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Wolkenwächter

Die Chronik eines Ausgestoßenen - Teil 1
von

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Ratford und Lazana kundschafteten die Düstermarsch nun schon seit zwei Tagen aus und waren mitten in das schwarze Herz der unwirtlichen Gegend vorgestoßen. Ihre Beine waren mittlerweile fast bis zu den Knien mit Schlamm bedeckt, aber außer einigen Schlammtümpeln hatten sie noch mit keinen anderen Tücken der Düstermarsch Bekanntschaft machen müssen. Der schwere, würzige Geruch von vermodertem Holz hing in der Luft und raubte den beiden Reisenden fast die Sinne. Der Wald war erfüllt vom Zirpen zahlloser Insekten und dem Blubbern der Sumpflöcher, aus denen die stinkenden Gase der Verwesung in dunkelbrauen Blasen aufstiegen. Ab und zu ertönte in der Ferne ein unheilvolles Heulen, doch bislang waren keine hungrigen Raubtiere in Sicht. Den beiden Gefährten war allerdings bewusst, dass sich das jederzeit ändern konnte und so hielten sie sich in konzentrierter Anspannung bereit, sich gegebenenfalls verteidigen zu müssen.

Ratford war ein mächtiger Krieger von den Südlichen Inseln Grimhagens. Sein schweres Kettenhemd unter der eisernen Brustplatte klirrte bei jedem Schritt seiner stämmigen Beine und seine doppelseitige Streitaxt, die er mit beiden Händen führte, war schon so manchem Gegner zum Verhängnis geworden. Durch sein unrasiertes Gesicht und seinen meist mürrischen Blick wirkte Ratford grobschlächtig und grimmig und gab aufgrund seiner großgewachsenen Gestalt und seines muskulösen Körpers ein wirklich eindrucksvolles Bild ab. Seine Partnerin Lazana dagegen war schlank und elegant, aber nicht weniger gefährlich. In ihrer weißen, goldbestickten Robe, deren Saum durch den Marsch durch den Sumpf längst einen schlammigen Braunton angenommen hatte, wirkte sie wie die Tochter eines Adeligen. Lazana stammte aus Ganestan und hatte an der Universität für Magie in Kaboroth studiert. Inzwischen war sie eine talentierte Eismagierin geworden, die mit bloßer Gedankenkraft augenblicklich Wasser in ihrer Umgebung gefrieren lassen konnte.

Die beiden ungleichen Gefährten waren Gefolgsleute von Cord Dullahan, dem selbsternannten Rebellenkönig des Wüstenlandes Vanashyr. Seit Jahrzehnten befanden sich die dort heimischen Dünenmenschen in einem erbitterten Kampf um die großen Wasserquellen jenes Landes. Ihre Gegner waren die Katzenmenschen vom Volk der Pardel, die sich selbst als die wahren Herren Vanashyrs sahen. Cord selbst war kein Dünenmensch, doch sein Auftreten hatte den Konflikt entscheidend entschärft. Die Dünenmenschen verehrten sein Führungstalent und hatten ihn kurzerhand zu ihrem ersten König gekrönt. Seitdem befand sich Cord in Friedensverhandlungen mit dem König der Pardel, die jedoch nur schleppend vorankamen. Als Cord zu Ohren gekommen war, dass eine Botschafterin des Pardelkönigs mitsamt ihrer Leibgarde in der Düstermarsch verschollen war, hatte er verkündet, dass er diesem rätselhaften Verschwinden nachgehen würde, um dem Volk der Pardel so sein Entgegenkommen zu demonstrieren. Für die Suche nach den vermissten Abgesandten hatte der König der Dünenmenschen Ratford und Lazana ausgewählt, die schon zu seinen Weggefährten gezählt hatten, lange bevor er nach Vanashyr gekommen war, um den dort tobenden Krieg zu beenden.

Die Pardelbotschafterin war gerade auf dem Rückweg von Verhandlungen mit einem Fürsten der Dunkelelfen gewesen und ihre Spur verlor sich in Khaanor. Ratford und Lazana hatten erfahren, dass die Katzenfrau und ihre beiden Leibwachen per Schiff vom Festland von Shalaine auf direktem Wege zurück nach Vanashyr im Süden segeln wollten, aber vor der Küste von Adamas in einen schweren Sturm gerieten, der das Schiff beschädigte. Für die dringend benötigten Reparaturen hatte man Khaanor angesteuert, doch die Botschafterin hatte nicht warten wollen, bis das Schiff wieder seetauglich war. Also hatte sie entschieden, auf dem Landweg nach Eydar vorzustoßen, um von dort aus mit einem neuen Schiff weiter nach Süden zu segeln. Seit dem Tag, als die Botschafterin in der Düstermarsch verschwunden war, hatte man sie nicht mehr gesehen.

Ratford und Lazana wussten, wie wichtig die Aufgabe war, die Cord ihnen übertragen hatte. Wenn es ihnen gelang, dem Pardelkönig seine Botschafterin zurückzubringen, würde dieser Akt sein Vertrauen den Dünenmenschen gegenüber enorm steigern. Deshalb hatten sie auch die Warnungen der Bewohner von Khaanor ignoriert, die sie unter allen Umständen davon abhalten wollten, die Düstermarsch zu betreten. Die Befehlshaberin der Kaiserlichen Truppen der Hafensiedlung hatte sogar damit gedroht, die beiden zu ihrer eigenen Sicherheit einsperren zu lassen. Ratford und Lazana hatten sich davon allerdings nicht beeindrucken lassen und hatten die Stadt allen Warnungen zum Trotz nach Südosten verlassen.

Leider war die Düstermarsch groß, unwegsam und unübersichtlich und Ratford verlor allmählich die Geduld. „Das kann doch nicht sein“, beschwerte er sich lautstark. „Nichts zu sehen außer verrottendes Holz und stinkende Kadaver. Kannst du mir mal erklären, wie es möglich ist, dass drei Pardel so spurlos verschwinden?“

Lazana war anzusehen, dass ihr die stickige, warme Luft der Sumpfwälder zu schaffen machte. Auf ihr Stirn glitzerten einzelne Schweißperlen und ihre ansonsten blasse Haut war unter ihren hellblauen Augen gerötet. Dem seidigen Glanz ihres langen, blonden Haares taten die unangenehm schwülen Bedingungen der Düstermarsch allerdings keinen Abbruch. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie mit schwacher Stimme und stützte sich auf ihren Stab. „Aber vielleicht haben die Leute in Khaanor recht und unsere Suche ist sinnlos. Immerhin haben die Soldaten auch immer wieder Patrouillen ausgeschickt, die jedes Mal mit leeren Händen zurückgekehrt sind.“

„Blödsinn“, knurrte Ratford verärgert. „Diese Idioten haben doch nichts drauf. Die finden doch noch nicht mal einen dreibeinigen Wolf in einer Schafsherde.“

„Und warum finden wir dann auch nichts?“, warf Lazana ein. „Noch nicht einmal den kleinsten Hinweis?“

Ratford antwortete nicht auf die Frage seiner Partnerin. Er setzte seinen Weg fort und achtete einen Augenblick nicht darauf, wo er hintrat. Sein Fuß rutschte ab und versank bis zu den Knöcheln in einem Schlammloch. „Verdammter Dreck!“, brummte er wütend. Er war inzwischen so gereizt, dass er nicht mehr länger an sich halten konnte und unüberlegt mit seiner Axt auf den Tümpel eindrosch. Stinkender Morast spritzte in alle Himmelsrichtungen und landete in Ratfords unrasiertem Gesicht. Der Krieger zog seinen Fuß schmatzend aus dem Schlamm und fluchte wild vor sich hin. Aufgebracht suchte er sich ein besseres Opfer für seine Axt und trieb sie schließlich mit einem kräftigen Hieb und einem zornigen Aufschrei tief in den Stamm eines Baumes. Das Blattwerk erzitterte und aus den Wipfeln fiel Laub zur schlammigen Erde. Lazana trat hinter ihn und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. Sofort löste sich Ratfords Anspannung ein wenig und seine krampfhaft zu Fäusten geballten Hände öffneten sich wieder. „Dieser Sumpf macht mich langsam wahnsinnig, Lazana“, gab er niedergeschlagen zu. „Aber wir können doch unmöglich mit leeren Händen nach Vanashyr zurückkehren. Cord wäre enttäuscht.“

„Ich weiß“, erwiderte Lazana bedächtig. „Aber vielleicht sollten wir uns damit abfinden, dass wir hier nicht weiterkommen. Wir haben unser Bestes gegeben. Cord wird das verstehen.“

Ratford schwieg einen Moment. Dann umfasste er den Griff seiner Axt und zog sie scheinbar mühelos aus dem Baumstamm. „Wir gehen weiter nach Süden, bis wir Eydar erreicht haben“, entschied er. „Wenn wir dann immer noch keine Spur gefunden haben, kehren wir nach Vanashyr zurück.“

„Vanashyr? Das ist aber ein ganz schön weiter Weg.“

Ratford und Lazana blickten überrascht auf. Am Wegesrand saß auf einem Baumstumpf ein blonder, schlanker Waldelf und strich sich den Schlamm von den Sohlen seiner Fellstiefel. Er trug feine Seidengewänder, an seinen Fingern glitzerten edelsteinbesetzte Ringe und an seinem Gürtel hing ein glänzendes Schwert. Seine prachtvolle Kleidung passte überhaupt nicht zu dem dichten Bart, der an seinem Unterkiefer wucherte. Ratford verengte die Augen zu Schlitzen und ließ den Schaft seiner Axt durch seine Hand rutschen. Er mochte es nicht, wenn sich ihm jemand unbemerkt näherte. „Wer bist du?“, fragte er knurrend. „Was tust du hier?“

Der Waldelf betrachtete geistesabwesend seine akkurat gestutzten Fingernägel. „Mein Name ist Tareglir“, antwortete er. „Und ich wohne hier.“

Ratford schürzte die Lippen. „Was denn?“, brummte er ungläubig. „Hier in diesem stinkenden Dreckloch? Sieht man dir in deinem feinen Fummel gar nicht an.“

„Es gibt hier auch ganz angenehme Plätzchen, wenn man weiß, wo man suchen muss“, erwiderte Tareglir ungerührt. „Und ich weiß das ganz genau. Ich kenne diesen Sumpf und seine Gefahren.“

„Gefahren“, zischte Ratford verächtlich und wandte sich ab. „Lass mich raten. Du willst uns warnen, dass es Wahnsinn ist, diese Wälder zu durchqueren.“ Er winkte Lazana energisch zu. „Komm, dieser Kerl verschwendet nur unsere Zeit.“ Die Eismagierin zögerte und musterte Tareglir misstrauisch.

„Zu schade“, seufzte der Waldelf. „Eigentlich wollte ich euch dabei helfen, einen sicheren Weg durch die Düstermarsch zu finden. Wenn ihr nicht auf mich hören wollt, will ich euch nicht länger aufhalten. Aber es ist wirklich tragisch, wie viele Wanderer meine Angebote in den Wind schlagen und kurz darauf für immer in den Sümpfen verschwinden.“

Ratford war bereits im Begriff gewesen, seinen Weg fortzusetzen, als er plötzlich innehielt und sich wieder umdrehte. „Du hast vor uns bereits anderen Reisenden deine Hilfe angeboten?“, fragte er aufgeregt. „Waren darunter auch Pardel?“

Tareglir strich sich über seinen langen, struppigen Bart. „Drei kriegerische Katzenfrauen, eine von ihnen mit einer besonders prächtigen Fellzeichnung im Gesicht?“, überlegte er laut. „Ja, so eine Gruppe habe ich vor einiger Zeit angetroffen. Sie waren auf dem Weg nach Eydar und hatten sich dabei ganz offensichtlich verlaufen. Ich wollte auch ihnen helfen, aber in ihrem falschen Stolz haben sie mich zurückgewiesen.“

„Das klingt ganz nach Ahravi“, stellte Lazana trocken fest.

„Du hast sie gesehen?“ Ratford war plötzlich ganz aufgeregt. Er ging hastig auf den Waldelfen zu und packte ihn bei den Schultern. „Weißt du, was aus ihnen geworden ist?“

Tareglir löste sich sanft, aber bestimmt aus Ratfords Griff. „Sachte, mein Freund“, mahnte er ruhig. „Wenn sie es nicht geschafft haben, Eydar zu erreichen, sind sie wohl in den Sümpfen zugrunde gegangen. Ich sage immer wieder, dass dieses Gebiet seine eigenen Regeln hat, aber auf mich will ja niemand hören.“

„Wo hast du sie getroffen?“, fragte Ratford ungeduldig.

„An der Küste“, antwortete Tareglir und deutete nach Westen. „Ich kann euch die Stelle zeigen, wenn ihr wollt.“

Ratford achtete nicht darauf, dass Lazana zu zögern schien. „Bring uns dort hin!“, verlangte er von Tareglir.

Der Waldelf erhob sich und klopfte sich den Staub von seinen Seidengewändern. „So sei es“, sprach er. „Dann folgt mir mal. Wenn ihr mit mir Schritt haltet, sollten wir bald dort sein. Wenn nicht, werdet ihr euch wohl hoffnungslos verlaufen. Und dann ist es am Ende noch euer Tod. Also seht besser zu, dass ihr nicht zu weit zurückbleibt.“

Er kicherte albern. Ratford und Lazana warfen sich vielsagende Blicke zu. Sie waren davon überzeugt, dass der Waldelf kurz davor stand, wahnsinnig zu werden, wenn er es denn nicht schon längst war. Doch seine Worte ließen in ihnen neue Hoffnung keimen. Er war ihre letzte Chance, doch noch einen Hinweis auf den Aufenthaltsort der Abgesandten der Pardel zu finden und so folgten sie ihm, wenn auch zögerlich, durch die Wälder.

Schnell zeigte sich, dass Tareglir nicht zu viel versprochen hatte. Er schien sich in der Düstermarsch tatsächlich bestens auszukennen und wählte Wege, die nur er sehen konnte. Er bahnte sich seinen Pfad durch dichtes Gestrüpp und umging verborgene Schlammlöcher. Dabei setzte er jeden seiner Schritte mit Bedacht, war aber dennoch so zügig unterwegs, dass Lazana schon bald Schwierigkeiten hatte, ihm zu folgen, und Ratford unter seinem schweren Kettenhemd mächtig ins Schwitzen kam. Doch die Wege, auf denen Tareglir sie durch den Sumpf führte, erwiesen sich als sicher und vor allem trocken. Ratford war sich nicht sicher, ob der seltsame Waldelf einen Bogen um die Tümpel machte, weil es sich dabei um tückische Todesfallen handelte oder weil er sich einfach seine Kleidung nicht schmutzig machen wollte.

„Bitte“, flehte Lazana, aus deren Gesicht jegliche Farbe gewichen war. „Ich brauche eine kurze Pause.“ Erschöpft blieb sie stehen und stützte sich auf ihren Staub. Auch Ratford wollte die Gelegenheit nutzen, um wieder neuen Atem zu schöpfen, doch Tareglir blieb unerbittlich.

„Nicht hier“, warnte er und schlug sich, ohne auf seine Begleiter zu warten, wieder in die Büsche. „Zu viele hungrige Bestien in der Nähe.“

Wie zum Beweis seiner Worte ertönte ein schauerliches Heulen, das diesmal so nah klang, dass sich Ratfords Nackenhaare aufstellten. Der Krieger warf Lazana einen unentschlossenen Blick zu. Seine Gefährtin erhob sich tapfer und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

„Wenn es hier nur nicht so schwül wäre…“, murmelte sie leise. „Aber ich werde schon irgendwie durchhalten. Lass uns weitergehen, bevor dieser Wahnsinnige uns noch abhängt.“

„Kommt!“, hörten sie Tareglirs spöttische Stimme aus dem Dickicht. „Es ist nicht mehr weit bis zur Küste.“

Lazana schöpfte aus seinen Worten neue Kraft und folgte ihm, wobei sie mit ihrem Stab Schlingpflanzen und Dornengestrüpp aus dem Weg räumte. Ratford bildete mit griffbereiter Axt die Nachhut. Gemeinsam beeilten sich die beiden Gefährten, den Waldelfen wieder einzuholen.

Tareglir wartete zwar nicht auf sie, aber er rief ihnen immer wieder etwas zu, sodass sie seiner Stimme folgen konnten, bis sie seine extravagante Robe zwischen den Bäumen erkennen konnten. Hastig schlossen sie zu ihm auf, was der Waldelf mit einem breiten Grinsen zur Kenntnis nahm.

„Wir sind gleich da“, versprach er und noch bevor Ratford oder Lazana einen weiteren Klagelaut von sich geben konnten, lichtete sich der Wald und vor den Augen der beiden Gefährten erschien eine von Bäumen gesäumte Bucht. Am nördlichen Ufer ragte eine bewaldete Hügelkette aus dem schlammigen Marschland empor. Dahinter lag das Binnenmeer. Lazana seufzte bei diesem Anblick erleichtert und ließ sich auf einem umgestürzten Baumstamm nieder, der zwar unangenehm nach Verrottung roch, aber eine willkommene Sitzgelegenheit darstellte.

Tareglir blieb stehen. „An dieser Stelle habe ich sie getroffen“, verkündete er und deutete nach Süden. „Sie sind der Gezeitenlinie gefolgt.“

„Dann tun wir das auch“, brummte Ratford grimmig. „Irgendwo muss sich ja ein Anhaltspunkt finden lassen, was aus Ahravi und ihrer Garde geworden ist.“

„Täusch dich da mal nicht“, warnte Tareglir und grinste tückisch. „Dieser Sumpf verschlingt nicht nur Reisende, sondern auch die Spuren, die sie hinterlassen haben.“

Ratford verspürte plötzlich ein unangenehmes Zwicken in seinem Genick. Als habe ihn ein lästiges Insekt gestochen, fuhr er mit einer Hand an seinen Nacken und ertastete dort einen kleinen, gefiederten Gegenstand. Für einen Sekundenbruchteil glaubte er, dass ihm tatsächlich ein blutsaugendes Tier im Genick saß, doch als er den spitzen Gegenstand aus seinem Hals zog und ihn sich ansah, bemerkte er, dass es ein Blasrohrpfeil war. Ratford brauchte einen kurzen Moment, bis er begriff.

„Wir werden angegriffen!“, brüllte er dann, wirbelte herum und schwang seine Axt. Lazana reagierte sofort und sprang auf die Beine. In diesem Augenblick ertönte lautes Geschrei und aus dem Unterholz am Wegesrand brach eine Horde zerlumpter Dunkelelfen.

„Was sind das denn für Wichte?“, wollte Ratford von Tareglir wissen, doch der Waldelf war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Der Krieger knurrte wütend und wollte Verteidigungshaltung einnehmen, als er plötzlich einen heftigen Schwindelanfall verspürte und sein Blickfeld verschwamm. Ratford taumelte zur Seite und schüttelte heftig seinen Kopf, in der Hoffnung, die plötzliche Benommenheit auf diese Weise loszuwerden. Doch sein Sichtfeld klärte sich nur für einen Augenblick, dann wurde es erneut unscharf.

„Was…was ist das…?“, brummte er verwundert. Die Welt schien sich plötzlich unkontrolliert zu drehen und er hörte die wilden Schreie der Angreifer wie durch Watte. Ratford sah die Umrisse eines anstürmenden Dunkelelfen und schlug mit seiner Axt nach ihm. Er verfehlte ihn deutlich und die Wucht seines eigenen Hiebes brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Unbeholfen stolperte er den Weg entlang und konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Der Krieger ließ seine Axt sinken und fasste sich mit einer Hand an den Kopf. Ihm wurde übel und er konnte kaum noch etwas erkennen. Im Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr und schwang seinen Arm instinktiv zur Seite. Er traf einen der Dunkelelfen mit dem Ellbogen im Gesicht und stieß ihn in den Dreck, aber fast im gleichen Moment wurde ihm selbst endgültig schwarz vor Augen. Ratford gab ein tiefes, kehliges Grunzen von sich, dann kippte er um und fiel der Länge nach zu Boden.

Lazana bemerkte mit Schrecken den Zustand ihres Partners und entdeckte in der Horde der anstürmenden Banditen eine steinalte Dunkelelfe mit wildem, feuerrotem Haar. Im Gegensatz zu den meisten anderen Angreifern trug sie vernünftige Kleidung und hielt ein Blasrohr in den fleckigen Händen, das sie sich an die spröden Lippen setzte und zielte. Lazana schlussfolgerte augenblicklich, dass die Alte damit Pfeile verschoss, die mit einem betäubenden Gift bestrichen waren.

Die blonde Frau breitete die Arme aus und konzentrierte sich. Zwischen ihren Händen verdichtete sie magische Energie zu spitzen Eiskristallen und mit einem Mal klirrte die Luft vor Kälte. Innerhalb von Sekundenbruchteilen gefror der schlammige Boden zu Lazanas Füßen und die Steine und Bäume wurden von einer dünnen Frostschicht überzogen.

„Eine Eismagierin!“, kreischte die alte Dunkelelfe hysterisch. „Balam!“

Lazana riss erschrocken die Augen auf. Ein Dunkelelf in einer fadenscheinigen Robe und mit langem, dunkelbraunem Haar trat einen Schritt nach vorn. Seine geballte Faust ging in Flammen auf und im nächsten Moment schleuderte er Lazana einen mächtigen Feuerball entgegen, der ihren Eiszauber einfach zerschlug. Sie verlor das Gleichgewicht und die alte Dunkelelfe nutzte diese Gelegenheit sofort aus. Der Betäubungspfeil aus ihrem Blasrohr traf Lazana direkt oberhalb des Schlüsselbeins und bei ihr wirkte das Gift deutlich schneller, als bei Ratford. Sie blinzelte heftig, um gegen die einsetzende Benommenheit anzukämpfen, doch es war zwecklos. Sie verlor das Gefühl in den Beinen und sackte in die Knie. Verzweifelt streckte sie einen Arm nach Ratford aus, dann wurde auch ihr schwarz vor Augen und sie kippte zur Seite.

Die dunkelelfischen Banditen stießen triumphierendes Gelächter aus. „Gute Arbeit!“, rief die Alte und aus dem Dickicht am Rande der Bucht kam Tareglir hervor. Mit spitzen Fingern zupfte er ein paar Blätter und Ranken von seiner Seidenkleidung. „Selbstverständlich war das gute Arbeit, Mola“, bemerkte er hochnäsig. „Auch wenn ich mir Besseres vorstellen kann, als in diesem dreckigen Sumpf herumzuwandern.“

Mola grinste gehässig und steckte ihr Blasrohr zurück in den Gürtel, an dem außerdem noch ein Säbel und ein Dolch hingen. „Du Ärmster“, erwiderte sie höhnisch und betrachtete Ratford, der ausgestreckt im Schlamm lag. „Der Kerl sieht wirklich kräftig aus. Fjedor wird zufrieden sein. Komm doch mit uns, Tareglir. Diesen Fang werden wir bestimmt feiern.“

„Es ist mir egal, ob Fjedor zufrieden ist“, gab der Waldelf patzig zurück und rümpfte verächtlich die Nase. „Ich ziehe es vor, nach Khaanor zurückzukehren. Dieser Gestank ist ja unerträglich.“

„Tu, was du nicht lassen kannst“, brummte Mola und schnippte mit den Fingern. „Balam! Vela! Fesselt die beiden! Und dann schaffen wir sie weg!“

Der Feuermagier und eine Dunkelelfe, die aussah, wie Molas jugendliche Version, traten vor und gehorchten ihrer Anführerin wortlos. Sie beugten sich zu Ratford und Lazana hinab und legten ihnen schwere Metallketten an. Die beiden Gefährten spürten nicht mehr, wie sie von zahlreichen Händen an Armen und Beinen gepackt und unsanft durch den Schlamm gezerrt wurden.



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