelheit marschieren könnten. Wann soll Veit zurückkehren?“

„Wenn es keine Verzögerungen gab, wird er noch heute Nacht ankommen“, antwortete Fjedor.

„Ganz ausgezeichnet!“, raunte Brynne und drehte den Blitzstein zwischen seinen langen Fingern. „Wir werden ihn an der Küste abmarschbereit erwarten!“

Der Schmugglerkönig erhob sich. „Na, das klingt wirklich vielversprechend!“, freute er sich und grinste breit. „Aber der Handel mit dem Sturmerz läuft zu gut, als dass ich darauf vollständig verzichten möchte. Du hast doch hoffentlich nichts dagegen, wenn ich einen Teil meiner Leute hier zurücklasse, um den Erzabbau zu überwachen.“

„Meinetwegen“, zischte Brynne und es war ihm anzuhören, dass Fjedors Pläne ihm nicht gefielen. „Aber ich brauche mindestens drei Dutzend deiner Leute, um den Wolkentempel stürmen zu können. Die Schüler des Hochmagiers sind absolute Stümper, aber das dicke Mauerwerk ihres Tempels bietet ihnen Schutz. Und sorg dafür, dass dieser Ork nicht mitbekommt, wohin wir gehen. Ich traue ihm immer noch nicht.“

„Kein Problem“, versicherte Fjedor. „Ich lasse einfach Mola und ihre Bande hier zurück. Der alten Schrapnelle gönne ich einen so fetten Beutezug ohnehin nicht.“ Er drehte sich zu Ratz um, dessen Gesicht aschfahl war. „Und dir übertrage ich für die Zeit unserer Abwesenheit das Kommando. Lass dich von der alten Schreckschraube und Yarshuk nicht unterbuttern, alles klar?“

Ratz‘ Wangen bekamen sofort wieder etwas Farbe. Fjedors Befehl freute ihn sehr. In der Mine das Sagen zu haben, gefiel ihm viel mehr, als unter Brynnes Kommando einen Tempel voller magiebegabter Priester anzugreifen. Stattdessen wurde seine jahrelange Treue endlich gewürdigt. „Von Mola lasse ich mir überhaupt nichts sagen!“, rief er entschlossen. „Du wirst sehen, ich werde die Sklaven mit doppelter Geschwindigkeit arbeiten lassen! Bis du zurück bist, quillt die Höhle über vor abgetragenem Sturmerz!“

„Diesen Ehrgeiz sehe ich gerne!“, lachte Fjedor und winkte Nironil zu sich. „Kommt! Wir sagen meinen Leuten Bescheid, dass es noch heute ein paar Änderungen geben wird. Und wie Brynne gesagt hat: Kein Sterbenswörtchen zu Yarshuk!“

Der Schmugglerkönig rieb sich voller Vorfreude die Hände und verließ die Thronhöhle. Ratz und Nironil folgten ihm auf den Fersen, wobei der Oberaufseher vor Stolz über seine neue Aufgabe fast platzte. Nironil dagegen war so ruhig und reserviert wie immer.

Brynne drehte zufrieden den Blitzstein zwischen seinen Fingern und wartete, bis das Dreiergespann verschwunden war. „Ausgezeichnet“, raunte er Brothain zu. „Das lange Warten hat sich gelohnt.“

Der Dunkelelf neigte unterwürfig den Kopf. „Endlich steht Ihr kurz vor dem Ziel, Meister. Sobald der Finger der Wolken Euch gehört, wird sich ganz Gäa vor Euch verneigen müssen.“

Eine Motte, die sich in die dunklen Gänge verirrt hatte, flatterte durch die Höhle. Brynne folgte ihr mit hungrigen Blicken. Dann reckte er die Hand vor und aus der Kuppe seines ausgestreckten Zeigefingers sprühten Funken. Sie entluden sich in einem kurzen, grellen Blitz, der durch den Thronraum zuckte, dann segelte die Motte mit verkohlten Flügeln zu Boden wie ein fallendes Blatt im Herbst. Brynne kicherte frohlockend und verzog das entstellte Gesicht zu einem höhnischen Grinsen. „Und dann werden die Götter selbst meine Rache zu spüren bekommen!“
 

Viland schwang seine Axt mit beiden Händen und ging wie ein wilder Stier auf Tyra los. Die Abenteurerin erwartete ihn und zückte im Schutz ihres Lederschilds ein Messer, das sie mit einer geschickten Bewegung auf ihren Kontrahenten schleuderte. Der plötzliche Gegenangriff überraschte Viland, doch er konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen. Doch er musste seinen Ansturm stoppen und Tyra setzte sofort nach. Mit blankem Schwert sprang sie auf ihren Gegner zu und hieb kräftig auf ihn ein. Zwischen den beiden Barbaren entstand ein heftiger Schlagabtausch. Stahl prallte klirrend auf Stahl, als sich Viland mit seiner Axt gegen Tyras Klinge zur Wehr setzte. Mit dem Schild in der Linken lenkte die Abenteurerin die verheerenden Hiebe ihres Kontrahenten ab und stieß ihrerseits immer wieder mit dem Schwert zu. Viland war stärker, ausdauernder und erfahrener als seine Gegnerin, aber Tyra hielt mit Schnelligkeit und Wendigkeit entschieden dagegen. Immer wenn sie Vilands Axt geschickt an ihrem Schildbuckel abgleiten ließ, war die Deckung des Kämpfers für einen Moment offen. Und das nutzte Tyra schonungslos aus.

Sie fing einen weiteren Axthieb ab und schlug gleichzeitig mit dem Schwert in ihrer Hand zu. Bevor Viland wusste, wie ihm geschah, klaffte an seinem Oberschenkel eine tiefe Schnittwunde. Der Barbar knurrte schmerzerfüllt und taumelte ein paar Schritte zurück. Tyra allerdings ließ ihm keine Zeit, sich zu erholen, und warf ein weiteres Messer nach ihm. Diesmal traf sie. Vilands Rüstung schützte ihn vor einer schlimmeren Verletzung, doch das Messer durchdrang das Leder und die oberen Hautschichten und blieb schließlich in Vilands Schulter stecken. Scheinbar ungerührt griff der Barbar nach der Klinge, zog sie mit einem dumpfen Grunzen aus seinem Körper und schleuderte sie postwendend zurück.

Damit hatte Tyra nicht gerechnet. Sie wollte dem wirbelnden Messer ausweichen, doch als sie zur Seite sprang, rutschte sie auf dem glitschigen Höhlenboden aus. Sie fing sich, bevor sie der Länge nach hinschlug, doch der Kampf mit dem Gleichgewicht hatte wertvolle Sekunden gekostet, in denen sie abgelenkt war. Viland nutzte die Gunst der Stunde und machte ungeachtet seines verletzten Oberschenkels einen gewaltigen Satz in Tyras Richtung. Seine Axt schwang er dabei mit beiden Händen hoch über seinem Kopf. Die junge Abenteurerin hob instinktiv den Schild und parierte den vernichtenden Hieb mit seinem Schwert. Die Gewalt des Zusammenpralls erschütterte ihren ganzen Körper und ein betäubender Schmerz schoss durch ihren Waffenarm. Die Axt spaltete das Leder, mit dem der Schild bespannt war, aber das Gerüst aus massivem Eichenholz konnte sie nicht durchdringen.

Viland ließ trotz seiner Verletzungen nicht locker und schlug weiterhin unerbittlich zu. Er drängte Tyra langsam zurück und nur die Lederschlaufe an ihrem Unterarm verhinderte, dass ihr der Schild unter Vilands gewaltigen Hieben nicht entglitt. Die Abenteurerin spürte, wie ihre Finger langsam taub wurden.

Viland war wie rasend. Seine Axt fuhr zischend durch die Luft und Tyra sah hinter ihrem Schild nur noch das schartige Schnittblatt und dazwischen immer wieder die wilden Augen ihres Gegners. Ihr war klar, dass sie nicht mehr lange durchhalten würde, wenn Viland weiter derart brachial auf sie eindrosch. Mit einem erstickten Aufschrei machte sie einen Hechtsprung zur Seite. Vilands Reaktionsgeschwindigkeit war schneller, als sie gedacht hatte. Sie spürte den Luftzug von seiner Axt an ihrer Wange, ehe die schwere Waffe in einen der Wolfsschädel einschlug, die Tyra als Verzierungen auf ihren Schulterplatten trug, und ihn der Länge nach spaltete. Die Abenteurerin selbst blieb unverletzt, aber sie konnte sich bildhaft vorstellen, das mit ihrem Schädel Ähnliches geschah, wenn er Bekanntschaft mit Vilands Axt machte. Geschickt rollte sie sich ab, kam wieder auf die Beine und schleuderte in derselben Bewegung ein Messer nach ihrem Gegner. Viland, von der Ausweichbewegung seines Kontrahenten überrascht, drehte die Schulter ein, um seinen Körper zu schützen. Das Messer fuhr knapp unterhalb der Kettenglieder seiner Rüstung in seinen Oberarm.

Tyra ging hinter einem Tropfstein in Deckung und nahm sich einen Moment, um tief durchzuatmen. Auch wenn sie Viland hatte verletzen können, schien es ihr keine gute Idee zu sein, ihren Gegner noch einmal in den Nahkampf zu verwickeln. Zum Glück war ihr Arsenal aus Wurfmessern so schnell nicht aufgebraucht.

Mit einer Hand wischte sich Tyra ein paar Knochenbrösel von der Schulter. Mehr war von dem Wolfsschädel nicht übriggeblieben. Die Abenteurerin konnte Vilands schweren Atem hören. Noch hatte er keine schweren Verletzungen davongetragen, aber auf Dauer würden ihm vor allem die Wunden an Oberschenkel und Bizeps zu schaffen machen. Vorsichtig spähte sie hinter dem Tropfstein hervor.

Viland zog das Messer aus seinem Arm und warf die blutige Klinge achtlos zur Seite. Er starrte die Wunde an, als sei sie nur ein lästiger Mückenstich. „Wo steckst du?“, grollte seine verärgerte Stimme durch die Grotte. „Du entkommst mir nicht!“

Als Reaktion auf seine Drohung kam wie aus dem Nichts ein weiteres Messer wirbelnd angeflogen. Viland konnte der Klinge ausweichen, doch als er sich wütend auf Tyra stürzen wollte, war diese bereits wieder in Deckung gegangen und er hatte sie aus den Augen verloren.

Der Barbar wurde nun vorsichtiger. Er sah sich aufmerksam nach allen Seiten um und wich vorsichtig aus der Mitte der Grotte zurück, bis er die feuchte Höhlenwand in seinem Rücken spürte. Auf diese Weise verhinderte er, dass Tyra ihn aus dem Hinterhalt angriff.

Im Augenwinkel bemerkte er eine Bewegung und wirbelte herum. Er sah Tyra hinter einem Tropfstein verschwinden und ein blitzendes Messer, das genau auf ihn zuflog. Reflexartig hielt sich Viland die Streitaxt vor den Kopf und die Klinge prallte mit einem harmlosen Klirren am Schnittblatt seiner Waffe ab.

„Jetzt hab ich dich!“, grollte der Barbar und stürmte mit großen Schritten auf den Tropfstein zu, den Tyra als Deckung genutzt hatte. Weit holte er mit seiner Axt aus und sprang hinter den Felsen, doch die junge Abenteurerin hatte den Angriff erwartet. Ihre Messer waren viel schneller als die Waffe ihres Gegners und eine scharfe Klinge fuhr durch Vilands Lederbrustpanzer. Getroffen stolperte der Axtkämpfer zurück und presste seine Hand auf die Stelle, an der sich das Messer in seinen Bauch gebohrt hatte.

Endlich zeigte ein Treffer Wirkung. Viland schwankte und röchelte. „Es reicht“, keuchte er. „Ich wollte…ich wollte dich eigentlich lebend fangen. Aber jetzt…jetzt hab ich genug von dir. Diese Höhle wird dein Grab.“

Tyra wog prüfend ein neues Messer in ihrer Hand und grinste triumphierend. „Du verwechselst da was“, entgegnete sie. „Du bist derjenige, der hier nicht mehr lebend rauskommt.“ Sie holte aus, um ihrem Kontrahenten mit einem gezielten Wurf den Garaus zu machen, doch Viland schlug das Messer zu ihrer Überraschung einfach aus der Luft und ging schnaufend zum Gegenangriff über. Tyra erschrak, zog ein weiteres Messer und warf es überhastet. In ihrer Hektik schätzte sie die Entfernung falsch ein. Sie traf Viland zwar, allerdings fehlte eine halbe Umdrehung, sodass die Waffe mit dem Griff voran an seinem Brustpanzer abprallte. Der wutschnaubende Barbar holte weit mit seiner Axt aus und Tyra blieb nichts anderes übrig, als sich mit ein paar schnellen Sprüngen in Sicherheit zu bringen. Viland blieb frustriert stehen und rang keuchend nach Atem.

Tyra erkannte, dass ihr Gegner fast am Ende war. Sein Gesicht war kreidebleich und auf seiner Stirn glitzerten Schweißtropfen. Der Blutverlust machte ihm schwer zu schaffen. In gebührendem Sicherheitsabstand ging Tyra vor ihrem Kontrahenten auf und ab und drehte ein Messer zwischen ihren Fingern. Es sollte die letzte Klinge sein, die von Vilands Blut benetzt wurde. Entsprechend sorgfältig zielte die junge Abenteurerin. Viland, der zu geschwächt war, um auszuweichen, hob schwankend seine Axt vor seinen Körper, in der verzweifelten Hoffnung, die Klinge abzuwehren. Seine blutunterlaufenen Augen schienen Schwierigkeiten zu haben, sich auf einen einzelnen Punkt zu fixieren. Tyra hatte alle Zeit der Welt, nach einer Lücke in der Deckung ihres Gegners zu suchen. Sie holte mit ihrem Wurfarm aus und die Knöchel ihrer Finger wurden weiß.

Da schoss plötzlich ein fürchterlicher Schmerz durch ihre rechte Wade. Sie stieß einen Schmerzensschrei aus, ließ das Messer fallen und starrte auf ihr Bein. Ein Bluthecht, der in einem Loch gelauert hatte, an das sich Tyra unvorsichtigerweise zu nahe herangewagt hatte, war aus dem Wasser geschnellt und hatte seine rasiermesserscharfen Zähne in ihren ungeschützten Unterschenkel geschlagen. Das heftige Stechen Dutzender rasiermesserscharfer Zähne raubte der Messerwerferin fast die Sinne und in einem Wutanfall schlug sie dem Raubfisch mit ihrem Schwert den Kopf ab. Der längliche Körper rutschte zurück in das mit Wasser gefüllte Loch und wurde von den anderen Bluthechten in Sekundenschnelle in Fetzen gerissen. Die Kiefer des Fisches umschlossen auch noch im Tod Tyras Wade und die Abenteurerin strampelte heftig mit dem Bein, bis sich der abgetrennte Kopf von ihrem Unterschenkel löste und zu Boden fiel.

Viland nutzte Tyras Unaufmerksamkeit sofort aus. Während die Barbarin mit dem Bluthecht rang, stürmte der Axtkämpfer ungeachtet seiner Verletzungen taumelnd los. Tyra bemerkte ihn gerade noch rechtzeitig und duckte sich, bevor sie von Vilands Axt enthauptet wurde. Sie wollte schnell wieder auf Abstand gehen, doch der Biss des Bluthechts hatte ihr rechtes Bein ruiniert und als sie ihr Gewicht darauf verlagerte, durchfuhr wieder ein stechender Schmerz ihre Wade, als hätte der Raubfisch erneut zugebissen. Tyra heulte laut auf und stolperte zur Seite. Mit dem Schild konnte sie Vilands nächsten Axthieb parieren. Sie holte mit dem Schwert aus und stieß es ihrem Gegner in den Körper, dicht neben dem Messer, das schon in seinem Bauch steckte. Vilands Gesicht lief vor Schmerz rot an, doch er ließ nicht locker, obwohl er der Ohnmacht nahe war.

Mit all seiner Kraft schlug er Tyra ins Gesicht. Der Schwertgriff entglitt ihrer Hand und die junge Abenteurerin verlor fast das Bewusstsein. Ihr Blickfeld verschwamm und auf ihren Ohren lag ein schrilles, betäubendes Piepsen. Desorientiert stolperte sie durch die Höhle und zuckte jedes Mal zusammen, wenn sie auf ihr verletztes Bein trat. Durch einen Schleier sah sie Viland auf sich zuwanken. Der Barbar zog das Schwert aus seinem Bauch und ließ es klirrend zu Boden fallen.

Tyra konnte den ersten Hieb ihres Gegners mit Mühe parieren, doch dabei grub sich Vilands Axt tief in den Schildrand. Mit einem kräftigen Ruck riss der Krieger der Abenteurerin ihre Schutzwaffe vom Arm, wobei er Tyra fast zu Boden schleuderte. Intuitiv zückte die junge Frau ein Messer und wollte es Viland direkt ins Herz stoßen, doch diesmal war ihr Gegner schneller. Tyra hatte nicht einmal mehr die Zeit einen Todesschrei auszustoßen.

Die Axt fuhr tief in die Halsbeuge der Barbarin und trennte ihr fast den Arm ab. Die Wucht des Treffers zwang sie in die Knie, Blut ergoss sich in Strömen über ihren Brustpanzer und tränkte dessen fellbesetzten Saum. Tyras Atem ging stoßweise und rasselnd und ihr Oberkörper wippte langsam vor und zurück. Mühsam hob sie den Kopf und starrte Viland ungläubig an. Verschwommen erkannte sie, wie der Krieger schwankend über ihm stand, noch immer den Schaft der Axt in der Hand, die er ihr tief in die Schulter getrieben hatte. Mit ihren allerletzten Atemzügen hob sie noch einmal zitternd ihr Messer, um doch noch zu beenden, was sie begonnen hatte, doch ihre Kraft reichte nicht mehr aus. Ein letztes, krampfartiges Beben schüttelte ihren schlanken Körper, dann sackte sie leblos in sich zusammen.



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