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Crazy like a skull

Das Paradies hat einen Haken
von

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Cold as ice


 

1
 

Die Zeit macht vor Niemandem halt. Kein Wunder also, dass sie wie im Flug vergeht. Vor wenigen Tagen hat Bromley seinen dreizehnten Geburtstag hinter sich gebracht und die beiden haben mit Erschrecken festgestellt, dass sie seit zwei Jahren auf Inselwanderschaft sind. Doch nun nähert sich ihr Abenteuer so langsam dem Ende. Nachdem sie ihre Prüfung auf Kokowei Island hinter sich gebracht haben, stand ihnen noch eine weitere bevor und danach der Inselkönig von Poni. Die Jungs haben sich mit Hängen und Würgen durchgeboxt und nun stehen sie mit allen nötigen Z-Kristallen im Dorf der Kapu vor dem mächtigen Mount Lanakila und trauen sich kaum Luft zu holen. Den Berg zu besteigen und auf dessen eisiger Spitze noch einmal gegen alle Inselkönige anzutreten, ist der letzte Akt, der sie noch vom Titel des Champions trennt. Und mit Sicherheit auch der Schwerste.
 

Der Weg dort hinauf ist sehr weit und unglaublich kalt. Auf dem Mount Lanakila leben hauptsächlich Eis-Pokémon und bilden damit ein extremes Gegenteil zum tropischen Klima und dessen Bewohner, die in Alola vorherrschen. Diese unterkühlten Wesen leben sehr zurückgezogen und genießen den Schutz des Berges und die Tatsache, dass sich hier so gut wie nie Menschen herwagen. Nun in dieses fremdartige Biotop einzudringen, bereitet den Jungs einiges an Sorge. Sie sind solch tiefe Temperaturen nicht gewohnt, auch wenn Kukui in seiner Kindheit in Kanto schon ein paar Mal zum Ski-Fahren gewesen ist. Dennoch will er sich gar nicht vorstellen, wie es dort oben aussieht und noch weniger, wie heftig es wird, im Eis die Nacht zu verbringen. Der Aufstieg wird sie einige Tage beschäftigen. Zudem müssen sie in der Kälte auch noch den letzten Z-Kristall suchen, der sich irgendwo im ewigen Eis befindet.
 

Am Fuß des Berges ist es noch ziemlich warm, sodass man das erschreckende Klima der Höhe nicht bemerkt, doch, wenn man die wenigen Stufen emporsteigt, die sich hinter der Barrikade erstrecken, umfängt einen die Kälte so schlagartig, dass es einem völlig unwirklich vorkommt. Ihre gesamte Reise haben die beiden kaum mehr als T-Shirts und Shorts getragen, nur selten lange Hosen. Umso merkwürdiger ist es nun von der jungen Frau, die die Barrikade bewacht, mit Thermohosen, langen Socken, schweren Stiefeln, Handschuhen und dicken Daunenjacken mit Fellkapuze ausgestattet zu werden. Die ganzen Sachen scheinen eine Tonne zu wiegen und noch können sie dem nicht viel abgewinnen, doch das wird sich sehr schnell ändern.
 


 

2
 

Als die beiden Jungs dick eingepackt die Barrikade hinter sich lassen und die wenigen Stufen zur ersten Ebene erklimmen, kommen sie sich ziemlich merkwürdig vor. Dies wird noch durch die Tatsache unterstrichen, dass ihre Pokémon sich in ihren Bällen befinden. Zwar hat Wolwerock ein dickes Fell, das es vor der Kälte schützt, doch es ist ziemlich empfindlich auf Eis-Pokémon und Manuel will kein Risiko eingehen, solange es sich vermeiden lässt. Entgegen dem Gedanken, dass Käfer in eisiger Kälte nicht überleben können, ist Tectass weit weniger sensibel, als die Fähe, was es aber nur ihrem Zusatztypen Wasser zu verdanken hat. Trotzdem ist Bromley nicht der Meinung, das Schicksal herausfordern zu müssen, weswegen die zwei erstmal allein losziehen.
 

Mit schweren Schritten finden sie sich auf einer ziemlich runden Fläche wieder. Hauchfeine Schneeflocken tanzen durch die Luft und schmelzen, ehe sie den noch warmen Boden erreichen. Der Anblick wirkt wie im Traum. Der Brillenträger kann sich ein sanftes Lächeln gar nicht verkneifen. Mit Schnee verbindet er bis jetzt nur gute Erinnerungen, bedeutete er für ihn doch immer nur Urlaub und Spaß. Tief im Geiste weiß er, dass dem jetzt nicht mehr so sein wird und das stimmt ihn doch leicht traurig. Etwas uneinig mit seinen Gefühlen, wirft er einen Blick auf seinen Partner. Bromley steht neben ihm, als wäre er zu einer Salzsäule geworden und betrachtet die Flocken mit so großen Augen, dass er wirkt, wie ein Kleinkind unterm Weihnachtsbaum. Zweifelsohne hat er so etwas in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen. In diesem Moment wirkt er unglaublich niedlich, sodass es dem Brünetten ganz warm ums Herz wird.
 

Langsam streckt er seine dick eingepackte Hand aus und greift damit nach der des Schwarzhaarigen. Dieser wendet sich leicht überrascht zu ihm um und strahlt übers ganze Gesicht. „Mann, haste so’n geilen Scheiß schon ma‘ erlebt?“, fragt der große Junge begeistert. „Nein, aber es ist wirklich schön.“, flunkert Manuel ein bisschen. Er will seinen Freund nicht mit seinen Urlaubsgeschichten langweilen und ihm schon gar nicht mit einer glücklichen und behüteten Kindheit zu nahetreten. Immerhin weiß er, was Bromley schon so alles durchmachen musste, da ist es nur fair, mal ein wenig zu lügen. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sie sich jetzt deswegen streiten und jeder allein den Berg besteigen müsste.
 

Einen Augenblick halten sich die zwei noch an den Händen, dann treten sie näher an den Berg heran. Etwas unschlüssig betrachten sie die gewaltige Formation, die sich vor ihnen ins schier Unendliche zu erheben scheint und dessen Gipfel von dichten Wolken verschleiert wird. Im ersten Moment sehen sie auch keinen Weg hinauf. Der Berg führt fast senkrecht in die Höhe, ehe weit oben eine Art Absatz zu erkennen ist. Die Frau an der Barriere hat ihnen zwar einige Hilfsmittel mitgegeben, doch nicht gerade etwas zum Bergsteigen. Nach einigen Momenten des Grübelns entdecken die Anwärter aber eine Strickleiter, die am Gestein herabhängt und zum Absatz führt. Sie hängt allerdings so hoch, dass es für ein Kind allein völlig unmöglich erscheint, sie zu erreichen. „Steig auf meine Schultern, dann kommste ran.“, meint der Jüngere schließlich und mit etwas Mühe gelingt es Kukui tatsächlich auf die unterste Sprosse der Leiter zu kommen und Bromley hoch zu helfen.
 

Die dünnen Sprossen hinaufzukommen ist alles andere als einfach. Mit jedem Meter sinkt die Temperatur der Umgebung gleich um gefühlt mehrere Grad und die Schneeflocken werden größer und zahlreicher. Zudem setzt ein eisiger Wind etwa auf der Hälfte der Leiter ein, der die ganze Konstruktion bedenklich hin und herschwingen lässt. Mehrmals erstarrt Kukui deswegen förmlich und kann keinen Schritt mehr weiter. Vehement versucht er es zu vermeiden, nach unten zu sehen und klammert sich stattdessen wie ein Ertrinkender an den Sprossen fest. Bromley versucht ihm Mut zu zusprechen, was mit jedem Mal schwerer wird. Stunden scheinen zu vergehen, ehe es ihnen endlich gelingt den Absatz zu erreichen. Völlig fertig bleiben die Jungs auf dem kalten Boden liegen und versuchen Luft zu bekommen.
 

Jeder Atemzug schmerzt wie tausend Nadeln und der Dunst vor ihrem Mund nimmt ihnen beinahe die Sicht. Wenn das schon so schwer war, wie soll dann erst der Rest werden? Keiner von beiden will sich das vorstellen. Dennoch müssen sie weiter und einen Platz für dich Nacht finden, der sie etwas vor dem schneidenden Wind schützt. Schwerfällig kommen sie wieder auf die Füße und blicken sich um. Da sie nun festen Boden unter den Füßen haben, traut sich Manuel doch, einen Blick über den Rand zu werfen. Der Platz, an dem sie gestartet sind, liegt so weit unter ihnen, dass dem Brünetten regelrecht schlecht wird. Er beginnt zu schwanken, bis sich plötzlich zwei starke Arme um ihn schließen und ihn festhalten. „Mach das nich‘...“, haucht der Schwarzhaarige ihm zu und dreht ihn zu sich herum.
 

Hinter ihm kann der Brillenträger jedoch den Rest des Berges aufragen sehen und dadurch wird ihm gleich wieder schwindlig. „Oh heiliges Kapu, worauf haben wir uns da nur eingelassen...“, kommt es stockend von ihm. Bromley sieht ihm fest in die Augen. „Das konnt’n wa‘ doch nich‘ wissen, außerdem is‘ es Teil der Wanderschaft, also mach dir nich‘ in die Hosen. Das friert sonst!“, grinst er halbherzig und versucht ihn damit etwas aufzumuntern. Es entlockt dem Älteren immerhin ein kleines Schmunzeln. „Du hast recht. Lass uns weitergehen...“, es klingt nicht sonderlich überzeugt, aber wieder runtersteigen will er auch nicht wirklich. Also nimmt er all seinen Mut zusammen und gemeinsam gehen sie los.
 

Vor ihnen erstreckt sich ein langer Weg, dessen Ende in der Ferne und dem kalten Nebel nicht zu erkennen ist. Er windet sich leicht ansteigend an der Seite des Berges entlang, besteht aus nacktem Felsgestein, das an einigen Stellen von hartnäckigen, gelben Grasfeldern unterbrochen wird, die laut knistern und rascheln, wenn man sie durchquert. Der Rand des Weges wird beunruhigender Weise nicht mit einem Zaun oder dergleichen gesichert, sodass es dort steil bergab geht. Zum Glück ist der Weg aber ein paar Meter breit und damit recht gut passierbar, solange man sich vom Rand fernhält.
 

Das Vorankommen bei der Kälte, dem immer dichter werdenden Schnee, dem schneidenden Wind und der leichten Steigung ist anstrengender, als die Jungs es vermutet hätten, sodass sie zum Ende des Weges einiges an Zeit brauchen. Zudem werden sie im trockenen Gras zwischendurch auch immer mal wieder von einigen Pokémon überrascht. Allerdings weit weniger, als sie es vom Rest Alolas gewohnt sind. Außerdem scheinen die Wesen hier um einiges friedlicher und scheuer zu sein, bekommen sie hier doch ganz sicher nie Menschen zu sehen. Zwar sind sie noch keinem Eis-Pokémon begegnet, sondern nur bekannten Gesichtern wie Rattikarl, dennoch ziehen diese es eher vor, die Flucht zu ergreifen, als zu kämpfen, was den Jungs nur recht sein kann. Ein traumatisches Erlebnis mit diesen Nagern hat ihnen völlig ausgereicht – zumal sie hier oben von jeglicher Hilfe abgeschnitten sind.
 

Es wird bereits dunkel, als sie nicht mehr weiterkommen. Der Weg ist zu Ende, stattdessen baut sich der Berg wieder vor ihnen auf. Ein Loch im Gestein markiert den Eingang zu einer Höhle, die auf den ersten Blick völlig aus Eis zu bestehen scheint und dennoch das Innere des Mount Lanakila bildet. Dort drinnen ist es noch um einiges kälter als draußen, weshalb die beiden es vorziehen ihr Zelt vor der Höhle an einer möglichst windgeschützten Stelle aufzuschlagen. Behelfsmäßig machen die beiden Dreizehnjährigen ein Feuer mit dem verwelkten Gras und kuscheln sich irgendwie zusammen. Ihre Pokémon tragen dazu einen guten Teil bei, können sie nun endlich wieder raus. Zu viert essen sie etwas und nicht lange später ziehen sie sich ins Innere des Zelts zurück, schmiegen sich eng aneinander und fallen einer Ohnmacht gleich in einen tiefen, traumlosen Schlaf der Erschöpfung.
 


 

3
 

Früh am nächsten Morgen erwachen die jungen Trainer. Vor ihnen liegt heute die Eishöhle, die es zu durchqueren gilt. Auf der Karte, die sie haben, ist der Eingang der Höhle zwar eingezeichnet, doch es ist nicht ersichtlich, wie es im Inneren aussieht oder gar, wie groß sie ist. Die Ungewissheit war ihnen auf ihrer Inselwanderschaft stets eine treue Begleiterin und so ist es auch jetzt. Doch sie hoffen inständig, dass sie das andere Ende erreichen, bevor die Nacht anbricht. In der Höhle ist es um ein Vielfaches kälter, als hier draußen, von daher ist es vollkommen unmöglich dort drinnen das Zelt aufzuschlagen und am nächsten Morgen nicht als Eiswürfel zu enden. Zudem bezweifeln sie stark, dass es in der Höhle etwas gibt, womit sie ein wärmendes Feuer machen können. Diese makabre Vorstellung treibt die beiden hoffentlich genug an, um es rechtzeitig wieder hinaus zu schaffen. Dennoch muss es ihnen auch gelingen, den Z-Kristall zu finden, der sich irgendwo in diesem Labyrinth aus Eis befindet. Ohne ihn können sie die letzte Hürde zum Champion nicht in Angriff nehmen.
 

Wolwerock und Tectass ziehen sich nicht ohne Protest in ihre Pokébälle zurück und dann betreten die zwei Trainer die Höhle. Hier drinnen ist es schummerig, dennoch verbreiten die mit Eis überzogenen Felswände ein sanftes, nahezu mystisches Licht, sodass sie den Weg vor sich ohne Hilfsmittel erkennen können. Trotz ihrer warmen Sachen, ist es jedoch um einiges kälter, als sie angenommen haben und so dauert es nur wenige Augenblicke, bevor ihr Körper völlig davon eingenommen ist und sie zu zittern beginnen. „Derbster Scheiß, is‘ das kalt!“, gebärt sich Bromley laut und schüttelt sich unwillkürlich. Dabei verlässt eine dichte Dunstwolke seine bebenden Lippen, die so weiß ist, dass es aussieht, als hätte er sich ein Stück Stoff aus dem Mund gezogen, das nun vor seinem Gesicht schwebt. Als Antwort erhält er von Kukui ein heftiges Niesen, das in der labyrinthartigen Höhle ein unheimliches Echo erzeugt. Und noch ahnt er auch nicht, was diese banale Körperreaktion für eine fatale Auswirkung haben wird...
 

„‘sundheit...“, erwidert der Schwarzhaarige das Ganze schlicht. „Danke. – Ja, es ist echt wahnsinnig kalt hier...“, meint der Brillenträger schließlich und wischt sich mit dem Handschuh über die Nase, ehe er seinen Schal wieder darüber zieht. Vorsichtig setzten sich die zwei Jungs in Bewegung und betrachten das Innere der Höhle genauer. Zuerst führt sie der Weg nur geradeaus. Doch nach einer Weile macht er eine Kurve nach links und führt dann geradeaus weiter. Allerdings entspringt diesem Arm ein weiterer Weg, der nach rechts führt. Unschlüssig halten sie an und blicken sich nach beiden Seiten um. In keiner Richtung ist ein Ende zu sehen, was ihnen ein ungutes Gefühl vermittelt. „Was meinste, wo lang wa‘ müss’n?“, fragt der Käfer-Trainer skeptisch. „Ich weiß nicht. Doch, um den Z-Kristall zu finden, müssen wir bestimmt die ganze Höhle absuchen. Sicher ist sicher, auch wenn ich bezweifle, dass wir ihn schon so nahe am Eingang finden werden...“, grübelt der Brünette.
 

„Yo, da haste recht. Soll’n wa‘ uns trenn‘? Dann geht’s vielleicht schneller...“, wirft der Größere ein. „Nein!“ Nahezu entsetzt sieht Kukui ihn an. Er hält sich nicht unbedingt für besonders mutig, doch er ist gewiss kein Feigling, zumal er Wolwerock an seiner Seite hat. Doch allein die Vorstellung von Bromley getrennt und in diesem Irrgarten aus Eis verloren zu sein, lässt ihm buchstäblich das Blut in den Adern gefrieren. Der Schwarzhaarige muss ihm die Bedenken praktisch im Gesicht ablesen können, denn er verkneift sich die freche Antwort auf dessen Schreckreaktion und sein kesses Grinsen erstirbt auf seinen Lippen, ehe es richtig an die Oberfläche treten kann. „Hey, ganz ruhig. Wa‘ ja nur ‘ne Idee...“ Bromley senkt beinahe schuldvoll den Blick, als wäre Manuel nicht sein Freund, sondern ein strenger Lehrer, der ihn beim Mogeln erwischt hat und ihn nun vor der gesamten Klasse tadelt.
 

Auch der Brünette senkt kurz den Blick und für einen Moment sehen die beiden fast wie Zwillinge aus. Für den Augenblick herrscht Schweigen, dann durchbricht es der Jüngere wieder. „Yo, lass uns da lang geh’n.“, legt er kurzerhand fest und deutet den Weg weiter geradeaus entlang. „In Ordnung...“, murmelt Kukui und versucht dem Drang zu wiederstehen, sich haltsuchend an dem Arm des anderen festzuklammern, damit dieser ihn auch wirklich nicht allein lässt. Stattdessen setzt er seinen Rucksack ab und beginnt darin nach etwas zu suchen. Fragend betrachtet ihn der Größere. Schließlich findet Manuel sein Taschenmesser und klappt die Klinge heraus. Akribisch ritzt er damit ein Zeichen in die Eisschicht der Höhlenwand. „Ich werde jeden Weg markieren, damit wir uns hoffentlich nicht verlaufen oder im Kreis gehen.“, kommentiert er sein Tun, woraufhin sich der fragende Gesichtsausdruck seines Partners verflüchtigt.
 

So folgen sie dem Weg geradeaus weiter, stellen aber nicht lange später fest, dass es eine Sackgasse ist. Gründlich sehen sie sich um, doch nichts deutet daraufhin, dass sich hier irgendwo der Z-Kristall versteckt oder es einen geheimen Durchgang geben könnte. Der Weg endet einfach mitten am Felsgestein. Nachdem sie sich ein weiteres Mal vergewissern, dass sie auch nichts übersehen haben, treten sie den Rückweg an und gelangen wieder zu der Stelle, an der Kukui die Markierung in der Wand hinterlassen hat. Er setzt eine weitere hinzu, die ihnen später auf dem Rückweg andeuten soll, dass dies die falsche Richtung ist und dann wenden sie sich der rechten Abzweigung zu. Auch dieser Weg führt eine Weile geradeaus weiter und gabelt sich dann, sodass er von oben wohl wie ein Y aussehen muss.
 

Wieder verharren sie unschlüssig und versuchen sich für eine Richtig zu entscheiden. Ganz in der Ferne auf der linken Abzweigung können sie etwas Großes funkeln und glitzern sehen. Es sieht aus wie Eis und daher sind sich die Jungs unsicher, ob es sich dabei nicht vielleicht um ein riesiges Pokémon handelt, das nur auf ein paar unvorsichtige Wanderer wartet oder nicht. Von daher wählen sie lieber den rechten Abzweig, weil sie dort nichts dergleichen sehen können. Manuel markiert wieder die Wand, doch nach wenigen Metern erscheint auf der rechten Seite eine Art Stufe, die hinunter auf einen weiteren Weg zu führen scheint. Allerdings entscheiden sie sich dagegen, sie zu benutzen und folgen stattdessen dem Pfad weiter geradeaus.
 

Irgendwann teilt sich aber auch dieser, diesmal eher in Form eines T. Nach einer weiteren Markierung gehen sie nach rechts. Nun kommt es ihnen so vor, als würden sie abwärtsgehen und das irgendwie in einer Art Halbkreis. Schlussendlich bestätigt sich dieses Gefühl, als sie an dieser seltsamen Stufe ankommen, die sie vorhin gesehen haben. Mit etwas Mühe gelingt es ihnen sie zu erklimmen, dem Weg erneut zu folgen und dann an der Abzweigung nach links zu gehen. Auch hier scheint der Pfad eher einen Bogen zu machen. Je weiter sie gehen, desto mehr beschleicht sie plötzlich das Gefühl beobachtet zu werden. Seit sie die Höhle betreten haben, hatten sie es schon die ganze Zeit, was auch kein Wunder ist, wo es doch hier von Pokémon nur so wimmelt. Allerdings haben sich diese bis jetzt zurückgehalten, sind nur manches Mal als flüchtiger Schatten zu sehen gewesen oder als funkelnde Augen im Dunkeln. Nun jedoch ist das Gefühl weit stärker und ihnen kommt der Gedanke, dass sie dem Z-Kristall jetzt sehr nahe sein müssen...
 


 

4
 

Angespannt gehen sie weiter, stoppen jedoch nach wenigen Metern wieder. Ein merkwürdiges Geräusch wird laut. Es klingt wie ein Schaben auf dem Eis. Gebannt starren sie den Weg entlang, bis Kukui plötzlich niesen muss. Der Laut erzeugt abermals ein Echo und lässt das Schaben für einen Moment verstummen. Dann setzt es wieder ein und auf einmal taucht ein kleines Pokémon vor ihnen auf. Irgendwie hat es Ähnlichkeit mit einem wandelnden Tipi oder, wie etwas, dass sich verkrampft in eine Decke eingewickelt hat, um hier in der Kälte nicht zu erfrieren. Der kleine Körper zittert sogar unaufhörlich und festigt diesen Gedanken damit noch mehr. Laut Pokédex handelt es sich dabei um Schneppke, ein Eis-Pokémon, das sehr zurückgezogen in kleinen Gruppen hoch oben in den Bergen lebt. Es gilt als sehr scheu, doch dieses hier wirkt ziemlich entschlossen, was wahrscheinlich daran liegt, dass es ein Mitstreiter des Herrscher-Pokémon sein könnte, das den Z-Kristall bewacht.
 

Der kleine Schneehut steht zitternd da und blickt die beiden Trainer überraschend finster an. Manuel und Bromley ziehen ihre Pokébälle und lassen ihre Begleiter frei. Beim Anblick des Wolfes und des Samurai wirkt das Schneppke dann weit weniger entschlossen, doch noch ergreift es nicht die Flucht. Stattdessen holt es tief Luft und pustet eine dichte Wolke aus Schnee auf seine Gegner. Der Pulverschnee breitet sich rasant aus und erfasst gleich beide Pokémon auf einmal. Die Attacke ist nicht sonderlich stark, weswegen Tectass sie fast ungerührt über sich ergehen lässt. Wolwerock hingegen ist empfindlicher auf Eis und zieht sich daher hinter den großen Käfer zurück, um möglichst wenig davon abzubekommen.
 

Darüber scheint der Schneehut nicht sonderlich glücklich zu sein und setzt wieder zur selben Attacke an. Dies nutzt Bromley jedoch aus und befiehlt Sweetheart den Gegenangriff. Noch während Schneppke Luft holt, prescht der gepanzerte Käfer heran und holt aus. Der Tiefschlag trifft das Eis-Pokémon völlig überraschend mitten im Gesicht und wirft es schlitternd auf den Rücken. Hilflos zappelt es einen Moment mit den Beinchen, ehe es sich wieder aufrichten kann und taumelnd versucht die Nachwirkungen des Schlages wegzustecken. Darin sieht der Schwarzhaarige die Chance für einen weiteren Treffer. „Sweetheart, setz gleich noch einen mit Schlitzer nach!“, befiehlt er siegessicher. Mit einem kampfbereiten Fauchen stürmt Tectass ein weiteres Mal heran und hebt drohend ihre gewaltigen Klauen, um ihrem Gegner damit einen harten Streich zu verpassen. Doch so leicht lässt sich der kleine Schneehut nicht wieder treffen.
 

Noch ehe der Samurai nahe genug an es herankommt, erzeugt es eine leuchtende Kuppel um sich herum. Die langen Krallen des Käfers treffen mit voller Wucht auf dieses durchsichtige Gebilde, dennoch kommen sie nicht an Schneppke heran. Erst, als der Angriff des Käfers beendet ist, verschwindet die Kuppel wieder. „Es beherrscht Schutzschild!“, entkommt es Kukui erstaunt. Erzürnt wendet Bromley ihm den Blick zu. „Heißt das, dass ich’s nich‘ treffen kann?“, hakt er verstimmt nach. „Ja, zumindest einen Angriff kann es damit abfangen. Danach löst sich der Schild wieder auf. Es kann die Attacke aber nicht zweimal direkt hintereinander einsetzen.“, erläutert der Brillenträger zuversichtlich. Diese Tatsache können die beiden aber nicht gleich ausnutzen, da das kleine Eis-Pokémon eine erneute Schneeladung auf sie abfeuert. Wieder werden Wolwerock und Tectass getroffen und wieder sucht die Fähe hinter ihrer großen Kollegin Schutz.
 

Darin sieht der Brünette nun seine Chance den Kampf zu beenden. „Schnell, Wolwerock! Setz Feuerzahn ein!“, ruft er dem Wolf zu. Dieser sprintet hinter dem Käfer hervor, als sich die Schneewolke lichtet, während glühende Flammen um sein Maul herum züngeln. Der Schock über den bevorstehenden Angriff steht Schneppke buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Es beginnt am ganze Körper noch heftiger zu zittern und erzeugt dann wieder sein Schutzschild. Wolwerock bemerkt es allerdings zu spät und knallt in vollem Tempo dagegen. Überrascht heult die Fähe auf und schüttelt sich verwirrt. Als sich der Schild auflöst, versucht sie es allerdings entgegen Kukuis Warnung noch einmal. Doch das stellt sich als schwerer Fehler heraus. Ehe die Flammen zu lodern beginnen, bekommt die Fähe eine heftige Ladung Schnee verpasst, der sie durch die Höhle schlittern lässt und sie dann gegen die harte Felswand wirft.
 

„Oh nein!“, entkommt es dem Brünetten erschrocken und schützend postiert sich Tectass mit weit ausgebreiteten Armen vor ihrer Freundin, als der kleine Schneehut erneut eine Ladung abfeuert. Lange wird sie das aber auch nicht mehr aushalten können, von daher muss ihnen schnell eine Lösung einfallen. „Wenn’s so weitergeht, macht uns das Vieh voll platt!“, gebärt sich Bromley aufgebracht. „Ja, da hast du recht. Doch ich habe eine Idee.“ „Und welche?“ „Lass Tectass noch einmal angreifen, egal mit was.“ „Bringt doch nichts. Es wird sich wieder schützen.“, erinnert der Schwarzhaarige. „Das soll es ja auch, weil es das danach dann nicht gleich wieder tun kann. Sobald der Schild bricht, wird Wolwerock es mit ihrem Feuerzahn kampfunfähig machen. Verstehst du?“, erklärt sich der Kleinere. Nachdenklich mustert ihn der andere und zuckt dann mit den Schultern. „Versuchen wir’s. Sweetheart, Schlitzer!“
 

Mit einem Fauchen saust der große Käfer los und holt mit seinen Klauen aus. Wie Kukui gehofft hat, schützt sich Schneppke tatsächlich wieder vor dem Angriff. Heftig knallen die gewaltigen Krallen auf die leuchtende Kuppel, doch durchdringen können sie sie nicht. „Schnell, Wolwerock! Spring auf Tectass‘ Rücken und greif mit Feuerzahn an!“ Knurrend rennt die Fähe los, als die Kuppel unter dem Schlag zu beben beginnt. Sie springt geschwind auf den harten Panzer des Samurai und entflammt ihre Zähne, genau in dem Moment, als sich die Kuppel in Luft auflöst. Mit weit aufgerissenem Maul lässt sich Wolwerock auf ihr wehrloses Opfer fallen und beißt heftig zu. Schneppke hat nicht mehr die Möglichkeit zu reagieren und wird schwer getroffen. Sein eisiger Körper erliegt den heißen Flammen augenblicklich, sodass es reglos zu Boden geht.
 

Einen Moment verharren die beiden Pokémon noch angriffsbreit auf dem Feld und warten auf eine Reaktion. Schwerlich gelingt es dem kleinen Schneehut sich etwas hoch zu stemmen, sie erschöpft anzublicken und dann bricht es wieder zusammen und rührt sich nicht mehr. Sein Körper beginnt zu dampfen und eisige Luft aus der Umgebung einzusammeln, um sich zu regenerieren, doch eine Gefahr geht von ihm nicht mehr aus, weshalb die Jungs ihren Weg fortsetzen.
 


 

5
 

Sie kommen um eine Kurve. Die Luft hier scheint irgendwie noch kälter zu sein, als im Rest der Höhle. Verwundert blicken sich die Trainer an. Ein überraschtes Jaulen ertönt plötzlich von der Fähe. Suchend streckt sie den Kopf nach oben und dann sehen es auch die anderen. Aus heiterem Himmel setzt auf einmal ein Hagelschauer ein, obwohl sie sich immer noch in der Höhle befinden und es hier drin verständlicherweise auch keine Wolken gibt. Es ist, als würden die scharfkantigen Eiskristalle direkt von der Decke fallen. Sie sind so spitzt, dass es sich wie Nadelstiche anfühlt, wenn sie die Haut berühren. So dick eingepackt, bekommen Manuel und Bromley das aber nur wenig mit, Wolwerock und Tectass hingegen zucken immer wieder überrascht zusammen, wenn sie davon getroffen werden. Man sieht ihnen an, wie unangenehm ihnen das Ganze ist und weder Fell noch Panzerung sie davor zu schützen scheinen.
 

„Wie zum Henker geh’n so was?“, fragt der Schwarzhaarige verständnislos, doch sein Partner weiß darauf auch keine sinnvolle Antwort. Aber vermutlich steckt irgendein Pokémon dahinter. Wirklich wissen wollen die vier es aber nicht, weshalb sie ihren Marsch fortsetzen. Sie kommen jedoch gar nicht dazu einen Fuß vor den anderen zu setzen, da beginnt die Felswand in ihrer Nähe auf einmal zu bröckeln. Tiefe Risse bilden sich in der Eisschicht darauf und ganze Brocken fallen zu Boden. Dann bricht ein besonders großes Stück heraus und mit einem düsteren Laut kommt ein Pokémon daraus hervor. Es gleicht einer riesigen, schwarzweißen Eiskugel, mit zwei spitzen Hörnern auf dem Kopf, großen, finster dreinblickenden Augen und einem alles zermalmenden Kiefer. Sein nahezu kugelförmiger Körper hat einen Durchmesser von mindestens vier Metern und es gleicht einem unerklärlichen Wunder, dass es mit seinem enormen Gewicht über dem Boden schweben kann.
 

Mit stockendem Atem blickt Kukui auf den Pokédex. „Das ist ein Firnontor, die Entwicklung von Schneppke! Dies hier ist allerdings riesig, sodass es ganz sicher das Herrscher-Pokémon ist...“, teilt er seinen Mitstreitern mit. Und wie zur Bestätigung seiner Aussage, flammt in diesem Moment die Herrscher-Aura um die Eiskugel herum auf. „Krasser Scheiß...“, gibt Bromley nur von sich, wobei seine Zähne vor Kälte so sehr klappern, dass man seine Worte kaum verstehen kann. Der Hagel wird immer dichter und setzt dem Wolf und dem Käfer mittlerweile ziemlich zu. Den beiden Trainern muss es also schnell gelingen, den Kampf für sich zu entscheiden, ehe sie dadurch kampfunfähig werden.
 

Auf den Befehl des Schwarzhaarigen hin, stürmt Tectass mit ihrem Überrumpler heran, um sich einen Vorteil zu sichern. Doch da hat sie die Rechnung wohl ohne Firnontor gemacht. Ehe der Samurai seinen blitzschnellen Treffer landen kann, leuchtet auf einmal eine Kuppel um das Eiswesen auf. Erschrocken beobachten die Trainer, wie Sweetheart gegen das Schild knallt und ihr Angriff danebengeht. „Das is‘ doch unmöglich! Meine Attacke hat ‘ne erhöhte Priorität!“, gebärt sich Bromley fassungslos. Auch Manuel ist im ersten Moment ziemlich überrumpelt davon, dann fällt es ihm jedoch wie Schuppen von den Augen. „Schutzschild hat ebenfalls eine erhöhte Priorität! Sogar weit mehr, sodass die Attacke mehr als doppelt so schnell ist, wie dein Angriff!“, gesteht er dem verwirrten Schwarzhaarigen. „Nich‘ dein Ernst? So’n Scheiß! Und jetz‘?“ „In Deckung!“, ruft Manuel entsetzt und duckt sich.
 

Bromley dreht sich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie die Eiskugel ihren Gegenangriff startet. Das schwarzweiße Pokémon saugt heftig Luft ein und stößt sie dann in einer gigantischen Eiswolke aus. Der Blizzard, der dabei entsteht, hat eine so dermaßene Geschwindigkeit, dass er sie alle von den Füßen reißt, auf den Boden drückt oder gegen die nächste Wand schleudert. Der andauernde Hagel verstärkt den Angriff noch und erhöht seine Treffsicherheit, sodass er seine Wirkung nicht verfehlt. Schwer getroffen versuchen sich die vier wieder aufzurappeln. Die Jungs haben einiges an Kratzer abbekommen, doch das Meiste traf ihre Begleiter. Schwerlich richtet sich Tectass wieder auf und schüttelt den Schnee von ihrem Panzer. Sie wirkt noch relativ munter, wenn man die Heftigkeit dieses Angriffs bedenkt. Bei Wolwerock sieht es da schon anders aus. Die Fähe schafft es gerade so, überhaupt auf die Füße zu kommen. Als sie ihr Fell ausschüttelt, wirkt es kraftlos und schwach, weswegen sie ihre Bemühungen auch einstellt, ehe sie fertig ist.
 

Sorgenvoll betrachtet der Brünette den Wolf. Noch so einen Treffer und sie ist erledigt. Und selbst, wenn es ihr gelingt auszuweichen, wird sie der Hagel früher oder später dahinraffen. Ihnen muss es also schnell gelingen, eine Lösung zu finden. „Versuchen wa‘ denselben Trick wie bei Schneppke!“, schlägt Bromley schließlich vor. „Gut, doch ich denke nicht, dass ich es mit einem Schlag erledigen kann. Es ist erheblich schneller und stärker, als Schneppke...“, zweifelt der Brillenträger. „Is‘ klar. Du brauchst Zeit für ‘ne verdammte Z-Attacke!“ „Ja, darauf wird es wohl hinauslaufen. Immerhin kann ich es damit auch treffen, wenn es sich schützt. Doch damit das reicht, müssen wir vorher noch mindestens einen Treffer landen, um es zu schwächen.“ „Dann los! Wie vorhin, Sweetheart! Schlitzer!“
 

Unter den herausfordernden Augen Firnontors läuft Tectass los. Die Eiskugel setzt auch diesmal seinen Schutzschild ein, um den Angriff abzufangen und der Käfer schlägt abermals hart dagegen. In diesem Moment rennt Wolwerock los und springt auf den Rücken des Käfers. „Steinhagel!“, ruft Kukui ihr zu, als er sieht, wie Firnontor wieder zum Blizzard ansetzt. Die Fähe reagiert im letzten Moment. Anstatt auf ihren Gegner zu springen und damit frontal von den Schneemassen getroffen zu werden, macht sie einen großen Satz in die Luft, mit dem sie fast die Decke der Höhle erreicht. Nur knapp entgeht sie so dem Angriff des Eiswesens. Die Fähe nimmt all ihre Kraft zusammen und beschwört Felsbrocken herauf, die sich von den Höhlenwänden und vom Boden lösen. Sie schweben empor und regnen dann als harte Geschosse auf die Eiskugel nieder. Firnontor wird heftig davon getroffen, erst recht, weil es eine Schwäche gegen Gesteins-Attacken hat.
 

Besiegt ist es deswegen aber keinesfalls. Dafür braucht es jetzt die Z-Attacke. „Scheiße!“, entkommt es Bromley aufgebracht, als sich Schnee und Staub wieder legen. Tectass hat die volle Wucht des Blizzards abbekommen, erst recht, weil es zum Zeitpunkt des Angriffs genau vor Firnontor gestanden hat. Dies hat ausgereicht, um den Nebeneffekt der Attacke auszulösen. Der große Käfer ist zu einer Eisskulptur erstarrt und nicht mehr in der Lage einen Angriff auszuführen! „Ach du heiliges Kapu, nein!“, entkommt es auch Manuel voller Entsetzen. Selbst Wolwerock lässt das Ganze nicht kalt. Winselnd läuft sie um ihre gefrorene Partnerin im Kreis herum und leckt an ihrer vereisten Pranke. Ungeduldig ertönt Firnontors Stimme hinter ihnen und die Fähe dreht sich voll wütendem Knurren zu ihm um. Ihre sonst so friedlichen blauen Augen glühen vor wilder Entschlossenheit rot auf.
 

„Bromley, geh in Deckung! Wolwerock und ich werden das jetzt beenden!“, kommt es erstaunlich hart von Kukui, der unbedingt verhindern will, dass sein Partner wieder etwas Unvorsichtiges tut und dadurch wohlmöglich auch eingefroren oder verletzt wird. Der Schwarzhaarige wirft ihm einen zornigen Blick zu, wobei dieses Gefühl nicht unbedingt ihm, sondern eher dem Gegner galt. Dann geht er schwermütig hinter seiner gefrorenen Begleiterin in Deckung. „Reiß dem Mistvieh ordentlich den Arsch auf!“, gibt er noch von sich und kauert sich dann so klein wie möglich zusammen. Manuel nickt entschlossen, innerlich ist er sich aber nicht sicher, ob ihm das so einfach gelingen wird, wenn er niemanden hat, der Firnontor ablenkt, während er die Z-Attacke vorbereitet. Doch mittlerweile gelingt es ihm viel leichter, so einen Angriff auszuführen, da die Bindung zu seinem Pokémon viel stärker ist, als damals und Wolwerocks Entschlossenheit und Konzentration auch eine ganz andere sind. Es muss Kukui nur gelingen, selbst für eine Ablenkung zu sorgen und gleichzeitig nicht den Blick für die Attacke zu verlieren.
 

„Ok, Wolwerock, jetzt gilt es! Versuch es mit Ruckzuckhieb zu verwirren!“, befiehlt er der Fähe. Diese prescht im Zickzack vor, springt dabei elegant an den Wänden hoch und zieht Kreise um die Eiskugel, jedoch ohne sie anzugreifen. Firnontor findet das gar nicht lustig und setzt zu einem erneuten Blizzard an. Die Attacke ist zwar weit gefächert, doch der Wolf ändert immer wieder seinen Standpunkt und das auch in der Höhe, sodass es für das Eiswesen unmöglich ist, sich festzulegen. „Gut...“, murmelt der Brillenträger vor sich hin und positioniert sich. Während die Fähe immer weiter versucht auszuweichen, vollführt Kukui seinen Tanz für die Dynamische Maxiflamme. Als er bei der letzten Pose ankommt, ist es Wolwerock gelungen, das Eis-Pokémon vollkommen zu verwirren. Schwankend hängt Firnontor in der Luft und weiß weder vor noch zurück.
 

Der Wolf landet wieder auf dem Boden und vereint seine Gedanken mit denen seines Trainers. Trotz der unsagbaren Kälte in der Höhle, beginnt die Luft regelrecht zu flimmern, als Wolwerock die flammende Hitze um sich herum aufbaut. Die gewaltige Feuerkugel füllt einen Großteil des Kampffeldes aus und hält dann direkt auf das Eiswesen zu. Firnontors Augen weiten sich erschrocken, als es diesen riesigen Ball reiner Hitze vor sich sieht. Instinktiv benutzt es seinen Schutzschild, um sich vor der alles vernichtenden Attacke abzuschirmen, doch da hat es die Rechnung ohne die Z-Attacke gemacht. Mit einem splitternden Krachen berstet das Schutzschild auseinander, als die Maxiflamme darauf trifft. Das glühende Orangerot hüllt Firnontor komplett ein und explodiert dann in einer gewaltigen Detonation, die die ganze Höhle erzittern lässt.
 

Als sich der Staub legt, liegt das Herrscher-Pokémon kampfunfähig in einer dampfenden Wasserpfütze am Boden. Schwer atmend bringt Manuel ein kleines Lächeln zu Stande und läuft dann zu seiner Fähe hinüber, die ziemlich fertig neben ihrem Gegner steht und dennoch triumphierend knurrt. „Wir haben es geschafft...!“, teilt er ihr erschöpft mit und schließt die Arme um sie. Kurz darauf muss er allerdings heftig niesen. Sekunden später vernimmt er Bromley’s jubelnde Stimme und wendet sich um. Die enorme Hitze der Z-Attacke hat ausgereicht, um Tectass wieder aufzutauen. Trainer und Pokémon schließen einander fest in die Arme und können ihr Glück noch gar nicht ganz fassen.
 

Unbemerkt dessen hat sich Firnontor wieder aufgerappelt. Mit einem missgünstigen Grunzen erhebt es sich schwankend wieder in die Luft und schwebt dann auf die Stelle zu, an der es vor dem Kampf aus der Wand gekommen ist. Angespannt verfolgen die vier das Ganze. Die Eiskugel rammt ihren Körper mit voller Wucht gegen das Felsgestein, sodass etliche weitere Brocken herunterfallen, dann verschwindet es in einem Loch dahinter. Doch da ist noch mehr. Verborgen hinter dem Gestein kommt nun ein goldener Sockel zum Vorschein. Auf einer Halterung in seiner Mitte glitzern zwei Z-Kristalle von Typ Eis und zeugen somit von ihrem Sieg über den Herrscher der Eishöhle.
 


 

6
 

Nachdem sie die Kristalle eingesammelt und etwas verschnauft haben, setzen die vier ihren Weg fort. Er führt sie eine Weile geradeaus und dann entdecken sie etwas Glitzerndes in der Ferne, das große Ähnlichkeit mit dem hat, was sie vor einer Weile in einem anderen Gang gesehen und für ein mögliches Pokémon gehalten haben. Wie sich nun herausstellt, ist es kein Lebewesen und auch nichts anderes, dass ihnen gefährlich werden könnte. Mit ziemlichem Staunen stehen sie vor dem riesigen Felsen. Sein Umfang ist fast so groß, dass er den gesamten Durchgang blockiert und er ist so hoch, dass er Bromley bis zum Hals reicht. Das an sich ist aber nichts Besonderes. Das wirklich Spektakuläre ist seine Oberfläche. Sie ist vollkommen mit Eis bedeckt, das so dick ist, dass der gesamte Felsen weiß zu glühen scheint und so glatt ist, dass er wie blankpoliert wirkt. Er strahlt eine unglaubliche Kälte aus, die die Luft um ihn herum beinahe erstarren lässt. „Das ist unglaublich...“, entkommt es Manuel ehrfürchtig.
 

Völlig davon fasziniert, streckt Bromley die Hand danach aus. Mit Schrecken muss Kukui feststellen, dass sein Partner den Handschuh ausgezogen hat und sich seine nackten Finger nun zitternd und vor Kälte fast schon blau angelaufen, der glatten Oberfläche des Eisfelsens nähern. „Wow...“, gibt er nahezu flüsternd von sich, ehe ihn der Brillenträger beinahe grob zurückzieht. „Nicht!“ Verwundert mustert ihn der Schwarzhaarige. In den schiefergrauen Augen des Größeren kann Manuel eine tiefe Leere erkennen, wie sie sonst nur sichtbar ist, wenn sein Vater von ihm Besitz zu ergreifen scheint und er dann völlig neben sich ist. Überraschung und auch ein wenig Angst legen sich in den Blick des Brillenträgers, während er vehement den Arm des anderen umklammert hält. Dieser merkwürdige Felsen muss eine Art unheimliche Wirkung auf den Jungen haben, die an Kukui scheinbar ungerührt vorbeigeht.
 

Langsam lässt der Käfer-Trainer seinen Arm sinken und zieht sich wieder den Handschuh über. Unverwandt sieht er seinen Kollegen dabei die ganze Zeit an. Doch sein Blick klärt sich wieder. „Was is‘?“, fragt er etwas irritiert. Verhalten räuspert sich der Kleinere. Dunkel kann er sich erinnern, schon mal etwas über so einen Felsen gelesen zu haben, wusste aber nicht, wo er sich befindet. Es hatte irgendetwas mit einem Pokémon und dessen Entwicklung zu tun, doch er kann sich nicht mehr erinnern, um welches es sich handelt und was genau der Felsen damit zu tun hat. Dennoch kann er sich ganz deutlich an eine Warnung erinnern, die dabeistand. „Du darfst den Felsen nicht anfassen, sonst frierst du augenblicklich daran fest!“, versucht der Brünette ihm klarzumachen. Verwundert hebt Bromley eine Augenbraue. „Wieso sollte ich das Ding denn anfassen woll’n? Ich bin doch nich‘ verrückt...“, erwidert er leicht angesäuert und windet sich endgültig aus dem Griff des anderen. „Ähm...“, macht Manuel nur. Der Schwarzhaarige scheint gar nicht gemerkt zu haben, was er da in Begriff war zu tun und dies erschreckt den Älteren doch ziemlich. Unweigerlich stellt er sich die Frage, ob der Felsen nun daran schuld ist oder ob es an Bromley’s labilem Geisteszustand liegt, doch er findet keine Antwort.
 

Stattdessen nuschelt er eine Entschuldigung und senkt den Blick. Der Schwarzhaarige zuckt nur desinteressiert mit den Schultern. „Wie auch immer. Lass uns verschwinden, ehe uns noch der Hintern abfriert...“, gibt er zurück und schiebt sich vorsichtig an dem eisigen Felsen vorbei. Kukui wirft einen letzten Blick auf das weißlich schimmernde Gebilde, doch er verspürt keinen merkwürdigen Drang, wie ihn der Jüngere scheinbar hatte. Mit Bedacht drückt er sich ebenfalls daran vorbei und dann folgen sie wieder dem Weg. Er führt noch eine Weile weiter und dann wird ein mattes Licht in der Ferne sichtbar. Eine ziemliche Erleichterung erfasst die jungen Trainer und ihre Pokémon, als sie feststellen, dass es sich dabei um den Ausgang handelt.
 

Als sie hinaustreten, werden die vier von der Abendsonne begrüßt, die sich mühevoll in einem rotorangen Schleier zwischen den dichten Wolken hindurchzwängt, aus denen unaufhörlich dicke Schneeflocken fallen. Vor ihnen erstreckt sich eine lange Freifläche, die vom Berg umgeben wird. Auch hier wächst ein wenig von dem toten, gelben Gras, das sie schon auf der anderen Seite der Eishöhle gesehen haben. Sonst gibt es nur Felsgestein und Schnee. Ein böiger Wind pfeift durch die Senke und wirbelt die weißen Flocken kurzzeitig zu einer dichten Wand auf. Ganz nahe am Zugang zur Höhle, so dicht wie möglich an den Berg gedrückt, errichten die Jungs ihr Zelt. Sie machen ein Feuer und essen dann etwas. Bevor sie sich zur Nacht begeben, werfen sie einen Blick in die Höhe. Die Spitze des Berges ist nun viel näher. Einen Absatz müssen sie morgen noch erklimmen und dann ist es nicht mehr weit bis zum Gipfel und dem Ziel ihrer Inselwanderschaft...
 


 

7
 

In der Nacht werden sie von einem heftigen Schneesturm erfasst, der ihr Zelt erheblich durchschüttelt. Dennoch sind alle so erschöpft, dass sie es kaum bemerken, obwohl es dadurch ziemlich laut wird. Ungerührt schlafen Bromley und die Pokémon, bemerken nichts von Manuels Kampf. Ein Alptraum nach dem anderen sucht den Jungen heim und dennoch kann er nicht wirklich etwas erkennen. Alles wird von dichtem Schneetreiben verschleiert. Doch das ist nicht alles. Gefangen in diesen bildhaften Visionen breitet sich etwas in ihm aus. Es besetzt jeden Winkel seines zierlichen Körpers mit ungeheurer Geschwindigkeit, lässt ihn erzittern, dann erneut heftig schwitzen. Starke Schmerzen rütteln ihn immer wieder wach, doch kurz darauf wird er wieder in eine Art komatösen Schlaf gezerrt, gegen den er sich nicht wehren kann. So vergehen die Stunden und die Krankheit beißt sich immer mehr in ihm fest.
 

Am nächsten Morgen schlägt Bromley langsam und schwerfällig die Augen auf. Der Sturm hat sich inzwischen verzogen und seichtes Sonnenlicht erhellt das Innere des Zeltes. Dem Winkel des einfallenden Lichts nach zu urteilen, ist der Morgen jedoch schon fast beim Mittag angekommen. Diese Tatsache lässt den Schwarzhaarigen zusammenzucken und all die Müdigkeit abschütteln, die noch hartnäckig an ihm zieht. Kerzengerade setzt er sich auf und blickt auf seine Uhr. Es ist wirklich schon fast Mittag. Irgendetwas stimmt nicht. Während der gesamten Wanderschaft konnte Bromley nicht ein einziges Mal länger als bis sieben, allerhöchstens acht schlafen, weil Kukui ihn stets geweckt hat, damit sie eine möglichst weite Strecke im Tageslichtzurücklegen konnten. Der Käfer-Trainer war von dieser Ruhelosigkeit zwar nie sonderlich angetan, wollte er doch nicht so früh aufstehen müssen, dennoch hat er es immer wortlos hingenommen und sich nie beschwert, denn im Grunde hatte der Brünette damit ja auch recht. Hätten sie jeden Tag bis Mittag geschlafen, so wie es der Jüngere gerngehabt hätte, wären sie jetzt wohl noch Monate vom Mount Lanakila entfernt.
 

Ein Blick auf Wolwerock und Tectass hilft ihm da auch wenig. Die beiden liegen eng zusammengekuschelt am Eingang des Zelts und schlafen tief und fest. Verständlich, nach den harten Kämpfen gestern. Er sieht die zwei noch einen Moment verwundert an, dann wendet er den Blick neben sich. Dort liegt der Brünette, fest eingerollt in seinen Schlafsack, wie eine Raupe, die dabei ist sich zu verpuppen. Er zittert am ganzen Körper und dennoch steht ihm der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn. Seine unglaublich lang gewachsenen Haare sind aus dem Band gerutscht, das er benutzt, um sie aus seinem Gesicht zu halten, und bilden nun eine wüste Wolke um seinen Kopf – fast so, als würde er auf einem zerplatzten Kissen liegen. Das Gesicht ist Bromley zugewandt, aber es wirkt sehr seltsam auf ihn. Manuel hat die Augen fast krampfhaft zusammengepresst, seine Wangen sind trotz seiner Bräune tiefrot gefärbt, der Rest seiner Haut wirkt hingegen aschfahl; seine Lippen sind staubtrocken und aufgesprungen; sein Mund steht offen und er atmet in einem abgehackten, ziemlich angestrengten Rhythmus.
 

‚Er is‘ krank...!?‘, geht es dem Größeren mit einer Mischung aus Verwunderung und Sorge durch den Kopf. Dunkel erinnert er sich daran, wie der Brillenträger in der Eishöhle ständig niesen musste und es auch nicht besser wurde, nachdem sie sie verlassen hatten. Er hat sich sogar noch darüber geärgert, dass es im Zelt schlimmer und er so vom Einschlafen abgehalten wurde, bis ihn schließlich die Erschöpfung mit sich gerissen hat. In der Nacht muss Manuel nun richtig krank geworden sein, was bei der Kälte hier oben auch gar kein Wunder ist. Nervös schluckt der Schwarzhaarige. Er fühlt sich irgendwie hilflos. Noch nie war er mit jemandem zusammen, der krank geworden ist. In seinem Elternhaus war es stets er selbst, der gelitten hat, in welcher Form auch immer, und um den sich niemand gekümmert hat. Von daher weiß er nun nicht wirklich, was er tun soll. Vorsichtig beugt er sich zu dem anderen Jungen und rüttelt sanft an ihm. „Manu? Wach auf!“ Es dauert eine ganze Weile, doch dann reagiert der Angesprochene. Mühevoll schlägt er die Augen auf, die den anderen wässern und trüb versuchen anzusehen. Ihr Anblick verpasst dem Größeren einen Stich ins Herz und er zuckt unwillkürlich zurück.
 

„Bromley...?“, fragt der Brillenträger schwach, doch das Wort geht fast völlig in einem heftigen Hustenanfall unter, der seinen schmächtigen Körper durchschüttelt, wie es der Schneesturm die Nacht über mit dem Zelt getan hat. Als er endet, klingt sein Atem schrecklich rasselnd und halb erstickt. „Scheiße...“, flüstert der Jüngere den Tränen nahe. Mehr oder weniger gut versucht er sich den Tag über um Kukui zu kümmern. Hingebungsvoll leisten die Pokémon ihren Dienst, doch besser wird es ohne Medizin nicht wirklich.
 


 

8
 

Als Bromley ihn am nächsten Tag weckt, fasst Kukui daher einen folgenschweren Entschluss. Schwerfällig setzt er sich auf und lehnt sich an Wolwerock, das sich wie ein Kissen gegen seinen Rücken drückt und ihn stützt. „Bromley, du musst...“, weiter kommt er erst einmal nicht, da wird er von einem heftigen Hustenanfall durchgeschüttelt. Sorgenvoll reicht ihm der andere etwas Wasser. Nach ein paar Momenten beruhigt sich Kukui wieder. „Was muss ich?“, hakt der Schwarzhaarige schließlich nach. „Du musst ohne mich – weitergehen. Ich schaffe es nicht – und wer weiß, wie lange es noch – dauert, bis es mir bessergeht...“, vollendet der Brünette seine Bitte. Entsetzt sieht der Käfer-Trainer ihn an. „Is‘ nich‘ dein Ernst!? Ich kann dich hier doch nich‘ alleinlassen!“, platzt es aufgebracht aus ihm heraus. Langsam schließt Manuel die Augen, atmet tief und angestrengt durch und blickt seinen Partner dann wieder an.
 

„Doch, du musst gehen! – Ich werde ganz sicher nicht gesund, wenn – wenn ich keinen Arzt bekomme. – Und dann wäre der ganze Aufstieg umsonst gewesen. – Von daher musst wenigstens du – die Wanderschaft zu Ende bringen. – Außerdem habe ich Wolwerock – ich bin also nicht allein...“, er versucht sich an einem Lächeln, doch in seinem momentan so blassen Gesicht sieht es einfach nur mittleidig aus. „Ich kann nich‘. – Ich könnt’s mir nie verzeih’n, wenn dir ‘was passiert...“ Langsam schüttelt Kukui den Kopf. „Mir passiert nichts – ganz sicher. – Bitte, Bromley – tu es für mich...“, flehend sieht er seinen Partner an, mit dem er den weiten Weg bis hierher unerschrocken durchgestanden hat. Tränen kullern über seine erhitzten Wangen, denn er wünscht sich so sehr, dass Bromley es schafft Champion zu werden. Die Tränen des anderen machen dem Schwarzhaarigen dessen Ernsthaftigkeit endgültig klar und so nickt er schließlich langsam und verbittert.
 

„Gut, für dich mach‘ ich’s...“, erwidert er und nimmt dann Wolwerocks Kopf fest zwischen seine Hände. Tief sieht er der Fähe in die Augen. „Ich warn‘ dich nur ‘n einziges Mal. Wenn ihm ‘was passiert, zieh ich dir das Fell über die Ohren! Darauf kannste Gift nehmen! Also pass gefälligst gut auf ihn auf, checkstes?“ Das Gesteins-Pokémon windet sich aus seiner Umklammerung, schlingt seinen Körper enger um Kukui, rollt seinen Schwanz um dessen Brust. Ihre Zunge gleitet liebevoll über seine gerötete Wange und dann sieht sie den Schwarzhaarigen sicher an. Dieser hebt die Hand und streicht ihr kurz über den Kopf. „Yo, gutes Mädchen.“, meint er trocken und wendet sich dann wieder Manuel zu. „Du bist ganz sicher?“, fragt er noch einmal. „Ja, ganz sicher...“, kommt es röchelnd von dem anderen Jungen.
 

So ganz glauben kann Bromley ihm da verständlicherweise nicht, doch er wird nicht eher aufgeben, ehe der Jüngere nicht geht. Da sind sie sich sehr ähnlich – ungebrochene Sturköpfe. „Ok. – Ich versuch‘ mich zu beeilen und dann bring‘ ich dich zum Arzt, versprochen! Versuch nur solang‘ durchzuhalten.“, mahnt er ihn noch einmal. „Mach ich...“ Eine ganze Weile betrachtet der Käfer-Trainer ihn einfach nur ausdruckslos. Manuel will schon fragen, ob bei ihm alles in Ordnung ist, da rührt er sich wieder. Ehe der kranke Junge sich dagegen wehren kann, beugt sich Bromley ganz dicht zu ihm vor. Bestimmend legt er ihm die Hände auf die Wangen und fixiert seinen Kopf, ganz ähnlich, wie er es vorher bei Wolwerock gemacht hat. Verwundert sieht ihn der Brünette an, nur um dann die Augen weit aufzureißen, als sich auf einmal die Lippen der anderen Jungen forsch auf die seinen pressen! Ein tiefes Kribbeln geht von ihnen aus und durchströmt den kraftlosen Körper des Älteren auf seltsame Weise. Doch die Berührung ist zu kurz, fast nur flüchtig, und schon wieder vorbei, bevor Kukui sie genießen kann. Ohne ein weiteres Wort erhebt sich der Größere und verlässt mit Tectass das Zelt, lässt ihn allein mit seinen Gefühlen zurück...
 


 

9
 

Er geht ein paar Meter auf die Felswand zu und stoppt dann. Geistesabwesend hebt er die Hand und lässt sie über seine Lippen gleiten, die eben noch mit denen von Manuel verbunden waren. Es ist irgendwie unwirklich, dieses Gefühl tiefer Zuneigung und Verbundenheit, das er für den Brünetten empfindet. Ganz hinten in seinem Kopf entsteht der Gedanke, dass Jungs andere Jungs nicht küssen, ja, es gar nicht erst dürfen. Doch warum eigentlich? Warum sollte man so etwas nicht tun, wenn es sich doch gut und richtig anfühlt? Nur, weil es nicht normal ist? Nein, definitiv nicht! Denn, was ist schon normal? Nur, weil andere Leute so etwas nicht gern sehen, bedeutet das noch lange nicht, dass es falsch ist! Seine Finger gleiten ein weiters Mal über seine Lippen. Dabei erinnert er sich an den warmen Atem des anderen Jungen. Klar, er hat Fiber, aber dennoch fühlte es sich unglaublich schön an. Allein schon sein überraschter Blick und die schamroten Wangen lassen Bromley’s Herz schneller schlagen. Nein, so ein Gefühl kann unmöglich falsch sein! Sollen die Leute doch sagen, was sie wollen, ist ihm doch egal – solange Manuel nichts dagegen hat!
 

Entschlossen ballt er die Hände zu Fäusten und blickt dann den Berg hinauf. Tectass steht geduldig neben ihm und wartet. Einen Moment später zieht der Schwarzhaarige jedoch ihren Pokéball aus der Tasche und ruft sie zurück. Zuerst weigert sich der Samurai, will ihn nicht ganz allein lassen, doch dann fügt sich Sweetheart und zieht sich zurück. Fest schließt er die Hand um den rotweißen Ball und steckt ihn dann wieder weg. „Wir schaffen das!“, sagt er zu sich selbst. Mit entschlossenen Schritten nähert er sich der Felswand und blickt sich um. Nach einer Weile entdeckt er eine lange Strickleiter, die ihn auf den Absatz bringen wird. Langsam und schwerfällig beginnt er damit sie zu erklimmen. Als er den relativen Schutz der Senke verlässt, erfasst ihn jedoch ein heftiger Wind, der ihn brutal gegen das scharfkantige Gestein drückt. Ihm bleibt fast die Luft weg. Minuten lang, so scheint es ihm, kann er nur ausharren und darauf warten, dass er sich wieder bewegen kann.
 

Er glaubt schon gar nicht mehr daran, dann lässt der Wind endlich etwas nach und er beeilt sich weiterzukommen. Dennoch dauert es fast zwei Stunden, ehe er die endlose Leiter hinaufgestiegen ist und seine Hände sich an einem Pfosten festklammern können. Kraftlos zieht er sich daran hoch und bricht dann bäuchlings auf dem gefrorenen Untergrund zusammen. Hier oben ist es noch um einiges kälter und sein Atem bildet undurchdringliche, weiße Wolken vor seinem Gesicht. Jedes Luftholen ist wie tausend Nadelstiche in seinen Lungen. Bromley’s ganzer Körper fühlt sich unendlich schwer an, so als könnte er überhaupt nicht mehr aufstehen. So als würde ein tonnenschweres Gewicht auf seinem Rücken lasten. Dann jedoch fällt ihm Manuel wieder ein. So krank und hilflos. „Er verlässt sich auf mich...“, bringt er stockend hervor. Auf seinen Lippen beginnt es zaghaft zu kribbeln, so als wäre Kukui hier und würde nun ihn küssen.
 

Dies genügt ihm. Neue Kraft durchflutet seinen müden Körper und er stemmt sich wieder hoch. Taumelnd kommt er auf die Füße und blickt sich um. Um ihm herum ist fast alles weiß. Ein schmaler Weg erstreckt sich von hier zum Gipfel, den er vor lauter Kälte und Wolken nicht sehen kann. Allerdings spürt er, dass er jetzt ganz nah ist. Der Weg führt nach links. Rechts befindet sich ein mörderischer Abgrund ins Ungewisse, der ihm das Blut in den Adern gefrieren lässt – erst recht, weil es keinen Zaun oder dergleichen gibt, der einen vor einem Sturz bewahrt. Eilig läuft der Käfer-Trainer daher nach links. Nach nicht allzu langer Zeit endet der Weg und führt nach rechts weiter. Inzwischen ist das Meiste der neuen Energie wieder verflogen und es fällt ihm unglaublich schwer einen Fuß vor den anderen zu setzen. Die Höhe und ein schneidender Wind tragen ihr Übriges dazu bei. Schwankend wie ein Betrunkener torkelt er den Weg weiter, immer weiter.
 

Gefühlte Stunden scheinen zu vergehen, ehe sich der Pfad ausbreitet und den Gipfel freigibt. Der Gipfel… Er hat es endlich bis zum Gipfel geschafft! Schon allein der Gedanke entzündet einen heißen Funken in seinem Magen und lässt für einen Moment sogar die eisige Kälte vergessen sein. Der Anblick der letzten Stätte seiner Inselwanderschaft löst in ihm aber auch die unterschiedlichsten Gefühle aus – Ehrfurcht, Entsetzen, Vorfreude, Neugierde und Nervosität. Ein Teil von ihm fühlt sich dabei wie ein abergläubischer Eingeborener, der dabei ist eine Tabuzone zu betreten. Der Rest von ihm fühlt sich dagegen wie ein Kind am Weihnachtsmorgen. Dennoch schwingt auch ein großer Teil Wehmut in ihm, weil er hier ganz alleinsteht und nicht mit Manuel, wie es eigentlich hätte sein sollen. Viel Zeit, sich darüber Sorgen zu machen, hat er allerdings nicht, da Hala in diesem Augenblick auf ihn zukommt. In der Ferne kann er die restlichen Inselkönige auf einer prunkvollen Plattform stehen sehen, die alle hier versammelt sind, um gegen ihn anzutreten. Halas Gesicht drückt eine ähnliche Besorgnis aus, wie sie Bromley empfindet, doch das ist noch nicht das Schlimmste…
 


 

10
 

Nachdenklich blickt sich der rundliche Mann um, ehe er vor Bromley zum Stehen kommt und die Stimme erhebt. „Wo steckt Manuel?“, fragt er in einem tadelnden Tonfall. Kein Willkommen, keine Glückwünsche zum gelungenen Aufstieg, nichts. Doch zum jetzigen Zeitpunkt hat der Schwarzhaarige auch nichts anderes erwartet – nicht, wenn Kukui nicht bei ihm ist. Hala blickt ihn streng an, ganz so, als würde er ihn beschuldigen etwas mit der Abwesenheit des Brünetten zu tun zu haben. Beinahe schuldbewusst senkt der Junge den Blick. „Nich‘ hier...“, bringt er schließlich hervor und kämpft mit den Tränen, die sich brennend hinter seinen Augen sammeln, ohne das er versteht wieso.
 

„Wo ist er?“, hakt der Inselkönig in einem noch strengeren Ton nach. Unweigerlich zuckt Bromley leicht zusammen. So hat er den Mann noch nie erlebt. „Er – er ist krank und ruht sich bei der Eishöhle aus...“ „Was? Und du hast ihn einfach schutzlos zurückgelassen?“ Nun steckt ein erschreckender Zorn in der Stimme des sonst so ausgeglichenen Mannes. Diesmal zuckt Bromley noch heftiger zusammen und sieht zu ihm auf. Die ersten Tränen treten über die Ufer und gefrieren augenblicklich auf seinen unterkühlten Wangen, doch Hala scheint diese Tatsache nicht im Geringsten zu kümmern. Hilflos sucht der Schwarzhaarige nach den richtigen Worten. „Ich hab‘ ich nich‘ allein zurückgelassen! Wolwerock is‘ doch bei ihm. Außerdem hat er mich weggeschickt, damit ich Champion werd‘!“, versucht er sich aufgebracht zu rechtfertigen.
 

Der Zorn im Gesicht des Mannes wird immer größer und Bromley befürchtet schon das Schlimmste. Doch dann ganz plötzlich glätten sich seine Züge wieder und er stößt ein schweres Seufzen aus. „Wolwerock ist vollkommen unwichtig, mein Junge. Nur du allein zählst! Wolwerock kann ihm nicht helfen, wenn es ihm schlechter geht...“, versucht er ihm klarzumachen. Trotzig sieht der Junge zu ihm auf. „Ich konnt‘ ihm auch nich‘ helfen, verdammt! Deswegen hat er mich ja weggeschickt!“, platzt es aus ihm heraus. Wieder schlägt sich Zorn auf Halas Gesicht nieder und der Dreizehnjährige fühlt sich schlagartig an seinen Vater erinnert. Oh ja, gleich wird er ausholen und ihm eine saftige Ohrfeige verpassen und dann...
 

Doch das passiert natürlich nicht – so etwas würde der Inselkönig niemals tun. Stattdessen seufzt er nur wieder schwer. „Schon gut, Bromley. – Der Punkt ist aber, dass du hier ohne ihn nicht weiterkommst. Erinnerst du dich daran, was ich euch beim Antritt eurer Reise gesagt habe? Wenn ihr das Ganze zusammen machen wollt, dann müsst ihr es auch zusammen beenden, sonst kann keiner von euch Champion werden.“ Bei diesen Worten entgleiten dem Jungen sämtliche Gesichtszüge. „So’n Scheiß! Das is‘ doch nich‘ dein Ernst! Ich bin den ganzen, verdammten Weg umsonst hier rauf gekomm‘?“, wütend ballt er die Fäuste. „Ich fürchte schon. Doch das ist völlig unwichtig.“, entgegnet der rundliche Mann und geht dann einfach an ihm vorbei den Weg hinab.
 

„Yo, wo willst’en hin?“, brüllt der Schwarzhaarige ihm hinterher. Hala bleibt jedoch nicht stehen. „Geh wieder nach Hause, Bromley! Es ist vorbei!“, ruft er nur zurück. Der großgewachsene Junge wird ganz blass, was ihn bei seiner eh schon blassen Haut wie einen Geist aussehen lässt. Dann verengen sich seine Augen und seine Wangen beginnen zornig zu glühen. „Es is‘ nich‘ vorbei, alter Mann! Hörst du? Es is‘ nich‘ vorbei!“ Wütend stampft er mit dem Fuß auf den schneebedeckten Untergrund, während weitere Tränen auf seinen Wangen erfrieren. Hala jedoch geht einfach ungeachtet der Worte weiter. In seinem Kopf hat im Moment nur ein einziger Gedanke Platz und der ist es Manuel zu finden und ihn heil in ein Krankenhaus zu bringen, bevor es zu spät ist...
 

Für den Käfer-Trainer bricht jedoch eine Welt zusammen. Schwer atmend und kraftlos sinkt er auf die Knie, schlägt mit den geballten Fäusten auf den eisigen Untergrund. Hilflos versucht er sich seinen Tränen zu ergeben, als plötzlich die Stimme seines Vaters in seinem Kopf aufflammt. ‚Bromley? Was treibst du denn da?‘ Die Worte sind so machtvoll, dass der Junge sie im selben Moment laut ausspricht und weit die Augen aufreißt. ‚Du bist so ein elender Nichtsnutz! Ein schwächlicher Versager, der hier nichts zu suchen hat!‘, tönt sein Vater weiter und holt mit dem Dreieisen aus. Im gleichen Augenblick greift der Schwarzhaarige nach einem spitzen Stein, der aus dem Schnee ragt. Mit einem wütenden Knurren hebt er ihn an und lässt ihn kraftvoll auf seinen nackten Handrücken herniedersausen, um die gedankliche Bestrafung durch seinen Vater nachzuahmen.
 

Doch soweit kommt er zum Glück nicht, da schließt sich eine Hand um die seinige und hält ihn davon ab sich selbst zu verletzen. Schlagartig verstummt die Stimme seines Vaters und sein Kopf wird wieder klar. Eine zweite Hand legt sich beruhigend auf seine bebenden Schultern. „Tu das nicht, mein Junge...“ Langsam wendet Bromley den Blick nach hinten und entdeckt Heinrich Eich, der ihn sorgenvoll betrachtet und ihm dann den Stein abnimmt. „Ich – ich bin so’n elender Versager...“, platzt es aus dem Käfer-Trainer hervor und er bricht endgültig in Tränen aus. Mitfühlend geht der Professor neben ihm in die Knie und schließt ihn in die Arme. „Nein, das bist du nicht, mein Junge. – Mach dir keine Sorgen. Sobald es Manuel wieder bessergeht, könnt ihr erneut herkommen und die Wanderschaft gemeinsam beenden. Und ich bin sicher, ihr werdet das ganz hervorragend machen!“, versichert ihm der Grauhaarige.
 

Schluchzend blickt der Junge zu ihm auf, sucht in seinem Gesicht nach etwas, dass seine Worte als Lüge entlarven könnte, doch er findet nichts. Fahrig reibt er sich mit dem Ärmel über seine feuchten Wangen. „Ok...“, gibt er schniefend von sich und lässt sich dann von dem Mann aufhelfen. „Das wird schon. Doch jetzt werde ich dich erst einmal nach Hause bringen, damit du dich ausruhen und neue Kraft schöpfen kannst.“, zuversichtlich lächelt er ihn an. Doch Bromley nickt nur schwermütig und lässt den Kopf hängen. Tröstend legt Eich ihm eine Hand auf den Rücken und führt ihn dann den Berg hinunter und zurück nach Mele-Mele.



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